Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXII

Endlich kam auch der Tag, an dem Marfinka und Wikentjew ihre Hochzeit feierten. Wider Erwarten fiel die Hochzeit recht bescheiden aus. Nur die ersten Leute aus der Stadt und einige Gutsbesitzer aus der Umgegend wurden eingeladen; immerhin mochten etwa fünfzig Gäste anwesend sein.

Die Trauung fand an einem Sonntag nach der Messe in der Dorfkirche statt. Dann wurden die Gäste zu einem Frühstück geladen, das im großen Saal des alten Hauses gegeben wurde. Wochenlang vorher war dieses gefegt, gesäubert und gewaschen worden, damit es sich bei dieser Gelegenheit recht gut präsentieren möchte.

Der Wein floß nicht in Strömen, die Gesichter wurden nicht erhitzt, die Zungen nicht gelöst, und keine Freudenrufe ertönten. Am meisten war das Hofgesinde durch die bescheidene Feier enttäuscht, und wenn die Leute auch ganz wacker tranken, so tranken sie doch nicht bis zur Bewußtlosigkeit, was sie veranlaßte, die Hochzeit für nicht eben lustig zu erklären.

Die Herrin des Hauses hatte mit gewohnter Voraussicht dafür gesorgt, daß die Kutscher, Köche und Lakaien nicht über den Durst tranken. Sie hatten alle ihren Dienst, der nicht vernachlässigt werden durfte. Die einen bereiteten das Frühstück, die andern servierten bei Tisch, und noch andere hatten das junge Paar samt dem ganzen Hochzeitsgefolge in der Paradekutsche nach dem Flußufer zu bringen, von wo aus sie dann über den Strom setzen sollten. Auch vorher schon hatte es eine Unmenge Arbeit gegeben. Eine ganze Woche lang wurde Marfinkas Aussteuer über den Fluß befördert: ihre Garderobe, ihre Möbel, eine Unmenge Einrichtungsstücke aus dem alten Haus – mit einem Wort: ein ganzes Vermögen.

Marfinka strahlte wie ein Cherubim, in ihrer jugendlichen Schönheit erschien sie wie eine frisch erblühte Rose. Ein neuer Zug kam an diesem Tag in ihr Gesicht; ein nachdenkliches Lächeln, das darauf schließen ließ, daß sie das Leben in einem neuen Licht zu sehen begann; zuweilen blinkte sogar eine Träne an ihren Wimpern.

Das Bewußtsein dieses neuen Lebens, der Ausblick in die Ferne, die Strenge der Pflicht, die Vorstellung des erreichten Zieles, das Gefühl des Glücks – alles dies verlieh ihrem Gesicht und ihrer Schönheit einen eigenen, rührenden Ausdruck. Der Bräutigam benahm sich still und bescheiden, ja fast schüchtern; sein keckes Wesen war verschwunden, seine Scherze waren verstummt, er war tief bewegt. Die Großtante hatte eine nachdenklich-glückliche Miene, und Wera war bleich und unergründlich.

Raiskij blickte mit Entzücken auf die junge Braut, und als sie völlig angekleidet aus ihrem Zimmer kam, entfuhr ihm ein Ach! der Bewunderung. Dann aber erschrak er plötzlich; er hatte in dem Hochzeitsbukett der Braut ein paar welke Zweiglein gesehen.

»Was ist das?« fragte er hastig, doch erriet er bereits selbst die Wahrheit.

»Das sind ein paar Zweige aus dem Bukett, das Wera mir an meinem Geburtstag geschenkt hat«, sagte sie naiv.

Raiskij ruhte nicht, bis sie die welken Reiser aus dem Bukett entfernt hatte, und war ihr selbst dabei behilflich; zur Erklärung fügte er hinzu, daß welke Reiser eine böse Vorbedeutung haben.

Im übrigen ging alles glatt und vorschriftsmäßig vonstatten, auch das Abschiedsschluchzen der jungen Frau mit inbegriffen, die man buchstäblich von der Brust der Großtante losreißen mußte – doch auch das war durchaus vorschriftsmäßig.

Auch die Großtante behauptete nur mit Mühe ihre Fassung. Sie war sehr blaß, und man sah es ihr an, daß sie sich nur mit großer Kraftanstrengung auf den Füßen hielt, als sie vom Ufer aus das geliebte Kind, das sie so lange an ihrer Brust und auf ihrem Schoße gehegt hatte, buchstäblich davonschwimmen sah.

