Maxim Gorki
Drei Menschen
Maxim Gorki

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IX

In das Haus des Petrucha Filimonow zurückgekehrt, überzeugte sich Ilja mit Genugtuung davon, daß er in der Tat während der Zeit, die er in dem Fischgeschäft verbracht hatte, recht groß geworden war. Alle Leute im Hause begegneten ihm mit Aufmerksamkeit und schmeichelhafter Neugier, und Perfischka reichte ihm sogar die Hand.

»Meine Hochachtung dem Herrn Kommis!« begrüßte ihn der Schuster. »Na, Bruder, hast du deine Zeit abgedient? Ich hab' von deinen kühnen Streichen gehört – ha ha! Sie lieben es, Bruder, daß ihnen die Zunge die Fersen leckt, aber nicht die Wahrheit steckt . . .«

Als Mascha Ilja erblickte, rief sie hocherfreut:

»Oho! Wie groß du geworden bist!«

Auch Jakow freute sich darüber, den Kameraden wieder zu sehen.

»Das ist schön«, sprach er. »Jetzt können wir wieder zusammen leben, wie früher . . . Weißt du, ich hab' ein Buch, ›Die Albigenser‹ heißt es – eine Geschichte, sag' ich dir! Da kommt einer vor, Simon Montfort heißt er – ein wahres Ungeheuer!«

Und Jakow bemühte sich in seiner wirren, hastigen Art, den Inhalt des Buches wiederzugeben. Ilja schaute ihn an und dachte im stillen mit Befriedigung, daß sein großköpfiger Kamerad doch eigentlich genau derselbe geblieben war, der er früher gewesen. In Iljas Benehmen gegenüber dem Kaufmann Strogany sah Jakow nichts Besonderes. Er sagte ganz einfach:

»Das war recht so . . .«

Petrucha hatte, als er Iljas Bericht über die Vorgänge in dem Laden vernommen, die Aufführung des Knaben gutgeheißen und mit seinem Beifall nicht zurückgehalten.

»Recht geschickt hast du's ihnen gegeben, mein Lieber! Sehr geschickt! . . . Na, Kiril Iwanowitsch konnte natürlich seinen Karp nicht deinetwegen laufen lassen . . . Karp kennt das Geschäft und ist schwer zu ersetzen . . . Du hast es mit der Wahrheit gehalten, hast mit offenen Karten gespielt . . . Da mußte eben der andere die Oberhand behalten . . .«

Tags darauf jedoch meinte Onkel Terentij leise zu seinem Neffen:

»Hör' mal . . . sei gegen Petrucha nicht zu offenherzig! . . . Nur vorsichtig . . . Er hat dich nicht gern . . . schimpft in einem fort . . . Seht doch, sagt er, wie wahrheitsliebend er ist!«

»Und gestern hat er mich gelobt!« meinte Ilja lachend.

Petruchas zweideutiges Verhalten vermochte Iljas gesteigertes Selbstgefühl keineswegs zu mindern. Er fühlte sich ganz und gar als Helden und war davon überzeugt, daß er bei dem Kaufmann sich besser benommen habe, als sich ein anderer unter denselben Umständen benommen hätte.

Zwei Monate darauf, nachdem sehr eifrig, jedoch vergebens, nach einer neuen Stelle für Ilja gesucht worden war, fand zwischen diesem und Onkel Terentij die nachfolgende Unterhaltung statt:

»Ja, 's ist schlimm,« sprach der Bucklige düster, »es ist für dich keine Stelle zu finden . . . Überall heißt es – er ist zu groß! . . . Was fangen wir nun an, mein Lieber?«

Ilja entgegnete darauf in gesetztem, überzeugungsvollem Tone:

»Ich bin jetzt fünfzehn Jahre . . . kann lesen und schreiben, bin nicht dumm . . . Und wenn ich frech bin, wird man mich eben auch von jeder anderen Stelle fortjagen.«

»Was sollen wir da anfangen, mein Junge?« fragte ängstlich Terentij, der auf seinem Bett saß und sich mit den Armen fest darauf stützte.

»Ich will dir was sagen: laß mir einen Kasten machen und kauf mir etwas Ware – Seife, Parfüms, Nadeln, Bücher . . . allerhand Kram . . . Ich geh' dann damit herum und treibe Handel . . .«

»Wie? Wie meinst du das, Iljuscha? Ich begreif nicht recht . . . In der Schenke hier . . . in dem Lärm geht's immer tuck, tuck, tuck! . . . Bin etwas schwach geworden im Kopfe . . . Und dann beschäftigt mich auch eine Sache . . . für nichts anderes hab' ich mehr rechten Sinn . . .«

In den Augen des Buckligen lag ein seltsam gequälter Ausdruck – als ob er irgend etwas nachrechnen wollte und damit nicht zurecht käme.

»Versuch's doch, Onkel, laß mich einmal gehen!« bat ihn Ilja, ganz begeistert von seinem Gedanken, der ihm die Freiheit versprach.

»Nun, Gott mit dir! Wir können's ja versuchen . . .«

»Wirst sehen, daß es gehen wird«, rief Ilja freudig aus.

