Paul Grabein
Die vom Rauhen Grund
Paul Grabein

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Am dritten Tage darauf begruben sie den Reusch-Hannes. Es war eine große Angelegenheit für den ganzen Rauhen Grund. Der Hirschwirt war ja weithin bekannt und angesehen gewesen zeit seines Lebens. So gab ihm denn ein langer Trauerzug das Geleite, mit vielen schwarz umflorten Bannern. Voran die Grüne Gilde mit ihrem Hauptmann, Obersteiger Hannschmidt, und der Fahne. Freilich, der Ehrenvorsitzende, der Herr von Grund, war zu Hause geblieben. Er war ein guter Hasser noch übers Grab hinaus, und er hatte es dem Reusch-Hannes nie verziehen, daß er ihm damals so übel mitgespielt bei der Grubenverschmelzung. Aber er hatte doch einen Vertreter geschickt vom Adligen Hause, seinen Neffen, den Eberhard von Selbach, der noch immer dort zu Besuch war. Der ging jetzt, stattlich anzusehen in seiner Offiziersuniform, neben dem Hauptmann der Grünen Gilde mit im Zuge. Auf Hannschmidts andrer Seite schritt Gerhard Bertsch. Aber die beiden vornehmsten Gäste bei der Trauerfeier hatten sich vorhin beim ersten Begegnen nur mit einem kalten, formellen Verneigen begrüßt. Ohne ein Wort. Nun sahen sie starr geradaus, alle beide.

Es war überhaupt ein trübseliges Begräbnis trotz all der Ehren. Unaufhörlich rieselte der Regen nieder, während sich der Zug durchs Dorf wand. Unter dem gewölbten Dach der zahllosen Regenschirme anzusehen wie eine riesige, schwarze Schildkröte, die langsam den Weg entlang kroch. Dichter, weißgrauer Dunst lauerte im Tal und verschlang die Berge droben. Schmutzig, gelbgrau, hingen die Rauchfahnen an den Kaminen von Christiansglück, wo der Trauerzug vorbeiführte, auf dem Weg zum Friedhof droben am Waldrand. Naß glänzten Holz und Eisen auf dem Werkplatz, an den Schuppen und Ladebühnen. So weit entfernt schienen alle Dinge in der dicken, feuchten Luft. Geduckt schlich sich der Rauch aus den Erzhaufen vor den Röstöfen über den Boden hin und erfüllte die ganze Umgebung mit seinem ätzenden, säuerlichen Dunst. Ein dichter, weißer Schleier. Bisweilen verschwanden die Baulichkeiten des Werks ganz darin. Nur oben hingen, seltsam und unwahrscheinlich nach unten abgeschnitten, die dunkeln Umrisse von Kaminen und Kühlern wie frei in der Luft. Dumpf klang aus dem Dunst drunten im Tal, vom Unterdorf her, das Glockenläuten herauf, und als ernstes Echo antworteten die Trauerchoräle des Posaunenchors, mit dem die »Finen«, die Brüder vom Gebetsverein, dem Toten das Geleit gaben.

Und dann war der Zug auf dem Friedhof angelangt. In langem Spalier stellten sich hier die Vereine mit ihren Bannern vom Kirchhofstor bis zur Leichenhalle auf. Eine Ehrenstraße, durch die nun, von der Trauerkutsche her, Pfarrer Burgmann geschritten kam, an seinem Arm die alte, blinde Frau aus dem Hirschen, die Mutter des Reusch-Hannes. Und hinter diesem Paar seine beiden Kinder.

Viele Blicke trafen Marga und ihren Bruder auf diesem Gange. Und in manchen versteckte sich nur schlecht der Neid. Die hatten nun nichts mehr zu sorgen! In Ruhe konnten sie verzehren, was der da vorn im Sarge zusammengerafft hatte in seinem Leben. Mocht' ein schöner Batzen sein!

Nun schritten die Leidtragenden mit dem Geistlichen auch vorn bei den Ehrengästen vorüber. Ein betroffenes Staunen stand in den Mienen Eberhard von Selbachs. Er hatte im Adligen Hause schon manches gehört von Marga Reusch. Aber so schön hatte er sie sich doch nicht vorgestellt! Ohne jemanden anzublicken schritt sie neben dem Bruder dahin. Stolz aufgerichtet. Aus dem düsteren Gewand, das ihre schlanke Gestalt eng umschloß, ratschte es knisternd auf bei jedem Tritt. »Alles auf Seide gearbeitet,« flüsterte es irgendwo aus Frauenmund. Hämisch und doch begehrlich.

Jetzt kamen die vier gerade an Gerhard Bertsch vorüber. Starr hing sein Auge an dem Banner der Grünen Gilde, das sich vor dem Geistlichen salutierend senkte. In Margas Gesicht flog es wie ein Beben um die Nasenflügel. Marmorblaß schimmerte ihr Antlitz unter dem dichten, schwarzen Schleier hindurch. Doch hoch trug sie ihr Haupt, von dem der Krepp hinten düster und schwer niederwallte, bis zu Boden fast.

Wie eine Königin! dachte Eberhard von Selbach. Und sein Auge hing an ihren schlanken Linien, bis sie in der Halle verschwunden war. Dann folgte auch er neben dem Werksdirektor von Christiansglück, als erste des Trauergeleits.

