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XXXV

HUNNENINVASION IN GALLIEN · ATTILA VON AËTIUS UND DEN WESTGOTEN ZURÜCKGEWORFEN · ATTILA FÄLLT IN ITALIEN EIN UND RÄUMT ES WIEDER · TOD VON ATTILA, AËTIUS UND VALENTINIANUS III

 

ATTILA BESCHLIESST INVASION IN GALLIEN · A.D. 450

Es war Markianos' Auffassung, dass Krieg solange wie nur irgend möglich zu vermeiden sei, wenn gleichzeitig ein ehrenhafter und gefestigter Frieden sichergestellt werden könne; aber auch dieses war seine Meinung, dass ein Frieden dann nicht sicher und ehrenhaft sein könne, wenn der Regent eine kleinmütige Abneigung gegen Krieg erkennen lasse. Dieser wohltemperierte Mut gab ihm die Antwort auf Attilas Forderungen ein, der auf die Entrichtung der Jahrestribute mit fordernder Ungeduld pochte. So gab der Kaiser denn den Barbaren zu verstehen, sie mögen Seiner Majestät nicht fernerhin durch die Erwähnung von Tributen lästig fallen; dass er durchaus geneigt sei, die zuverlässige Freundschaft seiner Verbündeten mit angemessener Freigebigkeit zu belohnen; dass sie aber, sollten sie fortfahren die öffentliche Ruhe zu stören, erfahren würden, dass er Truppen besäße, Waffen und insonders die Entschlossenheit, ihre Angriffe zurück zu schlagen. Solche Worte und noch dazu im Lager der Hunnen führte sein Botschafter Apollonios im Munde, der sich überdies kühnlich weigerte, vor einer persönlichen Audienz irgendwelche Geschenke herauszugeben und der dabei einen Sinn für Würde und eine Geringschätzung von Gefahren an den Tag legte, die Attila bei einem Botschafter der ausgearteten Römer anzutreffen denn doch nicht vorbereitet war. Siehe Priscus, p. 32 und 72.

Es verlangte ihn danach, den vorlauten Nachfolger des Theodosius zu züchtigen, war aber unschlüssig, ob er seine unbesiegten Armeen erst das West- oder das Ostreich überfallen lassen sollte. Während die Menschheit seinem Entschluss mit ängstlicher Spannung entgegenfieberte, schickte er je und je eine gleichrangige Gesandtschaft nach Ravenna und Konstantinopel, und seine Abgesandten begrüßten die beiden Kaiser mit dem gleichen hochmütigen Stolze: »Attila, der mein Herr ist und auch der deine, befiehlt dir, einen Palast für seinen unmittelbar bevorstehende Empfang bereitzuhalten.« Die Alexandrinische Chronik, das ›Chronikon Paschale‹, in der diese hoffärtige Botschaft noch zu Lebzeiten des Theodosius publiziert wurde, nennt ein offenkundig zu frühes Datum, denn den originalen und unverfälschten Tonfall Attilas zu erfinden war der stumpfsinnige Annalist ersichtlich nicht in der Lage. Da aber der Barbar die Oströmer, die er schon so oft besiegt hatte, verachtete oder zumindest zu verachten vorgab, erklärte er schon kurze Zeit später, diese leichte Eroberung solange auszusetzen, bis dass er eine lohnendere und ruhmvollere Unternehmung vollendet habe. Zu ihren berüchtigten Invasionen Galliens hatte die Hunnen naturgemäß der Reichtum und die Fruchtbarkeit jener Provinzen gelockt; aber die eigentlichen Motive Attilas lassen sich nur mit der Lage des Westreiches unter Kaiser Valentinianus oder, um genauer zu sein, unter der Herrschaft des Aëtius erklären. Das zweite Buch der Histoire Critique de l'Etablissement de la Monarchie Francoise, Band 1, p. 189-424, wirft viel Licht auf das Gallien in der Zeit der Hunneneinfälle unter Attila, aber der gelehrte Verfasser, der Abbé Dubos, verliert sich allzu oft in Systeme und Konjekturen.

 

CHARAKTER UND HERRSCHAFT DES AËTIUS · A.D. 433-454

Nach dem Tod seines Rivalen Bonifatius hatte Aëtius sich wohlerwogen in die Zelte der Hunnen zurückgezogen, und vornehmlich ihnen hatte er seine Rettung und seine Wiedererstarkung zu danken. Pardon erhielt er nicht mit der Sprache eines flehenden, schuldig Exilierten, sondern als Heerführer an der Spitze von sechzigtausend Barbaren; und die Kaiserin Galla Placidia gab mit ihrem matten Widerstreben zu erkennen, dass ihre Nachgiebigkeit, die man sonst wohl ihrer Huld hätte zuschreiben können, eine Frucht der Schwäche und der Angst war. Sie gab sich, ihren Sohn Valentinian und das ganze Reich des Okzidents einem dreisten Untertanen in die Hände; auch war Placidia außerstande, Bonfatius' Stiefsohn, den tapferen und getreuen Sebastian Victor Vitensis (de Persecututione Vandalico 1,6 nennt ihn »acer consilio et strenuus in bello« [im Rat scharfsinnig, im Krieg draufgängerisch]; als ihn aber sein Glück verließ, wurde er nur noch tollkühn genannt, und Sebastianus verdiente sich den Zweitnamen ›praeceps‹ [kopfüber]. (Sidonius Apollinaris, Carmen 9, 181). Beiläufig werden seine Abenteuer in Konstantinopel, Sizilien, Gallien, Spanien und Afrika von Marcellinus und Hydatius in ihren Chroniken erwähnt. In seinem Unglück hatte er gleichwohl immer ein starkes Gefolge und war deshalb imstande, den Hellespont und die Propontis zu verheeren und die Stadt Barcelona einzunehmen. vor unversöhnlichem Hass zu schützen, der ihn von einem Königreich in das andere hetzte, und der schließlich im Dienst der Vandalen auf elende Weise endete.