Ihren Tränen ließ sie erst zu Hause freien Lauf, als sie fühlte, daß sie doch nicht ganz verwaist war, als Wera sich leidenschaftlich in ihre Arme warf und die Liebe, die bisher zwischen beiden Mädchen geteilt gewesen war, sich nun ganz und ungeteilt dieser zweiten, bewußt lebenden, durch bittere Erfahrung gereiften Tochter zuwandte.

Tuschin war nach der Hochzeit nicht nach Hause gefahren, sondern bei einem Freund in der Stadt geblieben. Am nächsten Tag erschien er bei Tatjana Markowna mit einem Architekten. Den ganzen Tag vertieften sie sich nun in allerhand Pläne, besichtigten beide Häuser, den Park, die Wirtschaftsgebäude, hielten Rat, zeichneten und rechneten und sprachen von den großen Veränderungen, die für den nächsten Frühling geplant wurden.

Aus dem alten Haus wurden alle Kostbarkeiten, alle Möbel und Bilder, ja selbst die Parkettafeln, soweit sie noch brauchbar waren, herausgenommen und teils in dem neuen Haus, teils in den geräumigen Vorratskammern und selbst auf dem Boden untergebracht.

Tatjana Markowna wollte zunächst nach Nowosselowo ziehen und dann bei Wikentjews einen längeren Besuch abstatten. Den Frühling und Sommer sollten sie nach Tuschins Wunsch bei dessen Schwester Anna Iwanowna auf seinem Waldgut Dymka verbringen.

Tatjana Markowna entgegnete auf diesen Vorschlag: »Ich weiß nicht, Iwan Iwanowitsch, ob das gehen wird! Ich fürchte mich ein wenig, es Ihnen sicher zu versprechen, doch ich will die Einladung auch nicht ausschlagen; wie Gott es fügt und wie Wera will.«

Gleichwohl begann Tuschin, um auf alle Fälle vorbereitet zu sein, mit demselben Architekten über den Umbau seines Hauses zu sprechen, damit er die erwarteten lieben Gäste auch gebührend aufnehmen und unterbringen konnte.

Raiskij zog aus dem alten Haus wieder in sein früheres Zimmer. Koslow war in seine Wohnung zurückgekehrt, hatte jedoch versprochen, nach der Abreise Tatjana Markownas und Weras von neuem nach Malinowka zu kommen. Tuschin hatte ihn eingeladen, sich bei ihm im Walde anzusiedeln und für seine Leute eine Schule einzurichten. Koslow kratzte sich den Kopf, sann eine Weile nach und blickte seufzend nach der Moskauer Chaussee hinaus.

»Später vielleicht, im Winter«, sagte er, »jetzt heißt es für mich warten und Auslug halten ...«

Er ließ den Satz unbeendet und versank in Nachdenken. Er wartete noch immer vergeblich auf einen Brief von seiner Frau. Uljana Andrejewna hatte jüngst an die Frau des Hauswirtes geschrieben, man möchte ihr den warmen Mantel, den sie zu Hause vergessen habe, nachschicken. Sie hatte ihre Adresse mitgeteilt, von ihrem Mann jedoch nicht ein Wort erwähnt. Koslow hatte ihr den Mantel selbst nachgesandt und sie in einem leidenschaftlichen Brief beschworen, doch wieder zu ihm zurückzukehren – von Freundschaft hatte er gesprochen, ja sogar von Liebe.

Der Ärmste – er bekam keine Antwort! Er nahm allmählich wieder seine Tätigkeit am Gymnasium auf, war jedoch in den Unterrichtsstunden bald tief niedergeschlagen, bald arg zerstreut; er bemerkte die Späße und dummen Streiche nicht, die die Schüler vor seinen Augen trieben – sie hatten kein Mitleid mit dem Tiefbekümmerten und sahen in ihm nur den lächerlichen Menschen.

Während der Abwesenheit Tatjana Markownas hatte Tuschin die Verwaltung von Malinowka übernommen. Er nannte es sein Winterquartier und kam einmal in jeder Woche herüber, um nach der Wirtschaft in Haus und Dorf und der Dienerschaft zu sehen, von der nur Wassilissa, Jegorka, der Koch und der Kutscher mit der Großtante nach Nowosselowo übergesiedelt waren. Alle übrigen waren daheim geblieben, und Jakow und Sawelij wurden von Tuschin zu ihrer Beaufsichtigung bestellt.

Raiskij hatte die Porträts der Großtante und Weras beendet, und auf dem unfertigen Bildnis der Krizkaja hatte er noch als Brustzier eine gelbe Georgine hinzugefügt. Acht Tage nach Marfinkas Hochzeit erklärte er, daß er nach zwei Tagen abreisen wolle.