In Gerhard Bertschs Zügen stand jetzt wieder die alte Festigkeit. Ja, ein fast herausfordernd scharfer Zug. Was war das da eben gewesen? Während Pfarrer Burgmann im Vorüberschreiten an all den andern Vereinen bei der gesenkten Fahne dankend genickt, hatte er hier, bei ihm und Hannschmidt neben dem Banner der Grünen Gilde, kalt vorbeigesehen, als wären sie Luft. Und es war nicht unbemerkt geblieben, von allen Seiten hatten sich die Augen hergewandt – erstaunt, betroffen.

Zerstreut hörte Bertsch nur auf die Trauerzeremonie hin. Burgmann machte es auch kurz. Nun hatte er seinen Segen gesprochen. Die Träger, acht Kameraden des Reusch-Hannes von der Grünen Gilde, nahten sich in ihren Schützenuniformen und ergriffen die Bahre, um sie nach der Gruft zu tragen.

Nach dem Landesbrauch würden die Frauen dorthin nicht folgen. So trat denn Eberhard von Selbach als erster der Trauerversammlung zu den Hinterbliebenen, um sein Beileid auszusprechen. Der Sohn Reuschs stellte ihn den beiden Frauen vor. Jeder in der Halle blickte neugierig herüber, wie der Vertreter des Adligen Hauses sich nun vor Marga Reusch verneigte in seiner glänzenden Uniform. Tief und respektvoll. Und jetzt reichte sie ihm dankend die Hand. Über das schöne, blasse Gesicht unter dem Schleier glitt es wie ein Hauch befriedigten Stolzes.

Auch Gerhard Bertsch gewahrte es, und zwei Falten gruben sich ihm tief um die Mundwinkel. Sie standen jetzt oft dort und gaben seiner Miene etwas Hartes, Verächtliches. Kurz wandte er sich ab und schloß sich Hannschmidt an, der mit der Grünen Gilde dem Sarg nachfolgte zur Gruft.

Alle waren sie jetzt dort versammelt in dem strömenden Regen, um die offene Gruft, neben der der Sarg stand. Zunächst der Bahre die Fahnen mit den Abgeordneten der Vereine. Hinter dem Banner der Grünen Gilde zwölf Mann unter Gewehr. Sie sollten dem dahingeschiedenen Kameraden die dreimalige Ehrensalve über das Grab feuern.

Nun öffnete sich eine Gasse in der dichten Menge. Pfarrer Burgmann trat an die Gruft. Trotz des eiskalten Novemberregens barhäuptig. Abermals senkten sich vor dem weißhaarigen, knorrigen Alten all die Fahnen und entblößten Degen tief zur Erde. Schweigend überflog sein Auge die Reihe der bunten goldgestickten Embleme. Doch wie er nun an das Banner der Grünen Gilde kam, da flammten unter den weißen Brauenbüschen plötzlich Zornesblitze hervor. Heftig reckte sich sein Arm gegen den Fahnenträger und seine beiden Begleiter aus.

»Ja – da steht ihr nun mit eurem Panier und trauert! Aber wird euch nicht der Boden zu heiß unter euren Füßen hier an diesem Grabe? Habt ihr dem da –« er wies zu dem Sarge hin – »nicht zum Tode verholfen? Zu einem unseligen Ende, unvorbereitet, ohne den Trost der Kirche – mitten heraus aus wüster Völlerei! Saufen – das ist eure ganze Kameradschaft! Daß ich es euch einmal sage, laut vor aller Welt, in die verrotteten Gewissen hinein. Und Gott der Herr hat euch das Zeichen geschickt, daß es euch zurufe wie Posaunengeschmetter: Kehrt um! Ehe es zu spät ist – ehe auch ihr hinfahrt in euren Sünden, gleich diesem hier!«

Atemlose Stille war eingetreten. Wie niedergeschmettert standen alle die Hunderte ringsum und starrten zu den Abgeordneten der Grünen Gilde bei ihrer Fahne hin.

Neben dem Hauptmann, dem Obersteiger Hannschmidt, stand der Werksdirektor. Auflodernd traf jetzt auch ihn der Bannstrahl aus den Augen des fanatischen Eiferers. Doch er stieß auf einen eiseskalten Glanz in Bertschs Blick.

»Wollt ihr das ruhig hinnehmen?«

Schneidend klang dessen Stimme Hannschmidt ans Ohr.

Finster starrte der Rotbart vor sich hin. Die Stirnader geschwollen. Aber sein Auge streifte den Priesterrock drüben. Ungewiß – unschlüssig.

»Fort mit der Fahne! Auf meine Verantwortung!«

Da zuckte es in dem verwitterten Gesicht Hannschmidts auf.

»Fahne abbringen – kehrt, marsch!«

Halblaut, aber scharf kam das Kommando, eine stramme Wendung, und die Abordnung der Grünen Gilde ging lautlos vom Platze. Ihr nach die zwölf unterm Gewehr und alles, was sonst noch die Schützenuniform trug. Als letzter folgte Bertsch. Langsam und ruhig.

Burgmann eiferte weiter, mit wild aufbrausendem Grimm. Aber der Eindruck seines Strafgerichts war hin. Statt der Zerknirschung in jeder Brust, vielfach nur stumme Schadenfreude. Der andere war der Sieger geblieben. Wieder einmal. Und selbst hier auf seinem eigensten Boden. Da schüttelte der Alte im Talar die geballten Fäuste in zitterndem Zorn. Warum geschah ihm das, der doch nur den Willen des da droben erfüllen wollte, mit heißem, inbrünstigem Herzen? Wo blieb der Gott, dem er diente, mit seinem rächenden Strahl? Sollten auch seine Altäre noch stürzen, wie alles, was einstmals hoch und heilig war hier in diesem Lande?