Der glückverwöhnte Aëtius hingegen, der sofort in den Rang eines patricius erhoben und zum dritten Male zum Konsul ernannt wurde, erhielt zusammen mit dem Titel eines magister equitium die oberste militärische Befehlsgewalt im Staate; zeitgenössische Autoren nennen ihn den dux oder General von Westrom. Es war mehr Berechnung als Anstand, die ihn bestimmte, Theodosius' Enkel im Besitz des Purpurs zu belassen; und tatsächlich durfte Valentinian Italiens Frieden und Luxus genießen, während Aëtius in der Aura eines ruhmreichen Helden zwanzig lange Jahre die Trümmer des Westreiches abstützte. Der gotische Historiker bekennt aufrichtig, dass Aëtius geboren wurde, Rom zu erretten; »Reipublicae Romanae singulariter natus, qui superbiam Suevorum, Francorumque barbariem immensis coedibus servire Imperio Romano coegisset [...für den Römischen Staat einzig dazu geboren, den Übermut der Sueben und die Kulturlosigkeit der Franken durch gewaltige Metzeleien unter die Herrschaft Roms zu zwingen]. Jornandes, de Rebus Geticis, 34. und in dem nachfolgenden Portrait dürfte der Anteil von Wahrheit den der Schmeichelei selbst dann noch übertreffen, wenn es sehr ins Schöne gemalt ist:

»Seine Mutter war eine wohlhabende Italienerin von Adel, sein Vater Gaudentius, ein angesehener Mann in der Provinz Skythien, war vom einfachen Soldaten zum Heermeister der Kavallerie emporgestiegen. Ihr Sohn, von frühester Kindheit mit dem Waffenhandwerk vertraut, hatte zunächst bei Alarich und dann bei den Hunnen als Geisel gelebt; auch bei Hofe hatte er alle militärischen und zivilen Ehrenstellungen durchlaufen, für die er sich durch seine Verdienste gleichermaßen qualifiziert hatte. Von Figur war Aëtius nur mittelgroß, aber seine männlichen Glieder waren von bewundernswerter Stärke, Schönheit und Behändigkeit; Großes leistete er in den kriegerischen Fertigkeiten des Reitens, Bogenschießens und Speerschleuderns. Hunger und Schlafmangel ertrug er mit Gelassenheit, Körper und Geist zeigten sich den größten Herausforderungen in gleicher Weise gewachsen. Er verfügte über jenen angeborenen Mut, der nicht nur Gefahren, sondern auch Unrecht verachtet; und unmöglich war es, die Unerschütterlichkeit seiner Seele aus der Fassung zu bringen, zu korrumpieren oder zu hintergehen.« Dieses Portrait hat der zeitgenössische Historiker Renatus Profuturus Frigeridus entworfen, der nur durch einige bei Gregor von Tours (2,8, Band 2, p. 163) aufbewahrte Auszüge bekannt ist. Vermutlich war es Frigiderus' Pflicht, zumindest aber sein Anliegen, die Vorzüge des Aëtius zu erheben; es wäre aber geschickter gewesen, wenn er seine geduldige, dem Vergeben zuneigende Gemütsverfassung weniger herausgearbeitet hätte.

Die Barbaren, die sich in den westlichen Provinzen angesiedelt hatten, lernten allmählich die Lauterkeit und Tapferkeit des Aëtius anzuerkennen. Er kanalisierte ihre Leidenschaften, beachtete ihre Vorurteile, wog ihre Interessen und setzte ihrem Ehrgeiz Grenzen. Ein zur rechten Zeit mit Geiserich geschlossener Vertrag ersparte Italien einen Vandalen-Raubzug; die unabhängigen Briten baten nicht vergeblich um seine Hilfe; in Gallien und Spanien wurde die kaiserliche Autorität wieder hergestellt, und die Sueben und Franken, von ihm im Felde besiegt, wurden genötigt, nützliche Verbündete der Republik zu werden.

 

SEINE BEZIEHUNG ZU ALANEN UND HUNNEN

Aus grundsätzlichen Erwägungen wie auch aus Dankbarkeit pflegte Aëtius das Bündnis zu den Hunnen besonders sorgfältig. Während er als Exilant oder Geisel in ihren Zelten das Gastrecht genoss, hatte er sogar mit Attila, dem Neffen seines Wohltäters, vertrauten Umgang; und die beiden berühmten Gegner scheinen sogar so etwas wie eine freundschaftliche Beziehung gepflegt zu haben, die sie später durch gegenseitige Beschenkungen, häufige Gesandtschaften und endlich durch die Erziehung von Aëtius' Sohn Carpilio in Attilas Lager noch vertieften. Durch vordergründige Versicherungen von Dankbarkeit und bereitwilliger Ergebenheit konnte der Patrizier seine Sorge vor dem skythischen Eroberer verhehlen, dessen ungemessene Armeen den beiden Reichshälften furchtbar waren. Seine Anordnungen wurden befolgt oder man wich ihnen geschickt aus. Als Attila Beutestücke aus einer eroberten Stadt für sich beanspruchte, (es handelte sich um ein paar unterschlagene goldene Vasen), wurden die Zivil- und Militärstatthalter in Noricum unverzüglich in Marsch gesetzt, seinen Beschwerden abzuhelfen; Die Gesandtschaft setzte sich zusammen aus dem comes Romulus; Promotus, dem Statthalter von Noricum; und Romanus, dem militärischen Oberbefehlshaber. Begleitet wurden sie von Tatullus, einem bekannten Bürger aus der Stadt Petovio in derselben Provinz, sowie dem Vater des Orestes, der die Tochter des comes Romulus geheirattet hatte. Siehe Priscus, p. 57, 65. Cassiodor (Variae 1,4) erwähnt noch eine weitere Gesandtschaft, die sein Vater und Aëtius' Sohn Carpalio leiteten; und als Attila nicht mehr war, konnte er sich getrost seines unerschrockenen Auftritts vor dem Furchtbaren rühmen. und nach ihrer Unterredung mit Maximinus und Priscus im königlichen Lager stand zumindest fest, dass Aëtius mit all' seiner Tapferkeit und Klugheit das Westreich vor Tributzahlungen nicht hatte bewahren können.

