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XXXI

ALARICH IN ITALIEN · VERHALTEN DES RÖMISCHEN SENATES UND VOLKES · ROM DREIMAL VON DEN GOTEN BELAGERT UND EROBERT · ALARICHS TOD · GOTEN RÄUMEN ITALIEN · CONSTANTINS ENDE · GALLIEN UND SPANIEN · VON DEN BARBAREN EROBERT · BRITANNIEN FREI

 

SCHWÄCHE DER REGIERUNG IN RAVENNA

Zuweilen erweckt die Unfähigkeit einer schwachen und überforderten Regierung den Anschein des verräterischen Einverständnisses mit dem Staatsfeind, zumindest aber hat sie diese Wirkung. Wäre der Gote Alarich Mitglied des Hofrates zu Ravenna gewesen, hätte er vermutlich genau die Maßnahmen anempfohlen, zu denen die Minister des Honorius sich dann in der Tat verstanden hatten. Nur bei Zosimos (5,35-37) findet man alle Ereignisse verzeichnet, die zwischen dem Tode Stilichos und Alarichs Erscheinen vor den Mauern Roms stattfanden.

Der Gotenkönig hätte – vielleicht gegen einigen Widerstand – den Plan ausgeheckt, den grässlichen Stilicho zu zermalmen, dessen Waffen ihn in Italien und Griechenland bereits zweimal besiegt hatten. Auch sie, die Minister, widmeten Stilicho ihren bittersten Hass und sannen beständig auf seine Ächtung und seinen Untergang. Die Tapferkeit des Sarus, sein Waffenruhm und sein persönlicher oder erblicher Einfluss auf die verbündeten Barbaren konnten ihn alleine den Verbündeten ihres Landes empfehlen, die die charakterlosen Turpilio, Varanes oder Vigilantius verachteten und hassten. Auf dringende Fürsprache der neuen Favoriten waren diese Generäle, die sich nicht einmal den Namen Soldat verdient hatten, [Ü.a.d.Griech.:...ausreichend, die Verachtung des Feindes hervorzurufen]. an die Spitze der Kavallerie, der Infanterie und der grenzfernen Truppen befördert worden.

Auch hätte der Gotenkönig freudevoll den Erlass unterzeichnet, welchen Olympios' Fanatismus dem schwachen und unselbständigen Kaiser abgeschmeichelt hatte. Honorius schloss alle diejenigen von Staatsämtern aus, welche der katholischen Kirche in irgend einer Weise kritisch gegenüber standen; ließ keine Dienste von denen zu, die seinen Glauben nicht teilten; und entließ hastig die besten und tapfersten seiner Offiziere, wenn sie dem Heidentum anhingen oder vom Ungeist den Arianismus in sich aufgesogen hatten. »Eos qui catholicae sectae sunt inimici, intra palatium militare prohibemus. Nullus nobis sit aliqua ratione conjunctus, qui a nobis fide et religione discordat.« [Wer der katholischen Sekte Feind ist, wird von uns im Palast vom Heeresdienst ferngehalten. Niemand von uns sei jemandem aus irgendeinem Grunde verbunden, der uns in Glaube und Religion ferne steht]. Codex Theodosianus, 16,5,42 und Gothofreds Kommentar, Band 6, p. 164. Diese Gesetze wurde sehr weit ausgelegt und streng gehandhabt. Zosimos 5,46. Diese jedem Feinde so vorteilhaften Maßnahmen hätte Alarich gewiss gebilligt, vielleicht sogar vorgeschlagen; aber es darf wohl bezweifelt werden, ob der Barbar seine Interessen mit einer derart erbarmungslosen und menschfeindlichen Grausamkeit verfolgt hätte, wie dieses auf Anweisung oder doch wenigstens mit Billigung der kaiserlichen Minister dann tatsächlich geschah.

Die ausländischen Hilfstruppen, die Stilicho anhingen, beklagten seinen Tod; aber ihr Wunsch nach Rache wurde durch die naturgegebene Sorge für die Sicherheit ihrer Weiber und Kinder unterdrückt; denn diese wurden in Italiens befestigten Städten als Geiseln gehalten, wo sie gleichsam als ihre wertvollsten Güter verwahrt wurden. Zu gleicher Stunde und wie auf Verabredung wurden die Städte Italiens durch vergleichbare Horrorszenarien von Mord und Raub heimgesucht, welche das Eigentum der Barbaren und ihre Familien unterschiedslos heimsuchten. Aufgebracht durch soviel Grausamkeit, die noch den friedfertigsten und servilsten Geist erregt hätte, blickten sie mit einer Mischung aus Empörung und Hoffnung auf Alarich und schworen, alle einen Sinnes, mit einem gerechten und unerbittlichen Feldzug die treulose Nation zu bekriegen, welche die Gesetze der Gastfreundschaft so schnöde verletzt hatte. Durch die kriminelle Dummheit der Minister des Honorius hatte der Staat die Unterstützung von dreißigtausend seiner tapfersten Soldaten verloren und sich dafür deren Feindschaft eingehandelt; und allein diese mächtige Armee, die den Krieg noch hätte unter Kontrolle halten können, trat geschlossen von den römischen Fahnen zu den gotischen über.

 

ALARICH MARSCHIERT AUF ROM · A.D. 408

In der Kunst der Diplomatie und des Krieges bewährte der König der Goten seine Überlegenheit über einen Feind, dessen kopfloses Verhalten durch das völlige Fehlen geeigneter Ratgeber und handfester Entwürfe verursacht war. Von seinem Lager an Italiens Grenze aus beobachtete er aufmerksam die Hofkabalen, die Zunahme der Faktionsbildungen und der Unzufriedenheit, vermied feindliches Auftreten und gab sich statt dessen den populären Anschein eines Freundes und Alliierten des großen Stilicho; dessen Tugenden, nun sie ihm nicht länger furchtbar waren, er aus aufrichtigem Herzen Lob und deren Verlust er seinen Schmerz widmen mochte.

Die dringlichen Aufforderungen der Übelgesinnten, die den Gotenkönig ermunterten, Italien zu überfallen, wurde zusätzlich durch das lebendige Bewusstsein persönlich erlittenen Unrechtes belebt; und so durfte er sich vernehmlich darüber beklagen, dass die kaiserlichen Räte immer noch die Zahlung von viertausend Pfund Gold verweigerten und verzögerten, die ihm Roms Senat als Belohnung für geleistete Dienste oder zur Beschwichtigung seines Grimmes zugesichert hatte. Seine Entschlossenheit wurde durch erkünstelte Sprödigkeit in ihrer Wirkung verstärkt und trug so zum Erfolg seiner Pläne bei. Er verlangte eine angemessene und vertretbare Entschädigung; aber er versicherte mit Nachdruck, dass er sich nach ihrem Erhalt unverzüglich zurückziehen werde. Allerdings misstraute er römischer Treue solange, bis ihm mit Aetius und Jason, den Söhnen von zwei hochangesehenen Staatsbeamten, zwei Geiseln gestellt worden waren; im Gegenzug bot er dann einige gotische Jünglinge von Adel an.

Alarichs Mäßigung wurde von den Ministern aus Ravenna als zuverlässiges Zeichen seiner Schwäche und Furcht aufgefasst. Sie hielten sich der Aufgabe für überhoben, weiter zu verhandeln oder anstelle dessen ein Heer aufzustellen; und mit blinder Zuversicht, die ihrer völligen Unkenntnis der drohenden Gefahr entsprang, verschliefen sie unwiederbringlich den entscheidenden Augenblick, der über Frieden und Krieg entschied. Während sie mit borniertem Schweigen darauf warteten, dass die Barbaren sich von Italiens Grenzen zurückziehen würden, überquerte Alarich in kühnen Eilmärschen die Alpen, den Po; verwüstete im Vorübergehen Aquileia, Altinum, Concordia und Cremona, die sich seinen Waffen ergaben; vergrößerte seine Streitmacht durch die Übernahme jener dreißigtausend Mann Hilfstruppen; und drang, ohne einen einzigen Feind zu Gesicht bekommen zu haben, bis an die Grenzen jener Sümpfe vor, die die Residenz des Westkaisers uneinnehmbar machten.

Anstelle sich jetzt an die aussichtslose Belagerung von Ravenna zu machen, marschierte der Heerkönig der Goten klugbedacht nach Rimini, verheerte die Adriaküste und ging mit Plänen um, die alte Herrin der Welt zu besiegen. Ein italischer Einsiedler, dessen Glaubensstärke und Heiligkeit selbst die Barbaren bewunderten, stellte sich seinem Siegeslauf in den Weg, und kühnlich rief er des Himmels Ungnade auf den Bedrücker der Welt herab; aber selbst dieser Heilige ward gebändigt durch Alarichs entschiedene Versicherung, dass er einen unbekannten und übernatürlichen Drang verspüre, der seine Schritte nach Rom lenke, ja, dränge. Er fühlte, dass sein Genie und sein Glück dem kühnsten Unternehmungen gewachsen seien; und die Begeisterung, die unmerklich von ihm auf die Goten überging, beseitigte die verbreitete und mittlerweile alberne Verehrung, die sein Volk vor der Größe des römischen Namens empfand.

Seine Truppen, befeuert durch die Aussicht auf Beute, besetzten die unbewachten Apennin-Pässe Addison (Works, Band 2, p. 54, ed. Baskerville) hat uns eine sehr malerische Schilderung der Straße durch den Apennin geschenkt. Die Goten hatten zwar keine Muße, die herrliche Aussicht zu genießen, bemerkten aber mit Lust, dass die Saxa intercisa, eine enge Felspassage aus Vespasians Zeiten, völlig vernachlässigt worden war. und gelangten in die fruchtbare Ebene Umbriens; und als sie am Ufer des Clitumnus lagerten, schlachteten und verzehrten sie nach Belieben die schneeweißen Ochsen, die man schon seit langem für den Gebrauch bei römischen Triumphzügen aufgespart hatte. »Hinc albi, Clitumne, Greges, et maxima taurus Victima saepe, tuo perfusi flumine sacro, Romanos ad templa Deum duxere triumphos.« Vergil, Georgica 2,147. [Herden von hier, schneeweiß, und der Stier, o Clitumnus, der Opfer/Größestes, oft in deinem geheiligten Strome gebadet,/Führeten Roms Triumphe hinauf zu der Himmlischen Tempeln. Ü. von J.H. Voss]. Neben Vergil haben die meisten lateinischen Dichter – Properz, Lukan, Silius Italicus, Claudian u.a. – die Triumphopfer von Clitumnus besungen; die Textstellen sind bei Cluverius und Addison zu finden. Die kleine Stadt Narbi rettete nur ihre exponierte Lage und ein rechtzeitiger Sturm mit Blitz und Donner; der Gotenkönig, die geringe Beute verschmähend, zog mit unermüdeter Stärke voran und schlug endlich sein Lager vor den Mauern Roms auf. Einiges in unserer Darstellung von Alarichs Marsch auf Rom ist der Schilderung des Claudian von Honorius' Reise auf der gleichen Strecke entlehnt (De VI consulatu Honorii 494-522). Die Entfernung zwischen Ravenna und Rom beträgt 254 Römische Meilen. Wesseling, Itineraria p. 126.

 

HANNIBAL VOR DEN TOREN ROMS

Sechshundertundneunzehn Jahre lang war das Zentrum des Römischen Reiches von keinem ausländischen Feinde behelligt worden. Der erfolglose Feldzug Hannibals Der Marsch und der Rückzug Hannibals werden geschildert bei Livius 26, 7-11; und der Leser wird hier zum Zuschauer des Interessanten Geschehens gemacht. diente lediglich dazu, die Stärke des Senates und des Volkes zu demonstrieren; eines Senates, der durch den Vergleich mit einer Versammlung von Königen eher noch herabgesetzt als geadelt wurde; und eines Volkes, dem der Gesandte des Pyrrhus die unerschöpflichen Kräfte der Hydra zuschrieb. Diesen Vergleich benutzte Kineas, der Ratgeber des Pyrrhus nach der Rückkehr von seiner Gesandtschaftsreise, auf der er die Disziplin und das Verhalten der Römer mit Genauigkeit hatte studieren können. Jeder Senator aus den Zeiten des Punischen Krieges hatte in niederem oder gehobenem militärischen Rang Dienst getan; und das Gesetz, welches alle diejenigen mit einer zeitlich begrenzten militärischen Kommandogewalt ausstattete, welche vormals Konsul, Zensor oder Diktator gewesen waren, sicherte dem Staat den ununterbrochenen Dienst vieler tapferer und erfahrener Generäle. Zu Beginn des Krieges verfügte der Staat über zweihundertundfünfzigtausend Männer im wehrfähigen Alter. In den drei Volkszählungen ( census) des Römischen Volkes zur Zeit des Zweiten Punischen Krieges schwankten die Zahlen wie folgt (Livius, Epitome 20 und Historiae 27, 36 und 29, 37): 270.213, 137.108, 214.000. Das Sinken der zweiten und der Anstieg der dritten Zahl sind so gewaltig, dass einige Gelehrte trotz der Übereinstimmung in den Handschriften Fehler in der Überlieferung des Livius vermuten. (Siehe Drakenbroch ad 27,36 und Beaufort, Republique Romaine, Band1, p.325). Sie haben jedoch unbeachtet gelassen, dass die zweite Zählung nur in Rom stattfand und dass die Zahl nicht nur durch den Tod, sondern auch die Abwesenheit zahlreicher Soldaten vermindert war. Im dritten census, so versichert uns Livius ausdrücklich, wurden die Legionen durch eigens eingesetzte Komissare zur Musterung gesammelt. Von den Zahlenangaben müssen wir immer einen Teil wehrunfähiger abziehen. Siehe Mesance, Population de la France, p. 72. Fünfzigtausend waren bei der Verteidigung ihres Landes bereits gefallen; und die dreiundzwanzig Legionen, welche in den verschiedenen Lagern in Italien, Griechenland, Sardinien, Sizilien und Spanien lagen, erforderten einhunderttausend Mann. Aber eine gleich große Anzahl war in Rom und in der Umgebung geblieben, beseelt von dem gleichen unerschütterten Mut: jeder Bürger war von frühester Jugend in soldatischer Disziplin und Kampftechnik geübt. Hannibal war überrascht durch die Standhaftigkeit des Senates, der [nach der Katastrophe von Cannae, A.d.Ü.] sein Herannahen abwartete, ohne die Belagerung von Capua aufzuheben oder die verstreuten Truppen zu sammeln.

Drei Meilen von Rom entfernt bezog er sein Lager am Ufer des Anio; und schon bald musste er erfahren, dass der Boden, auf dem sein Zelt stand, in einer öffentlichen Versteigerung zu einem angemessenen Preis verkauft worden war und dass ferner ein Truppenkontingent zur Verstärkung der spanischen Legionen abgerückt war. Livius meint, dass dieses Zusammentreffen zweier Ereignisse nur dem Zufall und dem Mute zu verdanken sei. Ich vermute, dass sie beide die Frucht einer bewundernswerten Senatspolitik waren. Er brachte seine Afrikaner vor die Tore Roms, wo er drei Armeen in Schlachtordnung zu seinem Empfang vorfand; aber Hannibal fürchtete den Ausgang eines Kampfes, der nicht vor dem Tode des letzten Feindes für ihn beendet war; und sein hastiger Rückzug festigte den unüberwindlichen Mut der Römer.

 

GENEALOGIE DER SENATOREN

Seit der Zeit des Punischen Krieges hat eine ununterbrochene Reihe von Senatoren das Ansehen und das Bild der Republik bestimmt; und noch die verkommenen Untertanen des Honorius leiteten ihre Abstammung von jenen Helden her, die Hannibal zurückgeworfen und die Völker der Erde geknechtet hatten. Die weltlichen Ehren, welche die demütige Paula Hieronymus verleiht ihr so tönende Titel wie »Gracchorum stirps« [Spross der Gracchen], »soboles Scipionum« [Nachfahrin der Scipionen], »Pauli haeres, cuius vocabulum trahit, Martiae Papyriae Matris Africani vera germana propago.« [Erbin des Paulus, dessen Name sich ableitet von Martia Papyria, dem wahren leibliche Spross einer afrikanischen Mutter]. Diese besondere Umschreibung setzt einen handfesteren Titel voraus als nur den Familiennamen Iulius, welchen Toxotius mit tausenden Familien des Westens gemein hatte. Siehe den Index zu Tacitus und zu Gruters Inscriptiones u.a. ererbt und für sich abgelehnt hatte, zeichnet Hieronymus, ihr Biograph und Lenker ihres Gewissens, mit aller Genauigkeit auf. Die Familie ihres Vaters Rogatus, die bis in die Zeiten von Agamemnon zurückreichte, scheint auf griechische Herkunft zu verweisen; ihre Mutter Blaesilla indessen rechnete die Scipionen, Aemilius Paulus und die Gracchen unter ihre Ahnherren; und Toxotius, Paulas Gatte, stammte in direkter Linie von Aeneas ab, dem Stammvater des julischen Hauses. Der Eitelkeit des Reichen, der nach Adel verlangte, war durch diese Luftschlösser Genüge getan. Ermutigt vom Beifall ihrer Parasiten, konnten sie außerdem leicht die populäre Einfalt täuschen und wurden zusätzlich begünstigt, indem sie den Namen ihres Patrons annahmen, was unter den Freigelassenen und dem Klientel der vornehmen Familien üblich war.

Viele dieser Familien jedoch starben im Laufe der Zeit aus, sei es infolge äußerer Gewalt oder eines inneren Niederganges; eine Geschlechterfolge von zwanzig Generationen sollte man daher lieber in den Alpen suchen oder in der friedlichen Einsamkeit Apuliens und nicht auf Roms Theater, der Heimat des Geldes, der Gefahr und der beständigen Umwälzungen. Unter jeder einzelnen Regierung und aus allen Provinzen kamen Scharen hartgesottener Glücksritter nach Rom, wo sie aufgrund ihrer Talente oder Laster zu Ansehen gelangten und zu Reichtum, um Ehre und Stadtpaläste zu erwerben; und wo sie die verarmten und heruntergekommenen Nachfahren von konsularischen Familien beschützten oder bedrängten, selbst wenn diese vielleicht vom großen Ruhme ihrer Vorfahren gar nichts wussten. Tacitus (Annalen 3, 55) versichert uns, dass zwischen der Schlacht von Actium und der Herrschaft Vespasians sich der Senat mit neuen Familien aus den Municipien und italischen Kolonen füllte.

 

DAS GESCHLECHT DER ANICIER

In der Zeit des Hieronymus und Claudian hatte unter der Senatorenfamilien das Geschlecht der Anicier unbestrittenen Vorrang; schon ein oberflächlicher Blick auf ihre Familiengeschichte kann hilfreich sein, die Geltung und die Geschichte auch derjenigen Adelsfamilien richtig einzuschätzen, welche sich mit einem Platz in der zweiten Reihe begnügen mussten. »Nec quisquam Procerum tentet (licet aere vetusto/Floreat, et claro cingatur Roma senatu)/ Se jactare parem; sed prima sede relicta/›Aucheniis‹, de jure licet certare secundo.« [Und niemand – trotz des alten Erzschmuckes und des berühmten Senats, Roms Zierde – versucht sich ihm gleichzustellen; sondern es gebührte den Aucheniern der erste Platz; erlaubt war nur noch Streit um die Rangfolge]. Claudian, In Probini et Olybrii consulatum 18-21. Dieses Kompliment an die Adresse der ganz unbekannten Auchinier hat die Gelehrten in Erstaunen versetzt; aber alle sind sich einig, dass unabhängig von der richtigen Lesart nur die Anicier gemeint sein können. In den ersten fünf Jahrhunderten Roms war der Name der Anicier unbekannt; es scheint, dass sie aus Praeneste [Palestrina] stammen; und mit dem Erreichen des plebeiischen Amtes des Volkstribunen erschöpfte sich der Ehrgeiz dieser Neubürger auf lange Zeit. Die früheste Erwähnung in den Annalen des Pighius erfährt M.Anicius Gallus, Volkstribun a.u.c. 506. Ein anderer Tribun aus dem Jahre 508, Q. Anicius, trägt den Beinamen Praenestinus. Livius zählt die Anicier zu Roms großen Familien. Einhundertundachtundsechzig Jahre vor der christlichen Ära erlangte die Familie neuen Ruhm durch das Prätorenamt des Anicius, welcher den illyrischen Krieg siegreich beendete, das Land unterwarf und den König gefangen setzte. Livius 44,30f; 45,3; 45,26 und 45,43 kommt zu einer gerechten Einschätzung der Verdienste des Anicius und merkt zu Recht an, dass sein Ruhm aus dem illyrischen Krieg im Schatten des vorangegangenen makedonischen Krieges stand. Nach dem Triumph dieses Generals setzen in späterer Zeit noch drei Konsulate der Anicier Meilensteine der Familiengeschichte. Die Jahre dieser drei Konsulate sind a.u.c. 593, 818, 967; die beiden letztgenannten waren unter Nero und Caracalla. Der zweite dieser Konsuln zeichnete sich vor allem als elender Speichellecker aus (Tacitus, Annales 15,74), aber selbst erwiesene Verbrechen, wenn sie denn nur den Anschein von Alter und Würde tragen, werden ohne Widerstreben herangezogen, um die Größe eines Adelshauses zu bezeugen. Von der Regierungszeit des Diokletian bis zum endgültigen Untergang des Westreiches lag auf diesen Namen ein Glanz, der in der öffentlichen Wahrnehmung selbst durch den kaiserlichen Purpur nicht verdunkelt wurde. Noch im VI. Jhdt wird der Name der Anicier von einem italischen Gotenkönig mit allem Respekt erwähnt. (Cassiodor, Epistulae 10,12, Variae 10). Ihre verschiedenen Seitenlinien, in denen sie mit den Häusern der Annier, Petronier und Olybrier durch Hochzeit oder Erbschaft verbunden waren, wurden durch deren Vermögen und Titel breichert; und so mehrte sich auf dem Wege der Erbanspruches in jeder Generation die Zahl der Konsulate. sed fixus in omnes/ cognatos procedit honos. quemcumque require/ hac de stirpe virum: certum est de consule nasci. / per fasces numerantur avi semperque renata / nobilitate virent, et prolem fata sequuntur [...Ehre wuchs und folgte allen Verwandten; wen immer aus diesem Geschlechte du aufsuchst, ist er gewiss eines Konsuls Sohn; Ahnen werden nach fasces gezählt, das Ansehen des Adels erneut sich beständig und nach dem Gesetz folgt der Nachfahre]. Die Annii, deren Name wohl in dem der Anicier aufgegangen ist, erscheinen von der Zeit des Vespasian bis zum IV. Jhdt. mit vielen Konsulaten in den Jahrbüchern.

Die Anicier waren durch Reichtum und Glauben ausgezeichnet; als erste von allen römischen Senatorenfamilien bekannten sie das Christentum; und einiges spricht dafür, dass Anicius Iulianus, welcher später Konsul und Stadtpräfekt wurde, seine Parteinahme für Maxentius dadurch abbüßte, dass er sich in Eile der Religion des Constantin anschloss. Der Titel der ersten christlichen Senatorenfamilie kann durch das Zeugnis des Prudentius (In Symmachum 1,553) bekräftigt werden sowie durch die Abneigung der Heiden für die Anicier. Siehe Tillemont, Histoire des empereurs, Band 4, p. 183 und Band 5, p. 44. Baronius, Annales Ecclesiastici, A.D. 312, Nr. 78 und A.D. 322, Nr. 2. Ihre umfänglichen Ländereien wurden durch den umtriebigen Probus, das Oberhaupt der Anicier, wesentlich erweitert, welcher mit Gratian Konsulatsehren teilte und viermal das hohe Amt des Prätorianerpräfekten innehatte. »Probus ... claritudine generis et potentia et opum amplitudine cognitus Orbi Romano, per quem universum poene patrimonia sparsa possedit, juste an secus non judicioli est nostri.« [Probus,...bekannt im ganzen Reiche wegen seiner achtbaren Herkunft, seiner Macht und seines Reichtums, hatte überallhin verstreute, ansehnliche Besitzungen, wobei wir über deren Rechtmäßigkeit nicht zu Gericht sitzen wollen]. Ammianus Marcellinus 27,11. Seine Kinder und seine Witwe errrichteten im Vatikan für ihn ein prächtiges Grabmal, das unter Papst Nikolaus V eingerissen wurde, um Platz zu schaffen für die neue Peterskirche. Baronius beklagte diese Zerstörung eines christlichen Baudenkmals, hat aber die Inschriften und Basreliefs sorgsam bewahrt. Siehe Annales ecclesiastici, A.D. 395, Nr 5-7. Sein immenser Grundbesitz lag über die ganze römische Welt verstreut; und wenn auch die öffentliche Meinung die Methoden ihres Erwerbes missbilligen oder beargwöhnen mochte, so nötigten doch die Freigebigkeit und der Prachtaufwand jenes schwerreichen Staatsmannes seiner Klientel Dankbarkeit und allen Fremden Bewunderung ab. Zwei persische Satrapen kamen eigens nach Mailand, um St. Ambrosius zu hören und Probus zu sehen. Claudian (In Probini et Olybrii consulatum 30-60) ringt vergebens um Worte, den Ruhm des Probus angemessen darzustellen. So sehr war man um seinen Nachruhm besorgt, dass die beiden Söhne des Probus auf Drängen des Senates bereits in frühester Jugend gemeinsam mit der Konsulwürde ausgestattet wurden: eine denkwürdige Auszeichnung, die in den Annalen Roms unerhört ist. S. das Gedicht, das Claudian den beiden edlen Jünglingen widmet.

 

DER REICHTUM VON ROMS ADEL

»Der Marmor des Anicier-Palastes« war eine sprichwörtliche Redensart, wenn man »Glanz und Reichtum« meinte; Secundinus der Manichäer, bei Baronius, Annales ecclesiastici A.D. 390, Nr 34. aber der Adel und die Senatoren Roms trachteten in gehöriger Abstufung danach, mit dieser berühmten Familie zu wetteifern. Die genaue Beschreibung Roms aus Theodosius' Zeit zählt eintausendsiebenhundertundachtzig Stadtresidenzen reicher und ehrbarer Bürger. Nardi, Roma antica, p. 89, 498 und 500. Viele dieser Prachtgebäude lassen uns die dichterische Übertreibung verstehen: dass Rom eine Vielzahl von Palästen enthielt und dass jeder Palast für sich eine eigene Stadt darstellte; denn jede stellte in ihrem Weichbild alles bereit, was dem normalen Nutzen oder dem Luxus dienlich war: Märkte, Pferderennbahnen, Tempel, Quellen, Bäder, Porticos, schattige Haine und Vogelhäuser. »Quid loquar inclusas inter laquearia silvas? Vernula qua vario carmine ludit avis?« [Was erzähle ich über getäfelte Wälder? Vögel, die hier geboren sind, sollen sie besingen]. Claudius Rutililius Numatianus, Itinerarium 1,111f. Der Dichter lebte zur Zeit der Goteninvasion. Ein bescheidener Palast könnte auf Cincinnatus' Vier-Morgen-Landgut Platz gefunden haben (Valerius Maximus 4,4). »In laxitatem ruris excurrunt.« [In der Ferne zerlaufen sich die Landgüter] sagt Seneca, Epistulae 114. Siehe die einsichtsvolle Anmerkung von Herrn Hume, Essays, Band 1, p. 562, letzte Oktav-Ausgabe letzter Hand.

Der Geschichtsschreiber Olympiodoros, der Rom während der Belagerung durch die Goten schildert, Diese bemerkenswerte Beschreibung Roms unter der Regentschaft des Honorius findet sich in einem Fragment des Historikers Olympiodoros, bei Photios, p. 197., fährt mit der Beobachtung fort, dass viele Senatoren aus ihren Ländereien ein jährliches Einkommen von viertausend Pfund Gold bezogen, was etwa einhundertundsechzigtausend Pfund Sterling entspricht. Wobei der erforderliche Vorrat von Wein und Getreide nicht einberechnet ist, welcher, hätte man ihn verkauft, noch einmal ein Drittel der Einkünfte erbracht hätte. Gemessen an diesen unermesslichen Reichtum war die übliche Steuer von tausend oder auch fünfzehnhundert Pfund Gold nicht mehr als angemessen, verglichen mit ihren Verpflichtungen, welche zahlreiche Ausgaben für Vorhaben repräsentativer oder auch nützlicher Art verlangten. Viele Beispiele hierfür sind aus der Zeit der Honorius überliefert, von Adligen der eitlen oder volkstümlichen Sorte, die das Jahr, in welchem sie das Prätorenamt ausübten, durch eine Feier erhöhten, die sieben Tage dauerte und einhunderttausend Pfund Sterling verschlang. Die Söhne von Alypius, Symmachus und Maximus verschleuderten während ihres jeweiligen Prätorenamtes 12, 20 bzw. 40 centenarien (100 Pfund) Gold. Siehe Olympiodoros, bei Photios, p. 197. Diese volkstümliche Schätzung gestattet einige Auslegung; indessen fällt es schwer, ein Gesetz aus dem codex Theodosianus (6,6,5) zu erklären, welches die Ausgaben der ersten Prätors auf 25.000, des zweiten auf 20.000 und des dritten auf 15.000 folles festlegt. Der Begriff follis (vgl. Mémoires de l'Académie des Inscriptions, Band 28, 1761, p. 727) wurde in gleicher Weise verwandt für einen Beutel mit 125 Silberstücken und ebenso für eine kleine Kupfermünze mit dem Wert von 1/2625 dieses Beutels. Im erstgenannten Sinne würden die 25.000 folles 150.000, im letzteren 5 oder 6 Pfund Sterling entsprechen. Das eine scheint ziemlich ausschweifend, das andere lächerlich gering. Es muss daher noch einen dritten, vermittelnden Wert gegeben haben: Zweideutigkeit ist in der Sprache der Gesetze ein verzeihlicher Fehler.

Der Grundbesitz der römischen Senatoren, der den des neuzeitlichen Reichtums so gewaltig übertrifft, war nicht nur auf Italien beschränkt. Ihre Besitztümer erstreckten sich weit über das Ionische und Ägäische Meer bis in die entlegensten Provinzen; die Stadt Nicopolis, die Augustus zur Verewigung seines Sieges bei Actium gestiftet hatte, war Eigentum der frommen Paula; »Nicopolis...in Actiaco littore sita possessionis vestrae nunc pars vel maxima est.« [Nicopolis...an der Aktiatischen Küste ist nun ein Teil eurer Besitzungen, am Ende der größte]. Hieronymus, Vorrede zum Kommentar der Epistula ad Titum. Opera, Band 9, p. 243. Herr Tillemont nimmt an – seltsam, seltsam! – dass sie ein Teil von Agamemnons Erbe war. und Seneca stellt fest, dass Flüsse, die dereinst feindliche Völker getrennt hatten, nunmehr durch das Land von römischen Bürgern flossen. Seine Sprache ist allerdings von der rhetorischen Sorte; aber auch Rhetorik kann die Habgier und den Reichtum der Römer nicht übertrieben genug darstellen. Selbst auf den Philosophen fällt ein Teil des Tadels zurück; wenn es denn stimmt, dass seine rücksichtslose Eintreibung der Quadragentien (immerhin mehr als 300.000 Pfund), die er zu hohen Zinsen ausgelegt hatte, in Britannien eine Revolte lostrat (Cassius Dio 62). Folgt man den Konjekturen des Gale, (Antonius' itinerary in Britain, p. 92), dann besaß derselbe Faustinus ein Landgut in der Nähe von Bury in Suffolk und ein zweites im Königreich von Neapel. Je nach Gemütsverfassung und Umständen ließen die Römer ihre Ländereien durch Sklaven kultivieren oder verpachteten sie gegen einen feststehenden Zins an Bauern. Die Verfasser landwirtschaftlicher Ratgeber empfahlen dringend die erstgenannte Methode, wann immer sie sich praktizieren ließ; wenn jedoch die Latifundie sich wegen ihrer Größe oder Entfernung von Rom der unmittelbaren Überwachung entzog, dann zog man die Hilfeleistung eines Erbpächters vor, der dem Boden verhaftet und an der Produktion interessiert war und verzichtete auf die Dienste eines gemieteten, gleichgültigen und vielleicht sogar untreuen Verwalters. Volusius, ein wohlhabender Senator (Tacitus, Annales 3,30), zog stets Bauern vor, die am Ort zur Welt gekommen waren. Columella (De re rustica 1,17), der diesen Rat von ihm übernommen hatte, lässt sich darüber mit großer Urteilskraft aus.