* * *

Eberhard von Selbachs Urlaub, den er auf Anraten seines Oheims hatte auf drei Monate verlängern lassen, ging seinem Ende entgegen. Noch ein paar Tage, dann mußte er wieder bei seinem Regiment sein, in der ostpreußischen Garnison. Wenn er es nicht vorzog, auf die Vorschläge einzugehen, die der Onkel ihm gemacht hatte.

Es war Abend. Die beiden Männer saßen allein in der großen Halle des Adligen Hauses. Auf dem Altan, dem erhöhten, balkonähnlichen Sitz, der auf zwei schweren, wuchtig gewundenen Holzsäulen ruhte und zu dem eine Treppe mit altersdunkelm Barockgeländer vom Fußboden heraufführte. Es war Henner von Grunds Lieblingsplatz. Hier, auf diesem erhöhten Herrschaftssitz, hatten seit Jahrhunderten von jeher die Herren vom Adligen Hause gesessen mit ihren Familienangehörigen, während drunten am langen Tisch vorm Kamin beim Licht der Kienfackeln das Gesinde versammelt war, bei Spinnrad und Manneshandarbeit.

Wie ein Hauch jener vergangenen Zeiten hing es noch heute hier in der Halle mit ihren geheimnisvollen Schatten in den tiefen Winkeln hinter allerlei seltsamen Mauervorsprüngen. Ein weiches Halbdunkel umhüllte alle Gegenstände. Nur aus dem mächtigen Kamin, wo armdicke Buchenscheite brannten, kam ein roter Lichtschein. Aber seine Kraft verlor sich bald in dem weiten Raum. Vergebens mühte er sich, die Wände emporzudringen, deren ursprünglich weißer Kalkbewurf vom Rauch der Jahrhunderte einen wunderbar warmen Ton bekommen hatte. Ein Braun, das sich durch alle Abstufungen bis zum tiefsten Schwarz wandelte, wie es hoch droben an den ungeheuren Deckenbalken sichtbar war mit einem öligen Rußglanz. Ungewiß dämmerten dort am Gebälk auch abenteuerliche Formen auf – riesige Speckseiten und Schinken, deren Räucherduft sich mit dem Geruch der brennenden Holzscheite mischte und ein eigenes Behagen verbreitete. Den Hauch eines kernhaft deutschen Hauswesens von uralter Bodenständigkeit.

Henner von Grund saß in dem hochgeschnitzten Armsessel und rauchte schweigend vor sich hin. Wie die mächtige Gestalt des Herrn vom Adligen Hause so in sich gesunken, ein wenig nach vorn geneigt, schwer auf den aufgestützten Ellenbogen ruhte, war etwas Müdes an ihm. Seitdem ihn damals die Hand der Vernichtung warnend gestreift, nagte es leise an seiner Lebenskraft. Wie eine seiner Eichen draußen im Walde war er: noch gewaltig anzusehen, aber morsch im Mark.

So saß er still, tief in seine Gedanken verloren, die das Gespräch eben mit dem Neffen wachgerufen hatte. Doch jetzt wandte er diesem das Haupt zu.

»Nun – was denkst du also zu tun?«

Eberhard von Selbach sah nachdenklich zu dem Kamin drunten, wo die Holzscheite gerade laut aufknisterten und zuckende rote Lichter über die ausgetretenen Fliesen des Fußbodens rinnen ließen. Dann richtete er sich in seinem Sitz etwas auf.

»Ja, Onkel – ich wäre ja soweit entschlossen.«

»Aber?«

»Eke! Sie kommt doch für die Entscheidung auch in Frage, als dereinstige Miterbin – wenn wir diese Dinge wirklich einmal berühren wollen.«

»Ich bin doch kein altes Weib!«

»Nun gut. Also, wer weiß, ob sie damit einverstanden ist, daß ich mich hierhersetze und die Verwaltung der Gutsgeschäfte in die Hand nehme?«

»Was sollte sie dagegen haben? Sie kann doch nur froh sein, wenn ein Mann da ist für diese Dinge.«

»Ich weiß doch nicht – so über sie hinweg möchte ich mich keinesfalls entscheiden.«

Wieder ein Schweigen. Henner von Grund tat ein paar Züge aus seiner Zigarre, dann sah er zu dem Neffen hinüber.

»Eberhard.«

»Ja, Onkel?«

»Wir wollen einmal offen miteinander reden. Natürlich – das versteht sich von selbst – als Cousin und Cousine könnt ihr hier nicht einträchtiglich beieinander hausen, wenn ich einmal nicht mehr da bin. Aber – warum sollt ihr euch nicht heiraten?«

»Heiraten?«

»Gewiß,« – eine dicke Rauchwolke puffte aus Henners Mund – »eine verdammte Sache. Bin ja auch mit einem großen Bogen drum rumgegangen. Die Frauenzimmer – da trau' der Teufel! Aber mit der Eke ist das doch ein ander Ding. Die hab' ich in die Finger gekriegt; noch beizeiten, von klein auf. Meine Dressur. Na, und ich denke, es ist geglückt. Ich hab sie wie einen Mann aufgezogen. Sie hält nichts von all dem Weiberfirlefanz – ich denke, mit ihr kann's ein ehrlicher Kerl schon wagen.«

Eberhard von Selbach antwortete nicht gleich. Es war ihm peinlich, so über diese Angelegenheit zu verhandeln, als wär's ein Geschäft.

