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XXX

GOTENAUFSTAND · VERWÜSTUNG GRIECHENLANDS · ALARICH UND RADAGAIUS FALLEN IN ITALIEN EIN · ABWEHR DURCH STILICHO · GERMANEN ÜBERRENNEN GALLIEN · CONSTANTIN WIRD USURPATOR IM WESTEN · STILICHO IN UNGNADE · SEIN TOD · CLAUDIAN

 

GOTENAUFSTAND

Sollten die Untertanen Roms vergessen haben, was sie dem großen Theodosius zu danken hatten, so wurden sie nur allzuschnell darüber belehrt, wie unermüdlich ihr verstorbener Herrscher Geist und Kraft aufgewendet hatte, um das ächzende und wankende Gebäude des Reiches zu festigen. Er starb im Januar; und noch vor dem Ende des Winters stand die Nation der Goten unter Waffen. Der Gothenaufstand und die Belagerung von Konstantinopel werden insbesondere hervorgehoben von Claudian (In Rufinum 2,7-100); Zosimos (5,5); und Jordanes (Getica 29). Die Hilfsvölker der Barbaren errichteten die Standarte der Unabhängigkeit; und vernehmbar kündeten sie ihre kriegerischen Pläne, mit denen sie schon seit langem feindlich umgegangen waren. Ihre Landsleute, denen die Bedingungen der letzten Friedensverträge ein Leben in ländlicher Stille auferlegt hatten, ließen ihre Gehöfte beim ersten Trompetenschall im Stich und griffen voller Kampfbegier zu den Waffen, die sie nur widerwillig niedergelegt hatten. Die Grenzfestungen an der Donau wurden aufgestoßen; die Wilden Skythiens brachen aus ihren Wäldern hervor; und der ungewöhnlich strenge Winter vermochte den Dichter zu der Feststellung, dass »sie ihre schwergewichtigen Wagen über den breiten und zugefrorenen Rücken des empörten Flusses zogen.« Alii per terga ferocis /Danubi solidata ruunt; expertaque remos/Frangunt stagna rotis. (Claudian, In Rufinum 2,26f). Claudian und Ovid bereitet es oft Vergnügen, die Metaphern und Eigenschaften von ›flüssigem‹ und ›festem‹ Eis auszutauschen. Da ist viel falscher Witz an eine so leichtgewichtige poetische Übung verschwendet worden.

Die unglückseligen Bewohner der Länder südlich der Donau schickten sich in diese Kalamitäten, an die sie sich im Laufe der letzten zwanzig Jahre fast schon gewöhnt hatten; und verschiedene Detachements der Barbaren, die sich alle mit dem Namen der Goten schmückten, drangen gelegentlich von den bewaldeten Küsten Dalmatiens bis vor die Mauern von Konstantinopel. Hieronymus (Epistulae 60, Opera, Band 1, p.26) versucht seinen Freund Heliodorus, den Bischof von Altinum, über den Tod seines Neffen hinweg zu trösten, indem er in merkwürdiger Zusammenschau alle die privaten und staatlichen Unglücksfälle seiner Zeit in Erinnerung ruft. (Siehe Tillemont, Mémoires ecclesiastiques, Band 12, p. 200ff.) Die Unterbrechung oder doch wenigstens die Minderung der Subsidien, die die klugberechnende Freigebigkeit des Theodosius verfügt hatte, lieferte den vordergründigen Anlass für den Aufstand; die Kränkung wurde noch verstärkt durch die Verachtung, die sie für die völlig unkriegerischen Söhne des Theodosius erübrigten; und ihr Zorn zusätzlich gesteigert durch die Schwäche oder den Verrat des Ministers von Arcadius. Rufinus' häufigen Besuche bei den Barbaren, deren Waffen und Kriegstracht nachzuahmen er sich nicht entblödete, wurden als hinreichender Beweis für sein verschwörerisches Einverständnis mit ihnen angesehen: und der Feind war infolge von Dankbarkeit oder Berechnung darum bemüht, dass inmitten der allgemeinen Verwüstung ausgerechnet die privaten Länderein des beim Volk verhassten Präfekten verschont blieben.

Die Goten selbst wurden nicht mehr wie ehedem von blindwütigen und halsstarrigen Stammeshäuptlingen aufgehetzt, vielmehr stand an ihrer Spitze das umsichtige und kühne Genie eines Alarich. Dieser hochberühmte Häuptling stammte aus dem edlen Geschlecht der Balten, »Balti« (Die Kühnen: »origo mirifica« [wundersame Herkunft], so Jordanes (Getica 29). Blühten lange in Frankreich in der gotischen Provinz Septimania (Languedoc) unter der verderbten Benennung Baux: ein Zweig der Familie siedelte später im Königreich Neapel (Grotius in der Vorrede zur Historia Gothorum, p. 53). Die Lords von Beaux nahe Arles und 79 anderen nachgeordneten Ortschaften waren von den Grafen der Provence unabhängig. Longuerue, Description de la France, Band 1, p. 357, die nur hinter den Königsgeschlecht der Amaler zurückstanden: er hatte sich ein römisches Militärkommando erbeten; und der kaiserliche Hof brachte ihn dazu, ihnen die Torheit ihrer Ablehnung und die Größe dieses Verlustes ganz handgreiflich vor Augen zu führen. Welche Erwartungen sie mit der Eroberung von Konstantinopel verbunden haben mochten: Alarich war einsichtig genug, das hoffnungslose Unterfangen aufzugeben. Arcadius, umgeben von einem zerstrittenen Hof und einer unzufriedenen Bevölkerung, packte angesichts der gotischen Scharen das blanke Entsetzen; aber der Mangel an Entschlussfreudigkeit und Schlagkraft wurde wettgemacht durch die gewaltigen Befestigungsanlagen, welche zu Lande und zu Wasser den ohnmächtigen und eher zufälligen Pfeilen der Barbaren Trotz bieten mochten. Alarich verzichtete darauf, noch weiter dem ausgeplünderten Thrakien und Dakien beschwerlich zu fallen und suchte stattdessen Ruhm und Beute in einer Provinz, die der Krieg bis dahin verschont hatte. Zosimos (5,5) ist für die Eroberung Griechenlands unsere beste Quelle. Aber auch die Anspielungen und Winke Claudians enthalten viele Strahlen historischen Lichtes.

 

EROBERUNG GRIECHENLANDS DURCH ALARICH - A.D. 396

Der Charakter der Generäle, denen Rufinus die Verwaltung Griechenlands übertragen hatte, bestätigte den allgemein gehegten Verdacht, dass er die alte Wiege der Freiheit und Gelehrsamkeit an die gotischen Eindringlinge verraten habe. Der Prokonsul Antiochus war der unwürdige Sohn eines achtbaren Vaters; und der Befehlshaber der Provinztruppen, Gerontius, war eher geeignet, die Befehle eines verkommenen Tyrannen zu exekutieren als mit Mut und Geschick ein Land zu verteidigen, welches von Natur aus bereits vorzüglich befestigt war.

Alarich hatte die Ebenen Makedoniens und Thessaliens durchquert, ohne Widerstand zu erfahren und war bis an das Oetas-Gebirge gelangt, eine steile, waldige, für seine Kavallerie nahezu undurchdringliche Hügellandschaft. Sie erstreckte sich in west-östlicher Richtung bis unmittelbar an die Küste; hier ließ sie bis zum Malianischen Golf nur eine Lücke von dreihundert Fuß, welche sich an einigen Stellen bis auf die Breite einer Straße verengte und knapp einen einzigen Wagen passieren ließ. Vergleiche Herodot 7,126 und Livius 36,15. Der enge Zugang nach Griechenland wurde vermutlich durch jeden der nachfolgenden Eindringlinge erweitert. An diesem engen Pass, den Thermopylen, an dem einst Leonidas und seine dreihundert Spartaner ihr Leben dahingegeben hatten, hätte ein tüchtiger General auch die Goten aufhalten oder sogar vernichten können; und vielleicht hätte allein der Anblick dieser geweihten Stätte den heruntergekommenen Griechen einen Anflug von Kampfesmut eingegeben.

Die Truppen, die zum Schutz der Thermopylen aufgestellt waren, zogen sich befehlsgemäß zurück, ohne den Versuch zu machen, Alarich in seinem Vorwärtstürmen auch nur zu stören. Alarich, so Eunapios (Vitae sophistarum p. 93) zog über den Passweg [Ü.a.d.Griech.: durch die Thermopylen wie durch ein Stadion und eine von Pferden zerstampfte Ebene]. Und schon waren die fruchtbaren Ebenen von Phokis und Boeotien von einer Barbarenflut überschwemmt, die alle waffenfähigen Männer massakrierte und aus den brennenden Dörfern zusammen mit anderer Beute und dem Vieh die Frauen fortschleppte. Reisende, die noch viele Jahre später Griechenland besuchten, konnten die blutige Spur der Goten überall mit Leichtigkeit ausmachen; und Theben dankte seine Rettung weniger der Stärke seiner Sieben Tore als vielmehr der Eile Alarichs, den es heftig danach verlangte, Athen und den wichtigen Hafen Piraeus zu besetzen.

Die gleiche Ungeduld bestimmte ihn auch, von den Langwierigkeiten und Gefahren einer Belagerung abzustehen und eine Kapitulation anzubieten: und sobald die Athener die Stimme des gotischen Herolds vernahmen, fanden sie sich rasch darein, den größten Teil ihrer Reichtümer als Lösegeld für die Stadt der Athene und seiner Einwohner herauszugeben. Der Vertrag wurde i feierlichem Rahmen unterzeichnet und von beiden Seiten getreulich eingehalten. Der Gotenherrscher wurde zusammen mit einer kleinen Schar in die Stadt eingelassen; er gönnte sich ein erfrischendes Bad, ließ sich vom Magistrat zu einem Festbankett einladen und war bestrebt zu beweisen, dass er der Gepflogenheiten einer Kulturnation durchaus nicht unkundig war. In Anlehnung an Hieronymos und Claudian (In Rufinum 2,191) habe ich der freundlichen Darstellung des Zosimos einige dunklere Farben beigegeben, da er ersichtlich bestrebt war, Athens Notlage in ein milderes Licht zu tauchen. »Nec fera Cecropias traxissent vincula matres.« [Und nicht trugen barbarische Ketten die Mütter Cecrops']. Synesius (Epistulae 135) weist noch darauf hin, dass Athen, dessen Leiden er der Habgier des Proconsul anrechnet, zu jener Zeit weniger wegen seiner Philosophenschulen berühmt war als wegen seines - Honighandels. Aber ganz Attika, von Kap Sunion im Süden bis zu der Stadt Megara hatte unter seiner unheilvollen Anwesenheit zu leiden; und wenn wir an dieser Stelle den Vergleich eines zeitgenössischen Dichters heranziehen dürfen: Athen ähnelte der nackten, blutigen Haut eines Schlachttieres.

Die Entfernung zwischen Megara und Korinth können wir auf gute dreißig Meilen veranschlagen; aber die schlechte Straße – ein bezeichnender Name, der unter den Griechen immer noch üblich ist – war für den Vormarsch eines Feindes unbenutzbar oder hätte doch leicht dazu gemacht werden können. Das Landesinnere bedeckte der dichte und finstere Wald des Kithaerongebirges; das skironische Felsengebirge stieß bis an das Gestade vor und bedrohte den engen und windungsreichen Pfad, der sich über sechs Meilen an der Küste entlang schlängelte. »Vallata mari Scironia rupes, Et duo continuo connectens aequora muro Isthmos.« [...umfriedet von den Skironischen Felsen;/und der Isthmus, der sich zwischen zwei Meeren wie eine Mauer hinstreckt]. Claudian, De bello Pollentino sive Gothico 188. Die Skironischen Felsen sind von Pausanias (1,44) beschrieben worden sowie von unseren modernen Reisenden Wheeler (Voyages de Dalmatie, p. 436) und Chandler (Travels in Asia minor, p. 298). Hadrian erweiterte den Weg so, dass zwei Fuhrwerke nebeneinander fahren konnten. Entlang dieser Felsformationen, die zu allen Zeiten einen üblen Ruf hatten, gelangt man an den Isthmus von Korinth; und ein kleines Kontingent von entschlossenen und furchtlosen Kriegern hätte mit Erfolg einen rasch aufgeworfenen Schutzwall von fünf bis sechs Meilen Länge zwischen Ionischem Meer und Ägäis verteidigen können. Das Vertrauen der peloponnesichen Städte in ihre natürlichen Schutzwälle hatte sie verführt, ihre alten Stadtmauern zu vernachlässigen; und die Habgier der römischen Statthalter hatte die unglückliche Provinz zusätzlich arm gemacht. Claudian (In Rufinum 2,186 und de bello Gothico 611ff) schildert die Szene zwar in allgeinen Ausdrücken, aber in kräftigen Farben.

Korinth, Argos und Sparta ergaben sich den Goten ohne Widerstand; und am glücklichsten waren die Einwohner, die starben, bevor sie die Versklavung ihrer Familien und die Verbrennung ihrer Stadt mit ansehen mussten. [Ü.a.d.Griech.: Dreimal selige Griechen und viermal...) Diese erhabenen Zeilen Homers (Odyssee 5,306) hatte einer der jugendlichen Gefangenen aus Korinth übertragen; und die Tränen des Mummius mögen als Beweis dafür stehen, dass der ungebildete Eroberer, der zwar den Wert eines Originalbildes nicht begriff, immerhin denn doch die zuverlässigste Voraussetzung für guten Geschmack besaß, nämlich ein wohlwollendes Herz. Plutarch, Quaestiones convivales 9, Opera Band 2, p. 737. Vasen und Standbilder wurden unter die Barbaren aufgeteilt, wohl eher unter dem Gesichtspunkt ihres materiellen als ihres künstlerischen Wertes; den weiblichen Gefangenen erging es nach Krieges Unsitte; die Freude am Schönen war Belohnung für Tapferkeit; und die Griechen konnten noch nicht einmal Klagen hiergegen vorbringen, war diese Praxis doch durch Vorbilder bereits aus heroischen Zeiten gerechtfertigt. Homer erzählt beständig von der ausnehmenden Leidensfähigkeit der weiblichen Gefangenen, welche ihren Liebreiz und selbst ihre Herz den Mördern ihrer Väter, Brüder u.a. schenkten. Diese Leidenschaften (etwa die der Eriphile für Achill) wird von Racine mit bemerkenswertem Feingefühl behandelt. Die Nachfahren jener stolzen Menschen, die meinten, dass die Mauern Spartas Kampfesmut und Ordnung seien, hatten schon längst vergessen, was ihre Vorväter einst einem Angreifer geantwortet hatten, der weitaus fürchterlicher gewesen war als Alarich: »Bist du ein Gott, so wirst du die nicht angreifen, die dir nie ein Übles getan haben; bist du aber ein Mann, wohlan denn: – du wirst auf Männer treffen, die dir gewachsen sind.« Plutarch (Pyrrhos 26ff) überliefert die Antwort in unverfälschter lakonischer Sprache. Pyrrhus griff Sparta mit 25 000 Mann Infanterie, 2000 Mann Kavallerie und 24 Elephanten an: und die erfolgreiche Verteidigung der offenen Stadt ist ein schöner Kommentar zu den Gesetzen Lykurgs, selbst noch auf der letzten Stufe des Verfalls.

Auf dem Wege von den Thermopylen nach Sparta stellte sich Alarichs siegreichem Vorwärtsstürmen auch nicht ein Sterblicher entgegen; allerdings hatte einer der Verteidiger des untergehenden Heidentums mit Bestimmtheit dargetan, dass die Mauern Athens von der Göttin Athene persönlich mitsamt ihren schrecklichen Aegisschild bewacht werde sowie von Achills zornigem Geiste; So, wie ihn etwa Homer (Ilias 20, 164) dargestellt hat. und dass der Eroberer durch die Gegenwart der feindlichen griechischen Götter in Schrecken versetzt worden sei. Es wäre nicht recht getan, wollte man den Anspruch des Historikers Zosimos auf solche allgemeinen Segnungen in einer Zeit der Wundergläubigkeit in Abrede stellen; aber man kann in der Tat auch nicht verhehlen, dass Alarichs Gemüt für Eindrücke des griechischen Aberglaubens vergleichsweise unvorbereitet war, mochten sie ihn nun im Wachen oder Schlafe heimsuchen. Homers Gesänge oder der Ruhm des Achill waren vermutlich niemals bis an das Ohr dieses illiteraten Barbaren gelangt; und das Christentum, dem er ergebenst anhing, lehrte ihn, die griechischen und römischen Fabelgötter zu verachten. Die Invasion der Goten trug, wenn auch zufällig, dazu bei, die letzten Reste des Heidentums zu tilgen, anstelle ihm Schutz zu gewähren; und die Mysterien der Ceres, die immerhin acht Jahrhunderte überlebt hatten, überlebten nicht die Zerstörung von Eleusis und Griechenlands Notlage. Eunapios (Vitae Sophistarum, p. 90-93) redet uns ein, Mönche hätten Griechenland verraten und sich dann den Goten angeschlossen.

 

STILICHO GREIFT ALARICH AN · A.D. 397

Die letzte Hoffnung dieses Volkes, das nicht mehr auf seine Waffen, seinen Herrscher und seine Götter rechnen konnte, lag auf den Schultern des starken Heermeisters des Westens; und Stilicho, dem man nicht gestattet hatte, die Eroberer Griechenlands abzuwehren, eilte, sie zu züchtigen. Über Stiliochos griechischen Krieg vergleiche die vorurteilslose Darstellung des Zosimos (5,7) mit Claudians linkischen und merkwürdigen Artigkeiten (De consulatu Stilichonis I, 1,172- 186 und De IV consulatu Honorii 459-487). Da der Ausgang ruhmlos war, wird er kunstvoll in den Schatten gestellt. In Italiens Häfen wurde eine mächtige Flotte ausgerüstet; und nach kurzer und glückhafter Fahrt über das Ionische Meer wurden die Truppen sicher am Isthmus nahe den Ruinen von Korinth angelandet. Das Waldgebirge Arkadiens, die märchenberühmte Heimat von Pan und den Dryaden, wurde zum Schauplatz eines langen Gefechtes von zweifelhaftem Ausgang zwischen zwei Generälen, die einander durchaus ebenbürtig waren. Schließlich obsiegten römische Tüchtigkeit und Ausdauer; und da die Goten aufgrund von Krankheiten und Desertation bereits erhebliche Verluste hatten hinnehmen müssen, zogen sie sich nach und nach auf den Pholoeberg nahe den Peneusquellen und der Grenze zu Elis zurück: heiliges Land, welches zuvor von aller Kriegsnot verschont geblieben war. Die Truppen, welche durch Elis marschierten, lieferten ihre Waffen ab. Diese Sicherheit machte die Elier reich, welche das ländliche Leben liebten. Reichtum erzeugt Hochmut; sie achteten ihre Vorzugsstellung gering und litten Not. Polybios rät ihnen, noch einmal in ihren magischen Kreis zurückzukehren. Siehe dazu die gelehrte und durchdachte Studie, die Herr West seiner Pindarübersetzung vorangestellt hat.