»A–ach«, seufzte Terentij tief auf und sagte in gramvollem Tone:

»Wenn du doch recht bald erwachsen wärst! A–ach! Dann könnt' ich gehen . . . So aber bist du wie ein Anker, der mich festhält . . . nur deinetwegen steh' ich hier in dieser fauligen Pfütze . . . Zu den heiligen Nothelfern möcht' ich gehen . . . Möcht' ihnen sagen: Ihr Diener Gottes! Wohltäter und Fürsprecher! Ich habe gesündigt, ich Ruchloser!«

Der Bucklige begann leise zu weinen. Ilja begriff, von welcher Sünde der Onkel sprach, und erinnerte sich selbst dieser Sünde. Sein Herz erbebte. Er hatte Mitleid mit dem Onkel, doch fand er keine Worte ihm zum Troste und schwieg. Und erst als er sah, daß aus den eingefallenen, kläglich dreinschauenden Augen des Buckligen die Tränen immer reichlicher flossen, sagte er:

»Na, so wein' doch nicht mehr!« Er schwieg, dachte eine Weile nach und fuhr dann tröstend fort: »Laß gut sein, sie werden dir schon verzeihen . . .«

So warf sich nun Ilja ganz auf den Hausierhandel. Vom Morgen bis zum Abend ging er durch die Straßen der Stadt, mit dem Kasten auf der Brust, hob die Nase empor und schaute voll Selbstbewußtsein auf die Menschen. Die Mütze tief in die Stirn gezogen, reckte er den Hals heraus und schrie mit seiner jugendlichen, im Wechsel begriffenen Stimme:

»Seife! Wichse! Haarnadeln, Stecknadeln, Nähnadeln und Zwirn! Bücher . . . sehr schöne Bücher!«

Wie ein bunter, geräuschvoller Strom floß ringsum das Leben dahin, und er schwamm in diesem Strome frei und leicht dahin, trieb sich auf den Bazaren umher, ging in die Wirtshäuser, bestellte sich mit wichtiger Miene eine Portion Tee und trank ihn langsam zu einem Stück Weißbrot, wie jemand, der sich seines Wertes wohl bewußt ist. Das Leben erschien ihm sehr einfach, leicht und angenehm. Seine Träumereien nahmen einfache, klare Formen an: er stellte sich vor, wie er nach ein paar Jahren in einem eignen kleinen Laden sitzen würde, irgendwo in einer besseren, nicht allzu lärmenden Straße – und in diesem Laden würde er hübsche, saubere Galanteriewaren feilhalten, die keine Flecke geben und die Kleider nicht ruinieren. Er selbst wird gleichfalls sauber, gesund und hübsch aussehen. Alle Leute in der Straße werden ihn achten, und die Mädchen werden mit freundlichen Augen auf ihn schauen. Nach Ladenschluß wird er in dem sauberen, hellen Zimmerchen neben dem Laden sitzen, wird seinen Tee trinken und Bücher lesen. Sauberkeit in allen Dingen erschien ihm als unerläßliche, ja hauptsächlichste Bedingung eines geordneten Lebens.

So träumte er, wenn niemand ihn durch grobes Benehmen gekränkt hatte – seit der Zeit nämlich, daß er sich als anständiger Mensch fühlte, war er sehr empfindlich und übelnehmerisch geworden. Hatte er jedoch nichts verkauft, und saß er dann müde in der Schenke oder irgendwo auf der Straße, dann fielen ihm sogleich all die Grobheiten und Rippenstöße der Polizisten, die beleidigenden Redensarten der Käufer, die Schimpfworte und Spöttereien seiner Konkurrenten, der andern Hausierer, ein, und er empfand in seinem Innern ein schmerzliches Gefühl der Unruhe. Seine Augen weiteten sich und schauten tiefer auf den Grund des Lebens, und sein Gedächtnis, das an Eindrücken so reich war, schob immer einen dieser Eindrücke nach dem andern in den Mechanismus seines Denkens hinein. Er sah deutlich, daß alle Menschen dem gleichen Ziele zustrebten wie er selbst, daß sie dasselbe ruhige, satte und saubere Leben begehrten, auf das auch sein Sehnen gerichtet war. Und keiner machte sich ein Gewissen daraus, jeden andern zur Seite zu stoßen, der ihm hinderlich war; alle waren so begehrlich, so mitleidlos und schädigten einander oft ohne jede Notwendigkeit, ohne jeden eigenen Nutzen, nur um des Vergnügens willen, einem andern wehezutun. Zuweilen lachten sie sogar, wenn sie den andern recht tief kränken konnten, und nur selten hatte einer Mitleid mit dem Gekränkten . . .

Solche Vorstellungen verleideten ihm seine Beschäftigung. Der Traum von dem sauberen kleinen Laden zerrann in nichts, und er fühlte in seiner Brust eine erschlaffende Schwere. Es schien ihm, daß er bei seinem Handel niemals so viel Geld zusammensparen würde, als zur Eröffnung eines Ladengeschäfts erforderlich war, und daß er bis in sein Alter hinein mit dem Kasten auf der Brust und dem Schmerz, den die Riemen ihm in den Schultern verursachten, auf den staubigen, heißen Straßen der Stadt umherziehen würde. Aber jeder Erfolg in seinem Geschäft weckte von neuem seinen Mut und belebte seine Träume . . .