Aber immerhin verlängerte seine geschickte Politik den Frieden, und ein beachtliches Heer aus Hunnen und Alanen, das ihm persönlich unterstellt war, wurde zur Verteidigung Galliens aufgestellt. Zwei Kolonen dieser Barbaren wurden im Gebiet von Valence und Orléans angesiedelt; »Deserta Valentinae urbis rura Alanis partienda traduntur.« [Das verlassene Umland der Stadt Valencia wurde den Alanen zur Verteilung überlassen]. Prosper Tiro, Chronica A.D. 440, in der Historiens de la France, Band 1, p. 639. Einige Zeilen später merkt Prosper an, dass den Alanen in Gallia ulterior Ländereien angewiesen wurden. Ohne der Verbesserung des Dubois (Band 1, p. 300) beizutreten, kann die wahrscheinliche Voraussetzung von zwei Kolonien oder Besatzungen der Alanen die angeführten Beweisgründe dieses Autors bestätigen und seine Einwände zurückweisen. und ihre Kavallerie sicherte eifrig die wichtigen Übergänge über Loire und Rhone. Diese wilden Verbündeten waren den römischen Untertanen allerdings nicht weniger schrecklich als die tatsächlichen Feinde. Bei der eigentlichen Besiedlung gingen sie gewaltsam wie bei einer Eroberung vor, und die Provinzen, durch die sie hindurchmarschierten, hatten alle Kalamitäten einer feindlichen Besatzung auszustehen. Siehe Prosper Tiro, p. 639. Sidonius Apollinaris klagt (Panegyricus ad Avitum 246-250), im Namen seiner Heimat, der Auvergne: »Litorius Scythicos equites tunc forte, subacto /Celsus Aremorico, Geticum rapiebat in agmen /Per terras, Arverne, tuas: qui proxima quaeque/ Discursu, flammis, ferro, feritate, rapinis, /Delebant; pacis fallentes nomen inane.« [Litorius Celsus schickte nach Unterwerfung von Armorica seine skythischen Reiter gegen den Goten durch das Avernerland: sie vernichten alles, was sie antrafen, mit Feuer und Schwert, mit Roheit und Plündern und so verrieten sie den Namen des Friedens]. Paulinus, ein anderer Dichter, bekräftigt dies noch: »Nam socium vix ferre queas, qui durior hoste.« [Denn als Bundesgenosse ist nicht zu ertragen, der noch brutaler als der Feind ist]. Siehe Dubois, Histoire critique, Band 1, p. 330. Da sie dem Kaiser und dem Land fremd waren, schuldeten die Alanen Galliens nur dem Ehrgeiz des Aëtius Gehorsam; und obgleich man argwöhnen mochte, sie würden sich im Falle eines Krieges mit Attila wieder auf die Seite ihres Volkskönigs schlagen, war der Patrizier dennoch bemüht, ihre Abneigung gegen die Goten, Burgunder und Franken eher zu zügeln als anzureizen.

 

DIE WESTGOTEN IN GALLIEN UNTER THEODERICH · A.D. 419-451

Das von den Westgoten in Südgallien errichtete Königreich hatte im Laufe der Zeit an Rang und Ansehen zugenommen, und die Umtriebe dieser emporstrebenden Barbaren wurden in Kriegs- und Friedenszeiten von Aëtius stets gleichbleibend argwöhnisch beobachtet. Nach dem Tode von Wallia fiel das Gotenreich Theoderich zu, dem Sohn des großen Alarich; Theoderich II, der Sohn von Theoderich I, erläutert Avitus seinen Entschluss, den sein Großvater begangen hatte, wieder gut zu machen oder zu sühnen: »Quae ›noster‹, peccavit ›avus‹, quem fuscat id unum, Quod te, Roma, capit.« [Was unser Großvater verbrochen hatte, dessen einziger Makel es war, Rom zu erobern]. Sidonius, Panegyricus ad Avitum 505f. Dieser Charakterzug, der nur auf Alarich passt, sichert die Genealogie der Gotenherrscher fest, die bislang unbeachtet blieb. und dass es ihm gelang, mehr als drei Jahrzehnte über dieses renitente Volk das Szepter zu führen, beweist, dass seine Staatsklugheit noch durch ein beträchtliches Maß an Verstandes- und Körperkräften ergänzt wurde. Dennoch unzufrieden mit seinen beengten Möglichkeiten strebte Theoderich die Herrschaft über den Regierungssitz und Handelsplatz Arles an; aber das rechtzeitige Eintreffen von Aëtius rettete die Stadt, und Theoderich, der die Belagerung mit viel Schande und noch mehr Verlusten aufgehoben hatte, ließ sich dazu bestimmen, die Kampfkraft seiner Truppen gegen Spanien zu lenken.

Aber Theoderich lauerte auch auf die Gelegenheit und packte sie, seine feindlichen Anstrengungen erneut aufzugreifen. So belagerten die Goten Narbonne, während die belgischen Provinzen von den Burgundern heimgesucht wurden. Und also geriet die Sicherheit des Imperiums infolge der scheinbaren Einigkeit seiner Feinde allseitig unter Druck. Doch überall traten Aetius und seine skythischen Reiter den Feinden entschlossen und siegreich entgegen: zwanzigtausend Burgunder fielen in der Schlacht, und die Überlebenden schickten sich drein, in Savoyens Der Name Sapauda, aus dem sich das heutige Savoyen ableitet, wird erstmals bei Ammianus (15,11) erwähnt; in der Notitia werden zwei Militärposten innerhalb dieser Provinz genannt: in Grenoble in der Dauphiné war eine Kohorte stationiert, und Eburodunum oder Yverdon wurde von einer Flotte kleiner Schiffe gesichert, die den Neuenburger See beherrschte. Siehe Valesius, Notitia Galliarum, p. 503; d'Anville, Notice de l'ancienne Gaule, p. 284 und 579. Bergen sich neu anzusiedeln. Mittlerweile hatten Belagerungsmaschinen die Mauern von Narbonne zermürbt und die Bewohner das Äußerste an Hunger ertragen, als der comes Litorius sich in aller Stille näherte, jedem seiner Reiter zwei Sack Mehl aufzupacken befahl und sich dann durch die Verschanzungen der Feinde schlug. Sogleich wurde die Belagerung aufgehoben; und einen entscheidenden zweiten Schlag, der achttausend Goten das Leben kostete, führte Aëtius persönlich.

