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XXXVI

GEISERICH, DER KÖNIG DER VANDALEN, PLÜNDERT ROM · SEINE RAUBZÜGE ZUR SEE · DIE LETZTEN WESTRÖMISCHEN KAISER MAXIMUS, AVITUS, MAIORIAN, SEVERUS, ANTHEMIUS, OLYBRIUS, GLYCERIUS, NEPOS, AUGUSTULUS · ENDGÜLTIGER UNTERGANG DES WESTRÖMISCHEN REICHES · HERRSCHAFT UND CHARAKTER VON ODOAKAR, DES ERSTEN BARBARENKÖNIGS ITALIENS

 

ROM UND DIE VANDALEN · IHRE SEEMACHT A.D. 439-455

Der Verlust und der Zustand der Auflösung, in welchem sich die Provinzen zwischen Alpen und Atlantik befanden, passte übel zu Roms glorreicher Vergangenheit; sein Wohlstand war unwiderruflich infolge des Verlust von Afrika dahin. Die raubgierigen Vandalen rissen die Landgüter der Senatoren an sich und fingen die regelmäßigen Getreidelieferungen ab, welche die Armut der Plebejer zu lindern und ihre Trägheit zu festigen geholfen hatten. Die Notlage der Römer verschärfte sich schon bald infolge eines unvorhergesehenen Angriffs; und so wurde diese wichtige Provinz, die seit Menschengedenken durch den Fleiß und Gehorsam ihrer Bewohner bedeutend war, durch einen ehrgeizigen Barbaren gegen Rom bewaffnet. Die Vandalen und Alanen, die sich den siegreichen Standarten des Geiserich angeschlossen hatten, besaßen diesen fruchtbaren und wohlhabenden Küstenstreifen, welcher sich neunzig Tagesmärsche von Tanger bis nach Tripoli dehnte; aber sein schmaler Verlauf wurde im Süden durch Sandwüsten und im Norden durch das Mittelmeer begrenzt und eingeengt.

Die Erforschung und Eroberung der schwarzen Völker, die jenseits des Trockengürtels wohnen mochten, reizten den nüchternen Geiserich naturgemäß nicht, dann aber ließ er sein Augenmerk über das Meer wandern; beschloss den Bau einer Seestreitmacht; und führte diesen kühnen Entschluss mit zäher und rüstiger Hartnäckigkeit durch. Die Wälder des Atlasgebirges stellten unerschöpfliche Holzvorräte bereit; seine neuen Untertanen verstanden sich durchaus auf Schiffbau und Schifffahrt; er brachte seine kühnen Vandalen dahin, eine neue Technik der Kriegsführung zu erlernen, welche alle Küstenländer ihren Waffen ausliefern würde; die Mauretanier und Afrikaner lockte die Aussicht auf Beute; und so beanspruchten zum ersten Male nach sechshundert Jahren Schiffe aus Karthago die Herrschaft über das Mittelmeer.

Die Erfolge der Vandalen, die Eroberung Siziliens, die Plünderung Palermos und ihre häufigen Abstecher an die lucanische Küste schreckten die Mutter des Valentinian und die Schwester des Theodosius auf. Bündnisse wurden geschlossen; und Expeditionen, teuer und wirkungslos, wurden ausgerüstet, den gemeinsamen Feind zu vernichten, der sich seinen Mut gegen eine Gefahr ersparte, die seine Politik weder abwenden noch vortäuschen konnte. Die Entwürfe der römischen Regierung wurde des öfteren zunichte gemacht durch sein geschicktes Hinhalten, mehrdeutige Versprechungen und scheinbare Zugeständnisse; und die Gegenwart seines furchtbaren Verbündeten, des Hunnenkönigs, rief die Kaiser Roms von der Eroberung Afrikas zurück, um zunächst das eigenes Land zu sichern. Palastrevolutionen, die den Westen ohne Verteidiger und ohne gesetzmäßigen Herrscher zurückließen, zerstreuten Geiserichs letzten Besorgnisse und reizten seine Habgier umso stärker auf. Unverzüglich rüstete er eine mächtige Flotte aus, besetzte sie mit Afrikanern und Mauren und ließ sie an der Tibermündung vor Anker gehen, etwa drei Monate nach dem Tod Valentinians und der Thronbesteigung des Maximus.

 

PERSÖNLICHKEIT UND HERRSCHAFT VON PETRONIUS MAXIMUS 17. MÄRZ 455

Das private Leben des Senators Petronius Maximus Sidonius Appolinaris verfasste den 13. Brief des 2. Buches eigens zu dem Zweck, um die merkwürdige Begeisterung seines Freundes Seranus für den hingeschiedenen Kaiser zurückzuweisen. Dieser Brief kann – bei einigem Entgegenkommen – das Verdienst einer eleganten Komposition für sich beanspruchen; und außerdem wirft er viel Licht auf den Charakter des Kaisers Maximus. wurde oft als ein seltenes Beispiel menschlicher Glückseligkeit beigebracht. Er war von achtbarer und adliger Herkunft, stammte er doch aus anicischer Familie; zu dieser Stellung kam noch ein unverächtliches Erbteil an Land und Geld, und zu diesen Glücksgeschenken gesellten sich noch die Vorurteilslosigkeit und Bescheidenheit, welche die unschätzbaren Gaben Geist und Tugend schmücken oder nachahmen. Sein Palast war gastfrei und von ausgewählter Eleganz. Wann immer Maximus in der Öffentlichkeit auftrat, war er von einer Schar dankbarer und ergebener Klientelen Clientum praevia, pedisequa, circumfusa, populositas [Ein Klientenschwarm, vor ihm, hinter ihm, um ihn]. ist das Gefolge, das Sidonius (1, Epistulae 9) einem anderen Senatoren von konsularischem Rang beigibt. umgeben; und es ist nicht auszuschließen, dass unter diesem Klientel einige echte Freunde waren. Senat und Kaiser anerkannten mit Dankbarkeit seine Verdienste; dreimal war er Prätorianerpräfekt von Italien; zweimal hatte er das Amt eines Konsuls inne gehabt und stand im Rang eines patricius. Diese bürgerlichen Ehrenstellungen waren mit Müßiggang und Zurückgezogenheit durchaus nicht unverträglich; seine Stunden wurden entsprechend den Erfordernissen der Zerstreuung oder der Arbeit durch eine Wasseruhr mit Genauigkeit eingeteilt; und dieses Haushalten mit der Zeit ermöglichen uns Einblick in Maximus' Vorstellungen von individuellem Glück.

Das Unrecht, das der Kaiser Valentinian ihm antat, scheint die blutigste Rache zu rechtfertigen. Ein philosophisches Gemüt indessen könnte auf dem Standpunkt stehen, dass im Falle eines ernsthaften Widerstandes die Keuschheit seines Weibes unbefleckt geblieben wäre und dass sie niemals wiederhergestellt werden konnte, wenn sie sich in den Willen des Ehebrechers gefügt hätte. Ein Patriot hätte wohl gezögert, sich und sein Land den Kalamitäten auszusetzen, die dem Untergang des Hauses des Theodosius mit Notwendig folgen mussten. Maximus war unbesonnen genug, sich solchen heilsamen Überlegungen zu verschließen: er bediente seine Hass- und Rachegefühle; er sah Valentinians blutenden Körper zu seinen Füßen; und er vernahm, wie Senat und Volk ihn einmütig zum neuen Kaiser ausriefen. Aber der Tag seiner Inauguration war der letzte glückliche Tag in seinem Leben. Er war Gefangener in seinem eigenen Palast (so der lebendige Ausdruck bei Sidonius); und nach einer schlaflosen Nacht seufzte er, dass er auf dem Gipfelpunkt seiner Wünsche angekommen sei und jetzt nur noch wünsche, unbeschädigt von dieser gefahrvollen Höhe herabzusteigen. Bedrückt von der großen Last des Diadems, vertraute er seine Ängste seinem Freund und Quästor Fulgentius an; und als er dann mit nutzloser Reue auf die unschuldigen Freuden seines vergangenen Lebens zurückblickte, rief der Kaiser aus: »O glückseliger Damokles, dein Leben begann und endete mit derselben Mahlzeit«: Districtus ensis cui super impia Cervice pendet, non ›Siculae dapes‹ Dulcem elaborabunt saporern: Non avium citharaeque cantus Somnum reducent. [Wem das gezückte Schwert über dem schuldigen Nacken schwebt, dem schafft kein üppiges Mahl Wohlgeschmack, und kein Vogel- oder Saitenklang bringt ihm Schlummer]. Horaz, Oden, 3,1,17-21. Sidonius beschließt den Brief mit der Geschichte des Damokles, die Cicero (Tusculanae Disputationes 5,20) so unnachahmlich erzählt hat. eine wohlbekannte Anspielung, die Fulgentius später als eine lehrreiche Lektion für alle Herrscher und Untertanen wiederholte.

 

MAXIMUS' HERRSCHAFT · SEIN TOD 12. JUNI 455

Die Regierung des Maximus währte etwa drei Monde. Seine Stunden, über die er längst nicht mehr frei verfügte, waren angefüllt mit Reue, Schuld und Gewalt; und sein Thron wankte unter den Aufständen des Volkes, der verbündeten Barbaren, der Soldaten. Die Hochzeit seines Sohnes mit der ältesten Tochter des verstorbenen Vorgängers hätte die Erbfolge in seiner Familie etablieren können; aber die Gewalt, die er der Kaiserin Eudoxia antat, konnte nur das Ergebnis blinder Lust- oder Rachegefühle sein. Seine eigene Frau, die unfreiwillige Verursacherin all' dieser tragischen Ereignisse, war rechtzeitig gestorben; und die Witwe des Valentinian sah sich genötigt, ihr stilles Klagen, vielleicht auch ihren echten Kummer, gewaltsam zu verbergen und sich die plumpen Umarmungen des Thronräubers gefallen zu lassen, in dem sie den Mörder ihres toten Mannes zu sehen Anlass hatte.

Dieser Argwohn wurde schon bald durch ein unbedachtes Geständnis des Maximus gerechtfertigt; und so schürte er unabsichtlich den Hass seiner störrischen Braut, in der immer noch das Bewusstsein ihrer Abkunft von den Kaisern lebendig war. Aus der Osthälfte des Reiches konnte Eudoxia jedoch nicht auf nennenswerten Beistand hoffen; ihr Vater und ihre Tante Pulcheria waren beide tot; ihre Mutter verbrachte ihre Tage in Jerusalem im schmachvollen Exil; und das Szepter Konstantinopels war in der Hand eines Fremden. Sie wandte ihren Blick nach Karthago; heimlich bat sie den König der Vandalen um Hilfe; und sie brachte Geiserich dazu, die günstige Gelegenheit beim Schopfe zu packen und seine Raubzüge achtbar zu machen durch die Epitheta Ehre und Gerechtigkeit und Mitleid. Ungeachtet der Belegstellen bei Prokopios, Evagrius, Idatius, Marcellinus &c zweifelt der gelehrte Muratori diese Einladung an. »Non si può dir quanto sia facile il popolo a sognare e spaciar voci false.« (Annali d'Italia, Band 6, p. 249). Aber sein vom räumlichen und zeitlichen Abstand hergenommenes Argument steht auf äußerst schwachen Füßen. Die Feigen, die bei Karthago wuchsen, wurden am dritten Tag dem Senat von Rom übergeben.

Welche Fähigkeiten Maximus auch immer in einer untergeordneter Stellung bewährt haben mochte, die Fähigkeiten zur Lenkung eines Staatswesens gingen ihm jedenfalls ab. Und obgleich er sich leicht über die Zurüstungen hätte kundig machen können, die an der gegenüberliegenden Küste Afrikas vor sich gingen, so wartete er doch mit trägem Gleichmut auf den Angriff der Feinde, ohne an Verteidigung, Verhandlung oder vorzeitigen Rückzug auch nur zu denken. Als die Vandalen schließlich vor der Tibermündung vor Anker gingen, wurde der Kaiser aus seiner Behaglichkeit jäh empor geschreckt durch das Lärmen der zitternden und aufgebrachten Menge. Das Einzige, was ihm bei dieser Gelegenheit einfiel, war eine überstürzte Flucht, und er ermunterte die Senatoren, dem Vorbild ihres Herrschers zu folgen. Aber kaum ließ sich Maximus auf den Straßen blicken, als er auch schon von einem Steinhagel überschüttet wurde; ein römischer, nach anderer Darstellung ein burgundischer Soldat reklamierten für sich die Ehre, ihm die erste Wunde zugefügt zu haben; sein entstellter Körper wurde schmachvoll in den Tiber geworfen; das Volk Roms jauchzte über das Strafgericht, das sie dem Urheber der öffentlichen Not hatte zuteil werden lassen; und die Hausdiener der Eudoxia überhäuften ihre Herrin mit gehäuften Beweisen ihrer Ergebenheit. »...Infidoque tibi Burgundio ductu Extorquet trepidas mactandi principis iras.« (...es bewirkte dir der Burgunder durch seinen ungetreuen Heerführer rastlose Wut, den Herrscher zu töten). Sidonius, Panegyricus ad Avium. 442. Ein bemerkenswerter Vers, der nahe legt, Rom und Maximus seien von burgundischen Söldner verraten worden.

 

VANDALEN PLÜNDERN ROM 15.-29 JUNI 455

Am dritten Tage nach dem Tumult griff Geiserich von Ostia her die schutzlose Stadt an. Anstelle dass Roms Jugend nun zu den Waffen geeilt wäre, kam ihm eine unbewaffnete Bittprozession mit dem Bischof Roms an der Spitze seines Klerus Der offenkundige Erfolg von Papst Leo wird durch Prosper und sein Historia Miscella bestätigt; aber die unglaubwürdige Feststellung von Baronius (Annales ecclesiastici, A.d. 355, Nr 13), dass nämlich Geiserich die drei Apostolischen Kirchen verschont habe, wird noch nicht einmal durch das Zeugnis des sonst sehr parteiischen Liber Pontificalis unterstützt.. Leos Furchtlosigkeit, sein Charisma und seine Beredsamkeit besänftigten erneut den Ungestüm eines barbarischen Eroberers: der Vandalenkönig versprach, die Menge zu schonen, wenn sie keinen Widerstand leiste, die Häuser nicht in Brand zu stecken und die Gefangenen nicht zu foltern; und wenngleich derlei Anordnungen niemals mit vollem Ernst erteilt noch pünktlich befolgt werden, war Leos Dazwischentreten für ihn selbst rühmlich und für sein Land in gewissem Sinne segensreich. Rom selbst aber und seine Bewohner waren der Willkür der Vandalen und Mauretanier ausgeliefert, die jetzt blindwütig Rache für das Unrecht an Karthago nahmen. Vierzehn Tage und Nächte dauerten die Plünderungen; und alles, was es überhaupt noch gab an öffentlichen oder privaten Werten, ein heiligen oder weltlichen Schätzen, wurde zu Geiserichs Schiffen geschleppt.

Unter der Beute gaben die herrlichen Reste zweier Tempel – oder besser: zweier Religionen – ein eindrucksvolles Bild von der Vergänglichkeit menschlicher und göttlicher Dinge ab. Seit dem Untergang des Heidentums stand das Kapitol vernachlässigt und verfiel; aber die Statuen der Heroen und Götter waren unberührt, und das berühmte Dach aus vergoldeter Bronze war den raubgierigen Händen Geiserichs vorbehalten. Die Verschwendung des Catulus, der die Dächer als erster hatte vergolden lassen, wurde nicht allgemein gebilligt (Plinius, Naturalis Historia 33,18); zumindest wurde sie weit übertroffen durch die des Kaisers, denn die äußerliche Vergoldung des Tempels kostete Domitian 12.000Talente (2.400.000 Pfund). Die Beschreibung des Claudian und Rutilius (›luce metalli aemula...fastigia astris‹, und) (dem Silber ähnlich...der Giebelden Sternen) und des Rutilius (›confunduntque vagos delubra micantia visus‹ [es verwirren den Beschauer die glänzenden Heiligtümer].) belegen eindeutig, dass diese glanzvolle Hülle weder von Alarichs Goten noch von den Christen entfernt worden war (Siehe Donati, Roma antiqua, Buch 2, p. 125). Es scheint übrigens, dass das Dach des Kapitols mit vergoldeten Statuen und Quadrigen geschmückt war. Die heiligen Gerätschaften des jüdischen Gottesdienstes, Der neugierige Leser kann auf die gelehrte und genaue Abhandlung de Spoliis Templi Hierosolymitani in Arcu Titiano Romae conspicuis von Hadrian Reland zurückgreifen. der goldene Altar und der siebenarmige Leuchter, gefertigt ursprünglich nach Gottes eigener Weisung und im Allerheiligsten seines Tempels aufgestellt, waren dem Volk von Rom beim Triumphzug des Titus vorgeführt worden. Danach hatte man sie im Tempel des Friedens untergebracht; und nach vier Jahrhunderten gelangte die Beute aus Jerusalem von Rom nach Karthago auf Veranlassung eines Barbaren, der von der Ostseeküste stammte. Diese archaischen Stücke mochten durchaus die Neugierde und ebenso die Habgier zu erwecken. Aber die christlichen Kirchen, die der vorherrschende Aberglauben der Zeit reich und prachtvoll gemacht hatte, gab zur Raubgier wesentlich mehr Anlass; und die fromme Freigebigkeit Leos, der sechs Silbervasen zu je hundert Pfund - es waren Geschenke Konstantins – hatte einschmelzen lassen, beweist den Schaden, den nachher zu vergüten er bemüht war.

In den fünfundvierzig Jahren seit der Goteninvasion waren Roms Luxus und Prunk in gewissem Umfang wieder hergestellt. Und so war es denn schwierig, der Habgier eines Eroberers zu entkommen oder ihr Genüge zu tun, wenn er Zeit und Schiffe genug besaß, den Reichtum der Stadt an sich zu reißen und fort zu schaffen. Die kaiserlichen Auszierungen des Palastes, wertvolle Möbel, Garderobe, Tafelsilber, alles wurde unterschiedslos fortgerafft; der materielle Wert des Goldes und Silbers belief sich auf mehrere tausend Talente; und selbst Bronze und Kupfer wurde mühsam fortgeschafft. Eudoxia ihrerseits, die herbeigeeilt war, ihren Freund und Befreier zu begrüßen, fand rasch Anlass, ihr unkluges Verhalten zu bereuen. Grob wurden ihr die Edelsteine vom Leibe gerissen: und die unglückselige Kaiserin wurde gezwungen, zusammen mit ihren beiden Töchtern, den letzten lebenden Zeugen aus dem Hause des Theodosius, als Kriegsgefangene dem hohnlachenden Vandalen zu folgen; dieser ließ unverzüglich Segel setzen und kehrte mit Beute schwerbeladen nach Karthago zurück. Das Schiff mit den heiligen Beutestücken vom Kapitol war das einzige aus der ganzen Flotte, welches Schiffbruch erlitt. Wenn ein bigotter Sophist oder ein heidnischer Andächtler den Vorfall erwähnte, dann mochte er sich wohl darüber freuen, dass diese Fracht für immer im Meer verloren war.

Tausende Römer beiderlei Geschlechtes, die man für irgendwelche nützlichen und zumutbaren Arbeiten bestimmt hatten, gingen widerstrebend an Bord von Geiserichs Flotte; und ihre Not wurde noch vergrößert durch die gefühlsrohen Barbaren, die beim Teilen der Beute Frauen von ihren Männern und Kinder von ihren Eltern getrennt hatten. Die tätige Milde von Deogratias, Bischofs von Karthago, Siehe Victor Vitensis, de persecutione Vandalorum 1,8 Vandalorum. Deogratias war nur drei Jahre lang Bischof von Karthago. Wäre er nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit begraben worden, hätte das Volk in seiner wirrsinnigen Verehrung seinen Körper in Stücke gerissen. war in dieser Lage ihre einzige Hilfe und Erleichterung. Großzügig verkaufte er Gold- und Silbergeschirr der Kirche, um einigen die Freiheit und anderen wenigstens Erleichterung in ihrer Sklaverei zu verschaffen und um der schwächelnden und siechen Menge in ihrer Gefangenschaft zu helfen, deren Gesundheit durch die Fährnisse der Überfahrt von Italien nach Afrika angegriffen war. Auf seine Anweisung hin wurden zwei geräumige Kirchen zu Hospitälern umgerüstet; die ernstlich Kranken erhielten geeignete Betten, reichliches Essen und Medizin; und dann kam der betagte Prälat am Tage und in der Nacht zu Besuch mit einer Ausdauer, die über seine Kräfte ging und einem sanftmütigem Mitleid, das die Wirkung seiner Visiten noch erhöhte. Man vergleiche diese Szene mit dem Schlachtfeld von Cannae, und dann entscheide man sich zwischen Hannibal und dem Nachfolger von St Cyprian. Angaben zum Tod von Maximus und zur Plünderung Roms durch die Vandalen finden sich bei Sidonius (Pangyricus ad Avitum 441-450), Prokopios (DE bello Vandalico 1,4f und 2,9), Euagrios (2,7) und Jordanes (Getica 45) sowie in den Chroniken von Hydatius, Prisper Tiro, Marcellinus und Theophanes unter dem zugehörigen Jahr.

 

KAISER AVITUS · 10. JULI 455

Der Tod von Aëtius und Valentinian hatte die letzten Hemmnisse beseitigt, die die Barbaren in Gallien in Frieden und Unterwerfung gehalten hatten. Die Küste wurde von den Sachsen bedrängt; und die Alamannen und Franken rückten von Rhein an die Seine vor; der Ehrgeiz der Goten, so schien es, sann auf größere und dauerhafteren Landgewinn. Der Kaiser Maximus hielt sich diese entfernten Bedrängnisse höchst eigennützig vom Leibe; zu den Bitten seiner Freunde schwieg er, hörte lieber auf die Stimme des Gerüchtes und ernannte einen Fremden zum kommandierenden General der Truppen in Gallien. Avitus. Die privaten Bewandtnisse und die Karriere des Avitus müssen wir – mit der gebotenen Vorsicht – aus einer Prunkrede extrahieren, die Sidonius Apollinaris, sein Untertan und Schwiegersohn, auf ihn gehalten hat. der Ausländer, dessen Verdienste so nobel belohnt wurden, stammte von einer adligen und wohlhabenden Familie aus der Auvergne. Die Wirren der Zeit nötigten ihn, sich mit gleichem Eifer auf eine zivile und eine militärische Karriere zu werfen; und so verband der Unermüdliche das Studium der Literatur und Jurisprudenz mit der Einübung von Waffen- und Jagdtechniken. Dreißig Jahre seines Lebens hatte er so löblich im öffentlichen Dienst zugebracht; abwechselnd bewährte er sich auf Feldzügen und bei Gerichtsverhandlungen; und nachdem dieser Soldat in den Diensten des Aëtius sich auch auf heiklen Missionen bewährt hatte, wurde er in die Stellung eines Prätorianerpräfekten von Gallien befördert.

Entweder riefen nun die Verdienste des Avitus Neider auf den Plan, oder es verlangte ihn in seiner Bescheidenheit nach Ruhe: jedenfalls zog er sich auf sein Landgut in der Nähe von Clermont zurück. Ein kräftiger Strom aus den Bergen, der in zahlreichen rauschenden Kaskaden herabstürzte, mündete in einen See von zwei Meilen Länge, an dessen Ufern in gefälliger Lage seine Villa erbaut war. Die Bäder, Porticos und die Sommer- und Winterwohnungen waren praktisch und zugleich luxuriös eingerichtet; und das umliegende Land gewährte Ausblicke auf liebliche Wälder, Weiden und Wiesen. Nach dem Vorbild des jüngeren Plinius hatte Sidonius (2,2) eine blumen- und wortreiche Beschreibung des Landhauses ausgearbeitet, die nach seinem Besitzer den Namen Avitacum trug. Die genaue Lage ist nicht mehr zu ermitteln. Man ziehe jedoch Savaron und Sirmond zu Rate. In dieser Zurückgezogenheit, wo Avitus seine Mußestunde bei Lektüre, ländlicher Kurzweil, praktischer Hauswirtschaft und Geselligkeiten Sidonius (2, Epustulae 9) hat das Leben eines gallischen Landedelmannes anlässlich eines Besuches bei Freunden in der Nähe von Nismes beschrieben. Die Morgenstunden verbrachte man im sphaeriserium, einer Art Tennisplatz; oder in der Bibliothek, die weltliche und religiöse lateinische Autoren enthielt: erstere für die Herren, letztere für die Dament. Zweimal, mittags und abends, wurde aufgedeckt; es gab gebratenes oder gekochtes Fleisch und Wein. In der Zwischenzeit ruhte die Gesellschaft, machte Ausritte an die frische Luft und badete warm. zubrachte, erhielt er das kaiserliche Diplom, durch welches er zum Heermeister der Infanterie und Kavallerie Galliens ernannt wurde. Er nahm das Kommando an; sogleich gaben die Barbaren Ruhe; und was immer er vorhatte und zu welchen Eingeständnissen er sich allenfalls genötigt sah: das Volk freute sich der Segnungen der gegenwärtigen Ruhe.