»Na – du schweigst dich aus?«

»Versteh mich nicht falsch, Onkel. Ich habe vor Eke eine unbegrenzte Hochachtung. Nur – hat sie doch dabei die Entscheidung.«

»Weshalb sollte sie deinen Antrag ablehnen? Um so mehr, wo sie sich sagen muß, daß es mein Wunsch ist, daß ich unsern Familienbesitz ungeteilt erhalten möchte. Da ist doch also eine Ehe zwischen euch beiden geradezu die gegebene Lösung.«

»Das freilich, nur –«

»Ach was! Nur nicht so zimperlich. Damit kommt man nicht weit bei den Weibern. Wer frisch zupackt, der bekommt. Also red' mit ihr! Am besten noch heute!«

Und Henner von Grund erhob sich.

»Wie denn? Du willst doch nicht etwa –?«

»Jawohl, ich schicke dir Eke. Auf der Stelle.«

»Onkel!«

Und Eberhard erhob sich bestürzt.

»Was soll das lange Hin und Her? Bringt die Sache in Ordnung miteinander wie zwei vernünftige Menschen.«

Und Henner von Grund wollte zur Tür.

»Bitte – bloß eins noch!«

»Nun?«

»Onkel, ich habe so ein Gefühl, daß Eke vielleicht schon anders gewählt haben könnte. Ich möchte mich dem nicht aussetzen, daß –«

»Ach so, du meinst mit dem Bertsch!«

Ein leises Nicken.

»Ist nichts zu befürchten. Nein, nein – verlaß dich darauf! Es hat da allerdings mal etwas gespielt. Aber es ist vorbei. Ich habe Eke neulich selber gefragt; wollte doch klar sehen, ehe ich mit dir sprach. Und sie hat mir's versichert, auf Ehre und Gewissen: es ist nichts mehr zwischen ihr und dem Bertsch.«

»Ja, dann freilich –«

Eberhard von Selbach atmete freier auf und der Oheim ging.

Ein paar Minuten später trat Eke ein. Eberhard kam ihr entgegen, vom Altan heruntergeschritten.

»Der Onkel hat mir gesagt, daß du mich gern sprechen wolltest.«

Ernst und ruhig sah sie zu dem Vetter hin. Der nickte, aber schwieg. Etwas nervös knöpften seine langen, schmalen Hände die unteren Knöpfe der Litewka zu. Schlank und straff stand er so vor ihr, wie in dienstlicher Haltung vor einem Vorgesetzten. Doch nun richtete er den Blick entschlossen auf sie.

»Du weißt, worum es sich handelt, du ahnst es.«

»Ich glaube wohl.«

»Und – wie denkst du darüber?«

Sie erwiderte nicht gleich. Dann aber fragte sie, immer mit dem gleichen, ruhigen Ernst:

»Ist es nur der Wunsch des Onkels, der aus dir spricht?«

»Nein, Eke,« und eine leise Röte stieg in sein Antlitz, »ich wüßte auch mir keine bessere – und liebere Lösung.«

Sie holte hörbar Atem. Wie eine dunkle Wolke senkte es sich auf ihre Stirn. Schmerzlich zuckte es um die Mundwinkel. Doch nun zeigten ihre Züge wieder die gewohnte Klarheit.

»Eberhard, ich will rückhaltlos zu dir sprechen. Ich glaube, überschwängliche Worte sind hier beiderseits nicht am Platz. Ich erwarte sie nicht von dir, aber tu du ein Gleiches. Ich nehme an, du schätzest mich, ich bin dir sympathisch als Mensch, und du hast Vertrauen zu mir. Das gleiche kann ich dir von mir versichern, aber mehr – versteh' mich recht, Eberhard –, mehr kann ich dir nicht geben. Weder jetzt, noch später.«

»Ich danke dir für deine Offenheit, Eke.« Langsam trat er näher zu ihr heran. »Ich habe nicht mehr erwartet. Aber sollte das nicht auch hinreichen, um sein Leben darauf aufzubauen? Ich habe manche Liebesheirat gesehen bei meinen Kameraden – es wurden meist recht unglückliche Ehen. Dagegen kann aus Achtung und Vertrauen allmählich vielleicht doch noch Schöneres aufblühen –«

»Noch einmal: Rechne nicht damit!«

»Ich tu' es auch nicht, Eke. Was du mir geben kannst und willst, es soll mir genug sein. Ich werde es stets mit Dank, mit Stolz empfinden, was es bedeutet, wenn eine Frau wie du mir ihr Leben anvertraut.«

So ernst und ritterlich sagte er es, und seine Augen blickten sie dabei an, klar bis zum Grunde. Da streckte sie ihm die Rechte entgegen. Er nahm sie und führte sie an seine Lippen. Aber als er dann seinen Mund auch ihrem Antlitz näherte, überlief sie ein Zittern. Mit einer leisen Wendung bot sie ihm statt ihrer Lippen die Stirn dar. So empfing Eke den Kuß, mit dem sie sich Eberhard von Selbach zu eigen gelobte.