Aber in seiner Abwesenheit –einige private oder öffentliche Geschäfte machten seine Anwesenheit in Italien dringend erforderlich- übernahm Litorius das Kommando, und schon bald erwies sich deutlich, dass es das Eine ist, eine Kavallerieabteilung zu führen und etwas Anderes, in einem wichtigen Krieg strategische Unternehmen zu leiten. An der Spitze einer verbündeten Hunnen-Armee war er in großen Tagesmärschen bis vor die Tore von Toulouse gelangt, unbesorgt und voller Verachtung für einen Feind, den sein Missgeschick vorsichtiger und seine Lage verzweifelt-entschlossen gemacht hatte. Die Auguren hatten Litorius mit ihren Prophezeiungen die törichte Zuversicht eingeflößt, er werde in die Hauptstadt der Goten im Triumph einziehen; und das Vertrauen, das er auf diese heidnischen Verbündeten setzte, machte ihn derart leichtsinnig, dass er die vorteilhaften Friedensangebote ausschlug, die ihm die Bischöfe im Namen Theoderichs wiederholt vorlegten. Der Gotenkönig zeigte in dieser seiner Notlage christliche Frömmigkeit und Mäßigung als erbauliches Gegenstück und ging solange in Sack und Asche, bis er sich hinreichend zum Kampf vorbereitet glaubte. Seine Krieger, von kämpferischem und religiösen Enthusiasmus gleichermaßen erhitzt, griffen das Lager des Litorius an. Das Handgemenge war von großer Dauer, die Verluste hielten sich die Waage. Und schließlich wurde der römische Heerführer nach seiner vollständigen Niederlage, die allein seinem Leichtsinn zuzuschreiben war, tatsächlich im Triumph durch die Straßen von Toulouse geführt, wenn auch nicht in seinem, sondern in seiner Feinde Triumphzug. Das Elend, das er in langer Gefangenschaft durchlebte, erregte am Ende sogar das Mitgefühl der Barbaren. Salvianus hat sich bemüht, die moralische Herrschaftsform der Gottheit zu erklären; welche Aufgabe leicht durch die Annahme zu lösen ist, wenn man die Unglücksfälle der Sünder als ›Strafen‹ und die der Gerechten als ›Prüfungen‹ ansieht.

Einen derartigen Verlust konnte ein Land, dessen Lebenswillen und Finanzkraft schon längst erschöpft waren, nicht ohne weiteres verkraften; und die Goten, die sich nun ihrerseits ihren Racheplänen widmeten, hätten sicherlich ihre siegreichen Fahnen am Rhoneufer aufgepflanzt, wenn nicht die persönliche Anwesenheit des Aëtius die Disziplin und Kampfmoral der Römer erneuert hätte. »... Capto terrarum damna patebant Litorio: in Rhodanum proprios producere fines, Theudoridae fixum; nec erat pugnare necesse Sed migrare Getis. Rabidam trux asperat iram Victor; quod sensit Scythicum sub moenibus hostem Imputat, et nihil est gravius, si forsitan unquam Vincere contingat, trepido.« [...als Litorius gefangen war, lag das Elend des Landes offen. Die Grenze bis zur Rhone vorzurücken war Theoderichs fester Beschluss; die Goten brauchten gar nicht zu kämpfen, sie konnten wandern. Der grimme Sieger spornte seinen Zorn noch an; denn er sah den skythischen Feind vor den Stadtmauern; nichts ist bedrückender als ein erschrockener Mann, wenn er vor einem denkbaren Sieg steht]. Panegyricum ad Avitum 300-306. Sidonius fährt dann fort – so, wie es sich für einen Panegyriker gehört – alle Verdienste des Aëtius auf seinen Herren Avitus zu übertragen. So warteten die beiden Armeen auf das Signal zum letzten und entscheidenden Gefecht; aber die beiden Generäle, die ihrer eigenen Stärke nicht gewiss und über die ihrer Gegner nicht im Zweifel waren, ließen klüglich die Schwerter in der Scheide; und ihre Verständigung war aufrichtig und dauernd.

Theoderich, der König der Westgoten hatte sich die Zuneigung seiner Untertanen, das Vertrauen seiner Verbündeten und die Wertschätzung aller Menschen verdient. Um seinen Thron standen sechs wackere Söhne, die alle mit gleicher Sorgfalt in den Lagern der Barbaren wie in den Schulen Galliens aufgewachsen waren. Das Studium des Römischen Rechtes vermittelte ihnen wenigstens theoretisches Wissen um Gesetz und Gerechtigkeit. Und der harmonische Geist der Verse eines Vergil half dabei, die naturgewollte Rauhigkeit ihrer Aufführungen zu ebnen. Theoderich II verehrt in der Person des Avitus seinen Lehrer (Sidonius, Panegyricus ad Avitum 495-498.) Die beiden Töchter des Gotenkönigs wurden mit den ältesten Söhnen des Sueben- und des Vandalenkönigs verheiratet, die über Spanien bzw. Afrika herrschten; aber diese glanzvollen Verbindungen gingen mit Schuld und Zwietracht grässlich schwanger. Die Königin der Sueben beweinte schon bald den Tod eines Gatten, den ihr Bruder unmenschlich ermordet hatte. Die Prinzessin der Vandalen wurde das Schlachtopfer eines argwöhnischen Tyrannen, den sie Vater nannte. Geiserich, der grausame, verdächtigte das Weib seines Sohnes, sie habe das Gelübde getan, ihn zu vergiften; und zur Strafe für diesen vermuteten und niemals erwiesenen Mordanschlag wurden ihr Ohren und Nase abgeschnitten; in Schanden wurde die entstellte Tochter Theoderichs an den Hof in Toulouse zurückgebracht. Jeder Augenzeuge brach über diese einem zivilisierten Zeitalter unfassbaren Scheußlichkeit in Tränen aus, Theoderich indessen fühlte sich als Vater und König aufgerufen, diese Ungeheurlichkeit zu rächen. Die Minister des Kaisers, die jedweden Hader unter den Barbaren mit Freuden förderten, hätten die Goten bei ihrem afrikanischen Feldzug bereitwillig mit Waffen, Schiffen und Gold unterstützt. So wäre die Grausamkeit Geiserichs ihm jetzt selbst zum Verhängnis geworden, wenn der ränkereiche Vandale nicht die furchtbare Macht der Hunnen auf seine Seite gezogen hätte. Seine dringlichen Bitten erweckten Attilas Beutelust, und die Pläne des Aëtius und Theoderich wurden durch seinen Einfall in Gallien zunichte gemacht. Unsere Quellen für die Herrschaft von Theoderich I sind Jornanes de Rebus Geticis 34 und 36, und die Chronicen des Hydatius und der beiden Prosper, eingefügt in die Historiens de la France, Band 1, p. 612-640. Hinzuzufügen wären noch Salvianus, de Gubernatione Dei 7 und der Panegyricus ad Avitum von Sidonius Apollinaris.