Eines Tages stieß Ilja in einer belebten Straße ganz unverhofft auf Paschka Gratschew. Der Sohn des Schmiedes ging im sicheren Schritt eines sorglosen Spaziergängers den Bürgersteig entlang, die Hände in den Taschen seiner zerrissenen Beinkleider, mit einer blauen, gleichfalls zerrissenen und schmutzigen Bluse angetan. Die Absätze seiner großen, abgetretenen Stiefel klapperten auf den Pflastersteinen, und die Mütze mit dem zerbrochenen Schild saß keck auf dem linken Ohr und überließ die eine Hälfte des kurzgeschorenen Kopfes schutzlos den heißen Sonnenstrahlen, während Gesicht und Hals von einer dicken, fettigen Schmutzschicht bedeckt waren. Schon von weitem hatte er Ilja erkannt und nickte ihm vergnügt zu, ohne im übrigen seine gemächliche Gangart zu beschleunigen.

»Trifft man dich auch mal?« sagte Ilja.

Paschka schüttelte kräftig seine Hand und lachte. Seine Zähne und Augen blitzten munter unter der Schmutzmaske.

»Wie geht es dir denn?« fragte ihn Ilja.

»Wie man's treibt, so geht's. Hat man was zu beißen, dann beißt man zu, und ist nichts da, dann winselt man und liegt krumm . . . Ich freu' mich aber, daß ich dich getroffen habe, weiß der Teufel!«

»Warum bist du denn nie mehr gekommen?« fragte Ilja lächelnd.

Es war ihm angenehm, den alten Kameraden trotz seines schmierigen Aufzuges so vergnügt zu sehen. Er sah auf Paschkas schadhaftes Schuhwerk und dann auf seine neuen, blitzblanken Stiefel, die neun Rubel gekostet hatten, und er lächelte selbstzufrieden.

»Weiß ich denn, wo du wohnst?« sagte Paschka.

»Immer noch bei Filimonow . . .«

»So – und Jaschka sagte doch, du wärst irgendwo in einem Fischladen . . .«

Mit Stolz erzählte nun Ilja dem alten Kameraden seine Erlebnisse im Hause des Kaufmanns Strogany.

»Ei der Tausend!« rief Gratschew beifällig. »Und mich haben sie gleichfalls weggejagt – aus der Buchdruckerei, weißt du, wegen Frechheit . . . Bei 'nem Maler war ich dann, hab' da die Farben gemischt und so weiter . . . Bis ich mich mal auf ein frischgestrichenes Schild setzte, da ging's natürlich los! Gehauen haben sie mich, die Bande – der Meister, und die Meisterin, und der Geselle . . . bis sie die Arme nicht mehr rühren konnten . . . Jetzt bin ich bei einem Brunnenmacher . . . Sechs Rubel monatlich hab' ich . . . Komme eben vom Mittagessen, und nun geht's zurück zur Arbeit . . .«

»Scheinst es nicht sehr eilig zu haben mit der Arbeit?«

»Ach, hol' sie der Teufel! Wer Arbeit kennt, reißt sich nicht danach . . . Ich muß doch wieder mal bei euch vorsprechen . . .«

»Komm nur!« lud Ilja ihn freundschaftlich ein.

»Lest ihr immer noch Bücher?«

»Gewiß – und du?«

»Na, so gelegentlich . . .«

»Und machst du auch noch Verse?«

»Auch Verse mach' ich . . .«

Paschka lachte von neuem höchst vergnügt.

»Du kommst also, nicht wahr? Und vergiß die Verse nicht!«

»Gewiß komm' ich . . . Will auch Schnaps mitbringen . . .«

»Trinkst du denn?«

»Na, so 'n bißchen säuft man . . . Aber leb' wohl!«

»Leb' wohl!« sagte Ilja.

Er ging seiner Wege, in Gedanken an Paschka versunken. Es schien ihm sonderbar, daß dieser zerlumpte Bursche beim Anblick seiner schmucken Stiefel und sauberen Kleider gar keinen Neid gezeigt hatte, ja sie überhaupt nicht bemerkt zu haben schien. Und als Ilja von seinem selbständigen, freien Leben erzählt hatte, da hatte Paschka sich ganz aufrichtig gefreut. Ilja versank in Nachsinnen und dachte bei sich: Will denn dieser Gratschew nicht dasselbe, was alle andern wollen – ein sauberes, ruhiges, unabhängiges Leben?

