Leopold Friedrich Günther von Göckingk
Lieder zweier Liebenden
Leopold Friedrich Günther von Göckingk

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Nantchen
Nach dem ersten nächtlichen Besuche

        Bin ich nüchtern, bin ich trunken?
Wach ich, oder träum ich nur?
Bin ich aus der Welt gesunken?
Bin ich anderer Natur?
Fühlt' ein Mädchen schon so was?
Wie begreif ich alles das?

Weiß ich, daß die Rosen blühen?
Hör ich jene Raben schrein?
Fühl ich, wie die Wangen glühen?
Schmeck ich einen Tropfen Wein?
Seh ich dieses Morgenrot? –
Tot sind alle Sinnen, tot!

Alle seid ihr denn gestillet?
Alle? Habet alle Dank!
Könnt ich so in mich gehüllet,
Ohne Speis und ohne Trank,
Nur so sitzen Tag für Tag
Bis zum letzten Herzensschlag.

In die Nacht der Freude fliehet
Meine Seele wieder hin!
Hört und schmeckt, und fühlt und siehet
Mit dem feinen innren Sinn!
O Gedächtnis! schon in dir
Liegt ein ganzer Himmel mir!

Worte, wie sie abgerissen
Kaum ein Seufzer von ihm stieß,
Hör ich wieder, fühl ihn küssen:
Welche Sprache sagt, wie süß?
Seh ein Tränchen – Komm herab!
Meine Lippe küßt dich ab!

Wie ich noch so vor ihm stehe,
Immer spreche: Gute Nacht!
Bald ihn stockend wieder flehe:
Bleibe, bis der Hahn erwacht!
Wie mein Fuß bei jedem Schritt
Wanket, und mein Liebster mit!

Wie ich nun, an seine Seite
Festgeklammert, küssend ihn
Durch den Garten bin begleite!
Bald uns halten, bald uns ziehn!
Wie da Mond und Sterne stehn,
Unserm Abschied zuzusehn.

Ach da sind wir an der Türe!
Bebend hält er in der Hand
Schon den Schlüssel. – Wart, ich spüre
Jemand gehen, Amarant!
Warte nur das Bischen doch!
Einen Kuß zum Abschied noch!

Ich verliere, ich verliere
Mich in diesem Labyrinth!
Träumt' ich je, daß ich erführe,
Was für Freuden, Freuden sind?
Wenn die Freude töten kann,
Triffst du nie mich wieder an.

 


 


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