* * *

Das große Projekt Bertschs war nun wirklich gesichert. Der Zusammenschluß aller Interessenten nicht nur im Rauhen Grund, sondern selbst weit draußen im platten Land war erfolgt zu einer Talsperrenbaugesellschaft. Die Finanzierung erfolgte unter Führung der Landesbank. Als Vertreter des wesentlich mitbeteiligten Werks Christiansglück hatte Bertsch den Vorsitz im Vorstand der neuen Gesellschaft. Und bald ging es von den Konferenzen im Beratungszimmer der Bank über zur Tat.

Drunten im Rauhen Grund, wo sich der Fluß seinen Ausgang zur Ebene erzwängte, setzte es ein. Ein gewaltiges Graben, bei Tag und Nacht. Galt es doch, dem Fluß dort ein neues Bett zu schaffen, ihn abzuleiten für die Zeit des Sperrenbaues. Und am gleichen Tage begann es auch auf beiden Talseiten droben in den Bergen. Der Wald fiel, das nackte Gebirge bot seinen Leib schutzlos den Angreifern dar, die ihn aufrissen in riesigen Steinbrüchen, um das Material zu gewinnen für den Bau drunten an der Sperre.

Abermals flutete jetzt eine fremde Menschenwelle in das stille Waldtal und schwemmte hier allerlei Völkerabhub an. Von fern her, von jenseits der Alpen und aus den Donaulanden, ja selbst aus den Gebirgen des Balkans kamen wetterbraune, landverfahrene Gesellen, die ihr Schicksal herumtrieb in der Welt, überall dahin, wo man Straßen, Bahnen oder Kanäle baute. Mit Staunen und Mißtrauen hörten die vom Rauhen Grund das Kauderwelsch all der fremden Zungen in ihren stillen Dorfgassen.

Wieder einmal hatte der Streit die Gemüter entbrannt im Lande. Ein letztes Mal noch, aber mit verzweifelter Kraft. Galt es diesmal doch auch einen Kampf, wie ihn der Rauhe Grund selbst in den schlimmsten Kriegsnöten seiner Vergangenheit nicht erlebt hatte. Das ganze Dorf Rödig und zahlreiche Einzelsiedlungen sollten einfach vom Erdboden vertilgt werden, um der Talsperre willen.

Ein einziger Schrei der Entrüstung brandete auf, vieltausendstimmig, als die unerhörte Kunde zum erstenmal durchs Land flog. Und wie in alten Zeiten war's, wo der Feind über die Berge einbrach und die Sturmglocken heulten. Zum Ratsplatz kamen die Männer gelaufen in hellen Haufen, sich zur Abwehr einmütig zusammenzuscharen. Und wie damals, auch diesmal wieder an ihrer Spitze der vom Adligen Hause und der Mann im Priesterrock – sie beide die Führer ihrer Stammesgenossen von altersher. Ging's auch diesmal nicht mehr mit Spieß und Schwert, nicht minder hell lohte die Kampfwut in all den Protestversammlungen, Eingaben und Audienzen bei der Regierung. Die vom Rauhen Grund kämpften um ihr Heiligstes – die Scholle ihrer Väter. Aber wie sie auch rangen, sie vermochten sich den gebieterischen Anforderungen einer neuen Zeit auf die Dauer nicht entgegenzustemmen. Die brauste über sie hinweg, wie es in wenigen Jahren die Fluten tun würden über ihrer Väter Häuser. Zorn und Gram in sich hineinfressend, konnten es sich eines Tages die vom Rauhen Grund nicht länger verhehlen: Es war vorbei – der Kampf verloren.

Da lagerte sich nach dem Toben des Streits lastendes Schweigen über das Land. Zähneknirschendes oder stumpfes Ergeben in das Unabweisliche. Nur düsterglühende Blicke folgten den fremden Männern, die nun durch die Feldflur zogen mit Meßstangen und Karten. Mit einem Judaslohn sollte ihnen die verratene Scholle abgekauft werden. Ungezählte, heißgrimmige Verwünschungen flogen in diesen Tagen hinauf nach Christiansglück zu dem einen, der schuld war an allem. Hatte es nicht angefangen mit demselben Tage, wo der Bertsch-Gerhard wieder ins Land gekommen war?

Nur einige wenige hatten sich abseits gehalten von dem verzweifelten Widerstand und dafür im stillen ihr Wesen getrieben. Zu denen gehörte der Mannes Reusch. So viel er sich bei Lebzeiten seines Vaters über diesen erhoben hatte, so sehr zeigte es sich, wie er doch sein Sohn war; wenigstens, was das kühne und unruhvolle Wagen anging.

Wenige Wochen schon, nachdem der Reusch-Hannes in die Erde gebettet war, kam der »Hirsch« in fremde Hände. Um ein schwer Stück Geld. Nur bis zu Neujahr noch waren den Reuschs die Privaträume vorbehalten, dann mußten auch sie aus dem alten Hause ziehen, das an hundertfünfzig Jahre im Besitz der Familie gewesen war.

Mit seinem Erbteil, das so in die Hunderttausende ging, fing der Mannes Reusch ein verwegenes Spekulieren an. Er kaufte ein Grundstück nach dem andern, droben im Oberdorf, wie unterhalb der Sperrmauer. Hatte man erst die Talsperre, die ungeheure Kraftquelle, so würde auch die Industrie nicht lange mehr ausbleiben. Da konnte, wer sich beizeiten mit Bauterrains eindeckte, Millionen verdienen. Freilich, es war ein Zukunftsgeschäft, aber bombensicher.

