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XV

Am nächsten Tag, um die Mittagsstunde, vernahm Wera vom Hoftor her das Geräusch von Hufschlägen. Sie sah aus dem Fenster, und ihre Augen blitzten einen Augenblick freudig auf, als sie Tuschins Gestalt erblickten, der auf seinem Rappen in den Hof geritten kam.

Unwillkürlich trat Wera vor den Spiegel und strich ihr Haar zurecht. Mit einem Seufzer sah sie ihr Bild da drinnen und dachte: ›Was konnte Boris nur an mir finden, daß er mich durchaus malen wollte?‹

Sie ging die Treppe hinunter, durchschritt alle Zimmer und faßte eben nach dem Griff der Tür, die aus dem Salon nach dem Vorzimmer führte. In demselben Augenblick hatte Tuschin den Griff von der anderen Seite gefaßt. Sie öffneten die Tür, stießen aufeinander und lächelten sich gegenseitig an.

»Ich sah Sie und ging Ihnen entgegen ... Sind Sie nicht wohl?« fragte sie plötzlich, indem sie ihn forschend ansah.

»Was sollte mir fehlen?« antwortete er verwirrt und blickte zur Seite, damit sie nicht bemerke, wie sehr er sich verändert hatte. »Und wie geht es Ihnen?«

»Ich danke, ich fühle mich ganz wohl. Eine Zeitlang fürchtete ich, ernstlich krank zu werden, doch ist das jetzt vorüber ... Wo ist Tantchen?« wandte sie sich an Wassilissa.

Diese sagte, die gnädige Frau sei nach dem Tee irgendwohin gegangen und habe Sawelij mitgenommen.

Wera bat Tuschin, zu ihr hinaufzukommen. Hier setzten sie sich beide auf das Sofa, jedes an einem Ende, schwiegen und blickten sich verstohlen von der Seite an.

›Er ist so blaß geworden‹, dachte sie, ›und auch mager; sein gekränktes Selbstgefühl, seine getäuschten Hoffnungen zehren an ihm.‹

In der Tat war Tuschin in dieser letzten Zeit recht erregt und unruhig gewesen, doch nicht aus gekränktem Selbstgefühl, sondern aus banger Sorge, was wohl mit ihr weiter geworden, ob ihr Drama nun zu Ende sei oder nicht.

Sein eigner Kummer und Schmerz, sein beleidigtes Ehrgefühl und seine getäuschten Hoffnungen hatten wohl in den ersten Tagen schwer auf ihm gelastet, und es hatte seiner ganzen bärenhaften Widerstandsfähigkeit und seines reichen Vorrats an seelischer Kraft bedurft, um diese Last zu tragen. Und er hatte sie getragen und den inneren Kampf siegreich bestanden – eben dank dieser Kraft, dank seiner schlichten, reinen Natur, der aller Neid und Haß und alle kleinliche Eitelkeit fremd war.

Er glaubte an Weras Schuldlosigkeit. Und dieser Glaube, auf dem seine tief sittliche, reine Neigung zu ihr beruhte, überwand in Verbindung mit dem Reiz ihrer bezaubernden Schönheit und dem Vertrauen auf ihren klaren Verstand und die Echtheit ihres Fühlens in ihm die Selbstsucht der sinnlichen Leidenschaft. Dieser Glaube bewahrte ihn vor der Verzweiflung seines Kummers und verhütete die Erkaltung seines Gefühls für Wera.

Vom ersten Augenblick an, als sie ihm mit solcher Offenheit alles gesagt, hatte er trotz der furchtbaren Qual, die er selbst dabei litt, in strenger Unparteilichkeit daran festgehalten, daß keine Schuld sie treffe, daß sie nur unglücklich sei. Er hatte es ihr damals sogleich gesagt, und er hatte auch jetzt noch diese Auffassung. Für den einzigen Schuldigen hielt er Mark – und auch er war ihm mehr ein Unglücklicher, mit Blindheit Geschlagener.

