Leopold Friedrich Günther von Göckingk
Lieder zweier Liebenden
Leopold Friedrich Günther von Göckingk

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Wachen und Schlafen

        Wie war ich sonst dem Wachen doch so gram,
Dem Schlafe wie so gut!
Wenn ungelockt er auf die Augen kam,
Noch unbenetzt von süßer Tränen Flut.

Ich gähnte schon, sobald der Hesperus
Am Horizonte stand,
Gab nickend oft dem Nähpult einen Kuß,
Und leise fiel mein Strickzeug aus der Hand.

Fand ich nicht oft am Abend meinen Kopf,
Auf meinen Arm gelegt,
An dem Klavier; und sucht ihn, wie ein Tropf,
Wenns vor ihm steht, das Glück zu suchen pflegt?

Wie bin ich nun dem Schlafe doch so gram,
Dem Wachen wie so gut!
Itzt, Lucifer, siehst du am Näherahm
Mich noch so glüh, als hätt ich sanft geruht.

Hier ist dein Bild, mein zweites liebes Du!
Ich werfe weinend dann
Ihm Kuß auf Kuß von meinen Lippen zu,
Wie lächelts mich so innig dankbar an!

Ich flüstre gar, als könnt es mich verstehn,
Ihm meine Seufzer vor,
Denk als ein Kind (auch der Betrug ist schön!):
Nun klingt ihm itzt vielleicht sein rechtes Ohr.

Wenn auch der Schlaf die Augenlider treu
Mit Schwanenflügeln streicht,
Macht meine Hand ihn endlich doch so scheu,
Daß er verwirrt zu meiner Ann' entweicht.

Denn so der Schlaf dich meinem Geist entriß:
Ach, ach! was hätt ich dann?
Ob dich ein Traum mir zeig, ist ungewiß,
Drum schmieg ich mich im Wachen an dich an.

 


 


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