Aber das Schicksal Galliens hing von des Westgoten ab: und der römische General, dem seine Würde weniger wichtig war als das öffentliche Interesse, war sich nicht zu schade, sich in der Eigenschaft eines Gesandten nach Toulouse zu begeben. Theoderich, der König der Goten, nahm ihn mit höflicher Gastfreundschaft auf; aber während noch Avitus über einen Bündnisvertrag mit dieser mächtigen Nation verhandelte, hörte er zu seinem Erstaunen, dass Kaiser Maximus erschlagen und Rom von den Vandalen geplündert sei. Ein leerer Thron, den er besteigen konnte, ohne schuldig zu werden oder Gefahr auszustehen, lockte seinen Ehrgeiz; Siebzig Zeilen Jubeldichtung (505-575), in denen das zudringliche Werben von Theoderich und Galliens mit Avitus' schwer überwindbarem Sträuben dargestellt werden, sind zerblasen durch diese drei Worte eines ehrlichen Historikers: »Romanum ambisset imperium.« [Dies bestreitet das Römische Reich]. Gregor von Tours, 2,11. und leicht fanden sich die Westgoten bereit, seinen Anspruch mit ihrem entscheidenden Einfluss zu unterstützen.

 

15. AUGUST 455

Sie schätzten Avitus durchaus; sie achteten seine Fähigkeiten; und sie waren nicht blind für die Vorteile und die Ehre, dem weströmischen Reiche einen neuen Kaiser zu schenken. Die Zeit für die jährliche Versammlung von sieben Stämmen in Arles war gekommen; ihre Entscheidungsfreiheit mag durch die Anwesenheit Theoderichs und seiner kriegesfrohen Brüder ein wenig gelenkt worden sein; aber naturgemäß fiel auch ihre Wahl auf den berühmtesten ihrer Landsleute. Nachdem Avitus noch ein wenig den Spröden gespielt hatte, nahm er das kaiserliche Diadem aus der Hand der gallischen Repräsentanten entgegen; und der Beifallslärm der Barbaren und Provinzialen bestätigte die Wahl. Die formale Zustimmung von Marcian, des Ostkaisers, ward erbeten; er nickte Gewährung; lediglich der Senat, Rom und Italien, durch ihre augenblickliche Notlage allerdings in ihren Einspruchsmöglichkeiten gekürzt, unterwarfen sich den Anmaßungen des gallischen Thronräubers nur mit Murmeln.

 

THEODERICH, KÖNIG DER WESTGOTEN A.D. 453-466

Theoderich, dem Avitus wegen des Königsmantels verpflichtet war, hatte seinerseits das Szepter der Goten erst durch die Ermordung seines älteren Bruders Torismond an sich gerissen; und er rechtfertigte seine Bluttat mit der Behauptung, sein Vorgänger habe den Bündnisvertrag mit dem Reich zu verletzen geplant. Isidor, Erzbischof von Sevilla und selbst von gotisch-königlichem Geblüt, gesteht dieses Verbrechen ein und rechtfertigt es nachgerade (Historia Gothorum, p. 178), welches ihr Schreiber Jordanes (43) schlichtweg verschweigt. Ein solches Verbrechen muss mit den Tugenden eines Barbaren durchaus nicht unvereinbar sein; aber Theoderich war eigentlich von freundlicher und humaner Wesensart; und die Nachwelt mag sich ohne Entsetzen das Bild eines Gotenkönigs betrachten, welches Sidonius in Zeiten der Ruhe und des friedlichen Umganges von ihm entworfen hat. In einem Brief, der am Hof von Toulouse abgefasst wurde, stellt der Redner die Neugierde eines seiner Freunde mit folgender Beschreibung zufrieden: Für diese detailfreudige Beschreibung (1, Epistulae 11) gibt es natürlich auch politische Motive. Es war für die Öffentlichkeit berechnet und wurde von Sidonius' Freunden bekannt gemacht, bevor es in seiner Briefsammlung Eingang fand. Das erste Buch ist gesondert erschienen. Tillemont, Mémoires ecclésiastiques Band 16, p. 264.

»Allein durch das Majestätische seines Äußeren beeindruckte Theoderich diejenigen, die etwa seine Verdienste noch nicht kannten; und, obgleich zum Herrscher geboren, würden seine Verdienst auch eine private Stellung auszeichnen. Er ist von mittlerer Größe, sein Körper mehr gedrungen als dick, und in seinen wohlproportionierten Gliedmaßen vereinen sich rasche Behändigkeit mit Körperkraft. Ich habe in diesem Portrait des Theoderich einige übergenaue Beschreibungen ausgelassen, welche erträglich oder wenigstens verständlich nur solchen Menschen sein können, die – wie seine Zeitgenossen – oftmals die Märkte besuchten, wo nackte Sklaven zu Verkauf angeboten wurden. Dubos, Histore critique, Band 1, p. 404. Betrachtest du sein Gesicht, dann gewahrst du eine hohe Stirn, große, fast struppige Augenbrauen, eine gebogene Nase, dünne Lippen, ebenmäßige weiße Zähne und einen anmutigen Gesichtsausdruck, in dem sich öfters Bescheidenheit als Zorn bemerklich machen. Seine normale Zeiteinteilung, soweit sie für die Öffentlichkeit bestimmt ist, soll kurz dargelegt werden.«

»Noch vor Tagesanbruch begibt er sich mit einer kleine Gruppe zu seiner Hauskapelle, wo der Gottesdienst im arianischen Ritus abgehalten wird; aber diejenigen, die seine innersten Gedanken zu deuten sich unterfingen, wollen in dieser hartnäckigen Anhänglichkeit lediglich die Wirkung von Gewohnheit und Politik entdecken. Der restliche Vormittag ist der Verwaltung seines Königreiches gewidmet. Sein Thron ist von gestandenen Offizieren umgeben; die Audienzhalle ist von seiner lautstarken Leibwache von Barbaren mit Beschlag belegt; allerdings ist es ihnen nicht gestattet, hinter den Vorhängen oder Teppichen zu stehen, welche das Rats-Kabinett von der gemeinen Öffentlichkeit abtrennen. Die Gesandtschaften der verschiedenen Völker werden nacheinander vorgelassen: Theoderich hört aufmerksam zu, antwortet mit höflicher Kürze und gibt entsprechend der Natur ihres Anliegens unmittelbaren Bescheid oder vertagt die Antwort.«

»Um acht Uhr (der zweiten Stunde) erhebt er sich von seinem Thron und sucht entweder seine Schatzkammer oder den Pferdestall auf. Entschließt er sich auf die Jagd zu gehen, oder doch wenigstens auszureiten, so trägt ein Lieblingsknabe seinen Bogen; ist das Wild aber erst einmal umstellt, dann spannt er in mit eigener Hand, und nur selten verfehlt sein Pfeil das Ziel: als König bedeutet es ihm nichts, die Waffen zu so geringem Krieg zu führen; als Soldat jedoch würde er darüber erröten, irgendwelche Hilfe in militärischen Hantierungen anzunehmen, die er auch selbst hätte verrichten können.«

»An Werktagen unterscheiden sich seine Mahlzeiten in Nichts von denen eines Privatmannes; an Samstagen jedoch werden regelmäßig achtbare Gäste an die königliche Tafel geladen, welche bei solcher Gelegenheit mit griechischer Eleganz, gallischer Üppigkeit und italienischer Sorgfalt gedeckt ist. »Videas ibi elegantiam Graecam, abundantiam Gallicanam; celeritatem Italam; publicam pompam, privatam diligentiam, regiam disciplinam.«. Das Gold- und Silberbesteck ist weniger bemerkenswert durch seinen materiellen Wert als vielmehr durch die exzellente Ausführung der Schmiedearbeit; der Wohlgeschmack der Speisen wird nicht durch irgendwelche ausländischen Luxuszutaten erhöht; die Menge des ausgeschenkten Weines unterliegt strengem Mäßigungsgebot; und das feierliche Schweigen wird nur gelegentlich durch ernste und erhabene Wechselgespräche unterbrochen.«

»Nach dem Essen pflegt Theoderich gelegentlich süßen Schlummers; wacht er dann auf, ruft er nach Würfel und Spielbrett, ermuntert seine Freunde, seiner königlichen Würde zu vergessen und ist voller Vergnügen, wenn sie den Leidenschaften frönen, die nur die Zufälligkeiten des Glücksspiels aufzurufen imstande sind. Bei diesem Spiel, das für ihn eine Art Abbild des Krieges ist, offenbart er wechselweise Eifer, Geschick, Ausdauer und Fröhlichkeit. Verliert er, dann lacht er; gewinnt er, bleibt er bescheiden und zurückhaltend. Trotz seiner äußerlichen Gelassenheit versuchen die Höflinge die Gunst der Stunde zu nutzen und bitten bei einem Sieg um irgendwelche Gefälligkeiten; ich selber habe aus meinen Niederlagen so manchen Vorteil gezogen.« »Tunc etiam ego aliquid obsecraturus feliciter vincor, et mihi tabula perit ut causa salvetur.« Sidonius, der aus der Auvergne stammte, war kein Untertan des Theoderich, aber er war vermutlich genötigt, am Hofe von Toulouse Gerechtigkeit oder wenigstens Gunst zu suchen.

»Um die neunte Stunde (drei Uhr) beginnt erneut die Arbeit und dauert bis nach Sonnenuntergang, wenn das Zeichen zum Essen die ermüdete Schar der Bittstellenden und Anwälte entlässt. Während des Essens im kleineren Kreise treten bisweilen Pantomimen und Spaßmacher auf, um die Gesellschaft durch ihren Witz abzulenken, beileibe nicht zu kränken; Sängerinnen jedoch und der Klang sanfter Musik sind nachdrücklich verbannt vom Hofe, und nur kriegerisches Getöne, welches die Seele zu Ruhmestaten emporreißt, findet Eingang in Theoderichs Ohren. Dann erhebt er sich; und schon ziehen vor dem Schatzhaus, dem Palast und den privaten Gemächern die Nachtwachen auf.«

 

DER SPANIENFELDZUG · A.D. 456

Als dieser König der Westgoten Avitus ermunterte, den Purpur anzunehmen, bot er sich und seine Truppen als treue Soldaten des Staates zur Unterstützung an. Theoderich selbst hatte ein freiwilliges und feierliches Treugelübde getan, was in Spanien und Gallien durchaus bemerkt wurde:»...Romae sum, te duce, Amicus, Principe te, miles.« ...[mit dir als Führer bin ich ein Freund Roms, mit dir als Kaiser bin ich sein Soldat]. Sidonius, Panegyricus ad Avitium 511. Die Heldentaten Theoderichs überzeugten die Welt schon bald davon, dass auch in ihm die kriegerischen Tugenden seiner Vorfahren lebendig waren. Nachdem sich die Goten in Aquitanien festgesetzt und die Vandalen nach Afrika übergesetzt hatten, planten die Sueben nach Etablierung ihres Königreiches in Gallicia die Eroberung Spaniens und drohten, die furchtsamen Reste der einstigen römischen Kolonie auszulöschen. Die Provinzialen von Carthagena und Tarragona, bedroht von feindlicher Invasion, gaben ihre Notlage und Besorgnisse zu erkennen. Der comes Fonto ward im Namen des Kaisers Avitus entsandt, mit günstigen Angeboten Frieden und Bündnisverträge zu erhandeln; und Theoderich warf sich mit Nachdruck ins Mittel und erklärte, dass, wenn sein Schwager, der König der Sueben, nicht unverzüglich sich zurückziehe, er sich genötigt sehe, für die gerechte Sache der Römer zu den Waffen zu greifen. »Sagt ihm« so der hochmütige Rechiarius, »dass ich seine Freundschaft ebenso gering achte wie seine feindlichen Waffen; aber dass ich schon bald erproben will, ob er es wohl wagen möchte, meine Ankunft unter den Mauern von Toulouse abzuwarten.«

Eine derartige Herausforderung nötigte Theoderich, den kühnen Plänen seines Feindes zuvor zu kommen; er überquerte die Pyrenäen an der Spitze seiner Westgoten; Franken und Burgunder dienten zusammen unter seiner Standarte; und wenn er sich auch den getreuen Diener des Avitus nannte, so strebte er doch insgeheim für sich und seine Nachfolger nach der Alleinherrschaft über Spanien. Am Urbicus, einem Fluss etwa zwölf Meilen vor Astorga, trafen die beiden Heere – oder besser: Nationen – aufeinander; und nach dem entscheidenden Siege der Goten schienen Name und Königtum der Sueben für einige Zeit ausgelöscht. Vom Schlachtfeld eilte Theoderich indessen auf kürzestem Wege nach Braga, ihrer Hauptstadt, welche noch heutzutage die Spuren früherer Größe und vergangenen Glanzes erkennen lässt. »Quaeque sinu pelagi jactat se Bracara dives.« [Und das reiche Braca, das in einer Meeresbucht liegt]. Ausonius, de claris urbibus 11. Aus der Planung des Suebenkönigs können wir folgern, dass der Seeweg von den Häfen Gallicias zum Mittelmeer bekannt war und auch benutzt wurde. Die Schiff von Bracara (oder Braca) hangelten sich vorsichtig an der Küste entlang und waren ängstlich bemüht, sich nicht in den Weiten des Atlantik zu verlieren. Sein Einmarsch in die Stadt war nicht von Blut besudelt, und die Goten achteten die Keuschheit ihrer weiblichen Gefangenen, insonders der heiligen Jungfrauen; aber der größte Teil des Klerus und der Bevölkerung wurde zu Sklaven gemacht, und selbst die Kirchen und Altäre waren von der allgemeinen Plünderei nicht ausgenommen.

Der glückverlassene König der Sueben war zu einem der Atlantikhäfen entkommen; aber widrige Winde hinderten die Flucht; so blieb er einem unversöhnlichen Feinde ausgeliefert; und Rechiarius, der Gnade weder erfleht noch sie überhaupt erwartet hatte, bewahrte mannhafte Seelenruhe bis zu seinem Ende. Nach diesem Blutopfer an die Politik oder seine Rachegelüste führte Theoderich seine siegreichen Armeen bis nach Merida, der Hauptstadt von Lusitania, ohne dabei irgendwelchen Widerstand zu erfahren außer von der wundermächtigen Heiligen Eulalia; aber er wurde in seinem Siegeslauf aufgehalten und aus Spanien zurückgerufen, bevor er seine Eroberungen hatte absichern können. Bei seinem Rückzug zu den Pyrenäen musste das umliegende Land für seine Enttäuschung büßen; und besonders bei der Verwüstung von Pollentia und Astorgia erwies er sich als treuloser Bundsgenosse und grausamer Feind. Während der König der Westgoten noch im Namen von Avitus kämpfte und plünderte, war die Herrschaft des Avitus längst erloschen; und beides, die Ehre und die politischen Interessen Theoderichs, hatte der treulose Freund schwer verletzt, den er doch auf den Thron des Westens gehoben hatte. Der Bericht über den Suebenkrieg ist der genaueste Teil der Chronik des Idatius, welcher als Bischof von Iria Flavia ein Augenzeuge und ein Leidtragender war. Jordanes (Getica 44) verweilt mit Freuden bei dem Sieg der Goten.

 

AVITUS ABGESETZT 16. OKTOBER 456 · DER COMES RICIMER

Die drängenden Bitten des Senates und Volkes von Rom vermochten Avitus, seine Residenz dortselbst einzurichten und das Konsulat für das folgende Jahr anzunehmen. Zum ersten Januar verfasste sein Schwiegersohn Sidonius Apollinaris einen Jubel-Hymnus von sechshundert Zeilen; aber der künstlerische und der Wahrheitsgehalt dieser Komposition, die doch mit einer Bronzestatue In einem der Porticos oder Galerien der Trajansbiblothek unter den Statuen berühmter Autoren und Redner. Sidonius Apollinaris 9, Epistulae 16; Carmina 8. belohnt wurde, ist äußerst karg. Der Dichter – wenn wir denn diesen heiligen Namen derart profanisieren dürfen – übertreibt die Verdienste des Herrschers und Vaters; und seine Prophezeiung von einer dauerhaften und ruhmreichen Herrschaft wurde schon bald von der Ereignissen zurechtgerückt. In einer Zeit, da die kaiserliche Würde eigentlich nur noch ein Übermaß an Verdruss und Gefahr bedeutete, widmete Avitus sich vorrangig den Genüssen, die Italien bereithielt; das Alter hatte seine Neigung zu amourösen Abenteuern nicht eingeschläfert; und man beschuldigte ihn sogar, dass er die Ehemänner der von ihm verführten oder sogar vergewaltigten Frauen auch noch ausführlich verhöhnt habe. »Luxuriose agere volens a senatoribus projectus est.« [...er wollte ein Leben im Luxus führen, wurde aber von den Senatoren zuvor gestürzt], so der gedrängte Ausdruck des Gregor von Tours (2,11). Eine alte Chronik (Historiens de la France, Band 2, p. 649) spricht von einem obszönen Scherz des Avitud, der eher auf Rom als auf Trier passt.. Aber die Römer zeigten wenig Neigung, seine Fehler zu übersehen oder gegen seine Tugenden aufzurechnen. Die einzelnen Gebiete des Reiches wurden mit jedem Tag stärker voneinander abhängig; und der Fremdling aus Gallien war die Zielscheibe der allgemeinen Verachtung und Ablehnung. Der Senat erinnerte sich seines Vorrechtes, bei der Kaiserwahl mittun zu dürfen; und sein Ansehen, das ursprünglich auf Vorrechten von Verfassungsrang beruht hatte, erstarkte anlässlich der Krise der kaiserlichen Autorität erneut.

Aber selbst noch diese Monarchie hätte sich den Wünschen eines unbewaffneten Senates widersetzt, wenn dessen Ablehnung nicht von dem comes Ricimer, eines der Oberkommandierenden der zu Italiens Schutz aufgestellten Streitkräfte, unterstützt wenn nicht überhaupt erst veranlasst worden wäre. Ricimers Mutter war die Tochter des Westgotenkönigs Wallia; von väterlicher Seite war er ein Suebe; Sidonius rühmt Ricimers königliche Herkunft, die ihn, so die naheliegende Folgerung, zum gesetzmäßigen Erbe der gotischen und suebischen Königreiche mache.; sein Stolz oder Patriotismus mochte durch das Missgeschick seiner Landsleute erweckt worden sein; und nur mit Widerwillen gehorsamte er einem König, auf dessen Wahl er nicht hatte Einfluss nehmen können. Sein eifervoller und wirksamer Einsatz gegen den gemeinsamen Feind machte ihn noch bedrohlicher; Siehe die Chronik des Idatius. Jordanes (de rebus Geticis 44) nennt ihn mit einiger Wahrheit »virum egregium, et pene tunc in Italia ad exercitum singularem.« [Ein trefflicher Mann und im damaligen Italien als Krieger beinahe einmalig]. und nachdem er an der Küste Korsikas eine aus sechzig Galeeren bestehende Flotte von Vandalen zerstört hatte, kehrte er im Triumph und mit dem Ehrentitel eines Befreiers von Italien zurück.

Er nutzte die Gelegenheit, um Avitus davon in Kenntnis zu setzen, dass seine Herrschaft sich ihrem Ende zuneige; und der schwache Kaiser, fern von seinen gallischen Verbündeten, musste nach kurzem und wirkungslosem Widerstand des Purpurs entsagen. Ricimers Parcens innocentiae Aviti, [den unschuldigen Avitus schonend], so die Mitleid erregende, aber eigentlich verächtliche Anmerkung von Victor Tunnunensis (Chronica ad Eisebios). An anderer Stelle nennt er ihn vir totius simplicitatis [ein Mann voller Einfalt]. Diese Empfehlung ist noch demütigender, aber auch begründeter und aufrichtiger als die Lobeshymnen von Sidonius. Sanftmut – oder war es Geringschätzung? – erlaubte es Avitus, vom Kaiserthron auf den noch erstrebenswerteren Bischofssitz von Placentia zu wechseln; aber der Groll des Senats war noch nicht verflogen, und mit unnachsichtiger Strenge verhängte er das Todesurteil über ihn. Er floh in die Alpen mit der trübseligen Hoffnung, zwar nicht die Westgoten zu den Waffen zu sammeln, aber doch wenigstens sich selbst und seine Schätze im Heiligtum des Julian, des Titularheiligen der Auvergne, Man nimmt an, dass dieser unter Diokletians Verfolgungen zu leiden hatte (Tillemont, Mémoires ecclésiastiques, Band 5, p. 279 und 696). Gregor von Tours, einer seiner heftigen Verehrer, hat dem Ruhm von Julian, dem Märtyrer, ein ganzes Buch gewidmet (De gloria Martyrum, Buch 2), in dem er fünfzehn törichte Fabeln der von seinen Reliquien vollbrachten Wundertaten berichtet. in Sicherheit zu bringen.

Unterwegs wurde er von Krankheit oder der Hand des Henkers überwältigt; doch wurden seine sterblichen Reste in allen Ehren nach Brivas oder Brioude – seiner Heimat – verbracht, wo er zu Füßen seines heiligen Patrons ruht. Gregor von Tours (2,11) stellt die Herrschaft seines Landsmannes knapp, aber präzise dar. Die Worte des Idatius »caret imperio, caret et vita« [er entsagte der Herrschaft und dem Leben] legen die Vermutung nahe, dass Avitus' Tod gewaltsam war; aber dies muss dann heimlich geschehen sein, denn Evagrius nimmt noch an, dass er an der Pest gestorben sei. Avitus hinterließ nur eine Tochter, die Frau von Sidonius Apollinaris, der das Gut seines Schwiegervaters erbte; und der sich zugleich über das Scheitern seiner Karriere-Hoffnungen beklagt. Sein Verdruss bestimmte ihn schließlich, sich einer aufständischen Faktion in Gallien anzuschließen, oder doch wenigstens mit ihr zu sympathisieren; und die Schuld, die unser Dichter dadurch auf sich lud, machten es ihm zur Pflicht, sich durch eine neuerliche Schmeichel-Adresse an den nachfolgenden Herrscher reinzuwaschen. Nach einer Berufung auf seine Brüder Vergil und Horaz gesteht Sidonius ehrlich seine Schuld ein und verspricht, sie abzutragen. (Carmina 4, 11-14). Siehe auch Dubos, Histoire critique Band 1, p. 448ff.

 

DIE WAHL VON MAIORIAN · A.D. 457

In dem Nachfolger des Avitus begegnen wir – angenehm überrascht – einem der großen und heldenhaften Charaktere, wie sie in einem verkommenen Zeitalter gelegentlich wohl anzutreffen sind und die Ehre einlegen für das Menschengeschlecht. Der Kaiser Maiorian hat die Hochachtung seiner Zeitgenossen genauso verdient wie der Nachwelt; und diese Hochachtung findet starken Ausdruck in den Worten eines unparteiischen und neutralen Historikers: »Dass er höflich war zu seinen Untertanen; dass er fürchterlich war seinen Feinden; und dass er in allen Tugenden alle seine Vorfahren übertraf, die jemals über Rom herrschten.« Prokopios, De bello Vandalico 1,7. Eine gedrängte, aber auch vollständige Beschreibung von Herrschertugenden. Dieses Zeugnis würde gut zu dem Panegyricus des Sidonius passen; und selbst wenn dieser Gefälligkeits-Dichter mit vergleichbarer Ergebenheit ein solches Lob auch über den unwürdigsten aller Herrscher ausgeschüttet haben würde, so können wir uns doch mit der Versicherung beruhigen, dass in diesem speziellen Falle die außergewöhnlichen Verdienste des Belobten ihn in den Grenzen der Wahrheit hielten. Der Panegyricus wurde in Lyon vor Ende des Jahres 458 gehalten, als der Herrscher noch das Konsulat innehatte. Die Rede enthielt mehr Kunstfertigkeit als Geist und mehr Angestrengtheit als Kunstfertigkeit. Das schmückende Beiwerk ist falsch oder trivial; die Ausdrucksweise ist blass und langweilig; außerdem fehlt Sidonius die Fähigkeit, die Hauptfigur in einem deutlichen und hellen Licht erscheinen zu lassen. Das Privatleben des Maiorianus wird auf etwa zweihundert Zeilen ausgebreitet (107-305).