Alles das hatte bewirkt, daß ganz still und ihm selbst noch unbewußt, trotz allem Schmerz, trotz dem Chaos von bittren Empfindungen, von Gram und Kränkung ein schwacher Hoffnungsstrahl in ihm lebte. Nicht, als ob er noch das große, volle Glück gegenseitiger Neigung erhofft hätte – aber die Aussicht, sie doch nicht ganz zu verlieren, ihre Freundschaft zu behalten, vielleicht einmal in ferner Zeit ihre dauernde Sympathie zu gewinnen – diese Aussicht wenigstens schien ihm nicht verschlossen.

Was aus dieser Sympathie dann weiter erwachsen könnte – davon wagte er nicht mehr zu schwärmen und zu träumen. Der Flug seiner Phantasie war gelähmt durch die sich von selbst aufdrängende Frage, was nun wohl mit ihr werden würde? War ihr Drama wirklich schon zu Ende? War nicht vielleicht Mark doch zu der Erkenntnis gelangt, was er an ihr verlor, hatte er nicht doch noch versucht, das fliehende Glück zu erhaschen? Stieg er ihr nicht am Ende nach, aus der Tiefe der Schlucht hinauf zur Höhe? Und hatte sie sich nicht wieder umgewandt und nach ihm zurückgeschaut? Hatten sie einander vielleicht doch die Hände gereicht – für immer, um glücklich zu sein, so, wie er, Tuschin, und wie Wera selbst das Glück verstand?

Derselbe Zweifel und dieselbe Frage, die sich auch Tatjana Markowna aufgedrängt hatte, als Wera ihr die beiden Briefe zeigte, nagten auch an Tuschins Herzen. Es erschien ihm unwahrscheinlich, daß Mark auf seinem Standpunkt beharren und sich damit zufriedengeben würde, dort unten auf dem Grunde der Schlucht zu bleiben. ›Er ist doch kein Narr und kein Blinder!‹ sagte er sich. ›Irgend etwas muß er doch an sich haben, das ihre Liebe zu ihm erklärt ... Aber nein, sie kann ihn nicht lieben – es war nur ein Rausch, eine Verirrung ihres Gefühls‹, dachte er. ›Doch er – wenn er zur Vernunft kommt und zu ihr zurückkehrt, vielleicht wird sie dann noch glücklich ... Nun, Gott gebe es, Gott gebe es!‹ So hatte er gegrübelt und für ihr Glück gebetet. Und in diesen Stunden des Gebets war er bleich und mager geworden von der Hoffnungslosigkeit, dem trostlosen Ausblick in ein Leben ohne Glück, ohne Ziel, ohne Wera.

›Was für ein Leben wäre das wohl?‹ dachte er. ›So wie früher, als ich noch nicht wußte, daß es eine Wera auf der Welt gibt, kann ich nun nicht weiterleben. Ohne sie wird ein Stillstand eintreten in meinem Leben, meinem Wirken.‹

Um seine Gedanken abzulenken, hatte er sich mit verdoppeltem Eifer in die Arbeit gestürzt. Am liebsten hätte er selber die Bäume in seinem Wald gefällt, die als Mastbäume stromabwärts gingen. Er nahm seinen Buchhaltern im Kontor alle Arbeit ab und begann selbst die Bücher zu führen. Oder er bestieg sein Reitpferd und jagte zwanzig Werst weit durch den Forst und wieder zurück, bis das Tier ganz mit Schweiß und Schaum bedeckt war. Er wollte seinen Schmerz betäuben und all den quälenden Fragen entfliehen, die sich ihm aufdrängten; doch sowenig wie der Herbstwind in seinem Rücken, wich die eine Frage von ihm: Was mag jenseits der Wolga jetzt vorgehen?