Und so kaufte und kaufte der Reusch-Mannes. Sein eigen Erbe legte er so fest und das seiner Schwester, der er goldene Berge versprach, schon in fünf, sechs Jahren. Aber selbst daran hatte er noch nicht genug. Noch andere, Fremde, wußte er anzustecken mit seinem Spekulationsfieber. Er wußte es ihnen ja so schön klarzumachen, wie man im Handumdrehen ein schwerreicher Mann werden konnte. Tausende von fremden Arbeitern und Werkbeamten würden hier ins Land kommen, war es erst einmal so weit. Mit ihren Familien Zehntausende! Die Orte würden zu Städten werden über Nacht. Genau so wie drüben in Amerika. Da mußte man vorsorgen, gründen, bauen – ein Warenhaus, Läden, ein Hotel, Wohnhäuser, aber auch Stätten des Vergnügens – ein Kinotheater. Modern würde hier oben alles werden – nur zugepackt, schnell und entschlossen! Ehe die Unternehmer von auswärts kamen mit feiner Spürnase. Im Lande mußte das Geld bleiben.

Das schlug ein, und das Kapital, das der Reusch-Mannes den Leuten unlängst gezahlt für ihren alten Besitz, den sie ihm verkauft, wanderte wieder zu ihm zurück. Eine große Baugenossenschaft wurde damit begründet und der Mannes ihr Direktor. Schnell sprach sich's im ganzen Rauhen Grund herum, und es ging wie mit den Motten am Licht. Sobald nur die erste hineingetaumelt war, kam bald eine nach der andern. Selbst ruhige, besonnene Leute wurden angesteckt von dem Goldfieber. Wer wollte auch nicht mühelos reich werden? So trug selbst manch schlichter Bergmann seine sauer in der Grube verdienten Groschen dem Mannes hin, als Anteil an der neuen Baugenossenschaft, deren prunkendes Firmenschild bald an einem der neuen Häuser droben in Rödig prangte.

Nur einer war im ganzen Rauhen Grund, der warnte. Laut und vernehmlich, selbst von der Kanzel herab, vor dem Gründungsschwindel, mit dem es ein Ende voller Schrecken nehmen würde. Aber wenn ein Zaghafter dem Reusch-Mannes damit kam, dann lehnte sich der in seinem eleganten Privatkontor nur überlegen in den Klubsessel zurück, hob nachlässig die wohlgepflegte Hand mit dem funkelnden schweren Brillantring und lächelte mitleidig den Besorgten an:

»Der gute Burgmann wird allmählich doch zu alt. Weil er selber nicht mehr mit kann, zetert er über jeden andern. Aber wenn Sie Bedenken haben, mein Lieber – in Gottes Namen! Bleiben Sie davon. Wir brauchen Ihr Geld ja nicht. Es drängen sich genug andere an uns heran, die klug sind und einen guten Profit mitzunehmen verstehen.«

Da schämten sie sich ihres Mißtrauens und ihrer mangelnden Einsicht und gaben eilends her, was sie hatten.

So ging es glänzend mit den Geschäften des Mannes. Ein jeder sah es, schon in seinem ganzen Auftreten. Er schaffte sich ein Auto an, gegen das der Wagen seines Freundes Steinsiefen ein alter Kasten war, und wenn der Herr Direktor mit seinem eleganten Chauffeur geschäftig durchs Land jagte, staunte ihm jeder nach: Ja, der Reusch-Mannes! Der verstand's noch besser als der Alte.

Es ratterte und gellte jetzt überhaupt tagtäglich im Rauhen Grund von den geschwinden eisernen Rennern, den sausenden Kurieren der neuen Zeit. All die Bauunternehmer, Ingenieure, Industrielle, Bankleute und behördlichen Kommissionen, die der Talsperrenbau herauflockte. Die schweigende Stille, einst unumschränkt die Herrin des grünen Waldtals, hatte sich hinaufflüchten müssen in die entlegensten Bergwinkel. Und selbst hier schreckte sie der Lärm von den Steinbrüchen oft genug auf.

Im finstern Groll saß drunten der Herr im Adligen Hause. Ihm war das grüne Revier verleidet, seitdem das Rumoren darin angefangen. Selten nur noch sah man ihn dort. Das Wild war scheu geworden und flüchtig. Zu viel fremdes Gesindel machte jetzt den Wald unsicher. Aber noch viel mehr hatte ihn der andere Stoß erschüttert: Weichen sollte er dem Amerikaner – nun selbst vom Hof seiner Väter!

An dem Tage, wo von der Regierung der Bescheid gekommen war, daß das Talsperrenprojekt endgültig genehmigt, hatte sich Henner von Grund eingeschlossen in seinem Zimmer. Voller Sorge hatte Eke oftmals nach der verriegelten Tür geblickt. Am Abend war er zwar endlich wieder herausgekommen und in der Halle erschienen. Aber mühsam nur hatte er sich die Stufen zum Altan hinaufgeschleppt. Schwer sank er in seinen Sessel. Ein gebrochener, alter Mann war er, der dann zu den beiden Verlobten sprach:

»Es hat nun sein Ende hier, Kinder. Wir werden uns nach einem andern Dach umsehen müssen. Oben beim Dorf, an unserm Wald. Geht hinauf morgen, seht's euch an, und dann laßt den Baumeister kommen. Macht's, wie ihr's haben wollt. Mir ist's gleich, denn ich fühl's: ich brauche dies neue Haus nicht mehr.«

»Onkel –«

Eke wollte seine Hand ergreifen, aber er schüttelte müde das Haupt:

»Es ist schon so – und nun laßt mich allein.«

Stumm waren sie da gegangen nach seinem Wunsch. Aber in dieser Stunde war es seltsam über Eke gekommen. So manchmal hatte sie das dumpfe Gemäuer dieses Hauses geängstigt und gequält wie ein Kerker. Nun aber streifte sie mit der Hand über das altersbraune Getäfel der Wand, als gälte es Abschied zu nehmen von einem Stück ihres Lebens.