Maiorian hatte seinen Namen vom Großvater mütterlicherseits, der Kommandeur der illyrischen Grenztruppen unter dem großen Theodosius gewesen war. Er verheiratete seine Tochter mit dem Vater unseres Maioran, einem honorigen Beamten, welcher die Steuereinkünfte Galliens getreulich verwaltet hatte und mehr auf die Freundschaft des Aëtius Wert legte als auf die trügerischen Lockungen des Hofes. Sein Sohn, der künftige Kaiser, der das Waffenhandwerk von Anfang an gelernt hatte, zeigte schon in frühester Jugend unerschütterten Mut, Klugheit, die seinem Alter voraus war sowie unbegrenzte Freigebigkeit trotz karger Vermögensverhältnisse. Er folgte den Feldzeichen des Aëtius, trug das Seine zu dessen Erfolgen bei, hatte Teil an dessen Ruhm, übertraf ihn zuweilen sogar, und erregte endlich den Neid des Patriciers, oder genauer: seiner Frau, die ihn schließlich nötigte, seinen Abschied zu nehmen. Sie bestand sogar auf seinem augenblicklichen Tod und gab sich mit seinem Zustand der Schmach schwerlich zufrieden. Es scheint, dass Aëtius – ähnlich wie Belisar oder Marlborough – unter der Fuchtel seines Weibes stand; für die glühende Religiosität, mochte sie auch Wunder wirken (Gregor von Tours, 2,7), mit hinterhältigen und bluttriefenden Ratschlägen durchaus keinen Gegensatz darstellten.

Nach dem Tode des Aëtius wurde Maiorian zurückberufen und befördert; und seine gute Bekanntschaft zum comes Ricimer war der entscheidende Impuls, der ihn auf den Thron des Westens beförderte. Solange der Thron nach der Abdankung des Avitus verwaist stand, herrschte der ehrgeizige Barbar, dessen Herkunft ihn von der Thronfolge ausschloss, über Italien mit dem Titel eines patricius; trat seinem Freund die bedeutende Stellung eines Heermeisters der Kavallerie und Infanterie ab; und beugte sich ein paar Monate später dem einhelligen Votum der Römer, deren Gunst Maiorian durch einen Sieg über die Alamannen erworben hatte. Die Alamannen hatten die Rhätischen Alpen überquert und waren in den Campi Canini oder dem Tal von Bellinzona besiegt worden, durch welches der Tessin auf seinem Wege vom Mons Adula zum Lago Maggiore fließt (Cluver, Italia antiqua, Band 1, p. 100). Dieser gewaltige Sieg über sage und schreibe neunhundert Barbaren (Panegyricus ad Maiorianum 373f.) verrät die äußerste Schwäche Italiens. Zu Ravenna empfing er den Purpur, und der Brief, den er bei dieser Gelegenheit an den Senat schrieb, kann am besten seine Lage und sein Denken darlegen:

»Eure Wahlentscheidung, versammelte Väter, und der Wunsch einer machtvollen Armee haben mich zu Eurem Kaiser gemacht. »Imperatorem me factum, P. C. electionis vestrae arbitrio, et fortissimi exercitus ordinatione agnoscite.« Novellae Maioriani 3, am Schluss des Codex Theodosianus. Sidonius (Carmina 5, 386) verkündet des Recjes einmütige Meinung: »Postquam ordine vobis Ordo omnis regnum dederat; plebs, curia, miles, Et collega simul.« (...achdem dir alle Stände den Thron übergeben hatten, Plebejer, Senat, Heer und Amtsollege...). Diese Sprache ist die althergebrchte Verfassungssprache, und wir merken zudem, dass der Klerus noch nicht als eigenständiger Stand innerhalb des Staates angesehen wurde. Möge die gnadenreiche Gottheit meiner Regierung günstig und förderlich sein, zu Eurem Vorteil und zum Wohlergehen des Volkes. Was mich betrifft, ich habe mich nach diesem Amte nicht gedrängt, ich habe es auf mich genommen; ich hätte mich auch gar nicht den Pflichten eines guten Bürgers entziehen können, wenn ich mich in selbstsüchtiger und undankbarer Weise geweigert hätte, die Mühen auf mich zu nehmen, die mir vom Staat nun einmal auferlegt worden sind. Helft daher dem Herrscher, den Ihr gewählt habt; habt Teil an solchen Pflichten, die auch die Euren sind; und mögen unsere gemeinsamen Anstrengungen das Glück des Reiches mehren, das ich aus Eurer Hand empfangen habe. Seid versichert, dass das Recht noch zu Euren Lebzeiten zu seiner althergebrachten Stärke zurückehren und dass Tugend nicht nur eine unschuldige, sondern eine verdienstliche Größe sein wird. Niemand als die Urheber selbst sollen sich vor Denuntiation delationes; auch dilationes (Verzögerungen) kann gelesen werden; aber delationes ergibt einen wesentlich besseren Sinn, weshalb ich mich für diese Lesart entschieden habe. fürchten müssen, welche ich als Untertan immer verflucht habe und die ich als Herrscher unverbrüchlich bekämpfen werde. Unsere eigene Wachsamkeit und die unseres Vaters Ricimer sollen ausschlaggebend für unsere militärischen Aktivitäten sein und für die Sicherheit der römischen Welt Sorge tragen, die wir bis heute vor äußeren und inneren Feinden bewahrt haben »Ab externo hoste et a domestica clade liberavimus.« Unter dem Letzteren muss Maiorian die Tyrannis des Avitus verstanden haben; dessen Tötung er folgerichtig als eine verdienstliche Tat ansieht. An dieser Stelle ist Sidonius furchtsam und von unbestimmter Ausdrucksweise; er redet von den zwölf Caesaren, den afrikanischen Völkern &c, auf dass er den heiklen Namen Avitus vermeide (305-369). So wollt Ihr denn auch die Maximen meiner Herrschaft verstehen: Ihr möget auf die treue Zuneigung und zuverlässige Hilfe eines Herrschers rechnen, welcher bis vor kurzem Euer Weggefährte gewesen ist, der sich immer noch stolz Senator nennt und der ängstlich darauf bedacht ist, dass Ihr niemals die Entscheidung bereuen möget, die Ihr zu seinen Gunsten getroffen habt.«

Der Kaiser, der inmitten der Trümmer der römischen Welt alte Gerechtigkeits- und Freiheitsideale beschwor, dass selbst ein Traian daran seine Freude gehabt hätte, muss diese großen Worte in sich selbst vorgefunden haben; denn die Bräuche der Gegenwart gaben ihm hierin kein Vorbild ab, geschweige denn die Beispiele seiner Vorgänger. Man sehe den vollständigen Wortlaut des Ediktes oder Schreibens von Maiorian an den Senat Novellae 4, p. 34.. Nur der Ausdruck Regnum nostrum entspricht in etwa dem Zeitgeschmack, harmoniert aber nur wenig mit dem Wort respublica, welches er oft im Munde führt.

 

SEINE SEGENSREICHE GESETZGEBUNG · A.D 457-461

Nur wenig wissen wir über Maiorians private Aufführungen und seine öffentliche Tätigkeit; seine Gesetze indessen, die bemerkenswert sind für ihren Reichtum an neuartigen Gedanken und Ausdruck, lassen uns eine Herrscherpersönlichkeit erkennen, der sein Volk liebte, der mit ihm fühlte in seiner Not, der viel über die Gründe des Niederganges des Reiches nachgedacht hatte und der entschlossen war, in solcher Situation auf Abhilfe zu sinnen. Siehe am Ende des Codex Theodosianus die Gesetze des Maiorianus (es sind ihrer nur neun, allerdings lang und mannigfach). Gothofred hat diese Zusätze unkommentiert gelassen. – wenn sie denn überhaupt noch praktikabel gewesen wäre. »Fessas provincialium varia atque multiplici tributorum exactione fortunas, et extraordinariis fiscalium solutionum oneribus attritas,« ...(die durch die vielen verschiedenen Abgaben erschöpften und durch zusätzliche fiskalische Lasten vernichtete Vermögen der Provinzialen). Novellae Majorian 4. Seine Anordnungen, die Finanzen betreffend, waren darauf angelegt, die schwersten Bedrängnisse wenn schon nicht abzustellen, so doch abzumindern.

I. Von der ersten Stunde seiner Herrschaft an war er ängstlich besorgt darum (ich übersetze hier seine eigenen Worte), den ausgelaugten Vermögensverhältnissen der Provinzialen Erleichterung zu verschaffen, welch unter Zinsen und Zinseszinsen stöhnten. Er erließ ein allgemeine Amnestie, einen endgültigen und unwiderruflichen Erlass aller Tributzahlungen und aller Schuldforderungen, welche die Finanzbeamten unter welchen Vorwand auch immer gegen die Bevölkerung erhoben hatten. Dieser weise Verzicht auf obsolete, willkürliche und unprofitable Ansprüche erwies sich für das Steuerwesen als außerordentlich segensreich; und der Untertan, der nunmehr den Rücken frei hatte, mochte mit vermehrtem Eifer für sich und sein Land an seine Arbeit gehen.

II. Bei der Festlegung und Eintreibung der Steuern stellt Maiorian die ursprüngliche Gerichtsbarkeit wieder her und löste die außerordentlichen Steuerkommissionen auf, welche im Namen des Kaisers oder der jeweiligen Reichspräfekten ins Leben gerufen worden waren. Die jeweiligen Favoriten, die diese außergesetzlichen Machtmittel in der Hand gehalten hatten, waren schlichtweg unverschämt in ihrem Benehmen und willkürlich in ihren Forderungen gewesen; sie gaben vor, die untergeordneten Gerichtsbarkeiten zu verachten und waren nicht zufrieden, bis ihre Einkünfte und Profite ihre vorher an die Staatskasse geleisteten Vorauszahlungen nicht wenigstens um das Doppelte übertrafen. Es gibt ein Beispiel für ihre Raubsucht, das wir nicht glauben würden, würde sich der Gesetzgeber nicht für die Richtigkeit verbürgt haben. Sie verlangten die gesamte Zahlung in reinem Gold; aber sie verweigerten die Annahme der gegenwärtigen legalen Reichsmünze und waren nur bereit, die alten Münzen zu akzeptieren, welche mit den Namen der Faustina oder der Antonine geprägt waren. Der Untertan, der diese seltene Münze nicht besaß, blieb nicht anderes übrig, als sich mit ihrem räuberischen Begehr zu vergleichen; besaß er jedoch solche Münzen, dann wurde die Forderung flugs verdoppelt, entsprechend dem Metallwert und dem Gewicht früherer Zeiten. Der gelehrte Greaves (Works, Band 1, p. 329ff.) hat durch sorgfältige Forschungen herausgefunden, dass die aurei der Antonine 118 und die des V. Jh. nur noch 68 englische Grains (59 mg) wogen. Maiorianus setzte alle Goldmünzen in Umlauf, ausgenommen den gallischen Solidus wegen seines Mangels nicht an Gewicht, sondern an Gehalt.

III. »Die städtischen Körperschaften« (so der Kaiser) »die niederen Senate« (so nannte da Altertum sie zutreffend) »werden zu Recht als das Herz und die Seele der Republik bezeichnet. Und doch sind sie gegenwärtig so tief gesunken, vorwiegend durch die Schuld der Magistrate und die Willkür der Steuereintreiber, dass viele ihrer Mitglieder Würde und Heimat gering veranschlagen und ein abgelegenes und vergessenes Exil vorziehen.« Er drängt auf ihre Rückkehr zu den jeweiligen Städten, ja, er beschwört sie nahezu; aber er beseitigt auch die Belastungen, die sie zum Verlassen ihrer städtischen Pflichten genötigt hatte. Sie erhielten Anweisung, im Namen der Provinzial-Regierung die Steuererhebungen wieder aufzunehmen; aber nunmehr wurden sie nicht mehr für die Gesamtsumme verantwortlich gemacht, die für die betreffende Region festgesetzt worden war, vielmehr wurde von ihnen getreue Rechnungslegung über die bereits erhaltenen Summen verlangt sowie die Nennung der säumigen Zahler, die dem Staat noch etwas schuldig geblieben waren.

IV. Indessen war sich Maiorian durchaus bewusst, dass diese Körperschaften allesamt begierig waren, das Unrecht und die Unterdrückung zu vergelten, die sie durchlitten hatten; und so belebte er das nutzbringende Amt des » Verteidigers der Stadt« (Defensor civitatum). Er ermuntert die städtische Bevölkerung, in freier und vollständiger Versammlung einen Mann von Reputation zu wählen, welcher es auf sich nehmen wolle, ihre Vorrechte zu verteidigen, ihre Bedrückungen zu erleichtern, die Armen gegen die Willkür der Reichen zu schützen und den Kaiser von allen Missgriffen in Kenntnis zu setzen, die in seinem Namen begangen worden waren.

 

ZERFALL DER RÖMISCHEN BAUWERKE

Der Betrachter, der einen melancholischen Blick auf die Ruinen des antiken Rom wirft, ist in Versuchung, das Andenken an die Goten und Vandalen zu verfluchen für die Verwüstungen, die zu vollführen sie in Wirklichkeit weder die Zeit, die technische Handhabe noch überhaupt die Neigung hatten. Kriegsstürme mögen den einen oder anderen himmelwärts strebenden Turm zu Boden werfen; aber das Zerstörungswerk, das die Fundamente jener massiven Prachtbauten unterhöhlte, vollzog sich langsam und unauffällig im Laufe von zehn Jahrhunderten; und der Eigennutz, der später scham- und hemmungslos wütete, wurde wenigstens durch Kaiser Maiorans Geschmack und Geist im Zaume gehalten. Durch den Niedergang der Stadt verloren auch die öffentlichen Gebäude an Bedeutung. Zirkus und Theater mochten nach wie vor das Interesse des Publikums wachrufen, aber den Bedürfnissen des Volkes kamen sie nicht entgegen; in den Tempeln, die dem christlichen Fanatismus entgangen waren, wohnten keine Götter und Menschen mehr; in den gewaltigen Bädern und Porticos verloren sich nur noch karge Reste von Roms geschrumpfter Bevölkerung; und die wohlbestückten Bibliotheken waren nutzlos für ein träges Geschlecht, das sich aus seinem Dauerdämmern durch Geistesarbeit nicht gerne aufstören ließ.

Die Monumente konsularischer oder imperialer Größe dienten nicht länger als Gedenkstätten unsterblichen Ruhmes, sondern wurden nur noch hoch geschätzt als unerschöpfliche Materiallieferanten, bedeutend billiger und handlicher als die fernen Steinbrüche. Beständig wurden die gleichgültigen Magistrate Roms mit Petitionen belagert, die dann auch prompt den Bedarf an Steinen und Ziegeln für irgendwelche Bauvorhaben anerkannten; die schönste Architektur wurde so auf rohe Weise für irgendwelche armseligen oder sogar nur vorgeschützten Reparaturen drangegeben; und die verkommenen Römer ruinierten so mit frevelnder Hand die Anstrengungen ihrer Ahnen. Maiorian, der oftmals über den traurigen Zustand der Stadt geseufzt hatte, verschrieb gegen das wachsende Übel eine kräftige Kur. Das gesamte Edikt ist bemerkenswert (Novellae Maioriani 6): »Antiquarum aedium dissipatur speciosa constructio; et ut [earum] aliquid reparetur, magna diruuntur. Hinc iam occasio nascitur, ut etiam unusquisque privatum aedificium construens, per gratiam iudicum ... praesumere de publicis locis necessaria, et transferre non dubitet...« [Die herrliche Architektur alter Gebäude wird ruiniert, und damit irgendetwas ausgebessert werden kann, wird Großes zerstört. Dies ist auch die Ursache, dass jemand, der sich ein Privathaus bauen will, nicht ansteht, mit richterlicher Genehmigung das Erforderliche von den öffentlichen Gebäuden an sich zu nehmen und fort zu schaffen]. Ebenso eifervoll, wenn auch kraftloser wiederholt Petrarca im XIV Jahrhundert die gleichen Klagen. (Vie de Petrarque, Band 1, p. 326f.). Sollte ich diese Geschichte einmal fortsetzen, werde ich des Zerfalls der Stadt Rom sicherlich eingedenk sein – ein interessanter Gegenstand, auf den sich mein Plan ursprünglich beschränkte.

Er behielt sich und dem Senat die letzte Entscheidung für den äußersten Fall vor, der die völlige Zerstörung eines antiken Gebäuden bedeutet hätte; legte jedem Magistrat eine Strafe von fünfzig Pfund Gold auf (zweitausend Pfund Sterling), wenn er eine solche gesetzwidrige und ungeheuerliche Erlaubnis erteilen sollte; und drohte eben dem in gesetzeswidriger Weise gehorsamen Subalternen Züchtigung in Form von Auspeitschen und Abschlagen beider Hände an. In letzter Konsequenz mochte hier die Gesetzgebung das rechte Verhältnis von Schuld und Strafe vergessen haben; aber sein Eifer hatte achtbare Gründe, denn Maioran war bemüht, das Gedächtnis an jene Zeiten lebendig zu erhalten, in denen zu leben er sich gewünscht haben mochte und wohl auch verdient hatte.

Dem Kaiser war bewusst, dass es sein Interesse war, die Zahl seiner Untertanen zu mehren; dass es zu seinen Pflichten gehörte, die Reinheit des Ehebettes zu schützen; aber die Mittel, durch die er diese heilsamen Vorhaben auszuführen suchte, waren zweifelhaft, vielleicht sogar anfechtbar. Die frommen Jungfrauen, die ihre Jungfernschaft Christus widmeten, durften den Schleier erst nach Ablauf ihres vierzigsten Jahres nehmen. Witwen unter diesem Alter mussten eine zweite Ehe innerhalb von fünf Jahren eingehen, wenn sie nicht ihr halbes Vermögen an ihre nächsten Verwandten oder den Staat abtreten wollten. Standesunterschiedliche Heiraten wurden für ungültig erklärt und annulliert. Vermögensentzug und Exil für Ehebruch wurden als derart unverhältnismäßig milde Strafen angesehen, dass der Schuldige auf Maiorians ausdrückliche Anordnung ungestraft erschlagen werden durfte, wenn er sich wieder in Italien blicken ließ. Der Kaiser tadelt die Milde von Rogatian, eines Konsulars aus der Toscana mit einer scharfen Rüge, die fast wie ein persönlicher Angriff klingt (Novellae 9). Das Gesetz Maiorians, mit dem er widersetzliche Witwen bestrafte, wurde von seinem Nachfolger Severus aufgehoben (Novellae Severi 1).

 

MAIORAN BEREITET DIE INVASION AFRIKAS VOR · A.D 457

Während Kaiser Maiorian nach Kräften bemüht war, Wohlfahrt und Moral der Römer zu heben, stieß er zugleich mit Geiserichs Waffen zusammen, der aufgrund seiner Energie und strategischen Position der schlimmste Feind Roms war. Eine Flotte mit Vandalen und Mauren landete an der Mündung des Liris oder Garigliano; aber kaiserliche Truppen überrumpelten die ungeordneten Barbaren, die unter der Last ihrer campanischen Beute schwankten; man jagte sie zu ihren Schiffen, metzelte sie nieder, und ihr Anführer, der Schwager des Königs, war unter den Toten. Sidonius, Panegyricus ad Maiorianum 385-440. Hinter dieser Wachsamkeit mochte man wohl die neue Regierung vermuten; aber auch die schärfste Achtsamkeit und die mächtigsten Truppenkontingente waren unzureichend, um die langgestreckte Küste Italiens gegen die Überfälle von See her zu schützen. Die öffentliche Meinung hatte für Maiorians Genius eine größere Aufgabe vorgesehen. Rom traute allein ihm die Wiederherstellung der Kolonie Afrika zu; und der Plan, den er ausspann, nämlich die Vandalen in ihren eigenen Siedlungsgebieten anzugreifen, war das Ergebnis einer ebenso kühnen wie durchdachten Politik. Wenn denn der furchtlose Herrscher imstande gewesen wäre, seinen kühnen Geist der italischen Jugend einzuflößen; wenn er auf dem Marsfeld die kriegerischen Tugenden, in denen er alle anderen stets übertroffen hatte, doch nur hätte wiederbeleben können: dann hätte er Geiserich mit einer römischen Armee angreifen können.

Emporstrebende Geschlechter hätten sich solchen Neubeginns unterziehen können; aber es ist das Unglück jener Herrscher, die einer danieder liegenden Monarchie vorstehen, dass sie um eines augenblicklichen Vorteils willen oder zur Abwehr einer drohenden Gefahr sich genötigt finden, die schlimmsten Missbräuche nicht nur zu dulden, sondern oft sogar zu vermehren. So war Maiorian denn wie der schwächste seiner Vorgänger gehalten, zu dem schmachvollen Auskunftsmittel zu greifen, nämlich gemietete Barbarentruppen an die Stelle seiner kriegsunlustigen Untertanen zu berufen; und seine überlegenen Fähigkeiten konnten sich nur in der Durchschlagskraft und der Geschicklichkeit erweisen, mit der er diese zweischneidige Waffe handhabte, die so leicht auf den zurückfallen kann, in dessen Hand sie geführt wird. Zusammen mit den Verbündeten, die sich bereits in kaiserlichen Diensten befanden, lockte der Ruf seiner Freigebigkeit und seiner Macht die Völker der Donau, des Borysthenes und vielleicht sogar der Theiss. Tausende der tapfersten Untertanen Attilas, die Gepiden, Ostgoten, Rugianer, Burgunder, Sueben, Alanen strömten auf den liguruschen Ebenen zuhauf; und nur ihrer gegenseitige Abneigung hielt ihrer ungeheuren Macht die Waage. Die Heerschau und die Überquerung der Alpen sind noch der beste Teil des Panegyricus (470-552). Herr de Buat kommentiert (Histoire des peuples, Band 8, p. 49-55) diesen Zusamnmenhang besser als Savaron und Sirmond. Sie überquerten in einem strengen Winter die Alpen. Der Kaiser zog den ganzen Weg zu Fuß und in voller Rüstung; er ließ die Dicke des Eises und Schnees mit einem Stab sondieren, und er hob den Mut der Skythen, die sich über die bittere Kälte beklagten, durch die fröhliche Zusicherung, die Hitze Afrikas werde sie reichlich entschädigen.

Die Bürger Lyons hatten es für besser befunden, vor ihm die Tore zu schließen; schon bald erflehten sie seine Milde, die ihnen denn ja auch gewährt wurde. Er überwand Theoderich im Felde; und gewann anschließend zu seinem Freundeskreis und Verbündeten einen König hinzu, der sich seines – Maiorians – Heeres durchaus als würdig erwies. Die segensreiche, wenngleich eigennützige Wiedervereinigung der größten Teile Spaniens mit denen von Gallien war das Ergebnis von Überredung, angereichert mit Gewaltanwendung [Ü.a.d.Griech.: Teils durch Waffen, teils durch Worte&, lautet die zutreffende und nachdrückliche Unterscheidung des Piscus (Excerptio Lagationum, fr. 27) in einem kurzen Fragment, das viel Licht auf die Geschichte Mariorians wirft. Jordanes hat die Niederlage und das Bündnis der Westgoten übergangen so wie das Bündnis, das in Galicien feierlich ausgerufen und in der Chronik des Hydatius vermerkt wird.; und auch die unabhängigen Bagauden, welche sich den Untwerfungsversuchen früherer Regierungen erfolgreich entzogen oder sogar widersetzt hatten, zeigten Bereitschaft, sich Maioran zu ergeben. In seinem Lager wimmelte es von verbündeten Barbaren. Sein Thron wurde vom Eifer eines ergebenen Volkes geschützt; aber dem Kaiser war nicht entgangen, dass die Wiederoberung Arikas ohne eine mächtige Flotte ein Ding der Unmöglichkeit sein müsse.