Wie oft war er ans Stromufer geritten, um über die Fluten hinweg nach der anderen Seite zu schauen! Wie zog es ihn, hinüberzuspringen auf die Fähre, die eben abstieß, und den steilen Uferhang dort drüben emporzureiten, um zu fragen und Gewißheit zu erlangen.

Aber sie hatte ihm damals ausdrücklich gesagt: »Warten Sie!« Und dieses Wort war ihm heilig.

Jetzt war er mit ihrem Brief in der Tasche hergekommen. Sie hatte ihn gerufen, doch war er nicht rasch den Berg hinaufgesprengt, sondern langsam hergeritten und ebenso langsam vom Pferd gestiegen, und jetzt wartete er geduldig, bis ihn die Stalleute von der Gesindestube her bemerken und ihm das Pferd abnehmen würden. Mit heimlichem Bangen hatte er dann nach dem Türgriff gefaßt – und selbst in ihrem Zimmer verließ ihn seine Bangigkeit nicht. Nur ganz verstohlen und ängstlich sah er sie an, denn er wußte ja nicht, wie es um sie stand, warum sie ihn gerufen, was er zu erwarten hatte.

Zuerst waren sie beide verlegen. Sie war befangen, weil er um ihr Geheimnis wußte. Wenn er auch ihr Freund war, stand er ihr doch immer noch fern. Sie hatte ihm damals in ihrer nervösen Erregung, im Fieber sozusagen, ganz unerwartet ihr Geheimnis offenbart, weil sie aus einigen seiner Äußerungen schließen zu müssen glaubte, daß er ohnedies schon alles wisse.

Sie konnte nicht anders, als es ihm sagen. Sie schätzte die kostbare Gabe seiner Freundschaft viel zu hoch und wollte sich seine Achtung nicht erschleichen. Er hatte ihr überdies einen Antrag gemacht, ein Grund mehr für sie, offen und aufrichtig zu sein. Bei alledem fiel es ihr jetzt doch schwer aufs Herz, daß er um dieses Geheimnis wußte. Sie neigte verschämt den Kopf und vermied es, ihm gerade in die Augen zu sehen.

Er aber empfand es peinlich, daß er ihr so zur Unzeit von seinen stillen Hoffnungen gesprochen, die dann durch ihre erschreckende Offenheit so jäh zerstört schienen. Um seiner selbst wie um ihretwillen war es ihm peinlich.

Jedes von ihnen erriet, was in dem andern vorging, und sie schwiegen.

»Haben Sie mir verziehen?« sprach sie schließlich in ihrem tiefklingenden Flüsterton, ohne ihn anzusehen.

»Ich – Ihnen verziehen? Was denn?«

»Alles das, was Sie ertragen haben, Iwan Iwanowitsch. Sie haben sich verändert, sind abgemagert, haben sich gehärmt – ich sehe das. Ich empfinde es als eine schwere Strafe, daß ich Ihnen und Tantchen solchen Kummer bereitet habe.«

»Mein Kummer braucht Sie nicht zu beunruhigen, Wera Wassiljewna. Er gehört mir allein. Ich habe ihn mir selbst aufgeladen, und Sie haben ihn nur gelindert. Sie haben auch jetzt wieder an mich gedacht und mir geschrieben, daß Sie mich sehen wollen. Ist das wahr?«

»Ja, es ist wahr, Iwan Iwanowitsch. Wenn Sie drei – Tantchen, Sie und Vetter Boris – mir genommen würden, ich könnte das Leben nicht länger ertragen.«

»Nun – und Sie reden von Kummer! Sehen Sie mich doch einmal an. Ich meine, ich habe jetzt, in diesem Augenblick, gleich wieder an Kraft gewonnen!«

Er lächelte, und seine Wangen röteten sich in plötzlicher froher Erregung.