 

LEBENSFÜHRUNG UND UNTERHALTUNG

Der Adlige einer gewaltigen Metropole, der niemals nach kriegerischem Ruhm gestrebt und nur selten ein öffentliches Amt bekleidet hatte, widmete seine Mußestunden naturgemäß den Lustbarkeiten des Privatlebens. In Rom selbst war Handel stets verächtlich; aber von Beginn an vermehrten die Senatoren ihre Landgüter sowie ihre Klientel, Letzteres durch die einträgliche Praxis des Geldverleihs; und für die außer Gebrauch gekommenen Gesetze hatte man nur Hohn übrig oder verletzte sie, durch Neigung und beiderseitiges Interesse geeint. Valesius (zu Ammianus 14,6) hat aus den Schriften des Johannes Chrysostomos und Augustinus nachgewiesen, dass es Senatoren verboten war, Geld gegen Wucherzinsen zu verleihen. Im Codex Theodosianus allerdings lässt sich lesen (siehe Gothofredus zu 2,33 im Band 1, p. 230-289), dass sie sechs Prozent nehmen durften, die Hälfte des gesetzlich Zulässigen; und, was noch merkwürdiger war, diese Erlaubnis galt nur für junge Senatoren. Es muss beachtliche Mengen an Edelmetall im Rom gegeben haben, sei es Form von Kurrentmünzen oder von Gold- und Silberpokalen; und es gab in Plinius' Zeiten ungezählte Regale, in denen sich mehr massives Silber befand, als Scipio dereinst aus dem geplünderten Karthago Plinius (Naturalis Historia 33,50) berechnet das Silber auf 4.380 Pfund, was Livius (30,45) allerdings zu 100.023 vergrößert; die erstgenannte Menge scheint für eine Großstadt etwas karg bemessen, die letztgenannte für eine private Truhe denn doch zu üppig. nach Hause verschleppt hatte.

Die Mehrheit des Adels, der sein Vermögen für hemmungslosen Luxus verschleuderte, befand sich gleichwohl inmitten seines Reichtums in erbärmlicher Verfassung und war gelangweilt trotz beständiger Verschwendung. Ihre Wünsche wurden immer und immer wieder durch tausend helfende Hände erfüllt; durch den zahlreichen Tross ihrer Haussklaven, die vor allem durch Angst vor Strafe auf Trab gehalten wurden; und durch die verschiedenen Kunsthandwerker und Kaufleute, welche die Aussicht auf Gewinn noch stärker beflügelte. Die Alten ermangelten vieler Bequemlichkeiten des täglichen Lebens, welche der fortschreitende Gewerbefleiß erfunden oder verbessert hatte; und die Massenherstellung von Fensterglas und Leinengewändern haben Europas modernen Nationen zu mehr Komfort verholfen, als die Senatoren Roms aus allem raffinierten Pomp und Sinnenkitzel ziehen konnten. Der gelehrte Arbuthnot (Tables of ancient coins, p. 153) hat humorvoll und wenn ich richtig sehe, auch wahrheitsgemäß angemerkt, dass Augustus weder Glas für seine Fenster noch ein Hemd auf dem Leibe besaß. Erst in späterer Kaiserzeit wurde der Gebrauch von Leinen und Glas etwas allgemeiner.

Ihr Luxus und ihre Lebensführung waren Gegenstand detailfreudiger und mühsamer Forschung; da mich derlei Untersuchungen jedoch zu stark von meinem eigentlichen Gegenstande ablenken würden, möchte ich statt dessen eine authentische Beschreibung von Rom und seinen Bürgern vorlegen, welche besonders gut auf die Zeit der Goteninvasion passt; Ammianus Marcellinus, der klugbedacht die Hauptstadt des Reiches als denjenigen Wohnsitz gewählt hatte, der dem Geschichtsschreiber seiner Zeit am besten anstand, hat in seine Darstellung historischer Ereignisse eine lebhafte Schilderung jener Szenerie einfließen lassen, die ihm aus eigener Wissenschaft bekannt war. Der abwägende Leser wird nicht immer die Schärfe seines Urteils oder seine Ausdrucksweise teilen; vielleicht entdeckt er sogar heimliche Vorurteile oder persönliche Abneigungen, die Ammianus etwas säuerlich wirken lassen; aber ganz gewiss wird er mit seinem philosophischem Temperament ein buntscheckiges und echtes Bild von Roms Sitten und Gebräuchen in sich aufnehmen. Es obliegt mir an dieser Stelle, die Freiheiten zu erklären, die ich mir gegenüber dem Text von Ammianus herausgenommen habe. 1. Ich habe das 6. Kapitel des 14. und das 4. Kapitel des 20. Buches zu einem verschmolzen. 2. Ich habe die ungeordnete Masse des Stoffes zu ordnen und zu verbinden versucht; 3. einige Übertreibungen und ein paar Überflüssigkeiten des Originals habe ich getilgt; 4. Einige Bemerkungen, die nur andeutungsweise, aber nicht ausdrücklich gemacht wurden, habe ich stärker herausgearbeitet. Mit diesen Freiheiten wird man meine Version nicht eben textgetreu, aber doch zuverlässig und genau finden.

 

DARSTELLUNG DER ZUSTÄNDE ROMS DURCH AMMIANUS MARCELLINUS

»Die Größe Roms« (so der Historiker) »beruhte auf einer seltenen und nahezu einmaligen Allianz von Tüchtigkeit und Glück. In den langen Jahren seine Kindheit lag Rom in beständigem und schmerzlichem Streit mit den italischen Stämmen, die der emporstrebenden Stadt benachbart und zugleich feindlich waren. In der Kraft ihrer Jugend stand Rom die Stürme des Krieges durch; trug seine siegreichen Waffen über Meere und Gebirge; und brachte Siegeslorbeeren aus nahezu jedem Land des Weltkreises nach Hause. Schließlich, in gesetztem Alter, als bereits der Schrecken seines Namens für Erfolg bürgte, suchte die Stadt die Segnungen des Friedens und der Ruhe. Die ehrwürdige Stadt, die noch den wildesten Völkern den Fuß auf den Nacken gestellt und darüber hinaus ein System von Gesetzen etabliert hatte, das beständig über Freiheit und Gerechtigkeit wachte, begnügte sich nach Art verständiger und reicher Eltern damit, ihren Lieblingssöhnen, den Caesaren, die Sorge für die Verwaltung ihres großen Besitztums anzuvertrauen. Claudian, der Ammians Geschichtswerk offenbar gelesen hat, redet von dieser großen Revolution deutlich unhöflicher: »Postquam iura ferox in se communia Caesar/Transtulit; et lapsi mores; desuetaque priscis/Artibus, in gremium pacis servile recessi.« [Nachdem der kühne Caesar die Gewalt über den Staat an sich gerissen hatte; als die Sitten verfallen waren; und als man von den alten Werten sich entwöhnt hatte, da zog ich mich in den Schoß des Knechts-Friedens zurück]. De bello Gildonico 49. Ein stabiler und gefestigter Frieden, wie es ihn einst unter Numa gegeben hatte, beendete die Bürgerkriege der Republik, während Rom immer noch als Königin des Erdkreises geachtet wurde und die unterworfenen Völker den Namen des römischen Volkes und die Majestät des Senates verehrten.«

»Doch dieser naturgegebene Glanz wurde« (so fährt Ammianus fort) »durch die Aufführungen einiger Adliger in den Schmutz gezogen; welche, ihrer eigenen und ihres Landes Würde uneingedenk, sich unbegrenzte Verbrechen und Torheiten erlaubten. Sie wetteiferten untereinander mit dem leeren Pomp von Titeln und Ehrennamen; und suchten oder erdachten hochfliegende und klangvolle Bezeichnungen wie etwa Reburrus, Fabunius, Pagonius oder Tarrasius, Der pedantische Forschungseifer der Altertumskundler hat diese ungewöhnlichen Namen nicht bestätigen können. Ich vermute, der Historiker hat sie sich selbst ausgedacht, da er vor Satire oder persönlichen Angriffen zurückschreckte. Fest steht indessen, dass die schlichte Namensgebung der Römer sich allmählich auf vier, fünf oder sogar sieben pompöse Nachnamen aufblähte; wie zum Beispiel Marcus Maecius Memmius Furius Balburius Caecilianus Placidus. Siehe Noris, Cenotaphia Pisane, Dissertatio 4, p. 438., was naiven Menschen Eindruck und Respekt einzuflößen imstande sein mag. In dem müßigen Bestreben, ihr Andenken zu verewigen, ließen sie ihr Ebenbild in Bronze oder Marmor vervielfältigen; sie warens nicht zufrieden, bevor diese Statuen nicht auch mit Goldplättchen belegt waren: eine ehrenhafte Auszeichnung, die zum ersten Male dem Konsul Acilius nach seinem Sieg über König Antiochus' Stärke gewährt wurde. Die Aufdringlichkeit, mit der sie die Zinsregister ihrer Besitzungen in allen Provinzen vom Osten nach Westen zur Schau stellten, musste den Unwillen eines jeden rechtschaffen Denkenden erregen, wenn er sich in Erinnerung rief, dass ihre kargen, aber unbesiegbaren Vorfahren sich von dem gemeinsten ihrer Soldaten eben nicht durch besondere Verpflegung oder ein prunkvolles Äußeres unterschieden.«

»Aber der Adel von heute misst seinen Rang und seine Bedeutung an der Pracht seiner Kutschen Die carrucae oder Reisewagen der Römer bestanden oft aus reinem Silber mit aufwändigen Gravuren und Zierwerk, und das Geschirr für die Maultiere oder Pferde waren mit Goldbuckeln belegt. Dieser Aufwand dauerte von Nero bis Honorius; und auf der Via Appia drängten sie die Prachtequipagen des Adels, die gekommen waren, St. Melania sechs Jahre vor der Belagerung durch die Goten bei ihrer Rückkehr nach Rom entgegen zu fahren (Seneca, Epistulae 87; Plinius, Naturalis Historia 33,49; Paulinus von Nola, bei Baronius, Annales ecclesiastici, A.D. 397, Nr. 5). Aber Pomp tauscht man gerne gegen Bequemlichkeit ein, und eine schlichte moderne Kutsche, die gefedert ist, ist erheblich besser als die Silberkarren des Altertums, welche direkt auf der Achse rollten und darüber hinaus noch allen Unbilden des Wetters ausgesetzt waren. und dem Aufwand seiner Gewandung. Ihre langen Silber- und Purpurroben blähen sich im Winde; und wenn sie aus Berechnung oder Notwendigkeit in Eile sind, dann entdecken sie gelegentlich ihre Untergewänder, üppige Tuniken, bestickt mit den Bildern verschiedener Tiere. In einer Predigtsammlung des Asterios, Bischofs von Amaseia, hat Herr de Valois (zu Ammianus 14,6) entdeckt, dass es sich hierbei um eine neue Mode handelte; dass Bären, Wölfe, Löwen und Tiger, Wälder und Jagdszenerien in Stickereien dargestellt wurden; und dass der frömmelnde Stutzer eine Legende oder das Bild eines Heiligen an deren Stelle setzte. Mit einem Gefolge von fünfzig Sklaven pflügen sie das Straßenpflaster um, wobei sie dieselbe Geschwindigkeit entwickeln wie auf den Postpferden; und dieses Beispiel der Senatoren dient kühnen Matronen und Damen zum Vorbild, die in gedeckten Wagen beständig in der Stadt und in der Vorstadt herumkutschieren.«

 

IM BADE...

»Lassen sich diese Personen von Stand dazu herbei, öffentliche Bäder aufzusuchen, verfallen sie beim Eintreten in einen lauten und unverschämten Befehlston und beanspruchen zu ihrem eigenen Nutzen die Annehmlichkeiten, die für die ganze Bevölkerung Roms bestimmt sind. Treffen sie dann in diesen Versammlungsorten für beiderlei Geschlecht einen anderen Diener der Lustbarkeit, geben sie ihre Überraschung durch zärtliche Umarmung zu erkennen; auch nehmen sie erhobenen Hauptes die Begrüßung ihrer Mitbürger entgegen, die sich keine größeren Hoffnungen machen können als ihnen allenfalls die Hand oder die Knie zu küssen; haben sie der Vergnügungen des Bades genug genossen, legen sie sich wieder ihren Ring und die anderen Abzeichen ihrer Würde an; suchen sich aus ihrer Garderobe von feinster Leinenwäsche, die für ein Dutzend Personen ausreichen würde, die Gewänder, die ihrer Augenblickslaune am besten entsprechen und verharren bis zu ihrer Abfahrt in der gleichen stolzen Haltung, die sich vielleicht der große Marcellus nach der Eroberung von Syracus mit einigem Recht hätte herausnehmen dürfen.«

 

...UND AUF REISEN

»Zuweilen unterziehen sich diese Heroen auch härteren Prüfungen; sie suchen ihre Landgüter in Italien auf und gönnen sich mit Assistenz ihrer Sklaven eine fröhliche Jagd. Siehe Plinius, Epistulae 1,6. Drei Wildeber wurden angelockt und in den Netzen gefangen, ohne dass solches die Studien des philosophischen Sportsmannes gestört hätte. Jederzeit, aber besonders an sonnigen Tagen lockt sie ihr Mut, auf ihren bemalten Galeeren vom Lucrinischen Die Änderung des unheilvollen Namens Avernus, wie er im Text steht, ist ohne Bedeutung. Die beiden Seen Lucrinus und Avernus standen miteinander in Verbindung und erhielten ihre Form durch den gewaltigen Damm des Agrippa in den julianischen Hafen, der durch einen kleine Einfahrt in den Golf von Puteoli führte. Vergil, der dort lebte, hat das Bauwerk während seiner Entstehung beschrieben (Georgica 2,161); und seine Kommentatoren, besonders Catrou, haben viel aus Strabo, Sueton und Dion geschöpft. Erdbeben und Vulkanausbrüche haben die Landschaft verändert und seit 1538 den Lucrinischen See in den Monte Nuovo verwandelt. Siehe Camillo Pellegrino, Discorsi della Campania felice, p. 239 und 244; Antonio San Felice, Campania p. 13 und 88. See zu ihren Landhäusern an der Küste von Puteoli und Caieta Die »regna Cumana et Puteolana; loca caetero quivalde expetenda, interpellantium autem multitudine paene fugienda.« [Das Reich von Cumae und Puteloli; sehr erstrebenswerte Orte, doch viele Interpellanten machen, dass ich sie fast vermeiden muss].Cicero ad Atticicum 14,6. zu schiffen, wobei sie diese Ausflüge mit den Feldzügen eines Alexander oder Caesar vergleichen. Sollte sich indessen eine Fliege erkühnen, sich auf die Seidenfalten ihrer golddurchwirkten Schirme zu setzen, sollte ein dreister Sonnenstrahl durch eine bis dahin nicht wahrgenommenen Ritze zu ihnen durchdringen, dann so beweinen sie diese unerträgliche Härte und beklagen sich gewählt, dass sie nicht im Lande der Kimmerer Der sprichwörtliche Ausdruck von der kimmerischen Dunkelheit ist ursprünglich Homer entlehnt (aus dem elften Gesang der Odyssee), die er in einen entlegenen und sagenhaften Landstrich an der Atlantikküste verlegt. Siehe die ›Adagia‹ des Erasmus in der Leidener Werkedition, Band 2, p. 593. geboren seien, der Region der ewigen Finsternis.«

»Bei diesen Landpartien muss der ganze Haushalt den Herren begleiten Bei Seneca, Epistulae 123, können wir drei Umstände dieser Reisen erfahren:1 Voran zog leichte numidische Reiterei, die durch viel Staub das Nahen eines Großen ankündigte. 2 Die Lasttiere trugen nicht nur Vasen, sondern sogar murra, die Senecas (Opera, Band 3, p. 402-422) gelehrter französischer Übersetzer als Porzellan aus China und Japan nachgewiesen hat. 3. Die hübschen Gesichter der jungen Sklaven waren mit einer Schutzschicht belegt, um sie gegen Sonne und Frost zu schützen. Wie Kavallerie und Infanterie, Schwer- und Leichtbewaffnete, Vor- und Nachhut durch ihre militärischen Vorgesetzten kunstgerecht postiert werden, so verteilen und ordnen die häuslichen Befehlsgeber, die als Zeichen ihrer Würde eine Gerte tragen, die Masse der Sklaven und Diener. Gepäck und Garderobe vorweg; unmittelbar danach ungezählte Köche und niederes Hausvolk, das in der Küche und bei Tische Dienst tut. Die Hauptmasse bildet eine unübersehbare Menge von Sklaven, die noch durch zufällig hinzu gestoßene arbeitsscheue oder abhängige Plebejer vergrößert wird. Die Nachhut endlich bilden allerlei Günstlinge und Eunuchen, die nach ihrem Alter angeordnet sind. Mit ihrer schieren Zahl und ihrer Missgestalt entsetzen sie jeden braven Beobachter, der sich bereit findet, das Andenken der Semiramis zu verfluchen für die von ihr erfundene grausame Kunst, die Pläne der Natur zu durchkreuzen und die Erwartungen künftiger Generationen zu foppen.«

 

HAUSWESEN · SPIEL

»Bei der Ausübung seiner häuslichen Gerichtsbarkeit hat Roms Adel ein ausnehmend feines Gespür für persönlich erlittenes Unrecht entwickelt und zugleich eine nachgerade verächtliche Gleichgültigkeit gegenüber dem Rest der Menschheit. Haben sie etwa nach warmem Wasser gerufen und war der Sklave hierbei säumig gewesen, dann erhält er unverzüglich dreihundert Peitschenhiebe: sollte genannter Sklave aber einen vorsätzlichen Mord begehen, dann wird sein Herr allenfalls eingestehen, dass er ein rechter Tunichtgut sei und er solle ganz gewiss bestraft werden, wenn dies noch einmal vorkäme.«

»Gastfreundschaft war vormals eine römische Tugend; und jeder Fremde, der für sich Verdienst oder ein Missgeschick geltend machen konnte, erhielt großherzig Hilfe oder Schutz. Wird heutzutage ein durchaus unverächtlicher Fremder bei einem wohlhabenden Senator eingeführt, dann wird er allerdings bei der ersten Audienz mit so herzlichen Freudebekenntnissen und gütigen Nachfragen willkommen geheißen, dass er sich zurückzieht, schier überwältigt von der Herzensgüte seines Freundes und von Selbstvorwürfen, dass er nicht schon längst nach Rom gereist sei, diesem Mittelpunkt der guten Sitten und des Reiches. Einer günstigen Aufnahme gewiss wiederholt er am nächsten Tage seinen Besuch und stellt zu seiner Verwunderung fest, dass er, sein Name und sein Land bereits vergessen sind. Ist er so vermessen und kommt weiterhin, dann zählt er bald zu den Abhängigen und erhält die Erlaubnis, einem hochmütigem Patron auf teure und langwierige Weise die Reverenz zu erweisen, der aber für Dankbarkeit oder Freundschaft unempfänglich ist und seine Anwesenheit, seine Abreise oder seiner Rückkehr zur Kenntnis zu nehmen wenig Neigung zeigt.«

»Bereitet der Reiche nun eine feierliche oder eine volkstümliche Veranstaltung vor »Distributio solemnium sportularum.« [Verteilung der üblichen Sporteln]. Die sportulae oder sportellae waren kleine Körbe, in denen sich vermutlich eine Portion warmes Essen im Werte von 100 quadrantes (12 Penny und ein Halfpenny) befand, die dann in einer Halle aufgereiht und demonstrativ an eine hungrige und bedürftige Menge verteilt wurde, die an der Tür wartete. Dieser unzarte Brauch wird in Martials Epigrammen und Iuvenals Satiren sehr häufig erwähnt. Diese Essenskörbe wurden später in große Goldstücke und Silbermünzen oder -pokale umgewandelt, welche sich dann Personen selbst des höchsten Ranges gegenseitig schenkten, etwa bei Konsulaten, Hochzeiten oder anderen festlichen Gelegenheiten. oder laden sie zu einem üppigen Bankett mit ausuferndem Luxus, dann unterliegt die Wahl der richtigen Freunde einer ängstlichen Entscheidungsfindung. Der Bescheidene, der Nüchterne, der Gelehrte werden nur selten geladen; und die Nomenclatoren, die gemeinhin von eigennützigen Motiven geleitet werden, haben Befugnis, in die Einladungslisten die Namen der Niedrigsten und Verkommensten zu setzen. Aber häufig und zahlreich sind im Hause der Großen jene Parasiten, die die nützlichste aller Künste beherrschen, die Kunst der Schmeichelei; die jedem Wort und jedem Tun ihres unsterblichen Patrons den heftigsten Applaus spenden; mit Verzückung seine Marmorsäulen und vielfältigen Bodenmosaike bestaunen; und mit Nachdruck den Pomp und Luxus lobpreisen, die er als einen Teil seines persönlichen Verdienstes zu betrachten gelernt hat. Auf der Tafel der Römer findet man ungewöhnliche Vögel, Fische, das Eichhörnchen Weil ein passender englischer Namen [»Squirrel« im Original] fehlt, muss ich mich mit dem gemeinen Eichhörnchen begnügen, lateinisch glis [Haselmaus], französisch loir [Siebenschläfer]; ein kleines Tier, welches die Wälder bewohnt und bei kaltem Wetter in Winterschlaf fällt. In römischen Landhäusern verstand man sich auf die Kunst, glires zu halten und zu mästen, welcher Zweig der ländlichen Ökonomie recht profitabel war. Die heftige Nachfrage nach ihnen wurde durch das törichte Verbot der Zensoren noch gesteigert; und man berichtet, dass sie noch im heutigen Rom geschätzt und von den Colonna-Prinzen oft verschenkt werden. und betrachtet sie mit neugierigem Interesse; auf einer Waage wird ihr wahres Gewicht mit Genauigkeit bestimmt; und während die Gäste, die noch etwas Verstand besitzen, durch diese ekelhafte und sinnlose Hantierung abgestoßen werden, bestimmt man Notare, durch ein eigenhändiges Protokoll die Wahrheit dieses außergewöhnlichen Ereignisses zu bezeugen.«

»Ein anderer Weg in das Haus und die Gesellschaft der Großen ist das Glücksspiel oder, wie es zierlich umschrieben wird, das Spiel (alea). Die Teilnehmer sind durch unlösbare Bande der Freundschaft oder genauer: des Komplottes geeint; überdurchschnittliche Fertigkeiten in der Ars tesseraria (einer Kombination von Würfel- und Brettspiel Dieses Spiel, besser mit dem bekannten Namen Trictrac oder Backgammon zu übersetzen, war die Lieblingsunterhaltung noch der ernsthaftesten Römer; und der alte Mucius Scaevola, der Rechtsanwalt, besaß eine hohe Reputation als sehr geschickter Spieler. Man nannte es ludus duodecim scriptorum nach den zwölf scripta, die den alveolus, das Spielbrett, gleichmäßig unterteilte. Auf diesem wurden die beiden Armeen, die Weißen und die Schwarzen, jede aus fünfzehn Mann oder calculi, gleichmäßig aufgestellt und abwechselnd nach bestimmten Regeln und entsprechend den Augen der tessarae oder Würfel gezogen. Dr. Hyde, der die Geschichte und die Spielarten dieser nerdiludium (ein persisches Wort) von Irland bis nach Japan sorgfältig erforscht hat, vergießt über diesen wichtigen Gegenstand einen Strom klassischer und orientalisches Gelehrsamkeit. ebnen zuverlässig den Weg zu Reichtum und Ansehen. Ein Meister dieser feinsinnigen Kunst, der an einer Tafel oder in einer Versammlung unter einem Beamten seinen Platz erhält, gibt in seiner Verärgerung eine Überraschung und Empörung zu erkennen, die vielleicht Cato empfunden haben mag, als ihm das launische Volk das Prätorenamt verweigert hatte.«

 

EINGESTAUBTE BIBLIOTHEKEN

»Der Erwerb von Bildung ist dem Adel kein Herzensanliegen, vielmehr schrecken sie vor den Anstrengungen des Studiums zurück und achten seine Vorteile gering; die einzigen Bücher, die sie in die Hand nehmen, sind die Satiren des Iuvenal und die geschwätzige und märchenhafte Geschichte des Marius Maximus. »Marius Maximus, homo omnium verbosissimus, qui et mythistoricis se voluminibus implicavit.« [MariusMaximus, von allen Menschen der wortreichste, der sich auch in ganze Bände von historischen Fabeleien vergraben hat]. Vopiscus in der Historia Augusta, Firmus 1,1. Er verfasste die Kaiserbiographien von Traian bis Alexander Severus. Siehe Vossius, De historicis latinis, Buch 2, Opera, Band 4, p. 57. Ihre Bibliotheken, die sie von ihren Vätern geerbt haben, sind wie trostlose Gräber von jedem Tageslicht abgeschnitten. Diese Darstellung ist wohl satirisch überzeichnet. Die Saturnalien des Macrobius und die Briefe des Hieronymus belegen hinreichend, dass Römer des höchsten Standes und beiderlei Geschlechtes christliche Theologie und klassische Literatur studierten. Aber kostspielige Theaterrequisiten, Flöten, riesige Leiern und Wasserorgeln werden zu ihrem Gebrauch gefertigt; und so hört man die Schönheiten der Vokal- und Instrumentalmusik allenthalben in römischen Palästen. Hier nimmt der Klang die Sinne und die Sorge um den Körper das Denken gefangen. Es gilt als zulässig, mit dem Hinweis auf die vermutete Ansteckung mit einer harmlosen Infektionskrankheit den Besuch auch bei den besten Freunden abzusagen; und selbst die Sklaven, die man zur Nachfrage losgeschickt hat, lässt man nicht zurück kehren, bevor sie sich nicht der Zeremonie einer Reinwaschung unterzogen haben.«

 

HABGIER · ASTROLOGIE

»Gleichwohl hilft diese eigennützige und unmännliche Delikatesse nichts gegen die schlimmere Krankheit der Habgier. Die Aussicht auf Gewinn wird einen reichen Senator bis nach Spoleto treiben, und wäre er gichtbrüchig; jedes Gefühl für Anstand und Würde muss schweigen, wenn Hoffnung auf eine Erbschaft oder ein Legat besteht; und ein reicher, kinderloser Bürger ist der mächtigste Römer. Auf die Kunst, die Unterschrift unter ein begünstigendes Testament zu erhalten und den Augenblick seines Vollzuges abzupassen, versteht man sich aufs beste; einmal geschah es sogar, dass in ein und demselben Hause, wenn auch in unterschiedlichen Zimmerfluchten, ein Mann und seine Frau in der löblichen Absicht, sich gegenseitig zu übervorteilen, beide ihre jeweiligen Anwälte einbestellt hatten, um zur gleichen Zeit ihre sich einander ausschließenden Willenserklärungen abzugeben.«

»Die Notlage, die auf den ausufernden Luxus folgt, nötigt die Großen oftmals zu den erbärmlichsten Auskunftsmitteln. Wenn sie etwas borgen müssen, dann nehmen sie die Unterwürfigkeit des Sklaven aus der Komödie an; drängt man sie jedoch auf Zahlung, dann verfallen sie auf den königlich-tragischen Gestus der Enkel des Herkules. Wird die Forderung wiederholt, dann haben sie unversehens einen glaubwürdigen Sykophanten zur Hand, welcher eine Klage wegen Vergiftung oder Zauberei gegen den hartnäckigen Gläubiger vorbringen soll; welcher oft nur dann aus dem Gefängnis entlassen wird, nachdem er eine vollständige Verzichtserklärung unterschrieben hat.«

»Zu diesen Lastern, welche den moralischen Charakter der Römer untergraben, kommt noch ein kindischer Aberglaube, welcher ihnen den Verstand eintrübt. Sie lauschen mit vielem Zutrauen den Vorhersagen der Haruspices, welche vorgeben, aus den Eingeweiden der Opfertiere Hinweise auf künftige Größe und Wohlstand herauszulesen; und nicht wenige geben vor, dass sie weder baden, noch essen oder in der Öffentlichkeit auftreten mögen, bevor sie nicht nach den Regeln der Astrologie sorgfältig die Stellung Merkurs oder den Aspekt des Mondes befragt hätten. Macrobius, ein Freund dieser römischen Adligen, sah in den Sternen die Ursache künftiger Ereignisse oder doch wenigstens Hinweise darauf. (Cicero, Somnius 1,19). Es ist merkwürdig genug, dass man diese müßige Leichtgläubigkeit oft sogar unter weltlichen Skeptikern findet, welche in unfrommer Weise die Existenz himmlischer Mächte bezweifeln oder sogar bestreiten.«

 

BEFINDLICHKEIT DER BEVÖLKERUNG ROMS

In volkreichen Städten, in denen Handel und Gewerbe blühen, bildet der mittlere Stand der Bewohner, der von seiner Hände Geschicklichkeit oder Arbeit lebt, normalerweise den produktivsten, den nützlichsten und in diesem Sinne den respektabelsten Teil der Gemeinschaft. Aber der Römische Plebs, der dieses biedere und sklavische Tun gering achtete, stand seit frühesten Zeiten unter großer Schulden- und Zinslast; während sich der Bauer genötigt sah, seine Landwirtschaft in Kriegszeiten zu vernachlässigen. Die Geschichte des Livius (zumal 6,36) ist voll mit den Erpressungen des Adels und den Leiden der armen Schuldner. Die trübselige Geschichte des braven, alten Soldaten (Dionysios von Halikarnassos 6,26; Livius 2,23) muss in jenen frühen Zeiten, die man so ganz ohne Recht verklärt hat, sehr häufig vorgekommen sein. Italien, das ursprünglich unter freien, wenn auch nicht reichen Familien aufgeteilt war, wurde unmerklich zur Beute adliger Habgier; und in der Zeit vor dem Untergang der Republik besaßen, so wird geschätzt, lediglich zweitausend Bürger Land, das ihnen Unabhängigkeit ermöglichte. »Non esse in civitate duo millia hominum qui rem haberent.« [In diesem Gemeinwesen gibt es keine zweitausend Menschen, die etwas besitzen]. Cicero, De Officiis, 2,21 nebst dem Kommentar des Paulus Manutius, ed. Graevius. Diese oberflächliche Berechnung wurde a.u.c. 649 angestellt mit dem Ziel – das auch das der Gracchen war, vgl Plutarch – das Elend der einfachen Leute zu beklagen und dabei möglicherweise zu übertreiben.