 

DIE FRANKEN IN GALLIEN UNTER DEN MEROWINGERN A.D. 420-451

Die Franken, deren Reich nach wie vor auf das Niederrheingebiet beschränkt war, hatten voller Weitsicht das erbliche Thronfolgerecht auf die Adelsfamilie der Merowinger übertragen. »Reges ›Crinitos‹ [super] se creavisse de prima, et ut ita dicam, nobiliori suorum familia.« [Könige, langbehaart, über sich gesetzt aus der ersten und, dass ich's sage, vornehmsten ihrer Familien], Gregor von Tours 2,9. Gregor selbst erwähnt den Namen ›Merowinger‹ nicht, der indessen bis zum Beginn des VII Jh. als besondere Bezeichnung der Königsfamilie und sogar der französischen Monarchie zurückverfolgt werden kann. Ein scharfsinniger Forscher hat die Merowinger von dem großen Maroboduus hergeleitet und deutlich nachgewiesen, dass der namensgebende Herrscher noch älter als der Vater des Childerich war. Siehe die Mémoires de l'Académie des Inscriptions, Band 20, p. 52-90 und Band 30, p. 557-587. Diese Herrscher wurden auf einem Schild, dem Sinnbild der militärischen Kommandogewalt emporgehoben; Dieser germanische Brauch, der sich von Tacitus bis zu Gregor von Tours verfolgen lässt, wurde endlich auch von den Kaisern Konstantinopels übernommen. Nach einem Manuskript aus dem X Jh. hat Montfaucon das Bild einer ähnlichen Zeremonie gezeichnet, welches die Unwissenheit der Zeit jedoch König David zuschrieb. Siehe Monuments de la Monarchie Francoise, Band 1, Discours Préliminaire. und die langen Haare, die Modetracht der Könige, war zugleich das äußerliche Abzeichen ihrer hohen Geburt und Würde. Ihre flachsfarbigen Locken, die sie ausführlich kämmten und schmückten, fielen bis auf die Schultern und den Rücken herab, während es der übrigen Nation aufgetragen war, sei es von Gesetzes wegen, sei es infolge alten Herkommens, den hinteren Teil des Kopfes zu scheren, die Haare an der Vorderpartie zu kämmen und sich im übrigen mit der Zier eines kleinen Schnauzbartes zu begnügen. »Caesaries prolixa ... crinium flagellis per terga dimissis, &c« [Wallendes Haupthaar...in Haarsträhnen auf den Rücken herabfallend...]. Siehe das Vorwort zu Band 3 der Histoire de la France und Abbé Le Boef, Dissertations, Band 3, p. 47-79. Dieser merkwürdige Brauch der Merowinger wurde von Eingeborenen und Fremden viel bemerkt, so auch von Priscus (Historiens de la France, Band 1, p. 608), von Agathias (Band 2, p. 49) und Gregor von Tours (3,18; 6, 24; und 8,10). Der hohe Wuchs und die blauen Augen der Franken deuteten auf germanische Abkunft; ein mächtiges Schwert hing vom breiten Gürtel herab, ein großer Schild verlieh ihnen Schutz. Von frühester Jugend wurden diese kriegerischen Barbaren zum Laufen, Springen und Schwimmen angehalten, Schwert und Streitaxt zielgenau zu handhaben, einen überlegenen Feind ohne Zögern anzugreifen und sich im Leben und Sterben dem ewigen Andenken ihrer Vorfahren würdig zu erweisen. Siehe hierzu das originalgetreue Bild von Gestalt, Kleidung, Waffen und Gemütsverfassung der antiken Franken bei Sidonius Apollinaris, Panegyricus ad Maiorianum, p. 238-254; solchen Abbildungen, und seien sie auch nur mit wenig Kunst verfertigt, wohnt dennoch ein wirklicher und eigener Wert inne. Pater Daniel (Histoire de la Milice francoise, Band 1, p. 2-7) hat die Beschreibung erläutert.

Der erste dieser fränkischen Langhaarkönige, Clodion, dessen Name und Werke für uns historisch fassbar sind, hatte seine Residenz in Dispargum Dubos, Histoire critique, Band 1, p. 271. Einige Geographen haben Dispargum (Duisburg?) auf die deutsche Seite des Rheins verlegt. Siehe die Anmerkung der benediktinischen Herausgeber in den Historiens de la France, Band 2, p.166. genommen, einem Dorf oder einer Festung irgendwo zwischen Brüssel und Löwen gelegen. Von seinen Spähern erfuhr der Frankenkönig, dass sich die Provinz Belgia secunda in einem derart schutzlosen Zustand befinde, dass sie schon beim allerersten Angriff vor dem Ungestüm seiner Mannen zurückweichen würde. Beherzt durchdrang er die dichten Wälder und die Sumpfgebiete des karbonarischen Waldes, Der karbonarische oder Kohlenwald gehörte zu dem großen Waldgebiet der Ardennen, das sich zwischen Schelde und Maas ausdehnt. Valesius, Notitia Galliarum, p. 126. besetzte Tournay und Cambray, die einzigen Städte, die im V Jahrhundert dort existierten und dehnte seine Eroberungen bis an die Somne über ein verödetes Land, dessen Kultur und Bevölkerungsreichtum die Frucht späterer Anstrengungen sind. Gregor von Tours 2,9; Fredegar, Epitome 9; Gesta Francorum 5; Hincmar, Vita Remigii, in den Historiens de la France, Band 2, p. 166f., 3955, 544, und Band 3, p. 373.

Während Clodion in der Ebene des Artois Francus qua Cloio patentes/Atrebatum terras pervaserat. (Clodion, der Franke, hatte das offene Atrebaten-Land heimgesucht). Sidonius, Panegyricus ad Maiorianum 212. Der genaue Ort war eine Stadt oder ein Dorf namens Vicus Helena; moderne Geographen haben im Namen und Ort das heutige Lens entdeckt. Valesius Notitiae Galliarum, p. 246; Longuerue, Description de la France, Band 2, p. 88. sein Lager bezogen hatte und in eitler und demonstrativer Sicherheit -vermutlich- die Hochzeit seines Sohnes beging, wurde das liebliche Fest durch die unerwartete Ankunft des Aëtius gestört, welcher nicht geladen war und der nun an der Spitze seiner leichten Kavallerie die Somne überquert hatte. Die Tafeln, die man am Fuße eines Hügels an einem lauschigen Flussufer aufgebaut hatte, wurden gröblich umgestürzt: die Franken waren geschlagen, bevor sie überhaupt zu den Waffen greifen oder Stellung beziehen konnten; und ihre nutzlose Stärke wurde ihnen jetzt selbst zum Verhängnis. Die Lastkarren, die ihrem Marsche gefolgt waren, boten reichliche Beute; und die jungfräuliche Braut nebst Brautjungfern ergaben sich den neuen Liebhabern, die die kriegerischen Wechselfälle ihnen nun mal zugedacht hatten.