Im ersten Punischen Krieg hatte die Republik solche unfassbaren Anstrengungen unternommen, dass seit dem ersten Axthieb, der im Wald erklang, nur sechzig Tage vergingen, bis eine stolze Flotte von einhundert Schiffe auf Reede lag. Florus amüsiert sich bei der märchenhaften Vorstellung, dass sich die Bäume gleichsam von selbst in Schiffe verwandelt hätten; und in der Tat bewegt das ganze Unternehmen, so wie es Polybius im ersten Buch erzählt, in einem etwas zu großen Abstand von dem, was menschenmöglich ist. Unter weitaus widrigeren Umständen konnte Maiorian wenigstens mit dem Geist und der Zähigkeit der alten Römer gleichziehen. Die Wälder des Apennin wurden niedergeholzt; die Arsenale und Waffenschmieden von Ravenna und Misenum wurden entmottet; Italien und Gallien wetteiferten förmlich miteinander um die größten Beiträge zu diesem öffentlichen Dienst; und die kaiserliche Flotte, dreihundert große Galeeren und eine entsprechende Anzahl von Versorgungsschiffen und kleineren Einheiten, sammelte sich in dem sicheren und geräumigen Hafen des spanischen Karthagena. »Interea duplici texis dum littore classem Inferno superoque mari, cadit omnis in aequor Silva tibi...« [Inzwischen hast du an der doppelten Küste Flotten für das obere und untere Meer (Adria und Tyrrhenisches Meer), und der ganze Wald fiel ins Meer]. Sidonius, Panegyricus ad Maiorianum 441ff. Die Anzahl der Schiffe, die Priscus mit 300 festlegt, wird durch den unpräzisen Vergleich mit den Flotten des Agamemnon, Xerxes und Augustus noch vegrößert. Maiorians ungebrochener Optimismus übertrug auch auf seine Soldaten eine gewisse Siegeszuversicht; und wenn wir dem Historiker Procopius glauben dürfen, dann veranlasste ihn sein Mut oftmals zu Taten, die außerhalb der menschlichen Klugheit lag. So hat er, begierig, den von ihm angegriffene Staat der Vandalen mit eigenen Augen zu sehen, sein Haar gefärbt und Karthago als sein eigener Botschafter aufgesucht; und tatsächlich ärgerte sich Geiserich hinterher mächtig über die Entdeckung, dass er den Kaiser der Römer empfangen und wieder entlassen habe. Man kann dieses Geschichtchen als unglaubwürdige Erfindung zurückweisen; aber es ist eine Erfindung von der Art, die nur im Leben eines Helden hatte Platz finden können. Prokopios, de bello Vandalico 1,7. Als Geiserich seinen unerkannten Gast durch die Arsenale Carthagos führte, begannen die Waffen in dem ihnen eigenen Rhythmus zu rasseln, heißt es. Seine blonden Locken hatte Maiorian übrigens schwarz eingefärbt.

 

DIE FLOTTE WIRD AN EINEM EINZIGEN TAG VERNICHTET · MAIORANS TOD · A.D. 461

Auch ohne persönliche Inaugenscheinnahme war Geiserich mit dem Genius und den Plänen seines großen Gegners hinreichend vertraut. Er praktizierte seine üblichen Fertigkeiten, Trug und Lug und Verstellung, aber er übte sie vergeblich. Seine Friedensersuchen wurden von Stunde zu Stunde flehentlicher, und womöglich sogar aufrichtiger; der unbeugsame Maiorian hatte sich die Maxime der alten Römer zu eigen gemacht, dass es für Rom keine Sicherheit geben können, solange Karthago eine feindliche Stellung einnehme. Der Vandalenkönig veranschlagte die Kampfstärke seiner Landsleute nicht eben hoch, denn sie waren im Luxus des Südens »...spoliisque potitus Immensis, robur luxu jam perdidit omne, Quo valuit dum pauper erat.« [im Besitz von unmessbarer Beute, hat er durch Luxus alles ruiniert, was ihn während seiner Armut stark gemacht hat]. Sidonius, Panegyricus ad Maiorianum 330. Später schreibt er Geiserich – wohl zu Unrecht – die Laster seiner Untertanen zu. vollständig verkommen; auch misstraute er der Zuverlässigkeit der unterworfenen Völkerschaften, zumal sie ihn als einen arianischen Gewaltherrscher verabscheuten; und sein Versuch, Mauretanien in eine Wüstenei zu verwandeln, Er ließ die Dörfer niederbrennen die Brunnen vergiften (Priscus p. 42). Dubos (Histoire critique, Band 1, p. 475) merkt dazu an, dass die von den Mauren unter der Erde angelegten Magazine bei diesen Verwüstungen unentdeckt blieben. Es wurden zwei- bis dreihundert Vorratsgruben an ein und derselben Stelle angelegt, wobei jede wenigstens 400 Bushel Getreide (1 bushel = 34,3 l) fasste. Shaw, Travels, p.139. war nur ein Verzweiflungsakt und konnte die Maßnahmen des Römischen Kaisers nicht nennenswert behindern, der sich im Gegenteil den Landeplatz für seine Truppen an der nordafrikanischen Küste nach Belieben aussuchen konnte.

Aber Geiserich konnte dem drohenden und unausweichlichen Untergang noch einmal entkommen, weil einige verräterische Untertanen ihrem Herren den Erfolg neideten oder sich vor ihm fürchteten. Durch heimliche Zeitung gewarnt, überrumpelte er die ungeschützte Flotte in der Bucht von Karthago; zahlreiche Schiffe wurden versenkt, gekapert oder verbrannt; und so gingen die Vorbereitungen von drei Jahren an einem einzigen Tage zuschanden. Hydatius, der in Galizien fern von Ricimers Macht in Sicherheit war, erklärt kühn und geradeheraus, dass »Vandali, per proditores admoniti« [die Vandalen, durch Verräter gewarnt]; den Namen des Verräters verhehlt er uns indessen.

Immerhin zeigten sich beide Gegner nach diesem Ereignis als Meister ihres Schicksals. Der Vandale wurde ob dieses Zufallserfolges keineswegs übermütig, sondern erneuerte augenblicklich seine Friedensbemühungen. Der Kaiser des Westens, der genauso gut großer Entwürfe fähig war, wie er bittere Rückschläge wegstecken konnte, war mit dem Vertrag, oder besser: dem Waffenstillstand einverstanden; denn er hatte die Gewissheit, dass er noch vor der Fertigstellung seiner Flotte genügend Gründe für die Fortsetzung des Krieges haben würde. Maiorian kehrte also nach Italien zurück, um sich das öffentliche Wohl angelegen sein zu lassen.

Im sicheren Bewusstsein seiner persönlichen Unbescholtenheit mochte er lange nichts von der finsteren Verschwörung bemerkt haben, die ihm nach dem Thron und dem Leben trachtete. Die kürzliche Niederlage bei Karthago machten in den Augen der Masse den Ruhm zunichte, den er bis dahin erworben hatte; fast jeder militärische oder zivile Rangträger war gegen den Reformer aufgebracht, da sie aller Vorteile verlustig gegangen waren, die sie aus den – von ihm abgestellten – Amtsmissbräuchen zu erlangen gehofft hatten; und der patricius Ricimer brachte die wankelmütigen Barbaren gegen den Herrscher auf, den er selbst hochschätzte und zugleich hasste. Maiorians Tugenden konnten die Meutereien nicht verhindern, welche im Lager bei Tortona am Fuße der Alpen ausbrachen. Er wurde gezwungen, den kaiserlichen Purpur abzulegen; fünf Tage nach seiner Abdankung, so wird überliefert, starb er an der Ruhr; Prokopios, de bello Vandalico 1,8. Hydatius' Zeugnis ist fair und unparteiisch: »Maiorianum de Galliis Romam redeuntem, et Romano imperio vel nomini res necessarias ordinantem, Richimer livore percitus, et ›invidorum‹ consilio fultus, fraude interficit circumventum « [Maiorianus war auf dem Rückweg von Gallien nach Rom, um wichtige Staatsangelegenheiten für das Reich und das Volk zu regeln; Ricimer, missgünstig und von Neidern bestärkt, ermordete den Bedrängten hinterlistig]. Einige lesen ›Suevorum‹ statt ›invidorum‹, und ich bin nicht gesonnen, eines der Worte zu streichen, da sie die verschiedenen Mitschuldigen dieser Verschwörung gegen Maiorianus nennen. und sein schlichtes Grab wurde erst durch die Verheerung der folgenden Generationen geheiligt Siehe das Epigramm Nr. 135 von Ennodius, bei Sirmond, Opera Varia, Band 1, p. 1903. Es ist platt und unverständlich; aber Ennodius wurde erst fünfzig Jahre nach Maiorians Tod zum Bischof von Pavia gewählt, und so verdient sein Lob Anerkennung und Glauben. Als Mensch verdiente Maiorian Liebe und allen Respekt. Für bösartige Verleumdung oder Satire erübrigte er nur Unwillen oder, wenn es um ihn selbst ging, Verachtung; aber er stand doch für die Freiheit des Geistes; und im Freundes- und Familienkreis gab er sich durchaus aufgeräumt und charmant, ohne dabei seines hohen Amtes zu vergessen. Sidonius schildert mit ermüdender Detailfreude (1, Epistulae 11, 12) ein Essen in Arles, zu dem Maiorian ihn kurz vor seinem Tode eingeladen hatte. Er hatte nicht die Absicht, den verstorbenen Kaiser zu rühmen, aber eine kleine Randbemerkung, »Subrisit Augustus; ut erat, auctoritate servata, cum se communioni dedisset ioci plenus,« [Der Augustus lachte lauthals; er konnte unter Bewahrung seiner Würde ganz fröhlich sein, wenn er in geselliger Runde war hat mehr Gewicht als die 600 Zeilen dieser gekauften Jubelrede.

 

SEVERUS WIRD RICIMERS PUPPENKAISER A.D. 461-467

Es geschah vermutlich nicht ohne einige innere Kämpfe, dass Ricimer seinen Freund im Interesse seines eigenen Ehrgeizes aufopferte; aber anschließend vermied er es in kluger Weise, noch einmal der überlegenen Tugend und den Verdiensten den Vorzug zu geben. Der Senat, stets gewärtig seines Winks, versah Libius Severus mit dem Kaisertitel, der den Thron des Westens bestieg, ohne jemals in irgendeiner Weise aufgefallen zu sein. Die Geschichte hat es nicht über sich gebracht, von seiner Geburt, seinem Aufstieg und seinem Ende irgend Notiz zu nehmen. Sobald Severus seinem Patron lästig wurde, musste er sterben; Sidonius (Panegyricus ad Anthemium 317) schickt ihn in den Himmel: »Auxerat Augustus naturae lege Severus Divorum numerum.« [Es wurde aufgrund des Naturrechtes der Augustus Severus zu den Göttern erhoben]. Eine alte Kaisertabelle aus der Zeit Justinians rühmt seine Frömmigkeit und nennt Rom seine Residenz. Sirmond, Anmerkungen zu Sidonius, p. 111f. und es wäre sinnlos, den sechs ereignisleeren Jahren, die zwischen Maiorians Tod und der Ernennung des Anthemius lagen, einen eigenen Abschnitt zuzuteilen. In dieser Zeit war die Regierung ganz und gar in Ricimers Händen; und obgleich der Barbar bescheiden blieb und nur den Namen eines Königs für sich beanspruchte, so häufte er Schätze an, stellte eine eigene Armee auf, schloss private Bündnisverträge und beherrschte Italien ebenso unangefochten und despotisch wie nach ihm Theoderich und Odoacer. Aber sein Herrschaftsbereich endete an den Alpen; und zwei römische Feldherren, Marcellinus und Aegidius, bewährten ihre Staatstreue, indem sie der Puppe, die den Kaiser gab, ihre Anerkennung verweigerten.

 

ERHEBUNG DES MARCELLINUS IN DALMATIEN...

Marcellinus war sogar noch Anhänger der alten Religion; und die ihm ergebenen Heiden, die insgeheim den Gesetzen der Kirche und des Staates den Gehorsam schuldig blieben, bewunderten seine hervorragenden divinatorischen Fähigkeiten. Aber er verfügte auch über höhergewichtige Qualifikationen wie etwa Bildung, bürgerliche Tugenden und persönlichen Mut; Tillemont, dem die Tugenden der Ungläubigen allemal verdächtig sind, schreibt dieses günstige Portrait des Marcellinus (welches die Suidas nun einmal überliefert hat) dem parteiischen Eifer einiger heidnischer Historiker zu. Histoire des empereurs, Band 6, p. 330. am Studium der Lateinischen Literatur hatte er seinen Geschmack geschult und durch seine militärische Talente die Wertschätzung und das Vertrauen des großen Aëtius erworben, in dessen Sturz er übrigens auch verwickelt war. Durch rechtzeitige Flucht entkam er dem wutschnaubenden Valentinian und rettete inmitten der Umwälzungen des Westreiches Freiheit und Leben. Seine freiwillige – oder auch nicht freiwillige – Unterwerfung unter die Autorität des Maiorian wurde mit der Provinzialherrschaft über Sizilien belohnt sowie mit dem Kommando über die Armee, welche auf der Insel stationiert war und deren Aufgabe es war, die Vandalen abzuwehren oder sogar ihrerseits anzugreifen; aber die Miet-Krieger der Barbaren wurden nach dem Tod des Kaisers durch Ricimers berechnete Freigebigkeit zur Revolte veranlasst. An der Spitze treu ergebener Gefolgsleute besetzte der furchtlose Marcellinus die Provinz Dalmatien, nahm den Titel eines patricius des Westens an, erwarb die Zuneigung seiner Untertanen durch ein mildes und gerechtes Regime, ließ eine Flotte zimmern, mit der er die Herrschaft über die Adria für sich reklamierte und setzte die Küste Italiens und Afrikas in Alarmstimmung. Prokopios, de bello Vandalico 1,6. Die vielfältigen Begebenheiten aus dem Leben des Marcellinus werden bei Prokopios und den lateinsprachigen Chronisten höchst unterschiedlich dargestellt und sind nur schwer zu vereinbaren.

 

...UND DES AEGIDIUS IN GALLIEN

Aegidius, der Statthalter Galliens, der den alten römischen Heroen nacheiferte oder sie doch wenigstens nachahmte, Das Lob, das Sidonius einem ungenannten Heermeister (dem Kommandierenden General von Maiorian, der die Nachhut befehligte) zuteil werden lässt (Panegyricus ad Maiorianum 553), muss ich auf Aegidius übertragen. Hydatius rühmt seine christliche Frömmigkeit, Priscus (p. 42) sein militärisches Talent. gelobte seinen unverwelklichen Hass gegen die Mörder seines geliebten Herrn. Eine wackere und zahlreiche Armee sammelte sich unter seiner Fahne; und wenn er auch durch Ricimers Ränke und eine Armee aus Westgoten daran gehindert wurde, direkt auf die Stadt zu marschieren, behielt er doch jenseits der Alpen seine Machtstellung und empfahl den Namen Aegidius gleichermaßen für Friedens- und Kriegszeiten. Die Franken wählten den römischen General zum König, nachdem sie Childerich wegen allerlei Jugendtorheiten ins Exil verbannt hatten; durch diese einmalige Ehrerweisung war seine Eitelkeit, wenn schon nicht sein Ehrgeiz ruhig gestellt. Und als die Nation vier Jahre später Reue empfand über das Unrecht, das sie der Familie der Merowinger zugefügt hatte, fügte er sich ohne Murren in die Inthronisation des rechtmäßigen Herrschers. Aegidius' Machstellung endete erst mit seinem Tod; und den Verdacht, es möchten Gift und heimliche Gewalttat eine Rolle gespielt haben, welche Vermutung sich denn ja auch trefflich zu Ricimers Charakterbildung fügen würde, griff die nachgerade leidenschaftlichen Leichtgläubigkeit der Gallier bereitwillig auf. Gregor von Tours 2,12. Der Pére Daniel, der eine Reihe moderner und gehaltloser Ideen vertritt, hat gegen die Geschichte des Childerich einige Einwände erhoben (Histoire de France, Band 1, Préface, p. 77ff.); aber durch Dubos (Histoire critique, Band 1, p. 460-510) und zwei weitere Autoren wurde sie richtiggestellt – übrigens haben beide um den Preis der Akademie von Soisson gestritten. Hinsichtlich des Exils von Childerich muss man das Leben des Aegidius entweder über den in der Chronik des Hydatius genannten Termin verlängern, oder man muss den Text des Gregor verbessern, indem man quarto und nicht octavo anno liest.

 

SEEKRIEGE GEGEN DIE VANDALEN A.D. 461-467

Das Königreich Italien – auf diese Bezeichnung wurde das Westreich allmählich verkleinert – wurde unter der Herrschaft Ricimers beständig von den Raubzügen der Vandalen bedrängt. Geiserichs Seekrieg wird beschrieben von: Priscus (Excerpta Legationum, fr. 29); Procopius (de Bello Vandalico, 1,5 und 22); Victor Vitensis (de Persecutione Vandalorum 1,17); Ruinart (Historia persecutionis Vandalicae, p. 467-481). Außerdem noch in drei Panegyricen des Sidonius, deren chronologische Anordnung unklugerweise in die Ausgaben von Savaron und Sirmond übernommen wurde: Carmen ad Avitum 7,441-451; Carmen ad Maiorianum 5, 327-350 und 385-440; Carmen ad Anthemium 2, 348-386. In jedem Frühjahr rüsteten sie im Hafen von Karthago eine respektable Flotte aus; und Geiserich, obschon in sehr fortgeschrittenem Alter, kommandierte in höchsteigener Person jedes dieser Unternehmungen. Bis zu dem Augenblick, wo die Segel gesetzt wurden, waren seine Pläne von einem undurchdringlichen Schleier des Geheimnisses umhüllt. Fragte ihn sein Steuermann nach dem Kurs, antwortete der Barbar mit frömmelnden Zynismus: »Überlass das dem Wind; er wird uns zu der schuldbeladenen Küste bringen, deren Bewohner den göttlichen Gerechtigkeitssinn beleidigt haben.« Ließ sich Geiserich jedoch zu präziseren Angaben herab, so befand er, dass die Reichsten notwendig auch die Verworfensten sein müssten.

Die Vandalen plünderten wiederholt die Küsten von Spanien, Ligurien, der Toscana, Campanien, Lucanien, Bruttium, Apulien, Calabrien, Venetien, Dalmatien, Epirus, Griechenland und Sizilien; auch versuchten sie eine Unterwerfung Sardiniens, das strategisch günstig im Zentrum des Mittelmeeres lag; und so verbreiteten ihre Waffen Schrecken und Furcht von den Säulen des Herkules bis zur Mündung des Nil. Da es ihnen weniger um Ruhm als um Beute ging, vermieden sie die Belagerung befestigter Städte und ließen sich auch auf keinerlei Gefechte mit regulären Truppen ein. Da sie aber äußerst beweglich waren, waren sie imstande, gleichsam zur gleichen Zeit die entferntesten Objekte anzugreifen, die ihre Begehrlichkeiten erregt hatten; und da sie stets eine ausreichende Zahl von Pferden an Bord hatten, überschwemmten sie jedes mal die heimgesuchte Landschaft mit Schwadronen leichter Kavallerie.

Indessen, des Vorbildes ihres Königs ungeachtet, wurden die eingeborenen Vandalen und Alanen dieses mühseligen und unsicheren Geschäftes allgemach müde; die kriegsgewohnte erste Generation der Eroberer war fast erloschen, und ihre Söhne, die bereits in Afrika auf die Welt gekommen waren, erfreuten sich der köstlichen Bäder und Lustgärten, die die Kraft ihrer Väter erobert hatte. An ihre Stelle waren Mauren und Römer, Kriegsgefangene und Randexistenzen getreten; und diese Kriminellen, die bereits die Gesetze ihres Heimatlandes übertreten hatten, gebärdeten sich auch auf Geiserichs siegreichen Fahrten am grausamsten. Bei der Behandlung seiner unglücklichen Gefangenen ließ sich er bisweilen von Habgier leiten, beim nächsten Mal der Brutalität. Die Ermordung von fünfhundert angesehen Bürgern von Zakynthos, deren verstümmelte Leichname er in das Ionische Meer werfen ließ, wurde durch das kollektive Gedächtnis noch seinen spätesten Nachfahren vorgehalten.

 

VERHANDLUNGEN MIT DEM KAISER DES OSTENS · A.D. 462

Derlei Verbrechen ließen sich durch keine Provokation entschuldigen; aber der Krieg der Vandalen gegen Rom hatte einen einleuchtenden und vernünftigen Grund. Die Witwe von Valentinian, Eudoxia, die er als Gefangene von Rom nach Karthago geführt hatte, war die einzige Erbin der theodosianischen Dynastie; Eudocia, ihre älteste Tochter, wurde gegen ihren Willen die Frau seines ältesten Sohnes Hunnerich; und der Vater reklamierte nachdrücklich einen gesetzlichen und schwer zurückzuweisenden oder anderweitig zu befriedigenden Anspruch auf Teilhabe an der imperialen Gewalt. Der Kaiser des Ostens, für den die Bewahrung des Friedens staatsnotwendig war, bot einen angemessenen oder doch wenigstens schätzbaren Ausgleich. Eudoxia und ihre jüngere Tochter Placidia wurden in allen Ehren wieder eingesetzt, und so zielte der Zorn der Vandalen in erster Linie auf das Westreich. Die Italiener, denen eine schlagkräftige Flotte zum Schutz ihrer Küste fehlte, erbaten die Hilfe der glücklicheren Nationen des Ostens, welche vorher für Friedens- und Kriegszeiten Roms Suprematie anerkannt hatten. Aber die dauerhafte und endgültig Teilung der beiden Reiche hatte ihre unterschiedlichen Interessen und Zielsetzungen entstehen lassen; ein kürzlich geschlossener Friedensvertrag wurde zitiert; und anstelle von Waffen oder Schiffen gab es für die Römer des Westens nur eine halbherzige und wirkungslose Vermittlung. Der hochmütige Ricimer, der immer mit den Schwierigkeiten seiner Stellung zu kämpfen hatte, musste sich schließlich als schlichter Untertan dem Thron Konstantinopels annähern; und Italien musste, als Preis für Hilfe und Sicherheit, sich einen Herren von Konstantinopels Gnaden gefallen lassen. Selbst der Dichter ist gehalten, die Notlage Ricimers anzuerkennen(2,352): ...praterea invictus Ricimer, quem publica fata/ Respiciunt, proprio solus vix Marte repellit/ Piratam per rura vagum.../ [...auch schlägt der unbesiegte Ricimer, von dem das Geschick des Staates Schutz erwartet, allein auf sich gestellt, kaum die Piraten zurück, die an unserer Küste streifen]. Italien wendet sich klagend an den Tiber, und Rom wendet sich auf Drängen seiner Flussgottheit nach Konstantinopel, ruft die alte Freundschaft in Erinnerung und fleht bei Aurora, der Göttin des Ostens, um freundschaftliche Hilfe. Diese fabulösen Wirkmächte, die Claudian nach Belieben ge- und missbraucht hatte, sind für die Muse des Sidonius die beständige und trübe Quelle. Es ist nicht unsere Absicht, in vorliegendem Kapitel oder sogar vorliegendem Bande die spezielle Geschichte Konstantinopels darzustellen; aber ein gedrängter Überblick über die Herrschaft und den Charakter des Kaisers Leo kann diese letzten Anstrengungen zur Rettung des untergehenden Westreiches möglicherweise erklären. Die Originalschriften mit der Darstellung von Marcians, Leos und Zenos Regierungen sind bis auf ein paar Fragmente verloren; diese Lücken müssen daher die jüngeren Kompilationen von Theophanes, Zonaras und Cedrenus füllen.