Sofort wurde das Lager der Barbaren umstellt; der Fluss Claudian (De IV consulatu Honorii 459-487) deutet dies nur an ohne den Fluss beim Namen zu nennen: er meint wohl den Alpheios (De consulatu Stilichonis 1,185). Ich neige allerdings zu der Ansicht, dass es der Peneus war, ein flacher Fluss in einem weiten Bett, welcher durch Elis fließt und unterhalb von Kyllene ins Meer mündet. Er wurde mit dem Alpheios zusammengebracht, den Augiasstall auszumisten. Cellarius, Geographia antiqua, Band 1, Band 1, p. 760 und Chandler, Travels p. 286. wurde in eine andere Richtung umgelenkt; und während sie unter bitterem Hunger und Durst zu leiden hatten, wurden sie mit starkem Schanzwerk eingekesselt, das ihre Flucht verhindern sollte. Nach diesen Vorsichtsmaßnahmen zog sich Stilicho siegessicher zurück, um seinen Triumph bei Theaterspielen und lasziven griechischen Tänzen zu genießen; auch seine Soldaten ließen ihre Posten im Stich, zogen plündernd durch das Land ihrer Verbündeten und rissen alles an sich, was die raubgierige Hand der eigentlichen Feinde mochte stehen gelassen haben.

Alarich scheint den günstigen Augenblick beim Schopfe gepackt zu haben, um eines von jenen kühnen Wagnissen zu unternehmen, in denen sich die Fähigkeiten eines Feldherren eindrucksvoller bewähren als im Tumult eines Gefechtes. Um sich aus der Falle des Peloponnes zu befreien, musste er notwendig die Schanzungen durchbrechen, die sein Lager umstanden; musste er einen schwierigen und gefährlichen Marsch von dreißig Meilen bis zum Golf von Korinth zurücklegen; und musste er schließlich Truppen, Gefangene und Beute über einen Meeresarm bringen, welcher zwischen Rhegium und der gegenüber liegenden Küste wenigstens eine halbe Meile breit war. Srabo, 8, p. 517; Plinius, Naturalis Historia 4,3; Wheeler, Voyages p. 308; Chandler, Travels p.286. Die Entfernung bestimmten sie von verschiedenen Punkten zwischen beiden Ufern. Alarichs Maßnahmen mussten zudem geheim, umsichtig und schnell erfolgen; denn Stilicho war aufgeschreckt durch die Nachricht, dass die Goten, die sich seinen Umklammerung erfolgreich entwunden hatten, die wichtige Provinz Epirus vollständig in der Hand hatten. Diese unglückliche Verzögerung gab Alarich genug Zeit in die Hand, den Vertrag abzuschließen, den er heimlich mit den Beauftragten Konstantinopels verhandelt hatte. Die Sorge vor einem Bürgerkrieg bestimmte Stilicho, sich aus dem Herrschaftsbereich des Arcadius zurück zu ziehen; und er respektierte in dem Feinde Roms zugleich auch die ehrenhafte Persönlichkeit des Verbündeten und Dieners des Oströmischen Kaisers.

 

ALARICH WIRD HERRSCHER VON ILLYRIEN UND KÖNIG DER WESTGOTEN · A.D. 398

Ein griechischer Philosoph, der kurz nach dem Tode des Theodosius Konstantinopel besucht hatte, veröffentliche seine freisinnigen Ansichten über die Pflichten eines Königs und den Zustand des römischen Staates. Synesius verbrachte drei Jahre (A.D. 397-400) in Konstantinopel als Botschafter Cyrenes bei Arcadius. Er stellt ihn uns mit einer Goldkrone dar und hielt vor ihm die belehrende Rede De Regno (Opera, S. 1-32). Der Philosoph wurde zum Bischof von Ptolemais (A.D. 410) und starb um A.D. 430. Tillemont, Mémoires ecclésiastiques Band 12, p. 499, 544 und 683-685. Synesios bemerkt und beweint die verhängnisvollen Schäden, die die unkluge Freigebigkeit des verstorbenen Herrschers in der Armee angerichtet hatte. Bürger und Untertanen hatten eine Freistellung von der unverzichtbaren Pflicht zur Landesverteidigung erwirkt, die von Miettruppen der Barbaren wahrgenommen wurde. Den skythischen Flüchtlingen ließ man ihre Geringschätzung der unantastbaren Wertvorstellungen des Reiches durchgehen; ihre stürmische Jugend, die die segensreichen Zügel des Gesetzes gering achtete, war mehr darauf bedacht, sich die Reichtümer der von ihnen verachteten und gehassten Bevölkerung anzueignen als deren Kultur nachzuahmen; und die Schlagkraft der Goten war wie der Felsblock des Tantalus, der als beständige Bedrohung über dem Frieden und der Sicherheit des Staates hing.

Die Abhilfe, die Synesios empfiehlt, sind die Anweisungen eines groß denkenden Patrioten. Der Kaiser wird ermahnt, seinen Untertanen durch sein persönliches Vorbild den Mut zu heben, den Luxus vom Hof und aus dem Lager zu entfernen; anstelle der barbarischen Söldnerheere eine Arme von wahren Männern einzusetzen, die an der Verteidigung ihre Gesetze und ihres Eigentums ein persönliches Interesse hätten; in einem solchen Augenblick der gemeinen Gefahr den Meister von seiner Werkbank und den Philosophen aus seiner Schule abzuberufen; den trägen Bürger aus seinem friedlichen Schlummer aufzustöbern und zum Schutze der Landwirtschaft den rüstigen Bauern die Waffe in die Hand zu drücken. An der Spitze eines solchen Heeres, das den Namen römisch wirklich verdient hätte, sollte der Sohn des Theodosius den Barbaren entgegentreten, denen es an wahrem Mut durchaus mangele; und er solle nicht ablassen vom Kampfe, bis er sie zu Paaren getrieben habe bis in die Wüsten Skythiens; oder bis er sie zu knechtischer Abhängigkeit gezwungen habe wie einst die Spartaner die Heloten. Synesios, de regno, p. 21-26.

Der Hof des Arcadius ließ sich Synesios' Eifer wohl gefallen, sparte nicht mit Beifall und kümmerte sich nicht weiter um seine Ratschläge. Vielleicht hatte der Philosoph, der mit dem Kaiser des Ostreiches die Sprache der Vernunft gesprochen hatte, die allenfalls der König von Sparta verstanden hätte, es unterlassen, einen praktikablen Plan zu entwerfen, der besser zu dem Zustand und den Möglichkeiten dieses verkommenen Zeitalters gepasst hätte. Vielleicht hatte auch der Dünkel der Minister, deren Tätigkeit selten von Nachdenklichkeit unterbrochen wurde, jeden Vorschlag als übersteigert und phantastisch zurück gewiesen, wenn er ihr Fassungsvermögen überforderte und vom üblichen Geschäftsgang abwich. Während noch die Rede des Synesios und die Unterwerfung der Barbaren gängige Topoi in der öffentlichen Diskussion bildeten, erging in Konstantinopel ein Edikt, durch welches Alarich zum Heermeister von Ostillyrien bestellt wurde.

Die Bewohner der römischen Provinz und ihre Alliierten, die die Verträge eingehalten hatten, waren zu Recht empört, dass der Untergang Griechenlands und des Epirus auch noch großzügig sollte belohnt werden. Der gotische Eroberer wurde in den Städten, die er noch kurz zuvor belagert hatte, als getreuer Magistrat begrüßt. Die Väter, deren Söhne er massakriert hatte und die Männer, deren Frauen er vergewaltigt hatte, unterstanden von nun an seiner Autorität, und der Erfolg seines Vorgehens ermutigte naturgemäß jeden Befehlshaber ausländischer Söldnertruppen. Der Gebrauch, den Alarich von seiner neuen Stellung machte, verrät eine entschlossene und durchdachte Politik. Er gab den vier großen Waffenarsenalen in Margus, Ratiaria, Naissus und Thessaloniki Weisung, seine Krieger mit zusätzlichen Schilden, Speeren, Helmen und Schwertern auszustatten; und so mussten die unglücklichen Provinzialen die Werkzeuge zu ihrem eigenen Untergang bereitstellen; und die Barbaren konnten den einzigen Mangel abstellen, der sie zuweilen um die Früchte ihrer Anstrengungen gebracht hatte. »...qui fuedera rumpit/Ditatur: qui servat, eget: vastator Achivae/Gentis, et Epirum nuper populatus inultam/Praesidet Illyrico: iam, quos obsedit, amicos /Ingreditur muros; illis responsa daturus/Quorum conjugibus potitur, natosque peremit«. [...wer Bündnisse bricht, wird beschenkt, wer dient, leidet; der Vertilger von Achaias Volk und kürzlich des Epirus beherrscht nunmehr ungestraft Illyrien; schon zieht er in die Städte als ein Freund, die er doch belagert hat, und wird nun denen befehlen, deren Frauen er geraubt und deren Kinder er ermordet hat]. Claudian, In Eutropium 2,212. Alarich lobt seine eigene Politik (De bello Gothico 533-543), angesichts des Gebrauchs, den er in Illyrien von seinem Amt gemacht hat.

Alarichs hohe Geburt, seine ruhmreiche Vergangenheit und die Aussicht auf fernere Großtaten zog allgemach die Nation unter seine siegreiche Standarte zusammen; und so wurde unter einhelliger Zustimmung aller Stammeshäuptlinge der Heermeister Illyriens nach überkommenem Brauch auf einen Schild erhoben und zum König der Westgoten ausgerufen. Iordanes, Getica 29, fügt ungewöhnlich geistreich hinzu: »Cum suis deliberans suasit suo labore quaerere regna, quam alienis per otium subiacere.« [...beriet sich mit den Seinen und überredete sie dazu, durch eigenes Bemühen Reiche zu gewinnen als untätig zu sein und Fremden zu dienen]. So stand er nun zwischen zwei Reichen, beiden furchtbar, und versorgte wechselseitig den Hof des Arcadius und des Honorius mit leeren Redensarten, »...Discors odiisque anceps civilibus orbis Non sua vis tutata diu, dum foedera fallax Ludit, et alternae perjuria venditat aluae.« [...Zwietracht und das uneinige Reich und nicht seine eigene Macht schützte ihn lange, der er trüglich mit Bündnissen spielt und den Palast und bald Meineide verschachert). Claudian, De bello Gothico 565. bis er schließlich seine Absicht erklärte, in den Westen einzufallen und an die Ausführung dieses Vorhabens ging. Die Provinzen Europas, welche zum Ostreich gehörten, waren endgültig leergeplündert; Asien lag unerreichbar; und Konstantinopel hatte seiner Stärke widerstanden. Aber Italiens Ruf, seine Schönheit und sein Reichtum verlockten ihn, nachdem er schon zweimal dort gewesen war; und insgeheim plante er sogar, die gotischen Feldzeichen auf Roms Mauern aufzupflanzen und seiner Armee die Beute von dreihundert Triumphzügen zu schenken. Alpibus Italiae ruptis penetrabis ad urbem. [Wenn du Italiens Alpen überwunden hast, wirst du bald bis nach Rom vordringen]. Dies wurde sieben Jahre vor dem eigentlichen Ereignis von Alarich oder wenigstens von Claudian angekündigt. Als es sich aber nicht innerhalb der voreilig gesetzten Frist erfüllte, flüchteten die Deuter zu allerlei Mehrdeutigkeiten.

 

EINFALL IN ITALIEN · HONORIUS FLIEHT

Die Kargheit der Überlieferung Unsere beste Quelle sind 970 Verse des Claudian aus dem Epos über den Gotenkrieg und der Anfang eines Poems, in welchem zu Beginn das VI. Konsulat des Honorius gefeiert wird. Zosimos hüllt sich völlig in Schweigen; und wir müssen uns mit solchen Brocken besser noch: Krümeln begnügen, wie wir sie aus Orosius und den Chroniken zusammenfegen können. und die Ungenauigkeit der Zeitangaben Ungeachtet der groben Irrtümer des Iordanes, welcher die Italienfeldzüge Alarichs verwechselt (29), ist seine Zeitangabe für das Konsulat von Stilicho und Aurelian (A.D. 400) zuverlässig. Es steht nach Claudian fest (Tillemont, Histoire des empereurs, Band 5, p. 804), dass die Schlacht von Pollentia A.D. 403 ausgetragen, während die Zeit dazwischen sich nur schwer anfüllen lässt. erschweren es uns, die Umstände von Alarichs erstem Italieneinfall genauer zu beschreiben. Sein Marsch, vermutlich von Thessaloniki durch das kriegerische und feindliche Pannonien bis zu den Julischen Alpen; sein Alpenüberquerung, die er streng sichern ließ; die Belagerung von Aquileia und die Eroberung von Istrien und Venetien scheinen ihn beträchtliche Zeit gekostet zu haben. Wenn seine Operationen nicht äußerst vorsichtig und langsam gewesen waren, lässt sich die starke Verzögerung nur erklären durch die Annahme, der Gotenkönig habe sich an die Donau zurück gezogen und seine Armee mit neuen Barbarenhorden aufgefrischt, bevor er erneut versuchte, in Italiens Zentrum vorzustoßen.

Da sich die öffentlichen und wichtigen Ereignisse der forschenden Neugier des Historikers entziehen, mag er sich für ein Weilchen damit aufhalten, die Auswirkung von Alarichs Feldzug auf zwei sonst ganz unbekannte Personen zu untersuchen, auf einen Presbyter in Aquileia und einen Landwirt aus Verona. Der gelehrte Rufinus, den seine Feinde vor eine römische Synode zitiert hatten, »Tantum Romanae urbis iudicium fugis, ut magis obsidionem barbaricam, quam ›pacate‹ urbis iudicium velis sustinere.« [So sehr fliehst du das Urteil der Stadt Rom, dass du eher die Belagerung durch die Barbaren als das Urteil der Stadt im Frieden ertragen willst]. Hieronymus, Opera Band 2, p. 239. Rufunus war sich seiner Gefahr durchaus bewusst; die ›Stadt im Frieden‹ wurde durch Marcella, die alte Vettel und Hieronymus' übrige Faktion in Atem gehalten. zog es klüglich vor, sich den Gefahren einer Belagerung auszusetzen; und die Barbaren, die die Mauern Aquileias mit großem Nachdruck berannten, bewahrten ihn möglicherweise vor der grausamen Verurteilung, wie sie ein anderer Ketzer auf Betreiben des nämlichen Bischofs erfuhr, nämlich der Strafe der Auspeitschung und lebenslänglichen Verbannung auf eine verlassene Insel. Iovinian, der Fasten und Zölibat entschieden ablehnte und dem Hieronymos dafür seinen ganzen Hass widmete. (Jortin, Remarks, Band 4, p. 104f) Siehe den Originalerlass im Codex Theodosianus 16,5,53. Der alte Mann, Dieses Epigramm (›De Sene Veronensi qui suburbium numquam egressus est‹ – [Vom alten Veroneser, der sein Dorf nie verlassen hat]) ist eines der frühesten und schönsten Dichtungen Claudians. Cowleys Nachdichtung hat einige natürliche und geglückte Passagen: aber an das Original, das sichtlich nach dem Leben gezeichnet ist, kommt es bei weitem nicht heran. der sein ganzes Leben in Schlichtheit und Unschuld in der Nähe Veronas zugebracht hatte, hatte nichts zu tun mit den Streitigkeiten des Bischofs und des Königs; seine Freuden, seine Sehnsüchte und seine Kenntnisse beschränkten sich auf das kleine Umfeld seiner väterlichen Farm; und Gesinde betreute seine sich neigenden Jahre, auf demselben Grunde, auf dem er auch als Knabe erblüht war. Doch selbst diese ländlich-schlichten Glücksumstände (welche Claudian mit soviel Glaubwürdigkeit und Einfühlsamkeit beschreibt) waren der brutalen und gleichgültigen Kriegsfurie ausgesetzt. Seine Bäume, seine alten, gleichaltrigen Bäume »Ingentem meminit parvo qui germine quercum Aequaevumque videt consenuisse nemus.« (A neighbouring wood born with himself he sees, And loves his old contemporary trees.) Cowley (Works, Band 2, p. 241 ff) ist an dieser Textstelle vielleicht noch besser als das Original; und die ›Eiche‹ hat dieser englische Dichter, der sich gut in der Botanik auskannte, unter einer allgemeineren Bezeichnung verborgen. gingen wie das ganze Land in Flammen auf; ein gotisches Reiterdetachement nahm ihm Familie und Hof; und Alarichs Stärke zerstörte ihm sein stilles Glück, für das er keinerlei Gespür besaß. »Ruhm,« sagt der Dichter, »der mit Schrecken seine finsteren Fittiche entfaltete, ging der Barbarenarmee voran und füllte Italien mit Schauder«; die Sorgen jedes einzelnen vergrößerten sich in direktem Verhältnis zu seinem Erfolg; und die ganz Ängstlichen, die bereits ihre bewegliche Habe eingeschifft hatten, dachten über eine Flucht nach Sizilien oder Afrika nach. Aberglaube Claudian, de bello Gothico 199-266. Er mag ausufernd scheinen: aber Furcht und Aberglauben besetzten in italienischen Gemütern viel Raum. beschleunigte noch die öffentliche Auflösung. Jede Stunde gebar eine neue, ominöse Fabel; die Heiden beweinten die Gleichgültigkeit gegenüber den Vorzeichen und das Verbot der Opferrituale; die Christen hingegen schöpften einigen Trost aus dem machtvollen Dazwischenfahren der Heiligen und Märtyrer. Aus den Abschnitten bei Paulinus, die Baronius herausgegeben hat (Annales ecclsiastci, A.D. 403, Nr. 51), geht hervor, dass in ganz Italien bis nach Nola in Campanien allgemeiner Alarm ausgelöst wurde; dort hat übrigens der berühmte Bußpredigers seine dauerhafte Heimstatt genommen.

 

HONORIUS ENTFLIEHT AUS MAILAND · A.D. 403

Der Kaiser Honorius war vor seinen Untertanen ausgezeichnet durch seine Stellung und durch seine ausgeprägte Feigheit. Die Arroganz und der Luxus, die die Begleiter seiner Erziehung gewesen waren, hatten in ihm niemals den Gedanken entstehen lassen, es möchte hienieden eine andere Macht so verwegen sein, in das Land des Nachfolgers eines Augustus einzudringen. Die hohe Kunst der Schmeichelei hatte die drohende Gefahr verniedlicht, bis dann Alarich vor dem Palast zu Mailand gesichtet wurde. Als dann aber das Kriegsgeschrei den jungen Herrscher aus seinem Schlummer aufstörte, eilte er nicht etwa mit dem Mut oder wenigstens der Entschlossenheit seines Alters zu den Waffen, sondern hörte wiederum nur mit großer Bereitwilligkeit auf jene hasenherzigen Berater, welche ihm dringlich nahe legten, seine geheiligte Person und die seiner Ratgeber im fernen Gallien in Sicherheit zu bringen. Einzig Stilicho »Solus erat Stilocho« [Stilicho war es ganz allein] ist das einzige Lob, das Claudian ausspricht (de bello Gothico 267), ohne dabei zu geruhen, den Herrscher auszunehmen. Wie unbedeutend muss doch das Ansehen des Honorius an seinem eigenen Hof gewesen sein! hatte Mumm und Autorität genug, sich diesen elenden Anträgen zu widersetzen, welche Rom und Italien den Barbaren preisgegeben hätten; da aber die Palastgarde ziemlich spät an die rhätische Front geschickt und neue Truppen nur schleppend und unzureichend ausgehoben wurden, konnte der Heermeister des Westens lediglich das Versprechen geben, dass, wenn der Hof in Mailand während seiner Abwesenheit wenigstens seine Stellung halte, er schon bald mit einer Armee zurückkehren werde, die hinreiche, dem Gotenkönig erfolgreich zu begegnen.