»Um so schwerer«, sagte Wera, »empfinde ich das, was ich Ihnen allen angetan habe. Wenn ich daran denke, was Tantchen allein hat durchmachen müssen!«

»Was denn? Ich wagte nicht, danach zu fragen.«

Sie erzählte ihm alles, was in diesen letzten zwei Wochen vorgefallen war; nur das Geständnis, das Tatjana Markowna ihr gemacht hatte, verschwieg sie.

Er erwartete mit Ungeduld, ob sie nicht von Mark sprechen würde. Doch sie sagte kein Wort von ihm.

»Wenn Sie nur recht bald wieder die Ruhe Ihres Gemüts wiederfinden möchten!« sprach er nachdenklich. »Alles wird vergeben und wird vergessen werden.«

»Vergessen – vielleicht, aber nicht vergeben!«

»Niemand hat Ihnen etwas zu vergeben.«

»Wenn auch die anderen vergessen und mir vergeben – ich selbst darf es nicht«, flüsterte sie und hielt in ihrer Rede inne. Ein schmerzlicher Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht.

»Ich begann ein wenig mich zu beruhigen, zu vergessen«, fuhr sie fort. »Jetzt wird bald die Hochzeit sein, es gibt viel zu tun, das lenkte mich ab, und ich konnte wieder an andere Dinge denken.«

»Da kam eine Störung?«

»Ja. Ich war gestern sehr beunruhigt, und auch jetzt habe ich meine Ruhe noch nicht ganz wiedergefunden. Die muß ich vor allem wiederfinden, wie Sie ganz richtig sagten. Ich dachte, es sei alles zu Ende. Ach, wenn ich doch von hier fort könnte!«

Er schwieg und blickte zu Boden. Der Ausdruck der Freude wich aus seinen Zügen.

»Ist etwas vorgefallen?« fragte er. »Bedürfen Sie irgendeines Dienstes, Wera Wassiljewna?«

»Es ist allerdings etwas vorgefallen. Ihre Dienste jedoch möchte ich nicht in Anspruch nehmen, Iwan Iwanowitsch.«

»Sie meinen, ich eigne mich nicht?«

»Nicht doch, das ist es nicht. Sie wissen ja alles, lesen Sie diese Briefe, die ich bekommen habe.«

Sie nahm die beiden Briefe aus dem Schubfach und reichte sie ihm. Tuschin las sie, und er wurde wieder so bleich und mager, wie er bei seiner Ankunft gewesen.

»Ja, hier bin ich allerdings überflüssig, da können nur Sie allein ...«

»Nein, Iwan Iwanowitsch, das kann ich eben nicht.«

Er sah sie fragend an.

»Ich kann ihm weder die zwei Worte schreiben, die er verlangt, noch ihn sehen.«

Er gewann wieder seine Fassung, richtete den Kopf empor und sah sie an.

»Eine Antwort aber muß ich ihm geben. Er wartet dort, im Pavillon, oder er kommt hierher, wenn ich sie ihm nicht gebe. Und ich bringe es nicht über mich.«

»Was für eine Antwort?« fragte Tuschin, während er wieder den Kopf neigte und auf seinen Stiefel blickte.

»Sie fragen ganz wie Tantchen. Haben Sie nicht gelesen? Er verheißt mir das Glück, bietet mir seine Hand an.«

»Nun – und?«

»Nun – und ...«, wiederholte sie in einem Ton, der ein wenig gereizt klang. »Ich habe gestern versucht, ihm ein paar Zeilen zu schreiben. ›Ich war mit Ihnen nicht glücklich und werde es niemals sein, auch wenn wir uns heiraten, ich werde Sie niemals wiedersehen, leben Sie wohl!‹ So wollte ich ihm schreiben – doch ich vermochte es nicht. Ich wollte hingehen, es ihm selbst sagen und wieder fortgehen, doch die Füße versagten mir den Dienst, ich sank kraftlos nieder. Er weiß nichts von alledem, was ich durchgemacht habe, er meint, ich sei immer noch im Banne dieser Leidenschaft, darum hofft er noch immer und schreibt mir. Er muß unbedingt alles erfahren, und ich kann es ihm nicht sagen! Ich wüßte auch niemanden, der es sonst tun könnte. Tantchen explodierte förmlich wie ein Pulverfaß, als sie diese Briefe gelesen hatte. Ich fürchte, sie hält das nicht aus. Und ich ...«

Tuschin erhob sich plötzlich und trat auf sie zu.