Ganz besonders deutlich fühlte Ilja jene Traurigkeit und Unruhe, wenn er die Kirche besucht hatte. Nur selten versäumte er den Mittags- und Abendgottesdienst. Er betete nicht, sondern stand einfach irgendwo im Winkel und lauschte, ohne an irgend etwas zu denken, auf den Kirchengesang. Die Menschen standen schweigsam und unbeweglich da, und es lag etwas Einmütiges in ihrem Schweigen. Die Wogen des Gesanges schwebten durch das Gotteshaus zugleich mit den Wolken des Weihrauchs, und zuweilen schien es Ilja, daß auch er selbst mit den Tonwellen zugleich emporgetragen werde und in den weichen, kosigen Lüften hoch oben im Kirchenraum dahinschwebe. In der feierlichen Stimmung, die das Gotteshaus erfüllte, lag etwas so Friedliches, das der Seele wohltat, das so ganz verschieden war von dem Wirrwarr des Lebens und gar nicht mit ihm vereinbar schien. Anfangs blieb dieser Eindruck in Iljas Seele gesondert von den Eindrücken des Alltagslebens, er vermischte sich mit ihnen nicht und beunruhigte ihn nicht. Dann aber war es ihm, als ob in seinem Herzen etwas lebte, das ihn gleichsam ständig beobachtete. Es blieb scheu und ängstlich in irgendeinem Winkel seiner Seele versteckt, wenn er seinen gewohnten Geschäften nachging, begann jedoch in der Kirche zu wachsen und rief in ihm einen seltsamen, beunruhigenden Gedanken hervor, der seinen Träumen von einem behaglichen, sauberen Leben entgegengesetzt war. In solchen Momenten fielen ihm stets die Erzählungen vom Einsiedler Antipa und die frommen Reden des alten Lumpensammlers ein:

»Der Herr sieht alles, kennt aller Dinge Maß! Außer Ihm gibt es Keinen!«

Voll innerer Unruhe und Verwirrung kam Ilja nach Hause, in dem Gefühl, daß sein Zukunftstraum mehr und mehr verblich, und daß in ihm selbst irgendein Jemand steckte, dem die Sehnsucht nach dem kleinen Galanteriewarengeschäft fremd war. Aber das Leben machte sein Recht geltend, und dieser Jemand tauchte in der Tiefe seiner Seele unter . . .

Jakow, mit dem sonst Ilja über alles mögliche zu reden pflegte, erfuhr nichts von dem Zwiespalt in seiner Seele. Ihm selbst kam dieser Zwiespalt nur unwillkürlich zum Bewußtsein – niemals lenkte er freiwillig seine Gedanken auf jene ihm unbegreifliche Empfindung.

Seine Abende brachte er sehr angenehm zu. Wenn er aus der Stadt heimkehrte, ging er in den Keller zu Mascha und fragte sie, wie wenn er der Herr im Hause wäre:

»Na, Maschutka – ist der Samowar schon bereit?«

Der Samowar war schon bereit und stand brodelnd und singend auf dem Tische. Ilja brachte stets etwas Leckeres mit: Kringel, oder Pfefferkuchen, oder gar Eingemachtes, und Mascha bewirtete ihn dafür mit Tee. Das junge Mädchen hatte gleichfalls angefangen, Geld zu verdienen: Matiza hatte sie gelehrt, Blumen aus Papier zu machen, und es bereitete Mascha Vergnügen, aus den feinen, rauschenden Blättchen rote Rosen zusammenzusetzen. Sie verdiente bis zu zehn Kopeken an einem Tage. Ihr Vater war am Typhus erkrankt, hatte ein paar Monate im Krankenhaus gelegen und war ganz mager und ausgetrocknet, mit schönen, dunklen Locken auf dem Kopfe, von dort zurückgekehrt. Er hatte sich seinen zerzausten, struppigen Bart abrasieren lassen, und trotz seiner eingefallenen, gelben Backen sah er jünger aus als vorher. Er arbeitete, wie früher, in fremden Werkstellen und schlief sogar selten zu Hause, so daß seine Tochter vollkommen über die Wohnung verfügen konnte. Sie nannte ihn, wie alle andern Leute, einfach Perfischka; dem Schuster machte ihr Verhalten gegen ihn viel Spaß, und er hatte sogar Achtung vor seinem kraushaarigen Mädchen, das ebenso herzhaft zu lachen verstand wie er selber.

Die Teeabende bei Mascha wurden Ilja und Jakow ganz und gar zur Gewohnheit. Sie tranken lange und viel, gerieten dabei in Schweiß und plauderten über alle möglichen Dinge, die sie interessierten. Ilja berichtete, was er alles in der Stadt gesehen hatte, und Jakow, der den ganzen Tag las, erzählte von seinen Büchern, von den Skandalszenen in der Schenke, beklagte sich über seinen Vater und schwatzte oft ein Zeug zusammen, das Ilja und Mascha ganz ungereimt und unverständlich vorkam. Der Tee schmeckte ihnen allen ausgezeichnet, und der Samowar, der ganz von einer dicken Oxydschicht bedeckt war, grinste sie mit seiner drolligen alten Fratze pfiffig-freundlich an. Fast jedesmal, wenn die Kinder eben so recht auf den Geschmack gekommen waren, begann er gutmütig-boshaft zu summen und zu surren, und es fand sich, daß kein Wasser darin war. Mascha nahm ihn und lief damit fort, um Wasser nachzugießen – und das mußte sie an jedem Abend mehrmals wiederholen.