Dieser Sieg, der in erster Linie dem Geschick und Unternehmungsgeist des Aëtius zu danken war, wirft auf das militärische Können des Clodion gewiss kein günstiges Licht; aber schon bald hatte der Frankenkönig sein Ansehen restauriert, seinen Einfluss zurück gewonnen, und darüberhinaus blieb er im Besitz seines Königreiches zwischen Rhein und Somne. Einen etwas unverständlicher Bericht über das Gefecht bietet Sidonius, Panegyricus ad Miarianum 212-230. Die französischen Gelehrten, begierig, ihre Monarchie in Gallien zu begründen, haben ein starkes Argument aus dem Schweigen des Sidonius extrahiert, da dieser es nicht einmal anzudeuten wagt, dass die besiegten Franken genötigt waren, über den Rhein zurückzuweichen. Dubos, Histoire critique, Band 1, p. 322. Unter seiner Herrschaft und infolge des Tatendranges seiner Krieger durchlitten die drei Hauptstädte Metz, Trier und Köln die Folgen feindlicher Grausamkeit und Habgier. Die Notlage Kölns wurde noch zusätzlich verlängert durch die dauernden Besatzungslasten eben jener Barbaren, welche das zerstörte Trier verlassen hatten; und Trier, das binnen vierzig Jahren viermal belagert und geplündert worden war, suchte die Erinnerung an diese Heimsuchungen mit müßigen Zirkusspielen zu vergessen. Salvianus (De gubernatione Dei 6) hat mit unbestimmten Worten und mehr auf Wirkung bedacht die Leiden dieser drei Städte geschildert, die der gelehrte Mascov (History of the old Germans, Buch 9, p. 21) mit größerer Genauigkeit darstellt.

Clodions Tod nach zwanzigjähriger Regierung lieferte sein Reich dem Ehrgeiz und der Streitlust seiner beiden Söhne aus. Merowech, der jüngere der beiden, In der Schilderung dieses Bruderzwistes nennt Priscus keine Namen; den zweiten, einen bartlosen, langhaarigen Jüngling, hatte er in Rom getroffen (Historiens de la France, Band 1, p. 603 f.). Die benediktinischen Herausgeber neigen der Meinung zu, die beiden seien die Söhne irgendeines unbekannten Frankenhäuptlings gewesen, der am Ufer des Neckar herrschte; aber die Argumente von Herrn de Foncemagne (Mémoires de l'Académie des Inscriptions, Band 8, p. 464) scheinen nur zu beweisen, dass die Söhne Clodions um den väterlichen Thron balgten und dass der jüngere, Merowech, der Vater Childerichs war. hielt es für geraten, Roms Schutz zu suchen; er wurde in der Kaiserstadt wohl aufgenommen als Verbündeter des Valentinian und als Adoptivsohn des Aetius; und mit Geschenken, Freundschafts- und Unterstützungsbekundungen reich versehen, ward er wieder in seine Heimat verabschiedet. Während seiner Abwesenheit jedoch war sein älterer Bruder auch nicht müßig gewesen und hatte die Hilfe des furchtbaren Attila gesucht und erhalten: der Hunnenkönig schloss gerne eine Allianz, die ihm eine bequeme Rheinüberquerung ermöglichte und einen achtbaren Vorwand für eine Invasion nach Gallien lieferte. Bei den Merowingern war der Thron erblich, doch alle Söhne eines verstorbenen Herrschers besaßen gleiches Anrecht auf einen Anteil an seinen Schätzen und Ländern. Siehe die Abhandlungen von Herrn de Foncemagne im 6. Und 8. Band der Mémoires de l'Académie des Inscriptions.

 

DIE ABENTEUER DER PRINZESSIN HONORIA

Als Attila seine Entschlossenheit verkündete, sich der Sache seiner Verbündeten, der Vandalen und der Franken anzunehmen, geschah es, dass -nachgerade im Geiste edelster Ritterlichkeit- der halbwilde König sich als Liebhaber und Beschützer der Prinzessin Honoria bekannte. Diese Schwester Valentinians war im Palast von Ravenna aufgewachsen; und da ihre Verheiratung für den Staat nicht ganz unbedenklich zu sein schien, wurde sie durch die Verleihung des Augusta-Titels Es ist eine Gedenkmünze erhalten, die Honorias anmutiges Gesicht zeigt und den Titel einer Augusta; auf der Rückseite findet man ein Christusmonogramm mit der wenig passenden Umschrift ›Salus rei publicae‹. Siehe du Cange, Familiae Byzantinae, p. 67 und 73. den Hoffnungen noch der verwegensten Untertanen entzogen. Kaum aber war die lebenslustige Honoria sechzehn Jahre alt, als sie ihre Exklusivstellung zu verachten begann, welche sie von den Glücksmomenten einer wahren Liebesbeziehung fernhielt; umgeben von leerem und langweiligem Pomp, gab Honoria unter vielen Seufzern den Impulsen ihrer Natur nach und warf sich in die Arme ihres Kammerdieners Eugenius. Ihre Schuld und Schande (so die idiotische Sprache herrschsüchtiger Männer) machten sich schon bald durch die Anzeichen einer Schwangerschaft bemerklich; aber erst die Torheit der Kaiserin Placidia machte die königliche Kalamität der Welt ruchbar, da sie ihre Tochter nach einem strengen und demütigendem Arrest zu einem Exil in das ferne Konstantinopel verbannte.

Die unglückliche Prinzessin verbrachte zwölf oder gar vierzehn lange Jahre in der trostlosen Gesellschaft von Theodosius' Schwestern nebst deren auserlesenen Jungfrauen, auf deren Kranz Honoria nun nicht mehr hoffen durfte und deren klösterliche Übungen – Beten, Fasten, Nachtwachen – sie allenfalls mechanisch nachahmte. Unfähig zu langem und sinnlosem Zölibat, verfiel sie auf ein ebenso verzweifeltes wie abwegiges Auskunftsmittel. Attilas Name war in Konstantinopel ebenso bekannt wie gefürchtet, aber seine zahlreichen Gesandtschaften hielten einen lebhaften Austausch zwischen seinem Lager und dem Kaiserhof aufrecht. Um ihrer Liebe – besser wohl: ihrer Rache willen – ließ die Tochter der Placidia alle Pflichtgefühle und Vorurteile fahren und bot sich dem Barbaren an, dessen Sprache sie nicht sprach, dessen Körper kaum menschlich zu nennen war und dessen Religion und Sitten ihr schauderhaft waren. Mit Hilfe eines treuen Eunuchen überbrachte sie Attila einen Ring als Unterpfand ihrer Zuneigung und beschwor ihn flehentlich, auf sie, mit der er heimlich verlobt sei, Anspruch als Gattin zu erheben,.