»Und da dachten Sie an mich. ›Tuschin wird's aushalten, der wird mir den Dienst schon leisten‹, dachten Sie, und darum riefen Sie mich. Ist's nicht so?«

Er strahlte über das ganze Gesicht.

»Nein, Iwan Iwanowitsch, so ist es nicht. Ich rief Sie, um ... Sie zu sehen, in diesen Stunden banger Sorge. Wenn Sie hier sind, bin ich ruhiger.«

»Wera Wassiljewna!« rief er aus, und das Rot kehrte wieder auf seine Wangen zurück, er fühlte sich nahezu glücklich.

»Sie dorthin zu schicken«, fuhr sie fort, »nein, diese neue Kränkung würde ich Ihnen nicht antun. Ich möchte Sie nicht Aug in Auge einem Menschen gegenüberstellen, den Sie unmöglich sehen können, ohne Ihren Gleichmut zu verlieren. Nein, nein!«

Sie schüttelte den Kopf.

»Sie sprechen von Kränkung, Wera Wassiljewna ...«

Er wollte weitersprechen, fand jedoch keine Worte und faltete nur wie bittend die Hände. Seine Augen glänzten, als er sie jetzt so ansah.

Voll Staunen und Dankbarkeit ließ sie ihren Blick auf ihm ruhen. Schon diese kleine Rücksicht, die der bloße Anstand ihr gebot, dieser Brocken machte ihn glücklich, nach alledem, was vorhergegangen!

›Wie er mich liebt! Warum nur?‹ dachte sie, und ein Gefühl stiller Traurigkeit beschlich sie.

»Kränkung!« wiederholte er. »Ja, wenn Sie mich mit dem Ölzweig des Friedens zu ihm senden wollten, wenn Sie mir zumuteten, ich solle ihn hier heraufholen vom Grunde der Schlucht – das würde mir wohl schwerfallen! Eine solche Taubenrolle wäre nicht nach meinem Geschmack – und doch würde ich sie übernehmen, würde Sie beide aussöhnen, wenn ich wüßte, daß Sie dadurch glücklich würden.«

›Das würde wohl Tantchen tun‹, dachte Wera bei sich, ›und auch meine Mutter täte es, wenn sie noch lebte. Daß aber dieser Mann bereit ist, sein Glück zu opfern, um das meinige zu begründen – das ist mehr als Großmut!‹

»Iwan Iwanowitsch«, sagte sie, und die Tränen erstickten fast ihre Stimme, »ich glaube Ihnen, daß Sie auch das tun würden! Aber ich würde Sie nicht hinschicken.«

»Ich weiß das, obwohl Sie es ruhig wagen könnten. Doch in Wirklichkeit würde es sich ja um etwas handeln, wobei ich ruhig in meiner Bärenrolle bleiben könnte: ihn aufzusuchen, ihm die zwei Worte zu überbringen, die Sie ihm nicht schreiben konnten – das würde mich glücklich machen, Wera Wassiljewna!«

Sie schlug die Augen nieder.

›Nichts als dieses Glück vermag ich ihm zu bieten – für alles, was er für mich fühlt!‹ dachte sie.

Als er sie jetzt so betroffen sah, verlor er gleich wieder den Mut. Seine stolze Haltung, der Glanz seiner Augen, das Rot der Wangen – alles war dahin. Er bereute, seine Freude auf so unvorsichtige Art gezeigt, so vorzeitig das Wort »Glück« gebraucht zu haben.