Wenn der Mond am Himmel stand, trug sein Licht zu dem Freudenfest der Kinder sein Teil bei. In dieser Höhle, die durch halb verfaulte Wände und eine niedrige, schwer lastende Decke eingeengt wurde, empfand man stets den Mangel an Luft und Licht; dafür ging es darin um so fröhlicher zu, und an jedem Abend wurden da viele edle Empfindungen und jugendlich naive Gedanken geboren.

Zuweilen nahm auch Perfischka an der Teegesellschaft teil. Gewöhnlich saß er in einem dunklen Winkel des Zimmers auf einer Art Gestell neben dem behäbigen, halb in die Erde eingesunkenen Ofen, oder er kletterte auf den Ofen selbst hinauf und ließ seinen Kopf ins Zimmer hineinhängen, daß man, wenn er sprach oder lachte, seine kleinen weißen Zähne durchs Dunkel schimmern sah. Seine Tochter reichte ihm eine große Kanne Tee, ein Stückchen Zucker und Brot; er nahm lachend das Dargebotene und sagte:

»Danke ganz ergebenst, Marja Perfiljewna. Bin tief gerührt von Ihrer Güte . . .«

Manchmal rief er mit einem neidischen Seufzer:

»Ihr lebt wirklich nicht übel, Kinder – daß euch das Mäuslein beiße! Ganz und gar wie Menschen!«

Und dann fuhr er, lächelnd und seufzend zugleich, also fort:

»Das Leben der Menschen wird immer schöner . . . von Jahr zu Jahr angenehmer wird's! Ich hab' in euren Jahren mich nur mit dem Knieriemen unterhalten. Er fuhr mir immer streichelnd über den Rücken – und ich heulte vor Vergnügen, so laut ich konnte. Hörte der Knieriemen auf – dann wurde mein Rücken böse, er begann zu schmollen und zu grollen, hatte Sehnsucht nach seinem lieben Freunde. Na, er ließ nicht lange auf sich warten – es war nämlich ein sehr gefühlvoller Knieriemen. Das war meine ganze Unterhaltung in der Lehrzeit, bei Gott! Ihr werdet nun bald größer, werdet immer gern zurückdenken . . . an die Gespräche, die verschiedenen Vorkommnisse und das ganze gemütliche Leben hier. Und ich bin groß und alt geworden – sechsundvierzig Jahre zähl' ich schon – und habe nichts, woran ich mich erinnern könnte! Nicht 'nen Funken! Gar nichts ist in meinem Gedächtnis geblieben. Als ob ich taub und blind gewesen wäre in meinen jungen Jahren . . . Nur daran erinnere ich mich, daß mir immer vor Hunger und Kälte die Zähne im Munde geklappert haben, und daß ich blaue Flecke im Gesicht hatte . . . Wie meine Knochen, meine Ohren und Haare heil bleiben konnten – das kann ich nicht begreifen. Gehauen haben sie mich, daß die Fetzen flogen – mit Verlaub zu sagen. Ach ja, das war eine Lehrzeit . . . wie 'nen Strick haben sie mich zurechtgedreht . . . Aber obschon sie mich schlugen, mir das Blut aussogen und das Fell über die Ohren zogen – der Russe in mir ist doch am Leben geblieben! Eine ausdauernde Rasse, diese Russen! Im Mörser kann man sie zerstampfen – sie werden immer wieder auf dem Posten sein. Nehmt mich zum Beispiel: mich haben sie zu Mehl zermahlen und zu Spleißen zerspalten – und ich lebe vergnügt, wie der Kuckuck im Walde, flattre vergnügt von einer Kneipe zur andern und bin mit der ganzen Welt zufrieden! Gott der Herr liebt mich eben . . . Wie Er mich mal sah, mußte Er lachen . . . ›Ach, du bist es!‹ sagte Er – und ließ mich laufen . . .«

Die jungen Leute hörten sich die humorvollen Reden des Schusters an und lachten. Auch Ilja lachte, zugleich jedoch weckten die Reden Perfischkas in ihm einen Gedanken, der ihn lebhaft beschäftigte. Eines Tages fragte er den Schuster mißtrauisch lächelnd:

»Begehrst du wirklich sonst nichts weiter auf der Welt?«

»Wer sagt denn das? Ein Schnäpschen zum Beispiel hab' ich noch nie aufgehört zu begehren . . .«

»Nein, sag' mal die Wahrheit! Du mußt doch irgendwas wollen auf der Welt!?« setzte Ilja ihm hartnäckig zu.