»Jegor, hol doch den Reisekoffer vom Boden und leg mir Wäsche und Kleider zurecht – ich fahre ab«, sagte er zu Jegorka.

Diesmal sah Jegorka, daß die Sache ernst gemeint war. Bei der Durchsicht der Kleider, der Wäsche und des Schuhwerks entdeckte er, daß drei oder vier von den feinen Hemden seines Herrn nicht mehr ganz neu waren, und er konfiszierte sie zu seinen Gunsten. Ebenso verfuhr er mit einem Paar Hosen und einer Weste, die überzählig schienen, und auch ein Paar Schuhe mit niedergetretenen Absätzen stellte er zurück.

Am traurigsten war Tit Nikonytsch dran. Er wäre früher Tatjana Markowna bis ans Ende der Welt gefolgt, jetzt aber, nachdem diese Klatschgeschichte in Umlauf gekommen, durfte er, wenigstens für die erste Zeit, sich nicht allzu auffällig an sie halten. Das hätte den Leuten zu neuem Gerede Anlaß gegeben, wenn man auch jenen alten Klatsch, der nur durch ein dem Trunk ergebenes altes Weib bezeugt war, entweder nicht geglaubt oder bald wieder vergessen hatte. Tatjana Markowna gestattete ihm jedoch, zu Weihnachten nachzukommen und je nach den Umständen längere Zeit dazubleiben. Das war wenigstens ein Trost, aber der Gedanke, bis dahin allein bleiben zu sollen, ließ ihn gleichwohl tief aufseufzen, und um so größer war daher seine Freude, als Tuschin ihn für die Zwischenzeit auf sein Waldgut einlud.

Die Gerüchte, die über Wera im Umlauf gewesen waren, verstummten plötzlich; statt dessen erwartete man nun ihre Verlobung mit Tuschin. Auf diesen war man nach dem Frühstück, das Raiskij bei der Krizkaja eingenommen, nicht sehr gut zu sprechen, da seine nächtlichen Spaziergänge mit ihr dort unten in der Schlucht noch immer nicht recht aufgeklärt schienen.

Zwischen Tuschin, Wera und Tatjana Markowna wurde seit der Aussprache des ersteren mit der Großtante von der ganzen Angelegenheit überhaupt nicht mehr gesprochen. Der »Nebelfleck« blieb bestehen, nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für die handelnden Personen, das heißt für Tuschin und die Großtante.

Sosehr auch diese auf die freundschaftlichen Gefühle rechnete, die Wera für Tuschin empfand, und sosehr sie sich auch auf ihre eigene Überredungskunst verließ, konnte sie doch insgeheim sich gewisser Befürchtungen nicht entschlagen. Sie glaubte nicht, daß Wera, bei aller Willfährigkeit, sich ihr in dieser Frage ohne weiteres fügen würde, und so versuchte sie es nicht erst, auf ihren Willen einzuwirken.

Sie rechnete darauf, daß Weras Herz bald selbst die Entscheidung treffen würde. Es schien ihr ungereimt, daß sie, nachdem sie Iwan Iwanowitsch schon als Menschen und Freund liebgewonnen, ihn nicht auch als Mann liebenlernen sollte – und um ihn als solchen zu lieben, mußte sie ihn eben heiraten, womit ja sein sehnlichstes Ziel, wie auch das ihrige, erreicht war.

Sie erriet jedoch die seelische Stimmung Weras und entschied, daß jetzt für alles dies noch nicht die Zeit gekommen sei. Würde aber diese Zeit überhaupt einmal kommen? Würde Wera jemals ihre volle Ruhe wiedergewinnen? Sie war gar zu eigenartig veranlagt, und es ging nicht an, sie nach andern zu beurteilen.

So empfand denn Tatjana Markowna im stillen eine gewisse Beklemmung, als sie hörte, daß man die Heirat Weras und Tuschins in der Stadt als eine ausgemachte Sache betrachtete. Das Gerücht schien ihr den Tatsachen doch gar zu rasch vorauszueilen.

Nur Wera wußte nichts von diesen Dingen – sie sah in Tuschin immer noch einzig den früheren Freund, den sie noch mehr schätzte, seit sie gesehen, wie mannhaft er seinen eigenen Schmerz überwunden und ihr mit der alten Wertschätzung und Sympathie seine Hand gereicht hatte. Voll Rührung bewunderte sie seine Herzensgüte, Gerechtigkeit und Großmut, die ihm von der Natur selbst verliehen waren, während ein Raiskij, bei aller Bildung und geistigen Entwicklung, erst auf dem Wege schmerzlichster Erfahrung zu gleicher Vollkommenheit gelangt war.


 << zurück weiter >>