Indessen, diese vorwitzigen Anträge wurden mit Kälte und Verachtung aufgenommen, und der König der Hunnen fuhr fort, die Zahl seiner Weiber zu vergrößern, bis irgendwann seine wahren Leidenschaften, Habgier und Ehrgeiz, auch seine Liebe zu Honoria weckten. Der Einfall nach Gallien wurde vorbereitet und formell gerechtfertigt durch den offiziellen Anspruch der Prinzessin Honoria an einem gerechten und gleichen Anteil an dem kaiserlichen Erbteil. Attilas Vorfahren, die alten Tanju, hatten oft auf diese dreiste Weise die Töchter Chinas für sich gefordert. Seine jetzigen Ansprüche an das Römische Reich waren nicht minder beleidigend. Seine Botschafter erhielten höflichen, aber entschlossenen Bescheid. Das Recht auf weibliche Thronfolge mochte durch die aktuellen Beispiel der Placidia und Pulcheria bekräftigt werden, wurde aber entschieden bestritten, und den Ansprüchen des skythischen Werbers standen die unauflöslichen Verbindungen der Honoria entgegen. Siehe Priscus in Excerpta legationum, p. 39 f. Es ließe sich mit Recht einwenden, dass, weibliche Thronfolge vorausgesetzt, Valentinian selbst, der die Tochter und Erbin des jüngeren Theodosius geehelicht hatte, ihr Recht auf das Ostreich geltend gemacht hätte. Die Prinzessin selbst ward nach der Entdeckung ihres Einverständnisses mit dem Hunnenkönig als ein Gegenstand des Abscheus von Konstantinopel nach Italien entfernt worden; immerhin schonte man ihr Leben; aber die Hochzeitszeremonie wurde mit einem blutleeren nominellen Gatten vollzogen, bevor man sie in ein Dauergefängnis einmauerte, damit sie dort jene Verbrechen und Notlagen beweine, die ihr erspart geblieben wären, wenn sie nicht als Kaisertochter zur Welt gekommen wäre Die Abenteuer der Honoria werden von Jornandes nur unvollständig erzählt. (Romana 97 und Getica 42, außerdem in den Chroniken des Prosper Tiro und des Marcellinus). Aber sie erhalten weder Zusammenhang noch Glaubwürdigkeit, es sei denn, wir trennen durch einen zeitlichen und räumlichen Schnitt ihren Liebeshandel mit Eugenius und ihre Einladung an Attila.

 

ATTILA ÜBERFÄLLT GALLIEN · BELAGERUNG VON ORLÉANS A.D. 451

Ein gebürtiger Gallier und Zeitgenosse, der gelehrte und beredte Sidonius und spätere Bischof von Clermont, hatte einem Freund das Versprechen gegeben, nach allen Regeln der Kunst die Geschichte des Krieges gegen Attila zu schreiben. Hätte nicht Selbstbescheidung den Sidonius von diesem löblichen Vorhaben »Exegeras mihi, ut promitterem tibi Attilae bellum stylo me posteris intimaturum ... coeperam scribere, sed operis arrepti fasce perspecto, taeduit inchoasse«. [Du hast mir das Versprechen abgenötigt, den Nachfahren Attilas Krieg aufzuzeichnen...ich fing damit an; aber als ich der Last des begonnenen Unternehmens gewahr wurde, bedauerte ich es, mich darauf eingelassen zu haben]. Sidonius Apollinaris, Epistulae 15. abgehalten, hätte der Historiker mit den schlichten Worten der Wahrheit von jenen denkwürdigen Ereignissen berichten können, auf die jetzt der Dichter in gedrängter Form und mit dunklen und zweideutigen Metaphern anspielt. Vergleiche etwa Sidonius, Panegyricus ad Avitum 319-328. Die Könige der germanischen und skythischen Völker von der Wolga bis vielleicht zur Donau folgten Attilas kriegslüsternen Rufen. Von dem Residenzdorf in Ungarn brachen seine Feldzeichen gen Westen auf, und nach einem Marsch von sieben- bis achthundert Meilen erreichten sie den Zusammenfluss von Rhein und Neckar; wo noch die Franken zu ihm stießen, die seinem Bundesgenossen, Chlodions ältestem Sohn, ergeben waren. Ein kleiner Trupp leichtbewaffneter Barbaren hätte wohl den Winter abgewartet, um dann in aller Bequemlichkeit den zugefrorenen Rhein zu überqueren; aber die Unmassen an Kavallerie benötigte solche Mengen an Futter und Proviant, dass dies nur in milderen Landstrichen sicher zu stellen war. Der hercyanische Wald bot genug Baumaterial für eine Schiffsbrücke, und mit unwiderstehlicher Gewalt ergossen sich Myriaden von Feinden über das wehrlose Belgien. Die zuverlässigste und reichhaltigste Schilderung dieses Krieges bietet Jordanes, Getica 36-41, der Cassiodors umfänglichere Darstellung mal aus- und mal abgeschrieben hat. Jordanes – der Hinweis ist fast überflüssig – sollte durch Gregor von Tours (2,5-7) und durch die Chroniken von Hydatius und Isidor sowie der beiden Prosper korrigiert und kommentiert werden. Alle diese Zeugnisse finden sich in den Historiens de la France versammelt. Doch sollte der Leser zur Vorsicht gemahnt sein vor einem angeblichen Auszug aus der Chronik des Hydatius (unter den Fragmenten Fredegars, Band 2, p. 462), welcher dem ursprünglichen Text des gallischen Bischofs oftmals widerspricht..