Solange man aber die Bevölkerung durch ihr Wahlrecht teilhaben ließ an den staatlichen Ehrenstellen, an der Besetzung von Armeekommandos und der Verwaltung wohlhabender Provinzen, gewährte ihr dieser patriotische Stolz für die Widrigkeiten ihrer Armut einen gewissen Ausgleich; und ihre Bedürfnisse wurden ja auch zur rechten Zeit durch die berechnete Freigebigkeit der Kandidaten befriedigt, welche die käufliche Mehrheit in den dreiundfünfzig tribus oder einhundertunddreiundneunzig Centurien Roms erwerben wollten. Nachdem aber die degenerierten Städter nicht nur die Teilhabe an der Macht aus der Hand gegeben hatten, sondern sogar das Erbrecht an ihr, wurden sie unter den Caesaren zu einer verkommenen und verlotterten Plebs, die binnen weniger Generationen vollständig von der Erde verschwunden wäre, wenn sie sich nicht fortwährend durch die Freilassung und den Zustrom von Fremden ergänzt hätte. Noch in den Zeiten eines Hadrian war es gängige Rede unter der Urbevölkerung, dass die Hauptstadt die Laster der Welt und die Gebräuche der unterschiedlichsten Völker in sich aufgenommen habe. Die Maßlosigkeit der Gallier, die Verschlagenheit und Leichtfertigkeit der Griechen, die derbe Widersetzlichkeit der Ägypter und Juden, die Knechts-Gesinnung der Syrer, dies alles fand sich in der buntscheckigen Masse, die unter der hochtrabenden und unzutreffenden Bezeichnung Römer ihre Mituntertanen und selbst ihren Herrscher zu verachten sich unterfing, welche nur im Umfeld der Ewigen Stadt ihren Wohnsitz bezogen hatten. Vergleiche hierzu die dritte Satire (60-125) des Juvenal, welcher sich bitter beklagt: »...quamvis quota portio faecis Achaei!/ jampridem Syrus in Tiberim defluxit Orontes; et linguam et mores &c«. [...doch wie viel sind's vom achäischen Schlamme?/Länst schon strömt in den Tiber die syrische Flut des Orontes/und bringt mit sich die Sprache und Moral. Üb. von W. Binder]. Als Seneca (Consolatio ad Helviam 6) seine Mutter mit dem Gedanken zu trösten versucht, dass sich ein großer Teil der Menschheit im Exil befinde, erinnert er sie zugleich daran, wie wenige Römer in der Stadt geboren seien.

 

ÖFFENTLICHE GETREIDEVERTEILUNGEN

Dennoch wurde der Name der Stadt immer noch mit Respekt genannt: die zahlreichen spontanen Unruhen gingen fast immer straflos aus; und anstelle dass die Nachfolger des Constantin die letzten Funken der Demokratie mit starker Militärmacht ausgetreten hätten, griffen sie auf die sanfte Politik des Augustus zurück und bemühten sich, der Armut zu steuern und der Trägheit der ungezählten Volksmasse Unterhaltung zu bieten. Fast alles, was über Brot, Speck, Öl, Wein &c zu sagen ist, kann man im 14. Buch des Codex Theodosianus finden, der ausdrücklich von der ›Polizei‹ in den Großstädten handelt. Siehe insbesondere die Titel 3,4,15,16 und 24. Ergänzende Zeugnisse findet man in Gothofreds Kommentaren, und eine Zitierung erübrigt sich. Entsprechend einem Gesetz des Theodosius, das die Besoldung der Krieger in Geld festlegt, entsprach ein Goldstück (11 Schilling) 80 Pfund Speck oder 80 Pfund Öl oder 12 Modii (oder Viertelscheffel) Salz (Codex Theodosianus 8,4,17). Vergleicht man diese Gleichsetzung mit den 70 Pfund Speck für eine Amphore (Codex Theodosianus 14,4,4), dann ergibt sich ein Wein-Preis von 16 Penny pro Gallone.

I. Um der Bequemlichkeit des Volkes willen wurden die monatlichen Abgaben von Brotgetreide in eine tägliche Brotration umgewandelt; auf Staatskosten wurde eine große Anzahl von Backöfen gebaut und betrieben; und zur festgesetzten Stunde eilte jeder Bürger, der über ein entsprechendes Billet verfügte, an den Ort, der für seinen Stadtteil vorgesehen war und erhielt umsonst oder zu einem äußerst günstigen Preis einen Brotlaib von drei Pfund für sich und seine Familie.

II. Die Wälder Lucaniens, von deren Eicheln herdenweise Schweine fett wurden, Der anonyme Autor der Beschreibung der Welt (Expositio totius mundi, in Hudson, Geographiae scriptores minores, Band 3, p. 14) schreibt in seinem Barbaren-Latein über Lukanien: »Regio obtima, et ipsa omnibus habundans, et lardum multum foras emittit: propter quod est in montibus, cujus aescam animalium variam.« [...beste Gegend, von allem überreich, schickt viel Pökelfleisch nach draußen: Weil das in den Bergen ist, gibt's verschiedenes Wild zur Nahrung]. lieferten sozusagen als ihren Tribut massenhaft billiges und bekömmliches Fleisch; fünf Monate im Jahr konnte so an die ärmeren Bevölkerungsschichten Speck verteilt werden; der jährliche Verbrauch der Stadt wurde, als sie sich von ihrer gewohnten Üppigkeit schon längst entfernt hatte, in einem Edikt des Valentinian auf drei Millionen sechshundertachtundzwanzigtausend Pfund festgeschrieben. Siehe die Novellae ad calcem Codicem Theodosianum Divi Valentiniani 1,15. Am 29. Juni 452 in Rom verkündet.

III. Bei den Alten war das Öl zu Beleuchtungszwecken und für das Bad unverzichtbar; und so belief sich die jährliche Abgabe, die Afrika zum Wohle Roms zu leisten hatte, auf drei Millionen Pfund entsprechend dreihunderttausend englischen Gallonen.

IV. Augustus' Fürsorge um die ausreichende Verköstigung der Stadt ging nicht über die Grundversorgung des Menschen hinaus; und als sich das Publikum laut darüber beklagte, dass Wein teuer und knapp sei, gab der strenge Reformer einen Erlass heraus, um seine Untertanen daran zu erinnern, dass kein vernunftbegabter Mensch sich über Durst beklagen könne, seitdem die Aquädukte des Agrippina die Stadt so ausreichend mit gesundem und klarem Wasser versorgten. Sueton, Augustus 42. Des Kaisers größte Ausschweifung mit seinem Lieblings-Wein bleib immer unter einem Sextarius (ein englisches Pint). a.a.O. 77. Hierzu auch Torrentius und Arbuthnot, Tabelles, p. 86. Von dieser strengen Nüchternheit nahm man in Laufe der Zeit Abstand; und obwohl Aurelians Seine Absicht war es gewesen, Weinberge an der Küste Etruriens anzulegen (Vopiscus, in der Historia Augusta, Aurelian 48,2), der kargen, ungesunden und verwilderten Maremne der modernen Toscana. weitreichender Plan nicht in vollem Umfang durchgeführt worden zu sein scheint, war der Genuß von Wein sehr liberal und großherzig geregelt. Die Aufsicht über die staatlichen Weinkeller wurde honorigen Beamten übertragen; und ein großer Teil der Weinernte Campaniens war für Roms glückliche Einwohner aufgespart.

 

BÄDER

Die gewaltigen Aquädukte, die Augustus ganz zu Recht rühmt, füllten die Thermen oder Bäder, die man in allen Stadtvierteln gebaut hatte, mit kaiserlichem Glanze. Die Bäder des Antoninus Caracalla, die zu festgesetzten Zeiten Senatoren und Volk unterschiedslos geöffnet standen, verfügten über sechzehnhundert Marmorplätze; und mehr als dreitausend. Olympiodoros, bei Photios, p. 197. so schätzt man, befanden sich in den Thermen des Diokletian. Die Wände dieser hochstrebenden Gebäude waren mit den schönsten musivischen Arbeiten bedeckt, welche die Kunst des Pinsels durch elegante Entwürfe und farbenprächtige Ausführung nachzuahmen suchten. Herrlich war wertvoller numidischer grüner Marmor in ägyptischen Granit eingearbeitet; ein ununterbrochener Strom warmen Wassers ergoss sich aus silbernen Speipforten in die gewaltigen Wasserbecken; und noch der einfachste Römer konnte gegen eine geringe Kupfermünze sich eines täglichen Genusses erfreuen, um den ihn selbst asiatische Könige beneidet hätten. Seneca (Epistulae 86) vergleicht die Bäder des Scipio Africanus auf dessen Landhaus zu Liternum mit dem Pomp (der noch beständig vermehrt wurde) der öffentlichen römischen Bäder, und zwar lange vor der Errichtung der Thermen des Antoninus und des Diokletian. Der quadrans für den Eintritt war ein Viertel von einem Ass und entspricht einem Achtel eines Penny. Von hier zog dann ein Schwarm verwahrloster und zerlumpter Plebejer los, welche den ganzen Tag auf der Straße oder Forum lungerten, um Neuigkeiten aufzuschnappen oder zu diskutieren; welche bei ausschweifenden Spielen die milden Gaben für ihre Frauen und Kinder verspielten; und die ihre Nächte in finsteren Kneipen und Hurenhäusern bei ordinären und groben Vergnügungen zubrachten. Nachdem Ammianus (14,6 und 28,4) den Luxus und die Arroganz des römischen Adels dargelegt hat, wendet er sich mit gleichem Ingrimm den Lastern und Torheiten des gewöhnlichen Volkes zu.

 

TIERHETZEN UND ZIRKUSDARBIETUNGEN

Aber ihre schönste und liebste Unterhaltung bezog die träge Masse aus den häufigen Tierhetzen und anderen öffentlichen Darbietungen. Zwar hatten christliche Herrscher mit gutem Herzen die unmenschlichen Gladiatorenkämpfe abgeschafft; gleichwohl war für Roms Bevölkerung der Zirkus die Heimat, der Tempel, der Sitz des Reichs. Schon bei Morgengrauen versammelte sich die Menge, ihre Plätze zu reservieren, und nicht wenige verbrachten die vorherige Nacht in unruhigem Schlummer unter den benachbarten Porticos. Vom Morgen bis zum Abend, unbekümmert um Sonne oder Regen, verharrten die Zuschauer, die zuweilen fast vierhunderttausend waren, in gespanntester Aufmerksamkeit; mit den Augen hingen sie an den Pferden und Wagenlenkern, ihr Gemüt war von Hoffnung und Furcht um den Sieg ihrer Farben aufgewühlt: und so schien Roms Schicksal am Ausgang eines einzigen Rennens zu hängen. Juvenal, Satiren 11,91ff. Die Ausdrücke, zu denen sich der Historiker Ammianus entschließt, sind nicht weniger deftig und deutlich als die des Satirikers; und beide haben nach dem Leben gemalt. Die Zahl der Zuschauer im großen Zirkus stammt aus den original Notitiae der Stadt. Der Unterschied zwischen den beiden beweist, dass sie nicht voneinander abgeschrieben haben; die Gesamtzahl scheint dennoch wenig glaubwürdig, obwohl bei solchen Gelegenheiten das Landvolk massenhaft in die Stadt flutete.

Dieselbe maßlose Leidenschaft war in ihrem Geschrei und ihrem Beifall anlässlich der Tierhetzen und unterschiedlicher Theateraufführungen. Solche Aufführungen könnte man in modernen Großstädten durchaus als eine hohe Schule des Geschmacks, ja der Tugend ansehen. Aber die tragische und komische Muse der Römer, die selten mehr war als eine Kopie des attischen Vorbildes, Bisweilen allerdings gab es auch eigenständige Stücke: »Vestigia Graeca Ausi deserere et celebrare domestica facta.« [...wagten sie, das Vorbild der Griechen zu verlassen und Heimatprodukte zu feiern]. Horaz, Epistulae ad Pisones/De arte Poetica 286f, und die gelehrte, obschon verwirrte Anmerkung des Herrn Dacier, welcher den Brutus und den Decius des Pacuvius oder den Cato des Maternus zu einer Tragödie machen möchte. Die Octavia, die einem der Senecas zugeschrieben wird, ist auch heute noch ein schwaches Stück römischer Tragödie. war nach dem Untergang der Republik endgültig verstummt; Zur Zeit des Quintilian und Plinius musste sich ein tragischer Dichter damit begnügen, einen großen Raum zu mieten und sein Stück dem eigens zu diesem Zweck geladenem Publikum vorzutragen. Siehe die Institutiones oratoria 9,11 und Plinius, Epistulae 7,17. und an ihre Stelle trat die derbe Farce, weibische Musik und üppiges Schaugepräge. Die Pantomimen, Siehe Lukians Dialog de saltatione. Opera, Band 2, p. 265-317. Die Pantomimen hatten den Ehrennamen Cheirosophen, Hand-Weise; und von ihnen verlangte man, dass sie mit nahezu jeder Kunst und Wissenschaft vertraut waren. Burette hat einen kurzen Abriss dieser Kunstgattung gegeben. Mémoires de l'Académie des Inscriptions, Band 1, 1736, p. 127. die von Augustus bis ins sechste Jahrhundert ihr Ansehen behielten, stellten ohne ein gesprochenes Wort verschiedene alte Götter- und Heldensagen nach; und die Vollkommenheit ihrer Kunst, die zuweilen selbst philosophischen Ernst zum Schweigen brachte, rief allemal das Staunen und den Beifall des Publikums hervor. Die riesigen und üppig ausgestatteten Theater Roms waren bisweilen von bis zu dreitausend weiblichen Tänzern und ebenso vielen Sängern nebst ihren jeweiligen Chorführern gefüllt. So sehr standen sie bei der Öffentlichkeit in Gunst, dass in Zeiten der Not, als alle Fremden aus der Stadt verbannt wurden, ihr Verdienst, zur Aufheiterung des Volkes beizutragen, sie von dem Gesetz ausnahm, das ansonsten gegen alle freischaffenden Künstler exekutiert wurde. Ammianus 14,6 beklagt sich mit gelinder Empörung, dass die Straßen Roms mit Weibern verstopft war, die dem Staat hätten Kinder schenken können, deren einzige Beschäftigung aber darin bestand, ihr Haar zu kräuseln und zu zieren und »iactari volubilibus gyris, dum exprimunt innumera simulacra, quae finxere fabulae theatrales.« [...wie Kreisel zu drehen und dabei ungezählte Figuren auszudrücken, die man sich für das Theater ausdenkt].

 

ZAHL DER BEWOHNER ROMS

Man hat erzählt, dass Elagabal in seiner törichten Neugier versucht habe, aus der Anzahl von Spinngeweben die Zahl der Einwohner Roms zu bestimmen. Eine etwas mehr der Vernunft verpflichtete Methode wäre der Aufmerksamkeit des weisesten Herrschers würdig gewesen, welcher dadurch leicht eine für die römische Regierung wichtige und für die Nachwelt interessante Frage hätte beantworten können. Geburt- und Todesfälle der Bürger wurden getreulich aufgezeichnet; und hätte sich irgendein Autor der Antike herabgelassen, die jährlichen Ziffern oder wenigstens den allgemeinen Durchschnitt festzuhalten, dann könnten wir jetzt einigermaßen zufriedenstellende Berechnungen vornehmen, welche die überspannten Behauptungen unserer Altertumsforscher widerlegen und die bedachtsamen Konjekturen der Philosophen bekräftigen könnten. Lipsius (De magnitudine Romana, Buch 3, p. 423) und Isaac Vossius (Variorum observationum liber, p. 26-34) haben wilde Träume von vier, acht oder gar vierzehn Millionen Einwohnern gehabt. Mr. Hume hingegen, mit bemerkenswert gesundem Menschenverstand und einiger Skepsis ausgestattet, verrät eine heimliche Neigung, die Bevölkerungsdichte früherer Zeiten auszudünnen. Äußerst gewissenhafte Forscher haben indessen folgende Umstände zusammengetragen, welche, verstreut und unvollkommen, wie sie nun einmal sind, dennoch in gewissem Umfang die Frage nach der Bevölkerungszahl des antiken Rom illustrieren können.

I. Als die Hauptstadt des Reichs von den Goten belagert wurde, wurde der Umfang der Wallanlagen von Ammianus, der mathematisch gebildet war, mit einundzwanzig Meilen bestimmt. Olympiodoros, bei Photios, p. 197, Siehe Fabricius, Bibliotheca graeca, Band 9, p. 400. Man sollte hierbei nicht vergessen, dass die Form der Stadt nahezu ein Kreis war, welche geometrische Figur bei gegebenem Umfang die größte Fläche umschreibt.

II. Der Architekt Vitruvius, der im Zeitalter des Augustus blühte und dessen Aussage in diesem Zusammenhang besonderes Gewicht hat, berichtet, dass die ungezählten Einwohner Roms sich weit außerhalb der engen Stadtgrenzen anzusiedeln pflegten; und dass der Mangel an Grundstücken, welcher vermutlich von allen Seiten durch Gärten und Villen eingeengt war, die allgemeine, wenngleich unbequeme Sitte nahelegte, die Häuser beträchtlich in die Höhe zu bauen. »In ea autem majestate urbis, et vicium infinita frequentia innumerabiles habitationes opus fuit explicare. Ergo cum recipere non posset area plana tantam multitudinem [ad habitandum] in urbe, ad auxilium altitudinis aedificiorum res ipsa coegit devenire.« [Bei dieser Vorrangstellung Roms und der ungemessenen Zahl der Einwohner war der Bau von Wohnungen dringend nötig. Da nun aber das Erdgeschoss eine solche Masse zum Wohnen in der Stadt nicht aufnehmen konnte, nötigte diese Sachlage zum Ausweg, die Häuser in die Höhe zu bauen.] Vitruvius 2,8. Diese Textstelle, die ich Vossius verdanke, ist klar, eindeutig und umfassend. Aber das Hochstrebende dieser Gebäude, die oft genug mit schlechten Materialien hingepfuscht waren, war der Grund für häufige und fatale Unglücksfälle; und so verordneten Augustus und Nero wiederholt, dass die Höhe von Privathäusern innerhalb Roms nicht mehr als siebzig Fuß betragen dürfe. Die Unzulänglichkeit dieser Verbote lassen die zeitlich aufeinander folgenden Zeugnisse von Plinius, Aristeides, Claudian, Rutilius u.a. erkennen. Siehe Lipsius, De magnitudine Romanae, Buch 3, c. 4. »Tabulata tibi jam tertia fumant; Tu nescis; nam si gradibus trepidatur ab imis Ultimus ardebit, quem tegula sola tuetur A pluvia.« (...das dritte Stockwerk raucht schon; du weißt es nur nicht; denn wenn am unteren Treppenabsatz Panik entsteht, wird der als letzter in Flammen aufgehen, den nur die Dachziegel vor Regen schützen). Juvenal, Satirae 3,199.

III. Iuvenal Man lese Juvenals 3. Satire zur Gänze, besonders aber die Verse 166 und 223ff. Die Beschreibung einer überfüllten insula (Wohnblock) bei Petronius stimmt genau zu Iuvenals Klagen; und wir erfahren aus offizieller Quelle, dass zu Augustus' Zeiten (Heineccius, Historia iuris civilis, c. 4, p. 181) die normale Miete für die verschiedenen coenacula oder Wohnungen der Insula jährlich 40.000 Sesterzen betrug, zwischen 3-400 Pfund Sterling (Pandekten 19,2,30), welche Summe den großen Umfang und hohen Wert dieser Gemeinschaftsunterkünfte aufzeigt. beklagt, vermutlich aufgrund eigener Anschauung, die Not der armen Stadtbevölkerung, der er den heilsamen Rat erteilt, sofort aus Rom mit seinem Qualm auszuwandern, um in einer italischen Kleinstadt eine bequeme und liebliche Unterkunft zu erhalten zu einem Preis, den sie in Rom für ein nass-kaltes Rattenloch zu zahlen hätten. Mieten waren demnach maßlos überhöht; die Reichen erwarben zu astronomischen Preisen ein Grundstück, das sie dann mit Villen und Gärten bebauten; aber die Masse de römischen Volkes drängte sich auf engstem Raum; und die einzelnen Wohnungen und Apartements desselben Hauses teilten sich, wie es noch heute in Paris und anderen Städten üblich ist, mehrere Plebejer-Familien miteinander.

IV Die Gesamtzahl der Häuser in den vierzehn Bezirken Roms unter der Herrschaft des Theododius wird in der »Beschreibung Roms« mit Genauigkeit mit vierundachtzigtausenddreihundertzweiundachtzig angegeben. Diese Zahl setzt sich zusammen aus 1780 domus oder großen Häusern, 46,602 insulae oder Miethäusern (Nardini, Roma antica, Buch 3, p. 88) und wird durch die übereinstimmenden Texte in den verschiedenen Notitiae bestätigt. Nardini, Buch 8, p. 498 und 500.. Die beiden Klassen von Häusern, nämlich domus und insulae, denen sie jeweils zugeordnet werden, umfassen alle Wohnhäuser der Hauptstadt, vom Marmorpalst der Anicier mit ihren zahlreichen Freigelassenen und Sklaven bis zu beengten Hochhäusern, in denen der Dichter Codrus und seine Frau eine heruntergekommene Mansarde direkt unter dem Dach mieten durften. Übernehmen wir die Zahlenwerte, die man unter vergleichbaren Umständen für Paris Der sorgfältige Herr de Messance kommt mit mehr oder weniger guten Gründen für Paris auf 23.656 Häuser, 71.114 Familien und 576.630 Einwohner. ermittelt hat und rechnen wir fünfundzwanzig Personen für jede Wohneinheit jedwelcher Art, so können wir die Anzahl der Einwohner Roms getrost auf zwölf Hundertausend schätzen: eine Zahl, welche für die Hauptstadt eines Weltreiches nicht eben gigantisch klingt, obwohl sie die meisten Großstädte des modernen Europa deutlich übertrifft. Diese Berechnung unterscheidet sich nur unwesentlich von der, welche Herr Gabriel Brotier, der letzte Herausgeber der neuesten Tacitus-Ausgabe, Band 2, p. 380 [Mannheim 1780, A.d.Ü.], auf ähnlicher Grundlage angestellt hat; obwohl er einen Grad von Genauigkeit anzustreben scheint, der weder möglich noch überhaupt erforderlich ist.

 

ERSTE BELAGERUNG ROMS DURCH DIE GOTEN · A.D. 408

Soviel von den Verhältnissen Roms unter der Regierung des Honorius, und zwar zu jener Zeit, als die gotische Armee die Belagerung, oder besser, die Blockade der Stadt begann. Zu den Vorkommnissen bei Roms erster Belagerung, die des öfteren mit denen der zweiten und dritten verwechselt werden, siehe Zosimos 5,38ff, Sozomenos 9,6, Olympiodoros, Photios p. 180, Philostorgios 12,3 und Gothofred, Diss. p. 463-475. Durch geschickte Verteilung seiner mächtigen Armee, die mit Ungeduld auf das Signal zum Sturm warteten, kreiste Alarich die Mauern ringsum ein, überwachte die zwölf Haupttore, unterband jede Kommunikation mit dem umliegenden Land und beherrschte vollständig die Schiffsbewegungen auf dem Tiber, durch die die Römer bisher üppig und zuverlässig mit Nahrungsmitteln versorgt worden waren. Die erste Gemütsregung des Adels und des Volkes waren Überraschung und Empörung darüber, dass ein elender Barbar sich erkühnen könne, der Hauptstadt der Welt beschwerlich zu fallen. Aber ihr Hochmut kam schon bald vor den Fall; und ihr ohnmächtiger Zorn richtete sich nicht etwa gegen den Feind in Waffen, sondern gegen ein schutzloses und schuldloses Opfer.

In der Person der Serena hätten die Römer die Nichte des Theodosius, die Tante, ja sogar noch die Adoptivmutter des gegenwärtigen Herrschers verehren können; aber die Witwe des Stilicho war ihnen furchtbar; und nur zu bereitwillig lauschten sie der Stimme der Verleumdung, welche sie beschuldigte, eine geheime und verräterische Korrespondenz mit dem gotischen Feinde zu unterhalten. Durch denselben allgemeinen Irrsinn angestachelt oder in Furcht gehalten sprach der Senat, ohne den geringsten Beweis für ihre Schuld auch nur zu suchen, die Todesstrafe über sie aus. Serena wurde wie eine Verbrecherin erhängt; und die verblendete Menge musste zu ihrem Erstaunen feststellen, dass infolge dieses grausamen Unrechtes weder der unverzügliche Abzug der Barbaren noch die Befreiung Roms erfolgten. Allmählich lernte die unglückselige Stadt sogar, was Knappheit und zu ihrem Entsetzen schließlich, was eine Hungersnot bedeuten.

 

HUNGERSNOT IN ROM

Die tägliche Zuteilung von drei Pfund Brot wurde herabgesetzt auf ein halbes Pfund, ein drittel Pfund, auf gar nichts mehr; und zugleich stieg der Preis für Brotgetreide rasch und maßlos. Die ärmere Bevölkerung, außerstande zum Erwerb des Lebensnotwendigen, flehten die Reichen um Hilfe; und eine Zeitlang milderte sich die gemeine Not infolge der Großherzigkeit der Laeta, Die Mutter der Laeta hieß Pissumena; ihr Vater, ihre Familie und ihr Herkunftsland sind unbekannt. Du Cange, Familiae Byzantinae p. 59. der Witwe des Kaisers Gratian, die in Rom wohnte und die jährlichen Steuereinkünfte, die ihr die dankbaren Nachfolger ihres Mannes ermöglichten, den Armen zur Verfügung stellten. Aber diese privaten und vorübergehenden Maßnahmen reichten nicht hin, der allgemeinen Not zu steuern; und endlich drang der Hunger auch bis in die Marmorpaläste der Senatoren vor. Menschen beiderlei Geschlechtes, die zum Genuß von Wohlsein und Luxus erzogen worden waren, erfuhren, wie wenig doch zur Befriedigung natürlicher Bedürfnisse erforderlich ist; und sie brauchten ihre nutzlosen Gold- und Silbervorräte auf, um sich in Besitz der dürftigen und einfachen Nahrung zu bringen, die sie vormals mit Verachtung zurück gewiesen hätten. Noch das abstoßendste, den Sinnen widrigste und der menschlichen Gesundheit abträglichste Essen verschlangen sie mit beißendem Hunger. Es kam sogar der finstere Verdacht auf, dass einige besonders Verruchte sich von den Körpern ihrer Landsleute ernährten, die sie vorher heimlich getötet hatten; und selbst Mütter (dies war der grausame Konflikt zwischen den beiden mächtigsten Trieben, mit der die Natur den Menschen ausgestattet hat)– selbst Mütter sollen vom Fleisch ihrer toten Kinder gegessen haben! »Ad nefandos cibos erupit esurientium rabies, et sua invicem membra aniarunt dum mater non parcit lactenti infantiae; et recipit utero, quem paullo ante effuderat. « [Der Wahn zwingt die Hungernden zu grauenhafter Nahrung; gegenseitig zerfetzen sie ihre Gliedmaßen, und die Mutter verschont nicht den Säugling, den sie zuvor geboren hat]. Hieronymus, Ad principiam, Opera, Band 1, p. 121. Über die Belagerungen von Jerulalem und Paris erzählt man sich dieselben Entsetzlichkeiten. Zu letztgenanntem vergleiche man Voltaires ›Henriade‹, 10 Buch und das ›Journal de Henri IV‹, Band 1, p. 47-83 und achte darauf, wie ein ungekünstelt Tatsachenbericht viel stärker bewegt als ausführliche epische Schilderungen.

 

PEST

Tausende Römer starben in ihren Häusern oder auf den Straßen vor Hunger; und da sich die öffentlichen Grabstellen außerhalb der Mauern in den Händen der Feinde befanden, verpestete der Gestank, der von den verwesenden und unbeerdigten Leichen ausging, die Luft, und nach der Hungersnot kamen die Seuchen. Die Versprechen rascher und durchschlagender Hilfe, die der Hof zu Ravenna wiederholt nach Rom übermittelte, belebte von Zeit zu Zeit die erlahmende Widerstandskraft der Römer, bis sie schließlich an menschlicher Hilfe verzweifelten und sich bereit fanden, auf übernatürliche Kräfte zu hoffen.

 

ABERGLAUBE

Der Stadtpräfekt Pompeianuns hatte sich von einigen begabten oder fanatischen toskanischen Wahrsagern davon überzeugen lassen, dass sie mit Hilfe von geheimnisvollem Zauberwerk und allerlei Opfern die Blitze aus den Wolken ab- und gegen das Lager der Barbaren hinlenken könnten. Zosimos (5,41) spricht von diesen Vorkehrungen wie ein Grieche, der mit dem regionalen Aberglauben der Römer und der Toscana nur wenig vertraut ist. Ich vermute, dass sie zwei Teile besaß, einen geheimen und einen öffentlichen. Der Erstgenannte war vermutlich eine Nachahmung der Beschwörungsformeln, mit deren Hilfe Numa Jupiter und seinen Donner auf den Aventin herabgezogen hatte. »Quid agant laqueis, quae carmina dicant,/Quaque trahant superis sedibus arte Jovem,/Scire nefas homini.« [Was sie mit den Stricken machen, welche Lieder sie singen/mit welchen Kunstgriffen sie Jupiter auf den oberen Sitzen ziehen/das darf ein Menschenkind nicht wissen]. Die ›ancilia‹ oder Schilde des Mars, die an den Kalenden des März in feierlichem Umzug umhergetragen wurden, leiten ihre Herkunft von diesem geheimnisvollen Ereignis ab (Ovid, Fasti 3,259-398). Man wollte wohl dieses alte Fest wieder zum Leben erwecken, das unter Theodosius abgeschafft worden war. In diesem Falle erhalten wir ein chronologisches Datum, den 1. März 409, das bis dahin nicht bemerkt wurde. Diese geheime Absprache kam Innozenz, dem Bischof Roms zu Ohren; und der Nachfolger Petri wird nun, vielleicht zu Unrecht, beschuldigt, die Sicherheit der Stadt der strengen Ordnung der christlichen Gottesdienste vorgezogen zu haben. Als aber die Frage vor dem Senat verhandelt ward, als vorgeschlagen wurde, diese Opfer sollten – dies war unabdingbar – auf dem Capitol vollzogen werden, und zwar mit Billigung und in Anwesenheit des Magistrates, trug die Mehrheit dieser edelachtbaren Versammlung denn doch Bedenken, aus Furcht vor göttlicher oder kaiserlicher Ungnade, einem Vorhaben beizutreten, das de facto auf eine öffentliche Wiedereinführung des Heidentums hinausgelaufen wäre. Sozomen 9,6 lässt durchblicken, dass der Versuch tatsächlich, wenngleich ohne Erfolg, gemacht wurde; den Namen Innozenz erwähnt er allerdings nicht; und Tillemont (Mémoires ecclésiastiques, Band 10, p.645) mag nicht daran glauben, dass ein Papst sich einer solchen Gottlosigkeit könne schuldig gemacht haben.

 

ALARICH HEBT DIE BLOCKADE GEGEN EIN LÖSEGELD AUF · A.D. 409

Die letzte Hoffnung der Römer war nunmehr die Milde oder doch wenigstens die Mäßigung des Gotenkönigs. Der Senat, der in dieser Notlage die oberste Regierungsgewalt an sich genommen hatte, benannte zwei Botschafter, die mit dem Feinde verhandeln sollten. Man vertraute diese wichtige Aufgabe Basilius an, einem Senator spanischer Herkunft, der bei der Verwaltung von Provinzen sich seinen Namen gemacht hatte, sowie Johannes, dem Doyen der Notare, den besonders sein Verhandlungsgeschick und seine frühere Bekanntschaft mit dem Gotenkönig für dieses Amt qualifizierte. Als sie vorgelassen wurden, erklärten sie, vielleicht ein wenig zu hochfahrend für ihre heikle Stellung, dass die Römer in Krieg und Frieden ihre Würde zu behalten gesonnen seien; und dass sie, sollte ihnen Alarich eine ehrenhafte und anständige Kapitulation verweigern, er seine Kriegdrommeten blasen lassen und sich auf einen Verzweiflungskampf einstellen möge, den er mit einer ungezählten waffengeübten und zu allem entschlossenen Menschenmasse zu führen haben werde.

»Je dichter das Gras, desto leichter ist es zu mähen«, war die kurz angebundene Antwort des Barbaren; und diese ländlich-derbe Metapher wurde von einer grölenden Lachsalve begleitet, mit der er seine Verachtung für die Anmaßung eines unkriegerischen Volkes ausdrückte, das durch Luxus schlaff geworden war, bevor sie der Hunger völlig entkräftet hatte. Dann zeigte er sich geneigt, den Preis zu nennen, den er sich für seinen Abzug bezahlen lassen wollte: alles Gold und alles Silber in der Stadt, ob es sich nun im Staats- oder Privatbesitz befinde; alle wertvolle bewegliche Habe; und alle Sklaven, die nachweisen könnten, dass sie Barbaren seien. Die Abgesandten des Senates unternahmen es, in bescheidenem und demütigem Tone zu fragen, »Wenn dies, o König, dein Begehr ist: was willst du uns dann noch lassen?« » Das nackte Leben,« so der hochfahrende Sieger: die Römer erschauderten und entfernten sich.