 

LEO I, KAISER DES OSTENS A.D. · 457-474

Nach dem Tode von Theodosius dem Jüngeren war die Ruhe Konstantinopels kein einziges Mal durch Krieg oder Faktionshader aufgestört worden. Pulcheria hatte ihre Hand und das Szepter des Ostens Marcians gemäßigter Tugend anvertraut; mit Ehrfurcht respektierte er ihren hochachtbaren Rang und ihre jungfräuliche Reine, und nach ihrem Tode gab er seinem Volk ein Beispiel für die religiöse Verehrung, die dem Andenken dieser kaiserlichen Heiligen geschuldet war. St. Pulcheria starb A.D. 453, vier Jahre vor ihrem nominellen Gatten, und ihr Fest wird von den modernen Griechen am 10. September gefeiert; sie hinterließ eine gigantische Stiftung für fromme, oder doch wenigstens kirchliche Zwecke. Tillemont, Mémoires ecclésiastiques, Band 15, p. 181-184. Da Marcian seine Aufmerksamkeit wesentlich dem Gedeihen seiner eigenen Besitzungen widmete, blieb er Roms Schicksal gegenüber von kaltem Gleichmut; und so wurde die hartnäckige Weigerung dieses braven und rüstigen Herrschers, sein Schwert gegen die Vandalen zu ziehen, auf ein geheimes Versprechen zurückgeführt, dass ihm Geiserich während seiner Gefangenschaft abgepresst hatte. Siehe Prokopios, de bello Vandalico 1,4.

Marcians Tod nach siebenjähriger Herrschaft hätte dem Osten eine Wahl durch das Volk beschert, wenn nicht der massive Einfluss einer einzigen Familie die Waage zu Gunsten des von ihr unterstützten Kandidaten geneigt hätte. Der Patricius Aspar hätte das Diadem wohl auf sein eigenes Haupt gesenkt, wenn er denn bereit gewesen wäre, das Nicäische Glaubensbekenntnis zu unterschreiben. Wegen dieses Ausschlusses Aspars von der Thronbesteigung kann man schließen, dass der Makel der Häresie ewig und untilgbar war, während der der Barbarischen Herkunft bereits in der zweiten Generation erlosch. Drei Generationen lang hatten sein Vater, er selbst und sein Sohn Ardaburius mit Erfolg die Heere des Ostens geführt; seine ausländische Leibwache war so mächtig, dass sie Stadt und Palast von Konstantinopel in dauernde Besorgnis versetzte; und durch die großherzige Verteilung seiner ungemessenen Reichtümer machte sich Aspar ebenso beliebt, wie er einflussreich war. Er sprach sich für den völlig unbekannten Leo aus Thrakien aus, einen Militärtribun und seinen obersten Hausvorsteher. Der Senat stimmte seiner Ernennung mit Einmütigkeit zu; und so erhielt der Diener des Aspar die Kaiserkrone aus der Hand seines eigenen Herren oder Bischofs, der durch diese ungewöhnliche Zeremonie die Zustimmung der Gottheit mitzuteilen die Erlaubnis erhalten hatte. Theophanes, p. 95. Hier scheint der Ursprung der Zeremonie zu liegen, der sich alle hristlichen Herrscher der Welt seither unterworfen haben, und aus der der Klerus die grässlichsten Schlussfolgerungen abgeleitet hat.

Dieser Kaiser Leo, der erste seines Namens, wurde durch den Beinamen der Große ausgezeichnet angesichts einer langen Reihe von Nachfolgern, welche nach Auffassung der Griechen nur noch ein erbärmliches Helden- oder doch wenigstens Herrscherniveau repräsentierten. Aber die freundliche Bestimmtheit, mit welcher Leo den Annäherungen seines Wohltäters sich widersetzte, zeigt deutlich, dass er sich seiner Pflichten und Vorrechte durchaus bewusst war. Aspar war indigniert, dass sein Einfluss dem Präfekten von Konstantinopel keine Vorschriften mehr machen konnte: er unterfing sich, seinem Herrscher den Bruch von Versprechungen vorzuhalten, und sagte, wobei er an dem Purpur zupfte: »Es ist nicht wohlgetan, dass der Mann, der dieses Kleid trägt, sich einer Lüge schuldig mache.« »Noch weniger ist es wohlgetan (dies Leos Antwort), dass ein Herrscher genötigt werde, sein eigenes Urteil und das öffentliche Interesse dem Willen eines Untertanen zu unterwerfen.« Kedrenos (p. 346), der mit den Schreibern aus besseren Zeiten auf vertrautem Fuße stand, hat die bemerkenswerten Worte Aspars aufbehalten.

Nach dieser außergewöhnlichen Szene konnte die Aussöhnung zwischen Herrscher und Patricius nichts weniger als aufrichtig sein; oder wenigstens fest und dauerhaft. Heimlich wurde eine Armee aus Isauriern Die Macht der Isaurier hielt noch zwei nachfolgende Herrscher, Zeno und Anastasius, in Atem; aber es endete mit dem Untergang dieser Barbaren, die ihre naturwüchsige Unabhängigkeit immerhin 230 Jahre bewahrt hatten. angeworben und in Konstantinopel eingeschleust; und während Leo das Ansehen der Familie des Aspar untergrub und auf ihren Sturz hinarbeitete, hielt sein vorsichtiges und mildes Wesen sie von unüberlegten und fatalen Aktionen ab, die sich für sie selbst oder ihre Feinde als verhängnisvoll hätten erweisen können. Durch diese innenpolitischen Umwälzungen waren auch die Entscheidungen über Krieg und Frieden berührt. Solange Aspar die Fundamente des Thrones unterwühlte, begünstigte er in seiner religiösen Geheimkorrespondenz die Sache Geiserichs. Sobald Leo sich aus diesem entwürdigenden Verhältnis losgelöst hatte, hatte er ein Ohr für die Anliegen der Italiener; zeigte sich entschlossen, die Vorrangstellung der Vandalen zu brechen; und erklärte Anthemius zu seinem Verbündeten, den er denn auch feierlich mit dem Purpur und Diadem des Westkaisers investierte.

 

ANTHEMIUS HERRSCHER DES WESTENS · A.D. 467-462

Die Tugenden des Anthemius sind unter Umständen durch die Nachwelt vergrößert worden, da seine kaiserliche Abstammung, die sich nur bis auf den Thronräuber Procopius zurückverfolgen ließ, zu einer ganzen Geschlechterfolge von Kaisern aufgebläht wurde. »Tali tu civis ab urbe Procopio genitore micas; cui prisca propago Augustis venit a proavis.« [Du, Bürger aus einer solchen Stadt, strahlst bei einem Vorfahren wie Prokopios; der alten Nachkommenschaft von augusteischem Geblüt]. Dann erzählt der Dichter Sidonius (Panegyricus ad Anthemium 67-306) Leben und Taten des künftigen Kaisers, mit denen er ja kaum bekannt gewesen sein dürfte. Aber die Verdienste seiner leiblichen Eltern, ihre Geltung und ihr Reichtum machten ihn zu einem der berühmtesten Untertanen des Ostens. Sein Vater Procopius wurde nach seiner persischen Gesandtschaftsreise in den Rang eines Generals und patricius erhoben. Und den Namen Anthemius hatte er nach seinem Großvater mütterlicherseits erhalten, welcher mit so viel Umsicht und Erfolg Theodosius im Kindesalter geschützt hatte. Der Enkel dieses Mannes hatte durch seine Heirat mit Euphemia, der Tochter des Kaisers Marcian, seine Stellung deutlich über die eines normalen Untertanen erhoben. Diese glänzende Allianz, welcher es allerdings ein wenig an Verdienst gebrach, befeuerte die Karriere des Anthemius durch die aufeinander folgenden Stufen des comes, Heermeisters, Konsul und patricius; und seine Verdienste – oder sein Glück – sprachen ihm einen Sieg über die Hunnen an der Donau zu. Ohne besonderen Ehrgeiz entwickeln zu müssen, durfte sich der Schwiegersohn des Marcian Hoffnungen auf dessen Nachfolge machen; das Scheitern seiner Hoffnungen trug Anthemius mit Tapferkeit und Geduld; und seine verspätete Ernennung wurde vom Publikum beifällig aufgenommen, da es ihm – zumindest bis zu seiner Thronbesteigung – die Befähigung zu diesem Amt zutraute. Sidonius entdeckt mit gehörigem Witz, dass diese Rückschläge den Tugenden des Anthemius neuerlichen Glanz verlieh (210ff), da er auf ein Szepter verzichtete und ein anderes nur widerstrebend annahm (22ff.).

 

12. APRIL 467

Der Herr des Westens brach von Konstantinopel auf, begleitet von mehreren Hochrangigen des Hofes und einer Leibwache, die an Kampfkraft und Anzahl einer gängigen Armee gleichkam; er zog in Rom im Triumph ein, und Leos Wahl wurde durch den Senat, das Volk und die ausländischen Verbündeten Italiens bestätigt. Auch hier feiert der Dichter die Einstimmigkeit aller Stände und Ordnungen (15-22); und die Chronik des Hydatius vergisst nicht den Hinweis auf das kriegerische Gefolge, das seinen Einmarsch begleitete. Auf die festliche Amtseinführung des Anthemius folgten die Feierlichkeiten anlässlich der Hochzeit seiner Tochter mit dem patricius Ricimer: ein glückhaftes Ereignis, welches man allgemein als zuverlässig Vorzeichen für das inskünftige Gedeihen des Staatswesens ästimierte. Ausgiebig stellte man den Reichtum der beiden Imperien zur Schau; und viele Senatoren vollendeten ihren Ruin, indem sie in der Absicht, ihre Armut zu verbergen, viel zu teuren Aufwand betrieben. Die Geschäfte ruhten während dieser Lustbarkeiten; die Gerichtshöfe blieben geschlossen; die Straßen Roms, die Theater sowie öffentliche und private Lokalitäten waren erfüllt von allerlei Hochzeitsgesängen und -bräuchen; und die königliche Braut, mit Seidengewändern angetan und einer Krone im Haar, wurde in den Palast des Ricimer geleitet, der seinerseits die Kriegstracht ab- und die Zunfttracht der Senatoren und Konsuln angelegt hatte. Bei dieser denkwürdigen Gelegenheit trat Sidonius, dessen frühere Entwürfe so kläglich gescheitert waren, als Redner in der Delegation der Auvergne auf, um dem Thron Glückwünsche oder Klagen vorzutragen. »Interveni etenim nuptiis Patricii Ricimeris, cui filia perennis Augusti in spem publicae securitatis copulabatur.« [Ich kam zur Eheschließung des Patriziers Ricimer hinzu, dem die Tochter des unsterblichen Augustus verheiratet wurde, was einen Hoffnungsschimmer für die Sicherheit des Reiches bedeutete]. Sidonius' Reise von Lyon und die Feiern in Rom sind recht geistreich beschrieben in 1, Epistulae 5 und 6..

 

1. JANUAR 468

Die Kalenden des Januar nahten, und der käufliche Dichterling, der Avitus geliebt und Maiorian geschätzt hatte, ließ sich von seinen Freunden bereden, in Heldenversen die Verdienste, das Glück, das zweite Konsulat und die künftigen Triumphe des Kaisers Anthemius zu feiern. Sidonius verfasste nicht ohne Wirkung eine geschmackvolle Lobrede, die auf uns gekommen ist; und welche Unzulänglichkeiten der Gegenstand oder die Dichtung auch immer haben mochten, der willkommene Schmeichler wurde unverzüglich mit der Präfektur Roms belohnt; eine Ehrung, die ihn mit den wichtigsten Männer des Imperiums gleichstellte, bis er dann voll Weisheit zu dem angesehenen Amt eines Heiligen und Bischofs überwechselte. Sidonius (1, Epistulae 9,8) lässt uns deutlich seine Motive, seine Anstrengungen und seine Belohnung wissen: »Hic ipse Panegyricus, si non iudicium, certe eventum, boni operis accepit.« [Dieses Loblied hätte, wenn nicht Beifall, so doch den Erfolg eines guten Werkes gezeitigt]. Er wurde A.D. 471 zum Bischof von Clermont ernannt. Tillemont, Mémoires ecclésiastiques, Band 16, p. 750..

 

DAS LUPERCALIENFEST

Die Griechen lassen es sich angelegen sein, die Frömmigkeit und katholische Glaubensfestigkeit des Kaisers zu rühmen, den sie dem Westen geschenkt hatten; auch verfehlen sie nicht anzumerken, dass er nach seiner Abreise aus Konstantinopel aus seinem Palast eine fromme Stiftung gemacht habe mit einem Bad für das Publikum, einer Kirche und einem Hospital für alte Männer. Der Palast des Anthemius stand am Ufer der Propontis (Marmarameer). Im IX Jh. erhielt Alexius, der Schwiegersohn von Kaiser Theophilus, die Erlaubnis, das Grundstück zu erwerben; er beendete sein Leben in einem Kloster, das er auf diesem erlesenen Stückchen Land gegründet hatte. Du Cange, Constantinopolis christiana, p. 117 und 152. Es gibt jedoch einige Verdachtsmomente, die die Gottesfrömmigkeit es Anthemius zu besudeln imstande sind. Durch den Umgang mit Philolethus, einem makedonischen Sekretär, hatte er den Geist religiöser Duldsamkeit in sich aufgenommen; und Roms Häretiker hätten sich straflos versammeln können, wenn nicht das kühne und heftige Interdikt des Papstes Hilarius zu St. Peter ihn bestimmt hätte, von dieser unpopulären Teilnahmslosigkeit abzustehen. »Papa Hilarius...apud beatum Petrum Apostolum, palam ne id fieret, clara voce constrinxit, in tantum ut non ea facienda cum interpositione juramenti idem promitteret Imperator.« [Papst Hilarius verbot beim heiligen Apostel Petrus mit deutlicher Stimme, dass das nicht öffentlich geschehe, im gleichen Sinne, wie der Kaiser dasselbe unter Eid verspräche, dass es nicht geschehen dürfe]. Gelasius Epistola ad Andronicum, bei Baronius A.D. 467, No. 3. Der Kardinal bemerkt mit Selbstgefälligkeit, dass Häresien in Konstantinopel viel leichter an Boden gewännen als in Rom.

Selbst die Heiden, eine verängstigte und ohnmächtige Splittergruppe, schöpfte infolge der Glaubenskälte oder sogar Parteilichkeit des Anthemius eine nichtige Hoffnung; und seine tiefe Freundschaft zu dem Philosophen Severus, den er sogar zum Konsul machte, gab Anlass zu dem Verdacht, es solle insgeheim die obsolete Verehrung der alten Götter erneuert werden. Damaskios in der Vita des Philosophen Isidoros, bei Photios, p. 1049. Damaskios, der unter Justinian lebte, verfasste ein weiteres Werk, das 570 Märchen von Seelen, Dämonen und übernatürlichen Erscheinungen enthält: Das platonische Heidentum im Zustand der Senilität.

Diese Götzen waren allesamt zu Staub zerfallen, und die Mythologie, die einst der Glauben der Völker gewesen war, war mittlerweile derart angezweifelt, dass ein christlicher Dichter sich ihrer bedienen mochte, ohne sofort Skandal oder Verdacht zu erregen. In dem dichterischen Werk des Sidonius – er hat es später allerdings verdammt (9,Epistulae 16) – spielen die Fabelgötter der Vergangenheit die Hauptrolle. Und wenn Hieronymus bereits von Engeln gegeißelt wurde, weil er Vergil gelesen hatte, dann verdient sich der Bischof von Clermont für solche matte Imitation eine zusätzliche Auspeitschung durch die Musen. Aber die Burgen des Aberglaubens waren noch nicht endgültig geschleift, und das Lupercalienfest, dessen Ursprünge noch vor der Gründung Roms liegen, wurde auch unter Anthemius nach wie vor begangen. Seine wilden und archaischen Rituale waren kennzeichnend für Gesellschaften, die noch nicht durch Kunst oder Landbau veredelt waren. Die ländlichen Gottheiten, die über Freud und Leid des Hirtenlebens wachten, Pan und Faunus und ihr Anhang aus Satyrn, waren so gestaltet, wie die Phantasie der Hirten sie sich wohl vorstellen mochte: verspielt, launisch, sinnlich; mit begrenzter Macht und von harmloser Arglist. Eine Ziege war das Opfer, das am besten zu ihrem Charakter und ihren Bedürfnissen passte; das Fleisch des Opfertieres wurde an Spießen von Weidenholz geröstet; und die ungebärdige Jugend, die zu diesem Fest zusammengekommen war, rannte nackt über die Felder, Lederriemen in den Händen, um dadurch den Fruchtbarkeitssegen auf die Weiber herab zu beschwören, welche sie berührten. Ovid (Fasti, 2, 267-352) hat uns eine amüsante Beschreibung von den Torheiten der Alten gegeben, die immer noch soviel Andacht erregte, dass ein würdiger Beamter, der nackt durch die Straßen zog, durchaus nicht zum Gegenstand der Befremdung oder des Gelächters wurde.

Der von dem Arkadier Evander in einem dunklen Winkel des Palatins errichtete Pan-Altar wurde durch eine nie versiegende Quelle bewässert und von einem Wäldchen beschattet. Die Überlieferung, dass an dieser Stelle die Wölfin Romulus und Remus gesäugt habe, machte sie den Römern noch heiliger und achtbarer; doch wuchsen allmählich um diesen Waldflecken die städtischen Gebäude des Forums empor. Siehe Dionysius Halicarnassos 1,79. Donati (Roma vetus ac recens, Buch 2, p. 173f.) und Nardini (Roma antica, p. 386f.) die römischen Altertumsforscher, haben versucht, das Lupercal zu bestimmen. Auch nach der Bekehrung der Kaiserstadt fuhren die Christen fort, im Februarmond das jährliche Fest der Lupercalien zu begehen; schrieben sie ihnen doch einen geheimen, mysteriösen Einfluss auf die Zeugungskräfte der Tiere und der Pflanzen zu. Die Bischöfe Roms waren eifersüchtig bestrebt, diesen weltlichen Brauch abzustellen, der dem Geiste des Christentums so offenkundig entgegen stand; aber die zivilen Magistrate zeigten sich ihrem Eifer abgeneigt: der eingefleischte Missbrauch blieb bis zum Ende des fünften Jahrhunderts am Leben; und Papst Gelasius, der die Stadt von diesem letzten heidnischen Stein des Anstoßes befreite, beschwichtigte mit einer offiziellen Entschuldigung Senat und Volk, welche dawider murrten. Baronius hat aus den Manuskriptsammlungen des Vatikans den Brief des Gelasius veröffentlicht (A.D. 496, Nr. 28-45), mit dem Titel »Adversus Andromachum Senatorem, caeterosque Romanos, qui Lupercalia secundum morem pristinum colenda constituebant.« [Gegen den Senator Andromachus und die übrigen Römer, welche die Lupekalien nach alter Sitte zu feiern beschlossen]. Gelasius argwöhnt stets, dass seine Gegner nur formal Christen seien, und um ihnen an albernen Vorurteilen nicht nachzustehen, sieht er in diesem unschuldigen Fest die Quelle für alle Übel der Zeit.

 

KRIEGSVORBEREITUNGEN GEGEN DIE VANDALEN A.D. · 468

In allen öffentlichen Verlautbarungen unterstreicht Kaiser Leo die Autorität seines Sohnes Anthemius und versichert ihn seiner Zuneigung, mit dem er sich die Herrschaft über das Universum geteilt habe. »Itaque nos quibus totius mundi regimen commisit superna provisio.... Pius et triumphator semper Augustus filius noster Anthemius, licet Divina Majestas et nostra creatio pietati ejus plenam Imperii commiserit, potestatem, etc« [Und so hat die himmlische Vorhersehung, die uns die Herrschaft über alles Erdreich überlassen hat...Der fromme und immer siegreiche Augustus, unser Sohn Anthemius – die göttliche Majestät und meine Wahl erlauben es, seiner Frömmigkeit das vollständige Oberkommando anzuvertrauen...]. Soweit der würdige Stil des Leo, den Anthemius voller Achtung ›Mein Herr und Vater, heiligster Fürst‹ nennt. Siehe Novellae Anthemii 2 und 3 am Schluss des Codex Theodosianus. Leos Lage und wohl auch sein Charakter rieten ihm von den Mühen und Gefahren eines afrikanischen Feldzuges ab. Aber dennoch wurden die Kräfte des Ostens gewaltig angestrengt, um Italien und den Mittelmeerraum von den Vandalen zu säubern; und Geiserich, der so lange über Länder und Meere geherrscht hatte, sah sich unversehens von allen Seiten bedrängt. Der Präfekt Heraclius Der Feldzug des Heraclius ist von Schwierigkeiten umdunkelt (Tillemont, Histoire des empereurs Band 6, p. 640), und nur mit viel Fingerspitzengefühl kann man Theophanes' Umständlichkeiten benutzen und dabei zugleich Procopios' verständiger Darstellung gerecht werden. eröffnete mit einem kühnen und erfolgreichen Unternehmen die Kampagne. Unter seinem Kommando wurden Truppen aus Ägypten, Thebais und Lybien eingeschifft; und mit Pferden und Kamelen öffneten die Araber den Weg in die Wüste. Heraclius landete an der Küste von Tripoli, überrumpelte und besetzte die Städte dieser Kolonie und schickte sich an, sich durch einen Gewaltmarsch, den Cato einst vollführt hatte, mit den kaiserlichen Truppen unter den Mauern von Karthago zu vereinen. Catos Marsch von Berenike in der Provinz Cyrene war bedeutend länger als der des Heraclius von Tripoli. Er durchquerte die schwergängige Sandwüste in dreißig Tagen, und es war nötig gewesen, neben der normalen Verpflegung eine große Anzahl von Wasserschläuchen bereit zu stellen sowie mehrere »psylloi«, denen man eine besondere Fähigkeit nachsagte, die Wunden auszusaugen, die die Schlangen ihres Heimatlandes gebissen hatten. Plutarch, Cato Uticensis 56; Strabo, Geographica 17, p. 1193.

Die Nachricht von diesem Verlust bestimmte Geiserich zu einigen hinhaltenden und wirkungslosen Friedensangeboten; noch mehr indessen schreckte ihn die Versöhnung des Marcellinus mit den beiden Reichen auf. Dieser eigenwillige patricius hatte sich bereit gefunden, den rechtmäßigen Titel des Anthemius anzuerkennen, woraufhin er ihn auf seinem Marsch auf Rom begleitet hatte; die dalmatinische Flotte fand in den Häfen Italiens Aufnahme; die Vandalen wurden durch Marcellinus' zupackendes Durchgreifen aus Sardinien vertrieben; und selbst das träge Rom steuerte zu den ungeheuren Vorbereitungen des Ostreiches einiges bei. Die Kosten für die Bewaffnung der Flotte, die Leo gegen die Vandalen aufrüstete, wurden aufgezeichnet; und die Kosten dieser Maßnahme werfen einiges Licht auf den Reichtum des untergehenden Reiches; die Privatschatulle des Herrschers steuerte siebenzehntausend Pfund bei; siebenundvierzigtausend Pfund Gold und siebenhunderttausend Pfund Silber wurden von den Reichspräfekten eingetrieben.

Aber die Städte verarmten darüber; und eine sorgfältige Berechnung der Geldbußen und Beschlagnahmungen, die keine verächtlichen Einnahmequellen darstellten, lassen vor uns nicht das Bild von einer nachsichtigen Verwaltung entstehen. Die Gesamtkosten des Afrikanischen Feldzuges, wie immer sie nun aufgebracht worden sein mochten, beliefen sich auf einhundertdreißigtausend Pfund Gold oder fünf Millionen zweihunderttausend Pfund Sterling, und dies zu einer Zeit, als der Wert des Geldes, gemessen am Getreidepreis, höher gewesen sein muss als in der Gegenwart. Die Gesamtsumme wird von Procopios eindeutig angegeben (De bello Vandalico 1,6); Einzelbeträge, welche Tillemont in mühsamer Arbeit aus den byzantinischen Autoren zusammengetragen hat (Histoire des empereurs Band 6, p. 396), sind weniger zuverlässig und dazu weniger wichtig. Der Historiker Malchus beklagt das allgemeine Elend (Auszug aus der Suda, fr. 2a, im Corpus Byzantinae Historiae); aber er tut Leo sicher Unrecht mit der Beschuldigung, dass er Schätze horte, die er dem Volk abgepresst habe.

Die Flotte, die von Konstantinopel nach Karthago in See stach, bestand aus elfhundertunddreizehn Schiffen und war mit über einhundert Soldaten und Seeleuten bemannt. Dem Bruder der Kaiserin Valeria, Basiliscus, hatte man das Oberkommando anvertraut. Seine Schwester, Leos Frau, hatte seine Verdienste in den früheren Feldzügen gegen die Skythen überzeichnet. Aber die Entdeckung seiner Schuld oder Unfähigkeit blieb für den Feldzug nach Afrika aufgehoben; und seine Freunde konnten seine militärische Reputation nur durch die Versicherung retten, dass er mit Aspar sich verschworen habe, das Leben Geiserichs zu schonen und die letzte Hoffnung des Westreiches zu betrügen.