An diesem selben Tage traf die Kunde von der Baugenehmigung auch bei Gerhard Bertsch ein. Droben in dem neuerbauten Direktorenhaus neben den Werkanlagen. Es war vor kurzem fertiggestellt worden, und seit einigen Tagen wohnte er drinnen.

Langsam erbrach er das Schreiben mit dem Amtssiegel und las. Dann legte er es wieder auf den Schreibtisch. Ohne die leiseste Bewegung. Es war eben gekommen, wie es mußte. Und dann begann er auf und ab zu schreiten. Erst im Zimmer, dann weiter durch das ganze weite Haus. Reich war alles darin eingerichtet, aber ohne Liebe. Er hatte irgendeiner großen Firma Auftrag gegeben. Die hatte ihm zum bestimmten Tage und vereinbarten Preise alles ordnungsmäßig geliefert. Ein weiteres Interesse hatte er ja auch nicht an der Sache.

Was er von dem ganzen Hause wirklich brauchte, waren ein Schlaf- und Eßraum. Sonst nichts. Denn war er nicht im Bureau bei seiner Arbeit, so sah ihn draußen der Wald. Am dämmernden Morgen wie am sinkenden Abend. Er hatte die erledigte Jagd vom alten Reusch gepachtet, nach dessen Tode. Irgend etwas mußte doch schließlich ein Mensch haben, der einsam war wie er.

Freilich, er hatte es sich einmal anders gedacht, hier mit dem Hause. Auch jetzt mußte er es denken, wie er so laut hallenden Schritts durch die stillen Zimmer schritt. Es war wohl doch noch nicht alles so erstorben in ihm, wie er bisweilen wähnte. Aber es sollte! Hart trat sein Fuß auf, und kurz entschlossen ging er zur Diele, wo Jagdjoppe und Büchse immer bereit hingen. Da oben an der Grenzwiese stand ein alter Bock, auf den er schon oft vergeblich gepaßt hatte. Vielleicht glückte es heute.

* * *

Weihnachten stand vor der Tür. Aber im Hirschen dachte diesmal keiner daran. Unruhvolles Hasten, Rücken und Hämmern scholl durchs Haus. Die Reuschs schickten sich zum Auszug an.

Hermann Reusch wollte eine Stadtwohnung nehmen, in Köln, zusammen mit der Schwester. Wie sie sich es immer vorgenommen hatten. Die Geschäfte hier erforderten ja auch nicht seine ständige Anwesenheit am Ort.

Marga Reusch sah diesem Wechsel der Dinge mit der stumpfen Gleichgültigkeit entgegen, mit der sie jetzt alles hinnahm. Wie hatte sie sich einst gefreut auf die Stunde, wo sie Rödig den Rücken kehren würde, und nun? Ihr tödlich verletzter Stolz hatte sich noch immer nicht erholt von seiner Wunde. Gewiß, es war gut, daß sie fortkam von hier, dahin, wo sie nichts mehr erinnerte an die Vergangenheit. Aber es lockte sie nichts mehr da draußen. Die Schwungkraft war ihr gebrochen.

Auch die Großmutter hatten sie mit nach Köln nehmen wollen. Doch die hatte ihr graues Haupt geschüttelt.

»Mich laßt hier. Ich taug' nicht mehr in die große Stadt. Die paar Jahre, die ich noch zu leben hab', werd' ich auch hier noch aushalten können.«

»Aber Großmutter, du kannst doch nicht so allein und hilflos hierbleiben.«

»Es ist schon alles besprochen, ich gehe zu meinem Bruder.« Sie sprach vom alten Manskopf, dem Bergverwalter von Christiansglück. »Der wollt sich längst pensionieren lassen. Er findet sich nicht zurecht in dem modernen Betrieb. Da ist ja auch der Hannschmidt, der Obersteiger, der wird seine Sach' schon machen. Also, habt keine Sorge um mich – ich bin untergebracht.«

So sprach die Reusch-Mutter, still entschlossen. Doch dann hob sie noch einmal den Kopf, wie lauschend, zum Fenster hin. Ein helles Zwitschern klang von dort her.

»Nur eines ist mir leid. Meine Vöglein da draußen. Wer wird nun für sie sorgen in Schnee und Wintersnot?«

* * *

Es war am Tage, bevor die Übersiedlung der Geschwister nach Köln stattfinden sollte, da wurde Marga Reusch noch einmal ein Besuch gemeldet: Karl Steinsiefen. Sie schwankte, ob sie ihn annehmen sollte; alle Räume waren ja schon kahl und ungastlich. Aber schließlich ließ sie ihn doch vor. Er wollte sich wohl verabschieden von ihr.

Nun stand er vor ihr, seltsam unsicher. Setzte ein paarmal zum Sprechen an und schwieg doch wieder. Sie selber mußte ihm sagen:

»Sie kommen, mir Lebewohl zu sagen.«

»Ja, gewiß,« und schüttelte doch gleich wieder den Kopf.