Indessen, bevor sie sich zurückzogen, wurde noch eine kurze Waffenruhe verabredet, die Gelegenheit zu ferneren Verhandlungen gab. Alarichs harte Bedingungen wurden unmerklich abgemildert; in vielen Einzelheiten gab er nach; und schließlich erklärte er sich zur Aufhebung der Belagerung bereit gegen die sofortige Zahlung von fünftausend Pfund Gold, dreißigtausend Pfund Silber, viertausend Seidenroben und dreitausend scharlachfarbigen Kleidungsstücken sowie dreitausend Pfund Pfeffer. Pfeffer war die beliebteste Zutat der sehr kostspieligen römischen Küche, und die beste Sorte hatte einen Preis von fünfzehn Denar oder zehn Schilling pro Pfund (Plinius, Naturalis historia 12,14). Er stammte aus Indien; und noch heute liefert dasselbe Land, die Küste von Malibar, Unmengen davon: aber die Verbesserung des Handels und der Seefahrt haben die angelieferte Menge vergrößert und den Preis vermindert. Siehe Raynal, Histoire politique et philosophique des deux Indes, Band 1, p. 457. Aber der Staatsschatz war erschöpft; die jährlichen Abgaben der großen italischen Ländereien und der Provinzen waren infolge des Krieges ausgeblieben; Gold und Edelsteine hatte man während der Hungerszeit für elementare Bedürfnisse ausgegeben; Habgier hielt verheimlichten Reichtum auch jetzt noch verborgen; und nur einige heilige Beutestücke waren die einzige Quelle, den drohenden Untergang der Stadt abzuwenden.

Sobald die Römer Alarichs räuberische Forderungen erfüllt hatten, konnte sie sich in gewissen Umfang wieder an Überfluss und Reichtum erfreuen. Einige Tore wurden vorsichtig geöffnet; die Goten hinderten die Zufuhr von Lebensmittel aus der Umgebung und vom Fluss her nicht länger; die Bürger gingen zu den Märkten, welche in den Vorstädten drei Tage lang abgehalten wurden; und während noch die Kaufleute bei diesem einträglichen Handel sich beachtlichen Gewinstes erfreuten, wurde die künftige Versorgung der Stadt durch große Vorräte sichergestellt, die man in öffentlichen und privaten Kornhäusern anlegte.

Im Lager Alarichs beobachtete man währenddessen eine straffere Disziplin, als man hätte erwarten dürfen; und seine Vertragstreue bewährte der weise Gotenkönig durch die angemessene Strenge, mit er einen Haufen marodierender Goten bestrafte, die einige römische Bürger auf der Straße nach Ostia geplündert hatten. Die eigentliche Armee, bereichert durch das Lösegeld der Stadt Rom, verzog sich allgemach in die liebliche und fruchtbare Toskana, wo er das Winterquartier aufschlagen wollte; zugleich wurde die Fahne der Goten zum Fluchtpunkt von vierzigtausend Barbaren-Sklaven, welche ihre Ketten abgeschüttelt hatten und sich nun unter der Führung ihres großen Befreiers für das Unrecht und die Entbehrungen ihrer grausamen Knechtschaft schadlos zu halten hofften. Etwa um diese Zeit erhielt er auch eine etwas ehrenhaftere Verstärkung durch die Hunnen und Goten, die sein Schwager Adolphus Dieser gotische Stammeshäuptling heißt bei Jordanes und Isidor Athaulphus; bei Zosimos und Orosius Ataulphus und bei Olympiodoros Adaulphus. Ich selbst habe mich für die berühmte Form Adolphus entschieden, was durch die Praxis der Schweden, den Brüdern und Söhnen der antiken Goten, gerechtfertigt scheint. auf seine dringenden Vorstellungen vom Donau- an das Tiberufer geführt hatte und die sich nicht ohne Schwierigkeiten und Verluste ihren Weg durch die zahlenmäßig überlegenen kaiserlichen Truppen gebahnt hatten. Nun stand also an der Spitze von fünfhunderttausend waffenfähigen Kriegern ein siegreicher Häuptling, der in sich den barbarischen Wagemut mit der geschulten Disziplin des römischen Generals vereinte; und Alarichs furchtbarer Name wurde in Italien nur noch mit Schrecken und Scheu genannt. Der Friedensvertrag zwischen Alarich und Rom ist Zosimos 5,42 und 42 entnommen. Weitere Einzelheiten werden hier nicht aufgenommen, da es nur wenige und belanglose sind.

 

VERGEBLICHE FRIEDENSVERHANDLUNGEN

Heute, im Abstand von vierzehn Jahrhunderten, könnten wir uns damit begnügen, die militärischen Unternehmungen von Roms Bezwinger zu berichten und davon Abstand nehmen, die Motive für sein politisches Handeln zu untersuchen. Inmitten seines offenkundigen Siegeslaufes war sich Alarich einiger geheimer Schwächen, einiger interner Risiken bewusst; vielleicht auch diente die von ihm beobachtete Mäßigung nur der Täuschung und Einlullung der arglosen Minister des Honorius. Wiederholt erklärte der Gotenkönig sein Verlangen, als Freund des Friedens und der Römer zu gelten.

Drei Senatoren wurden auf sein dringendes Ersuchen als Botschafter an den Hof von Ravenna gesandt, um dort den Austausch von Geiseln und den Abschluss von Friedensverträgen zu betreiben; und die Vorschläge, die er im Laufe der Verhandlungen zu erkennen gab, ließen nur deshalb Zweifel an seiner Aufrichtigkeit aufkeimen, weil sie so gar nicht zu seiner augenblicklichen Machtstellung zu passen schienen. Nach wie vor war der Barbar um den Posten eines Heermeisters des Westens bemüht; er verlangte ferner jährliche Getreide- und Geldlieferungen; und als Gebiet für sein neues Königreich wählte er Dalmatien, Noricum und Venetien, von wo aus er die wichtige Verbindung zwischen Italien und der Donau beherrscht hätte. Hätte man diese bescheidenen Forderungen abschlägig beschieden, dann hätte Alarich sich bereit gefunden, die ihn persönlich betreffenden Forderungen zurück zu nehmen und sich mit der Herrschaft über Noricum zufrieden zu geben: ein ausgeplünderter, verarmter Landstrich, beständig den Angriffen der germanischen Barbaren ausgesetzt. Zosimos 5,48. Aber alle Friedenshoffnungen gingen zuschanden an der erbärmlichen Widersetzlichkeit oder den persönlichen Interessen des Ministers Olympios.

Ohne sich die vernünftigen Vorschläge des Senates überhaupt nur angehört zu haben, schickte er dessen Gesandtschaft in Begleitung einer militärischen Eskorte fort, welche für ein Ehrengeleit zu üppig und für eine reguläre Verteidigungsarmee zu schwach war. Sechstausend Dalmatier, die Blüte der kaiserlichen Armee, ließ man nach Rom mitten durch das offene, von einem furchtbaren Feinde besetzte Land marschieren. Diese wackeren Legionäre, verraten und umzingelt, wurden ein Opfer ministerieller Dummheit; ihr Befehlshaber Valens entkam mit einhundert Soldaten vom Schlachtfeld; und einer der Gesandten, der sich nun nicht mehr auf das Völkerrecht berufen konnte, musste sich seine Freiheit gegen ein Lösegeld von dreißigtausend Goldstücken erkaufen. Aber anstelle dass Alarich diese ohnmächtige Gebärde der Feindseligkeit übel aufgenommen hätte, erneuerte er sogar seine Friedensangebote; und die zweite Gesandtschaft des römischen Senates, welche durch die Anwesenheit des städtischen Bischofs Innozenz an Würde und Bedeutung gewonnen hatte, erfreute sich auf ihrem gefahrvollen Wege sogar der Bewachung durch ein Detachement gotischer Krieger. Zosimos, 5,45. Der Bischof verblieb in Ravenna und entzog sich so den drohenden Kalamitäten Roms. Orosius, 7,39.

 

NEUE MINISTER ERNANNT

Olympios Zu den Abenteuern des Olympios und seiner Amtsnachfolger siehe Zosimos 5,45ff und Olympiodoros, bei Photios p.180. hätte nun damit fortfahren können, die berechtigten Klagen des Volks, das ihn lauthals für die allgemeine Notlage verantwortlich machte, zu ignorieren; aber seine Macht war durch Hofintrigen mittlerweile unterhöhlt worden. Die Eunuchen, deren Einfluss alles entschied, hatten die Herrschaft über Honorius und das Reich dem Reichpräfekten Jovius übertragen: eine elende Kreatur, der für die Dummheiten und Fehler seiner Verwaltung nicht durch persönliche Vorzüge entschädigte. Das Exil oder besser die Flucht des schuldbeladenen Olympios sparte ihn für weitere Wechselfälle des Schicksals auf: er durchlebte ein abenteuerliches Wanderleben; kam erneut zur Macht; fiel erneut in Ungnade; die Ohren wurden ihm abgeschnitten; er wurde zu Tode gepeitscht; und zumindest für die Freunde des Stilicho war sein schmachvolles Ende ein erfreuliches Erlebnis.

Nach dem Ende des Olympios, dessen ganzes Wesen durch religiösen Fanatismus eingenebelt war, wurde für Heiden und Häretiker das unkluge Verbot aufgehoben, durch welches sie von staatlichen Ehrenstellungen ausgeschlossen worden waren. Den wackere Gennerid, Zosimos (5,46) erzählt diese Begebenheit mit sichtlichem Behagen und feiert in Gennerid den letzten aufrechten Vertreter des untergehenden Heidentums. Deutlich verschieden davon waren die Befunde des Konzils von Karthago, welches vier Bischöfe an den Hof zu Ravenna entsandte, um Beschwerde gegen das jüngst erlassene Gesetz einzulegen, dass jede Konversion zum Christentum nur aus freien Stücken geschehen dürfe. Siehe Baronius, Annales ecclesiastici, A.D. 409, Nr 12 und A.D. 410, Nr 47f. einen Krieger ausländischer Herkunft, der nach wie vor die Götter seiner Väter anbetete, hatte man genötigt, sich seines militärischen Ranges zu entledigen; und obgleich der Kaiser ihm wiederholt versicherte, dass die Gesetze nicht für Personen seines Ranges und seiner Verdienste gemacht seien, weigerte er sich gleichwohl, jede nur teilweise Entschuldigung anzunehmen und verblieb solange in ehrenhafter Ungnade, bis er von den Vorwürfen von der römische Regierung durch einen offiziellen Rechtsakt gereinigt war.

Gennerids Verhalten in der bedeutenden Stellung eines Heermeisters von Dalmatien, Pannonien, Noricum und Rhaetien, in die man ihn befördert bzw wieder eingesetzt hatte, schien die Ordnung und den Geist der Republik neu zu beleben. Seine Truppen, die bis dahin in Trägheit und bei knappster Ration gelebt hatten, gewöhnten sich rasch wieder an scharfen Drill und ausreichende Verpflegung; seine private Großzügigkeit half oftmals aus, wenn die Knickerigkeit oder sogar echter Mangel am Hofe zu Ravenna es an Belohnungen fehlen ließen. Gennerids Stärke, die den benachbarten Barbarenstämmen furchtbar war, bildete das zuverlässigste Bollwerk an der illyrischen Grenze; und er verhalf rasch entschlossen dem Reich zu einer Verstärkung von zehntausend Hunnen, welche an Italiens Grenze ankamen mit dermaßen viel Vorräten sowie Rinder- und Schafsherden, dass hiermit nicht nur eine Armee auf dem Feldzug begleitet, sondern eine ganze Kolonie hätte begründet werden können.

Nur der Hof und die Ratgeber des Honorius blieben nach wie vor ein Ort erbärmlicher Schwäche, der Korruption und der Führungslosigkeit. Angestachelt durch den Praefekten Jovius begannen die Leibgarden mit einer Meuterei und verlangten den Kopf zweier Generäle und der beiden einflussreichsten Eunuchen. Die beiden Generäle wurden unter trügerischen Sicherheitsversprechen an Bord eines Schiffes geschickt und heimlich ermordet, während die beiden Eunuchen aufgrund ihrer Beziehungen mit einem milden, fast schon albernen Exil in Mailand davonkamen. Nachfolger als Meister des Schlafgemaches und der Wache wurden Eusebius, der Eunuch und Allobich, der Barbar; und der gegenseitige Argwohn dieser beiden nachgeordneten Staatsdiener wurde zur Ursache dafür, dass sie sich gegenseitig den Untergang bereiteten. Aufgrund des wahnwitzigen Befehles des Haushofmeisters wurde der große Kammherr vor den Augen der verblüfften Majestät mit Stöcken zu Tode geprügelt; und die anschließende Ermordung des Allobich inmitten einer öffentlichen Prozession war die einzige Gelegenheit in seinem ganzen Leben, bei der Honorius Ansätze zu Mut und Zorn erahnen ließ.

Und doch trugen vor ihrem Untergang, Eusebius und Allorich das Ihre zum Untergang der Republik bei, indem sie einen Vertrag hintertrieben, den Jovius aus eigennützigen, vielleicht sogar kriminellen Motiven mit Alarich in persönlichen Unterhandlungen unter den Mauern von Rimini ausgehandelt hatte. Man hatte den Herrscher überredet, während der Abwesenheit des Jovius den hohen Tonfall unerschütteter Würde anzunehmen, zu der ihm weder seine gegenwärtige Lage noch sein Charakter die rechte Handhabe bot: ein mit dem Namen des Honorius unterzeichneter Brief wurde unverzüglich an den Prätorianerpräfekten abgesandt, in welchem ihm freie Verfügungsgewalt über die Reichfinanzen eingeräumt, zugleich aber das strenge Verbot ausgesprochen wurde, Roms militärische Ehrenstellen den kecken Begehrlichkeiten der Barbaren aufzuopfern.

Der Brief wurde, töricht genug, Alarich persönlich zugestellt; und der Gote, der sich während der ganzen Verhandlung mäßig und besonnen gezeigt hatte, äußerte nunmehr mit gewürzten Wendungen seinen Zorn über die Beleidigungen, die man ihm und seinem Volke so mutwillig angetan habe. Die Konferenz von Rimini wurde ohne Verzug aufgehoben; und nach seiner Rückkehr in Ravenna sah sich der Präfekt genötigt, sich die herrschenden Ansichten des Hofes zu Eigen zu machen, ja, sie zu fördern. Auf seinen Rat und nach seinem Vorbild mussten die führenden Hofbeamten den Eid leisten, dass sie sich unter allen Umständen und zu allen Friedenbedingungen in dauerhaftem Kriegszustande gegen die Feinde des Reiches befänden. Dies war für alle künftigen Verhandlungen ein unüberwindbares Hemmnis. Man hörte die Minister des Honorius sagen, dass sie, wenn sie nur die Gottheit angerufen hätten, die öffentliche Sicherheit und ihr Seelenheil der Gnade des Himmels anvertraut hätten; nun aber hätten sie auf das heilige Haupt des Kaisers selbst ihren Eid geleistet; in ernster Zeremonie hätten sie den Erhabenen Thron der Majestät und der Weisheit berührt; und die Verletzung dieses Eides würde sie der weltlichen Strafe für Gotteslästerung und Rebellion aussetzen. Zosimos 5,48 und 49. Dieser Brauch, bei des Herrschers Haupte, Leben, Sicherheit oder Genius zu schwören, war in Ägypten (Genesis 42,5) und Skythien seit Alters üblich. Schmeichelei übertrug ihn auch auf die Caesaren; und Tertullian beklagt sich darüber, dass dies der einzige Eid sei, den die Römer seiner Zeit überhaupt noch ernst nahmen. Siehe die schöne Studie des Abbé Guillaume Massien über die Eide der Antike in den Mémoires de l'Academie des Inscriptions, Band 1, (1736), p. 208.

 

ZWEITE BELAGERUNG ROMS DURCH DIE GOTEN · A.D. 409

Während der Kaiser und sein Hof sich mit albernem Stolz der Sicherheit und der Sümpfe Ravennas erfreuten, überließen sie Rom praktisch schutzlos Alarichs Rachegelüsten. Aber immer noch besaß er soviel Mäßigung, oder gab vor, sie zu besitzen, dass er während seines Marsches auf der Via Flaminia beständig die Bischöfe der italischen Städte entsandte, seine Friedensangebote zu wiederholen und den Herrscher zu beschwören, er könne die Stadt retten und ihre Einwohner vor feindlichem Feuer und Schwert bewahren. Zosimos 5,50. Ich habe die Ausdrücke Alarichs abgemildert, welcher sich über die Geschichte Roms auf zu üppige Weise auslässt. Diese drohenden Kalamitäten wurden jedoch abgewendet, aber nicht durch die Weisheit des Honorius, sondern die Klugheit oder Humanität des Gotenkönigs; welcher eine sanftere, obschon durchaus nicht minder effektive Art des Eroberns praktizierte. Anstelle die Stadt berennen zu lassen, richtete er erfolgreich seine Anstrengungen gegen den Hafen von Ostia, eines der kühnsten und erstaunlichsten Werke römischer Größe. Siehe Sueton, Claudius 20; Cassius Dio 60,11 und Juvenals lebhafte Beschreibung Saturae 12,75ff. Noch im XVI Jhdt. konnte man die Überreste dieser Hafenanlage aus augusteischer Zeit besichtigen, und Altertumswissenschaftler haben den Grundriss mit Entzücken gezeichnet (siehe d'Anville in den Mémoires de lAcadémie des Inscriptions Band 30, 1764, p. 198) sowie mit Nachdruck hervorgehoben, dass alle gekrönten Häupter Europas außerstande seien, ein so großes Werk zu vollenden (Berger, Histoire des grands Chemins, Band 2, p.356). Die Zufälligkeiten, denen die heikle Versorgung der Stadt während der erschwerten Winterseefahrt und auf den ungeschützten Landstraßen beständig ausgesetzt war, hatten dem Genius des ersten Caesar einen Plan eingegeben, welcher dann unter Claudius exekutiert wurde. Die künstlichen Molen, die weit im Meer eine enge Einfahrt und zugleich wirkungsvolle Wellenbrecher bildeten, während noch die größten Frachtschiffe sicher in einem der drei großen Hafenbecken vor Anker lagen, reichten bis zum Nordarm des Tiber, etwa zwei Meilen von der alten Kolone Ostia entfernt Die Ostia Tiberina (siehe Cluver, Italia antiqua, Buch 3, p. 870-879), im Plural die beiden Tibermündungsarme, wurden durch das Heilige Eiland getrennt, ein gleichseitiges Dreieck, deren zwei Seiten mit jeweils etwa zwei Meilen berechnet wurden. Die Kolone Ostia wurde unmittelbar unterhalb der linken oder südlichen Mündung angelegt, und der Hafen unmittelbar neben dem rechten oder nördlichen Flussarm; die Entfernung zwischen ihren Ruinenstätten beträgt etwas mehr als zwei Meilen auf der Landkarte von Cingolani. In Strabos Zeiten hatten der Sand und der Schlamm des Tiber den Hafen von Ostia verstopft; aus dem gleichen Grunde hatte sich auch das Aussehen der Heiligen Insel verändert und Ostia und den Hafen in eine beträchtliche Entfernung von der Küste gerückt. Die trocken gefallenen Wasserstraßen ( fiumi morti) und die großen Flussmündungen ( stagni die Ponente, di Levante) legen von dem geänderten Flusslauf und der Wirkung der See Zeugnis ab. Über den gegenwärtigen Zustand dieses verödeten Landstriches informieren die vorzügliche Karte des Kirchenstaates aus der Hand der Mathematiker Benedikts XIV., die neuerliche Übersicht des ›Agro Romano‹ von Cingolani in sechs Blatt, der 113.89 rubia (ca. 370.000 acres) umfasst und die topographische Karte von Ameti in acht Blatt.. Aus dem römischen Hafen wurde allgemach ein Bischofssitz, Bereits im III. (Lardner, Credibility of the Gospel, Teil 2, Band 3, p. 89-92), spätestens im IV. Jhdt. wurde der Hafen zu einem Bischofssitz, welcher vermutlich im IX. Jhdt von Papst Gregor IV während der Arabereinfälle zerstört wurde. Heute besteht er nur noch aus einer Kneipe, einer Kirche und dem Palast eines Bischofs, welcher immerhin einer der sechs Kardinalbischöfe der römischen Kirche ist. (Siehe Eschinardi, Descrizione di Roma e dell'Agro Romano, p. 328. in welchem das für die Hauptstadt bestimmte Korn in großen Getreidespeichern gelagert wurde.

Sobald Alarich diesen wichtigen Ort besetzt hatte, bot er der Stadt an, sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben, und bekräftigte dieses Angebot durch die nachdrückliche Erklärung, dass im Falle einer Weigerung oder auch nur einer Verzögerung er im Gegenzug die Magazine zerstören werde, von denen das Leben der römischen Bevölkerung abhing. Der Lärm, den das Volk daraufhin schlug und die schrecklichen Gedanken an den Hunger waren angetan, den Stolz des Senates zu neigen; auch hörten sie ohne Dünkel auf den Vorschlag, anstelle des völlig unfähigen Honorius einen anderen Herrscher zu installieren; die Wahl des Gotenkönigs fiel auf Attalus, den Stadtpräfekten. Unverzüglich anerkannte der Herrscher in seiner Dankbarkeit Alarich als Heermeister des Westens; Adolphus im Range des Haushofmeisters übernahm die Aufsicht über Attalus; und so schienen die beiden feindlichen Völker durch das Band der Freundschaft und Allianz einander herzlich zugetan. Zur Erhebnung des Attalus siehe: Zosimos 5,7; Sozomen 9,8 und 9; Olympiodoros bei Photios p. 180, 181;Philostorgos 12,3, und Gothofred, Dissertationes, p. 470.

 

ATTALUS

Die Stadttore wurden geöffnet, und Roms neuer Herrscher wurde in Begleitung gotischer Krieger mit viel Geräusch zum Palast des Augustus und Trajan geführt. Nachdem Attalus unter seinen Günstlingen und Freunden die zivilen und militärischen Ehrenstellen verteilt hatte, besuchte er eine Senatsversammlung; hier verkündeter er in sachlicher und doch bilderreicher Rede seine Entschlossenheit, die Würde des Reiches wieder herzustellen und die Provinzen Ägyptens und des Ostens, die einst Rom gehorcht hatten, dem Imperium neuerlich einzuverleiben.

Diese ausschweifenden Versprechungen erfüllten jeden nachdenkenden Bürger mit berechtigter Verachtung für das unkriegerische Gemüt dieses Herrschers, dessen Wahl zum Kaiser der Republik der bisher tiefste und schmachvollste Tort gewesen war, die die dreisten Barbaren dem Staat jemals angetan hatten. Das Volk indessen klatschte mit der üblichen Gedankenlosigkeit ihrem neuen Herren Beifall. Die öffentliche Diskussion war dem Rivalen des Honorius durchaus günstig; und die Sekten, die durch seine repressiven Erlasse einiges auszustehen gehabt hatten, erhofften sich von dem neuen Herrscher einiges an Wohlwollen oder doch wenigstens Toleranz, war er doch in seiner ionischen Heimat im heidnischen Aberglauben aufgewachsen und hatte die Taufe von einem arianischen Bischof empfangen. Wir schließen uns den Beweisen des Sozomenos für die arianische Taufe des Attalus und denen des Philostorgios für seine heidnische Erziehung an. Zosimos' sichtliche Freude und das Missvergnügen, mit der er die Familie der Anicier bedenkt, werfen auf das Christentum des neuen Herrschers ein ungünstiges Licht..

Die ersten Regierungstage des Attalus ließen sich schön und verheißungsvoll an. Ein General seines Vertrauens wurde mit einem beachtlichen Truppenkontingent abgesandt, Afrikas Gehorsam zu erneuern; Italien unterwarf sich größtenteils der gotischen Macht; und wenn auch Bologna heftigen und wirkungsvollen Einspruch erhob, begrüßte Mailands Bevölkerung, vermutlich missgestimmt durch die dauernde Abwesenheit des Honorius, lauthals die Wahl des römischen Senats. An der Spitze einer bedrohlichen Armee zog Alarich mit seinem königlichen Gefangenen bis vor die Tore von Ravenna; und eine würdige Gesandtschaft der wichtigsten Minister, des Reichspräfekten Jovius, des Infanterie- und Kavalleriegener Valens, des Quaestors Potamius und des Rechtsgelehrten Julian wurde mit militärischem Pomp ins Lager geleitet. Im Namen ihres Herren anerkannten sie übereinstimmend die rechtmäßige Wahl seines Mitbewerbers und schlugen eine Teilung der westlichen Provinzen und Italiens unter die beiden Herrscher vor.

Ihre Vorschläge wurden mit Verachtung vermerkt und zurück gewiesen; und diese Ablehnung wurde durch des Attalus beleidigende Milde zusätzlich verschärft, der sich zu der Zusicherung verstieg, dass Honorius, sollte er unverzüglich den Purpur ablegen, den Rest seines Lebens in friedlichem, wenngleich entlegenem Exil verbringen dürfe. Er ging in seiner Überheblichkeit so weit, dass er verkündete, er werde Honorius noch vor seiner Verbannung verstümmeln lassen. Doch mit unparteiischem Zeugnis wird diese Behauptung des Zosimos von Olympiodoros widerlegt, der diesen brutalen Vorschlag (Attalus verwarf ihn mit Entschiedenheit) der Niedertracht und Verräterei des Iovius anlastet. So aussichtslos indessen erschien die Lage von Theodosius' Sohn denen, die mit seiner Macht und seinen Möglichkeiten am besten vertraut waren, dass sein Minister und sein General, Jovius und Valens, ihm die Treue aufkündigten, das sinkende Schiff ihres Wohltäters verließen und seinem glücklicheren Rivalen ihre Dienste anboten. Erschüttert durch diese Beispiele heimischen Verrats erbebte Honorius beim Herannahen jeden Dieners und bei der Ankunft eines jeden Boten. Er entsetzte sich vor geheimen Feinden, die ihn in seiner Hauptstadt, seinem Palast, seinem Schlafgemach beschleichen mochten; und Schiffe lagen seeklar im Hafen von Ravenna, den abgesetzten Herrscher zu seinem unmündigen Neffen, dem Kaiser des Ostens, zu verbringen.

 

SEINE ABSETZUNG DURCH ALARICH · A.D. 410

Aber es gibt eine Vorsehung, und diese wacht über die Torheit und die Unschuld (dies wenigstens war die Auffassung des Historikers Procopius; Prokopius, De bello Vandalico 1,2. und die Ansprüche, die Honorius an ihre besondere Fürsorge stellte, kann nicht ernsthaft in Frage gestellt werden. In dem Augenblick, als er, unzugänglich irgendwelchen Vernunftgründen, schmachvolle Flucht erwog, landeten unerwartet, aber rechtzeitig viertausend Veteranen im Hafen von Ravenna. Diesen streitbaren Fremdlingen, die trotz aller Hofkabalen noch nicht die Seite gewechselt hatten, vertraute er Mauern und Tore der Stadt an; und so ward des Herrschers Schlummer nicht länger durch die Furcht vor äußeren oder inneren Feinden beunruhigt. Glückhafte Zeitung aus Afrika wirkte sich ebenfalls erhebend auf die Gemütslage des Volkes und die Politik aus. Die Truppen, die Attalus in jene Provinz entsandt hatte, wurden besiegt und aufgerieben; Heraclianus' tätiger Eifer bewies seine und des Volkes Treue gegenüber dem rechtmäßigen Herrscher. Der getreue comes von Afrika übersandte eine beträchtliche Summe Geldes, welches die Ergebenheit der kaiserlichen Garde festigte; und sein Eifer, den er bei der Verhinderung von Öl- und Getreideexporten an den Tag legte, war Anlass für Hungerunruhen in Rom.

Der fehlgeschlagene Afrikafeldzug wurde zur Quelle gegenseitiger Beschuldigungen innerhalb der Partei des Attalus; und sein Gönner entfremdete sich unmerklich der Sache eines Herrschers, dem es zum Befehlen an Stärke und zum Gehorchen an Lenksamkeit fehlte. Die dümmsten Maßnahmen wurden ohne Wissen oder sogar gegen den ausdrücklichen Rat des Alarich ergriffen; und die hartnäckige Weigerung der Senatoren, der Einschiffung von nur fünfhundert Goten zuzustimmen, verriet eine argwöhnische und misstrauische Gesinnung, welche in ihrer augenblicklichen Situation weder angemessen noch besonders klug war. Den ganz besonderen Zorn des Gotenkönigs riefen die bösartigen Schliche des Jovius hervor, welchen man in den Patrizierrang erhoben hatte und der hernach seine doppelte Treulosigkeit ohne zu erröten mit der Erklärung exkulpierte, dass er seinen Dienst bei Honorius nur zum Scheine aufgekündigt habe, um den Untergang des Thronräubers dadurch umso wirkungsvoller vorantreiben zu können.

In einer großen Ebene bei Rimini und in Gegenwart ungezählter Römer und Barbaren wurde der unglückselige Attalus öffentlich seines Purpurs und seines Diadems entkleidet; und diese Königsinsignien ließ anschließend Alarich als ein Unterpfand für Frieden und Freundschaft dem Sohne des Theodosius zukommen. Zu Ursache und Begleitumständen des Falles von Attalus siehe: Zosimos, 6,12; Sozomenos 9,8 und Philostorgios 12,3. Die beiden Amnestiegesetze des Codex Theodosianus (9,38,11 und 12), verkündet am 12. Februar und 8. August A.D. 410, bezogen sich eindeutig auf diesen Usurpator. Die Offiziere, die zu ihrer Fahne zurück kehrten, wurden in ihrer Stellung weiter beschäftigt, und selbst eine verspätete Reue galt noch als Verdienst; aber der abgesetzte Herrscher der Römer, der am Leben hing und doch für seine Lage unempfänglich war, bat um Erlaubnis, sich der Sache der Goten im Trosse ihres stolzen und launischen Anführers anschließen zu dürfen. »In hoc, Alaricus, imperatore, facto, infecto, refecto, ac defecto ... mimum risit, et ludum spectavit imperii.« (In einem Augenblick hatte Alarich einen Kaiser ernannt, abgesetzt, neu eingesetzt, fallen gelassen; lachte übe die Komödie und beschaute sich das Schauspiel seiner eigenen Herrschaft). Orosius 7,42.

 

DRITTE BELAGERUNG UND PLÜNDERUNG ROMS 24. AUGUST 410

Durch die Absetzung des Attalus war das einzige nennenswerte Friedenshindernis beseitigt; und Alarich rückte bis drei Meilen vor Ravenna, um die Unentschlossenheit der kaiserlichen Minister zu beenden, deren Dreistigkeit zunahm, als ihr Glück zurückkehrte. Seine Empörung wuchs noch bei der Nachricht, dass Sarus, ein gegnerischer Stammeshäuptling, persönlicher Feind von Adolphus und Erbfeind der Balti, im Palast freundliche Aufnahme gefunden habe. An der Spitze von dreihundert unerschrockenen Kriegern macht der kühne Barbar vor Ravenna einen Ausfall, überrumpelte ein beträchtliches Kontingent von Goten, metzelte es nieder, kehrte im Triumph in die Stadt zurück und durfte seinem Gegner den Tort antun, durch die Stimme des Heroldes öffentlich verkünden zu lassen, dass die Schuld des Alarich ihn für alle Zeiten von kaiserlicher Freundschaft und Allianz ausschließe.