 

DER AFRIKAFELDZUG SCHLÄGT FEHL

Die Erfahrung hat gelehrt, dass der Erfolg eines Angreifers fast immer von dem Nachdruck und der Schnelligkeit abhängt, mit der er seine Maßnahmen durchführt. Der Eindruck der ersten Erfolge wird durch Bummelei zunichte gemacht; Gesundheit und Geist einer Truppe siechen in fremden Ländern dahin; die See- und Landstreitkräfte werden nach und nach aufgerieben; und jede Stunde, die mit fruchtlosen Unterhandlungen vertan wird, gewöhnt den Feind an den Schrecken, den sein Gegner verbreitete und der zunächst unwiderstehlich erschien. So segelte die gewaltige Flotte des Basiliscus glücklich vom thrakischen Bosporus an die Küsten Afrikas. Er landete seine Truppen am Kap Bona, auch genannt das Vorgebirge des Merkur, etwa vierzig Meilen von Karthago entfernt. Dieses Vorgebirge befindet sich vierzig Meilen vor Karthago (Prokopios 1,6) und zwanzig Meilen von Sizilien entfernt. (Shaw,Travels,p.89). Scipio landete einst tiefer in der Bucht. Siehe auch die anschauliche Schilderung bei Livius 29,26f. Die Armee des Heraclius und die Flotte des Marcellinus vereinten sich mit dem kaiserlichen General oder unterstützten ihn zumindest; und die Vandalen, die sich ihrem Vormarsch zu Wasser und zu Lande entgegenstemmten, wurden allmählich besiegt. Theophanes (p. 100) versichert uns, dass zahlreiche Schiffe der Vandalen versenkt wurden. Die Versicherung des Jordanes (de successione regnorum), dass Basiliscus Karthago angegriffen habe, muss man nicht eben streng wörtlich nehmen.

Hätte Basiliscus den Augenblick der Verwirrung genutzt und die Hauptstadt entschlossen angegriffen, dann hätte Karthago sich ergeben müssen und um das Reich der Vandalen wäre es geschehen gewesen. Geiserich jedoch begegnete der Gefahr mit Festigkeit und entzog sich ihr mit altbewährter Geschicklichkeit. Er bekundete in dem unterwürfigsten Sprachduktus, dass er bereit sei, sich und sein Reich dem Herrschaftsanspruch des Kaisers zu unterwerfen; nur eine Waffenruhe von fünf Tagen erbat er sich, während welcher Frist die Kapitulationsbedingungen ausgehandelt werden sollten; und allgemein glaubte man, dass dieses Entgegenkommen den Erfolg der offen geführten Verhandlung befördern würde. Anstelle nun mit Entschiedenheit alle Zumutungen seines Gegners zurückzuweisen, erklärte sich der arglose – oder korrupte – Basiliscus mit dem fatalen Waffenstillstand einverstanden; und in unentschuldbarer Leichtfertigkeit sah er sich bereits als Bezwinger Afrikas.

Schon während dieser kurzen Frist drehte sich er Wind zugunsten der Entwürfe Geiserichs. Er bemannte seine größten Kriegsschiffe mit seinen besten Kriegern, Vandalen und Mauren, welche eine große Zahl von Booten in Schlepp nahmen, die sämtlich mit leicht brennbaren Materialien vollgestopft waren. Im Schutze der Nacht wurden diese brandgefährlichen Fahrzeuge gegen die ahnungslose und unbewachte römische Flotte in Bewegung gesetzt, auf der man erst im Augenblick der unmittelbaren Gefahr reagierte. Da sie dichtgedrängt vor Anker lag, breitete sich das Feuer rasend schnell und mit unwiderstehlicher Gewalt aus; das Geräusch des Windes, das Prasseln der Flammen und die Schreckensschreie der Soldaten und Seeleute, die weder gehorchen noch befehlen konnten, erhöhten die Panik des nächtlichen Aufruhrs. Und während sie versuchten, die Brander zurückzustoßen und so wenigstens einen Teil der Flotte zu retten, griffen die Kriegsschiffe Geiserichs sie geordnet und zielstrebig an; und zahllose Römer, die der Wut der Flammen entkommen waren, wurden nunmehr von den siegreichen Vandalen getötet oder gefangen genommen.

Während der Ereignisse dieser desaströsen Nacht tat sich der verzweifelte Mut von Johannes, eines Unterfeldherrn des Basiliscus rühmlich und unvergessen hervor. Als das Schiff, das er bis dahin tapfer verteidigt hatte, von den Flammen fast aufgezehrt war, sprang er in voller Rüstung ins Meer, wies verächtlich das Mitleid von Genso, Geiserichs Sohn, zurück, der ihm ehrenhaftes Quartier aufnötigen wollte, und versank; wobei er mit seinem letzten Atemzug rief, dass er niemals diesen gottlosen Hunden lebend in die Hände fallen werde. Basiliscus, den ein ganz anderer Geist beseelte und der sich schon zu Beginn des Kampfes schmachvoll dorthin verzogen hatte, wo die Gefahr am geringsten war, kehrte nach Konstantinopel zurück, nachdem er das halbe Heer und die halbe Flotte eingebüßt hatte und nahm dort Zuflucht im Heiligtum der Sophia, bis endlich seine Schwester durch Tränen und drängendes Flehen bei dem empörten Kaiser Gnade für ihn erwirkt hatte. Heraclius nahm seine Zuflucht in der Wüste; und Marcellinus zog sich nach Sizilien zurück, wo er – vermutlich auf Betreiben Ricimers – von einem seiner Offiziere ermordet wurde; und so konnte der König der Vandalen nicht umhin sich drüber zu verwundern, dass die Römer eigenhändig seine einzigen Gegner von Rang aus der Welt geschafft hatten. Damaskios, Vita Isidori, bei Photios, p. 1048. Vergleicht man die drei einzigen aus jener Zeit überlieferten Chroniken, dann will es scheinen, dass Marcellinus bei Karthago gekämpft hatte und in Sizilien getötet wurde. Nachdem nun der groß angelegte Feldzug in einem einzigen Fiasko geendet hatte, wurde Geiserich neuerlich zum Herrscher des Meeres.

 

A.D.477

Die Küsten Italiens, Griechenlands und Kleinasiens überschwemmte er mit seinen Beute- und Rachegelüsten, Tripolis und Sardinien wurden ihm erneut untertänig, Sizilien reihte er unter die tributpflichtigen Provinzen; und kurz vor seinem Tode, in der Fülle seiner Jahre und seines Ruhmes, wurde er noch Zeuge des endgültigen Unterganges des Weströmischen Reiches. Zum Afrikanischen Feldzug siehe: Prokopios, (de BelloVandalico 1,6); Theophanes (p. 99f.); Kedrenos (p. 349f.) und Zonaras (16,1) Montesquieu (Considérations 20 hat hierzu eine aufschlussreiche Bemerkung gemacht.

 

EROBERUNGEN DER WESTGOTEN IN SPANIEN UND GALLIEN · A.D. 462-472

Während seiner langen und ereignisreichen Herrschaft hatte der Herrscher Afrikas die freundschaftlichen Beziehungen zu den Barbaren Europas nicht vernachlässigt, deren Waffen er zu passender Zeit gezielt gegen die beiden Reiche hätte einsetzen können. Nach Attilas Tod erneuerte er den Bündnisvertrag mit den Westgoten, die damals in Gallien siedelten; und die Söhne von Theoderich dem Älteren, die nacheinander dieses kriegsgewohnte Volk geführt hatten, fanden sich leicht dazu bestimmt, aus schnödem Eigennutz den tödlichen Schimpf zu vergessen, den Geiserich ihrer Schwester angetan hatte. Jordanes (Getica 44-47) ist für die Regierungszeiten von Theoderich II und Eurich unsere beste Quelle. Hydatius schließt sein Werk zu früh ab, und Isidor geizt mit den Einzelheiten aus dem spanischen Krieg. Die Ereignisse betreffend Gallien ausführlich bei Abbé Dubos, Histoire critique,Band 1, Buch 3, p. 424-620. Der Tod des Kaisers Maiorian erlaubte es Theoderich, Rücksichten auf seine Ängste oder seine Ehre hintan zu stellen. Zunächst einmal brach er den neuen Vertrag mit den Römern; und die großflächige Landschaft an der Norbonne ward ihm zur Belohnung, die er denn auch unverzüglich fest an sein Herrschaftsgebiet band. Ricimers eigennützige Politik ermutigte ihn, in die Provinzen einzufallen, die noch unter der Herrschaft seines Rivalen Aegidius standen; aber der tatkräftige comes rettete Gallien durch die erfolgreiche Verteidigung von Arles und seinen Sieg bei Orleans und hielt, solange er am Leben war, den Vormarsch der Westgoten siegreich auf.

Nun aber ward ihr Ehrgeiz wieder belebt; und der Plan, Roms Herrschaft in Spanien und Gallien zu stürzen, wurde gefasst und auch nahezu vollendet unter der Regierung des Eurich, der seinen Bruder Theoderich ermordet hatte und danach in Krieg und Frieden anspruchsvollere Fertigkeiten bewährte. Er überquerte an der Spitze einer starken Armee die Pyrenäen, unterwarf die Städte Saragossa und Pampeluna, besiegte in offener Feldschlacht den Kriegeradel von Tarragona, stieß mit seiner siegreichen Armee nach Lusitanien vor und gestattete den Sueben, das Königreich Galizien unter der Oberhoheit der Goten in Spanien zu behalten. Marina, Hist. de rebus Hispan., Band 1, p. 162.

In Gallien waren Eurichs Bestrebungen nicht minder nachdrücklich und erfolgreich; und in dem ganzen Land zwischen Pyrenäen und Rhone und Loire waren Berry und die Auvergne die einzige Stadt bzw. Diözese, die ihm die Unterwerfung verweigerten. Eine unvollständige, aber naturnahe Darstellung Galliens und besonders der Auvergne bietet Sidonius (5. Epistulae 1, 5, 9), der als Senator und späterer Bischof am Schicksal seines Landes besonderes Interesse hatte. Bei der Verteidigung ihrer Hauptstadt Clermont ertrugen die Bewohner der Auvergne unerschüttert die Bedrückungen des Krieges, Pest und Hunger; und die Westgoten gaben ihre Hoffnungen auf diese wichtige Eroberung auf und beendeten die fruchtlose Belagerung. Zusätzlich wurde die Jugend des Landes befeuert durch die schier unglaubliche Heldentat des Ecdicius, des Sohnes von Avitus: Sidonius 3, Epistulae 3, Gregor von Toers 2,24 und Jordanes 45. Möglicherweise war Ecdicius nur der Stiefsohn des Avitus, der Sohn seiner Frau von ihrem vorigen Manne. er machte einen Überraschungsangriff mit nur achtzehn Reitern, griff das Gotenheer an und kehrte nach einem fliegenden Gefecht sicher und wohlbehalten nach Clermont zurück. Ebenso groß wie sein Mut war seine Mildtätigkeit; in Zeiten äußerster Knappheit ließ er tausende Bedürftige auf seine Kosten speisen, und eine Armee zur Befreiung der Auvergne wurde auf sein Betreiben aufgestellt.

Allein sein Edelsinn vermochte den treuen Bürgern Galliens noch Hoffnung auf Sicherheit und Freiheit zu erhalten; und selbst dies reichte nicht hin, den drohenden Untergang von seinem Land abzuwenden, da sie zu furchtsam waren, sich nach seinem Vorbild zwischen Exil oder Sklaverei zu entscheiden. »Si nullae a republica vires, nulla praesidia, si nullae, quantum rumor est, Anthemii principis opes, statuit, et auctore, nobilitas, seu patriam dimitere seu capillos [Wenn die Republik keine Soldaten mehr hat, keine Macht, wenn Kaiser Anthemius, wie das Gerücht geht, keine Mittel mehr hat, dann hat unser Adel unter seiner Führung beschlossen, entweder das Vaterland aufzugeben oder seine - Haare]. Sidonius 2.Episulae 1,4. Die letzte Anmerkung könnte auch die geistliche Tonsure meinen, für die sich Sidonius selbst auch entschieden hatte. Das Vertrauen der Öffentlichkeit war ruiniert; die Mittel des Staates erschöpft; und die Gallier hatten alle Veranlassung zu der Annahme, dass Anthemius, der Herrscher Italiens, sich als ungeeignet erweisen werde, seinen bedrängten Untertanen jenseits der Alpen wirkungsvoll beizustehen. Lediglich zwölftausend Mann britannische Hilfstruppen konnte der schwache Herrscher zu ihrem Schutz bereitstellen. Einer der unabhängigen Stammeshäuptlinge der Insel, Riothamus, konnte überredet werden, seine Truppen auf den Kontinent nach Gallien zu schicken; er schiffte die Loire aufwärts und schlug sein Lager in Berry auf, wo sich die Bevölkerung über diese übermächtigen Verbündteten beklagten, bis sie denn endlich durch die Waffen der Westgoten vertrieben oder umgebracht wurden. Die Geschichte dieser Goten kann man nachlesen bei Jordanes Getica 44 und 45, Sidonius 3, Epistulae 9 an Riothamus und Gregor von Tours 2,18. Sidonius, der diese Söldnertruppe »argutos, armatos, tumultuosos, virtute, numero, contubernio, contumaces« [listig, gut bewaffnet, unruhig, tüchtig, verschworen und unbeugsam] bezeichnet, redet zu ihrem Befehlshaber im freundschaftlich-vertrautem Tone.

 

DER PROZESS GEGEN ARVANDUS A.D. 468

Eine der letzten Rechtsprechungsakte, die der römische Senat über einen seiner gallischen Untertanen ausübte, war der Prozess und die Verurteilung des Prätorianerpräfekten Arvandus. Sidonius, der sich freute, in einer Zeit zu leben, in welcher er für einen Staatsverbrecher hätte Sympathie empfinden dürfen, hat mit Wärme und Freisinn die Fehler seines unbedenklichen und glücklosen Freundes eingestanden. Siehe Sidonius 1, Epistulae 7, mit Sirmonds Anmerkungen. Dieser Brief ehrt beides, seinen Verstand und seine Herzensbildung. Die Prosa des Sidonius, wie sehr sie auch durch Affektiertheit verderbt sein mag, steht deutlich über seinen geistlosen Versen. Dass er verschiedentlich Gefahren entkommen war, hatte Arvidus selbstsicher, aber nicht eben klüger gemacht; und so notorisch unbedacht verhielt er sich, dass sein Aufstieg eine größere Überraschung darstellt als sein späterer Untergang. Seine zweite Präfektur binnen fünf Jahren annullierte die Verdienste der ersten deutlich. Sein oberflächlicher Charakter ließ sich durch Schmeichelei einlullen und durch Widerspruch rasch aufreizen; die Forderungen seiner zudringlichen Gläubiger befriedigte er mit den Einnahmen aus der Provinz; mit seiner Launenhaftigkeit stieß er die gallischen Adligen vor den Kopf und lente den öffentlichen Unmut auf sich. Schließlich sah er sich genötigt, sich wegen seiner Aufführungen vor dem Senat zu rechtfertigen; er überquerte das Tuscanische Meer mit günstigen Winden, was er naiver Weise für ein glückliches Omen ansah.

Ein gewisser Respekt vor seinem Amt als Prätorianerpräfekt war freilich noch spürbar: in Rom angekommen, wurde Arvandus eher der Gastfreundschaft als der Aufsicht des Flavius Asellus anvertraut, welcher der Hüter der Weihegeschenke war und auf dem Kapitol residierte. Nachdem das Kapitol seine Funktion als Sakralgebäude verloren hatte, stand es den zivilen Magistraten zu beliebiger Nutzung zur Verfügung; und auch heute ist es noch die Residenz des römischen Senates. In den Porticos dürfen Juweliere u.a. ihre kostbaren Waren auslegen. Seine Verfolger, vier Repräsentanten Galliens, führten die Klage. Sie zeichnetendie sich durch Herkunft, Stellung und Beredsamkeit aus und strengten nun im Namen ihres Landes und entsprechend den Formvorschriften der römischen Rechtsprechung einen Zivil- und Strafprozess an, indem sie angemessenen Ersatz für die Verluste der Einzelnen beantragten und zugleich durch strenge Bestrafung dem staatlichen Strafanspruch Genüge zu tun verlangten. Zahlreich und schwerwiegend waren die Anklagepunkte wegen räuberischer Erpressung; aber ihre eigentliche prozessuale Geheimwaffe war ein Brief, welchen sie abgefangen hatten und von dem sie mit Hilfe der Aussage seines Schreibers beweisen konnten, dass er von Arvandus persönlich diktiert worden war.

Der Verfasser schien darin den Gotenkönig von einem Friedensschluss mit dem König der Griechen abbringen zu wollen; zugleich schlug er einen Angriff auf die Briten an der Loire vor und empfahl die Teilung Galliens zwischen den Westgoten und Burgunder »Haec ad regem Gothorum, charta videbatur emitti pacem cum Graeco Imperatore dissuadens, Britannos super Ligerim sitos impugnari oportere demonstrans, cum Burgundionibus jure gentium Gallias dividi debere confirmans«. Diese bösartigen Entwürfe, die selbst ein wohlmeinender Freund nur als törichten Leichtsinn bagatellisiert hätte, ließen durchaus die Interpretation des Hochverrates zu; und die gallischen Prozessbevollmächtigten hatten mit viel Umsicht dafür Sorge getragen, dass von ihrer schärfsten Waffe bis zu Prozessbeginn nichts ruchbar werde. Indessen, der dienstbare Eifer des Sidonius erriet ihre Absichten. Unverzüglich entdeckte er dem Arglosen die Gefahr; und beklagte aufrichtig und ohne Zutat von Verdruss den Hochmut des Arvandus, welcher es ablehnte, seines Freundes heilsamen Rat anzunehmen, ja, ihn sogar übel aufnahm.

In Unkenntnis seiner heiklen Lage ließ sich Arvandus in der weißen Toga eines Kandidaten auf dem Kapitol blicken, nahm unbedenklich Huldigungen und Dienstleistungsangebote entgegen, betrat die Läden der Kaufleute, prüfte die Seidengewänder und Edelsteine, zuweilen wie ein unschlüssiger Müßiggänger, zuweilen wie ein kaufentschlossener Kunde, beklagte sich über die schlechten Zeiten, die Regierung, den Kaiser und den schleppenden Gang der Justiz. Schon bald war diesem letzten Teil seiner Klagen abgeholfen. Für seinen Prozess wurde ein früher Termin anberaumt; und Arvandus erschien zusammen mit seinen gallischen Anklägern vor dem zahlreich versammelten Senat. Während sie in schlichter Kleidung erschienen und hierdurch die Sympathien der Richter auf ihre Seite zogen, verärgerte ihr Gegner das Gericht durch seinen prunkvollen und selbstgefälligen Auftritt; und als man dann Arvandus und den ersten gallischen Prozessbevollmächtigten aufforderte, ihren Platz einzunehmen, wurde der gleiche Gegensatz zwischen Bescheidenheit und Maßlosigkeit bemerkt. In diesem denkwürdigen Prozess, welcher ein getreues Abbild der alten Republik lieferte, legten die Gallier mit Nachdruck und Freimut die Bedrängnisse der Provinzen dar; und als das Publikum in der rechten Stimmung war, trugen sie den verhängnisvollen Brief vor.

Arvandus in seiner Verbohrtheit beharrte aus dem merkwürdigen Standpunkt, dass ein Untertan, der nicht gerade nach dem Purpur getrachtet habe, unmöglich des Verrates bezichtigt werden könne. Als nun der Brief vorgelesen worden war, bestätigte er laut, nachdrücklich und wiederholt seine Urheberschaft; und Überraschung und Entsetzen hielten sich bei ihm etwa die Waage, als ihn der Senat tatsächlich einstimmig eines Kapitalverbrechens schuldig sprach; er wurde aufgrund dieses Urteiles seines Amtes als Reichpräfekt enthoben, zum Plebejer degradiert und von Sklavenhand und in Schanden in das Staatsgefängnis verbracht. Nach vierzehntägiger Unterbrechung trat der Senat erneut zusammen, das Todesurteil zu verhängen; aber während er auf der Insel des Äskulap auf das Ende der Dreißig-Tage-Frist wartete, die die Gesetze der Alten noch dem übelsten Verbrecher zubilligten, Senatusconsultum Tiberianum (Sirmond, Anmerkungen, p.17); aber dieses Gesetz sah nur zehn Tag zwischen Urteil und Hinrichtung vor; die übrigen zwanzig stammen aus der Zeit des Theodosius. hatten sich seine Freunde eingeschaltet, der Kaiser Anthemius ein Einsehen gehabt, und der Reichspräfekt wurde zu Exil und Vermögenskonfiskation begnadigt.

Die Tapsigkeiten des Arvandus hätten vielleicht Mitleid hervorrufen können; aber die Vergehen des Seronatus beleidigten jedes Rechtsempfinden, bis er schließlich auf Betreiben und Beschwernis der Bürger der Auvergne verurteilt und hingerichtet wurde. Dieser verabscheuungswürdige Minister, der der Catilina seiner Zeit und seines Landes genannt wurde, unterhielt eine heimliche Korrespondenz mit den Westgoten, um die von ihm ausgeplünderte Provinz zu verraten; eifrig erwies er sich lediglich im Ersinnen immer neuer Abgaben und Steuern, und seine Laster wären nur noch verächtlich gewesen, wenn sie nicht Schrecken und Abscheu erregt hätten. »Catilina saeculi nostri« (ein Catilina unserer Zeit) heißt es bei Sidonius (2, Epistulae 1,5,13 und 7,7); er verflucht die Verbrechen des Seronatus und begrüßt dessen Bestrafung. Vielleicht geschah dies mit der Empörung des tugendsamen Bürgers, vielleicht auch mit den Gefühlen der Abneigung gegen einen persönlichen Feind.

 

ZWIETRACHT ZWISCHEN ANTHEMIUS UND RICIMER A.D. 471

Derlei Verbrechen lagen noch nicht außerhalb der Reichweite der Justiz; aber welche Schuld auch immer Ricimer auf sich geladen haben mochte, dieser mächtige Barbar war imstande, den Herrscher zu bekämpfen oder mit ihm zu verhandeln, nachdem er mit ihm ein Bündnis einzugehen sich herabgelassen hatte. Die friedensreiche und blühende Herrschaft, die Anthemius dem Westen versprochen hatte, war schon bald von Fehlschlägen und Zwietracht umwölkt. Ricimer, der einen Mächtigeren neben sich nicht dulden mochte oder konnte, zog sich aus Rom zurück und richtete seine Residenz in Mailand auf, von wo er die kriegerischen Stämme zwischen Alpen und Donau leicht zurückschlagen oder an sich ziehen konnte. Unter der Herrschaft des Anthemius hatte Ricimer den Alanenkönig Beogor in einer Schlacht besiegt und getötet (Jordanes, Getica 45). Seine Schwester hatte den Burgunderkönig geheiratet, und er selbst stand mit den Kolonien der Sueben in Pannonien und Norikum in enger Verbindung. Italien war unmerklich in zwei unabhängige und feindliche Königreiche zerfallen; und der Adel Liguriens, der einen Bürgerkrieg mit Schrecken herannahen sah, warf sich vor dem patricius in den Staub und flehte, ihres unglückseligen Landes zu schonen. »Mir für meinen Teil«, erwiderte Ricimer im Tone beleidigender Zurückhaltung »ist nach wie vor an der Freundschaft mit dem Galater gelegen; und wer will sich da unterfangen, seinen Zorn zu dämpfen oder seinen hohen Mut zu beschwichtigen, der sich bei eurer Unterwerfung zuverlässig erheben wird?« »Galatam concitatum.« (Leidenschaftlichen Galater). Sirmond schreibt diesen Beinamen Anthemius persönlich zu. Der Herrscher war vermutlich in der Provinz Galata geboren, deren Bewohner, die Gallo-Griechen, in sich die Laster eines kulturlosen und eines entarteten Volkes vereinigten. Sie setzten ihn davon in Kenntnis, dass Epiphanius, der Bischof von Pavia, in sich die Klugheit der Schlange und die Unschuld der Taube vereine; und sie vertrauten zuversichtlich darauf, dass die Beredsamkeit eines solchen Abgesandten sich gegen den stärksten Widerstand des Eigennutzes durchsetzen werde. Epiphanius amtete dreißig Jahre (A.D. 467-487) als Bischof von Pavia (Tillemont, Memoires ecclésiastiques Band 16, p. 788). Die Nachwelt hätte Leben und Werke dieses Mannes wohl vergessen, wenn nicht sein Nachfolger Ennodius eine Lebensbeschreibung hinterlassen hätte (siehe Sirmond, Opera Band 1, p. 1647-1692), in welcher er ihn als eine der großen Persönlichkeiten seiner Zeit darstellt.