Da sah sie ihn an und verstand plötzlich. Aber ihre schönen dunklen Augen blickten kalt und leer.

Er gewahrte es und verfärbte sich. Es war ja der letzte Augenblick, der ihm noch vergönnt war. Da trieb ihm die Furcht, sie zu verlieren, die Worte auf die Lippen:

»Fräulein Marga, eh' Sie von hier fortgehen, für immer – erlauben Sie mir eine Frage –«

»Ersparen Sie sie sich lieber, Herr Steinsiefen. Es ist besser.«

Er machte eine bittende Gebärde.

»Hören Sie mich doch an! Ich weiß ja wohl – da ist vielleicht ein anderer. Aber glauben Sie mir's: Lieber haben als ich kann er Sie nicht. Bei Gott, das kann er nicht!«

Ein Auflachen, so schneidend, daß er sie erschrocken anstarrte. Und plötzlich kam es über sie, all die angesammelte Bitterkeit ihres zertretenen Stolzes. Eine dämonische Lust, dem, der da flehend die Hände zu ihr hob, wie zu einem Götterbilde, es laut ins Gesicht zu schreien, daß dieses Bild einen Sprung hatte – einen unheilbaren, tiefen Sprung. Mit einem jähen Aufglühen trafen ihn ihre Augen.

»Und wissen Sie auch, daß ich diesem andern nur ein Spielzeug war, das er fortwarf, nachdem –«

Der völlige Zusammenbruch in Steinsiefens Zügen ließ sie abbrechen.

»Ich sagte es Ihnen ja! Sie hätten mich nicht fragen sollen.«

Hart klang es zu ihm hin. Und dann wandte sie ihm langsam den Rücken. Zum Fenster trat sie hin. Nun würde er ja wohl geheilt sein von seiner Liebe – der Narr.

Eine Weile blieb es still. Dann aber hörte sie ihn sich regen, und nun stand er hinter ihr.

»Marga –,« es würgte ihm in der Kehle –, »ich hasse ihn wie den Tod! Hasse ihn, solange ich denken kann. Und dich – dich lieb' ich, was auch geschehen!«

Sie stand unbeweglich und starrte zum Fenster hinaus. Ein verächtlicher Zug lag scharf um ihren schmalen Mund. Und doch – es war ihr, wie wenn ihr in ihrer Einsamkeit ein treuer Hund stumm seinen Kopf gegen das Knie drückte.

So hörte sie ihn flehentlich bitten:

»Laß das alles vergessen sein, uns nie mehr mit einem Wort daran rühren! Laß uns hinausgehen in die Welt, weit fort. Nach Paris, Italien, Ägypten, oder wo sonst du willst und so lange du willst. Ich kann das Geschäft ruhig einmal allein lassen. Und dann, nachher – wir können in Köln wohnen, du brauchtest ihm nie mehr zu begegnen.«

Da fuhr sie herum.

»Meinen Sie etwa, ich sollte mich verstecken darum?«

All der Hochmut von einst flammte ihm wieder entgegen aus dem erregten Gesicht, das ihm nie schöner erschienen war, als in dieser wachsfarbenen Blässe. Bestürzt streckte er die Hände nach ihr aus, hingerissen von seinem Begehren – ihr verfallen auf Leben und Tod.

»Um Gottes willen – wie kannst du mich so mißverstehen! Ich dachte ja nur, es wäre dir lieber so. Aber ganz wie du willst – alles, alles. Wenn ich dich nur habe!«

Wieder jenes verachtungsvolle Aufwerfen ihrer Mundwinkel. Dann ein Achselzucken, und sie schritt an ihm vorüber – wortlos. Da klang es zu ihr hin, wie ein kaum noch verhaltenes Aufschluchzen:

»Marga – warum trittst du all meine Liebe so mit Füßen?«

Ihr Schritt verlangsamte sich und hielt nun ganz an. So sann sie vor sich hin, ihm immer noch abgewandt.

Nach dem Ausbruch ihrer Erbitterung war es mit einemmal ruhiger in ihr geworden. Die alte, kühle Vernunft kehrte ihr zurück. Eine Entscheidungsstunde war das auch für sie. Der Mann da hinter ihr – ein Nichts, ein Schatten. Aber das, was er ihr bot!

Ägypten – das Leben in der großen Welt draußen, umgeben von allem Luxus. Genießen mit vollen Zügen, glänzen, herrschen, beneidet sein! Dahinleben in einem steten vibrierenden Rausch, wie es ihr ja von jeher vorgeschwebt, ehe der fremde Ton in ihre Seele geklungen war, den sie jetzt glühend haßte und verwünschte – abertausendmal! Und das alles wollte sie hinwerfen? Warum? Wem zuliebe? Würde sie wohl je noch einmal einen Mann finden, der ihr das alles bot und zugleich so bequem war? Bereit, jeder Regung ihrer Wünsche blindlings zu gehorchen?

Da war es entschieden, langsam kehrte sie sich Steinsiefen zu.

»Wenn ich Ihnen wirklich ein solches Glück bedeute – nun gut.«

Und ihre Hand hob sich ein wenig zu ihm hin.

»Marga!«

Er stürzte sich auf sie, als könnte sie sich doch noch anders besinnen. Erst als er sie in seinen Armen fühlte, jauchzte es in ihm auf, in sinnlosem, trunkenem Glück.

* * *


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