Für diese kriminelle Dummheit des Hofes zu Ravenna musste Rom ein drittes Mal büßen. Zosimos, 6,13; Sozomenos 9,9; Philostorgios, 12,3.. An dieser Stelle ist die Textüberlieferung bei Zosimos verderbt und der Rest des 6. und letzten Buches, das mit der Plünderung Roms endete, ist verloren. Mag er auch noch so arglos und parteiisch sein, wir müssen uns jetzt nicht ohne einiges Bedauern von diesem Historiker verabschieden. Der Gotenkönig, außerstande, seine Rache- und Beutegier länger zu verhehlen, erschien in Waffen unter den Mauern der Hauptstadt; und der Senat, bebend und ohne Hoffnung auf Entsatz, bereitete sich vor, durch verzweifelten Widerstand den Untergang ihrer Heimat hinaus zu zögern. Aber gegen die heimlichen Abmachungen ihrer Sklaven und Domestiken zeigten sie sich unvorbereitet, welche sich, sei es aus Eigeninteresse oder wegen ihrer Herkunft, der Sache des Feindes anschlossen. Zu mitternächtlicher Stunde wurde die Porta Salaria heimlich geöffnet, und die Einwohner wurden aus dem Schlafe emporgeschreckt durch das grässliche Getöne der gotischen Kriegsdrommeten. Elfhundertdreiundsechzig Jahre nach der Gründung Roms war die Kaiserstadt, welche fast die ganze Menschheit unterworfen und zivilisiert hatte, der Zerstörungswut germanischer und skythischer Stämme ausgeliefert. »Adest Alaricus, trepidam Romam obsidet, turbat, irrumpit.« [Alarich naht, belagert das bebende Rom, verwirrt es, fällt ein]. Orosius 7,39. Er fasst dieses Großereignis in sieben Worte; aber er benötigt ganze Seiten, die Frömmigkeit der Goten zu rühmen. Ich habe aus einer unglaubwürdigen Darstellung des Prokopios die Umstände gesammelt, welche wenigstens einen Anflug von Wahrscheinlichkeit für sich haben. Prokopios, De bello Vandalico 1,2. Er vermutet, dass die Stadt überrumpelt wurde, als die Senatoren ihr Mittagsschläfchen hielten; Hieronymus hingegen versichert mit viel Nachdruck, das es nachts geschah: »nocte Moab capta est; nocte cecidit murus eius.« [Nachts wurde Moab genommen, nachts fiel seine Mauer]. Ad Principiam, Opera Band 1, p.121.

 

GOTEN SCHONEN DIE CHRISTEN

Die Proklamation Alarichs beim gewaltsamen Eindringen in die besiegte Stadt lässt indessen Respekt vor den Gesetzen der Humanität und Religion erkennen. Zwar ermunterte er seine Leute, sich die Belohnung der Sieger zu ergreifen und sich am Gut der wohlhabenden und verweichlichten Römer zu bereichern; zugleich aber ermahnte er sie, das Leben derer zu schonen, die sich stille verhielten und die Kirchen der Apostel Petrus und Paulus zu respektieren, da es nun einmal heilige und unverletzliche Gotteshäuser seien. Inmitten der Schrecknisse dieses nächtlichen Tumultes ließen einige christliche Goten den Eifer der erst kürzlich Konvertierten erkennen; und mehrere Beispiele für deren untypische Mäßigung werden von eifrigen Kirchenschriftstellern überliefert. Orosius (7,39) rühmt die Frömmigkeit der christlichen Goten und übersieht dabei, dass die meisten von ihnen arianische Ketzer waren. Jordanes und Isidor von Sevilla, die beide der Sache der Goten zugetan waren, haben diese Erbauungsfabeln öfters wiederholt und ausgeschmückt. Glaubt man Isidor, dann soll Alarich selbst gesagt haben, er führe den Krieg gegen die Römer, aber nicht gegen die Apostel. Dies war so der Stil des VII. Jhdts; zweihundert Jahre zuvor hätte man Ruhm und Verdienst nicht den Aposteln zugeschrieben, sondern Christus.

Während die Barbaren, gierig nach Beute, durch die Stadt marodierten, wurde die schlichte Behausung einer alternden Jungfrau, die ihr Leben dem Altardienst gewidmet hatte, von einem riesigen Goten gewaltsam geöffnet. Er verlangte, wenngleich in gesetzter Sprache, alles in ihrem Besitz befindliche Gold und Silber; und erstaunte darüber, wie bereitwillig sie ihn zu einem wahren Hort von Gegenständen aus den wertvollstem Materialien in der schönster Ausführung brachte. Der Barbar gaffte mit Staunen und Entzücken auf diese wertvolle Sammlung, als ihn eine ernstliche Ermahnung unterbrach, die an ihn erging mit folgenden Worten: »Dieses,« sprach sie »sind heilige Gefäße, die St. Peter geweiht sind; solltest du wagen, sie auch nur anzufassen, dann wird diese Freveltat immer in deinem Gewissen bleiben. Ich für meinen Teil wage nicht, das zu behalten, was ich außerstande bin zu verteidigen.«

Der Hauptmann der Goten, plötzlich von einem heiligen Schauer durchrieselt, ließ dem König Nachricht zukommen von dem Schatz, den er gefunden hatte; und erhielt von Alarich den strenggehaltenen Befehl, alle geweihten Pokale und Schmuckstücke sollten unverzüglich und unversehrt in die Kirche der Apostel verbracht werden. So zog wohl vom einem Ende der Stadt, etwa dem Quirinal, in das abgelegene Viertel des Vatikan ein starkes Detachement Goten in Schlachtordnung durch die Hauptstraßen, wo sie mit blinkenden Waffen dem langen Zuge ihrer gottesfürchtigen Gefährten Geleitschutz gaben, welche auf ihren Häuptern das geweihte Geschirr aus Gold und Silber trugen; und das kriegerische Lärmen der Barbaren ward untermischt von den Klängen frommer Hymnen. Aus allen umliegenden Häusern eilte die Christenheit herzu, diese erbauliche Prozession zu verstärken; und die Masse der Flüchtlinge war glücklich, ohne Unterschied des Alters, der Stellung, ja sogar der Sektenzugehörigkeit, in dem sicheren und gastfreundlichen Heiligtum des Vatikans Zuflucht zu finden.

Der gelehrte Augustinus verfasste das Werk vom Gottesstaat erklärtermaßen, um die Wege der Vorsehung am Beispiel des Unterganges römischer Größe zu rechtfertigen. Er rühmt, sichtlich zufrieden, diesen bemerkenswerten Triumph des Christentums; und kränkt seine Gegner durch die Aufforderung, ihm ein einziges Beispiel einer im Sturme genommenen Stadt zu nennen, in der die antiken Fabelgötter imstande gewesen seien, sich oder ihre betrogenen Anhänger zu schützen. Siehe Augustinus, de Civitate Dei 1,1-6. Er beruft sich besonders auf die historischen Vorbilder von Troja, Syrakus und Tarent.

 

VERWÜSTUNG UND ZERSTÖRUNG ROMS

Zu Recht sind einige ungewöhnliche und seltene Beispiele für Tugenden der Barbaren gerühmt worden, die sich während der Plünderung Roms ereigneten. Aber der heilige Bezirk des Vatikans und der Apostelkirchen konnte nur einen Bruchteil der römischen Bevölkerung bergen: tausende von Kriegern, die unter Alarich dienten und ganz besonders die Hunnen, wussten nichts von Christus oder wenigstens dem Glauben an ihn; und wir dürfen wohl vermuten, ohne dabei taktlos oder wahrheitswidrig zu werden, dass in der wüsten Stunde der Plünderung, als alle Leidenschaften lebendig und alle Rücksichten erstorben waren, sich auch die getauften Goten nicht in jedem Falle von den Geboten des Evangeliums leiten ließen. Selbst die Schreiber, die noch am ehesten Neigung verspürten, ihre Milde zu überzeichnen, schreiben frank und frei von einem Massaker an den Römern; Hieronymus (Ad Principiam. Opera, Band 1, p 121) greift alle die kräftigen Worte des Vergil, um Roms Plünderung zu bechreiben: »Quis cladem illius noctis, quis funera fando/Explicet,...« [Wer erzählt das Unheil dieser Nacht, wer nennt die Toten?]. Prokopios 1,2 stellt ausdrücklich fest, dass auch viele Goten erschlagen wurden. Augustinus, de Civitate Dei 1,12 und 13, bietet den christlichen Trost für die Toten, deren zahlreiche Körper (›multa corpora‹) unbeerdigt geblieben waren (›in tanta strage‹). Baronius hat verschiedene Schriften der Kirchenväter ausgewertet und so einiges Licht auf die Plünderung Roms geworfen. Annales ecclesiastici, A.D. 410, Nr. 16-44. dass sich in den Straßen der Stadt die Leichen häuften, welche während der allgemeinen Auflösung unbegraben blieben. Bisweilen schlug die Verzweiflung der Bürger um in blanke Wut; und immer dann, wenn die Barbaren durch Widerstand zusätzlich aufgereizt wurden, mordeten sie zusätzlich die Schwachen, Unschuldigen und Hilflosen. Vierzigtausend Haussklaven nahmen ungestraft und gnadenlos ihre Rache; und die Peitschen, die bis dahin für sie aufgespart waren, wuschen sie nun mit dem Blute der schuldigen oder besonders niederträchtigen Familien sauber.

Die Matronen und Jungfrauen Roms sahen sich Gewalttaten ausgesetzt, die nach den Maßstäben der Keuschheit schlimmer waren als der Tod; und so hat uns denn ein Kirchenschriftsteller ein Beispiel für die Tugend eines Weibes überliefert, geeignet, künftigen Generationen zum Beispiel zu diene.n Sozomenos 9,10. Augustinus (De Civitate Dei 1,12 und 13) lässt uns wissen, dass einige Jungfrauen und Matronen sich selbst töteten, um der Vergewaltigung zu entgehen; und wenn er auch ihren Mut bewundert, nötigt ihm seine Theologie doch eine Verurteilung ihrer unbesonnenen Kühnheit ab. Vielleicht hat dieser brave Bischof von Hippo in Ansehung dieses weiblichen Heldenmutes zu viel Glauben und in dessen Beurteilung zu viel Strenge bewiesen. Die zwanzig Jungfrauen jedenfalls – wenn es sie denn jemals gegeben hat-, die sich in die Elbe stürzten, da Magdeburg mit Sturm eingenommen wurde, sind irgendwann zu eintausendzweihundert angewachsen. Harte, History of Gustavus Adolphus, Vol 1, p. 308. Eine römische Dame, ausgezeichnet durch Schönheit und Glaubensstärke, hatte die Begierden eines jungen Goten aufgereizt, auf dessen Nähe zu der arianischen Ketzerei hinzuweisen Sozomenos scharfsinnig genug war. Durch ihren Widerstand zusätzlich gereizt, griff er zum Schwert und verletzte sie am Nacken, wie es so die Art zurückgewiesener Liebhaber ist. Verwundet widerstand die Heldin auch jetzt noch seinen Anstrengungen und Anträgen, bis der Schändliche von seinen fruchtlosem Bemühungen Abstand nahm, sie anstelle dessen zum Heiligtum des Vatikans geleitete und den Kirchenwachen sechs Goldstücke gab mit dem Auftrag, sie unversehrt ihrem Gatten zurück zu geben. Solche Beispiele von Mut und Großherzigkeit waren indessen selten. Brutal hielt sich die Soldateska schadlos, ohne nach den Wünschen oder Verpflichtungen ihrer weiblichen Gefangenen zu fragen; und mit viel Feinsinn wurden jetzt heikle Konfliktfälle diskutiert. Ob nicht etwa jene sanften Opfer, die sich unbeugsam, aber vergeblich gegen die Vergewaltigung gewehrt hätten, nunmehr die Krone der Jungfräulichkeit verloren hätten, die von ihnen bis dahin ruhmreich behauptet worden war Siehe Augustinus, de Civitate Dei 1, 16 und 18. Er verbreitet sich über dieses Thema mit bemerkenswerter Genauigkeit: und nachdem er eingeräumt hat, dass es dort kein Verbrechen geben könne, wo keine Einwilligung vorhanden sei (?), fährt er fort: »Sed quia non solum quod ad dolorem, verum etiam quod ad libidinem, pertinet, in corpore alieno perpetrari potest; quicquid tale factum fuerit, etsi retentam constantissimo animo pudicitiam non excutit, pudorem tamen incutit, ne credatur factum cum mentis etiam voluntate, quod fieri fortasse sine carnis aliqua voluptate non potuit. Sed quia non solum quod ad dolorem, verum etiam quod ad libidinem, pertinet, in corpore alieno perpetrari potest; quicquid tale factum fuerit, etsi retentam constantissimo animo pudicitiam non excutit, pudorem tamen incutit, ne credatur factum cum mentis etiam voluntate, quod fieri fortasse sine carnis aliqua voluptate non potuit.« [Da man aber an einem fremden Leibe nicht nur schmerzerregende, sondern auch lusterregende Handlungen verüben kann, so ruft allerdings jedes derartige Vorkommnis, wenn es auch die mit aller Standhaftigkeit der Gesinnung festgehaltene Keuschheit nicht aufhebt, doch die Scham hervor, es möchte den Anschein haben, als sei das, was vielleicht nicht ohne fleischliche Lust vor sich gehen konnte, mit Einwilligung des Geistes geschehen. (Ü: Alfred Schröder)]. In Kapitel 18 macht er einige merkwürdige Unterscheidungen zwischen moralischer und physischer Jungfräulichkeit.

Es gab noch andere Verluste zu beklagen, die – allerdings denn doch – von substantieller Natur und allgemeinerem Interesse waren. Die Annahme hat wenig Wahrscheinlichkeit für sich, dass alle Barbaren zu allen Augenblicken zu solchen sexuellen Übergriffen willens oder imstande waren; und der größte Teil der weiblichen Bevölkerung Roms war vor Vergewaltigung geschützt aus Mangel an Jugend, Schönheit oder Keuschheit. Habgier indessen ist allgegenwärtig und unersättlich; denn der Genuss von Dingen, die nur irgendwie geeignet sind, irgendeinem Geschmack Vergnügen zu bereiten, kann nur durch Reichtum gewährt werden. Als Rom geplündert wurde, richtete man das besondere Augenmerk auf Gold und Edelsteine, da hier der höchste Wert auf kleinstem Raum und in geringstem Gewicht konzentriert ist; nachdem aber diese bewegliche Habe von den umsichtigeren Plünderern fortgetragen worden war, raubte man aus den Palästen Roms schöne und wertvolle Möbelstücke. Ohne Unterschied häufte man auf den überallhin mitgeführten Wagen goldenes Tafelgeschirr und kostbare Purpur- und Seidengarderobe. Die kostbarsten Kunstwerke wurden grob behandelt oder vorsätzlich ruiniert: so manche Statue wurde wegen ihres hohen Materialwertes eingeschmolzen und so manche Vase bei der Aufteilung der Beute mit der Streitaxt zertrümmert.

Solches Erraffen von Reichtum löste bei den Barbaren nur noch Hunger nach mehr aus, so dass sie durch Drohungen, Schläge und Foltern von ihren Gefangenen die Preisgabe von weiteren Verstecken zu erpressen fortfuhren Marcella, eine Römische Dame, durch Adel, Alter und Frömmigkeit gleichermaßen ausgezeichnet, wurde niedergeworfen zur Erde und grausam geschlagen und gepeitscht (»caesam fustibus et flagellis«) Hieronymus, Ad Principiam, Opera, Band 1, p.121. Siehe auch Augustinus, de Civitate Dei 1,10. Das neue Werk ›Sacco di Roma‹, p. 208, vermittelt eine Vorstellung von den unterschiedlichen Foltertechniken des Goldes wegen. Äußerer Glanz und Aufwand galten als Beweis für ein üppiges Vermögen; äußerliche Bescheidenheit galt als Zeichen für eine knauserige Einstellung; und die Hartnäckigkeit mancher Knicker, die eher die grausamsten Foltern ertrugen als die Verstecke für die Objekte ihrer Begierden preiszugeben, wurde so manchem wirklich Armen zum Verhängnis, da sie unter der Folter starben, außerstande, ihre angeblichen Schätze zu verraten.

Auch die Gebäude Roms bekamen von gotischer Brutalität einiges zu spüren, obwohl diese Schäden gewaltig übertrieben worden sind. Als sie durch die Porta Salaria einbrachen, steckten sie die Nachbarhäuser in Brand, um den anderen den Weg zu weisen und die Römer selbst abzulenken; da sich den Flammen in dieser Nacht kein Hindernis entgegen stellte, wurden viele Privathäuser und öffentliche Gebäude zerstört; und noch in der Zeit Justinians galten die Ruinen der Villa des Sallust Der Historiker Sallust, der praktischerweise genau diejenigen Laster ausübte, die er so wortgewaltig gegeißelt hatte, nutzte die Plünderung von Numidien, um seinen eigenen Garten und Hügel auf dem Quirinal auszuschmücken. Dort, wo sein Haus stand, befindet sich die Kirche der hl. Susanna, nur einen Straßenzug von dem Thermen des Domitian entfernt und ebenfalls nahe der Porta Salaria. Siehe Nardini, Roma antica, p. 192f und den großen Plan des modernen Rom von Nolla. als Schandmal für gotische Zerstörungswut. Prokopios(De bello Vandalico 1,2) drückt sich hier bestimmt und gemäßigt aus. Die Chronik des Marcellinus übertreibt mit dem »pertem urbis Romae cremavit« [einen Teil der Stadt hat er eingeäschert)] und die Worte des Philostorgios 12, 3: [Ü.a.d.Griech.: da die Stadt in Trümmern lag] evozieren eine falsche und überzeichnete Vorstellung. Bargeraeus hat eine eigene Abhandlung verfasst (siehe Graevius, Thesaurus antiquitatum Romanorum, Band 4), um zu beweisen, dass die Gebäude von Rom von den Goten und Vandalen nicht zerstört wurden. Ein zeitgenössischer Historiker hat zu bedenken gegeben, dass ein Feuer schwerlich die gewaltigen Balken aus reiner Bronze hätte vernichten können, und dass es über Menschenkraft ginge, die Fundamente antiker Gebäudekonstruktionen zu zerstören. Es wird wohl einige Wahrheit durch seine fromme Bemerkung verdunkelt, dass der Zorn des Himmels den schwachen Kräften der Barbaren beigesprungen sei und das stolze Forum Romanum, ausgeschmückt mit ungezählten Götter- und Heldenstatuen, infolge der Blitzeinschläge zu Staub geworden sei. Orosius (2,19) redet, als seien ihm alle Statuen zuwider; »vel deum vel hominum mentiuntur« [...die Götter und Menschen vortäuschen]. Hier gab es Statuen der Könige Albas und Roms seit Äneas, waffen- oder kunstberühmter Römer und der vergöttlichten Caesaren. Das, was er unter dem Forum versteht, bleibt etwas unbestimmt, denn es gab immerhin fünf von ihnen; da sie aber alle benachbart waren und in dem Gebiet lagen, welches das Capitol, Quirinal, Esquilin und Palatin umfassten, kann man sie auch als eines ansehen. Siehe Donati, Roma vetus et recens, p. 162-201 und Nardini, Roma antica, p. 213-273. Ersteres ist nützlicher wegen seiner antiken Beschreibungen, das zweite für die Gegenwarts-Topographie.

 

SKLAVEREI UND EXIL IN AFRIKA

Wie viele Ritter oder Plebejer auch bei der Einnahme Roms ihr Leben verloren: fest steht, dass nur eine einzige Person senatorischen Ranges durch das Schwert des Feindes umkam. Orosius (2,19) vergleicht die Grausamkeit der Gallier und die Zurückhaltung der Goten: »Ibi vix quemquam inventum senatorem, qui vel absens evaserit; hic vix quemquam requiriri, qui forte ut latens perierit.« [Dort fand man kaum einen Senatoren, der entkam, und wäre er auch woanders gewesen; hier lässt sich kaum einer finden, der starb, als wäre er zufällig versteckt gewesen]. Aber in dieser Antithese steckt ein Hauch von Rhetorik und damit vielleicht auch von Unwahrhaftigkeit; und Sokrates (7,10) bekräftigt, vielleicht aus umgekehrten Gründen übertreibend, dass »viele« Senatoren unter ausgesuchten Foltern zu Tode kamen. Aber schwer war die Zahl derer abzuschätzen, die von einer ehrenhaften und wirtschaftlich sicheren Stellung unversehens in die verzweifelte Lage von Gefangenen oder Flüchtlingen gerieten. Da die Barbaren eher für Geld als für Sklaven Verwendung hatten, setzten sie einen mäßigen Preis zum Freikauf ihrer unvermögenden Gefangenen fest; und oft brachte die Mildtätigkeit von Freunden oder sogar Fremden dieses Lösegeld auf. »Multi...Christiani in captivitatem ducti sunt« [Viele Christen sind in die Gefangenschaft verschleppt worden]. Augustinus, De Civitate Dei 1,14; und besondere Härten erlitten die Christen nicht. Die Bürger, welche gleichsam offiziell auf dem Markte oder privat verkauft wurden, konnten auf gesetzlichem Wege ihre angeborene Freiheit wieder erlangen, welche sie als römische Bürger gar nicht verlieren oder abtreten konnten. Siehe Heineccius, Antiquitatum Romanorum iurisprudentiam syntagma, Band 1, p. 96. Da sich aber schon bald zeigte, dass diese Verteidigung ihrer Freiheit sie in Lebensgefahr brachte und dass die Goten sich veranlasst fühlten, ihre nutzlosen Gefangenen umzubringen, wenn sie sich nicht zum Verkaufe entschlossen, milderte die bürgerliche Rechtsprechung dies durch eine vernünftige Festlegung dahingehend ab, dass sie angemessene fünf Jahre dienen sollten, bis sie durch ihre Arbeit das Lösegeld abgearbeitet hatten. Appendix zum Codex Theodosianus 16, in: Sirmond, Opera, Band 1, p. 735. Dieses Edikt wurde am 11. Dezember A.D. 408 verkündet und ist intelligenter gemacht, als man es von den Ministern des Honorius hätte erwarten können. Die Völker, die in das Römische Reich eingedrungen waren, hatten ganze Heerscharen von ausgehungerten und verängstigten Provinzialen vor sich hergetrieben, die weniger vor der Sklaverei fürchteten als vor dem Hunger. Roms Notlage verstreute nunmehr seine Einwohner zu den einsamsten, sichersten und abgelegensten Zufluchtsorten.

Während nun die gotische Reiterei Furcht und Schrecken an den Küsten Campaniens und der Toskana verbreiteten, widerstand die kleine Insel Igilium, nur durch eine schmale Meeresenge vom Kap Argentarium getrennt, ihren feindlichen Anstrengungen oder spottete ihrer; und so dicht vor Rom gelegen, bot der heimliche Ort doch vielen Bürgern Zuflucht »Eminus Igilii sylvosa cacumina miror; Quem fraudare nefas laudis honore suae. Haec proprios nuper tutata est insula saltus; Sive loci ingenio, seu domini genio. Gurgite cum modico victricibus obstitit armis, Tanquam longinquo dissociata mari. Haec multos lacera suscepit ab urbe fugatos, Hic fessis posito certa timore salus. Plurima terreno populaverat aequora bello, Contra naturam classe timendus eques: Unum, mira fides, vario discrimine portum/Tam prope Romanis, tam procul esse Getis.« [Von ferne bestaune ich die Waldgipfel von Igilium; an ihrem Lobe zu sparen wäre Frevel. Vor kurzem schützte diese Insel seine eigenen Wälder, sei es durch ihre bevorzugte Lage, sei es durch des Kaisers (Honorius) Genius, als sie, getrennt von der Küste nur durch einen schmalen Meeresarm, den siegreichen Waffen so widerstand, als läge sie auf offener See. Viele Flüchtlinge aus der niederliegenden Stadt hieß sie willkommen: hier konnten die Müden ihre Furcht ablegen und Sicherheit finden. Eine Reiterei hatte gegen alle Natur vom Schiff aus während eines Landkrieges Meer um Meer verheert: ein Hafen ist in wunderbarer Weise nah den Römern und ferne den Goten] Rutilius Claudius Namatianus, Itinerarium 1,325. Heute heißt die Insel Giglio. Siehe Cluver, Italia antiqua, Buch 2, p. 502. Die weitläufigen Latifundien, die so viele senatorische Familien in Afrika besaßen, hießen sie willkommen, wenn sie denn die Gelegenheit und die Klugheit gehabt hatten, sich unter den Schutz jener gastlichen Provinz zu flüchten.

Die prominenteste dieser Flüchtlinge war die adlige, fromme Proba, Da die Erlebnisse der Proba und ihrer Familie im Zusammenhang mit dem Leben von St. Augustin stehen, hat Tillemont, Mémoires ecclésiastiques Band 13, p. 620-635, sie sorgfältig dargestellt. Kurze Zeit nach ihrer Ankunft in Afrika nahm Demetrias den Schleier und legte ein Keuschheitsgelübde ab; welches Ereignis für Rom und die Römische Welt als hochbedeutend angesehen wurde. Alle Heiligen schrieben ihr Glückwunschadressen; die des Hieronymus ist auf uns gekommen (Ad Demetriadem de servanda virginitate. Opera, Band 1, p. 62.73) und enthält eine Mischung aus abstrusen Gedanken, Herzensergießungen und merkwürdigen Einzeltatsachen, von denen sich einige auf die Belagerung und Eroberung Roms beziehen. die Witwe des Präfekten Petronius. Nach dem Tode ihres Gatten blieb sie, die einflussreichste Bürgerin der Stadt, das Haupt der Anicier-Familie und unterstützte mit ihrem Privatvermögen nacheinander das Konsulat ihrer drei Söhne. Nach der Belagerung und Eroberung Roms durch die Goten schickte sich Proba mit christlicher Duldsamkeit in den Verlust ihrer unermesslichen Reichtümer; ging an Bord eines kleinen Seglers, von dem aus sie den Brand ihres eigenen Palastes beobachtete; und floh mit ihrer Tochter Laeta und ihrer Enkeltochter, der hochberühmten Demetrias, an Afrikas Küste. Die segensreiche Freigebigkeit, mit der die Matrone von der Fülle ihres Besitzes abgab, half vielen, die Beschwernisse von Exil und Gefangenschaft zu ertragen. Aber selbst die Familie der Proba war den beutegierigen Nachstellungen des comes Heraclianus ausgesetzt, welche kühnlich und schandbar noch die adligsten Jungfrauen Roms der Habgier oder der Lust syrischer Kaufleute andiente.

Die Flüchtlinge aus Italien zerstreuten sich auf die ganze Provinz, entlang der Küste Ägyptens und Asiens bis nach Jerusalem und Konstantinopel; und das Dorf Bethlehem, welches die einsame Wohnstatt des heiligen Hieronymus und seiner Anhängerschar aus weiblichen Konvertiten war, überfüllte sich nun mit adligen Bettlern beiderlei Geschlechtes und jeden Alters, welche durch die Erinnerung an ihre früheren Umstände das Mitleiden der Öffentlichkeit erregten. Siehe die leidenschaftliche Klage von Hieronymus in der Vorrede zum zweiten Buch seines Ezechiel-Kommentars, Opera Band 5, p. 400. Das ganze Reich war durch Roms gräßliches Schicksal mit Trauer und Entsetzen erfüllt. Dieser fesselnde Gegensatz zwischen Größe und Fall vermochte den törichten Aberglauben des Publikums, die Not dieser Königin unter den Städten heftig zu beweinen und sogar noch zu vergrößern. Der Klerus, der diese jüngsten Ereignisse den unbestimmten Metaphern orientalischer Prophezeiungen zuordnete, fand sich zuweilen versucht, die Zerstörung der Hauptstadt mit dem Untergang der Welt zu verwechseln.

 

DIE SOLDATESKA KARLS V. SCHLIMMER ALS DIE GOTEN

Der menschlichen Seele wohnt eine starke, naturgegebene Neigung inne, die Vorzüge der Gegenwart herabzusetzen und ihre Übel zu vergrößern. Als sich jedoch die erste Erregung gesetzt hatte und man des tatsächlichen Schadens inne ward, fanden sich die nachdenklicheren und urteilsfähigeren Zeitgenossen zu dem Zugeständnis genötigt, dass das jugendliche Rom dereinst von den Galliern empfindlicher gezüchtigt worden war als das alte in seinen sich neigenden Jahren von den Goten. Orosius zieht diesen Vergleich (2,19 und 7,39), wenngleich mit theologischer Parteilichkeit. Doch ist in der Geschichte der Eroberung Roms durch die Gallier fast alles ungewiss und vermutlich sogar freie Erfindung. Siehe Beaufort, Incertitude p. 356 und Anicet Melot in den Mémoires de l'Académie des Inscriptions, Band 15 (1750), p1-21. Die Erfahrungen von elf Jahrhunderten haben der Nachwelt eine noch eindrucksvollere Parallele an die Hand gegeben: mit Bestimmtheit kann sie sagen, dass das Wüten der Barbaren, die Alarich von der Donau nach Italien geführt hatte, weit weniger Verheerung anrichtete als das Marodieren der Truppen Kars V, eines katholischen Herrschers, der sich selbst römischer Kaiser zubenannte. Wenn sich der Leser über Einzelheiten zu diesem berühmten Ereignis informieren möchte, so möge er die bewundernswerte Darstellung in Dr. Robertson, History of Charles V. (Band 2, p. 283) lesen oder die Annali d'Italia des gelehrten Muratori (Band 14, p. 230-244, Oktavausgabe) zu Rate ziehen. Möchte er Originalquellen studieren, dann kann er zurückgreifen auf Buch 18 der großartigen, aber unvollendeten Historia Guicciardinis. Die Darstellung jedoch, der die Bezeichnungen ›authentisch‹ und ›ursprünglich‹ am meisten verdient, findet sich in dem kleinen Buch ›Il sacco di Roma‹, geschrieben in weniger als einem Monat nach der Eroberung der Stadt vom Bruder Lodovico des Historikers Francesco Guiciardini, einem offenbar tüchtigen Verwaltungsbeamten und sehr sachlichem Autoren.

Die Goten verließen die Stadt nach Ablauf von sechs Tagen, aber die Kaiserlichen behielten Rom neun Monate lang in ihrem Besitz; und jede Stunde war für Raub, Plünderung und Notzucht vorgesehen. Alarichs Autorität hielt die Ordnung aufrecht, und die kriegerische Masse, die ihn als ihren Anführer und König respektierte, beobachtete leidlich Zurückhaltung; aber der Bourbonengeneral war beim Angriff auf die Stadt im Kampf gefallen; und der Tod ihres Befehlshabers beseitigte die letzten Reste von Disziplin aus einer Armee, in welcher drei Nationen nebeneinander vertreten waren, Italiener, Spanier und Deutsche. Zu Beginn des XVI Jahrhunderts wies Italiens Gesittung in bemerkenswerter Weise alle Anzeichen einer gottfernen Gesellschaft auf. Es fanden sich hier Bluttaten, das Kennzeichen archaischer Gesellschaften, und daneben Hochglanzverbrechen, welche eine Frucht von überverfeinertem Luxus sind; und die Glücksritter gar, die sich über jedes Vorurteil hinweggesetzt hatten, welches Patriotismus und Aberglauben bereithalten, um den Palast des römischen Pontifex in ihre Hand zu bekommen, müssen als die verworfensten aller Italiener angesehen werden.

Zur gleichen Zeit waren die Spanier das Entsetzen der Alten und der Neuen Welt; und ihr hochgemuter Geist war durch überheblichen Stolz, räuberische Habgier und mitleidlose Grausamkeit besudelt. Unermüdlich auf der Jagd nach Ruhm und Gold, haben sie durch wiederholte Übung die raffiniertesten und wirkungsvollsten Methoden vervollkommnet, ihre Gefangenen zu foltern; viele Kastilianer, die an Roms Plünderung teilhatten, waren auch mit der Heiligen Inquisition innig vertraut; und viele waren erst kürzlich nach der Eroberung Mexikos zurückgekehrt.