»Die Wahrheit möchtest du wissen? Na, also . . . eine neue Harmonika will ich . . . Eine recht, recht schöne Harmonika wünsch' ich mir . . . so für fünfundzwanzig Rubel!«

Er lachte still vor sich hin. Plötzlich jedoch durchzuckte ihn ein Gedanke – er wurde ernst und sagte in überzeugtem Tone zu Ilja:

»N–nein, Bruder – auch 'ne neue Harmonika mag ich nicht . . . Denn erstens: ist sie teuer, dann versauf ich sie ganz bestimmt. Und zweitens: wenn es sich herausstellt, daß sie schlechter ist als meine jetzige – was dann? Meine jetzige Harmonika ist nämlich ein wahres Prachtstück! Unbezahlbar ist sie! In ihr hat meine Seele sich einquartiert! Eine wahre Seltenheit ist meine Harmonika – keine zweite von der Art gibt's vielleicht in der Welt . . . Eine Harmonika – ist wie 'ne Frau . . . Auch 'ne Frau hab' ich gehabt – die war ein Engel und kein Mensch! Und wenn ich jetzt wieder heiraten sollte – wie könnt' ich's denn? Eine zweite solche, wie meine Selige war, find' ich nicht mehr . . . An 'ne neue Frau legst du, ob du willst oder nicht, den alten Maßstab an – und wenn sie dir nicht genug ist, kann's schlimm werden, für mich wie für sie! . . . Ach, Bruder, nicht das ist gut, was gut ist, sondern das, was einem gefällt . . .«

In das Lob, das Perfischka seiner Harmonika spendete, konnte Ilja gleichfalls einstimmen. Perfischkas Instrument rief durch seinen wohlklingenden, zarten Ton bei allen, die es hörten, einmütige Bewunderung hervor. Aber Ilja konnte sich mit dem Gedanken, daß der Schuster sonst keine Wünsche haben sollte, durchaus nicht befreunden. Die Frage stellte sich für ihn klar und scharf also dar: kann ein Mensch sein ganzes Leben lang im Schmutz leben, in Lumpen umhergehen, Branntwein trinken, auf der Harmonika spielen und sonst nichts anderes, nichts Besseres begehren? Er hatte nicht übel Lust, den wunschlosen Perfischka halb und halb als einen Schwachsinnigen zu betrachten. Zugleich beobachtete er diesen sorglosen Menschen stets mit großem Interesse und hatte das Gefühl, daß der Schuster in seinem Herzen besser war als alle übrigen Leute im Hause, wenn er auch ein unverbesserlicher Trunkenbold war.

Zuweilen wagten die jungen Leute sich auch an jene großen und tiefgreifenden Fragen heran, die sich gleich bodenlosen Abgründen vor dem Menschen öffnen und seinen wissensdurstigen Geist wie sein Herz mit Macht in ihre geheimnisvolle Tiefe hinabziehen. Jakow war es stets, der diese Fragen berührte. Er hatte eine sonderbare Gewohnheit angenommen: er mußte sich überall anlehnen, als ob er sich auf seinen Beinen nicht ganz sicher fühlte. Wenn er saß, stützte er sich entweder mit der Schulter an den nächsten besten Gegenstand, oder er hielt sich mit den Händen daran fest. Ging er mit seinem raschen, doch ungleichmäßigen Schritt auf der Straße, so faßte er mit der Hand nach den Prellsteinen, als ob er sie zählte, oder er tastete mit ihr nach den Zäunen, als wollte er ihre Festigkeit prüfen. War er bei Mascha zum Tee, dann saß er stets am Fenster, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, und die langen Finger seiner Hände hielten sich am Stuhle öder am Tischrande fest. Den großen, mit feinem, glattem, bastblondem Haar bedeckten Kopf zur Seite neigend, schaute er die Sprechenden an, und die blauen Augen in seinem bleichen Gesichte waren abwechselnd halb geschlossen oder weit geöffnet. Er liebte es immer noch, seine Träume zu erzählen, und konnte niemals den Inhalt eines Buches, das er gelesen hatte, wiedergeben, ohne daß er von sich aus irgend etwas Absonderliches hinzufügte. Ilja tadelte ihn deshalb, Jakow aber machte sich nichts daraus und sagte einfach:

»So, wie ich's erzähle, ist's besser. Nur die Heilige Schrift darf man nicht ändern, wie man will – bei andern Büchern aber ist's erlaubt. Sie sind von Menschen geschrieben – und ich bin doch auch ein Mensch! Ich kann sie verbessern, wenn sie mir nicht gefallen . . . Aber sag' mir mal was anderes: wenn du schläfst – wo ist dann deine Seele?«

»Woher soll ich das wissen?« antwortete Ilja, der solche Fragen nicht liebte, da sie in ihm eine ihm peinliche Beunruhigung hervorriefen.

»Ich glaube ganz bestimmt – sie fliegt fort!« erklärte Jakow.

»Natürlich fliegt sie fort«, pflichtete Mascha ihm in überzeugtem Tone bei.

»Woher weißt du das?« fragte Ilja sie streng.

»So . . . ich denk' mir's . . .«

»Freilich fliegt sie fort«, sagte Jakow nachdenklich lächelnd. »Sie muß doch auch ausruhen . . . Davon kommen eben die Träume . . .«

Ilja wußte nicht, was er auf diese Bemerkung antworten sollte, und schwieg, obschon er stets den lebhaften Wunsch empfand, dem Freunde zu antworten. Sie schwiegen alle drei eine ganze Weile. In der dunklen Kellerhöhle wurde es gleichsam noch dunkler. Die Lampe schwelte, man roch den Dunst der Kohlen unterm Samowar. Von weitem hallte ein dunkles, sonderbares Geräusch herüber: es war die Schenke, die dort oben heulte und tobte. Und abermals ließ sich Jakows feine Stimme vernehmen:

»Da lärmen nun die Menschen . . . und arbeiten . . . und so weiter. Das nennt man – leben! Und dann mit einemmal – schwapp! ist der Mensch tot. Was bedeutet das? Wie denkst du darüber, Ilja?«

»Das bedeutet gar nichts . . . Sie sind eben alt geworden, da müssen sie sterben . . .«

»Es sterben doch auch junge Menschen und Kinder . . . Auch gesunde Menschen sterben . . .«

»Wenn sie sterben, sind sie eben nicht gesund gewesen . . .«

»Und warum leben die Menschen überhaupt?«

»Fragst du aber schlau!« rief Ilja spöttisch. »Sie leben, um zu leben! Sie arbeiten und wollen ihr Glück machen. Jeder Mensch will gut leben, sucht Gelegenheit, vorwärts zu kommen. Alle suchen solche Gelegenheiten, um reich zu werden und behaglich zu leben . . .«

»Das tun wohl die Armen. Aber die Reichen? Die haben doch schon alles! . . . Was brauchen sie noch zu suchen!«

»Bist du ein kluger Kopf! Die Reichen! Wenn es, die nicht gäbe – für wen sollten da die Armen arbeiten?«

Jakow dachte nach und fragte:

»Du meinst also, daß alle nur der Arbeit wegen leben?«

»Na, gewiß . . . das heißt, nicht alle . . . Die einen arbeiten, und die andern – leben einfach so. Sie haben schon früher gearbeitet, haben Geld erspart . . . und genießen das Leben.«

»Und wozu lebt man überhaupt?«

»Ach, zum Teufel! Weil man leben will! Willst du vielleicht nicht leben?« rief Ilja, aufgebracht über seinen Freund. Er hätte jedoch kaum sagen können, worüber er eigentlich aufgebracht war – ob darüber, daß Jakow überhaupt nach solchen Dingen fragte, oder darüber, daß er so ungeschickt fragte.

»Warum lebst du selbst denn? Sag' mal, warum?« schrie er auf Jakow los.

»Das weiß ich eben nicht«, versetzte Jakow resigniert. »Ich könnte meinetwegen auch sterben. Schrecklich muß es ja sein . . . aber man möchte doch auch wissen, wie es ist.«

Und dann begann er plötzlich im Tone freundschaftlichen Vorwurfs:

»Du ärgerst dich ganz ohne Grund. Denk doch mal nach: die Menschen leben der Arbeit wegen, und die Arbeit geschieht wieder der Menschen wegen . . . Das ist gerade, wie wenn man ein Rad dreht . . . immer auf derselben Stelle, und warum sich's dreht, kann man nicht begreifen. . . . Wo bleibt aber Gott? Er ist doch die Achse von allem! Er sagte zu Adam und Eva: Seid fruchtbar, mehret euch und bevölkert die Erde – aber wozu?«

Und während er sich zu Ilja hinüberbeugte, flüsterte er leise, mit dem Ausdruck des Schreckens in den blauen Augen:

»Weißt du was? Ich glaube, der liebe Gott hat es ihnen auch gesagt, wozu . . . Aber da ist einer gekommen und hat die Erklärung geraubt . . . Hat sie gestohlen und versteckt . . . und das war der Satan! Wer sollte es sonst sein als er? Und darum weiß auch kein Mensch, wozu er lebt . . .«

Ilja hörte die zusammenhangslosen Reden des Freundes, fühlte, wie sie seine Seele beschäftigten, und schwieg.

Jakow aber sprach immer hastiger und leiser. Seine Augen traten weit heraus, auf seinem blassen Gesichte zitterte die Angst, und seine Rede ward immer verworrener.

»Was will Gott eigentlich von dir – weißt du es? Aha!« tönte es wie ein Triumphgeschrei aus dem Schwall der von ihm herausgestoßenen Worte. Und von neuem flossen aus seinem Munde zusammenhangslose Worte. Mascha blickte staunend, mit offenem Munde, auf ihren Freund und Beschützer. Ilja runzelte ärgerlich die Stirn. Es war ihm peinlich, daß er Jakows Reden nicht begriff. Er hielt sich für klüger als Jakow, dieser aber hatte ihn durch sein wunderbares Gedächtnis und die Geläufigkeit, mit der er über allerhand höhere Fragen sprach, in Erstaunen gesetzt. Ward er endlich des bloßen Zuhörens überdrüssig und gar zu sehr von dem erdrückenden Nebel befangen, den Jakows Worte in ihm erzeugten, dann unterbrach er ärgerlich den Redner:

»So hör' doch schon auf, zum Teufel! Hast zu viel gelesen, das ist's . . . Verstehst selber nicht, was du redest! . . .«

»Aber davon sprech' ich ja auch, daß ich nichts verstehe«, rief Jakow verwundert.