Ohne auch nur einen Augenblick zu verlieren (denn jetzt zählte jeder Augenblick), schiffte sich Stilicho am Larianischen See ein, überstieg mitten im strengen Alpenwinter die Schnee- und Eisberge und dämpfte durch sein unerwartetes Erscheinen den Feind, der den Frieden in Rhätien gestört hatte. Den Zustand des Landes und Stilichos Ausdauer werden vorzüglich geschildert von Claudian, de bello Gothico 267. Die Barbaren, unter denen sich vermutlich auch einige Alamannenstämme befanden, anerkannten mit Respekt die Qualitäten eines Heerführers, der Befehle zu geben verstand; und als er sich herbeiließ, aus ihrer kriegerischen Jugend eine bestimmte Anzahl auszuwählen, begriffen sie dies als Zeichen der Wertschätzung und Ehre. Die Kohorten, die sich von den nahen feineden losgemacht hatten, sammelten sich eifrig unter der kaiserlichen Standarte; und Stilicho konnte noch den entlegensten Militäreinheiten des Westens den Befehl geben, in Eilmärschen zur Verteidigung des Honorius und Italiens heranzurücken. Die Festungsanlagen am Rhein wurden aufgegeben; und Galliens Sicherheit hing ganz von der Vertragstreue der Germanen ab und dem Schrecken, den Roms alter Name immer noch einflößen mochte. Selbst die Legionen im äußerten Norden, die den Wall besetzt hielten, der Britannien vor den Kaledoniern schützte, mussten in eiligen Tagesmärschen zurückkehren; »Venit et extremis legio praetenta Britannis /Quae Scoto dat frena truci.« [Von entlegensten Britannien kam die Legion auf Vorposten, welche den grimmen Schotten an die Kandare genommen hat]. De bello Gothico 416. Doch selbst der längste Marsch von Edinburgh oder Newcastle nach Mailand muss mehr Zeit beansprucht haben als Claudian dem Gotischen Krieg an Dauer zuzubilligen bereit ist. und die zahlereichen alanischen Reiter wurden überredet, sich in den Dienst des Kaisers zu stellen, welcher schon in ängstlicher Spannung auf die Rückkehr seines Feldherren wartete. Die Umsicht und Stärke Stilichos wurden bei dieser Gelegenheit deutlich, da sich die Schwäche des zusammenstürzenden Reiches offenbarte. Roms Legionen, denen schon lange vorher Mut und Disziplin abhanden gekommen waren, hatte der Goten- und Bürgerkrieg ausgelöscht; und es erwies sich als unmöglich, zur Verteidigung Italiens eine Armee auf die Beine zu stellen, ohne zugleich die Provinzen zu entblößen und zu erschöpfen.

 

STILICHO SCHWIMMT DURCH DIE ADDA

Als Stilicho seinen Herren scheinbar schutzlos in seinem Palast zu Mailand zurückließ, hatte er vermutlich die Dauer seiner Abwesenheit berechnet, die Entfernung zum Feind und Schwierigkeiten des Marsches im Allgemeinen. Am stärksten war seine Abhängigkeit von den Flüssen Italiens, der Etsch, dem Mincio, dem Oglio und der Adda; diese schwellen im Winter oder im Frühjahr, infolge heftiger Regenfälle oder der Schneeschmelze zu breiten und reißenden Strömen an. Jeder Reisende sollte sich hier an die Lombardei erinnern (Siehe Fontenelle, Oeuvres, Band 5, p. 279), welche oft von launischen und unberechenbaren Wasserströmen durchzogen ist. Die Österreicher lagerten vor Genua in dem trocken gefallenen Flussbett der Polcevera. »Ne sarebbe« (sagt Muratori) »mai passato per mente a que' buoni Alemanni, che quel picciolo torrente potesse, per cosi dire, in un instante cangiarsi in un terribil gigante.« (Annali d'Italia Band 16, p. 443). Aber zu dieser Jahreszeit bleib es bemerkenswert trocken; und die Goten konnten ohne allzu große Behinderungen die weiten und steinigen Flussbetten hinaufmarschieren, in deren Mitte ein schwaches Rinnsal den Lauf des flachen Stroms erkennen ließ. Brücke und Furt der Adda wurden durch ein starkes Detachement der Goten gesichert; und als Alarich der Mauer, oder genauer: den Vorstädten Mailand näher rückte, hatte er die stolze Genugtuung, dass der römische Kaiser Honorius ihm Fersengeld gab.

Begleitet von seinen Höflingen, von ängstlichen Staatenlenkern und Eunuchen zog er in Eile den Alpen entgegen in der Absicht, seine Person in Arles in Sicherheit zu bringen, hatte diese Stadt doch seinen Vorgängern oft zur Residenz gedient. Aber kaum hatte Honorius Claudian lässt unsere Frage unbeantwortet: Wo war Honorius persönlich? Aber die Flucht des Kaisers wird immerhin durch die Verfolgung kenntlich gemacht. Und meine Vorstellung vom Gotenkrieg haben die italienischen Gelehrten Sigonius (Historia de occidentali imperio. Opera, Band 1, Teil 2, p.369) und Muratori (Annali d'Italia, Band 4, p. 45) bestätigt. den Po überquert, als ihn die rasche gotische Kavallerie auch schon einholte; Eine der Straßen kann in Itinerarien verfolgt werden (p. 98, 288 und 294). Asta liegt ein paar Meilen rechter Hand. diese unmittelbare Gefahr nötigte ihn, vorübergehenden Schutz in der Festung Asta zu suchen, eine Stadt in Piemont, gelegen am Ufer des Tanarus. Asta oder Asti, eine römische Kolonie, ist heutzutage Hauptstadt eines lieblichen Landstrichs, welcher im XVI Jhdt. den Herzögen von Savoyen gehörte. Alberti, Descrittione di tutti Italia, p. 382. Die Belagerung dieses unbedeutenden Platzes, der aber einen hohen Preis verhieß und für langen Widerstand zu schwach schien, wurde unverzüglich von den Goten eingeleitet; und die kühne Verlautbarung, zu der sich der Kaiser hinterher verstieg, dass er nämlich kein einziges Mal Angst verspürt habe, wurde selbst an seinem Hofe von niemandem geglaubt. »Nec me timor impulit ullus.« (Ich hatte überhaupt keine Angst). Diese stolze Sprache führte er allerdings erst ein Jahr später und fünfhundert Meilen vom Orte des Geschehens entfernt im Munde. (Claudian, De VI. consulatu Honorii 449). Als alles verloren schien und die Barbaren bereits, schimpflich genug, eine Kapitulation angeboten hatten, wurde der kaiserliche Gefangene zunächst durch das Gerücht und dann durch das tatsächliche Erscheinen des Helfers erlöst, auf den er so sehnlich gewartet hatte. An der Spitze einer ausgewählten, furchtlosen Vorhut durchschwamm Stilicho die Adda, um die Zeit aufzuholen, die er beim Angriff auf die Brücke verloren würde; die Passage des Po gestaltete sich weitaus risikoärmer und leichter; und das kühne Manöver, mit welchem er sich vor den Mauern von Asta seinen Weg durch das Lager der Goten bahnte, richtete die Hoffnungen und die Ehre Roms leidlich wieder auf.

Anstelle die Früchte seines Sieges zu ernten, wurde der Barbar allgemach von allen Seiten von den Truppen des Westens umstellt, welche nach und nach aus den verschiedenen Alpenpässen herabkamen; seine Bewegungen wurden eingeengt; seine Konvois wurden abgefangen; und Rom schickte sich an, einen eigenen Festungsring aufzuziehen und die Belagerer selbst zu belagern. Die langbehaarten Stammeshäuptlinge der Goten versammelten sich zu einem Kriegsrat; es waren altgediente Kämpen, deren Körper in Pelze gehüllt und deren grimme Physiognomien mit ehrenhaften Narben übersäht waren. Sie wogen den Ruhm des längeren Ausharrens gegen den Vorteil, sich mit ihrer Beute davon zu machen; man empfahl schließlich die kluge Maßnahme eines schicklichen Rückzuges. Bei dieser wichtigen Debatte zeigte Alarich den Geist des Eroberers; und nachdem er seine Landsleute an ihre Erfolge und ferneren Pläne erinnert hatte, beendete er seine befeuernde Rede mit der feierlichen Versicherung, er sei entschlossen, in Italien entweder ein Königreich zu finden oder sein Grab »Hanc ego vel victor regno, vel morte tenebo victus, humum.« Die Reden (de bello Gothico 479-549) des gotischen Nestor und Achilles sind kraftvoll, unverkennbar und den Umständen angepasst, und sie sind möglicherweise nicht weniger echt als die bei Livius..

 

ÖSTERLICHE SCHLACHT BEI POLLENTIA · 29. MÄRZ 403

Die lockere Disziplin der Barbaren setzte sie beständig der Gefahr eines Überraschungsangriffes aus; aber anstelle sich die wüste Stunde des Plünderns und des Marodierens für seinen Angriff auszusuchen, beschloss Stilicho, die christlichen Goten zu überfallen, als sie hingebungsvoll das Osterfest begingen. Orosius (7,37) empört sich über die Gottlosigkeit der Römer, die solche frommen Christenmenschen am heiligen Ostersonntag angriffen. Zugleich aber wurden in St. Thomas von Edessa öffentliche Gebete verrichtet, die arianischen Räuber zu zermalmen. Vergleiche hierzu Tillemont, Histoire des empereurs Band 5, p. 529, welcher eine versehentlich St. Chrysostomos zugeschriebene Auslegung zitiert. Die Ausführung dieser Kriegslist oder, wie der Klerus es nannte, dieses Sakrilegs lag in den Händen von Saul, eines Barbaren und Heiden, der jedoch unter den altgedienten Generälen des Theodosius mit großen Verdiensten gefochten hatte. Das Lager der Goten, das Alarich in der Nähe von Pollentia Spuren von Pollentia finden sich fünfundzwanzig Meilen südwestlich von Turin. Die nahegelegene Urbs war eine Jagd der lombardischen Könige und zugleich ein kleiner Fluss, welcher die Vorhersage rechtfertigte: »penetrabis ad urbem.« [Du wirst vordringen bis zur urbs]. Cluver, Italia antiqua Band 1, p. 83-85. hatte aufschlagen lassen, wurde durch den plötzlichen, heftigen Angriff der kaiserlichen Kavallerie überrannt; aber nur wenige Augenblicke später führte das unerschrockene Gemüt ihres Feldherrn sie auf günstigem Gelände zur Schlacht; und sobald sie sich von ihrer Überraschung erholt hatten, erhöhte die fromme Gewissheit, der Gott der Christen werde ihrer Sache beistehen, ihren naturgegebenen Kampfesmut.

In diesem Gefecht, das lange Zeit mit gleicher Verbissenheit und ungewissem Ausgang geführt wurde, bewährte der Stammeshäuptling der Alanen, hinter dessen dürftigem und barbarischen Äußeren sich eine große Seele verbarg, seine bisweilen angezweifelte Treue durch besonderen Kampfeseifer und starb einen Soldatentod im Dienste des Staates; der Ruhm dieses braven Kriegers ist in den Versen des Claudian nur unvollkommen bewahrt, da der Dichter zwar seine Tapferkeit besingt, aber seinen Namen zu nennen vergisst. Nach seinem Tod eröffneten die von ihm befehligten Schwadronen eine wilde und ungeordnete Flucht; und die Niederlage des Reiterflügels hätte den Sieg für Alarich entschieden, wenn Stilicho nicht unverzüglich die römische Linieninfanterie zum Angriff geführt hätte. Sein Geschick und die Tapferkeit der Soldaten überwanden jedes Hindernis. Am Abend dieses blutigen Tages gaben die Goten das Schlachtfeld preis; die Palisaden ihres Lagers wurden genommen, und die Szenen von Mord und Raub waren ein gewisser Ausgleich für alle die Nöte, die sie der Bevölkerung angetan hatten. Orosius möchte mit unscharfen Ausdrücken die Niederlage der Römer andeuten: »Pugnantes vicimus, victores victi sumus.« [Kämpfend siegten wir, siegreich wurden wir besiegt]. Bei Prosper Tiro, Chronica, ging der Kampf unentschieden und verlustreich aus; aber die gotischen Autoren Cassiodor (Chronica) und Jordanes (Getica 59) reklamieren einen entscheidenden Sieg. Die gewaltige Beute von Korinth und Argos fiel den Veteranen des Westens zu; gefangen ward Alarichs Weib, welche ungeduldig ihre versprochenen römischen Edelsteine und Zofen eingefordert hatte De bello Gotico 627. und nun genötigt war, die Gnade eines höhnischen Feindes zu erflehen; für tausende von Gefangenen fielen die Ketten der Goten, und sie trugen den Ruhm ihres Befreiers durch die Lande.

Die Dichter Claudian (de bello Gotico 580-647) und Prudentius (In Symmacum 2, 694-719) feiern den Sieg der Römer bei Pollentia vorbehaltlos. Sie sind Hofdichter, und sie sind parteiisch; aber selbst den verdächtigsten Zeugen gebührt Glauben, wenn sie durch neuere Forschung bestätigt werden. und wohl auch die öffentliche Meinung verglichen den Sieg des Stilicho mit dem des Marius, der bekanntlich in eben diesem Teil Italiens eine andere Arme von Barbaren aus dem Norden angegriffen und vernichtet hatte. Die gewaltigen Skelette und die leeren Helme der Kimbern und Goten konnten spätere Generationen durchaus miteinander verwechseln; und die Nachwelt hätte dem Gedächtnis dieser beiden Generäle ein gemeinsames Ehrenmal errichten können, nachdem sie auf demselben historischen Boden die beiden fürchterlichsten Feinde Roms besiegt hatten. Claudians Lobeshymnus ist wortgewaltig und kunstvoll; aber die Gleichsetzung des kimbrischen und gotischen Schlachtfelds muss man (so wie Philippi bei Vergil, Georgica 1,490) vor dem Hintergrund der großzügigen dichterischen Geographie verstehen. Vercellae und Pollentia liegen sechzig Meilen voneinander entfernt; und der Abstand wird noch größer, wenn man die Niederlage der Kimbern in die Ebene von Verona verlegt. Maffei, Verona illustrata, Teil 1, p. 54-62.

 

ALARICHS KÜHNHEIT UND RÜCKZUG

Claudians Claudian und Prudentius müssen genau geprüft werden, damit das dichterische Schmuckwerk beseitigt und die historischen Tatsachen zu Tage gefördet werden. Beredsamkeit hat den Sieg von Pollentia mit verschwenderischem Beifall bedacht, war es doch eines der ruhmvollsten Tage im Leben seines Patrons; aber seine Muse anerkennt auch, wenngleich widerwillig und parteiisch, was an dem gotischen König rühmlich ist. Sein Name wird allerdings, wie dies den Eroberern zu allen Zeiten mit gutem Recht geschieht, mit den Schmähnamen des Piraten und Räubers belegt; aber der Sänger von Stilichos Ruhm muss eingestehen, dass Alarich von einer Gemütslage war, die sich von allen Rückschlägen erholte und aus Widrigkeiten nachgerade neue Kraft schöpfte. Nach der völligen Niederlage seiner Infanterie entkam er mit dem größten Teil seiner noch intakten und unversehrten Reiterei – oder besser: er zog sich geordnet vom Kampfplatz zurück. Ohne auch nur einen Augenblick mit der Trauer über den Verlust so vieler braver Gefährten zu vergeuden, überließ er es seinem siegreichen Feinde, die eroberten Bildsäulen eines Gotenkönigs in Bande zu legen; Vgl. Racine, Mithridate III,1. Bildnisse von Königen und Provinzen in Triumphzügen mitzuführen war bei den Römern gern geübte Praxis. Die Büste von Mithridates war zwölf Fuß hoch und von gediegenem Gold. Freinsheim, Supplementum Livianum 103,47. kühnlich beschloss er, die unbewachten Pässe des Apennin zu überqueren, um die fruchtbare Toscana zu verheeren und anschließen Rom zu nehmen oder vor seinen Toren zu sterben.

Die Stadt wurde nur durch Stilichos unverzügliches und beherztes Eingreifen gerettet: aber die verzweifelte Lage seines Feindes machte ihn vorsichtig; und anstelle das Schicksal des Staates in einer weiteren Schlacht aufs Spiel zu setzen, riet er dazu, den Abzug der Barbaren zu erkaufen. Alarichs hochfliegender Geist hätte solcherlei Markten um Rückzug und Lösegeld mit Verachtung und Empörung zurückgewiesen; aber er hatte nur eine begrenzte und vorübergehende Vorrangstellung gegenüber den unabhängigen Stammeshäuptlingen, die ihn über sich gesetzt hatten, ihnen zu Diensten zu sein; sie waren durchaus nicht gemeint, einem erfolglosen General zu folgen, und viele waren versucht, ihre Interessen durch Einzelverhandlungen mit den Ministern des Honorius zu verfolgen. Der König unterwarf sich endlich der Stimme des Volkes, unterzeichnete den Vertrag mit dem Westreich und zog sich mit den Überresten seiner mächtigen Armee über den Po zurück, die er vordem nach Italien geführt hatte. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der römischen Streitkräfte fuhr fort, seine Bewegungen mit Argwohn zu verfolgen; und Stilicho, der mit einigen Barbarenhäuptlingen heimlich korrespondierte, war stets rechtzeitig über die Entwürfe und Beschlüsse in Alarichs Kriegsrat informiert.

Der Gotenkönig, begierig, seinen Rückzug durch ein paar Heldentaten zu veredeln, hatte sich die wichtige Stadt Verona zur Eroberung ausersehen, da sie die Hauptpassage durch die Rhätischen Alpen beherrscht; anschließend wollte er seinen Zug durch die Gebiete derjenigen Germanenstämme führen, in denen er sich Stärkung seiner erschöpften Kräfte erhoffen durfte, um danach die reichen und nichtsahnenden gallischen Provinzen zu überfallen. Da er nichts davon wusste, dass sein kühnes und wohldurchdachtes Unternehmen bereits verraten war, marschierte er auf die Bergpässe zu, die die kaiserlichen Truppen bereits besetzt hielten; und fast in einem Augenblick sah er sich einem Angriff von vorne, auf die Flanken und die Nachhut ausgesetzt.