›Nun habe ich wieder eine rechte Dummheit gemacht!‹ dachte er, im stillen über sich selbst ärgerlich. ›Einen freundschaftlichen Auftrag, für dessen Ausführung ihr sonst niemand zu Gebote steht, betrachte ich schon als einen Ansporn für meine Hoffnungen!‹

Sie mußte diese unerwartete Freude und dieses »Glück«, das er gebracht, als eine Wiederholung seines Liebesgeständnisses und seines Heiratsantrags ansehen, und dieses selbstsüchtige Gefühl der Genugtuung darüber, daß sie mit Mark für immer brach, mußte ihn ihr in recht schlechtem Lichte zeigen.

Als Wera ihn jetzt so sah, erriet sie wohl, daß er zum zweitenmal vom Gipfel seiner Glückshoffnungen abgestürzt zu sein glaubte. Ihr Herz, ihr weiblicher Instinkt, ihr Freundschaftsgefühl – alles kam nun dem armen Tuschin zu Hilfe, und sie beeilte sich, ihm doch wenigstens die eine Aussicht zu lassen, die sie in ihrer Lage ihm gewähren konnte, nämlich die Gewißheit, daß ihr Vertrauen und ihre Hochachtung ihm noch immer gehörten.

»Ja, Iwan Iwanowitsch, ich sehe nun, daß ich insgeheim doch auch in dieser Angelegenheit auf Sie gerechnet habe, nur daß ich es mir selbst nicht eingestehen mochte und es nie gewagt hätte, einen solchen Dienst von Ihnen zu erbitten. Wenn Sie jedoch sich selbst großmütig dazu erbieten, dann bin ich froh darüber und danke Ihnen. Niemand scheint mir jetzt so sehr zu meinem Helfer berufen wie Sie, da niemand mich so sehr liebt wie Sie.«

»Sie sind zu gütig gegen mich, Wera Wassiljewna. Doch es ist wahr, was Sie da sagen. Sie haben mein Wesen ganz klar erkannt.«

»Und wenn es Ihnen nicht peinlich ist, ihn zu sehen ...«, fuhr sie fort.

»Nein, ich werde davon nicht in Ohnmacht fallen!«

»... dann gehen Sie doch heute um fünf Uhr nach dem Pavillon und sagen sie ihm ...«

Sie dachte nach, was er Mark sagen sollte. Dann nahm sie einen Bleistift und ein Blatt Papier und schrieb die zwei Zeilen genauso nieder, wie sie sie ihm vorher mündlich hergesagt hatte.

»Das ist meine Antwort«, sagte sie und übergab ihm den offenen Zettel. »Geben Sie ihm das und fügen Sie, wenn Sie es für nötig halten, hinzu, was Sie wollen; Sie wissen ja alles.«

Er steckte den Zettel in die Tasche.

»Vergessen Sie das eine nicht«, fügte sie hastig hinzu, »daß ich ihm keinen Vorwurf mache, keine Klage über ihn führe ... also ...«

Sie zögerte einen Augenblick. Er stand erwartungsvoll da.

»Ihre Reitpeitsche brauchen Sie nicht mitzunehmen«, fügte sie leise, fast zur Seite sprechend, hinzu.

»Ich hab's verdient«, sagte er mit einem schweren Seufzer.

»Verzeihen Sie mir«, sprach sie, ihm die Hand reichend, »das sollte kein Vorwurf sein, Gott behüte! Es fiel mir nur so ein ... Und vielleicht wird dieses eine Wort Sie rascher als irgendwelche lange Ausführungen darüber aufklären, was mein Wunsch ist, wie ich dieses Zusammentreffen gern verlaufen sehen möchte.«

»Ich bin nur durch eins beunruhigt: daß Sie annehmen konnten, ich würde ohne diesen Wink Ihre Wünsche nicht begreifen.«

»Verzeihen Sie, Iwan Iwanowitsch, einer Kranken ...«

Er drückte herzlich die Hand, die sie ihm reichte.


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