Die Deutschen endlich waren weniger verderbt als die Italiener und weniger grausam als die Spanier; und hinter der bäuerlichen, fast schon kulturlosen Fassade dieser transmontanen Krieger verbarg sich eine harmlose und freundliche Natur. Aber der Geist und die Prinzipien Luthers und der Reformation hatten sie berührt. Es war ihr Liebstes, die geheiligten Gegenstände des katholischen Aberglaubens zu besudeln oder zu zerstören; sie widmeten mitleidlos und ohne Reue ihren ganzen Hass dem Klerus jedweder Herkunft und Stellung, der im modernen Rom einen so bedeutenden Anteil an der Bevölkerung hat; und ihr fanatischer Glaubenseifer strebte wohl auch danach, den Thron des Antichristen zu stürzen, um mit Blut und Feuer die Abscheulichkeiten dieses geistlichen Babylons auszumerzen. Luthers zorngemute Heftigkeit, die eine Frucht von Temperament und religiösem Enthusiasmus war, wurde heftig attackiert (Bossuet, Histoire des variations des églises protestantes, Buch 1, p. 20-36) und nur matt verteidigt (Seckendorff, Comentarius de Lutheranismo, Buch 1, Nr 78, p. 120 und Buch 3, Nr 122, p. 556).

 

ALARICH VERLÄSST ROM · 29. AUGUST 410

Der Abzug der siegreichen Goten, die Rom nach sechs Tagen räumten, Marcellinus, in Orosius, Chronikea (7,39) behauptet, dass er Rom am dritten Tage verlassen habe. Diese Unstimmigkeit lässt sich jedoch mit dem langsamen Fortrücken großer Truppenkontingente leicht erklären. mag die Frucht der Klugheit, aber ganz gewiss nicht die Folge der Angst gewesen sein. Sokrates (7,10) behauptet, allerdings ohne die Spur eines Beweises, dass Alarich auf die Nachricht vom Herannahen der Armeen des Ostreiches das Feld geräumt habe. An der Spitze einer Armee, mit Beute schwer beladen, zog ihr unerschrockener Anführer auf de Via Appia zu den südlichen Provinzen Italiens, walzte nieder, was sich ihm in den Weg zu stellen wagte und begnügte sich mit der Plünderung des wehrlosen Landes. Über dem Schicksal Capuas, der reichen und üppigen Metropole Kampaniens, die sich noch in ihrem Niedergang die achte Stadt des Reiches nennen durfte, Ausonius, de claris urbibus. Opera, p. 233. Capua hat in seinem Luxus früher selbst Sybaris übertroffen. Siehe Athenaios, Deipnosophistai 12, p. 528 liegt das Vergessen; während das benachbarte Nola 84 Jahre vor Gründung Roms (etwa 800 v.Chr.) gründeten die Toskaner Capia und Nola, 23 Meilen voneinander entfernt; aber die letztgenannte Stadt ist immer nur Mittelmaß geblieben. bei dieser Gelegenheit durch die Heiligkeit des Paulinus Tillemont (Mémoires ecclésiastiques, Band 14, p. 1-146) hat mit bewährter Sorgfalt alles zusamengetragen was das Leben und die Schriften des Paulinus betrifft, dessen Abkehr von der Welt er selbst lobt, der aber auch dafür von Ambrosius, Hieronymus, Augustinus, Sulpicius Severus und anderen christlichen Freunden gerühmt wird. berühmt wurde, der hier nacheinander Konsul, Mönch und Bischof wurde.

Im Alter von vierzig entsagte er dem Wohlleben und der Ehre, der Gesellschaft und der Literatur, um ein Leben in Einsamkeit und Buße zu Führen; und der laute Beifall des Klerus ermutigte ihn, den Tadel seiner weltlichen Freunde zurück zu weisen, welche diese Verzweiflungstat irgendeiner geistigen oder körperlichen Unordnung zuschrieben. Siehe die teilnahmsvollen Briefe des Ausonius (Epistulae 19-25) an Paulinus, seinen Freund, Kollegen und Schüler. Die Religion des Paulinus bleibt ein Problem, da dies aber auch schon zu seinen Lebzeiten der Fall war, war er in seinem Herzen ein Heide. Eine frühzeitige, leidenschaftliche Anhänglichkeit bestimmte ihn, seine bescheidene Behausung in einem der Vororte Nolas zu beziehen, nahe dem wundertätigen Grabe des heiligen Felix, welchem die öffentliche Verehrung bereits fünf große und gliederstarke Kirchen gestiftet hatte. Seine verbleibenden Vermögenswerte und Verstandskräfte widmete er dem Dienste an diesem hochberühmten Märtyrer; dessen Ruhm an seinem Festtage mit einer feierlichen Hymne zu künden Paulinus seitdem nicht einmal verfehlte; und in dessen Namen er noch eine sechste Kirche von erlesener Schönheit und Anmut errichtete und mit treffenden Bildern aus der Geschichte des Alten und Neuen Testamentes verzierte. Solcherlei glühender Glaubenseifer sicherte ihm die Gunst des Heiligen Demutsvoll erkühnte sich Paulinus einmal zu der Vermutung, der Heilige liebe ihn; etwa so wie ein Herr seinen Hund. oder jedenfalls seiner Mitmenschen; und so wurde ihm denn nach fünfzehn Jahren frommer Einsamkeit das Amt des Bischofs von Nola angetragen, das er ein paar Monate vor der Eroberung der Stadt durch die Goten denn auch annahm.

Während der Belagerung zeigten sich einige besonders Gläubige befriedigt darüber, dass ihnen im Traum oder anderen Visionen ihr Titularbischof in himmlischer Form erschienen war; aber schon bald erwies sich, dass Paulinus weder Handhabe noch Neigung besaß, die Herde zu retten, deren Hirte er war. Nola entging nicht der allgemeinen Zerstörungswut; Siehe Jornandes, Gethica 30; Philostorgios, 12,3; Augustinus, De Civitate Dei 1,10. Baronius, Annales Ecclesiastici A.D. 410, No. 45, 46. und den Bischof rettete nach seiner Gefangennahme nur eine unbestimmt-allgemeine Armuts- und Unschuldsvermutung.

 

GOTEN NEHMEN ITALIEN IN BESITZ · A.D. 408-412

Fast vier Jahr vergingen, bis die Goten seit der erfolgreichen Eroberung Italiens unter Alarich freiwillig unter seinem Nachfolger Athaulph wieder abzogen; und während der ganzen Zeit regierten sie ohne Kontrolle über ein Land, in welchem nach Auffassung der Alten alles vereint war, was Natur und Kunst an Großem geschaffen hatten. Der Wohlstand indessen, den Italien unter der glückhaften Regierung der Antonine angehäuft hatte, war mit dem Niedergang des Reiches ebenfalls zu Nichts geworden. Die Früchte einer langen Friedenszeit verdarben unter dem brutalen Zugriff der Barbaren; und sie selbst waren außerstande, vom verfeinerten Luxus zu kosten, der zum Genuß für die sanften und gebildeten Italiener bereit stand.

Jeder einzelne Soldat jedoch reklamierte für sich eine üppige Portion von der handgreiflichen Fülle, die täglich in Form von Wein, Öl, Korn und Rindfleisch im Lager der Goten einlief; und die prominenteren Kriegsherren suhlten sich in den Landhäusern und Gärten eines Lucullus und Cicero, die an der herrlichen Küste Campaniens aufgereiht waren. Ihre bebenden Gefangenen, Söhne und Töchter römischer Senatoren, reichten den stolzen Siegern in juwelenbesetzten Pokalen üppige Kostproben Falerner; diese streckten ihre groben Gliedmaßen unter dem Schatten von Platanen Bei den Alten war, besonders zum Zwecke der Beschattung, die Platane beliebt, welche sie zu diesem Zwecke aus dem Osten nach Gallien eingeführt hatten. Plinius (Naturalis Historia 12,3-5) erwähnt einige von gewaltigem Umfang; unter anderen einen im kaiserlichen Landsitz in Velitrae, den Caligula sein Nest nannte, da ihre Äste groß genug waren, eine Tafel, die Bedienung und den Kaiser selbst aufzunehmen, den Plinius verschmitzt pars umbrae (Stück vom Schatten) nennt; welche Bezeichnung mit gleichen Gründen auch auf Alarich angewendet werden kann. aus, welche auf kunstvolle Weise zurecht gestutzt waren, die Strahlen der Sonne abzuhalten und die belebende Wärme hindurch zu lassen. Diese Genüsse erhöhten ihre Wirkung noch angesichts der zurückliegenden Entbehrungen; der Gegensatz zu ihrer Heimaterde, den schroffen und kahlen Erhebungen Skythiens und der zugefrorenen Elbe und Donau mehrte die Behaglichkeiten Italiens noch um ein Mehrfaches. »The prostrate South to the destroyer yields/ Her boastet titles/ and her golden fields:/ With grim delight the brood of winter view/ A brighter day, and skies of azure hue;/ Scent the new fragrance of the opening rose,/ And quaff the pendent vintage as it grows.« (Gray, Poems, p. 197, 1768). Warum hat Mr. Gray, anstelle Zeit- und naturgeschichtliche Tabellen zusammen zu stellen, nicht seines Verstandes Kräfte versammelt, um die philosophische Dichtung zu vollenden, von der er eine so eindrucksvolle Probe abgelegt hatte?.

 

ALARICHS TOD UND BEGRÄBNIS · A.D. 410

Ob nun Ruhm, Eroberung oder Reichtum Alarichs eigentlicher Endzweck waren: er verfolgte dieses Ziel mit hartnäckigem Eifer und ließ sich durch Widerstand nicht abschrecken, wie er sich anderseits durch Erfolge nicht einlullen ließ. Kaum, dass er den äußersten Süden Italiens erreicht hatte, zog auch schon der Anblick einer nahebei gelegenen, fruchtbaren und friedlichen Insel seine Aufmerksamkeit auf sich. Aber selbst der Besitz von Sizilien war ihm nur ein Zwischenschritt auf dem Wege zur Eroberung von Afrika, welchen Plan er schon lange heckte. Die Meeresstraße von Rhegium und Messina Eine vollständige Beschreibung der Straße von Messina, der Scylla und Charybdis etc bietet Cluver, Italia antiqua, Buch 4, Band 2, p.1293 und Sicilia antiqua, Buch 1, p. 60-76. Er hat die Alten gründlich studiert und den heutigen Zustand des Landes mit wachen Sinnen betrachtet. ist zwölf Meilen lang und an der engsten Stelle ein und ein halbe Meile breit; und die Fabelwesen der Tiefe, die Felsen der Scylla und die Wirbelwasser der Charybdis, schreckten kaum noch den unbefahrensten und arglosesten Matrosen. Sobald aber die ersten Abteilungen der Goten an Bord gegangen waren, brach ein plötzlicher Sturm los, welche zahlreiche Transportschiffe versenkte oder zertrümmerte; dieses neue Element benahm ihnen den Mut; und das ganze Vorhaben zerschlug sich endlich infolge des allzufrühen Todes Alarichs, welcher nach kurzer Krankheit hier seinen Eroberungszüge ein Ziel setzte.

Das rauhe Wesen der Barbaren kam besonders deutlich bei den Funeralien für ihren Helden zum Ausdruck, dessen Macht und Ruhm sie mit schwermütiger Bewunderung rühmten. Mit Hilfe von zahlreichen Kriegsgefangenen lenkten sie den Busento um, einen kleinen Fluss vor den Toren von Cosenza. In dem leeren Flussbett wurde das Grab ihres Königs ausgehoben und mit römischen Beutestücken und Trophäen versehen; dann wurde das Wasser wieder in seinen natürlichen Lauf zurück gelenkt, und der geheime Platz, an dem Alarichs sterbliche Reste beigesetzt wurden, blieb für immer verborgen, weil alle Gefangenen, die an der Arbeit beteiligt gewesen waren, in unmenschlicher Weise massakriert wurden. Jordanes, Getica 30.

 

ATHAULF ZIEHT NACH GALLIEN

Persönliche Feindschaften und Erbfolgezänkereien unter den Barbaren mussten zunächst hinter ihre heikle Lage zurücktreten; und so wurde der wackere Athaulf, der Schwager des toten Königs, einstimmig zu seinem Thronfolger bestimmt. Der Charakter und die politische Vorstellungswelt des neuen Königs lassen sich am besten aus einem Gespräch mit einem berühmten Bürger von Narbonne ablesen, der es später auf einer Pilgerfahrt ins Heilige Land im Beisein des Historikers Orosius dem heiligen Hieronymos erzählte.

»Im vollen Vertrauen auf meine Macht und den Sieg« (so Athaulf) »war ich voreinst bestrebt, der Erde ein neues Gesicht zu geben; den Namen Rom aus dem Gedächtnis der Menschen zu löschen; auf seinen Trümmern das Reich der Goten zu errichten; und wie einst Augustus als der Begründer eines neuen Reiches in die Unsterblichkeit einzugehen. Aus wiederholter Erfahrung lernte ich jedoch, dass Gesetze unabdingbar sind, einen wohlbegründeten Staat zu erhalten und zu lenken, und dass die ungebärdige Gemütslage der Goten jedenfalls nicht geschaffen ist, das wohltuende Joch von Gesetz und bürgerlicher Obrigkeit zu ertragen. Von da an setzte ich mir ein anderes Objekt meiner Ruhmbegier und meines Ehrgeizes vor; jetzt ist es mein aufrichtiger Wunsch, dass die Dankbarkeit inskünftiger Zeiten die Verdienste eines Auswärtigen anerkennen möge, der das Schwert eines Goten führte und die Größe Roms nicht etwa zu Boden warf, sondern neuerlich aufrichtete.« Orosius 7,43. Er wurde 415 von Augustinus von Africa nach Palästina geschickt, um den Heiligen Hieronymus aufzusuchen und über die pelagianische Kontroverse zu befragen.

Mit diesen friedlichen Zielen vor Augen entschlug sich der Nachfolger Alarichs fernerer kriegerischer Unternehmungen und handelte ernstlich mit dem Hofe einen Friedens- und Freundschaftsvertrag aus. Dies lag auch im Interesse der Minister des Honorius, welche sich der Verpflichtungen ihres merkwürdigen Eides ledig sahen, Italien von der unerträglichen Macht der Goten zu befreien; und bereitwillig stellten sie sich den Tyrannen und Barbaren entgegen, die den Provinzen jenseits der Alpen beschwerlich fielen.

Athaulf, Jordanes mutmaßt, wenn auch reichlich unbegründet, dass Athaulf Rom ein zweites Mal heimgesucht und geplündert habe »more locustarum merasit« [...hat nach der Weise der Heuschrecken gehaust]. Aber immerhin stimmt er Orosius zu in der Annahme, dass es zwischen dem Gotenkönig und Honorius zu einem Friedensvertrag gekommen sei. Siehe Orosius 7,43 und Jordanes, Getica 31. nunmehr im Range eines römischen Generals, wandte sich vom äußersten Campanien nach Südgallien. Seine Truppen besetzten unverzüglich die Städte Narbonne, Toulouse und Bordeaux, sei es mit Gewalt oder auch einvernehmlich; und obgleich der comes Bonifatius sie vor den Mauern Marseilles zurückschlug, beherrschten sie schon bald das Gebiet zwischen Mittelmeer und Atlantik. Die bedrängten Provinzbewohner mochten Klage führen, dass die Goten, die sogenannten Verbündeten, ihnen nunmehr gewaltsam das Wenige entreiße, was ihnen der innere Feind belassen habe; aber ganz ohne Grund und Rechtfertigung war die Gewaltanwendung der Goten nicht. Man konnte die Städte, die die Goten angriffen, durchaus als im Zustande der Rebellion gegen Kaiser Honorius betrachten; die Friedensartikel oder die geheimen Weisungen des Hofes mochten bisweilen zugunsten der offenkundigen Usurpation des Athaulf angeführt werden: und die Schuld für irgendeinen ungesetzlichen feindlichen Akt konnte jederzeit mit dem Anschein der Wahrheit dem Vernunftgründen unzugänglichen Geiste eines barbarischen Feindes zugeschrieben werden, welcher Frieden und Disziplin nun einmal nicht leiden mochte. Italiens Luxus hatte weniger dazu beigetragen, das Gemüt der Goten befrieden als ihren Mut zu schwächen; und sie hatten die Laster einer zivilisierten Gesellschaft in sich aufgenommen, ohne ihre Gesittung und Einrichtungen zu übernehmen. Der Rückzug der Goten aus Italien und ihr erster Einfall in Gallien liegen weitgehend im Dunkeln. Ich habe hier viele Hilfe von Mascov (History of the ancient Germans, Buch 8, c. 28 und 35-37) erhalten, der die zusammenhanglose und fragmentarische Chronik der Zeit geordnet hat.

 

ATHAULF HEIRATET PLACIDIA · A.D. 414

Die Bekenntnisse des Athaulf waren zweifellos aufrichtig, und sein Wohlwollen für die Sache der Republik wurde zusätzlich gefestigt durch den Einfluss, den eine römische Prinzessin über Herz und Verstand dieses Barbarenhäuptlings gewann. Placidia Siehe über Placidia bei du Cange, Familiae Byzantinae, p. 72, und Tillemont, Histoires des empereurs, Band 5, p. 260 und 280 und Band 6, p. 240., die Tochter der großen Theodosius und seiner zweiten Frau Galla hatte im Palast zu Konstantinopel eine königliche Erziehung empfangen; ihr an Wechselfällen reiches Leben steht im engen Zusammenhang mit den Umwälzungen im Westen unter der Regentschaft ihres Bruders Honorius. Als Rom zum ersten Male durch die Waffen Alarichs bedrängt ward, wohnte Placidia, damals etwa zwanzig Jahre alt, in der Stadt; und ihr rasches Einverständnis mit der Hinrichtung ihrer Kusine Serena wirft ein grausames und sehr hässliches Licht auf sie, welcher Eindruck je nach Blickwinkel durch ihr zartes Alter entschuldigt oder vertieft wird. Zosimos 5,38.

Die siegreichen Barbaren forderten und erhielten die Schwester des Honorius als Gefangene Zosimos 6,12. Orosius7,40 und die Chronik des Marcellinus legen die Vermutung nahe, dass die Goten Placidia nicht vor der letzten Belagerung Roms fortführten. oder als Geisel; während sie sich aber zu ihrem Verdruss genötigt sah, allen Bewegungen des Gotenheeres durch Italien zu folgen, erfuhr sie, immerhin denn doch, eine respektvoll-anständige Behandlung. Jordanes, der ihre Schönheit rühmt, erhält ein Gegengewicht durch das Schweigen, das beredte Schweigen ihrer Schmeichler; doch der Rang ihrer Geburt, ihre blühende Jugend, ihr geschliffenes Auftreten und der Austausch, auf den sie sich einließ: die alles machte auf Athaulfs Gemüt einen tiefen Eindruck; und so bemühte sich der Gotenkönig darum, sich »Bruder des Kaisers« nennen zu dürfen. Weit und empört wiesen die Minister des Honorius dieses dem römischen Stolze so widrige Ansinnen zurück und verlangten an Stelle dessen die unverzügliche Herausgabe der Placidia als eine unverzichtbare Vorbedingung für jede Friedensverhandlung. Aber die Tochter des Theodosius unterwarf sich ohne Widerworte dem Verlangen des Siegers, eines jungen und kühnen Herrschers, der dem Alarich an Statur gleichkam, ihn aber an gewichtigeren Qualitäten, Anmut und Schönheit, übertraf.

Die Hochzeit von Athaulf und Placidia Die Schilderungen von Athaulf und Placidia und der Bricht über ihre Hochzeit findet man bei Jornandes, Getica 31. Was nun den Ort betrifft, an dem die Vermählung beschlossen, vollzogen und gefeiert wurde, variieren die Jordanes-Handschriften zwischen den Nachbarstädten Imola und Forli (Forum Cornelii und Forum Livii). Es ist durchaus angemessen und unkompliziert, den gotischen Historiker mit Olymiodoros in Übereinstimmung zu bringen, (Mascou, Ancient Germans 8,36). Aber Tillemont wird verdrießlich und schwört, es lohne sich nicht, Jornandes mit irgendeinem guten Autoren in Einklang zu bringen. wurde geschlossen, bevor noch die Goten sich aus Italien zurückgezogen hatten; und der festliche Tag – vielleicht auch der Jahrestag – ihrer Eheschließung wurde im Hause des Ingenuus gefeiert, eines der angesehensten Bürger von Narbonne in Gallien. Die Braut, herausgeputzt und geschmückt wie eine römische Prinzessin, hatte auf einem Staats-Thron Platz genommen; der König der Goten jedoch verstand sich bei dieser Gelegenheit zu römischem Brauchtum und begnügte sich mit einem bescheideneren Sitz an ihrer Seite. Die Hochzeitsgabe, die man Placidia entsprechend den Sitten dieses Volkes Die Westgoten (die Untertanen des Athaulf) hatten durch entsprechende Gesetze der Verschwendung unter Brautleuten einen Riegel vorgeschoben. Einem Ehemann war es untersagt, während des ersten Ehejahres zu Gunsten seiner Frau ein Geschenk zu machen oder ihr eine Rente auszusetzen, und auch danach durfte seine Freigebigkeit nicht den zehnten Teil seiner Besitztümer überschreiten. Die Lombarden dachten in diesem Punkte etwas großzügiger; sie gestatteten eine Morgengabe im Anschluss an die Hochzeitsnacht; und dieses berühmte Geschenk, die Belohnung für Jungfräulichkeit, durfte immerhin ein Viertel des Vermögens des Mannes betragen. Einige vorausschauende Mädchen waren indessen verständig genug, sich vorderhand diese Gabe auszubedingen, die sie ganz gewiss nicht verdient hatten. Siehe Montesquieu, Esprit de lois, Buch 19, c. 25; Muratori, Delle antichità italiane, Band 1, Diss. 20, p. 243. überlassen hatte, waren erlesene und kostbare Beutestücke ihres eigenen Landes. Fünfzig schöne Jungfrauen in Seidengewändern trugen in jeder Hand eine Schale; in der einen dieser Schalen befanden sich Goldstücke, in der anderen Edelsteine von unschätzbarem Wert. Attalus, der dem Schicksal und den Goten so lange zur Zielscheibe ihres Spottes gedient hatte, leitete den Hochzeitschor, und der abgedankte Kaiser mochte sich als begabter Musiker empfehlen. Die Barbaren genossen mit einigem Übermut ihres Triumphes; und die Provinzialen freuten sich über diese Verbindung, da durch sie und den mildernden Einfluss der Liebe und der Vernunft das ungebärdige Temperament des Gotischen Kriegsherren gebändigt wurde. Wir haben Orosius (bei Photios, p. 185 und 188) die schnurrigen Details dieser Hochzeitsfeierlichkeiten zu danken.

 

DER SCHATZ DER GOTEN ALS HOCHZEITSGABE

Die einhundert Schalen mit Gold und Edelsteinen, die man Placidia zu ihrer Hochzeit schenkte, waren nur ein unbedeutender Teil des Gotenschatzes; von dem wir uns ein paar besonders markante Beispiele aus der Geschichte von Athaulfs Nachfolgern heraussuchen wollen. Viele kunstreiche und wertvolle Schmuckstücke aus reinem Gold, bereichert noch durch Juwelen, fanden sich in ihrem Palast in Narbonne, als er im sechsten Jahrhundert von den Franken geplündert wurde: sechzig Abendmahlskelche; fünfzehn Stück an Tischgerät zu ebendiesem Gebrauch; zwanzig Behälter für die Evangelien; diesen geheiligten Reichtum Vergleiche hierzu die ausführliche Quellensammlung zur französischen Geschichte von Dom. Bouquet im 2. Band Gregor von Tours 3,10, p. 191 und die Gesta regum Francorum 23, p. 557. Der anonyme Verfasser, der mit seiner Ignoranz seiner Zeit alle Ehre macht, mutmaßt, dass diese Werkzeuge des christlichen Gottesdienstes aus dem Tempel von Salomon stammten. Wenn dies irgendeinen Sinn ergeben soll, dann müssen sie während der Plünderung Roms aufgefunden worden sein. verteilte der Sohn des Clovis unter die Kirchen seines Herrschaftsbereiches, und diese fromme Freigebigkeit scheint eine Art Vorwurf für die früheren Vergehen der Goten gewesen zu sein. Sie besaßen – und dies mit bestem Gewissen – das berühmte missorium, eine große, fünfhundert Pfund schwere Schüssel zum Gebrauch bei Tische aus massivem Gold, deren Wert durch die eingelegten Juwelen noch deutlich übertroffen wurde, eine hervorragende Handwerksarbeit, von der die Tradition wollte, dass der Patrizier Aetius sie dem Gotenkönig Torismund vermacht habe. Einer der Nachfahren Torismunds konnte sich die Hilfe des französischen Königs erschleichen, indem er ihm dieses einzigartige Geschenk in Aussicht stellte. Als er auf dem Thron Spaniens saß, übergab er es mit vielem Widerstreben den Gesandten König Dagoberts; ließ sie auf dem Heimweg überfallen; bezahlte nach langem Feilschen ein völlig unzureichendes Sühnegeld von zweihunderttausend Goldstücken; und bewahrte so das missorium als ein Prunkstück des Gotenschatzes. Man sehe die folgenden Originalurkunden in den Historiens de la France, Band 2: Fredegarii Scholastici Chronica, p. 441; Fredegarii Fragmentum 3,p. 463. Gesta Regis Dagoberti c. 29, p. 587. Sisenands Thronbesteigung fand A.D.631 statt. Die 200.000 Goldstücke stiftete Dagobert zum Bau der Kathedrale von St. Denis.

Als nach der Eroberung Spaniens die Araber den Schatz plünderten, bewunderten und verehrten sie ein anderes, noch prachtvolleres Schmuckstück: eine Platte von beträchtlicher Größe aus einem einzigen Smaragsstück Der Präsident Goguet (Origine des loix, Band 2, p.239) ist der Auffassung, dass die berühmten Smaragdstücke, die Statuen und Säulen, die das Altertum in Ägypten, in Gades und in Konstantinopel hinterlassen hat, in Wirklichkeit künstlich gefärbtes Glas waren. Der berühmte Smaragdschale, die jetzt in Genua steht, gibt diesem Verdacht neue Nahrung. gearbeitet, gerahmt von drei Reihen ausgesuchter Perlen und von dreihundertfünfundsechzig Juwelenfüßchen und massivem Gold getragen Elmacinus, Historia Saracenica, Buch l, p. 85; Rodericus Toletanus, Historia Arabum, c.9; Cardonne, Histoire de l'Afrique et de l'Espagne sous les Arabes, Band 1, p. 83. Man nannte ihn den Tisch Salomons in Anlehnung an den Brauch der Orientalen, diesem Herrscher gerne Werke von besonderer Gelehrsamkeit oder Prachtentfaltung zuzuschreiben. mit einem Schätzwert von fünfhunderttausend Goldstücken. Einiges aus diesem Schatz der Goten mag wohl eine Freundschaftsgabe gewesen sein oder der Tribut der Botmäßigkeit; aber das meiste war die Frucht des Krieges, des Raubes, war Beute aus dem Reich und wohl auch aus Rom.

 

SONDERGESETZE FÜR ITALIEN UND ROM · A.D. 410-417

Nachdem nun die Goten Italien geräumt hatten, ließ man zwischen all den Palastintrigen doch einen geheimen Berater zu, der die dem Lande geschlagenen Wunden heilen sollte. Seine drei Gesetze sind in den Codex Theodosianus incorporiert: 11,28,7; 13,11,12; 15,14,14. Die Formulierungen der letzten sind durchaus bemerkenswert, da sie nicht nur Pardon gewähren, sondern auch noch eine Entschuldigung enthalten. Eine menschenfreundliche und weise Regelung verschaffte den acht am schwersten betroffenen Provinzen Steuernachlass für fünf Jahre: Kampanien, Toskana, Picenum, Samnium, Apulien, Calabrien, Bruttium und Lukania: der übliche Steuersatz wurde auf ein Fünftel herabgesetzt, und selbst dieses eine Fünftel wurde dafür verwendet, die öffentlichen Einrichtungen wieder in Ordnung zu bringen. Ein anderes Gesetz sprach solches Land, das seine Bewohner aufgegeben hatten, mit einigem Steuernachlass den Nachbarn zu, die es erwerben wollten, oder Fremden, die darum baten; und zugleich waren die neuen Besitzer gegen die Ansprüche geschützt, die die früheren, flüchtigen Besitzer etwa erheben mochten.

Etwa zu gleicher Zeit erging im Namen des Honorius ein allgemeiner Pardon, mit dem die Schuld und die Verfolgung aller unfreiwilligen Vergehen aufgehoben wurden, die seine unglücklichen Untertanen in den Zeiten der allgemeinen Wirrnis und Not begangen haben mochten. Der Wiederherstellung der Stadt widmete man besondere Aufmerksamkeit; die Bürger wurden ermutigt, die Gebäude neu zu errichten, die das feindliche Feuer zerstört oder beschädigt hatte; und von Afrikas Küsten wurde eine außerplanmäßige Getreidelieferung angeliefert. Das Volk, das eben noch vor dem Schwert der Barbaren enteilt war, kam schon bald zurück in der Hoffnung auf Überfluss und Freuden; und der Stadtpräfekt Albinus setzte den Senat mit ängstlicher Überraschung davon in Kenntnis, dass an einem einzigen Tage vierzehntausend Fremde angekommen seien. Olympiodoros, bei Photios, p 188. Philostorgos 12,5 bemerkt, dass, als Honorius im Triumph in Rom einzog, er mit [Ü.a.d.Griech: »Hand und Zunge«] die Römer ermuntert habe, ihre Stadt neu zu erbauen. Prosper Tiros Chronik lobt Heraclianus, »qui in Romanae urbis reparationem strenuum exhibuerat ministerium.« [der beim Wiederaufbau der Stadt sein Amt so nachdrücklich ausübte]. In weniger als sieben Jahren waren die Spuren der gotischen Verwüstung nahezu getilgt, und Stadt schien zu ihrem früheren Glanz und Wohlstand zurückgekehrt. Die wackere Matrone setzte sich erneut die Krone auf, die ihr der Sturm vom Haupt gerissen hatte; und freute sich selbst noch in ihren letzten Lebenstagen an den Prophezeiungen, die ihr süße Rache, großen Sieg und ewige Herrschaft versprachen. Das Datum der Reise des Claudius Rutilius Numantianus ist schwer zu bestimmen, aber Scaliger hat mit astronomischen Rechnungen deduziert, dass er am 24. September 416 Rom verlassen habe und in Porto am 9. Oktober 416 an Bord gegangen sei. Siehe Tillemont, Histoire des empereurs Band 5, p.820. Auf dieser politischen Reisebeschreibung grüßt er Rom mit Nachdruck(1,115): »Erige crinales lauros, seniumque sacrati/ Verticis in virides Roma recinge comas...« [Erhebe o Rom, dein lorbeergekröntes Haupt und wandele deinen geheiligten grauen Scheitel zu Jugendlocken um].

 

REVOLTE UND NIEDERLAGE VON HERACLIAN, COMES VON AFRICA A.D. 413

Diese allgemeine Ruhe wurde allerdings schon bald aufgestört durch das Herannahen einer feindlichen bewaffneten Macht, die ausgerechnet aus dem Lande kam, das sonst für Roms tägliches Brot aufkommen musste. Heraklian, der comes von Afrika, welcher unter den schwierigsten und gefährlichsten Bedingungen tatkräftig die Sache des Honorius unterstützt hatte, fand sich im Jahre seines Konsulates versucht, den Rebellen zu spielen und den Kaisertitel zu beanspruchen. Die Häfen Afrikas füllten sich binnen Kurzem mit bewaffneter Seemacht, an deren Spitze er sich zur Eroberung Italiens anschickte; und seine Armada übertraf, als sie vor der Tibermündung vor Anker ging, in der Tat die Flotten des Xerxes und Alexander an Zahl, wenn denn alle Schiffe von der Königsgaleere bis zum kleinsten Nachen die unglaubliche Zahl von dreitausendzweihundert tatsächlich erreicht haben sollten. Orosius schrieb seine Geschichte in Afrika nur zwei Jahre nach dem Ereignis; aber gegen seine Autorität spricht das Gewicht der Fakten. Die Chronik des Marcellinus billigt Heraklian nur 700 Schiffe und 3000 Mann zu; die letztgenannte Zahl ist lächerlich verderbt, aber die erste gefällt mit wirklich gut. Und doch machte der afrikanische Eroberer mit dieser geballten Macht, die die mächtigsten Reiche der Erde hätte unterwerfen können, auf die Provinzen seines Gegners nur einen sehr schwächlichen und blassen Eindruck. Als er vom Hafen nach Rom marschierte, wurde er von einem kaiserlichen Offizier und seiner Mannschaft abgefangen, umzingelt und aus dem Feld getrieben; da gab der Herr dieser gewaltigen Kriegsmacht seine Sache und seine Freunde verloren und floh schmachvoll auf einem einzigen Schiff nach Africa. Die Chronik von Hydatius behauptet ohne den allergeringsten Anschein von Wahrheit, dass er bis Otriculum in Umbrien gekommen sei, wo er erst in einer gewaltigen Schlacht mit fünfzigtausend Toten habe besiegt werden können.