Bei diesem blutigen Gefecht kurz vor den Toren Veronas verloren nicht weniger Goten ihr Leben als bei der Niederlage von Pollentia; und ihr kühner König, der nur mit Hilfe seines schnellen Pferdes entkam, wäre unweigerlich gefallen oder in Gefangenschaft geraten, wenn nicht das beherzte Eingreifen der Alanen die Absichten des römischen Generals vereitelt hätte. Alarich brachte die Trümmer seiner Armee in dem umliegenden Felsengebirge in Sicherheit; unerschüttert stellte er sich auf eine Belagerung durch den zahlenmäßig stark überlegenen Feind ein, der ihn in der Tat von allen Seiten bedrängte. Gegen Hunger und sich ausbreitende Krankheiten vermochte er indessen nichts; auch konnte er der fortwährenden Desertion seiner ungeduldigen und launischen Barbaren nichts entgegensetzen. Auskunftsmittel in dieser äußersten Notlage waren nur noch sein unverzagter Mut und die Nachlässigkeit des Gegners; und so wurde der Rückzug des Gotenkönigs als Befreiung Italiens angesehen. Claudians ›Gotenkrieg‹ und sein Gedicht auf Honorius' sechstes Konsulat stellen auf merkwürdige Weise einen Zusammenhang mit Alarichs Rückzug und seinen Verlusten her. Indessen zogen das Volk und sogar noch der Klerus es vor, unfähig, die Geschäfte des Friedens oder des Krieges angemessen zu beurteilen, Stilicho und seine Politik unter Anklage zu stellen, ihn, der den furchtbarsten Feind des Staates so oft besiegt, so oft umzingelt und so oft wieder entlassen hatte. Ist die Sicherheit des Landes wieder hergestellt, dann gehört die erste Stunde der Freude und der Dankbarkeit; aber schon die zweite wird zuverlässig von Neid und Verleumdung beansprucht. »Taceo de Alarico ... sarpe victo, saepe concluso, semperque dimisso.« [Schweigen will ich von Alarich, oft besiegt, oft eingekesselt, immer entkommen]. Orosius 7,37. Claudian (De VI consulatu Honorii 320) beschließt sein Poem mit einer hübschen Metapher.

 

HONORIUS TRIUMPHIERT IN ROM · A.D. 404

Die Bürger Roms hatten mit Schrecken auf das Herannahen Alarichs reagiert; und der Eifer, mit dem sie die Stadtmauern instand zu setzen sich bemühten, waren ein deutlicher Beleg für ihre Angst und den erbärmlichen Zustand des Reiches. Nach dem Abzug der Barbaren sah Honorius sich bestimmt, die pflichtschuldigen Einladungen des Senates anzunehmen und in der Kaiserstadt die glückhaften Zeitläufte mit ihren Siegen über die Goten und seinem sechsten Konsulat Der Rest von Claudians Gedicht (330-660) über Honorius' VI Konsulat beschreibt die Fahrt, den Triumph und die Spiele. festlich zu begehen. In den Vorstädten und den Straßen von der Milvischen Brücke bis zum Palatin drängten sich die Römer, welche während der letzten einhundert Jahren erst dreimal durch einen Kaiserbesuches beehrt worden waren. Während sie den Triumphwagen begafften, auf dem auch Stilicho nach Verdienst Platz neben seinem kaiserlichen Schüler genommen hatte, bejubelten sie zugleich einen Sieg, der – anders als der von Constantin und Theodosius – nicht mit dem Blut des Bürgerkrieges besudelt war. Der Zug ging unter einem weiten, eigens zu diesem Zweck errichtetem Bogen hindurch: Aber noch nicht einmal sieben Jahre später konnten die gotischen Eroberer Roms die hochfahrende Inschrift auf diesem Monument lesen - wenn sie denn hätten lesen können - welche von der vollständigen Niederwerfung und dem Untergang ihres Volkes kündete Siehe die Inschrift in Mascov, History of the ancient Germans, Buch 8, c.12. Die Worte sind ebenso deutlich wie unklug: »Getarum nationem in omne aevum domitam« [Das Volk der Goten für alle Zeiten gebändigt].

Der Kaiser verblieb mehrere Monate in der Hauptstadt, und jede Maßnahme war darauf berechnet, die Wünsche des Klerus, des Senates und des römischen Volkes zufrieden zu stellen. Der Klerus erfreute sich seiner häufigen Besuche und großzügiger Geschenke an die Adresse der Gedenkstätten der Apostel. Der Senat, dem man die peinliche Ehre erspart hatte, in dem Triumphzug dem kaiserlichen Wagen zu Fuß voran zu gehen, wurde mit jenem gedämpftem Respekt behandelt, zu welchem Stilicho dieser Versammlung gegenüber sich schon immer verstanden hatte. Dem Volk endlich stattete Honorius artigen und aufmerksamen Dank ab, indem er Spiele veranstalten ließ, deren Aufwand durchaus in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung des Anlasses stand. Sobald alle vorgesehenen Wagenrennen stattgefunden hatten, wurde die Dekoration des Zirkus geändert; die Jagd auf wilde Tiere bot willkommene und sensationelle Kurzweil; und auf diese Jagd folgte eine militärische Veranstaltung, von der Claudian in seiner lebendigen Beschreibung ein den modernen Ritterturnieren ähnliches Bild entwirft.

 

VERBOT DER GLADIATORENKÄMPFE

Bei diesen Spielen des Honorius fanden zum letzten Male in der Geschichte die inhumanen und blutigen Gladiatorenkämpfe Zu dem eigenartigen, wiewohl entsetzlichen Gegenstand der Gladiatorenkämpfe befrage man die beiden Bücher des Lipsius über die Saturnalien; er zeigt als Altertumsforscher Neigung, die Praktiken des Altertums zu entschuldigen. Opera, Band 3, p. 483-565 in einem römischen Amphitheater statt. Der erste christliche Kaiser kann für sich zwar die Ehre in Anspruch nehmen, als Erster durch ein Edikt die Kunst des Blutvergießens und die Freude daran verboten zu haben; Codex Theodosianus 15,12,1. Gothofreds Kommentar bietet viel Stoff zur Geschichte der Gladiatoren. Band 5, p. 396. aber dieses menschenfreundliche Gesetz gibt nur den Wunsch des Herrschers wieder, ohne den eingewurzelten Missbrauch selbst abzuschaffen, welcher jede zivilisierte Nation deutlich unter dem Niveau eines Kannibalenstammes ansiedelt. Einige hundert, vielleicht sogar tausende von Opfern wurden jährlich in den großen Städten des Reiches geschlachtet; und der Dezember, der besonders reich an Gladiatorenkämpfen war, bot den Römern nach wie vor eine große Orgie von Blut und Grausamkeit. Inmitten der allgemeinen Freude über den Sieg von Pollentia ermahnte ein christlicher Dichter den Kaiser, seine Autorität geltend zu machen und den fürchterlichen Brauch abzuschaffen, welcher sich gegenüber der Stimme der Menschlichkeit und der Religion so lange taub gestellt hatte. Siehe hierzu die flammende Rede des Prudentius (In Symmachum, 2,1121-1131), welcher ohne Zweifel bei der beredten Kampfschrift des Lactantius (Divinae institutiones) Anleihen gemacht hat. Die christlichen Apologeten haben sich die Verurteilungen dieser Blutspiele, welche ihren Ursprung in religiösen Festen der Heiden hatten, durchaus nicht untersagt.

Die leidenschaftlichen Vorstellungen des Prudentius waren weniger wirkungsvoll als der große Mut des Telemachos, eines asiatischen Mönches, dessen Tod für die Menschheit mehr Nutzen gebracht hat als sein Leben. Siehe Theodoretos 5,26. Ich möchte die Geschichte von Telemachos zu gerne glauben! Aber keine Kirche und kein Altar wurden für den einzigen Mönch errichtet, der für die Sache der Menschlichkeit einen Märtyrertod gestorben ist. Die Römer tobten, dass man ihnen ihren Spaß verderben wollte; und der kühne Mönch, welcher in die Arena gestiegen war, um die Gladiatoren zu trennen, wurde unter einem Hagel von Steinen begraben. Aber der Anfall des Volkes beruhigte sich schon bald; sie ehrten das Andenken des Telemachos, der sich Märtyrerehren verdient hatte; und sie unterwarfen sich ohne Murren den Gesetzen des Honorius, welcher für alle Zeiten die Menschenschlächterei in den Amphitheatern untersagte. Die Bürger, die immer noch den Bräuchen ihrer Vorfahren anhingen, mochten wohl darauf hinweisen, dass in dieser Schule der Tapferkeit der letzte Rest von kriegerischem Geist gepflegt worden sei, der die Römer mit dem Anblick von Blut vertraut gemacht und sie Todesverachtung gelehrt habe: ein unhaltbares und rohes Märchen, welches durch den Mut des alten Griechenland und des modernen Europa hinreichend widerlegt ist. »Crudele gladiatorum spectaculum et inhumanum ›nonnullis‹ videri solet; et ›haud scio‹ an ita sit, ut nunc fit.« [Grausam und unmenschlich empfinden manche eine Gladiatorenvorstellung; doch ob es so ist, wie es jetzt geschieht, weiß ich nicht]. Cicero, Tusc. Disputationes 2,41. Den ›Missbrauch‹ dieser Kämpfe tadelt er nur in matten Worten, verteidigt aber ihren ›Nutzen‹ mit Wärme. »Oculis nulla poterat esse fortior contra dolorem et mortem disciplina.« [Für den Zuschauer gab es keine bessere Schule gegen Schmerz und Tod). Seneca (Epistulae 7) zeigt die Gefühle eines Menschen].

 

HONORIUS MACHT RAVENNA ZUR RESIDENZSTADT

Die zurückliegende Gefahr, welcher der Kaiser hilflos und ungeschützt im Palast von Mailand ausgesetzt gewesen war, bestimmte ihn, mit Nachdruck in irgend einer unzugänglichen Festung Italiens eine Rückzugsmöglichkeit zu suchen, wo er sich denn sicheren Aufenthalt nehmen mochte, solange das offene Land von den Fluten der Barbaren überschwemmt war. An der Adriaküste, etwa zehn bis zwölf Meilen südlich des siebenten Mündungsarmes des Po hatten einst Thessalier die Kolonie Ravenna gegründet, Diese Schilderung von Ravenna ist zusammengetragen aus: Strabo (5, p.327); Plinius (3, 20); Stephanos von Byzanz (Ethnika, unter »Ravenna«); Claudian (De VI Consulatu Honorii 494ff); Sidonius Apollinaris (1, Epistulae 5, 8); Jornandes (Getica 29); Procopios (de bello Gothico 1,1); Cluverius (Italia Antiqua Band 1, p.301-307). Ich vermisse aber immer noch einen lokalen Altertumsforscher und eine genaue topographisch Karte. welche sie hernach an die Einwohner Umbriens abtreten mussten. Augustus, dem die günstige Lage des Ortes nicht entgangen war, ließ drei Meilen von der alten Stadt einen geräumigen Hafen für zweihundertundfünfzig Kriegsschiffe anlegen. Diese Marinebasis, zu der noch Arsenale und Magazine gehörten, ferner Kasernen für die Besatzungen und Wohnungen für die Schiffshandwerker, verdankt seinen Ursprung und seine Bedeutung der römischen Flotte; die unbebaute Fläche füllte sich rasch mit Häusern und ihren Bewohnern, und die drei großen und bevölkerungsreichen Stadtviertel Ravennas wuchsen allmählich zu einer der wichtigsten Städte Italiens heran.

Der Hauptkanal des Augustus leitete reichliche Mengen von Wasser aus dem Po durch die Stadt und in den Hafen; das gleiche Wasser füllte auch die tiefen Gräben, die man um die Mauen herum angelegt hatte; tausende abzweigende Seitenkanäle verteilten es in jeden Winkel der Stadt, die so in eine Vielfalt kleiner Inseln zergliedert wurde; Boote und Brücken hielten den Verkehr aufrecht; und die Häuser von Ravenna, deren Aussehen man wohl mit denen von Venedig vergleichen mag, waren auf hölzernen Bohlen errichtet. Das umliegende Land bestand im Umkreis von vielen Meilen aus undurchdringlichem Morast; die künstlich angelegte Straße, die Ravenna mit sicherem Boden verband, konnte beim Herannahen einer feindlichen Armee leicht bewacht oder unbrauchbar gemacht werden. Verstreut in diesen Sümpfen lagen jedoch Weingärten; und wenn der Boden auch von vier oder fünf Ernten erschöpft war, gab es in der Stadt mehr Wein als Frischwasser. Martial (3,56 und 57) erzählt den Streich eines Spitzbuben, der ihm Wasser anstelle von Wein verkauft habe; aber erklärt mit allem Ernst, dass ein Brunnen in Ravenna wertvoller sei als ein Weingut. Sidonius beklagt, dass der Stadt Quellen und Aquädukte fehlten und rechnet den Mangel an frischem Wasser zu den örtlichen Nachteilen, so wie das Quaken von Fröschen und das Stechen der Mücken &c.

Die Luft war, anders als sonst bei flachem und sumpfigem Gelände, nicht mit Krankheits- und Pestausdünstungen geschwängert, sondern ähnlich wie die Umgebung Alexandrias ausnehmend sauber und heilkräftig; diesen einzigartigen Umstand schrieb man den regelmäßigen Tiden der Adria zu, welche die Kanäle sauber hielten, den krankheitsfördernden Stillstand der Gewässer verhinderten und überdies täglich Schiffe aus der Umgebung nach Ravenna beförderten. Das heutige Ravenna liegt infolge des allmählichen Rückzuges der Adria vier Meilen von der Küste entfernt; und bereits im V oder VI nachchristlichen Jahrhundert war aus dem Marinestützpunkt des Augustus ein Obstgarten geworden, und ein einsamer Pinienhain erstreckte sich dort, wo vordem die römische Flotte vor Anker lag. Die Geschichte von Theodor und Honoria, die Dryden so rühmlich von Boccacio (3. Tag, 8. Novelle) übernommen hat, spielte im Wald von Chiassi, welcher Name verderbt ist aus Classis, Marinestützpunkt, welcher zusammen mit der Via Caesaris, die dreiteilige Stadt Ravenna bildete.

Aber selbst dieser Wandel vermehrte die naturgegebene Stärke der Stadtanlage; und die Seichtigkeit der Gewässer bildete gegen große feindliche Schiffe eine hinreichende Barriere. Fleiß und Können beuteten diese vorteilhafte Lage noch aus; und in seinem zwanzigsten Lebensjahr zog sich der Herrscher des Westens, besorgt allein um seine persönliche Sicherheit, hinter die Mauern und Sümpfe Ravennas zurück. Honorius' Nachfolger, unfähig auch sie, ahmten seinem Vorbild nach, aber auch die Gotenkönige und die Exarchen, welche Thron und Palast der Kaiser mit Beschlag belegten; und so wurde bis in die Mitte des achten Jahrhunderts Ravenna als der Regierungssitz und die eigentliche Hauptstadt Italiens angesehen. Vom Jahre 404 sind die Ortsangaben im Codex Theodosianus regelmäßig Konstantinopel und Ravenna. Siehe Gothofreds Chronologie der Gesetze Band 1, p. 148ff.

 

UNRUHEN IN SKYTHIEN · A.D. 400

Honorius Besorgnisse waren nicht bar jeden Grundes, auch blieben seine Zurüstungen nicht folgenlos. Während Italien sich noch seiner Befreiung von der Gotengefahr erfreute, fuhr ein Orkan durch die Stämme germanischer Nation, welche vor dem unwiderstehlichen Andrängen nachgaben, welches sich ganz allmählich vom äußersten Ostens Asiens ausgebreitet zu haben scheint. Die chinesischen Annalen, soweit sie denn durch den gelehrten Fleiß unserer Gegenwart richtig interpretiert worden sind, könnten manch nützliche Hinweise enthalten, die die verborgenen und nicht eben offenbaren Gründe für den Umsturz des römischen Reiches offenlegen.

Die riesigen Landstriche nördlich der Großen Mauer hatten nach der Flucht der Hunnen die siegreichen Sien-pi in Besitz genommen; sie waren immer mal wieder in voneinander unabhängige Stämme zerfallen und unter einem gemeinsamen Oberhaupt neuerlich vereint worden; schließlich erlangten sie, die sie sich in ihrer eigenen Sprache Topa oder Herren der Welt nannten, eine stabilere Staatsform und wurden eine Großmacht. Rasch nötigten die Topa die Nomadenvölker des Ostens, die Überlegenheit ihrer Waffen anzuerkennen; in einer Periode der Schwäche und der inneren Streitigkeiten Chinas überfielen sie mehrmals dieses Land; und nachdem sie die Gesetze und Gepflogenheiten der besiegten Nationen angenommen hatten, gründeten diese siegreichen Reitervölker eine kaiserliche Dynastie, welche mehr als hundert Jahre das Szepter über die nördlichen Provinzen führte. Einige Generationen, bevor sie den chinesischen Kaiserthron besetzten, befand sich in der Kavallerie eines Topa-Herrschers ein Sklave namens Moko, der wegen seines Mutes allgemein geachtet war; aber aus Furcht vor einer Bestrafung verließ er seine Fahne und begann an der Spitze von etwa einhundert Anhängern Streifzüge in der Wüste. Diese Bande von Räubern und Vogelfreien wuchs zu einem Heerlager heran, zu einem Stamm, zu einem Volk, das sich selbst Geougen benannte; und ihre Erb-Stammesfürsten, die Nachkommen von Moko, dem Sklaven, wurden unter den skythischen Herrschern bedeutend.

Die Jugend von Tulun, des bedeutendsten seiner Nachfahren, war von jenen Fährnissen geformt, die die Schule der Helden ausmachen. Er überwand tapfer alle Widrigkeiten, schüttelte das Joch der Topa ab, wurde Gesetzgeber seines Volkes und Bezwinger der Tatarenvölker. Seine Streitmacht zergliederte sich in reguläre Abteilungen von einhundert und eintausend Mann; Feiglinge wurde zu Tode gesteinigt; die größten Ehren erwarb man sich durch hervorragende Tapferkeit; und Tulun, der gebildet genug war, um die chinesische Gelehrsamkeit zu verachten, ließ nur solche Künste und Einrichtungen gelten, die dem kämpferischen Geist seiner Politik förderlich waren. Seine Zelte, die er winters in südlichere Gefilde verlegte, schlug er im Sommer auf den ergiebigen Weidegründen an der Selinga auf. Seine Eroberungen erstreckten sich von Korea bis weit hinter den Irtisch. Nördlich vom Kaspischen Meer besiegte er die Nation der Hunnen; und der neue Titel eines Khan war Ausdruck seines unvergänglichen Sieges. Siehe Herrn de Guignes, Histoire des Huns, Band 1, p.179-189 sowie Band 2, p. 295 und 334-338.