»So sag' es doch gerade heraus: ›Ich verstehe nichts‹ – Statt zu schwatzen wie'n Verrückter . . . Und ich soll dir zuhören! . . .«

»Nein, wart' mal!« redete Jakow weiter. »Eigentlich ist uns doch alles unbegreiflich. Zum Beispiel . . . nehmen wir mal die Lampe. Ich sehe, es ist Feuer drin, aber woher ist das Feuer? Mit einemmal ist's da – und dann ist es wieder mit einemmal weg! Du streichst das Zündholz an . . . es brennt . . . Das Feuer muß also immer darin gewesen sein . . . Fliegt es vielleicht unsichtbar in der Luft herum?«

Ilja ließ sich durch diese neue Frage wieder hinreißen. Der verächtliche Ausdruck schwand von seinem Gesichte, und während er die Lampe betrachtete, sagte er:

»Wenn's in der Luft wäre – dann wär's da immer warm. Das Zündholz aber brennt doch auch, wenn Frost ist . . . Also ist's nicht in der Luft . . .«

»Und wo ist's sonst?« fragte Jakow und sah erwartungsvoll auf seinen Kameraden.

»Im Zündholz ist's!« ließ sich Maschas feine Stimme vernehmen. Bei den wichtigen Erörterungen der beiden Freunde jedoch blieben die Bemerkungen des Mädchens stets unbeachtet. Sie hatte sich schon daran gewöhnt und fühlte sich nicht beleidigt.

»Wo es sonst ist?« schrie Ilja wieder ganz erregt. »Das weiß ich nicht, und ich will's auch gar nicht wissen! Ich weiß nur, daß man die Hand nicht hineinstecken darf, und daß es wärmt, wenn man in seiner Nähe ist. Das ist mir genug . . .«

»Sieh doch, wie schlau!« rief Jakow mit lebhaftem Unwillen. »›Ich will's nicht wissen!‹ Das kann ich auch sagen – und jeder Dummkopf kann es . . . Nein, erkläre du mir's nur – woher kommt das Feuer? Vom Brot will ich nichts fragen, da ist mir alles klar. Aus dem Korn werden Körner, aus den Körnern Mehl, aus dem Mehl Teig – und das Brot ist fertig. Aber wie wird der Mensch geboren?«

Ilja betrachtete mit Erstaunen und Neid den mächtigen Kopf seines Freundes. Zuweilen, wenn er sich durch Jakows Fragen in die Enge getrieben fühlte, sprang er von seinem Platze auf und stieß grobe Worte hervor. Gewöhnlich zog er sich dann nach dem Ofen hin zurück, lehnte sich mit seiner breiten, stämmigen Gestalt dagegen und sprach, seinen lockigen Kopf schüttelnd und seine Worte scharf betonend:

»Laß mich schon in Ruhe mit deinem ungereimten Zeug! Bist etwas verdreht, das kommt daher, daß du nichts zu tun hast. Was für ein Leben führst du auch? Hinterm Büfett stehen – das ist keine große Kunst! Das ganze Leben wirst du da stehen, wie 'ne Bildsäule . . . Müßtest, wie ich, in der Stadt herumwandern, vom Morgen bis zum Abend, Tag für Tag, und dir selbst dein Stück Brot verdienen – dann würdest du über solche albernen Dinge nicht nachdenken! Würdest immer nur darauf sinnen, wie du es zu etwas bringst, wie du dein Glück machst. Davon ist dein Kopf auch so groß, daß all das dumme Zeug sich darin breit macht. Kluge Gedanken sind klein – die treiben den Kopf nicht so auf . . .«

Jakow saß da, über den Stuhl vorgebeugt, klammerte sich mit den Händen an dem Tische fest und schwieg. Zuweilen bewegten seine Lippen sich lautlos, und seine Augen blinzelten. Und wenn dann Ilja geendet hatte und sich setzte, begann Jakow von neuem zu philosophieren:

»Man sagt, es soll ein Buch geben, eine Wissenschaft – ›schwarze Magie‹ soll sie heißen. Darin ist alles erklärt . . . Dieses Buch möcht' ich mal finden und durchlesen . . . Gruselig muß es sein . . .«

Mascha hatte sich auf ihr Bett gesetzt und schaute von hier aus mit ihren schwarzen Augen bald den einen, bald den andern an. Dann begann sie zu gähnen, wankte müde hin und her und streckte sich endlich auf ihrem Lager aus.

»Na, 's ist Zeit zum Schlafen«, meinte Ilja.

»Wart' . . . ich sag' nur Mascha gute Nacht und lösch' die Lampe aus.«

Als er sah, daß Ilja bereits die Hand nach der Tür ausstreckte, um sie zu öffnen, rief er kläglich:

»So wa–art' doch! Ich fürcht' mich allein . . . im Dunkeln . . .«

»Ach, bist du ein Kerl!« meinte Ilja geringschätzig. »Sechzehn Jahre bist du alt, und bist immer noch wie'n kleines Kind. Ich hab' vor gar nichts Angst – und wenn mir der Teufel in den Weg käme! Nicht 'nen Mucks gäb' ich von mir.«

Jakow schaute noch einmal, gleich einer besorgten Wärterin, nach Mascha und blies dann die Lampe aus. Die Flamme zuckte auf und verlöschte, und in das Zimmer drang von allen Seiten unhörbar das nächtliche Dunkel. Und stand der Mond draußen am Himmel, dann fiel sein mildes Licht durchs Fenster auf den Fußboden.


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