Diese Empfehlung fand allgemeinen Beifall; und Epiphanius übernahm die dankbare Vermittlerrolle und begab sich unverzüglich nach Rom, wo man ihn mit der seinen Verdiensten angemessenen Aufmerksamkeit empfing. Die Rede des Bischofs für den Frieden mag man sich leicht vorstellen: er führte aus, dass unter allen Umständen das Verzeihen von Unrecht ein Akt der Gnade, der Großherzigkeit oder der Klugheit sei; und eindringlich mahnte er den Kaiser, von einem Krieg mit einem wilden Barbaren abzustehen, der für ihn selbst verhängnisvoll sein könne, für seinen Herrschaftsbereich aber zuverlässig den Ruin bedeute.

Anthemius verschloss sich dem Wahrheitsgehalt dieser Grundsätze nicht; aber in seinem Innersten fühlte er mit Empörung und Seelennot Ricimers Wirken, und da gab ihm der Hass die passenden Worte ein. »Welche Gunst«, rief er mit Nachdruck aus, »haben wir diesem Undankbaren nicht gewährt? Welche Kränkung nicht erduldet? Der Majestät meines Purpurs ungeachtet gab ich meine Tochter einem Goten zum Weibe; für die Sicherheit des Landes habe ich mein eigen Blut dahingegeben. Diese Großherzigkeit, die uns die immerwährende Anhänglichkeit Ricimers hätte einbringen sollen, hat ihn gegen seinen Wohltäter aufgebracht. Welchen Krieg hat er eigentlich nicht gegen das Reich angezettelt? Wie oft ist er nicht der Krieglust befeindeter Nationen beigesprungen? Und nun soll ich Freundschaft schließen mit diesem Argen? Kann ich denn darauf hoffen, dass er die Bedingungen eines Friedensvertrages einhalten wird, er, der die Pflichten eines Sohnes verletzt hat?«

Aber mit diesen Kraftäußerungen hatte der Ärger des Anthemius sich erschöpft; allmählich schloss er sich den Vorschlägen des Bischofs an; und dieser selbst kehrte zu seiner Diözese zurück mit dem erhebenden Gefühl, den Frieden in Italien gerettet und eine Wiederversöhnung eingeleitet zu haben, an deren Stabilität und Dauer indessen der eine oder andere Zweifel aufkeimen mochte. Ennodius hat uns von dieser Gesandtschaft berichtet. Seine naturnotwendig wortreiche und aufgeblähte Darstellung malt dennoch einige interessante Einzelheiten im Zusammenhang mit dem Untergang des Westreiches. Die Nachgiebigkeit des Kaisers zumindest war nur ein Ergebnis seiner Schwäche; und Ricimer ließ seine ehrgeizigen Entwürfe solange ruhen, bis er alle Zurüstungen vollendet hatte, mit denen er den Thron des Anthemius zu stürzen hoffte. Dann allerdings warf er die Friedens- und Freundschaftsmaske beiseite. Die Armee des Ricimer war durch starke Kontingente von Burgundern und Ost-Sueben verstärkt worden. Er kündigte alle Verträge mit dem Griechischen Kaiser, marschierte von Mailand auf Rom, schlug sein Lager am Ufer des Anio auf und wartete ungeduldig auf die Ankunft des Olybrius, seines Kandidaten für den Kaiserthron.

 

OLYBRIUS WIRD KAISER DES WESTENS · 23. MÄRZ 472

Der Senator Olybrius aus der Familie der Anicier mochte sich mit guten Günden für den rechtmäßigen Erbe des Westreiches halten. Er hatte Valentinians jüngere Tochter Placidia geheiratet, nachdem Geiserich sie neuerlich erhoben hatte; und der nach wie vor dessen Schwester Eudoxia als die Frau, oder besser: die Gefangene seines Sohnes festhielt. Der Vandalenkönig unterstützte nach Kräften die Ansprüche seines römischen Verbündeten; und nannte als einen der Gründe für seinen Kriegseintritt die Weigerung des römischen Senates und des Volkes, ihren gesetzmäßigen Herrscher anzuerkennen und dafür einem unwürdigen Fremden den Vorzug zu geben. Priscus, Excerpta legationum fr. 29; Prokopios, de bello Vandalico 1,6.Eudoxia und ihre Tochter kamen nach dem Tode des Maiorianus erneut zu Ehren. Vielleicht war das Konsulat des Olybrius (A.D. 464) eine Art Hochzeitsgeschenk. Diese Freundschaft mit einem Staatsfeind machte Olybrius den Italienern womöglich noch unpopulärer; als aber Ricimer über den Sturz des Kaisers Anthemius mit sich zu Rate ging, trug er versuchend einem Kandidaten das Diadem an, der seine Rebellion mit seinem berühmten Namen und der Verbindung mit einem König rechtfertigen konnte.

Der Gatte der Placidia, der wie die meisten seiner Vorgänger konsularische Würden ausgeübt hatte, hätte in dem sicheren und friedlichen Konstantinopel sich seiner Tage erfreuen können; auch scheint er nicht von der Art Genius besessen gewesen zu sein, welcher durch nichts anderes zufrieden gestellt werden kann als durch die Herrschaft über die Welt. Indessen, Olybrius gab dem Zudringlichkeiten seiner Freunde und wohl auch seines Weibes nach; geriet schon sehr bald in die Nöte und Verhängnisse eines Bürgerkrieges und nahm mit dem stillschweigenden Einverständnis des Kaisers Leo den Purpur Italiens im Empfang, den ihm der unzuverlässige und launenhafte Wille eines Barbaren überlassen hatte. Er landete ohne Widerstand (denn Geiserich war Herr der Meere) entweder in Ravenna oder in Ostia und begab sich unverzüglich zum Lager Ricimers, wo er denn auch als der Herrscher der Westlichen Welt begrüßt wurde. Das feindselige Auftreten des Olybrius wird alleine durch die Dauer seiner Herrschaft gekennzeichnet, der abweichenden Meinung der Pagi ungeachtet. Leos heimliches Einverständnis wird durch Theophanes und die Chronik des Paschalis bestätigt. Seine Motive kennen wir nicht; aber eigentlich kennen wir für fast alle Ereignisse von Bedeutung aus jenen dunklen Tagen die Hintergründe nicht.

 

PLÜNDERUNG ROMS · TOD DES ANTHEMIUS 11. JULI 472

Der Patricius, der seine Militärposten vom Anio bis zur Milvischen Brücke stationiert hatte, besaß bereits die Hälfte Roms, den Vatikan und den Janiculum, den der Tiber vom übrigen Rom abtrennt; Von den vierzehn Quartieren oder Stadtteilen, in die Augustus Rom einteilte, lag nur ein einziger, der Janiculum auf der tuskanischen Seite des Tibers. Im V Jh. bildete der Vatikan eine ansehnliche Siedlung; und infolge der durch Simplicius – des regierenden Papstes – vorgenommenen kirchlichen Einteilung wurden lediglich zwei der sieben Gemeinden der Kirche von St. Peter zugesprochen. Siehe Nardini, Roma antica, p. 67. Es würde eine zähfließende Abhandlung erfordern, um alle Einzelheiten darzutun, in denen ich von den Ansichten dieses gelehrten Römers abweiche. und es lässt sich vermuten, dass eine Versammlung abtrünniger Senatoren die äußeren Formen für eine legale Kaiserwahl beachteten. In ihrer Mehrheit jedoch standen Senat und Volk in Treue fest zu Anthemius' Sache; und tatsächlich ermöglichte ihm die resolute Hilfe einer Gotenarmee nicht nur seine Herrschaft, sondern auch die Not des Volkes zu verlängern, das unter Pest und Hunger in gleicher Weise zu leiden hatte. Endlich ließ Ricimer die Brücke des Hadrian (St. Angelo) stürmen, welcher enge Weg indessen mit gleichem Nachdruck und bis zum Tode ihres Häuptlings Gilimer von den Goten verteidigt wurde. Siegreich und ohne auf nennenswerten Widerstand zu treffen brachen sie bis zum Stadtzentrum vor, und Rom (wenn wir die Sprache des zeitgenössischen Papstes übernehmen dürfen) wurde durch den bürgerlichen Fanatismus des Anthemius und Ricimer zerstört. »Nuper Anthemii et Ricimeris civili furore subversa est.« Gelasius in einem Brief an Andromachus, bei Baronius, Annales ecclesiastici, A.D. 496, Nr 42. Sigonius (De occidentali Imperio, Buch 14. Opera Band 1, p. 542f.) und Muratori (Annali d'Italia, Band 4, p. 308) haben mit Hilfe einer leidlich unbeschädigten Handschrift der Historia miscella diesen dunklen und blutigen Vorfall erläutert.

Der glückverlassene Anthemius wurde aus seinem Versteck hervorgezerrt und auf Befehl seines Schwiegersohnes ermordet; welcher auf diese Weise einen dritten und womöglich vierten Herrscher zu seinen Opfern hinzufügte. Die Soldaten, die in sich die Verranntheit von politischen Parteigängern mit den ungehobelten Aufführungen des Barbaren vereinten, gaben sich unkontrolliert dem Morden und Rauben hin. Die Plebejer und Sklaven, die das Vorkommnis nicht weiter betraf, konnten durch das allgemeine Plündern nur gewinnen; und so bot die Stadt den merkwürdigen Gegensatz zwischen systematischer Grausamkeit und ungezügelter Ausschreitung. So war die »saeva ac deformis urbe tota facies«, [das furchtbare, zerstörte Antlitz der ganzen Stadt] anzuschauen, als Rom von Vespasians Truppen angegriffen und bestürmt wurde; und doch ist in der Zwischenzeit jede Art von Unglück durch ein noch größeres übertroffen worden. Die Jahrhunderte bringen immer wieder die gleichen Katastrophen; aber Jahrhunderte können vergehen, bevor ein neuer Tacitus geboren wird, sie zu beschreiben.

 

TOD RIKIMERS 20. AUGUST 472 · OLYBRIUS

Vierzig Tage nach dieser Katastrophe wurde Italien von seinem Tyrannen befreit, der an einer Krankheit qualvoll verstarb und der das Kommando über seine Armee seinem Neffen Gundobald, einem burgundischen Herrscher, übertragen hatte. Im einem Jahr wurden alle Hauptdarsteller dieses großen Stückes vom Schauplatz abberufen; und die Herrschaft des Olybrius, dessen Todesumstände keine Anzeichen von Gewalt erkennen lassen, dauerte noch nicht einmal sieben Monate. Er hinterließ eine Tochter aus seiner Ehe mit Placidia; und die Familie von Theodosius dem Großen, die von Spanien nach Konstantinopel verpflanzt war, lebte in der weiblichen Linie noch acht Generationen weiter. Siehe du Cange, Familiae Byzantinae, p. 74f. Areobindus, der eine Nichte des Kaisers Justinian geheiratet zu haben scheint, stammte aus der achten Generation nach Theodosius dem Älteren.

 

JULIUS NEPOS UND GLYCERIUS WERDEN ZU KAISERN

Während der verwaiste Thron in Italien der Willkür von Barbaren ausgeliefert war, Diese letzten Umwälzungen im Westreich werden bei Theophanes (Chronographica p. 102), Jordanes (Getica 45), in der Chronik des Marcellinus und in Fragmenten eines unbekannten Autors am Ende von Ammianus, herausgegeben von Valesius (p. 716), nur beiläufig erwähnt. Wenn Potius nicht so grausam knapp wäre, könnten wir bedeutend mehr Informationen aus den zeitgenössischen Chroniken des Malchus und Candidus gewinnen. Siehe seine Excerpte, p. 172-179. wurde die Wahl eines neuen Mitkaisers in Leos Kronrat mit Nachdruck betrieben. Die Kaiserin Vorina, auf die Mehrung des Ruhmes ihrer Familie bedacht, hatte eine ihrer Nichten mit Julius Nepos verheiratet, der seinem Onkel Marcellinus in der Regentschaft über Dalmatien gefolgt war, einer solideren Stellung als der Titel, der ihm erfolgreich angedient wurde, nämlich die Kaiserkrone des Westens. Aber die Maßnahmen, die Byzanz ergriff, waren derart zögerlich und kraftlos, dass viele Monate seit dem Tode des Anthemius und sogar noch des Olybrius ins Land gingen, bis ihr vorgesehener Nachfolger sich seinen neuen italienischen Untertanen an der Spitze einer respektablen Streitmacht zeigen konnte. In der Zwischenzeit hatte Glycerius, ein sonst unbekannter Soldat, den Purpur aus der Hand seines Patrons Gundobald empfangen; allerdings war der Burgunder unfähig oder unwillig, es für seinen Zögling auf einen Bürgerkrieg ankommen zu lassen: im Verfolg seines eigenen Ehrgeizes musste er zurück über die Alpen, Siehe Gregor vonTours 2, 28; Dubos, Histoire critique, Band 1, p. 613. Durch die Ermordung seiner beiden Brüder erlangte Gundobald die Alleinherrschaft über das Königreich Burgund, dessen Untergang durch ihre Feindschaft beschleunigt wurde. während sein Klient das Szepter Roms mit dem Bistum Salona tauschen musste. Nachdem er sich dieses Mitbewerbers also entledigt hatte, wurde der Kaiser Nepos vom Senat anerkannt, von den Italienern und den gallischen Provinzialvertretern; hoch wurden seine Tugenden und seine militärischen Begabung gerühmt; und wer sich von seiner Herrschaft noch persönliche Vorteile erhoffte, kündete vom Beginn eines neuen goldenen Zeitalters. Nepos verlieh Ecdicius den Titel eines Patricius, den Anthemius ihm versprochen hat, decessoris Anthemii fidem absolvit [...und löste des Amtsvorgängers Anthemius Versprechen ein]. Siehe Sidonius 8, Epistulae 7.

Ihre Hoffnungen – sofern sie denn solche gehegt hatten – zerschlugen sich binnen Jahresfrist; und die Friedensverhandlung, zu der die Westgoten ihn nötigten, sind das einzige nennenswerte Ereignis seiner kurzen und unbedeutenden Herrschaft. Die treuesten Untertanen Galliens opferte der italienische Kaiser seiner persönlichen Sicherheit auf; Epiphanius wurde von Nepos als Botschafter zu den Westgoten geschickt, um die »fines italici imperii« [die italischen Reichsgrenzen] abzuklären. (Ennodius bei Sirmond, Opera, Band 1, p. 1665-1669). Hinter seiner leidenschaftlichen Verhandlungsführung verbarg sich ein schändliches Geheimnis, welches kurze Zeit später die gerechten, bitteren Klagen des Bischofs von Clermont hervorrief. aber schon bald darauf wurde seine Ruhe durch eine Auflehnung seiner ausländischen Verbündeten unterbrochen, als sie unter dem Kommando ihres Generales Orestes in zornigen Tagesmärschen von Rom nach Ravenna eilten. Bei ihrem Herannahen erbebte Nepos; und anstelle auf die uneinnehmbare Lage Ravennas zu vertrauen, entkam er in hastiger Flucht auf die Schiffe und strebte auf seine dalmatischen Besitztümer auf der anderen Seite der Adria. Durch diese schmachvolle Abdankung verlängerte er immerhin sein Leben um fünf Jahre, das er allerdings in einem dauerhaften Schwebezustand zwischen Exil und Kaiser zubrachte, bis er schließlich in Salona durch den undankbaren Glycerius ermordet wurde, der anschließend, vermutlich als Belohnung für sein Verbrechen, das Erzbistum Mailand erhielt. Malchos, bei Photios, p. 172; Ennodius, Epigramm 82, in Sirmond, Opera, Band 2, p. 1879. Es bestehen allerdings gewissen Zweifel an der Identität von Kaiser und Erzbischof.

 

ORESTES A.D. 475

Die Völker, die ihre Unabhängigkeit nach dem Tode Attilas behauptet hatten, siedelten zu Recht oder durch das Recht des Stärkeren in den endlosen Ebenen nördlich der Donau oder in den römischen Provinzen zwischen den Alpen und jenem Strom. Die Blüte ihrer Jugend jedoch trat der Armee der Konföderierten bei, welche Italiens Schutz und Schrecken war; Unsere Kenntnisse von diesen Söldnertruppen, die dem Westreich schließlich den Untergang brachten, beziehen wir aus Prokopios, (De bello Gotico 1,1). Die populäre Auffassung und die gegenwärtige Geschichtsforschung stellt Odoacer in dem falschen Licht eines Ausländers und Königs dar, der in Italien einfiel mit einer Armee von Fremden, in Wirklichkeit aus seinen eingeborenen Untertanen. und in dieser buntscheckigen Masse schienen die Namen der Heruler, Scyrren, Alanen, Turciligen und Rugianen vorgeherrscht zu haben. Das Beispiel dieser Krieger diente dem Orestes zum Vorbild «Orestes, qui eo tempore quando Attila ad Italiam venit se illi iunxit et eius notarius factus fuerat." [Orestes, der zu jener Zeit, als Attila in Italien einbrach, sich mit diesem verband und zu dessen Sekretär gemacht worden war]. Anonymus Valesii, p. 716). Er irrt bezüglich des Datums; aber wir können seiner Versicherung glauben, dass Attilas Sekretär der Vater des Augustulus war. dem Sohn des Tatullus und Vater des letzten römischen Kaisers. Orestes, dessen wir in dieser Darstellung bereits Erwähnung taten, hat sein eigenes Land niemals in Stich gelassen. Seine Abkunft und sein Reichtum machten ihn zu einem der bedeutendsten Untertanen von Pannonien. Als dieses Land an die Hunnen abgetreten werden musste, trat er in die Dienste seines rechtmäßigen Herren, Attila, nahm die Stelle seines Sekretärs ein und war oftmals Gesandter in Konstantinopel, um dort die Weisungen seines Herren zu verkünden.

Nach dem Tode dieses Herrschers erlangte er seine Freiheit wieder; und er konnte sich in allen Ehren weigern, den Söhnen Attilas in die skythische Wüste zu folgen oder den Ostgoten zu dienen, die mittlerweile Pannonien erobert hatten. Stattdessen zog er den Dienst bei den italienischen Herrschern vor, den Nachfolgern eines Valentinian; und da er sich durch Mut, Fleiß und Erfahrung auszeichnete, stieg er rasch in der militärischen Karriere-Leiter empor bis hin zum patricius und Heermeister der Truppen. Diese Truppen ihrerseits waren seit langem daran gewöhnt, Orestes' Autorität und Person anzuerkennen, denn er respektierte ihre Bräuche, unterhielt sich mit ihnen in ihrer Landessprache und verkehrte mit ihren Stammeshäuptlingen auf freundschaftlichem Fuße. Auf seine Veranlassung erhoben sie ihre Waffen gegen den drolligen Griechen, der von ihnen Gehorsam zu verlangen sich unterstand; und als Orestes sich aus uns unbekannten Gründen weigerte, den Purpur anzunehmen, waren sie ebenso rasch gewonnen, seinen Sohn Augustulus als Herrscher des Westens anzuerkennen.

 

SEIN SOHN AUGUSTULUS, DER LETZTE KAISER DES WESTENS · A.D. 476

Infolge der Abdankung des Nepos war Orestes am Ziel seines Ehrgeizes angekommen; aber noch vor Ablauf des ersten Jahres musste er erkennen, dass Unrecht und Gewalt, die wichtigsten Werkzeuge eines Empörers, sich auch gegen den Urheber selbst wenden; und dass die barbarischen Söldnertruppen dem überängstlichen Herrscher Italiens nur die Wahl zwischen Sklaverei oder Tod ließen. Eine gefährliche Allianz dieser fremden Truppen hatte Hand gelegt an die letzten Überreste der römischen Freiheit. Nach jedem Sturz eines Kaisers wurden ihr Sold und ihre Vorrechte vergrößert; aber ihre Dreistigkeit wuchs in noch stärkerem Maße; mit Neid blickte sie auf ihre Stammverwandten in Gallien, Spanien und Afrika, die nach ihren Siegen zu dauerndem, erblichem Wohlstand gekommen waren; und mit Nachdruck bestanden sie darauf, das der dritte Teil Italiens unverzüglich unter sie solle aufgeteilt werden.

Orestes, dessen Gesinnung unter anderen Umständen unsere Bewunderung erheischt haben müsste, war eher bereit, sich dem aufgebrachten, bewaffneten Mob entgegenzustellen als den Untergang eines unschuldigen Volkes zu unterschreiben. Er lehnte das dreiste Ansinnen rundweg ab; aber seine Weigerung war dem Ehrgeiz Odoacers förderlich; ein kühner Barbar, der seinen Kriegern versicherte, dass sie, wenn sie sich nur unter seiner Fahne versammeln würden, schon bald zu jenem Recht kommen würden, das man ihren höflichen Anträgen verweigert hatte. In allen Garnisonen Italiens sammelten sich die Konföderierten, durch das gleiche Verlangen und den gleichen Groll gestachelt; und der glückverlassene patricius, von der Flut überrannt, floh in die Feste Pavia, den Bischofssitz des Epiphanius. Sofort wurde Pavia belagert, die Anlagen mit Sturm genommen, die Stadt verwüstet; und obschon der Bischof mit einigem Eifer und Erfolg darum bemüht war, die Schätze der Kirche und die Unversehrtheit der weiblichen Gefangenen vor Übergriffen zu schützen, konnte der Tumult dennoch nur durch die Hinrichtung des Orestes beigelegt werden. Siehe Ennodius, Vita Epiphanii, bei Sirmond, Opera, Band 1, p. 1669f. Er fügt der Darstellung des Prokopios noch einiges von Gewicht hinzu, wenngleich Zweifel erlaubt sein dürfen, ob der Teufel tatsächlich bei der Belagerung Pavias mitgewirkt habe, den Bischof und seine Herde zu erschrecken. Sein Bruder Paul fiel im Kampf bei Ravenna; und da der ohnmächtige Augustulus bei Odoacer allen Respekt eingebüßt hatte, war er auf dessen Gnade angewiesen.

 

DER LETZTE HERRSCHER DES WESTENS ODOACER, KÖNIG VON ITALIEN A.D. 476-490

Dieser erfolgreiche Barbar war der Sohn des Edecon; immerhin war er bei einigen in den früheren Kapiteln dargestellten Unternehmungen der Kollege des Orestes gewesen. Die Ehre eines Gesandten sollte eigentlich außerhalb jeden Verdachtes stehen; aber Edecon hatte einer Verschwörung gegen das Leben des Herrschers sein Ohr geliehen. Indessen machte er seine nachweisliche Schuld wett durch seine früheren Verdienste oder durch Reue; seine Stellung war herausragend, auch stand er bei Attila in Gunst; und die Truppen unter seinem Kommando, die in Abständen das königliche Dorf bewachten, bestanden aus Scyrren, seinen unmittelbaren Erbuntertanen. In dem gewaltigen Völkerkrieg blieben sie den Hunnen anhänglich; und noch zwölf Jahre später wird der Name Edecon bei ihrem ungleichen Kampf gegen die Ostgoten rühmlich erwähnt; welcher nach zwei verlorenen Schlachten mit dem Untergang der Scyrren endete. Jordanes 53 und 54. Herr de Buat (Histoire des peuples de l'Europe, Band 8, p. 221-228) hat Herkunft und Leben des Odoacer deutlich dargestellt. Ich persönlich neige eher dazu, in ihm den Plünderer von Angers zu sehen und den Anführer einer sächsischen Piratenbande auf dem Ozean. Gregor von Tours 2,18.