 

ZÜGE DER NORDGERMANEN · A.D. 405

Auf diesem Landstrich zwischen Wolga und Weichsel, jenem unerforschten Raum zwischen den äußersten Grenzen der chinesischen und der römischen Geographie, unterbricht sich die Folge der Ereignisse, oder besser, sie wird unkenntlich. Aber sowohl die Gemütsverfassung der Barbaren wie auch die Erfahrungen aus anderen Völkerbewegungen legen die Vermutung nahe, dass die Hunnen, die von den Waffen der Geougen bedrängt wurden, sich vor dem Sieger zurückzogen. Die Länder am Schwarzen Meer waren bereits von verwandte Stämme besetzt; und ihre hastige Flucht, die aber schon bald den Charakter eines kühnen Angriffes annahm, dürfte sich natürlicherweise gegen die üppigen und lieblichen Ebenen gewandt haben, durch welche die Weichsel in die Ostsee strömt. Der Norden muss dann durch den Einfall der Hunnen aufgeschreckt und in Panik versetzt worden sein; und die vor ihnen fliehenden Völker hätten dann ihrerseits die Grenzen Germaniens bedrängt. Procopios (de bello Vandalico 1,3) hat auf eine Auswanderung von den Mäotischen Sümpfen nach Nordgermanien verwiesen, als deren Ursache er Hunger angibt. Aber seine Kenntnisse der alten Geschichte sind auf befremdliche Weise von Ahnungslosigkeit und Irrtum umdunkelt. Die Bewohner dieser Gebiete, welche von den Alten Sueben, Vandalen und Burgunder genannt wurden, mochten dann die Gelegenheit zu einem alten Vorhaben wahrgenommen und den flüchtigen Sarmaten ihre Wälder und Sümpfe abgetreten oder doch wenigstens Teile von der Überfülle ihre Volkes in den römischen Provinzen abgeladen haben. Zosimos (5,26) verwendet die üblichen Kennzeichnungen für die Völker jenseits von Rhein und Donau. Ihr Wohnort und ihre Namen werden klar bezeichnet, sogar noch mit den unterschiedlichen Beinamen, die die früheren Autoren ihnen gelegentlich beigegeben haben mögen.

Etwa vier Jahre, nachdem der siegreiche Toulun den Titel Khan angenommen hatte, marschierte ein anderer Barbar, der kühne Rhodogast Rhadagast war den Name einer lokalen Gottheit der Obotriten (in Mecklenburg). Ein Held darf natürlich den Namen seiner Titulargottheit annehmen; aber wenig wahrscheinlich klingt es, dass die Barbaren einen erfolglosen Heroen verehren sollten. Siehe Maskow, History of the Germans 8,14. oder Radagaisus aus Germaniens Norden bis fast vor die Tore Roms, wo er Teile seiner Armee zurückließ, den Untergang des Westens zu vollenden. Vandalen, Sueben und Burgunder bildeten seine Kerntruppen; aber die Alanen, die in ihren neuen Siedlungsgebieten freundliche Aufnahme gefunden hatten, ließen ihre leichte Kavallerie zu der schweren germanischen Infanterie stoßen; und gotische Abenteurer scharten sich in solchen Mengen unter die Fahne des Radagaisus, dass einige Historiker ihn tatsächlich zum Gotenkönig machten. Zwölftausend Krieger von Adel prunkten in der Vorhut; Olympiodoros (bei Photios, p. 180) verwendet den griechischen Terminus Optimatoi [Aristokraten]; was allerdings keine konkreten Vorstellungen vermittelt. Ich vermute, es handelt sich um Herrscher, Adlige und ihren getreuen Anhang; Ritter und Edelknaben, wie man ein paar Jahrhunderte gesagt haben würde. und die Gesamtmasse an Waffenfähigen, nicht weniger als zweihunderttausend Krieger, wurde durch Weiber, Kinder und Sklaven auf wenigstens vierhunderttausend erhöht.

Diese Riesenmenge von Auswanderern brach an dem gleichen Küstenstreifen der Ostsee auf wie vordem die Myriaden von Kimbern und Teutonen, als die Republik auf der Höhe ihrer Macht stand. Nach dem Abzug der Barbaren legte ihr Heimatland noch viele Jahre lang Zeugnis ihrer früheren Größe ab: gewaltige Schanzungen und Dämme, Tacitus, Germania 37. die in erhabener und düsterer Einsamkeit verblieben; bis sich endlich die Bevölkerung erneuerte und neue Bewohner die leerstehenden Lande besiedelten. Die Völker, welche heutzutage mehr Siedlungsgebiete besitzen, als sie beackern können, hätten schon bald durch die tätigen Armut ihrer Nachbarn Hilfe erhalten, wenn Europas Regierungen nicht ihre Herrschafts- und Besitzansprüche schützen würden.

 

RADAGAISUS IN ITALIEN · A.D. 406

Der Verkehr zwischen den Völkern war zu jenen Zeiten so unvollkommen und unsicher, dass die Umwälzungen im Norden dem Hof zu Ravenna durchaus entgangen sein mögen; bis sich dann schließlich die Wolken, die sich an der Ostseeküste gesammelt hatten, am Oberlauf der Donau zu einem Unwetter entluden. Wenn denn die Minister dem Herrscher des Westreiches die Kurzweil seiner Tage überhaupt durch die Nachricht von der drohenden Katastrophe getrübt haben mochten, so zeigte er sich gleichwohl zufrieden damit, einen Krieg veranlassen und dessen Zuschauer sein zu dürfen. »Cuius agendi Spectator vel causa fui,« [Dessen Zuschauer oder Veranlasser ich war]. Claudian, de VI consulatu Honorii 439. Dies ist Honorius' bescheidene Rede vom Gotenkrieg, den er doch ganz aus der Nähe gesehen hat. Roms Sicherheit wurde Stilichos bewaffneter Könnerschaft anvertraut; aber mittlerweile befand sich das Reich in einem derart desolaten und erschöpften Zustand, dass man außerstande war, die Festungsanlagen an der Donau erneut instand zu setzen oder durch einen einzigen großen Schlag die Invasion der Nordgermanen abzuwenden. Zosimos (5,26) verlegt den Krieg und Stilichos Sieg hinter die Donau. Ein derber Irrtum, der auch nur dann sehr notdürftig behoben ist, wenn man Arnon für Istron liest (Tillemont, Histoire des empereurs, Band 5, p. 807). Wir sind gut beraten, wenn wir Zosimos' Dienste in Anspruch nehmen, ohne ihn allzu hoch zu schätzen oder ihm gar zu trauen.

So blieb die Hoffnung dieses tüchtigen Dieners des Honorius auf das Land Italien beschränkt. Er gab abermals die Provinzen preis, rief die Truppen zurück, stellte neue Mannschaften auf, die dringend benötigt wurden und die sich doch kleinmütig entzogen, sann auf die wirkungsvollsten Mittel, Deserteure zu halten und versprach allen Sklaven, die sich in die Mannschaftsrolle eintragen ließen, die Freiheit und zwei Goldstücke. Codex Theodosianus 7,13,16. Das Datum dieses Gesetzes (18. Mai A.D. 406,) gibt mir und Gothofred Gewissheit über das Jahr von Radagaisus' Überfall. Tillemont, Pagi und Muratori neigen dem vorhergehenden Jahre zu; aber sie fühlen sich aus Gründen des Respektes und der Artigkeit an Paulinus von Nola gebunden. So stellte er mit vieler Anstrengung aus den Untertanen eines Weltreiches eine Armee von dreißig- oder vierzigtausend Mann auf die Beine, was in den Tagen eines Camillus oder Scipio die freien Bürger Roms Kurz nach der Einnahme Roms durch die Gallier bewaffnete der Senat zehn Legionen, 3000 Mann zu Pferde und 420 00 Mann Infanterie; eine Streitmacht, die die Stadt unter Augustus nicht mehr hätte aufbieten können (Livius 7,25). Einen Altertumsforscher mögen diese Feststellungen verwirren, aber Montesquieu erklärt sie auf einleuchtende Weise. in einem Nu vermocht hätten. Den dreißig Legionen des Stilicho standen ungezählte Hilfstruppen der Barbaren zur Seite; die treuen Alanen fühlten sich ihm persönlich verpflichtet; und die Hunnen und Goten, die unter der Fahne ihrer Könige Huldin und Sarus marschierten, stellten sich dem Ehrgeiz des Radagaisus aus Hass und ganz individuellen Gründen entgegen. Der König der vereinten Germanenstämme überquerte indessen ohne Widerstand die Alpen, Po und Apennin, ließ den uneinnehmbaren Palast des Honorius – er lag wohlgeborgen in den Sümpfen um Ravenna – linker- und das Lager Stilichos rechterhand liegen, der sein Hauptquartier in Pavia am Ticinus aufgeschlagen hatte, aber einer Entscheidungsschlacht aus dem Wege gehen wollte, solange nicht die ausbleibenden Truppen zu ihm gestoßen waren.

 

BELAGERUNG VON FLORENZ

Zahlreiche Städte Italiens wurden geplündert oder zerstört, und die Belagerung von Florenz Machiavelli hat zumindest als Philosoph den Ursprung von Florenz dargestellt, das sich um des Handels willen aus dem Felsen von Faesulae an das Arno-Ufer herabgewagt habe (Istoria Fiorentina. Tutte le Opere, Band 1, p.36). Die Triumvirn sandten Siedler nach Florenz, und unter Tiberius (Tacitus, Annalen 1,79) konnte es die Bezeichnung einer blühenden Stadt für sich in Anspruch nehmen. Cluver, Italia Antiqua, Band 1, p. 507. durch Radagaisus ist eine der ersten Großereignisse in der Geschichte dieser berühmten Republik, an deren Standfestigkeit das kopf- und planlose Anrennen der Barbaren zu Schanden ging. Senat und Volk bebten, als sie näher als einhundertachtzig Meilen auf Rom herangerückt waren und verglichen die Gefahr, der sie entronnen waren, mit dem Verderben, das nunmehr über ihnen schwebte. Alarich war immerhin ein Christ und ein Krieger, Anführer einer disziplinierten Armee; er respektierte die Kriegsbräuche, hielt sich an Verträge und hatte mit den Untertanen des Reiches in denselben Lagern und Kirchen vertraulichen Umgangs gepflogen.

Radagaisus, dem Manne aus der Wildnis, waren die Gebräuche, die Religion und selbst die Sprache der kultivierten Südvölker fremd. Sein ungezügeltes Gemüt wurde durch einen grausamen Aberglauben noch gesteigert, und allgemein glaubte man zu wissen, dass er sich durch einen finsteren Eid gebunden habe, die Stadt in Schutt und Asche zu legen und die edelsten römischen Senatoren auf den Altären jener Gottheiten zu opfern, die sich nur durch Menschenblut beschwichtigen ließen. Die allgemeine Gefahr, die doch eigentlich Streitigkeiten im Inneren hätte beilegen sollen, enthüllte die unheilbare Geisteskrankheit, die religiösen Kleingruppen zu Eigen ist. Die unterlegenen Gefolgsleute Jupiters und Merkurs respektierten in Roms unversöhnlichem Feind immerhin den frommen Heiden; erklärten jedermann, dass sie die Menschenopfer des Radagaisus eher fürchteten als seine Angriffe und jubelten heimlich über die Kalamitäten ihres Landes, die den Glauben ihrer christlicher Gegner als verdammenswert erwiesen hatten. Allerdings unterschied sich der Jupiter des Radagaisus, der Thor und Wotan anbetete, deutlich von dem olympischen oder kapitolinischen Jupiter. Die ausgleichende Natur des Polytheismus mag wohl entfernte und gegensätzliche Gottheiten zusammenfügen, aber vor den Menschenopfern der Gallier und Germanen bebten die wahren Römer denn doch zurück.

 

STILICHO BESIEGT RADAGAISUS · A.D. 405

Die Kräfte von Florenz waren auf das Äußerste angespannt, und der sinkende Mut der Bürger wurde nur durch das hohe Ansehen des heiligen Ambrosius emporgehoben, der in einem Traum das Versprechen auf baldigen Entsatz erhalten hatte. Paulinus (Vita Ambrosii 50) erzählt diese Geschichte, die er aus dem Munde von Pansophia persönlich vernommen hatte, einer Art religiöser Matrone von Florenz. Indessen nahm dieser Erzbischof schon bald keinen Anteil mehr am Getriebe der Welt und wurde als Heiliger niemals volkstümlich. Unvermittelt erspähten sie von der Stadtmauer die Fahne Stilichos, welcher mit vereinten Heeresgruppen herzu eilte, die treue Stadt zu befreien und der schon bald den fatalen Punkt festlegte, der den Barbaren zum Grabe werden sollte. Die offenkundigen Widersprüche der Autoren, die uns vom Untergang des Radagaisus so verschieden berichten, lassen sich ausgleichen, ohne dass man ihre Zeugnisse allzu viel zurechtbiegen müsste. Orosius und Augustinus, beide durch Freundschaft und Religion innig miteinander vertraut, schreiben diesen überraschenden Sieg eher der göttlichen Vorsehung zu als Menschenkraft. Augustinus, de Civitate Dei 5,23; Orosius 7,37. Die beiden Freunde schrieben zehn oder zwölf Jahre nach dem Sieg in Afrika; Isidor von Sevilla (Chronia, bei Grotius, Historia p. 713) beruft sich ausdrücklich auf ihre Autorität. Wie viele interessante Einzelheiten hätte uns Orosius doch anstelle des frommen Unfugs mitteilen können! Von Kämpfen oder gar Blutvergießen ist auch nicht von Ferne die Rede, und ausdrücklich betonen sie, dass die Römer, in deren Lager es üppig und gemütlich zuging, sich an der Not der Barbaren behagten, denen auf den steilen und gefährlichen Felsen Faesulaes oberhalb von Florenz allmählich die Luft ausging. Die törichte Versicherung, kein einziger christlicher Soldat sei getötet oder auch nur verwundet worden, soll hier mit schweigender Geringschätzung übergangen werden; aber die übrige Darstellung von Augustinus und Orosius passt mit der Art des Krieges und dem Charakter Stilichos zusammen.

Im Bewusstsein, dass er hier das letzte Aufgebot Roms befehligte, setzte er seine Soldaten klüglich nicht einer Begegnung mit der germanischen Kampfeswut aus. Die Methode, den Belagerer selbst mit starken Umschanzungen einzukreisen, die er bereits zweimal gegen den Gotenkönig erprobt hatte, wiederholte er hier in besonders großem Maßstab und mit durchschlagendem Erfolg. Das Vorbild Caesars musste noch dem unkundigsten römischen Krieger gegenwärtig sein; und die Anlagen von Dyrrhachium, in welcher vierundzwanzig Festungen durch einen fünfzehn Meilen langen Graben mit Mauerwerk verbunden waren, gaben das Vorbild für eine Umfassung, die noch die größte Masse an Barbaren einschließen und aushungern konnte. »Franguntur montes, planumque per ardua Caesar Ducit opus: pandit fossas, turritaque summis Disponit castella jugis, magnoque recessu Amplexus fines, saltus, nemorosaquetesqua Et silvas, vastaque feras indagine claudit.« [Die Berge wurden durchbrochen, und Caesar führte sein Befestigungswerk aus auf der Höhe der Hügel; er ließ Gräben vebreitern und baute in Abständen hohe Türme auf den Bergrücken; in einer weit gebogenen Linie schloss er das Gelände, Schluchten, Einöden und Wälder ein und sogar noch das Wild]. Lucanus, Pharsalia 6,39ff. Die schlichte Wahrheit (Caesar, der bello Civile, 3,44) indessen ist viel eindrucksvoller als Lucans angestrengte Erweiterungen. Die römischen Truppen waren zwar nicht mehr so kampfesfreudig wie ihre Vorfahren, aber wenigstens gebrach es ihnen nicht an Fleiß; und wenn sich denn ihr soldatischer Stolz an der Knechtsarbeit des Schanzens ärgerte, so konnte doch die Toscana tausende Bauern erübrigen, welche zur Rettung ihrer Heimat wenn schon nicht fechten, so doch immerhin schaufeln wollten.

Die eingeschlossenen Masse an Kriegern und Pferden Der rhetorischen Topos des Orosius »In arido et aspero montis iugo« [in der Kargheit und Rauheit des Berges vereint], »in unum ac parvum verticem« [auf einer einzigen kleinen Berghöhe] passen nicht eben gut auf ein großes Militärlager. Aber Faesulae, das nur drei Meilen von Florenz entfernt liegt, mochte wenigstens hinreichend Platz für das Hauptquartier des Radagaisus bieten und konnte wohl auch durch die römischen Linien umfasst werden. erlag im Laufe der Zeit eher dem Hunger als irgendwelchen Kampfhandlungen; dennoch waren die Römer häufigen Attacken ihrer ungebärdigen Feinde ausgesetzt, während die große Umwallung ihren Fortgang nahm. Aus Verzweiflung berannten die Barbaren wohl die Schanzen des Stilicho; und auch der römische General mochte gelegentlich dem Drängen seiner braven Hilfstruppen nachgeben, welche heftig darnach verlangten, das Lager der Germanen zu bestürmen; und diese gelegentlichen Gefechte waren dann der Hintergrund der heftigen und blutigen Metzeleien, von denen Zosimos und die Chroniken des Prosper und Marcellinus berichten. Siehe Zosimos 5,26 und die Chroniken von Prosper und Marcellinus Comes.

Zu rechter Zeit waren neue Mannschaften und Proviant nach Florenz gelangt, und so wurden plötzlich die Krieger des Radagaisus ihrerseits zu Belagerten. Der stolze König so vieler Kriegsvölker sah sich nach dem Tode seiner besten Kämpen vor die Wahl gestellt, es auf eine redliche Kapitulation oder Stilichos Milde Orosius (bei Photios, p. 180) benutzt einen Ausdruck, der ein unbedingtes und zuverlässiges Bündnis bezeichnen und aus Stilicho einen Kriminellen machen sollte. Das »paulisper detentus, deinde defectus« [ein wenig noch hingehalten, danach getötet] des Orosius ist gehässig genug. ankommen zu lassen. Aber der Tod des königlichen Gefangenen, der schmachvoll enthauptet wurde, verdunkelt den Sieg Roms und des Christentums, und der kurze Aufschub seiner Hinrichtung reichte hin, den Sieger dem Vorwurf herzenskalter und berechneter Grausamkeit auszusetzen. Der inhuman-fromme Orosius opfert ohne eine Spur von Mitleid König Agag und das Volk der Amalekiter. Der blutbefleckte Täter ist weniger abstoßend als der gefühllose Historiker. Die ausgehungerten Germanen, die den Ansturm der Hilfstruppen überlebt hatten, wurden in die Sklaverei verkauft zu dem Spottpreis von einem Goldstück pro Mann; aber das ungewohnte Essen und Klima richtete zahlreiche dieser unglücklichen Ausländer zugrunde; und so bemerkte man, dass die unmenschlichen Käufer, anstelle der Früchte ihrer Investition zu genießen, schon bald die Beerdigungskosten bestreiten mussten. Stilicho seinerseits berichtete dem Kaiser und dem Senat von seinem Sieg. Und Claudians Muse? Schlief sie? War sie schlecht bezahlt? Mich dünkt, Honorius' VII. Konsulat (A.D. 407) hätte ein würdiges Thema für ein Epos abgeben müssen. Bevor es sich zeigte, dass der Staat unrettbar verloren war, hätte Stilicho (nach Romulus, Camillus und Marius) den Zunamen eines vierten Gründers der Stadt erhalten sollen. und reklamierte neuerlich den ruhmredigen Titel eines Befreiers von Italien für sich.

