Leopold Friedrich Günther von Göckingk
Lieder zweier Liebenden
Leopold Friedrich Günther von Göckingk

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

An Nantchen
Als er sie untreu glaubte

        Meine Tränen sind geweint!
Meine Seufzer sind verflogen!
Ruhig bin ich, keinem feind,
Selbst nicht der, die mich betrogen.
Zwar wie liegt die Müdigkeit
Schwer auf meinem ganzen Wesen!
Aber nur noch kurze Zeit,
Kranker! und du bist genesen!

O! dem Ekel sei es Dank,
Daß er gern den Gram begleitet,
Daß er gütig Speis und Trank
Mir mit Wermut zubereitet;
Denn in jedem Bissen Brot
Und in jedem Tropfen Weine,
Nähm und tränk ich spätern Tod
In die schmachtenden Gebeine.

Nur noch wenig wenig Flut
Treibt des Herzens träge Mühle,
Bald ihr müden Füße ruht,
Ruht euch aus am nahen Ziele!
Ach! Gehirn! dein Feuer macht
Meines Lebens Abend schwüle.
Aber sieh, da kömmt die Nacht!
Diese bringet mich ins Kühle.

Todesnacht! sollt ich in dir,
Ungewiß, wie lange? schlafen,
O! wie könnte schon mich hier
Die Natur wohl härter strafen?
Schlafen, oder nicht mehr sein,
Das ist eins, eh ers erfähret,
Ruhe werde dem Gebein,
Und Gefühl dem Geist gewähret.

Wieder wachen wirst du Geist!
Zwar wie liegt die trockne Hülle,
Die der Schmetterling zerreißt,
Gleich als schlief er noch, so stille?
Aber sieh! dort fliegt er schon
Auf die blaue Veilchen-Aue,
Sauget Honig aus dem Mohn,
Oder trinkt vom Rosentaue.

Doch, o Seele! sei auch wach:
Wirst du diese Welt nicht missen?
Wirst du noch von Nantchen (ach!
Dort gewiß mein Nantchen) wissen?
Wirst du, oder wirst du nicht? –
Nicht? – Entsetzen! Tod, Erbarmen!
Schone! sieh! mein Herz zerbricht!
Mörder! fort aus meinen Armen!

Ahndung? Traum? was ist es? wie?
Bleibt mein Nantchen in mir leben?
Bleib ich hier? und werd ich sie
Wie die dichte Luft umgeben?
Wann die Reu in ihr erwacht,
Werd ich Tröster sein, nicht Rächer?
Werd ich? – Leben, gute Nacht!
Gib mir, Tod, den Schlummerbecher!

 


 


 << zurück weiter >>