Ihr ritterlicher Anführer, der die Katastrophe seines Volkes nicht überlebte, hinterließ zwei Söhne, Onulf und Odoacer, die den treuen Gefolgsleuten ihres Exils Unterstützung gewährten, nach ihren Möglichkeiten durch Raub oder Dienstleistungen. Onulf wandte sich nach Konstantinopel, wo er durch den Mord an einem Wohltäter seinen wohlerworbenen Waffenruhm zugrunde richtete. Sein Bruder Odoacer führte ein unstetes Wanderleben unter den Völkern Noricums, zu den vernunftwidrigsten Verzweiflungstaten aufgelegt und imstande; als er seine Wahl getroffen hatte, besuchte er andachtsvoll die Zelle des populären Landesheiligen Severinus, um dessen Segen und Billigung einzuholen. Kaum passte Odoacers hochgewachsene Statur unter die niedrige Tür; er war genötigt sich zu bücken; aber in dieser Geste der Demut entdeckte der Heilige die Anzeichen für seine inskünftige Größe; und so wandte er sich an ihn mit prophetischer Stimme und sprach: »Verfolge deine Entwürfe; gehe nach Italien; schon bald wirst du dieses grobe Gewand aus Tierfellen ablegen; und an Körper und Seele wirst du blühen.« »Vade ad Italiam, vade vilissimis nunc pellibus coopertus: sed multis cito plurima largiturus.« (Anonymus Valesianus, p. 717) In einer auf uns gekommenen Lebensbeschreibung des St Severinus werden viele sonst unbekannte und wichtige Einzelheiten zur Zeitgeschichte überliefert; sie stammt aus der Feder seines Schülers Eugippius (A.D. 511), dreißig Jahre nach seinem Tode. Siehe Tillemont, Mémoires ecclésiastiques, Band 16, p. 68-81.

Der Barbar, dessen unternehmender Geist sich mit diesem Bescheid rasch anfreundete, trat dem militärischen Dienst des Westreiches bei und nahm schon bald einen ehrenhaften Posten in der Garde ein. Sein Auftreten nahm allgemach Schliff an, seine Kenntnisse in militärischen Dingen mehrten sich, und sobald Odoacers Heldentaten ihm hinreichende Reputation eingebracht hatten, wählten die Konföderierten Italiens ihn zu ihrem General. Theophanes, der ihn einen Goten nennt, bekräftigt, dass er in Italien auferzogen worden sei (p. 102). Wörtlich darf man diesen starken Ausdruck nicht nehmen, und vermutlich ist hiermit auch die lange Dienstzeit in der kaiserlichen Garde gemeint. Sie ernannten ihn per acclamationem zum König, aber während seiner gesamten Dienstzeit nahm er vom Tragen des Purpurs und Diadems Abstand, »Nomen regis Odoacer assumpsit, cum tamen neque purpura nec regalibus uteretur insignibus.« Cassiodor, Chronika A.D. 476. Er scheint den Titel eines König überhaupt angenommen zu haben, ohne ihn in Bezug zu einem bestimmten Volk oder Land zu bringen. damit er nicht etwa die Herrscher vor den Kopf stoße, deren Untertanen in zufälliger Zusammensetzung jene siegreiche Armee gebildet hatten, die durch Zeitläufte und Politik zu einer großen Nation geeint werden konnten.

 

DAS WESTREICH HÖRT AUF ZU EXISTIEREN · A.D. 476 ODER 479

Den Barbaren war das Königtum vertraut und Italiens Bevölkerung fand sich bereit, ohne Murren die Autorität zu akzeptieren, die er zum Vizekönig auszurufen sich bereit erklären würde. Aber Odoacer war entschlossen, dieses ebenso nutzlose wie kostspielige Amt für alle Zeiten abzuschaffen; aber soviel Gewicht hatte damals noch althergebrachtes Brauchtum, dass einige Kühnheit und Berechnung erforderlich war, dies im Grunde äußerst einfache Unterfangen zu vollenden. Der unglückliche Augustulus wurde zum Werkzeug seines eigenen Unterganges gemacht; er unterzeichnete vor dem Senat seine Abdankungsurkunde; und noch bei ihrer letzten Gehorsamsleistung beobachtete jene Versammlung Verfassungstreue und Freiheitssinn. Durch einstimmigen Beschluss ward ein Brief an den Kaiser Zeno aufgesetzt, den Schwiegersohn und Nachfolger von Leo; gerade eben erst hatte er nach kurzen Unruhen dem Thron von Byzanz erklommen.

Feierlich »verneinten sie den Wunsch oder auch nur die Notwendigkeit einer weiteren kaiserlichen Thronfolge in Italien; denn nach ihrer einhelligen Meinung sei die Majestät eines einzigen Herrschers hinreichend, den Westen und den Osten zu schützen und zu mehren. In ihrem eigenen und des Volkes Namen sprächen sie die Auffassung aus, dass der Sitz des weltumspannenden Reiches von Rom nach Konstantinopel verlegt werden müsse; und sie begäben sich ihres Rechtes, ihren eigenen Herren zu wählen, das einzige Überbleibsel jener Macht, die einst der Welt Gesetze diktiert hatte. Die Republik (sie erröteten nicht, dieses Wort zu benutzen) möge sich den Fähigkeiten eines Odoacer anvertrauen; ihre Bitte sei es, dass der Kaiser ihn mit dem Titel eines patricius ausstatten möge und mit der Verwaltung der Diözese Italien.«

Die Senatsdelegierten wurden in Konstantinopel jedoch recht ungnädig empfangen; und als sie zur Audienz vor Zeno gelassen wurden, verfehlte er nicht, ihnen ihr Gebaren gegenüber den beiden Kaiser Anthemius und Nepos vorzuhalten, die der Osten Italien auf dessen Drängen hin geschenkt habe. »Den ersten,« so fuhr er fort, »habt ihr totgeschlagen, den zweiten verjagt; indessen ist er noch am Leben, und solange er lebt, ist er eurer gesetzmäßige Herrscher.« Aber einsichtig, wie Zeno war, ließ er schon bald die hoffnungslose Sache seines abgedankten Kollegen fahren. Seine Eitelkeit gab sich mit dem Titel des alleinigen Herrschers und den überall in Rom aufgestellten Statuen zufrieden; mit dem patricius Odoacer korrespondierte er freundschaftlich, wenngleich er sich niemals festlegte; und dankbar nahm er die kaiserlichen Insignien entgegen, die heiligen Zierden von Thron und Palast, welche der Barbar nicht ungern den Blicken des Volkes entzog. Malchus – wir müssen den Verlust seiner Schriften bedauern – hat von dieser ungewöhnlichen Gesandtschaft des Senates zu Zeno in Konstantinopel berichtet (Excerpta legationum 10). Das anonyme Fragment (p. 717) und der Auszug des Candidus (bei Photios, p. 176) sind vergleichsweise nützlich.

 

AUGUSTULUS WIRD IN DIE VILLA DES LUCULLUS VERBANNT

In Verlauf von zwanzig Jahren seit dem Tode des Valentinian sind nacheinander neun Herrscher abgetreten. Und der diese Reihe beschloss, der Sohn des Orestes, der sich nur durch seine Schönheit empfahl, wäre der letzte, von dem die Nachwelt Notiz genommen hätte, wenn unter seiner Regierung nicht eine welthistorische Ära zu Ende gegangen wäre. Das genaue Jahr, in dem das Westreich erlosch, ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Die übliche Angabe A.D. 476 hat immerhin die Bestätigung durch die zeitgenössischen Chroniken für sich. Aber die zwei durch Jordandes (Getica 46) mitgeteilten Daten würden dieses große Ereigniss auf das Jahr 479 verschieben; und wenn Herr de Buat auch dessen Beweiskraft übersehen hat, so fördert er doch (Histoire des peuples, Band 8, p. 261-288) zahlreiche Nebenumstände zu Tage, die diese Auffassung bestätigen. Der patricius Orestes hatte die Tochter des comes Romulus aus Petovio in Noricum geheiratet; der Name des Augustus war in Aqilieia ein geläufiger Familienname, der Scheelsucht der Mächtigen ungeachtet; und die Namen der beiden großen Gründer der Stadt und der Monarchie waren somit auf merkwürdige Weise in den letzten ihrer Nachfolger vereint. Siehe die Gedenkmedaillen bei du Cange, Familiae Byzantinae, p. 81, und Priscus, Excerpta legationum, p. 56 und endlich Maffei, Osservazioni letterarie, Band 2, p. 314. Es sei uns erlaubt, auf einen ähnlich gelagerten Fall anzuspielen. Der geringste Untertan des Römischen Imperiums benannte sich ruhmselig Patricius, welcher Name nach der Bekehrung Irlands sogar einem ganzen Volk zugeteilt wurde. Der Sohn des Orestes nahm den Namen des Romulus Augustus an und machte ihm Schande; den ersten verderbten die Griechen zu Momyllus, während die Lateiner den zweiten zu dem respektarmen Diminutiv Augustulus verbogen. Odoaker war großherzig genug, das Leben dieses harmlosen Jünglings zu schonen; er warf ihn mitsamt seiner Familie aus dem Kaiserpalast, setzte eine jährliche Apanage von sechstausend Goldstücken fest und wies ihm den Palast des Lucullus in Campanien als Exil- oder Ruhesitz zu. »Ingrediens autem Ravennam deposuit Augustulum de regno, cujus infantiam misertus concessit ei sanguinem; et quia pulcher erat, tamen donavit ei reditum sex millia solidos, et misit eum intra Campaniam cum parentibus suis libere vivere.« Anonymus Valesii 8,38. Jordanes sagt (Getica 46): »...in Lucullano Campaniae castello exsilii poena damnavit.« [...er wurde auf das Schloss des Lucullus in Campanien verbannt].

Sobald die Römer sich von den Leiden des zweiten Punischen Krieges erholt hatten, zog sie die Schönheit Campaniens mächtig an; und das Landhaus von Scipio dem Älteren gab ein nachdrückliches Vorbild für rustikale Schlichtheit ab. Vergleiche hierzu Senecas eloquente Ausführung (Epistulae 86). Vielleicht wollte der Philosoph daran erinnern, dass jeder Luxus relativ sei; und dass Scipio der Ältere, der seinen Umgangsformen durch Studien einen gewissen Schliff gegeben hatte, seinerseits von seinen derberen Zeitgenossen deswegen angefeindet wurde. Livius 29,19. An der Küste der Bucht von Neapel drängten sich solche Landhäuser; und Sulla lobte uneingeschränkt den meisterlichen Wurf seines Gegners, der sich auf dem emporragenden Vorgebirge von Misenum niedergelassen hatte, welches nach allen Seiten bis zum Horizont See und Land beherrschte. Sulla lobte im Soldatenidiom seine »peritia castrametandi« [Erfahrung im Lagerabstecken]. Plinius, Hisoria Naturalis. Phaedrus hat ihre schattigen Gänge (laeta viridia) zum Schauplatz einer geistlosen Fabel (2,4) gemacht.

Nach ein paar Jahren hatte Lucullus die Villa des Marius erworben, und der Preis war von zweitausendfünfhundert aus achtzigtausend Pfund Sterling gestiegen. Von 7.500 auf 252.000 Drachmen. Aber selbst als Eigentum des Marius galt die Villa als ein sehr üppiger Rückzugsort. Die Römer lachten ihn wegen seiner Trägheit aus; schon bald hatten sie Gelegenheit, über seinen Unternehmungsgeist Klage zu führen. Plutarch, Marius 34. Der neue Besitzer schmückte sie schon bald mit griechischer und orientalischer Kunst aus; und so nahmen das Haus und die Gärten des Lucullus eine hervorgehobene Stellung unter den kaiserlichen Palästen ein. Lucullus hatte noch andere vergleichbare Landhäuser in Baiae, Neapel und Tusculum; er rühmte sich, dass er zusammen mit den Störchen und Kranichen mit den Jahreszeiten sein Klima wechsele. Plutarch, Lucullus 39. Als die Vandalen der italienischen Küste furchtbar wurden, nahm die Villa des Lucullus auf dem Vorgebirge von Misenum allmählich den Namen und die Eigenart einer Festung und schließlich des Ruhesitzes des letzen römischen Kaisers an. Zwanzig Jahre danach wurde es zu einem Kloster nebst Kirche, die die Gebeine des heiligen Severinus aufnahm. Dort ruhten sie zwischen den modernden Trophäen der cimbrischen und armenischen Siege bis zum zehnten Jahrhundert; dann zerstörte die Bevölkerung von Neapel die Festungsanlagen, die den Sarazenen zu einer wirksamen Schutzwehr hätte dienen können. Severinus starb in Noricum, A.D. 482. Sechs Jahre später wurde sein Körper, der noch auf dem Vorbeitransport Wunder verbreitete, von seinen Schülern nach Italien überführt. Die Verehrung einer neapolitanische Frau führte ihn in die Villa des Lucullus, die Stätte des Augustulus, der zu jenem Zeitpunkt wohl nicht mehr am Leben war. Baronius, Annales ecclesiastici, A.D. 496, Nr. 50 und 51, und Tillemont, Mémoires ecclésiastiques, Band 16, p. 178-181, nach der Vita des Eugippus. Auch die Erzählung der letzten Wanderung des Severin nach Neapel ist authentisch.

 

ERLÖSCHEN DES RÖMISCHEN GEISTES

Odoacer war der erste Ausländer, der in Italien das Szepter fuchtelte über ein Volk, das einstmals der restlichen Welt seinen Willen aufgedrückt hatte. Die Schmach der Römer erregt noch heute unser respektvolles Mitgefühl, und wir könnten mit dem Kummer ihrer ausgearteten Nachfahren zärtelnden Anteil nehmen. Aber die Notlage Italiens hatte das eigentliche Gefühl für Freiheit und Würde mählich verkümmern lassen. Als Rom im Zenit seiner Macht stand, waren die Provinzen den Waffen und die Bürger den Gesetzen der Republik gehorsam: bis diese Waffen sich in Bürgerkriegen verbrauchten und die Stadt und die Provinzen zum beliebig verfügbaren Eigentum von Tyrannen wurden. Die äußere Beschaffenheit der Verfassung, die ihre erbärmliche Sklaverei verschleiern oder erleichtern sollte, wurde im Laufe der Zeit ganz aufgegeben; die Italiener beklagten abwechselnd die An- oder Abwesenheit des jeweiligen Herrschers, die sie im Grunde verabscheuten oder verachteten; und im Laufe von fünf Jahrhunderten lernten sie dann alle Abarten von militärischer Brutalität, willkürlichstem Despotismus oder ausgefeilter Unterdrückung kennen.

Und genau während dieser Zeit erhoben sich die Barbaren über ihren verachteten und unbedeutenden Status; die germanischen und skythischen Krieger wurden in den Provinzen aufgenommen, zunächst als Sklaven, dann als Verbündete und endlich als die Herren Roms, das von ihnen bedrängt oder geschützt wurde. Der Hass der Bevölkerung trat hinter die Furcht zurück; sie anerkannten den kriegerischen Geist und Ruhm der Stammeshäuptlinge, die die Ehren-Insignien des Reiches trugen; und für lange Zeit hing Roms Schicksal an den Waffen jener schrecklichen Fremden. Der mächtige Ricimer, der Untergang Italiens, hatte die Macht eines Königs ohne eigentlichen Titel ausgeübt; und die Römer, mittlerweile leidensfähig geworden, ließen sich Odoakers Königtum und das seiner Nachfolger gefallen.

 

ODOAKERS HERRSCHAFT · A.D. 476-490

Der König von Italien war seiner bedeutenden Stellung, zu welcher Zufall und persönliche Tüchtigkeit ihn emporgehoben hatten, durchaus nicht unwürdig. Seine ungehobelten Aufführungen erhielten durch geeigneten Umgang einige Glättung; und obwohl er der Eroberer und Sieger war, ließ er gleichwohl die staatlichen Einrichtungen und Vorlieben seiner Untertanen unangetastet. Nach Ablauf von sieben Jahren führte Odoaker das Konsulat im Westreich wieder ein. Für sich selbst verzichtete er aus Bescheidenheit oder aus Hochmut auf eine Ehre, die die Herrscher des Ostens für sich noch immer in Anspruch nahmen. Elf der bedeutendsten Senatoren hatten nacheinander den Sitz im Senat eingenommen. Die konsularischen Fasti können bei Pagi oder Muratori nachgeschlagen werden; die von Odoaker oder dem römischen Senat ernannten Konsuln wurden offenbar im Ostreich anerkannt. In diesem Verzeichnis glänzt der angesehene Name des Basilius, dessen Tugend ihm die Freundschaft und Bewunderung seines Klienten Sidonius einbrachte. Sidonius Apollinaris (1, Epistulae 9) hat die beiden bedeutendsten Senatoren der Zeit (A.D. 468), Gennadius Avienus und Caecina Basilius miteinander verglichen. Dem ersteren schrieb er die sichtbaren öffentlichen und dem letzteren die handfesteren privaten Tugenden zu. Ein jüngerer Basilius, vermutlich sein Sohn, war Konsul im Jahr 480. Die Gesetze der Herrscher wurden getreulich eingehalten, und die Zivilverwaltung Italiens wurde nach wie vor vom Reichspräfekten und seinen nachgeordneten Beamten ausgeübt. Die widrige und verhasste Aufgabe des Steuereintreibens übertrug Odoaker den römischen Magistraten; für sich selbst sparte er die dankbaren und volkstümlichen Nachlässe auf. Epiphanius intervenierte zugunsten der Bewohner von Pavia; und der König gewährte zunächst einen Aufschub von fünf Jahren und danach ersparte er ihnen Pelagius, den gewalttätigen Reichspräfekten. (Ennodius in der Vita St. Epiphanii, bei Sirmond, Opera, Band 1, p. 1670 und 1672).

Wie allen anderen Barbaren war er mit der arianischen Ketzerei aufgewachsen; klerikale Würdenträger und Mönche hatten seine Bewunderung; und dass die Katholiken schwiegen, beweist ihre Duldung. Um des Friedens willen musste sein praefect bei der Wahl des römischen Pontifex moderierend eingreifen; zum Wohle des Volkes wurde jetzt endgültig das Dekret verabschiedet, das dem Klerus untersagte, Land zu veräußern, um mit den Erträgen baufällige Kirchengebäude in Stand zu setzen. Baronius, Annales ecclesiastici, A.D. 483, Nr. 10-15. Sechzig Jahre später wurde das gesetzwidrige Vorgehen des Basilius von Papst Symmachus auf einer Synode zu Rom verurteilt. Italien wurde durch die Waffen seines Besiegers geschützt; und die Barbaren Galliens und Germaniens achteten seine Grenzen, nachdem sie sie unter dem schwächlichen Theodosius so lange missachtet hatten. Odoaker überquerte die Adria, um den Mord an Kaiser Nepos zu rächen und sich die Meerprovinz von Dalmatien anzueignen. Dann zog er über die Alpen, um die Reste der Provinz Noricum vor dem Rugierkönig Fava oder Felethus zu retten, der am anderen Donauufer seine Residenz eingerichtet hatte. Der König wurde im Kampf besiegt und gefangen abgeführt; zahllose Gefangene und andere Untertanen wurden nach Italien umgesiedelt; und Rom mochte sich nach langen Zeiten der Demütigung und Niederlagen eines Sieges seines ausländischen Herren rühmen. Die Kriege Odoakers werden bei Paulus Diakonus (De gestis Langobardorum 1,19) und den beiden Chroniken des Cassiodor und Cuspinian in aller Knappheit erwähnt. Die Lebensbeschreibung des heiligen Severinus von Eugippus, die der Count de Buat sorgfältig untersucht hat (Histoire des peuples, Band 8, c. 1,4,8,9) gibt zusätzliche Einblicke in den Untergang der Provinz Noricum und einige bairische Altertümer.

 

DER ERBÄRMLICHE ZUSTAND ITALIENS

Ungeachtet der Besonnenheit und der Erfolge Odoakers bot sein Königreich den trübseligen Anblick von Armut und Verzweiflung. Seit den Tagen eines Tiberius war die Landwirtschaft in Italien spürbar zurückgegangen; und ständig wurde Klage geführt darüber, dass das Leben der Römer von den Launen des Wetters und der Wellen abhänge. Tacitus, Annalen 3,35. Butel-Dumont, Recherches sur l'administration (p. 351-361) zeigt den erkennbar fortschreitenden inneren Verfall. Wegen der Aufteilung und des Niederganges des Reiches war die Ernte Ägyptens ausgeblieben; ständig ging infolge von Nahrungsknappheit die Zahl der Bewohner zurück; schließlich hatte das Land durch Krieg, Hungersnot Eine Hungersnot, die Italien während des Überfalles des Herulerkönig Odoaker durchlitt, wird eindrücklich in Prosa und Versen durch einen französischen Dichter, Les Mois (Band 2, p. 174 und 206 der Duodezausgabe), geschildert. Mir ist nicht bekannt, woher er seine Kenntnisse bezieht; aber ich bin mir sicher, dass er einige historisch nicht haltbare Tatsachen berichtet. und Pestilenz unwiederbringliche Bevölkerungsverluste erlitten. Der heilige Ambrosius hat den Untergang eines bevölkerungsreichen Landstriches bejammert, den einst die blühenden Städte Bologna, Modena, Regium und Placentia geziert hatten. Siehe den 39. Brief des hl. Ambrosius, zitiert von Muratori, Delle antichità italiane, Band 1, Dissertatio 21, p. 354. Papst Gelasius war Odoaker untertänig und schildert mit starker Übertreibung, dass in der Emilia, Toscana und den benachbarten Provinzen jedes menschliche Leben nahezu erloschen sei. »Aemilia, Tuscia, ceteraque provinciae in quibus hominum prope nullus exsistit.« Gelasius Epistula ad Andromachum, bei Baronius, Annales ecclesiastici A.D. 496, Nr. 36. Die Plebejer aus Rom, die aus der Hand ihrer Herren genährt wurden, gingen zugrunde oder verschwanden, sobald seine Freigebigkeit erlosch; der Untergang der Künste verurteilte die fleißigen Künstler zu Nichtstun und Armut; und die Senatoren, die über die Notlage ihrer Heimat noch Gelassenheit beobachteten, entsetzten sich wegen des Verlustes ihres privaten Vermögens und des Luxus' umso mehr. Ein Drittel jener riesigen Latifundien, deren Verlust den Ruin Italiens ausmachte, »Verumque confitentibus, latifundia perdidere Italiam.« [Um die Wahrheit zu sagen: die Latifundien haben Italien ruiniert]. Plinius, Naturalis Historia, 18,7,3. wurde zum Gebrauch durch die Sieger enteignet. Zum Unrecht kam noch die Kränkung; zu der Verbitterung über den gegenwärtigen Verlust trat noch die Sorge vor zukünftigen Übeln; und da neues Land stets auf neue Barbarenschwärme verteilt wurde, überkam jeden Senator Sorge, sobald sich eigenmächtige Feldmesser seiner Lieblingsvilla oder seinem ergiebigsten Ackerland näherten.

Am glücklichsten erging es noch denjenigen, die sich ohne Murren der Macht unterwarfen, gegen die Widerstand hoffnungslos war. Da sie am Leben hingen, empfanden sie bereits das Gefühl der Dankbarkeit gegenüber dem Tyrannen, wenn er sie nur am Leben ließ; und da er nach absolutem Belieben über ihr Vermögen verfügte, musste das, was er ihnen übrig ließ, gleichsam als freiwilliges Gnadengeschenk angesehen werden. Auf diese Weise sucht Cicero (Ad Familiares 9,17) seinem Freund Papirius Paetus Trost oder Geduld zuzusprechen, als dieser unter der Soldateska Caesars zu leiden hatte. Das Argument »vivere pulcherrimum duxi« (einfach nur zu leben habe ich für das Schönste gehalten) ist aber eher an einen römischen Philosophen zu richten, der die freie Wahl zwischen Leben und Tod hatte. Italiens Notlage war indessen gelindert durch Odoakers Menschlichkeit und Staatsklugheit, da er sich – als Preis für seine Wahl – damit begnügte, die Begehrlichkeiten des habgierigen Wahlvolkes zufrieden zu stellen. Die Barbarenkönige wurden oft genug bekämpft, abgesetzt oder ermordet: von ihren eigenen Landsleuten. Und die verschiedenen Söldnerbanden Italiens beanspruchten unter der Fahne eines von ihnen bestimmten Generals das Vorrecht auf Raub. Eine Monarchie, der die Einheit der Nation fehlt und das Erbrecht, eilt seiner Auflösung entgegen. Nach nur vierzehn Jahren wurde Odoaker durch das überlegene Genie des Ostgotenkönigs Theoderich beiseite geschoben, der in sich kriegerische und zivile Fähigkeiten vereinte, der ein Zeitalter des Friedens und des Wohlstandes errichtete und dessen Name noch heute ganz zu Recht die Achtung der Menschheit verdient.


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