 

ANDERE GERMANENSTÄMME DRINGEN IN ITALIEN EIN · 31. DEZEMBER 406

Die Fama des Sieges und insonders des so genannten Wunders hat der müßigen Auffassung Nahrung gegeben, dass ein ganzes Germanenheer, oder genauer: Germanenvolk, das von der Ostsee aufgebrochen war, vor den Toren von Florenz elend untergegangen gegangen sei. In der Tat war dies das Schicksal des Radagaisus, seiner braven Getreuen und von mehr als einem Drittel der Sueben und Vandalen, Alanen und Burgunder, die sich ihrem Heerführer angeschlossen hatten. Eine lesenswerte Passage in Prospers Weltchronik »In tres partes, per diversos principes, divisus exercitus« [...das Heer wurde von verschiedenen Herrschern in drei Teile zerlegt] verkleinert das Wunder von Florenz und stellt eine Verbindung zwischen der Geschichte Italiens, Galliens und Germaniens her. Die Vereinigung einer solchen Heeresmasse mag uns überraschen, aber die Gründe für ihren Zerfall sind offenkundig und stark genug: der Stolz auf die hohe Geburt, unkontrollierbare Kampfbegier, Neid auf die Kommandogewalt, Unfähigkeit zur Unterordnung, beständige Meinungs- und Interessenskonflikte zwischen so vielen Königen und Kriegern, die es niemals gelernt hatten, nachzugeben, geschweige denn zu gehorchen.

Nach dem Tod des Radagaisus blieben noch zwei germanische Heeresabteilungen unter Waffen, wenigstens einhunderttausend an der Zahl, zwischen Alpen und Apennin oder Alpen und Donau. Es ist unbekannt, ob sie den Tod ihres Heereskönigs zu rächen sich vorgesetzt hatten; aber ihr ungeordnetes Vorgehen zerfaserte schon bald an Stilichos wohlbedachtem Widerstand, der sich ihren Angriffen in den Weg stellte und ihnen auf ihrem Rückzug zusetzte; der sich Roms und Italiens Sicherheit schier zur Herzensangelegenheit werden ließ und, fast schon etwas gleichgültig, diesem Vorhaben die Ruhe und das Wohlergehen entfernter Provinzen aufopferte. Orosius und Hieronymos beschuldigen ihn geradezu, zur Invasion angestiftet zu haben. (»Excitatae a Stilichone gentes«) Es muss natürlich heißen indirekt: Er rettete Italien auf Kosten von Gallien. Von ein paar pannonischen Überläufern hatten die Barbaren eine ungefähre Kenntnis vom Land und seinen Straßen erhalten; und der Überfall auf Gallien, den Alarich geplant hatte, wurde von den Überresten der großen Armee des Radagaisus vollendet. Der Count de Buat ist der Auffassung, dass es zwei Drittel der großen Armee des Radagaisus waren, die in Gallien einfielen. Vergleiche hierzu die Histoire Ancienne des Peuples de l'Europe, Band 7, p. 87-121; ein sorgfältiges, gelehrtes Werk, welches ich bis zum Jahre 1777 nicht benutzen konnte. Bereits 1771 finde ich diese Idee in einer vorläufigen Skizze zur Geschichte der fraglichen Zeit von mir ausgearbeitet. Auch bei Mascou, History of the old Germans, Buch 8, c.15, habe ich ähnliche Fingerzeige gefunden. Solche Übereinstimmung ohne vorangegangene Absprache kann einer gemeinsamen Auffassung zusätzliches Gewicht verleihen.

 

DIE ALAMANNEN BEOBACHTEN NEUTRALITÄT

Wenn sie indessen auf Hilfe durch germanische Stämme gehofft hatten, so sahen sie sich enttäuscht. Die Alamannen bewahrten den Status abwartender Neutralität; und die Franken bewährten ihre Tapferkeit bei der Verteidigung des Reiches. Bei seinem Eilmarsch rheinabwärts, was seine erste Amtshandlung gewesen war, hatte Stilicho es sich insbesondere angelegen sein lassen, die Gefolgschaftstreue der kriegerischen Franken zu festigen und die schlimmsten Friedens- und Staatsfeinde zu beseitigen. Marcomir, einer ihrer Könige, wurde in aller Öffentlichkeit vor dem römischen Magistrat der Vertragsuntreue überführt. Seine Strafe war ein mildes, aber fernes Exil in der Toskana; und die Aberkennung seiner Königswürde war so wenig angetan, seine Untertanen zu erregen, dass sie vielmehr den hitzigen Sunno hinrichteten, den es verlangte, seinen Bruder zu rächen; auch später blieben sie den Königen pflichttreu ergeben, die Stilichos Beschluss auf ihren Thron erhoben hatte. »Provincia missos /Expellet citius fasces, quam Francia reges Quos dederis.« [Die Provence jagt eher die Beamten hinaus, als die Franken die Könige, die du ihnen geschickt hast]. Claudian (De I consulatu Stilichonis 1,235ff) ist eindeutig und befriedigend. Gregor von Tours weiß von diesen Frankenkönigen gar nichts, doch der Autor der Gesta Francorum erwähnt beide, Sunno und Marcomir und nennt Letzteren den Vater von Pharamond (Band 2, p. 543). Dieser Autor hat über gute Quellen verfügt, die er aber nicht verstand.

Als die Grenzen Galliens und Germaniens unter den Eindringlingen aus dem Norden bebten, stellten sich die Franken unverzagt der Übermacht der Vandalen entgegen, welche, anderslautender Erfahrungen uneingedenk, sich wiederum von der Fahne verbündeter Barbarenstämme abgesondert hatten. Sie zahlten die Strafe für ihr Ungestüm, und zwanzigtausend Vandalen mitsamt ihrem König Godigiselus deckten tot das Schlachtfeld. Das ganze Volk wäre vernichtet worden, wenn nicht die Reiterschwadronen der Alanen, die ihnen zu Hilfe eilten, die Infanterie der Franken zurückgeworfen hätte, die dann nach heldenhaftem Widerstand den ungleichen Kampf aufgeben musste. Die siegreichen Verbündeten setzten ihren Marsch fort; und am letzten Tag des Jahres, zu welchem Zeitpunkt der Rhein im Allgemeinen zugefroren war, drangen sie, ohne Widerstand zu erfahren, in das schutzlose Gallien. Diese denkwürdige Rheinüberquerung der Sueben, Vandalen, Alanen und Burgunder, welche danach niemals zurückkehrten, kann als der Untergang des Römischen Reiches in den Ländern nördlich der Alpen angesehen werden; und die Schutzmauer, die bis dahin zwischen den wilden und den kultivierten Ländern der Erde gestanden hatte, lag seit jenem fatalen Augenblick darnieder. Siehe Zosimos (6,3), Orosius (7,40) und die Chroniken. Gregor von Tours (2,9, p. 165 im 2. Band der Historiens de la France) hat ein wichtiges Fragment von Renatus Profuturus Frigeridus überliefert, der mit seinen drei Namen den Christen, Römer und Barbaren andeutet.

 

VERWÜSTUNG GALLIENS · A.D. 407

Während der Frieden in Germanien infolge fränkischer Treue und alamannischer Neutralität auch weiterhin Bestand hatte, erfreuten sich Roms Bürger, unkundig der ihnen bevorstehenden Kalamitäten, an der Ruhe und dem Wohlstand, wie er ihnen an den Grenzen zu Gallien nur selten zuteil wurde. Ihre Schaf- und Rinderherden durften die Gebiete der Barbaren beweiden; ihre Jagdzüge konnten sie unbesorgt und ungefährdet bis in die Tiefen der Hercyanischen Wälder ausdehnen. Claudian (De consulatu I Stilichonis 1,221ff und 2,186) beschreibt Frieden und Wohlstand an der Grenze zu Gallien. Der Abbé Dubos sollte Alba (ein kleiner Fluss in den Ardennen) anstelle Albis lesen und sich nicht über die Risiken auslassen, die gallischem Vieh beim weiden jenseits der Elbe widerfährt. Über diese Torheit! In der Geographie der Poeten stehen Elbe und Hercyanische Wälder für jeden Fluss und jedes Waldgebiet in Germanien. Claudian zeigt sich auf die pedantischen Untersuchungen unserer Altertumsforscher nicht vorbereitet! An den Ufern des Rheins standen ähnlich wie am Tiber elegante Landhäuser und wohlbestellte Gehöfte; wäre ein Dichter rheinabwärts gefahren, so hätte er seine Zweifel gehabt, welches denn nun die römische Uferseite sei »Geminasque viator Cum videat ripas, quae sit Romana requirat.« [Da der Wandersmann beide Ufer erschaut, fragt er, welches das römiche sei]. Claudian, De consulatu Stilichonis 1,222.

Und plötzlich waren diese Gefilde des Friedens und Wohlstandes eine Ödnis; nur durch die rauchenden Trümmer unterschied sich die naturgegebene Wüste von dieser Einöde aus Menschenhand. Das blühende Mainz wurde überrannt und zerstört; tausende Christen wurden in den Kirchen abgeschlachtet. Worms ging unter nach langer und hartnäckiger Belagerung; Straßburg, Speyer, Reims, Tournay, Arras und Amiens wurden von den Germanen grausam niedergedrückt; und die verzehrende Flamme des Krieges übersprang den Rhein und vernichtete den größten Teil der siebzehn Provinzen Galliens. Diese reiche und große Provinz zwischen Atlantik, Alpen und Pyrenäen war den Barbaren ausgeliefert, die Bischöfe, Senatoren und Jungfrauen in Massen vor sich hertrieben, überladen mit Beute aus ihren Häusern und von ihren Altären. Hieronymus, Opera, Band 1, p. 93. Siehe im ersten Band der Historiens de la France, p. 777 und 782 die passenden Auszüge aus dem ›Carmen de providentia divina‹ und aus Salvianus. Der anonyme Dichter war selbst, zusammen mit seinem Bischof und seinen Mitbürgern, ein Gefangener gewesen.

Der Kirchenmann, dem wir diese ungenaue Beschreibung der allgemeinen Not zu danken haben, verfehlt nicht, bei dieser Gelegenheit die Christen zu ermahnen, die Sünden zu bereuen, die die göttliche Gerechtigkeit gegen sie aufgebracht habe, und die vergänglichen Güter dieser verruchten und trügerischen Welt daran zu geben. Da aber die pelagianische Kontroverse, Die pelagianische Doktrin, welche A. D. 405 zum ersten Male ausgesprochen wurde, wurde innerhalb von zehn Jahren in Rom und Karthago verdammt. St. Augustin focht und war durchaus erfolgreich, aber die griechische Kirche war seinen Gegnern günstig; und (was allerdings sonderbar genug ist) das Volk nahm keinerlei Anteil an einem Streit, den es nicht verstehen konnte. welche die Tiefe der Gnade und der Prädestination auszuloten bestrebt war, schon bald den ganzen lateinischen Klerus ernsthaft beschäftigte, wurde die Vorhersehung, welche soviel moralisches und physisches Elend beschlossen, vorhergesehen oder zugelassen hatte, rasch auf die unpräzise und fehlerhafte Waage der Vernunft gelegt. Die Vergehen und das Martyrium des leidenden Volkes wurden vorderhand mit denen ihrer Vorfahren verglichen; und man klagte die göttliche Gerechtigkeit an, dass sie die Schwachen, die Unschuldigen und die Kinder nicht von dem allgemeinen Unglück ausgenommen habe.

Diese müßigen Disputanten übersahen dabei das eherne Gesetz der Natur, welches einen Zusammenhang zwischen Frieden und Unschuld, Wohlstand und Fleiß, Sicherheit und Wehrhaftigkeit hergestellt hat. Die furchtsame und eigennützige Politik Ravennas mochte die Palasttruppen zum Schutze Italiens zurückbeordern; die verbliebenen Einheiten mochten ihrer schweren Aufgabe nicht gewachsen sein; und die Hilfskontingente der Barbaren hätten der Möglichkeit zu unbegrenztem Beutemachen vielleicht den Vorzug gegeben vor den Segnungen einer bescheidenen, aber regelmäßigen Besoldung.

Die gallischen Provinzen jedoch waren bevölkert von einer kühnen und schlagkräftigen Jugend, die den Sieg verdient hätte, wenn sie zur Verteidigung ihrer Familien und ihrer Altäre ihr Leben hätte wagen wollen. Die genaue Kenntnis ihres Landes hätte es ihnen ermöglicht, einem Eindringling beständig neue und unüberwindliche Hindernisse entgegen zu stellen; und da die Barbaren an Disziplin und Bewaffnung unterlegen waren, wäre auch der einzige Vorwand entfallen, der die Unterwerfung eines volkreichen Landes durch eine kleine Veteranenarmee entschuldigen kann. Als Frankreich von Karl V. überfallen wurde, befragte er einen Gefangenen, wie viele Tage Paris wohl von der Front entfernt liege. »Vielleicht zwölf, aber es werden Tage sein, die mit Kämpfen angefüllt sind«, Siehe die Memoiren von Martin du Bellay, Buch 4. Im Französischen ist der ursprüngliche Vorwurf versteckter, aber wegen des Doppelsinnes von ›journé‹ pointierter, da es Tagesreise und zugleich Schlacht bedeutet. so die brave Antwort, die sich des Herrschers hochfliegendem Ehrgeiz in den Weg stellte. Die Untertanen des Honorius und von Franz I. waren von sehr unterschiedlichem Geist belebt; und in weniger als zwei Jahren gelangte die Barbaren von der Ostsee, deren Zahl, genau betrachtet, lächerlich gering war, ohne einen einzigen Schwerthieb bis vor die Pyrenäen.

 

AUFSTAND DER BRITISCHEN ARMEE · A.D. 407

Zu Beginn der Regierungszeit des Honorius hatte die Wachsamkeit Stilichos die abgelegenen britischen Inseln vor ihren ewigen Feinden auf dem Ozean, aus den Bergen und von der irischen Küste geschützt. Claudian, de cosulatu Stlichonis I, 2,250. Man vermutet, dass die irischen Scoten die ganze Westküste Britanniens von See her angriffen; man kann hier sogar -mit Vorbehalten- Nennius und der irischen Überlieferung glauben. Die sechsundsechzig Leben des heiligen Patrick, die noch bis ins neunte Jahrhundert fortdauerten, müssen ebenso viele tausend Lügen enthalten haben (Carte, History of England, Band 1, p.169; Whitacker, Genuine History of the Britons, p. 199); aber glauben wollen wir es doch, dass bei einem dieser irischen Überfälle ihr künftiger Apostel als Gefangener fortgeführt wurde. Usher, Britannicarum ecclesiarum antiquitates, p. 431 und Tillemont, Mémoires ecclesiastiques Band 16, p. 456 u.a. Aber diese unruhigen Barbaren konnten sich die günstige Gelegenheit während des Gotenkrieges denn doch nicht entgehen lassen, als von allen Standorten und Wallanlagen die römischen Truppen abgezogen waren. Wenn nur irgendwelche Legionäre aus dem italienischen Feldzug zurückkehren durften, dann muss ihr getreuer Bericht über den Hof und das Verhalten des Honorius verheerend auf die Treue der britannischen Truppen gewirkt und ihre Neigung zum Abfall bestärkt haben. Der Geist der Revolution, der ehedem das Zeitalter des Gallienus heimgesucht hatte, wurde durch das gewaltbereite Verhalten der Soldaten wiederbelebt. Und der unglückliche, möglicherweise aber auch ehrgeizige Kandidat, der zum Objekt ihrer Wahl wurde, wurde das Werkzeug und endlich auch das Opfer ihrer Umtriebigkeit. Die britannischen Thronräuber werden von Zosimos (6,2), Orosius (7,40), Olympiodoros (bei Photios, p.180f.), den Kirchengeschichtlern und den Chroniken erwähnt. Die lateinischen kennen Marcus nicht.

Marcus war der Erste, den sie als den gesetzmäßigen Herrscher Britanniens und des Westens auf dem Thron platzierten. Den Treueeid, den sie sich auferlegt hatten, brachen sie schon bald, indem sie Marcus ermordeten; und ihre Ablehnung seines Verhaltens kann man als Textvorlage für eine Ehreninschrift auf seinem Grabstein auffassen. Gratian war der Nächste, dem sie Purpur und Diadem antrugen; nach vier Monaten ereilte Gratian das Schicksal seines Vorgängers. Die Wahl ihres dritten Kandidaten war möglicherweise durch die Erinnerung an Konstantin den Großen mitbestimmt, waren es doch die britannischen Legionen gewesen, die dem Reich und der Kirche diesen Herrscher geschenkt hatten. Unter den Mannschaften entdeckten sie einen Rekruten mit Namen Constantin, und in törichtem Unbedacht hatten sie ihn auf den Thron gesetzt, bis sie seine Unfähigkeit bemerkten, die Bürde dieses Namens zu tragen. »Cum in Constantino ›inconstantiam‹ ... execrarentur« [da sie bei Constantin das Fehlen der Konstanz verabscheuten]. Sidonius Apollinaris 5, Epistulae 9. Aber Sidonius wurde wohl durch ein so hübsches Wortspiel verleitet, einen Herrscher zu brandmarken, der seinen Großvater entehrt hatte..

 

CONSTANTINUS IN BRITANNIEN UND GALLIEN ANERKANNT – A.D. 407

Gleichwohl war die Autorität des Constantin stabiler und seine Regierung erfolgreicher als die kurzen Gastspiele von Marcus und Gratian. Die Gefahr, die von den zu fernerem Müßiggang im Lager gelassenen Truppen ausgegangen wäre, die sich schon zweimal mit Mord und Aufstand besudelt hatten, vermochte ihn, auf die Unterwerfung der westlichen Provinzen zu sinnen. Er landete bei Boulogne mit geringer Streitmacht; und nachdem er sich einige Tage erholt hatte, forderte er die gallischen Städte, die das Joch der Barbaren abgeschüttelt hatten, dazu auf, nunmehr in ihm ihren rechtmäßigen Herrscher anzuerkennen. Sie willfahrten ohne Widerworte. Das gleichgültige Verhalten des Hofes von Ravenna hatte das im Stich gelassene Volk schon längst seiner Treupflichten überhoben; seine aktuelle Notlage gab ihm ein, beherzt und vielleicht sogar mit einiger Hoffnung jede Möglichkeit zu einer Änderung wahrzunehmen; und sie mochten sich schmeicheln, dass die Armee, die Autorität, ja sogar der Name des römischen Kaisers, der in Gallien seine Residenz bezog, das unglückliche Land vor dem Wüten der Barbaren schützen könnten.

Die ersten Erfolge des Constantin gegen einzelne Detachements der Germanen wurden von der Stimme der Schmeichelei zu glanzvollen und entscheidenden Siegen vergrößert; die allerdings nach der Vereinigung der feindlichen Kräfte auf ihren wahren Wert zusammenschrumpften. Mit seinen Verhandlungen erreichte er einen unsicheren und vorübergehenden Waffenstillstand; und als ein paar Barbarenstämme durch großzügige Geldgeschenke und ebensolche Versprechen angeworben wurden, den Rhein zu verteidigen, trug dies nur dazu bei, die Hoheit des Herrschers zu verkleinern und die letzten Reste des Staatsschatzes zu plündern.

Erhoben indessen durch diesen sogenannten Triumph, eilte der törichte Sieger weiter nach Süden, einer dringenderen und persönlichen Gefahr zu begegnen. Sarus, der Gote, hatte Weisung empfangen, das Haupt des Empörers dem Honorius zu Füßen zu legen; und die Armeen Britanniens und Italiens wurden in diesem müßigen internen Zwist ganz umsonst aufgerieben. Nach dem Tode seiner beiden besten Generäle, Justinian und Nevigastes – der eine war auf dem Schlachtfeld, der zweite bei trügerischen Friedensunterhandlungen ums Leben gekommen – verschanzte Constantin sich hinter den Mauern Vienne. Sieben Tage lang wurde der Ort ohne Erfolg berannt; und die kaiserliche Armee belud sich sogar noch mit Schande, weil sie sich von den Räubern und Gesetzlosen der Alpen einen sicheren Abzug erkauften musste. Zosimos nennt sie Bagauden; vielleicht haben sie auch eine weniger schimpfliche Bezeichnung verdient (Siehe Dubos, Histoire Critique, Band 1, p. 203). Wir werden noch von ihnen hören. So bildete dieses Gebirge die Grenze zweier feindlicher Monarchien: und die Festungsanlagen dieser doppelten Grenze wurde von Soldaten des Reiches bewacht, die man mit mehr Nutzen zur Abwehr der germanischen und skythischen Barbaren hätte einsetzen können.