Als Heraklian nach Karthago zurückgekehrt war, fand er, dass die ganze Provinz, die sich eines derart hilflosen Führers nur schämen konnte, zum angestammten Gehorsam zurückgekehrt war. Der Rebell wurde im alten Tempel der Memoria enthauptet; sein Konsulat getilgt; Siehe den Codex Theodosianus 15,14,13. Alle Maßnahmen mit Gesetzeskraft, die in seinem Namen geschehen waren, selbst noch die Freilassung von Sklaven, wurden solange für ungültig erklärt, bis sie offiziell wiederholt worden waren. und die Überreste seines Privatvermögens, das die mäßige Summe von viertausend Goldpfund nicht überschritt, wurden dem wackeren Constantius zugesprochen, der hier schon mal den Thron verteidigt hatte, den er hernach mit seinem schwachen Herrscher teilen sollte. Honorius blickte mit untätigem Gleichmut auf Roms und Italiens Notlage; Ich habe es für unter meiner Würde befunden, eine ungemein törichte und vermutlich falsche Geschichte (Prokopios, de bello Vandalico 1,2) mitzuteilen, nach der Honorius aufgeschreckt war durch den Verlust von Roma, bis er begriff, dass es nicht sein Lieblingshuhn gleichen Namens war, sondern nur die Hauptstadt, die verloren war. Dennoch wirft diese Geschichte einiges Licht auf die öffentliche Meinung. nur die Widersetzlichkeiten des Attalus und Heraklian gegen ihn persönlich schreckten den stumpfsinnigen Herrscher kurzfristig aus seinem Dämmern auf. Vermutlich kannte er noch nicht einmal die Ursachen der drohenden Gefahr und die Ereignisse, die ihn gerettet hatten; und da Italien nicht länger von auswärtigen oder inneren Feinden heimgesucht wurde, wohnte er in seinem Palast zu Ravenna friedlich vor sich hin, während Alleinherrscher jenseits der Alpen wiederholt im Namen und durch die Generäle von Theodosius' Sohn besiegt wurden. Die Materialien für die Biographien all' dieser Tyrannen sind sechs zeitgenössischen Autoren entnommen, vier griechischen und zwei lateinischen: Orosius, 7,42; Renatus Profuturus Frigeridus, bei Gregor von Tours, 2,9 in den Historiens de la France, Band 2, p. 165f; Zosimos, 6,2ff; Olympiodoros bei Photios, p. 180f und 184f; Sozomenos, 9,12-15; und Philostorgios, 12,5f, mit Gothofreds Dissertationes, p. 477-481. Außerdem noch die vier Chroniken von Prosper Tyro, Prosper von Aquitanien, Hydatius und Marcellinus. Nun könnte ich im Verlauf unserer Erzählung leicht des Todes eines solchen Fürsten zu erwähnen vergessen, und so eile ich bereits an dieser Stelle zu bemerken, dass Honorius die Belagerung Roms dreizehn Jahre überlebte.

 

AUFSTÄNDE IN GALLIEN UND SPANIEN · A.D. 409-413

Die Thronraub des Constantin, der einst den Purpur von den britannischen Legionen erhalten hatte, war ein voller Erfolg gewesen und schien auch abgesichert zu sein. Sein Titel wurde vom Antoniuswall bis zu den Säulen der Herkules anerkannt; und inmitten der allgemeinen Unordnung teilte er sich mit diversen Barbarenstämmen in die Herrschaft und die Plünderung Spaniens und Galliens, die der Rhein und die Pyrenäen nicht länger von ihrem zerstörerischen Tun abhielten. Besudelt mit dem Blute von Honorius' Verwandten erzwang er vom Hof zu Ravenna, mit dem er in geheimer Verbindung stand, die Anerkennung seiner widerrechtlichen Ansprüche. Constantin verpflichtete sich feierlich, Italien von den Goten zu befreien; gelangte auch bis zum Po-Ufer; und kehrte, nachdem er seinen kleinherzigen Verbündeten eher beunruhigt als unterstützt hatte, in Eile in seinen Palast zu Arles zurück, um dort mit maßloser Verschwendung seinen hohlen und prahlerischen Triumph zu feiern.

Aber dieser nur vorübergehende Höhenflug wurde schon bald von dem comes Gerontius, seinem fähigsten General, aufgehalten; welcher während der Abwesenheit seines Sohnes Constans (dieser Prinz trug bereits den kaiserlichen Purpur) mit der Verwaltung der Provinzen Spaniens betraut war. Aus uns unbekannten Gründen nahm Gerontius nicht selbst das Diadem, sondern setzte es seinem Freunde Maximus aufs Haupt, der seine Residenz in Taragona einrichtete, während der comes selbst ungestüm durch die Pyrenäen vordrang, um die beiden Kaiser Constantin und Constans zu überrumpeln, bevor sie Zurüstungen zu ihrer Verteidigung treffen konnten. Der Sohn wurde in Wien gefangen gesetzt und unverzüglich hingerichtet; und der Unglückliche hatte kaum Zeit, das Schicksal seiner Familie zu beklagen, die ihn in unfrommer Weise aus der stillen Abgeschiedenheit seines Mönchsdaseins herausgelockt oder -genötigt hatte. Der Vater überstand die Belagerung von Arles; aber die Stadt hätte sich ergeben müssen, wenn nicht ganz unerwartet eine Armee aus Italien zum Entsatz gekommen wäre.

Allein der Name des Honorius, die Ankündigung eines machtvollen Kaisers bestürzte die hadernden Parteien der Rebellen. Gerontius, von den eigenen Truppen im Stich gelassen, entfloh nach Spanien; und nur die römische Tapferkeit, die in den letzten Augenblicken seines Lebens aufflackerte, bewahrt seinen Namen vor der vollständigen Vergessenheit. Um Mitternacht umstellten zahlreiche treulose Soldaten sein Haus, in dem er sich fest verbarrikadiert hatte. Nur seine Frau aus dem Volk der Alanen und ein paar getreue Sklaven hielten noch zu ihm; und mit so viel Entschlossenheit und Geschick bediente er sich eines großen Vorrates von Pfeilen, dass mehr als dreihundert Belagerer ihr Leben lassen mussten. Als er in der Morgendämmerung alle seine Pfeile verschossen hatte, flohen seine Sklaven; und hätte seine Gattin ihn nicht zärtlich zurückgehalten, wäre Gerontius wohl ihrem Beispiel gefolgt; bis dann die Soldaten, aufgebracht denn doch durch soviel hartnäckigen Widerstand, von allen Seiten Feuer an das Haus legten. In dieser äußersten Situation gab er dem Wunsch eines seiner barbarischen Freunde, eines Alanen, nach und enthauptete ihn. Die Frau des Gerontius beschwor ihn, sie nicht einem Leben in Schande zu überlassen und bot seinem Schwert ihren Nacken dar; und die tragische Szene endete schließlich mit dem Tod des comes selbst, der nach drei wirkungslosen Hieben einen Kurzdolch zog und ihn sich ins Herz stieß. Das Lob, das Sozomenos für diese Verzweiflungstat erübrigt, hört sich aus dem Munde eines Kirchenschriftstellers einigermaßen befremdend an. Er merkt dazu noch an (p. 379), dass die Frau des Gerontius Christin war; und dass sie sich mit dieser Tat ihrer Religion als würdig erwiesen und zugleich Unsterblichkeit erworben habe.

Der schutzlose Maximus, dem er den Kaiserpurpur umgehängt hatte, blieb zunächst am Leben, musste dafür aber mit dem Spott und der Verachtung bezahlen, denen er sich schon bald ausgesetzt sah. Die Barbaren, die Spanien heimsuchten, setzte dieses kaiserliche Gespenst neuerlich auf den Thron; aber schon bald überantworteten sie ihn der Justiz des Honorius; und nachdem man ihn der gaffenden Menge Ravennas und Roms dargeboten hatte, wurde der Alleinherrscher Maximus öffentlich hingerichtet.

 

CHARAKTERISTIK UND SIEGE DES CONSTANTIUS

Der General, Constantius war sein Name, der mit seinem Entsatzheer die Belagerung von Arles aufgehoben und die Truppen des Gerontius zerstreut hatte, war zu Rom geboren; und diese bemerkenswerte Auszeichnung ist für den Verfall des militärischen Geistes außerordentlich kennzeichnend. Die Charakterstärke und Majestät, die man dem General nachsagte, [Ü.a.d.Griech.:...ein Bildnis, würdig der Tyrannis] liest man bei Olympiodoros, was er wohl der nur fragmentarisch überlieferten Euripides-Tragödie ›Aiolos‹ entlehnt hat (Euripides bei Barnes, Band 2, p. 443, 38). Seine Anspielung zeigt, dass die klassischen Tragiker im V. Jhdt. durchaus noch gegenwärtig waren. waren hinreichend, ihn in der populären Meinung für den Thron zu qualifizieren, den er später denn auch tatsächlich innehatte. Im seinem privaten Leben war er leutselig und umgänglich; zuweilen verschmähte er es nicht einmal, in geselligem Kreise und bei ausgelassener Stimmung sich mit den Pantomimen in der Ausübung ihrer fröhlichen Kunst zu messen. Wenn ihn jedoch das Trompetensignal zu den Waffen rief; wenn er sein Streitross bestieg und sich beinahe bis auf dessen Hals vorbeugte (denn dies war seine – recht ungewöhnliche – Übung) und mit rollenden, fast tierhaften Augen die Walstatt musterte, dann packte Furcht die Feinde, aber Constantius' eigene Leute wurden von Siegeszuversicht voran getragen.

Er erhielt vom Hof zu Ravenna den bedeutenden Auftrag, die Unruhen im Westen auszutreten; und der angemaßte Kaiser Constantin wurde nach kurzer und sorgenvoller Verschnaufpause erneut in seiner Hauptstadt von einem noch stärkeren Feinde belagert. Immerhin aber führte er in dieser Zwischenzeit erfolgreiche Verhandlungen mit den Franken und Alamannen; und sein Abgesandter Edobich kehrte schon bald an der Spitze einer Armee zurück, welche die Belagerung von Arles zumindest stören sollte. Anstelle nun in seiner Verschanzung den Angriff abzuwarten, entschloss sich der römische General kühn und klug zugleich, die Rhone zu passieren und die Barbaren seinerseits anzugreifen. Seine Maßnahme führte er so geschickt und unauffällig durch, dass die Germanen, während sie die Linieninfanterie des Constantius angriffen, ihrerseits unversehens von der Kavallerie seines Generals Ulphilas umzingelt, angegriffen und aufgerieben wurden, nachdem dieser in ihrem Rücken in aller Heimlichkeit eine günstige Stellung bezogen hatte.

Die Überlebenden aus der Armee des Edobich retteten ihr Leben durch Flucht oder Kapitulation, und ihr Anführer selbst entkam in das Haus eines ungetreuen Freundes; welcher schon sehr bald begriff, dass der Kopf seines rebellischen Gastes dem Kaiser ein willkommenes und wertvolles Geschenk sein müsste. Bei dieser Gelegenheit bewahrte Constantius allerdings echt römische Größe. Er unterdrückte jedes Gefühl von Futterneid und anerkannte öffentlich Ulphilas Verdienste an dem Sieg; aber von der Ermordung des Edobich wandte er sich mit Grausen; und er gab strengen Befehl, dass das Lager nicht länger durch die Anwesenheit eines verräterischen Buben besudelt werden dürfe, der die Gesetze der Freundschaft und des Gastrechtes beleidigt habe.

 

TOD DES USURPATORS CONSTANTINUS · 28. NOVEMBER 411

Der Thronräuber, der von den Mauern von Arles aus zusehen musste, wie seine letzten Hoffnungen zugrunde gingen, sah sich versucht, zu einem so großherzigen Sieger Zutrauen zu fassen. So verlangte er für sich eine feierliche Sicherheitsgarantie; und nachdem ihm ein christlicher Presbyter die Hand aufgelegt hatte, traute er sich die Stadttore zu öffnen. Aber schon bald musste er erfahren, dass die Ehrprinzipien, die die üblichen Aufführungen des Constantius bestimmen mochten, hinter den weniger festen Grundsätzen der politischen Moral zurücktreten mussten. Der römische General selbst nahm Abstand davon, seine Lorbeeren mit dem Blute des Constantin zu beflecken. Aber der abgesetzte Kaiser und sein Sohn Julian wurden unter strenger Bewachung nach Italien verbracht, und ehe noch sie in Ravenna ankamen, trafen sie auf die Boten des Todes.

 

STURZ DES JOVINUS · SEBASTIAN · ATTALUS A.D 411-416

In einer Zeit, als es allgemein anerkannt war, dass nahezu jeder andere Bürger des Reiches mehr persönliche Verdienste als der aktuelle Herrscher Honorius besaß, der nur infolge des Zufalls seiner Geburt den Thron drückte, sah man doch in schneller Folge Thronbewerber auftreten, unbeeindruckt vom Schicksal der jeweiligen Vorgänger. In Spanien und Gallien fühlte man diesen Übelstand besonders schmerzlich, weil der Krieg hier alle Prinzipien von Befehl und Gehorsam zum Erliegen gebracht hatte. Bevor Constantin den Purpur niederlegte, im vierten Monat der Belagerung von Arles, erfuhr man am kaiserlichen Hofe davon, dass Jovinus zu Mainz in Obergermanien auf Betreiben des Alanenkönigs Goar und des Burgunderkönigs Guntiarius das Diadem aufgesetzt hatte; und dass der Kandidat, den sie für das Imperium vorgesehen hatten, mit einer gewaltigen Heeresmacht von Barbaren vom Rhein an die Rhone unterwegs sei.

Alles an dieser kurzen Geschichte der Herrschaft des Jovinus ist dunkel und ungewöhnlich. So wäre es füglich zu erwarten gewesen, dass ein wackerer und entschlossener General sich auf dem Schlachtfeld für die Sache des Honorius eingesetzt hätte. Der überstürzte Rückzug des Constantius mag sich noch mit gewichtigen Gründen entschuldigen lassen; aber er gab Gallien ohne jede Gegenwehr verloren; und der Prätorianerpräfekt Dardanus wird rühmlich genannt als der einzige Magistrat, der dem Thronräuber den Gehorsam verweigerte. Sidonius Apollinaris (5, Epistulae 9, mit den Erläuterungen Sirmonds, p. 58), der die Unbeständigkeit des Constantin brandmarkt, die Nachgiebigkeit des Jovinus und die Treulosigkeit des Gerontius, bemerkt anschließend, dass in der einen Person des Dardanus alle Laster dieser drei Tyrannen vereint seien. Aber der Reichspräfekt stellte in der Welt und sogar noch in der Kirche eine Respektsperson dar; mit Augustinus und Hieronymus unterhielt er eine erbauliche Korrespondenz; und erhielt von letzterem (Opera, Band 3, p.66) die Epitheta Christianorum nobilissime und Nobilium Christianissime. Als die Goten zwei Jahre nach der Belagerung Roms ihre Quartiere in Gallien aufschlugen, war die Annahme naheliegend, dass sie ihre Neigung entweder dem Honorius zuwenden würden, mit dem sie eine Bündnisverpflichtung verband, oder dem abgesetzten Attalus, der in ihrem Lager als Musiker oder König auftreten durfte. Aber in einem Augenblick des Ekels (Zeitpunkt und Anlass sind nicht leicht zu eruieren) trat Athaulf mit dem Usurpator Galliens in Verbindung und übertrug Attalus das unrühmliche Geschäft, den Vertrag auszuhandeln, der seine eigene Schande besiegeln würde.

Erneut lesen wir mit Überraschung, dass Jovinus nicht etwa in der Allianz mit den Goten die zuverlässigste Stütze seines Thrones sah, sondern in dunklem und schwammigem Sprachduktus den zudringlichen Diensteifer des Attalus schalt; dass er für den Rat seines mächtigen Verbündeten nur Verachtung erübrigte und seinem Bruder Sebastian den Purpur umhängte; und dass er höchst unbedacht den Dienst des Sarus annahm, als dieser tapfere Stammeshäuptling und Krieger des Honorius veranlasst wurde, den Hof eines Herrschers zu verlassen, der außerstande war, zu strafen oder zu belohnen.

Athaulf, der in einer Kriegerkaste erzogen worden war, welcher die Pflicht zur Rache als das Heiligste und Köstlichste von ihrem Erbe galt, eilte mit einem Korps von zehntausend Goten, dem Erbfeinde des Hauses der Balti zu begegnen. Er griff Sarus in einem unbewachten Augenblick an, als er von nur achtzehn oder zwanzig seiner Krieger begleitet war. Durch Freundschaft geeint und von Verzweiflung beseelt, endlich aber der Übermacht unterlegen, verdiente sich diese Truppe von Helden den Respekt ihrer Gegner, ohne allerdings auch ihr Mitleid zu erregen; und sobald der Löwe nicht mehr durch die Lappen gehen konnte, Man kann den Ausdruck fast wörtlich nehmen. Olympiodoros sagt »Sakkos,« und dies mag einen Sack oder ein grobes Gewand bezeichnen; und diese Methode, »laciniis contortis« einen Feind zu fangen, wurde bei den Hunnen gerne geübt. Tillemont (Histoire des empereurs Band 5, p. 608) übersetzt die Stelle mit: Il fut pris vif avec des filets. war er auch schon in die andere Welt befördert. Der Tod des Sarus löste auch die – ohnehin lockeren – Verbindung zwischen Athaulf und den Usurpatoren Galliens. Er hörte lieber auf die Gebote der Liebe und der Besonnenheit; und rasch stellte er den Bruder der Placidia ruhig, indem er versicherte, er werde schon bald die Köpfe der beiden Tyrannen Jovinus und Sebastian dem Palast zuschicken.

Der Gotenkönig löste sein Versprechen umgehend und ohne Anstand ein; die beiden Brüder, hilflos und ohne persönliche Bedeutung, wurden von ihren barbarischen Hilfstruppen fallen gelassen; und die kurze Gegenwehr von Valentia endete mit dem Untergang einer der schönsten Städte Galliens.

 

ATTALUS NACH LIPARI VERBANNT

Für den vom Römischen Senat gewählten Herrscher, der emporbefördert, abgesetzt, gekränkt, erneut eingesetzt, erneut abgesetzt und erneut gekränkt worden war, vollendete sich schließlich sein Schicksal; als der Gotenkönig seine schützende Hand von ihm abzog, hielten nur Mitleid oder Verachtung ihn davon ab, der Person des Attalus irgendeinen persönlich Tort anzutun. Der glücklose Attalus, von allen Verbündeten und Untertanen verlassen, ging in einem spanischen Hafen an Bord, auf der Suche nach einem ruhigen und sicheren Refugium; auf See wurde er jedoch gefangen gesetzt, Honorius vorgeführt, im Triumph durch die Straßen Ravennas und Roms geführt und schließlich auf der zweiten Stufe des Thrones seines unbesiegbaren Gegners dem gaffenden Mob zur Besichtigung frei gegeben. Das gleiche Strafmaß, mit dem in den Tagen seiner Größe seine Gegnern misshandelt zu haben Attalus vorgeworfen wurde, bekam er nun selbst zu spüren: er wurde, nachdem man ihm zwei Finger abgeschnitten hatte, zu lebenslänglichem Exil auf der Insel Lipari verurteilt, wo er mit karg bemessenen Lebensnotwendigkeiten versehen wurde. – Der Rest der Regierungszeit des Honorius wurde durch keinerlei Rebellionen mehr erschüttert; und es soll hier festgehalten werden, dass innert fünf Jahren sieben Thronräuber an einem Herrscher gescheitert waren, der persönlich außerstande war, irgendeinen Entschluss von Bedeutung zu fassen geschweige denn ihn auszuführen.

 

SUEBEN FALLEN IN SPANIEN EIN 13. OKTOBER 409

Infolge seiner geographischen Lage war Spanien durch die See, das Gebirge und die trennenden Provinzen von Roms Feinden verschont geblieben, so dass dieses abgelegene Land sich einer langen Friedensperiode erfreut hatte; wir wollen hier anmerken, dass diese Provinz – und dieses ist ein zuverlässiges Zeichen für einen gesicherten Frieden im Inneren – vierhundert Jahre lang keinen nennenswerten Beitrag zur Geschichte Roms geliefert hatte. Die Spuren der Barbaren, die unter Galienus Herrschaft die Pyrenäen überschritten hatten, waren durch die anschließende Friedenszeit schon bald getilgt; und im vierten Jahrhundert der christlichen Ära zählten die Städte Emerita oder Merida, Cordoba, Sevilla Bracara und Tarrogona zu den berühmtesten der römischen Welt. Die natürliche Fülle des Tier-, Pflanzen- und Mineralreiches wurde durch das Geschick gewerbefleißger Bürger ausgebeutet und verarbeitet; und die mit Eifer betriebene Seefahrt trug dazu bei, den ausgedehnten und einträglichen Handel zu fördern. Ohne auf ältere Autoren zurückzugreifen, will ich drei ansehnliche Zeugen aus dem IV und VII Jh. anführen: die Expositios totius Mundi (p. 16 in Band 3 von Hudson, Geographiae scriptores minores), Ausonius (De claris urbibus. Opera, p. 242) und Isidor von Sevilla (Vorwort zur Chronik in Grotius, Historia Gothorum, p. 707). Diverse Einzelheiten zu Fruchtbarkeit und Handel Spaniens finden sich bei Nonnius, Hispania illustrata und bei Huet, Histoire du commerce des anciens, c. 40, p. 228-234. Künste und Wissenschaft blühten unter der schirmenden Hand der Kaiser; und wenn das Gemüt der Spanier durch Frieden und Knechtschaft auch geschwächt war, so schien doch das feindliche Herannahen der Germanen, die zwischen Rhein und Pyrenäen Furcht und Schrecken verbreitet hatten, in ihnen Funken von militärischem Geiste neu zu entflammen.

Solange die Verteidigung der Berge der entschlossenen und zuverlässigen Landmiliz anvertraut war, wurden die Angriffe der Barbaren erfolgreich zurückgeworfen. Aber kaum, dass diese landeseigenen Truppen genötigt worden waren, ihre Stellungen für die Truppen des Honorius im Dienste des Constantin zu räumen, als auch schon diese Einfallstore nach Spanien – etwa zehn Monate vor der Plünderung Roms durch die Goten – an den Feind verraten wurden. Das Datum ist in den Fasti und der Chronik des Hydatius genau fixiert. Orosius (7,40) macht für den Verlust Spaniens den Verrat der Honorianer verantwortlich, während Sozomenos lediglich ihre Nachlässigkeit tadelt. Schuldbewusstsein und Raubgier bestimmte diese gemieteten Wachen der Pyrenäen, ihren Posten zu verlassen; die Sueben, Vandalen und Alanen zum Kommen zu laden; und so die Flut zu vergrößern, welche mit unwiderstehlicher Gewalt von Galliens Grenze bis vor Afrikas Küste strömte. Spaniens Katastrophe kann man nun mit den Worten seines sprachmächtigsten Historikers beschreiben, der die heftigen und wohl auch übertriebenen Klagen zeitgenössischer Autoren Hydatius möchte für dieses nationale Unglück an liebsten die Prophezeiungen Daniels heranziehen; und sieht sich daher genötigt, die Ereignisse der Terminologie dieser Vorhersagen anzupassen. zu Papier gebracht hat.

»Tiefe Not folgte auf diesen Einfall dieser Völker; denn die Barbaren waren unglaublich grausam gegenüber den Römern und Spaniern und wüteten in den Städten und dem offenen Lande mit gleicher Wildheit. Der zunehmende Hunger zwang die unglückseligen Einwohner, sich vom Fleische ihrer Landsleute zu nähren; und selbst die wilden Tiere, die sich in der Wüste unkontrolliert vermehren konnten, gingen so weit, durch den Geschmack von Blut und von Hunger verwegen gemacht, ihre Menschen-Beute anzugreifen und zu verschlingen. Schon bald kam die Pestilenz, jener zuverlässige Begleiter des Hungers; der größte Teil der Bevölkerung wurde dahin gerafft; und das Stöhnen der Sterbenden erregte nur den Neid derer, die am Leben bleiben mussten.«

»Endlich bezogen die Barbaren, des Metzelns und Beutemachens satt und bedrängt von den ansteckenden Krankheiten, die sie selbst eingeschleppt hatten, einen festen Wohnsitz in dem entvölkerten Land. Das antike Galizien, in deren Grenzen das Königreich Alt-Kastilien gelegen hatte, wurde zwischen Sueben und Vandalen aufgeteilt; und die Alanen zerstreuten sich über die Provinzen Lusitanien und Karthagena, die zwischen Atlantik und Mittelmeer lagen; das fruchtbare Baetica fiel den Silingi zu, die ebenfalls zum Volk der Vandalen gehörten. Nachdem dieses geregelt war, schlossen die Sieger mit ihren neuen Untertanen noch verschiedene Schutz- und Gefolgschaftsverträge auf Gegenseitigkeit; erneut kam das Land unter den Pflug; und Städte und Dörfer wurden erneut durch Gefangene besiedelt. In ihrer Mehrheit waren die Spanier eher geneigt, sich in diese neue Form der Armut und Barbarei zu fügen als in die drückende Herrschaft der Römischen Regierung. Dennoch gab es etliche, die immer noch ihrer nationalen Freiheit nachhingen; und die sich, besonders in den galizischen Bergen, dem Joch der Barbaren widersetzten.« Mariana, de rebus Hispaniae, Band 1, p. 148. Er hatte bei Orosius gelesen, dass die Barbaren ihre Schwerter zu Pflugscharen umgeschmiedet hatten; und dass viele Provinzialen es vorzogen, »inter Barbaros pauperem libertatem quam inter Romanos tributariam solicitudinem sustinere.« [...lieber unter den Barbaren die Freiheit in Armut zu tragen als unter den Römern die Last der Tribute].

 

ATHAULF IN SPANIEN · A.D. 414

Mit der Auslieferung von Jovinus' und Sebastians Köpfen hatte Athaulf seine Freundschaft gefestigt und Gallien in die Botmäßigkeit seines Schwagers Honorius zurückgeführt. Nun ist Frieden unverträglich mit der Stellung und der Gemütslage von Gotenkönigen. So war er rasch bereit, seine siegreiche Heeresmacht gegen die Barbaren in Spanien zu wenden; die Truppen des Constantius schnitten ihn vom Verkehr mit den gallischen Seehäfen ab und lenkten seinen Marsch mit sanftem Druck in Richtung auf die Pyrenäen; Diese Mischung von Nötigung und Überredung lässt sich durch den Vergleich von Orosius mit Jordanes, des gotischen mit dem römischen Historiker erhalten. er überquerte das Gebirge und überrrumpelte im Namen des Kaisers die Stadt Barcelona. Die Zuneigung des Athaulf zu seiner römischen Frau hatte sich im Laufe der Zeit nicht abgekühlt; und die Geburt eines Sohnes, den man nach seinem berühmten Großvater Theodosius benannte, schien ihn auf alle Zeit an die Sache der Republik zu binden. Der Tod dieses Neugeborenen, dessen sterbliche Überreste in einem Silbersarg in einer der Kirchen nahe Barcelona beigesetzt wurden, bereitete den Eltern viel Kummer; aber Athaulfs Schmerz fand im Felde bei kriegerischen Geschäften Linderung; doch schon bald wurde sein Siegeslauf durch Verrat gehemmt.

Er hatte unklugerweise einen der Anhänger des Sarus in seine Dienste genommen: ein wagemutiger Barbar von kleinem Wuchs; dessen heimlicher Wunsch, seinen geliebten Patron zu rächen, durch den gedankenlosen Sarkasmus seines neuen Herren lebendig gehalten wurde. Athaulf wurde im Palast von Barcelona ermordet; bei der Bestimmung des Nachfolgers ließ man die Thronfolge-Gesetze außer Acht; Nach dem System des Jordanes (Getica 33) besaßen das eigentliche Thronfolgerecht die Amaler; aber diese Prinzen, die zugleich Vasallen der Hunnen waren, führten das Szepter über die Ostgoten irgendwo in Germanien oder Skythien. und Singerich, Bruder des Sarus und mit der königlichen Familie nicht verwandt, bestieg den Thron der Goten. Seine erste Regierungsmaßnahme war die unmenschliche Ermordung der sechs Kinder des Athaulf, die einer früheren Ehe entsprossen waren und die er mitleidlos einem hilflosen, wenn auch ehrbaren Bischof entriss. Über den Mord berichtet Olympiodoros, die Zahl der Kinder findet sich auf einer Grabinschrift von fraglicher Echtheit. Auch die unglückliche Placidia, die doch noch bei dem Gefühlsrohesten Mitleid erweckt hätte, wurde mit Grausamkeit und Willkür behandelt. Die Tochter des Kaisers Theodosius musste zusammen mit zahlreichen anderen gewöhnlichen Gefangenen zu Fuß zwölf Meilen vor dem Pferd des Barbaren herlaufen, der den Mann ermordet hatte, den sie liebte und nun beweinte. Der Tod des Athaulf wurde in Konstantinopel festlich und mit allerlei Zirkusspielen gefeiert (siehe die Alexandrinische Chronik); es ist nicht ganz klar, ob die Giechen bei dieser Gelegenheit sich durch ihren Hass gegen die Barbaren oder die Römer anstacheln ließen.

 

GOTEN EROBERN SPANIEN ZURÜCK · A.D. 415-418

Aber schon bald kostete Placidia süße Rache; und vielleicht hatte der Anblick ihrer Schmach das Volk gegen einen Tyrannen empört, der bereits am siebenten Tage nach seinem Thronraub niedergemetzelt wurde. Nach Singerichs Tod verlieh das Gotenvolk in freier Wahl das Szepter an Wallia; dessen kriegerisches und zweideutiges Gemüt der Republik äußerst feindlich war. Er marschierte in Waffen von Barcelona zur Atlantikküste, die den Alten als das Ende der bewohnten Welt heilig und zugleich furchtbar gewesen war. Als er aber an das südliche Vorgebirge Spaniens kam und von dem Felsen aus, auf dem heute die Feste Gibraltar steht, seine Gedanken zum fruchtbaren und nahe gelegenen Afrika hinüberfliegen ließ, erneuerten sich in Wallia die Eroberungspläne, die der frühe Tod seines Vorgängers Alarich vereitelt hatte. »Quod Tartessiacis avus hujus Vallia terris Vandalicas turmas, et juncti Martis Alanos Stravit, et occiduam texere cadavera Calpen.« [Dass auf tartassischem (SW-Spanien) Boden sein Großvater Wallia die Vandalen und ihre Kriegsgefährten, die Alanen geschlagen hatte und dass ihre Körper das westliche Calpe (Gibraltar) bedeckten]. Sidonius Appollinaris, Panegyricus in Anthemii 363-365. Wind und Wellen waren indessen dem Vorhaben der Goten ungünstig, und die häufigen Stürme und Schiffsbrüche verfehlten nicht, das abergläubische Kriegsvolk zu beindrucken.