 

ER EROBERT SPANIEN · A.D. 408

Auf dieser Seite der Pyrenäen mochte die unmittelbare Gefahr Constantins Ambitionen rechtfertigen; aber schon bald war sein Thron infolge der Eroberung oder besser: der Unterwerfung Spaniens gefestigt; welches sich sozusagen gewohnheitsmäßig den Regierungsbeamten der gallischen Präfektur und deren Anordnungen beugte. Der einzige Widerstand gegen Constantin ging daher auch nicht von der Regierung oder vom Volke aus als vielmehr von der Familie des Theodosius, die ihre Interessen verfolgten. Vier Brüder Verinianus, Didymus, Theodosius und Lagodius, die man an den Höfen der Gegenwart Prinzen von Geblüt nennen würde, besaßen keinerlei Sonderrechte gegenüber ihren Mit-Untertanen. hatten es durch die Gunst ihres Vetters, des verstorbenen Kaisers, in ihrem Lande zu Ansehen und weitläufigem Besitz gebracht; und dankbar verstand sich diese Jugend dazu, im Dienste für seinen Sohn diese Vergünstigungen aufs Spiel zu setzen. Nach dem fehlgeschlagenen Versuch, an der Spitze einer lusitanischen Armee das Feld zu behaupten, zogen sie sich auf ihre Güter zurück; wo sie auf eigene Kosten eine unverächtliche Menge an Sklaven und Hörigen anwarben, bewaffneten und unerschrocken daran gingen, die starken Vorposten in den Pyrenäen zu besetzen.

Dieser gleichsam private Widerstand schreckte den Beherrscher Galliens und Britanniens auf und beunruhigte ihn; er sah sich genötigt, mit einigen ausländischen Hilfstruppen hinsichtlich ihres Einsatzes in spanischen Krieg zu verhandeln. Sie erhielten als besondere Auszeichnung den Titel Honorianer Die Honoriani oder Honoriaci bestanden aus zwei Haufen mit Scoten, oder Attacoti, zwei mit Mauren und zwei mit Marcomannen, den Victores, Ascarii und Gallicani. (Notitia dignitatum Imperii, Sektion 38). Sie waren Teil der fünfund-sechzig Auxilia Palatina und werden von Zosimos (6,4) ganz zutreffend »Stände bei Hofe«[Ü.a.d.Griech.] genannt.; ein Name, der sie eigentlich an ihre Pflichten gegenüber ihrem wirklichen Herrscher hätte erinnern können. Und wenn man auch zugestehen will, dass die Scoten für einen britischen Herrscher so etwas wie Sympathien aufgebracht haben, so konnten die Mauren und Marcomannen doch nur durch die verschwenderische Großzügigkeit gelockt werden, mit welcher der Thronräuber militärische und sogar bürgerliche Ehrenstellen in Spanien an die Barbaren verschleuderte. Die neun Abteilungen der Honorianer erreichten eine Stärke von kaum mehr als fünftausend Mann; aber selbst diese geringe Zahl reichte hin, einen Krieg zu beenden, der die Macht und die Sicherheit des Constantin bedroht hatte. Die Bauernarmee der theodosianischen Familie wurde in den Bergen umzingelt und niedergemacht: zwei der vier Brüder gelang es mit viel Glück, zur See nach Italien zu entkommen, die beiden anderen wurden nach kurzer Gefangenschaft in Arles hingerichtet; und wenn Honorius auch fortfuhr, sich gegenüber der allgemeinen Not taub zu stellen, so ging ihm das persönliche Unglück seiner getreuen Verwandten vielleicht doch sehr nahe.

Mit derart schwachen Waffen wurde also über den Besitz der Provinzen Westeuropas entschieden, vom Antoniuswall bis hinab zu den Säulen des Herkules. Die Bedeutung der Friedens- und Kriegsereignisse wurden durch den begrenzten und getrübten Blick der zeitgenössischen Historiker falsch eingeschätzt, welche beides, die Ursachen und die Folgen dieser welthistorischen Umwälzung nicht erkennen konnten. Aber die völlige Erschöpfung der nationalen Energie hatte dem Despotenregime die letzten Ressourcen genommen; und die Steuern aus den geplünderten Provinzen konnten den militärischen Dienst für das unzufriedene und verängstigte Volk nicht länger sicherstellen.

 

VERHANDLUNGEN ZWISCHEN ALARICH UND STILICHO · A.D. 404-408

Der Poet, der mit der Stimme der Schmeichelei die Siege von Pollentia und Verona dem römischen Adler andichtet, begleitet auch Alarichs hastigen Rückzug aus Italiens Grenzen mit einem Schreckenszug von allegorischen Gesichten und Scheusalen, wie sie wohl über einer von Schwert, Hunger und Krankheit nahezu aufgelösten Barbarenarmee schweben mögen. »Comitantur euntem Pallor, et atra Fames; et saucia lividus ora Luctus; et inferno stridentes agmine Morbi.« [Angst und Hunger sind seine Begleiter, blutende Wunden und trübes Aussehen und in höllischer Reihe zischende Seuchen]. Claudian, De VI consulatu Honorii 3221ff. Im Laufe seines unglücklichen Feldzuges musste der Gotenkönig in der Tat beträchtliche Verluste verkraften, und seine erschöpften Mannen verlangten nach einer Ruhepause, ihre Kräfte und ihr Selbstvertrauen wiederherzustellen. Der Genius des Alarich hatte sich an eben diesen Widrigkeiten gezeigt und bewährt; und der Ruhm seiner Größe lud die tapfersten Krieger barbarischen Geblütes unter seine Fahnen, die sich vom Schwarzem Meer bis zum Rhein von der Aussicht auf Raub und Eroberung verlocken ließen. Er hatte sich um die Wertschätzung des Stilicho bemüht und bald sogar seine Freundschaft angenommen.

Den Dienst für den Kaiser des Ostens hatte Alarich abgelehnt und dafür mit dem Hof von Ravenna einen Friedens- und Bündnisvertrag geschlossen, durch welchen er gleichzeitig in den Rang eines Heermeisters der römischen Truppen Illyriens erhoben wurde, und zwar innerhalb der von den Ministern des Honorius bestimmten alten und rechtmäßigen Grenzen. Diese obskuren Verhandlungen werden von Graf de Buat (Histoire de peuples de l'Europe, Band 7, c.3-8, p. 69-206) untersucht, dessen anstrengende Genauigkeit den flüchtigen Leser bisweilen zu ermüden imstande ist. Die Ausführung dieses hochfliegenden Planes, der in den Vertragsartikeln festgelegt oder doch wenigstens impliziert war, wurde indessen ausgesetzt, als der fürchterliche Radagaisus seine Invasion begann; und die Neutralität des Gotenkönigs kann man mit Caesars abwartendem Zuwarten vergleichen, als er sich im Zusammenhang mit der Verschwörung des Catilina weigerte, dem Feinde der Republik bei- oder entgegenzutreten.

Nach der Niederlage der Vandalen erneuerte Stilicho allerdings seine Ansprüche auf die Provinzen des Orients; ernannte zivile Magistrate für die Justiz- und Finanzverwaltung; und verlangte dringend darnach, die vereinigten römischen und gotischen Armeen vor die Tore Konstantinopels zu führen. Indessen mögen Stilichos Besonnenheit, seine Abneigung gegen Bürgerkriege und seine präzise Kenntnis der Schwäche des römischen Staatswesens die Vermutung begünstigt haben, dass das Ziel seiner Politik eher der Frieden im Inneren als Erfolge im Äußeren sein müsse; und dass sein allererstes Anliegen darin bestehe, die Heeresmacht des Alarich von Italien fern zu halten. Diese Entwürfe konnten der Scharfsicht des Gotenkönig nicht lange verborgen bleiben, welcher nach wie vor eine zweifelhafte und vermutlich verräterische Korrespondenz zu den konkurrierenden Höfen unterhielt, welcher wie ein verdrießlicher Söldner seine dosierten Anstrengungen in Thessalien und im Epirus in die Länge zog und welcher schon bald nach großen Belohnungen für seine unfruchtbaaren Dienste verlangte. Aus seinem Lager bei Aemona Siehe Zosimos 5,29. Er unterbricht seine armselige Erzählung und berichtet von Aedmona und von der Argo, welches Schiff von hier (Ljubljana) aus über Land zur Adria gezogen wurde. Sozomenes (8,25 und 9,4) und Sokrates (7,10) werfen nur weniges und unsicheres Licht auf diesen Fall, und Orosius (7,38) ist auf geradezu schauderhafte Weise parteiisch. an der Grenze zu Italien übersandte er dem Herrscher des Westens eine lange Liste mit Versprechungen, Auslagen und Forderungen; verlangte nach unverzüglicher Begleichung und sparte nicht mit Hinweisen auf die Konsequenzen für den Fall der Weigerung. Wenn sein Verhalten auch feindlich war, so war seine Sprache dezent und pflichtschuldigst. Demütig nannte er sich den Freund des Stilicho und Krieger des Honorius; bot an, in Person und mit seinen Truppen ohne Verzug dem Räuber Galliens entgegen zu marschieren; und erbat als dauerhaften Wohnsitz für das Volk der Goten eine leerstehende Provinz im Westreich.

 

SENATSDEBATTEN UND PALASTINTRIGEN · A.D. 408

Die geheimen Verhandlungen der zwei Staatsmänner, die sich gegenseitig und die Welt zu betrügen bemüht waren, würden für immer in dem undurchdringlichen Dunkel der Kabinette verborgen geblieben sein, wenn nicht die öffentlichen Verhandlungen einer ordentlichen Versammlung einiges Licht auf die Absprachen zwischen Alarich und Stilicho geworfen hätten. Die Notwendigkeit, einen künstlichen Rückhalt für die Regierung zu schaffen, die grundsätzlich und jedenfalls nicht aus Zurückhaltung, sondern aus Schwäche, mit ihren eigenen Untertanen in Verhandlung treten musste, hatte den Römischen Senat allgemach wieder an Ansehen gewinnen lassen; jedenfalls konsultierten die Minister des Honorius mit allem Respekt die gesetzgebende Versammlung der Republik. Stilicho rief die Versammlung im Caesarenpalast zusammen; trug in einstudierter Rede den aktuelle Lage der Nation vor; brachte des Gotenkönigs Begehr zu ihrer Kenntnis und legte die Entscheidung über Krieg und Frieden in ihre Hände.

Die senatorische Versammlung, gleichsam aus vierhundertjährigem Schlummer erwacht, schien bei dieser wichtigen Angelegenheit eher vom Mut als von der Weisheit ihrer Vorgänger beseelt. Laut, in wohlgeformter Rede oder mit lärmenden Zwischenrufen gab sie zu verstehen, dass es der römischen Majestät unangemessen sei, sich einen unsicheren und schandbaren Waffenstillstand von einem Barbarenkönig zu erkaufen; und dass nach dem Urteil des großdenkenden Volkes der Gedanke an einen möglichen Untergang dem an eine sichere Schande vorzuziehen sei. Der Minister selbst, dessen Friedensabsichten nur durch ein paar sklavische und gekaufte Stimmen sekundiert wurde, suchte den allgemeinen Gemütsaufwallungen zu steuern, wobei er sich selbst und sogar die Wünsche des Gotenfürsten zu verteidigen suchte.

Die Bezahlung von Geldern, über die sich Rom erregt habe, sollte nicht (so Stilichos Rede) als eine Tributleistung oder gar ein Lösegeldes angesehen werden, die ihnen ein goldgieriger Feind auferlegt habe. Alarich habe die gerechtfertigten Ansprüche der Republik auf die Provinzen bekräftigt, welche die Griechen Konstantinopels an sich gerissen hatten; er suche nun in aller Bescheidenheit um die gerechte und vereinbarte Belohnung seiner Dienste nach; und wenn er von weiteren Unternehmungen abgestanden habe, dann habe er lediglich den peremptorischen, obschon privaten Briefen des Kaisers persönlich Folge geleistet. Diese widersprüchlichen Anordnungen (er wolle durchaus nicht die Irrtümer seiner eigenen Familie verbergen) seien durch Vermittlung der Serena verursacht worden. Das zärtelnde Mitgefühl seines Weibes ist durch die Zwietracht der königlichen Brüder, der Söhne ihres Adoptivvaters, gar zu sehr betroffen; und die Stimme der Natur obsiegt nur allzu leicht über die strengen Forderungen des allgemeinen Wohlergehens.

Diese vorgeschobenen Gründe, die die heimlichen Ränke des Hofes von Ravenna nur dürftig verschleierten, wurden achtbar durch Stilichos Fürsprache; und nach hitziger Debatte schloss sich der Senat ihnen widerstrebend an. Der Sturm, den Tugend und Tapferkeit erregt hatte, legte sich; und die Summe von viertausend Pfund Goldes wurde bereitgestellt, um mit diesem so genannten Hilfsgeld den Frieden in Italien sicher zu stellen und die Freundschaft des Gotenkönigs zu garantieren. Alleine Lampadius, einer der berühmtesten Mitglieder jener Versammlung, beharrte auf seinem abweichenden Votum und rief mit lauter Stimme: »Dies ist kein Friedens –, sondern ein Versklavungsvertrag«; Zosimos, 5,29. Er wiederholt die Worte des Lampadius so, wie sie in Latein gelautet hatten (Non est ista pax, sed pactio servitutis} und übersetzt sie dann zum Besten seiner Leser ins Griechische. und entkam den Folgen solch kühner Opposition nur durch hastige Flucht in das Allerheiligste einer christlichen Kirche.

 

PALASTINTRIGEN · STILICHO IN UNGNADE · MAI 408

Aber mit Stilichos Herrschaft ging es dem Ende entgegen, und es mag der mächtige Minister die Anzeichen heraufziehender Ungnade erkannt haben. Lampadius Kühnheit wurde mit allgemeinem Beifall aufgenommen; und der Senat, der sich schafsgeduldig in seine so langandauernde Knechtschaft gefügt hatte, wies nunmhr mit Abneigung das Anerbieten einer schmachbedeckten und nur scheinbaren Freiheit von sich. Die Armee, die immer noch die römische hieß und deren Vorrechte besaß, ärgerte sich an Stilichos Vorliebe für die Barbaren; und das Volk schob die Verantwortung für die allgemeinen Missstände den unfähigen Ministern zu, ob sie doch gleich die natürliche Folge ihrer eigenen Verkommenheit waren. Gleichwohl hätte Stilicho auch weiterhin dem Murren des Volkes und selbst noch der Truppe trotzen können, wenn er wenigstens den Einfluss über das lenksame Gemüt seines Schülers behalten hätte. Aber aus der ergebenen Anhänglichkeit des Honorius wurde allmählich Furcht, Misstrauen und Hass.

Der ränkereiche Olympius, Er stammte vom Pontus und hatte ein glänzendes Amt inne, [Ü.a.d.Griech.: denn er schätzte glänzende Heereszüge durch die Kaiserpaläste]. Seine Handlungsweise passt zu seinem Charakter, den Zosimos (5,32) mit sichtlichem Behagen vor uns ausbreitet. Augustin rühmt die Frömmigkeit des Olympius, dieses wahren Sohnes der Kirche (Baronius, Annales ecclesiastici, A.D. 408, Nr 19ff; Tillemont, Mémoires ecclésiastiques, Band 13, p. 467f). Aber dieses Lob, das der afrikanische Heilige so unverdient austeilt, kann ebenso auf Unkenntnis beruhen wie auf Schmeichelei. der seine Laster hinter der Maske christlicher Frömmigkeit zu bergen verstand, hatte insgeheim die Stellung seines Wohltäters untergraben, der ihm zu den ehrenvollsten Ämtern im Kaiserpalast verholfen hatte. Olympius entdeckte dem Herrscher in dessen Naivität – er stand inzwischen in seinem fünfundzwanzigsten Jahre – dass er in seiner Regierung ohne jedes Gewicht oder Autorität sei; und geschickt beunruhigte er sein ängstliches und träges Gemüt durch die eindrucksvolle Schilderung von Stilichos Entwürfen, welcher mittlerweile mit Mordplänen gegen seinen Souverain umging und die ehrgeizige Hoffnung hegte, das Diadem bald schon seinem Sohne Eucherius aufs Haupt zu setzen. So vermochte der neue Favorit seinen Herrscher, sich endlich zu selbständigem Handeln aufzuraffen; und der Minister bemerkte mit Erstaunen, dass am Hofe im Rat heimliche Pläne geschmiedet wurden, die seinen Interessen und Intentionen entgegen waren.

Anstelle noch weiterhin im römischen Kaiserpalast zu residieren, erklärte Honorius, dass es sein fester Wille sei, in Ravennas sichere Mauern zurück zu kehren. Auf die erste Nachricht vom Tode seines Bruders Arcadius bereitete er sich darauf vor, Konstantinopel aufzusuchen und mit der Hilfe eines Bevollmächtigten die Provinzen des unmündigen Theodosius Zosimos 5,31; Sozomenes 9,4. Stilicho bot sich für diese Fahrt nach Konstantinopel an, um Honorius von seinem sinnlosen Unternehmen abzubringen. Das Ostreich hätte ihm weder gehorcht, noch hätte es erobert werden können. verwalten zu lassen. Der Hinweis auf die Kosten und Schwierigkeiten dieser Reise erstickten diesen merkwürdigen und unerwarteten Ausbruch von handelndem Eifer; aber das heikle Vorhaben, den Kaiser im Lager von Pavia zu präsentieren, in welchem sich römische Truppenteile – Stilichos Feinde – und die mit ihm sympathisierenden barbarischen Hilfstruppen befanden, konnte man ihm auf keine Weise ausreden. Stilichos Vertrauter Justinian, ein römischer Advokat von lebhaftem und durchdringendem Verstande, drängte seinen Minister, diese seiner Sicherheit und seinem Ansehen so abträgliche Reise zu hintertreiben. Stilichos heftige, aber letztlich erfolglose Bemühungen untermauerten den Sieg des Olympius; und der wohlberatene Rechtsanwalt zog sich in Erwartung des drohenden Unterganges seines Patrons zurück.

 

STILICHOS ENDE 23. AUGUST 408 · ERMORDUNG SEINER FREUNDE IN PAVIA

Auf der Fahrt des Kaisers durch Bologna bewirkte Stilichos Geheimpolitik eine Meuterei unter der Leibwache sowie deren nachfolgende Beilegung; auch kündigte er die Hinrichtung der Schuldigen an und schrieb seinem persönlichen Eingreifen ihre Begnadigung zu. Nach dieser Erhebung umarmte Honorius zum letzten Male den Minister, in welchem er jetzt den Tyrannen sah, und zog weiter ins Lager nach Pavia, wo er die artigen Huldigungsrufe der Truppe entgegennahm, die hier für den gallischen Krieg zusammengezogen worden war.

Am Morgen des vierten Tages kündigte er, wie man es ihm beigebracht hatte, eine Rede an die Adresse der Soldaten an, die Olympius in Einzelgesprächen und geschickt geführten Unterredungen in eine finster-blutige Verschwörung eingeweiht hatte. Beim ersten Zeichen ermordeten sie Stilichos Freunde, die bedeutendsten Offiziere des Reiches; die beiden Reichspräfekten von Gallien und Italien; zwei Heeresmeister der Infanterie und der Kavallerie; die Hofmeister; den Quaestor, den Schatzmeister und den Haushofmeister. Viele lagen tot; viele Häuser wurden geplündert; die Gewalttaten dauerten bis in die Abendstunden; und der bebende Kaiser, den man in den Straßen von Pavia ohne Robe oder Diadem gesichtet hatte, ergab sich den Einflüsterungen seines Günstlings, verdammte das Andenken der Erschlagenen und bekräftigte feierlich die Unschuld der Meuchelmörder.

Die Nachricht vom Massaker zu Pavia erfüllte Stilicho nicht ohne Grund mit beklemmenden Vorahnungen; und unverzüglich rief er im Lager von Bologna eine Versammlung der mit ihm verbündeten Heerführer ein, die in seinen Diensten standen und die mit ihm untergehen würden. Die Konferenz schrie nach Waffen und Rache; verlangte, ohne Verzug unter der Fahne des Helden auszurücken, dem sie schon so oft zum Siege gefolgt waren; den schuldigen Olympius und sein verkommenes Römerpack zu überrumpeln, zu zermalmen und auszurotten; und vielleicht sogar das Diadem ihrem beleidigten General aufs Haupt zu setzen. Anstelle nun zu einem Beschluss zu kommen, der durch den anschließenden Erfolg hätte gerechtfertigt werden können, zauderte Stilicho solange, bis er unrettbar verloren war. Die Zustände am Hof waren ihm nach wie vor nur ungenau bekannt; das Vertrauen zu seinen eigenen Leuten war erschüttert; und mit Entsetzen hielt er sich die Folgen eines Angriffes seiner Barbarenhaufen gegen die Bürger und Soldaten Italiens vor Augen. Ungehalten und beunruhigt über sein ängstliches und planloses Zögern zogen sich seine Verbündeten von ihm zurück.

Um Mitternacht brach Sarus, ein Gotenkrieger, der selbst unter den Barbarenkriegern für seinen Stärke und seinen Mut in hohem Ansehen stand, unvermittelt in das Lager seines Wohltäters ein, plünderte die Bagage, erschlug treu ergebene Hunnen, die Stilicho bewachten und brach in sein Zelt ein, wo er gedankenschwer und schlaflos über seine augenblickliche gefahrenvolle Lage nachgrübelte. Mit genauer Not entkam Stilicho dem Schwert des Goten; und nachdem er die italischen Städte noch einmal nachdrücklich ermahnt hatte, ihre Tore gegen die Barbaren zu verschließen, drängte ihn blindes Vertrauen oder ebensolche Verzweiflung nach Ravenna, welche Stadt seine Feinde mittlerweile fest in der Hand hatten.

Olympius, der mittlerweile das Haus des Honorius unter seine Fittiche genommen hatte, erhielt unverzüglich Kunde davon, dass sein Feind vor dem Altar einer christlichen Kirche Schutz und Asyl suche. In der niederträchtigen und grausamen Gesinnung dieses Heuchlers hatten Mitleid oder Gnade keinen Platz; aber mit frommen Eifer schickte er sich an, die Heiligkeit des Asylplatzes wenn nicht zu verletzen, so doch zu umgehen. Der comes Heraclianus erschien im Morgengrauen vor der Kirche Ravennas mit einer Handvoll Soldaten. Der Bischof ließ sich mit einem feierlichen Eid beruhigen, dass dies auf kaiserliches Geheiß und nur zur Stilichos persönlicher Sicherheit geschähe: sobald aber der glückverlassene Minister die Schwelle des Heiligtums übertreten hatte, lieferte er selbst den Vorwand zu seiner sofortigen Ermordung. Mit Fassung ließ er sich Beleidigungen wie Verräter und Muttermörder gefallen, untersagte seinen letzten, zu allem entschlossenen Getreuen jede vergebliche Hilfestellung und ergab sich dem Schwert des Heraclianus mit einer Gefasstheit, die diesem letzten römischen General wohl anstand. Zosomos 5,30ff hat über Ungnade und Tod Stilichos viel, aber ungenau berichtet. Olympiodoros (apud Photios p. 177), Orosius (7,38), Sozomenos (9,4) und Philostorgios (11,3 und 12,3) bieten ergänzende Hinweise.

 

DAMNATIO MEMORIAE

Das knechtsinnige Palast-Pack, das so lange Zeit in Stilichos Gnadensonne geblüht hatte, beeilte sich, seinen Untergang mit Hohn zu begleiten, und noch die entferntesten Beziehungen zu dem Heermeister des Westens, die so lange eine Garantie für Ehre und Wohlstand gewesen waren, wurden verleugnet oder sogar bestraft. Seine Familie, die durch dreifache Bande mit der Familie des Theodosius verbunden war, mochte nun den gewöhnlichsten Bauern um seine Lage beneiden. Sein Sohn Eucherius wurde auf der Flucht ergriffen, und auf den Tod dieses unschuldigen Jünglings folgte alsbald die Scheidung von Thermantia, die ihrer Schwester Maria gefolgt und genau wie diese im kaiserlichen Ehebette eine Jungfrau geblieben war. Zosimos 5,28. Tillemont (Histoire des empereurs Band 5, p. 557) erregt sich über die Hochzeit eines Christenmenschen mit zwei Schwestern und wartet vergeblich darauf, dass Papst Innozenz I irgendetwas wie einen Verweis oder einen Dispens ausgesprochen hätte. Stilichos Freunde, die das Massaker von Pavia überlebt hatten, verfolgte Olympius mit unverwelklichen Gefühlen der Rache, und die raffiniertesten Foltern wurden ersonnen, um ihnen das Geständnis hochverräterischer Verschwörung abzupressen. Sie starben schweigend: mit ihrer Standhaftigkeit rechtfertigten sie die Wahl ihres Patrons Zwei seiner Freunde werden besonders ehrenhaft hervorgehoben (Zosimos 5,35): Peter, der Rektor der Notarienschule, und der Oberkämmerer Deuterius. Stilicho hatte sich des Schlafgemaches versichert, und merkwürdig genug bleibt es, dass umgekehrt –bei so einem schwachen Herrscher- vom Schlafgemach für ihn keine Sicherheit ausging. und erwiesen wohl auch seine Unschuld. Doch die Despotengesinnung, die ihn ohne Gerichtsverfahren ermorden und sein Andenken ohne die Spur eines Beweises besudeln konnte, hat nun mal keinen Einfluss auf das unparteiische Urteil der Nachwelt. Orosius (7,38) scheint die gefälschten und verleumderischen Rundschriften übernommen zu haben, welche die neue Verwaltung in den Provinzen verbreiten ließ.

Stilichos Verdienste sind gewaltig und überdeutlich; seine Verbrechen, wie die Sprache des Hasses und der Schmeichelei sie uns darstellt, bleiben, gelinde gesagt, undeutlich und unwahrscheinlich. Vier Monate nach seinem Tode gestattete ein Edikt im Namen des Honorius zwischen den beiden Reichshälften Siehe Codex Theodosianus 7,16,1 und 9,42,22. Stilicho wird mit dem Namen eines »praedo publicus« [Räuber am Staat] gebrandmarkt, der seinen Reichtum verwendet, »ad omnem ditandam, inquietandamque Barbariem.« [um das ganze Barbarenland zu beschenken und in Unruhe zu versetzen]. den freien Austausch, den der Staatsfeind so lange unterbunden hatte. Der Minister, mit dessen Ruhm das Wohlergehen Italiens untrennbar verknüpft ist, wurde beschuldigt, Italien an die Barbaren verkauft zu haben, die er doch wiederholt bei Pollentia, Verona und vor den Mauern von Florenz besiegt hatte. Sein angeblicher Plan, seinem Sohn Eucherius das Diadem aufzusetzen, hätte ohne Vorbereitungen und Komplizen niemals ausgeführt werden können, und der ehrgeizige Vater hätte gewiss nicht den zukünftigen Herrscher bis zu dessen zwanzigstem Lebensjahr in der trübseligen Stellung eines Notariats-Tribunen belassen.

Selbst die Religion musste der Bösartigkeit seines Feindes zu Diensten sein und Stilicho schmähen. Der Klerus stand nicht an, die rechtzeitige und nachgerade wundersame Befreiung ergebenst zu begrüßen, und des war man gewiss, dass die Wiedereinführung der Götzenanbetung ja nun ganz gewiss die erste Amtshandlung des Eucherius gewesen wäre. Stilichos Sohn war indessen im Schoße des Christentums auferzogen worden, zu dem sich auch sein Vater unzweideutig und eifrig bekannt hatte. Augustinus selbst ist zufrieden mit den wirksamen Gesetzen, die Stilicho gegen Götzenanbeter und Häretiker erlassen hatte, und die noch heute Bestandteil des Kirchenrechtes sind. Er trägt dem Olympios allerdings auf, sie auch zu bestätigen. (Baronius, Annales ecclesiastici, A.D. 408, Nr. 19). Serena hatte ihr herrliches Halsband von der Statue der Vesta Zosimos, 5,38. Wir schaudern hier vor dem verderbten Geschmack der Epoche zurück, die ihre Statuen mit solchem Putz behängt. geborgt, und die Heiden belegten das Andenken des gotteslästerlichen Ministers mit Fluch, da auf sein Geheiß die Sybillinischen Bücher, Roms Orakel, den Flammen überantwortet worden waren Vergleiche hierzu Rutilius Numatianus (Itinerarium 2,41-60), dem religiöse Begeisterung einige elegante und sprachmächtige Zeilen eingegeben hat. Stilicho hat die Goldbeschläge von den Toren des Kapitols entfernt und eine unter ihnen angebrachte Prophezeiung gelesen. Müßige Märchen: doch selbst der Vorwurf der Gottlosigkeit verleiht dem Lob, welches Zosimos zähneknirschend seinen Tugenden erteilt, Gewicht und Glaubwürdigkeit. Die eigentliche Schuld des Stilicho war seine Größe und seine Bedeutung. Seine ehrenhafte Weigerung, das Blut seiner Landleute zu vergießen, scheint zum Erfolg seines unwürdigen Rivalen beigetragen zu haben; und zu den Demütigungen, die Honorius erfahren hatte, gehört schließlich die Weigerung der Nachwelt, ihm Undankbarkeit gegenüber dem Beschützer seiner Jugend und der Stütze seiner Herrschaft vorzuwerfen.

 

DER DICHTER CLAUDIAN GEHT MIT IHM UNTER

Unter der Masse der Klientelen, deren Reichtum und Stellung zu ihrer Zeit bedeutend war, erregte unsere besondere Aufmerksamkeit das Schicksal des gefeierten Dichters Claudian, der in der Gnade Stilichos gedieh und zusammen mit seinem Patron unterging. Die Stellung eines notarius und tribunus begründeten seine Stellung am kaiserlichen Hofe; er war der Serena für ihr nachdrückliches Eintreten verpflichtet, mit der sie seine Hochzeit mit einer reichen afrikanischen Erbin Zu der Hochzeit des Orpheus (welch dürftiger Vergleich!) brachte die gesamte belebte Natur Geschenke, und selbst die Götter zeigten sich ihrem Liebling spendabel. Claudian besaß weder Schaf- noch Rinderherden und auch keine Wein- oder Olivengärten. Aber er brachte ein Empfehlungsschreiben der Serena nach Afrika mit, seiner Juno, und alles geriet ihm aufs beste. Epistua ad Serenam. in die Wege geleitet hatte, und die Statue Claudians auf dem Trajansforum war ein schönes Zeugnis für den Kunstsinn und die Liberalität des römischen Senates. Claudian fühlte sich geehrt wie jemand, der die Ehre auch verdient hatte (Vorrede auf de bello Gothico). Im XV Jahrhunderts wurde im Hause des Pomponius Laetus das Original der Marmorinschrift gefunden. Es hätte zu seinen Lebzeiten von Literaten, seinen Landsleuten und Zeitgenossen, die Statue eines Dichters aufgestellt werden sollen, der Claudian weit überlegen war. Dennoch war die Absicht ehrenwert! Nachdem es zu einem Staatsverbrechen geworden war, Stilicho zu rühmen, sah sich Claudian dem Hasse einer mächtigen und gnadenlosen Hofkamarilla ausgesetzt, der er voreinst mit ätzendem Witz zugesetzt hatte. So hatte er in einem geistreichen Epigramm die gegensätzlichen Charaktere zweier italischer Reichspräfekten miteinander verglichen; er stellt die unschuldige Gemütsruhe eines Philosophen, der die Stunden der Pflicht zuweilen dem süßen Schlummer oder auch dem Nachdenken widmet, der alles ergreifenden Raubgier eines Ministers gegenüber, der unermüdlich bei der Verfolgung seiner gesetzwidrigen und verbrecherischen Ziele ist. »Wie glücklich,« fährt Claudian fort, »wie glücklich wäre nun Italien, wenn Mallius beständig wach sein könnte und Hadrian für immer schlafen würde!« Siehe Epigramm 30: »Mallius indulget somno noctesque diesque: Insomnis ›Pharius‹ sacra, profana, rapit. Omnibus, hoc, Italae gentes, exposcite votis, Mallius ut vigilet, dormiat ut Pharius.« [Mallius gönnt sich Tag und Nacht süßen Schlummer; Pharius, der Schlaflose, Raubt Göttern und Menschen ihren Besitz; so beten immer darum, Völker Italiens, dass Mallius wache und Pharius schläft]. Hadrian war ein Pharier (aus Alexandria). Zu seinem öffentlichen Leben siehe Gothofred, Codex Theodosianus Band 6, p.364. Mallius schlief nicht immer. Er schrieb einige ausgefeilte Dialoge über die griechische Naturphilosophie. Claudian, de consulatu Malii Theodori 61-112. Mallius wurde in seiner Behaglichkeit durch diese freundliche Neckerei nicht aufgeschreckt, aber Hadrians grausame Gesinnung lauerte auf die erste Gelegenheit zu blutiger Rache, und die Feinde Stilichos lieferten, allzeit bereit, einen unschuldigen Dichter an das Messer.

Der Dichter selbst hielt sich während der Unruhen verborgen und adressierte an den gekränkten Präfekten in Form einer Epistel einen kriecherischen Widerruf, wobei er wohl eher auf die Stimme der Klugheit als die der Ehre hörte. In zerknirschten Versen beweint er die verhängnisvolle Unbedachtsamkeit, zu der ihn Leidenschaft und Torheit vermocht hätten; rät seinem Gegner zur Nachahmung der Milde, zu der sich Götter, Heroen und selbst Löwen verstanden hätten; und hofft schließlich, dass die Großherzigkeit Hadrians nicht einen hilflosen und verächtlichen Wurm zerstampfen werde, den Ungnade und Armut bereits ruiniert und den das Exil, die Folterung und der Tod seiner besten Freunde bis ins Mark verwundet hätten. Siehe Claudians ersten Brief. Zuweilen jedoch verrät er durch Verwendung von Ironie oder Schmähworten seinen heimlichen Widerwillen. Welchen Erfolg diese Winselei gehabt und was ihm sein künftiges Leben auch immer gebracht haben mag: nach ein paar Jahren waren der Dichter und der Minister im Grabe geeint: aber den Namen Hadrian kennt niemand mehr, während Claudian noch heute mit Vergnügen in allen Ländern gelesen wird, in denen die Kenntnis und das Studium der lateinischen Sprache noch lebendig ist.

Wenn wir seine Verdienste und seine Mängel gegeneinander abwägen, dann finden wir allerdings, dass Claudian vieles zu wünschen übrig lässt. Nicht leicht finden wir einen Abschnitt in seinem Werk, der die Epitheta erhaben oder erschütternd verdient hätte; kaum eine Zeile, die unser Herz schmelzen lässt oder unsere Phantasie anregt. Vergeblich suchen wir in Claudians Werk eine glücklich erfundene Fabel oder die angemessene und lebhafte Darstellung von Situationen oder Charakteren des wirklichen Lebens. Seinem Patron zu Gefallen veröffentlichte er bei passender Gelegenheit Jubel- oder Schmähgedichte; und die Anlage dieser Auftragsarbeiten ermutigte ihn, die Grenzen der Wahrheit und der Natur zu überschreiten.

Diesen Unzulänglichkeiten stehen allerdings als Ausgleich die dichterischen Tugenden des Claudian gegenüber. So war ihm die seltene Gabe zu Eigen, noch den niedrigsten Gegenstand zu adeln, den sprödesten Stoff lebendig zu gestalten und die ähnlichsten Topoi unterschiedlich darzustellen. Die Farbigkeit des Ausdrucks zumal in beschreibender Dichtung ist sanft und eindringlich; und nur selten verfehlt er, aus seinen vertieften Kenntnissen, seiner üppigen Phantasie, seiner imponierenden Ausdruckskraft und seiner hochentwickelten Kunst im Versbau für seine Dichtung Vorteil zu ziehen. Zu diesen Empfehlungen, die unabhängig sind von den Zeitläuften und vom Ort, kommen noch die ungünstigen Umstände seiner Geburt. Als die Künste und das Reich untergingen, erwarb er sich, ein Ägypter von Geburt und mit griechischer Erziehung ausgestattet, Nationale Eitelkeit hat aus ihm einen Florentiner oder Spanier gemacht. Aber die erste Epistel erweist, dass er aus Alexandria stammt. Fabricius, Bibliotheca Latina Band 3, p. 191-202. im reifen Mannesalter perfekte Kenntnisse der lateinischen Sprache, Seine ersten lateinischen Verse schrieb er während des Konsulates des Probus, A.D. 395: »Romanos bibimus primum, te consule fontes, Et Latiae cessit Graia Thalia togae.« [Als du Konsul warst, tranken wir zuerst römische Quellen, nahmen die Toga Latiums und verließen die griechische Thalia] Neben einigen griechischen Epigrammen, die uns erhalten sind, hat der lateinische Dichter in griechischer Srache die Altertümer von Tarsus, Anazarbus, Berytus, Nikaia u.a. beschrieben. Der Verlust von guter Dichtung ist leichter zu ersetzen als der von authentischer Geschichtsschreibung. erhob sich über die Köpfe seiner schlaffen Zeitgenossen und reihte sich nach etwa dreihundert Jahren unter die klassischen Dichter des antiken Rom. Strada (Prolusiones 5 und 6) stellt ihn gleichberechtigt neben die fünf epischen Dichter Lucretius, Vergil, Ovid, Lucan und Statius. Sein Förderer ist der angesehene Höfling Balthasar Castiglione. Zahlreich und leidenschaftlich sind seine ungezählten Bewunderer. Indessen tadelt die strenge Kritik die exotischen Gewächse oder Blumen, die hier auf lateinischem Boden etwas zu üppig sprießen.


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