In dieser Lage mochte dann der Nachfolger des Athaulf seine Ohren nicht länger vor einem römischen Gesandten verschließen, dessen Vorschläge durch die wirkliche oder auch nur erdachte Nachricht unterstrichen wurden, dass der tapfere Constantius mit großer Streitmacht herzu nahe. Ein Vertrag wurde feierlich aufgesetzt und auch tatsächlich eingehalten: Placidia wurde ihrem Bruder in allen Ehren zurückgegeben; sechshunderttausend Maß Weizen wurden den hungrigen Goten abgeliefert; Diese Hilfe war hochwillkommen; die Goten hatten von den Vandalen Spaniens den Schmähnamen Truli erhalten, da sie in äußerster Not ein Goldstück für eine trula (etwa ein halbes Pfund Weizen) gegeben hatten (Olympiodoros p. 189). und Wallia sollte zukünftig sein Schwert nur noch im Dienste der Republik ziehen. Und schon kam es unter den Barbaren Spaniens zu einem blutigen Krieg. Die streitenden Herrscher sollen Briefe, Botschafter und ihre Geiseln an den Herrscher des Westens geschickt haben mit der dringenden Aufforderung, bei dieser Auseinandersetzungen stille Beobachter zu bleiben; welche Vorgänge den Römern ja durchaus günstig waren, wenn sich ihre gemeinsamen Feinde gegenseitig niedermetzelten. Orosius fügt sogar noch eine Abschrift dieser sogenannten Briefe hinzu (p. 586): »Tu cum omnibus pacem habe, omniumque obsides accipe; nos nobis confligimus, nobis perimus, tibi vincimus; immortalis vero quaestus erit Reipublicae tuae, si utrique pereamus.« [Habe Frieden mit uns allen, nimm Geiseln von uns allen; wir kämpfen mit uns, sterben durch uns und wir siegen für dich zum ewigen Ruhm deines Staates, wenn wir auf beiden Seiten untergehen]. Die Gedanken sind durchaus zutreffend; aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie von Barbaren so gedacht oder geäußert wurden.

Drei Feldzüge lang wurde dieser Spanische Krieg mit äußerster Erbitterung und wechselndem Erfolg geführt; und Wallias Kriegsruhm wurde groß im ganzen Reiche. Er vertrieb die Silingi, die die üppig blühende Provinz Baetica unwiderruflich ruiniert hatten. Der König der Alanen wurde in offener Feldschlacht besiegt; und die Überreste jener skythischen Wanderer, die dem Gemetzel entkommen waren, suchten nun nicht etwa einen neuen Kriegerkönig, sondern nahmen schmähliche Zuflucht unter dem Banner der Vandalen, mit denen sie seither für immer verbunden blieben. Die Vandalen selbst und die Sueben wichen vor der Macht der unbesiegbaren Goten zurück. Der unsortierte Barbarenhaufen, dessen Rückzug abgeschnitten war, wurden in die Berge Galiziens abgedrängt; wo sie dann auf beengtem Gelände und holprigem Boden ihre ewigen Feindseligkeiten fortsetzten.

Durch das Bewusstsein seines Sieges in erhobener Stimmung, beobachtete Wallia Vertragstreue: er führte die spanischen Provinzen erneut unter die Herrschaft des Honorius zurück; und die Bedrückung durch die kaiserlichen Beamten brachte das unterdrückte Volk schon bald dazu, sich nach der Zeit ihrer Knechtschaft unter den Barbaren zu sehnen. Während der Ausgang des Krieges noch in der Schwebe war, ermutigten die ersten Erfolge Wallias den Hof von Ravenna dazu, ihrem unfähigen Herrscher die Ehren eines Triumphzuges zuzusprechen. Er zog in Rom ein wie einer der siegreichen Feldherren aus der Vergangenheit; und wenn die Dokumente der Sklavengesinnung nicht ihr verdientes Schicksal gefunden hätten, dann würden wir mit einiger Sicherheit finden, dass ein Schwarm von Redner, Dichtern, Magistraten und Bischöfen dem Glück, der Weisheit und dem gewaltigen Mut des Kaisers Honorius Beifall gejauchzt hätten. »Romam triumphans ingreditur« [Im Triumph zog er in Rom ein], so der formelle Text aus der Chronik von Prosper Tiro. Die Ereignisse, die mit dem Tode Athaulphs und Wallias Eroberungen zusammenhängen, werden berichtet von Olympiodorus bei Photios 26; Orosius7,43; Jordanes, Getica 31f; und den Chroniken des Hydatius und Isidor.

 

GOTEN SIEDELN IN AQUITANIEN · A.D. 420

Einen solchen Triumph hätte mit gutem Recht Roms Verbündeter für sich in Anspruch nehmen können, wenn denn Wallia, bevor er die Pyrenäen ein zweites Mal überquerte, alle Ursachen des Spanischen Krieges ausgemerzt hätte. Dreiundvierzig Jahre nach ihrer ersten Donauüberquerung wurden die Goten endlich in Übereinstimmung mit den geltenden Verträgen in einem zweiten Aquitanien angesiedelt: eine Küstenprovinz zwischen Garonne und Loire unter der Zivil- und Kirchenverwaltung von Bordeaux. Diese Großstadt, zum Seehandel vorteilhaft am Meere gelegen, war von regelmäßiger und wohlansehnlicher Architektur; und ihre zahlreichen Einwohner zeichneten sich von den übrigen Galliern durch Reichtum, Bildung und geglättete Sitten aus. Die Nachbarprovinz, welche man zu Recht mit dem Garten Eden verglichen hat, ist gesegnet durch fruchtbaren Boden und mildes Klima: überall im Lande findet man Spuren der Kunstfertigkeit und des Gewerbefleißes; und nach den Anstrengungen des Krieges erschöpften die Goten die reichen Weingärten Aquitaniens. Ausonius, de claris urbibus, Opera, p. 257-262, besingt Bordeaux mit der persönlichen Zuneigung des Einheimischen. Siehe die farbige Darstellung der Provinzen von Aquitania und Novempopulania bei Salvianus, de gubernatione Dei p. 228. Durch gelegentliche Schenkungen benachbarter Diözesen vergrößerten die Goten ihren Herrschaftsgebiet; und in Toulouse richteten Alarichs Erben ihre Residenz ein, welche Stadt fünf große Quartiere oder Stadtteile in ihren umfänglichen Mauern aufnahm.

Etwa um die Zeit der letzten Regierungsjahre des Honorius hatten auch die Goten, Burgunder und Franken in Galliens Provinzen dauerhafte Heimstatt genommen. Des Thronräubers Jovinus großzügige Überlassung an seine burgundischen Verbündeten wurde durch den gesetzestreuen Kaiser bestätigt; Obergermanien wurde diesen furchtbaren Barbaren ausgeliefert; und nach und nach besetzten sie durch Eroberung oder Verträge die beiden Provinzen, welche noch heute unter dem Namen Freigrafschaft und Herzogtum Burgund Bestandteil des offiziellen Staatsnamens sind. Orosius (7,32) hebt die Milde und Sanftmut dieser Burgunder hervor, die ihre gallischen Untertanen als ihre christlichen Glaubensbrüder behandelten. Mascou hat die Gründung des Burgunderreiches in den ersten vier Anhängen am Ende seiner mit gewaltigem Fleiß erarbeiteten Geschichte der alten Germanen dargestellt (Band 2, p. 555-572). Die Franken, Roms streitbare und getreue Alliierte, sahen sich schon bald genötigt, es ihren Besatzern gleich zu tun, denen sie so tapferen Widerstand geleistet hatten. Trier, die Hauptstadt Galliens, wurde durch ihre gesetzlosen Räuberhaufen verwüstet; und die schlichte Kolonie, die sie in Brabant im Distrikt von Toxandria so lange gehalten hatten, wuchs unmerklich längs der Maas- und Scheldeufer, bis sie schließlich das ganze Niedergermanien in ihrem Besitz hatten. Diese Tatsachen sind alle historisch abgesichert; aber die Gründung der französischen Monarchie durch Pharamond, die Eroberungen, Gesetze und selbst die Existenz jenes Helden sind durch strenge historische Kritik angezweifelt worden. Siehe Mascov, Ancient Germans, Buch 8, c. 43-45. Mit Ausnahme einer kurzen und verdächtigen Passage in der Chronik des Prosper wird der Name Pharamond vor dem siebenten Jahrhundert nie erwähnt. Der Verfasser der Gesta Francorum (Historiens, Band 2, p. 543) vermutet mit einigem Recht, dass die Wahl des Pharamond – oder doch wenigstens eines Königs – den Franken von seinem Vater Narcomir vorgeschlagen wurde, der in der Toscana im Exil lebte.

 

BARBAREN IN GALLIEN SEIT 420

Der Untergang der reichen gallischen Provinzen datiert von jenem Zeitpunkt, als die Barbaren sich dort niederließen, sie, deren Freundschaft gefährlich und bedrängend war und die sich aus Eigennutz oder Herzensneigung immer mal wieder veranlasst fühlten, den öffentlichen Frieden zu stören. Schwere und willkürliche Belastungen wurden den Provinzen auferlegt, die den Wechselfällen des Krieges entkommen waren; das schönste und fruchtbarste Land fiel den raublüsternen Fremden in die Hände, ihnen, ihren Familien, ihren Sklaven und ihrem Vieh und zur freien Verwendung; und die Eingeborenen ließen mit einem Seufzen das Erbe ihrer Väter dahingehen. Aber dieses häusliche Missgeschick, das nur selten das Los eines besiegten Volkes ist, hatten die Römer selbst durchgemacht wie auch zugefügt, und zwar nicht nur nach siegreich beendeten Kriegen, sondern auch im Zusammenhang mit dem Irrsinn von Bürgerkriegen.

So setzten die Triumvirn achtzehn der fruchtbarsten italischen Kolonien auf die Proskriptionsliste; und verteilten deren Ländereien und Höfe an die Veteranen, die Caesars Tod rächten und zugleich der Freiheit ihres eigenen Landes ein Ende setzten. Zwei Dichter von ungleichem Ruhme haben den Verlust ihres väterlichen Erbes unter vergleichbaren Umständen beklagt; aber die Krieger des Augustus scheinen mit ihrer Brutalität und Rücksichtslosigkeit die Barbaren noch übertroffen zu haben, die unter Honorius in Gallen eingefallen waren. Zumindest entkam Vergil nur mit genauer Not dem Schwerte des Centurio, als dieser ihm seinen Landsitz in der Nähe von Mantua raubte; »O Lycida, vivi pervenimus: advena nostri (Quod nunquam veriti sumus) ut possessor agelli Diceret: Haec mea sunt; veteres migrate coloni. Nunc victi tristes, etc. « [O Lydicas, wir müssen es noch erleben, – nie hätten wir's erwartet – dass ein herbeigelaufener Besitzer unseres Gütleins sagt: Das ist meins; fort, ihr alten Siedler! Nun, traurig als die Unterlegenen...]. Siehe hierzu die vollständige neunte Ekloge nebst Servius' hilfreichem Kommentar. Fünfzehn Meilen des Gebietes um Mantua wurden den Veteranen zugeteilt, vorbehaltlich der drei Meilen rund um die Stadt für die Einwohner. Aber selbst dieses Zugeständnis wurde ihnen streitig gemacht von Alfenus Varus, einem Rechtsgelehrten von Rang und Kommissionsmitglied, der noch achthundert Schritt Wasser und Sumpfland mit einbezog. während Paulinus von Bordeaux von seinem gotischen Nachfolger zu seiner freudigen Überraschung eine Summe Geldes erhielt; und wenn diese auch deutlich unter dem eigentlichen Wert des Anwesens lag, so war dieser Raub doch durch den Anschein der Mäßigung und Gerechtigkeit gemildert. Siehe die eigenartige Textstelle aus dem Eucharistikon von Paulinus (575) bei Maskov, Ancient Germans, Buch 8, c. 42.

Der ominöse Name des Eroberers war ersetzt durch die milde und freundlichere Bezeichnung eines Gastes der Römer; und so gaben denn die Goten in Gallien mehrfach zu verstehen, dass sie mit dem Volke weit mehr durch die Bande der Gastfreundschaft verbunden seien und mit dem Herrscher durch militärische und andere Bündnisverpflichtungen. Der Name des Honorius, seine Gesetze und seine Magistrate galten also noch etwas in einem Lande, das sie schon an die Barbaren abgetreten hatten; und die Könige, die uneingeschränkt über ihr Volk das Szepter schwangen, waren in ihrem Ehrgeiz um den weitaus bedeutenderen Titel eines Heermeisters der kaiserlich-römischen Armee bemüht. Diese wichtige Einsicht danken wir der Sorgfalt Tillemonts (Histoire des empereurs, Band 4, p. 641) und dem Scharfblick des Abbé Dubos (Histoire de l'établissement de la monarchie francoise, Band 1, p. 259). So also wirkte unbeabsichtigt immer noch der römische Name auf die Gemütsverfassung jener Krieger, welche einst im Triumph Kriegsbeute vom Capitol fort getragen hatten.

 

AUFSTAND IN BRITANNIEN UND AMORICA

Während Italien von den Goten verwüstet wurde und zugleich eine ganze Serie erbärmlicher Tyrannen den Ländern jenseits der Alpen zusetzte, sagten sich die britischen Inseln vom Römischen Reiche los. Die eigentlichen Truppen, die jene abgelegene Provinz besetzt hielten, waren nach und nach abgezogen worden; und Britannien fiel den sächsischen Piraten und den Wilden aus Irland und Kaledonien kampflos in die Hände. Die Bretonen warteten in dieser Notlage nicht länger auf die verspätete und unzuverlässige Hilfe eines Herrschers, dessen Jahre sich neigten. Sie versammelten sich unter Waffen, schlugen die Eindringlinge zurück und erfreuten sich an der Neuentdeckung ihrer eigenen Stärke. Zosimos (6,5 und 10) erwähnt die Revolte von Britannien und Armorica nur mit ein paar Worten. Unsere Gelehrten, selbst noch der große Cambden, haben sich wegen ihrer mangelnden Kenntnisse der Geschichte des Festlandes zu mancherlei groben Irrtümern verleiten lassen. Durch ähnliche Misslichkeiten bedrängt und durch den gleichen Kampfgeist beseelt, entschlossen sich die Provinzen Armoricas (gemeint sind hiermit die meeresnahen Länder Galliens zwischen Seine und Loire Die Grenzen von Armorica sind durch zwei landeskundige Geographen abgesteckt worden, nämlich die Messieurs de Valois und d'Anville in ihren Notitias des alten Gallien. Diese Bezeichnung wurde in einem umfassenderen Sinne verwendet, später allerdings deutlich enger aufgefasst.) dem Beispiel der benachbarten Insel nachzueifern. Sie verjagten die römischen Magistrate, welche im Auftrag des Thronräubers Constantin tätig waren; und das Volk, welches so lange der Willkür einer fremden Macht unterworfen gewesen war, gab sich jetzt selbst eine Regierung.

Honorius, der gesetzmäßige Herrscher des Westens, bestätigte schon bald darauf die Selbständigkeit Britanniens und Armoricas; die Briefe, mit denen er den neubegründeten Staaten die Sorge für ihre eigene Sicherheit übertrug, kann man als vollständige und endgültige Abdankung der staatlichen Souveränität ansehen. Im gewissen Umfang wird diese Deutung durch die folgenden Ereignisse gerechtfertigt. Nachdem die Fremdherrschaft Galliens eine nach der anderen wieder aufgegeben worden war, wurden auch die Seeprovinzen dem Reich wieder angeschlossen. Aber ihre Gefolgschaft stand auf wanken Füßen und war unzuverlässig: die unbeständige und aufsässig Verfassung ihrer Einwohner vertrug weder die Freiheit noch die Knechtschaft, »Gens inter geminos notissima clauditur amnes, Armoricana prius veteri cognomine dicta. Torva, ferox, ventosa, procax, incauta, rebellis; Inconstans, disparque sibi novitatis amore; Prodiga verborum, sed non et prodiga facti.« (Ein berühmtes Volk, eingeschlossen von zwei Flüssen, von den Alten das armorikanische zubenannt. Wild und trotzig, wetterwendisch, rotzig, leichtsinnig und widerborstig; unzuverlässig, da allen Neuerungen zugetan; wortreich, aber tatenarm]. Erricus der Mönch in Vita Sancti Germani 5, bei Valesius, Notitia Galliarum, p. 43. Valesius benennt mehrere Zeugen, die diese Charakteristik bestätigen sollen und denen ich die des Presbyters Constantin (A.D. 488) hinzufügen will, der in seiner vita Sancti Germani die armorikanischen Empörer »mobilem et indisciplinatum populum« nennt. [...ein unruhiges und liederliches Volk]. Siehe Historiens de la France, Band 1, p. 643., Armorica behielt nicht für lange die Staatsform einer Republik Ich halte es für nötig, an dieser Stelle meinen Protest gegen das System des Abbé Dubois zu Protokoll zu geben, gegen das auch Montesquieu (Esprit des lois 30,24) so nachdrücklich seine Stimme erhoben hat. bei und wurde von häufigen und verheerenden Unruhen heimgesucht. Britannien ging für immer verloren [Ü.a.d.Griech.: Die Römer konnten Britannien nicht mehr halten] heißt es bei Prokopios (de bello Vandalico) in einer sehr wichtigen Passage, die viel zu stark vernachlässigt worden ist. Selbst Beda (Historia gentis Anglorum 1,12) bemerkt, dass die Römer unter Honorius Britannien endgültig aufgaben. Aber unsere zeitgenössischen Historiker und Altertumsforscher dehnen die Dauer ihrer Herrschaft; und einige legen zwischen den Abzug der Römer und den Einfall der Angelsachsen nur ein paar Monate. Da aber die Kaiser sich klüglich mit der Unabhängigkeit einer entlegenen Provinz abfanden, blieben Strafe oder Aufstände aus; und schon bald folgten gegenseitige und freiwillige Freundschaftsbündnisse. Beda hat die gelegentlichen Hilfeleistungen der Legionen gegen die Scoten und Picten nicht vergessen; und noch nachdrücklicher fällt ins Gewicht, dass die unabhängigen Bretonen für den Dienst des Kaisers Anthemius 12.000 Mann auf die Beine stellten.

 

ZUSTÄNDE IN BRITANNIEN · A.D. 409-449

Diese Umwälzungen führten zur Auflösung der Zivil- und Militärverwaltung; und vierzig Jahre lang, bis zum Erscheinen der Sachsen, wurde das unabhängige Land vom Klerus, dem Adel und den Municipien regiert. Ich bin mir und der historischen Wahrheit die Anmerkung schuldig, dass einige Umstände in diesem Abschnitt nur mit Hilfe von Konjekturen und Analogieschlüssen gefunden werden konnten. Die mangelnde Schmiegsamkeit unserer Sprache hat mich bisweilen genötigt, vom Konditionalis zum Indikativ zu wechseln.

I. Zosimos, der als einziger diese bedeutenden Ereignisse festgehalten hat, stellt mit Genauigkeit fest, dass die Briefe des Honorius an die Städte Britanniens adressiert waren. Zosimos 6,10. Unter Roms Schutz waren in den verschiedenen Landstrichen dieser großen Provinz nacheinander zweiundneunzig große Städte erwachsen; und dreiundzwanzig von diesen waren durch ihre besonderen Gerechtsame und ihre Bedeutung vor den anderen ausgezeichnet. Zwei Städte Britanniens waren municipiea, neun coloniae, zehn latii iure donatae, zwölf stipendiarae. Dies Detail stammt von Richard von Cirencester (De situ Britanniae, p. 36); und obgleich es wenig wahrscheinlich ist, dass er die mss. eines römischen Generals exzerpiert hat, zeigt er dennoch bedeutende Kenntnisse des Altertums, für einen Mönch des vierzehnten Jahrhunderts durchaus ungewöhnlich. Jede dieser Städte besaß, wie es in jeder Provinz üblich war, eigene Körperschaften zur Regelung der eigenen Angelegenheiten; und die Befugnisse dieser städtischen Regierungen verteilten sich auf einen jährlich gewählten Magistrat, einen gewählten Senat und die Volksversammlung, ganz nach dem Vorbild der Verfassung der Stadt Rom. Siehe Maffei, Verona illustrata, Teil 1, Buch 5, p. 83-106.. Steuerverwaltung, bürgerliche und Kriminalgerichtsbarkeit sowie öffentliche Ratssitzungen waren Bestandteil dieser Klein-Republiken; und wenn es um ihre Unabhängigkeit ging, dann versammelte sich die Jugend der Stadt und der Nachbargemeinden wie natürlich unter der Fahne der Magistrate. Aber das Verlangen nach den Vorteilen und die Abneigung gegen die Lasten eines solchen Systems ist eine ewig sprudelnde Quelle für Zwistigkeiten; auch ist die Vermutung abwegig, dass die Errichtung der Freiheit Britanniens ohne Getümmel und Faktionsbildung sollte vonstatten gegangen sein. Das Vorrecht von Geburt und Vermögen muss des Öfteren von geringeren Bürgern verletzt worden sein; und der arrogante Adel, der Klage darüber führte, dass er nunmehr zum Sklaven seiner eigenen Diener geworden sei, »Leges restituit, libertatemque reducit, Et servos famulis non sinit esse suis.« [Gesetze erneuert er, die Freiheit führt er wieder ein, und lässt nicht zu, dass sie Sklaven ihrer Diener sind]. Rutilius Claudius Namatianus, Itinerarium 1,215. mochte gelegentlich die Regierung eines Willkürherrschers herbeisehnen.

II. Die Rechtsprechung der Städte über die benachbarte ländliche Region stand unter dem väterlichen Einfluss der Senatoren; und die Kleinstädte, die Dörfer und die Landbesitzer stellten sich unter den Schutz dieser emporstrebenden Republiken. Ihr Einflussbereich entsprach ihrem Wohlstand und ihrer Bevölkerungsstärke; aber die erblichen Großgrundbesitzer, die sich nicht durch die Nachbarschaft einer mächtigen Stadt bedrängt fanden, fühlten sich nachgerade als unabhängige Herrscher und übten verwegen Friedens- und Kriegsrecht aus.

Die Gärten und die Landhäuser, die so etwas wie italische Eleganz erahnen ließen, konnten in starke Festungen umgewandelt werden und boten in Zeiten der Gefahr der Landbevölkerung Zuflucht; Eine Inschrift (bei Sirmond, Anmerkungen zu Sidonius Appollonaris p. 59) beschreibt ein Kastell »cum muris et portis, tuitioni omnium« [mit Mauern und Toren und für alle zum Schutz], das Dardanus auf seinem Landgut bei Sisteron in der Narbonnensis errichtet und »Theopolis« (Gottesstadt) genannt hat. die Erzeugnisse des Landes wurden darauf verwandt, Waffen und Pferde zu erwerben und eine bewaffnete Streitmacht von Sklaven, Bauern und freiwilligen Gefolgsleuten zu unterhalten; und der Stammesfürst mochte in seinem Herrschaftsgebiet die Machtbefugnis eines zivilen Magistrates ausüben. Vielleicht waren verschiedene solcher britischen Stammesfürsten die Nachfolger alter Könige; und noch viel mehr von ihnen fühlten sich wohl versucht, dieser ehrwürdige Stammesfolge beizutreten und ihre Erbansprüche einzufordern, welcher sie seit den Eroberungen der Caesaren ledig waren. Die Errichtung ihrer Herrschaft hätte, folgt man den unmöglichen Vorstellungen eines phantasievollen und gelehrten Altertumsforschers, in der Tat ein Leichtes sein können; nimmt er doch an, dass britische Könige aus verschiedenen Stämmen in der Zeit von Claudius bis zu Honorius weiter regierten,wenn auch mit eingeschränkter richterlicher Gewalt. Siehe Whitacker, History of Manchester, Band 1, p. 247-257. Ihre gegenwärtige Lage und ihre Hoffnungen verführten sie, zu Kleidung, Sprache und Gebräuchen ihrer Vorfahren zurück zu kehren. Wären die Könige von Britannien in die Barbarei zurückgefallen, während die Städte weiterhin Bräuche und Kultur Roms beobachteten, hätte das Land in zwei nationale Faktionen zerfallen können; und anschließend in tausende kleinere Parteiungen, die sich von partikularen Interessen und Vorurteilen hätten leiten lassen. Und die Stärke des Landes hätte sich nicht etwa gegen einen äußeren Feind geeint, sondern hätte sich in unbedeutenden Nachbarschaftsstreitigkeiten zerrieben; und das persönliche Verdienst, das voreinst den erfolgreichen Häuptling zum Ersten unter Gleichen gemacht hatte, hätte ihn jetzt allenfalls instand gesetzt, ein paar benachbarte Dörfer zu dämpfen und sich eine Stellung unter den anderen Winkel-Tyrannen zu sichern, [Ü.a.d.Griech.: Von da an verblieb es unter Gewaltherrschern]. Prokopios, de bello Vandalico 1,2. »Britannia fertilis provincia tyrannorum,« [Britannien, eine Provinz, fruchtbar an Tyrannen], so die Formulierung von Hieronymus im Jahre 415. Ad Ctesiphontem. Opera, Band 2, p. 255. Von den Pilgern, die alle Jahre wieder in das Heilige Land aufbrachen, erhielt der Mönch die aktuellsten und genauesten Nachrichten. die Britannien nach dem Abzug der römischen Besatzer heimgesucht hätten.

III. In der Kirche Britanniens gab es wohl dreißig bis vierzig Bischöfe Siehe Bingham, Christian antiquities, p. 394. nebst der entsprechenden Anzahl niederer Geistlicher; in Ermangelung von Reichtum (denn sie scheinen in Armut gelebt zu haben) mochten sie sich veranlasst fühlen, sich die öffentliche Wertschätzung durch bescheidenes und vorbildliches Auftreten Es wird erzählt, dass drei britischen Bischöfen, die am Konzil zu Rimini A.D. 359 teilnahmen, »tam pauperes fuisse ut nihil [proprium] haberent « [...so arm waren, dass sie nichts besaßen]. Sulpicius Severus, Historia sacra 2. Einige ihrer Brüder befanden sich jedoch in besseren Umständen. zu verdienen. Die Vorlieben und die Gemütsverfassung des Klerus begünstigten den Frieden und die Eintracht in jenem abgelegenen Lande; in ihren Predigten mochten sie wiederholt diese heilsamen Lehren eingeprägt haben; und die Bischofssynoden waren die einzigen Zusammenkünfte, die die Bedeutung und das Gewicht einer nationalen Versammlung beanspruchen konnten. Bei solchen Konzilien, bei denen Herrscher und Magistrate in bunter Reihe mit den Bischöfen zusammen saßen, dürften Dinge von nationaler Bedeutung ebenso verhandelt worden sein wie Kirchenangelegenheiten; wurden Streitigkeiten beigelegt, Allianzen geschlossen, Abgaben auferlegt, Beschlüsse gefasst und bisweilen sogar umgesetzt; und wir haben Grund zu der Annahme, dass in Augenblicken höchster Gefahr ein Pendragon oder Diktator durch einstimmigen Beschluss aller Bretonen gewählt wurde. Diese Pastoralsorgen, die dem Auftrag der Bischöfe so sehr entsprachen, wurden jedoch durch Glaubenseifer und Aberglauben immer wieder aufgestört; und der britannische Klerus zeigte sich dauerhaft bemüht, das heidnische Erbe auszumerzen, vor dem sie als dem besonderen Schandfleck ihrer Heimat tiefempfundene Abscheu hegten. Siehe Usher, Ecclesiarum antiquitates Band 1, Buch 9, p. 394.

 

VERSAMMLUNG DER SIEBEN GALLISCHEN PROVINZEN

Es ist einigermaßen bemerkenswert, oder eigentlich ist es unmittelbar einleuchtend, dass die Umwälzungen in Armorica und Britannien den Anschein von Freiheit in die gehorsamspflichtigen Provinzen Galliens sollten getragen haben. In einem feierlichen Erlass, Siehe den besseren Wortlaut dieses Ediktes, wie ihn Sirmond (Anmerkungen zu Sidonius, p. 147) herausgegeben hat. Hincmar von Rheims, der den Bischöfen einen Platz einräumt, hatte möglicherweise (im IX Jh) eine vollständigere Abschrift zu Gesicht bekommen. Dubos, Histoire Critique de la Monarchie Francoise, Band 1, p. 241-255. der vollgestopft war mit den Bekundungen väterlicher Zuneigung, welche Herrscher so gerne äußern und so selten empfinden, verkündete Kaiser Honorius seinen Willen, eine jährliche Versammlung der sieben Provinzen einzuberufen: welche Bezeichnung besonders auf Aquitanien passte und das antike Narbonensis, die beide schon lange ihr keltisches Kulturfernet gegen die nutzliebenden und schönen Künste Italiens eingetauscht hatten. Aus den Notitia Galliarum geht eindeutig hervor, dass es sich bei den sieben Provinzen um Viennensis gehandelt hat, die Alpes maritima, Narbonensis prima et secunda, Novempopulana und Aquitania prima et secunda. Im Bereich des ersten Aquitanien wollte der Abbé Dubos, der sich auf Hincmars Zeugnis beruft, die erste Provinz Lugndunensis, die Lyoner, etablieren. Arles, das Zentrum für Handel und Politik, wurde als Versammlungsort auserwählt; welche dann regelmäßig für insgesamt achtundzwanzig Tage, vom fünfzehnten August bis zum dreizehnten September jeden Jahres zusammentrat. In ihr waren vertreten der Heermeister Galliens; die sieben Provinzialstatthalter, ein Konsular und sechs Präsidenten; die Magistrate und Bischöfe von nahezu sechzig Städten; und eine hinreichende, wiewohl unbestimmbare Anzahl der bedeutendsten Landbesitzer, die man mit einigem Recht als die Vertreter ihres Landes ansehen mochte. Sie hatten die Vollmacht, die Gesetze ihres Herrschers zu deuten und umzusetzen; Beschwerden und Wünsche ihrer Klientel vorzutragen; die Last übermäßiger oder ungleich verteilter Steuern zu lindern; und über alle Dinge von lokaler oder nationaler Bedeutung zu beratschlagen, wenn sie geeignet schienen, Frieden und Nutzen jener sieben Provinzen zu festigen und zu mehren.

Wenn eine solche Institution, die dem Volk Teilnahme am Regierungsgeschehen ermöglichte, durch Trajan oder die Antonine zu einer allgemeinen Einrichtung gemacht worden wäre, dann hätte man im Römischen Reiche die Saat der Staatsklugheit aufgehen und sich ausbreiten sehen. Die Vorrechte des Volkes wären eine Stütze der Monarchie gewesen; dem Machtmissbrauch durch eine willkürliche Verwaltung wäre ein Riegel vorgeschoben worden, zumindest hätten diese repräsentativen Versammlungen korrigierend eingreifen können; und das Land wäre gegen äußere Feinde durch Einheimische und Freie verteidigt worden. Rom wäre unter dem milden und wohltätigen Einfluss der Freiheit unbesiegbar und unsterblich geblieben; oder, wenn seine ungeheure Größe und die Hinfälligkeit menschlicher Unternehmungen einer solchen Dauer entgegen gestanden hätten, so hätten doch seine lebenskräftigen Glieder ihre Stärke und Unabhängigkeit bewahren können.

Aber in den Zeiten der Auflösung des Reiches, als alle gesunden und lebensfördernden Grundsätze sich erschöpft hatten, war die zögerliche Anwendung dieses Heilmittels nicht hinreichend, durchschlagende und heilsame Wirkungen zu erzielen. Der Kaiser Honorius zeigt sich überrascht, dass er den widerstrebenden Provinzen Vorrechte aufnötigen muss, nach denen sie doch dringlich von sich aus verlangen müssten. Den Repräsentanten wurde im Falle ihrer Abwesenheit eine Strafgebühr von drei oder gar fünf Pfund Gold auferlegt; so dass sie dieses Geschenk einer freien Verfassung als ein letztes und besonders niederträchtiges Unrecht ihrer Unterdrücker einzuschätzen nicht anstanden.


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