Gallien in seiner Gesamtheit war entsetzt, und die vielfältigen Schicksale seiner Städte hat die Tradition mit Märtyrer- und Wundergeschichten ausgeschmückt. Die alten Legendenschreiber verdienen einige Aufmerksamkeit, weil sie ihre Fabeln mit der tatsächlichen Geschichte ihrer eigenen Zeit zusammenfügen mussten. Siehe die Viten von St. Lupus, und St. Ananus, der Bischöfe von Metz und der hl. Genoveva in den Historiens de la France, Band 1, p. 644f, 649 und Band 3, p. 369. Troyes wurde durch St. Lupus gerettet; St Servatius ward von dieser Erde geholt, auf dass er die Ruinen von Tongres nicht schauen musste; und die Gebete von St. Genoveva machten, dass Attila nicht in die Nähe von Paris gelangte. Da nun aber die meisten Städte Galliens sowohl der Heiligen ermangelten wie auch der Soldaten, konnten die Hunnen sie belagern und bestürmen, um dann, etwa bei der Eroberung von Metz, Die Skepsis des Grafen de Buat (Histoire des peuples, Band 7, p. 539f) wird von Vernunftgründen und der historischen Wissenschaft nicht geteilt. Berichtet Gregor nicht detailgenau und ausdrücklich von der Zerstörung von Metz? Sollte denn er, sollte das Volk noch vor Ablauf von einhundert Jahren unkundig sein des Schicksals einer Stadt, der wirklichen Hauptstadt seiner Regenten, der Könige von Austrasien? Der gelehrte Graf, der sich offenbar die Verteidigung Attilas und der Barbaren zur Aufgabe gemacht hat, beruft sich auf die Aussage des falschen Hydatius, »parcens civitatibus Germaniae et Galliae« [die Städte Germaniens und Galliens verschonend] und übersieht, dass der echte Hydatius ausdrücklich darauf hinweist, dass »plurimae civitates effractae« [die meisten Stadte verwüstet] wurden, worunter er auch Metz zählt. ihre üblichen Kriegsmaximen zu befolgen. Sie schlugen unterschiedslos die Priester bei ihrem Altardienst nieder sowie die Kleinkinder, die der Priester in der Stunde der Not vorsichtshalber getauft hatte; die blühende Stadt ging in Flammen auf, und die einsame Stephans-Kapelle bezeichnet den Ort, wo sie einst gestanden.

Von Rhein und Mosel brach Attila mit seinen Scharen ins Zentrum Galliens vor; querte die Seine bei Auxerre und schlug nach langen und mühsamen Tagesmärschen sein Lager vor den Toren von Orléans auf. Es war seine Absicht, seine Eroberung durch die Besetzung einer strategisch günstigen Ortschaft abzusichern, die den Loire-Übergang beherrschte, wobei er sich noch von der geheimen Mitarbeit des Alanenkönigs Singaban abhing, der versprochen hatte, die Stadt zu verraten und seine Allianz mit dem Reich aufzukündigen. Aber sein Verrat ward entdeckt und vereitelt: Orléans war erst vor kurzem neu befestigt worden, und die Angriffe der Hunnen wurden machtvoll zurückgeschlagen von Bürgern und Soldaten, die die Stadt getreulich verteidigten. Der Hirten-Eifer des Anianus, eines Bischofs von unverfälschter Frömmigkeit und höchster Umsicht, aktivierte bis zur Ankunft der verheißenen Retter jede Art von religiöser Hilfestellung. Nach hartnäcker Bestürmung wankten die Mauern unter den Stößen der Rammböcke; schon hatten die Hunnen die Vorstädte besetzt; und das Volk, das über keine Waffen verfügte, lag im Gebet hingestreckt; Anianus, der ängstlich Tage und Stunden gezählt hatte, schickte einen zuverlässigen Ausguck auf die Rampe, das umliegende Land auszuspähen. Zweimal kehrte er ohne Nachrichten zurück, die geeignet gewesen wären, den Bedrängten den Mut oder die Hoffnung zu heben; bei seinem driten Rapport sprach er von einer kleinen Staubwolke, die er am entfernten Horizont gerade noch hatte ausmachen können. »Es ist Gottes Hilfe,« rief der Bischof in frommer Zuversicht aus, und schon wiederholte die Menge: »Es ist Gottes Hilfe!« Allmählich wurde das entfernte Objekt, auf das alle ihre Blicke richteten, größer und deutlicher, und als ein günstiger Wind die Staubwolke zerblies, entdeckte man die tiefgestaffelten Reiterschwadrone von Aëtius und Theoderich, die machtvoll voranstürmten, die Stadt Orléans zu entsetzen.

 

BÜNDNIS ZWISCHEN RÖMERN UND WESTGOTEN

Die Leichtigkeit, mit der Attila bis ins Herz Galliens vorgedrungen war, lässt sich seiner berechnenden Politik zuschreiben wie auch dem Schrecken, der von seinen Waffen ausging. Seine öffentlichen Erklärungen wurden mit schlauer Berechnung durch mündliche Zusicherungen abgemildert; wechselweise bedrohte er Römer und Goten oder sagte ihnen Nettigkeiten; und so blickten die Höfe von Ravenna und Toulouse, die sich stets beargwöhnt hatten, nun mit unbesorgtem Gleichmut auf den heranrückenden gemeinsamen Feind. Aëtius war der einzige Garant für die Sicherheit des Reiches, aber seine umsichtigsten Maßregeln wurden durch eine Faktion paralysiert, welche seit Placidias Tod dem Kaiserpalast lästig fiel. Italiens Jugend bebte beim Klang der Kriegshörner; und die Barbaren, die aus Furcht oder Eigennutz für Attila Partei waren, warteten mit wankender oder falscher Treue den Kriegsausgang ab.

Der patricius überquerte die Alpen an der Spitze eines kleinen Truppenkontingentes, das aufgrund seiner Bewaffnung und Größe kein Anrecht auf die Bezeichnung Armee hatte. »...vix liquerat Alpes Aëtius, tenue, et rarum sine milite ducens Robur, in auxiliis Geticum male credulus agmen Incassum propriis praesumens adfore castris.[...Aetius hatte kaum die Alpen hinter sich, an der Spitze eines kleinen Heeres von Hilfstruppen und ohne Legionäre, vergeblich darauf wartend, dass das Gotenheer sich ihm anschließe]. Sidonius, Panegyricus ad Avitum 328 - 331 Als er in Arles oder Lyon ankam, erfuhr er, dass die Westgoten sich weigern würden, an der Verteidigung Galliens teilzunehmen, sondern vielmehr auf ihren eigenen Territorien die Ankunft jenes furchtbaren Gegners abwarten wollten. Bei dieser Gelegenheit bekundeten sie auch ihre Verachtung für diesen Feind. Der Senator Avitus hatte nach ehrenhafter Erlegung seines Dienstes als Prätorianerpräfekt sich auf seine Ländereien in der Auvergne zurück gezogen, ließ sich aber dazu bereden, diese so wichtige Gesandtschaft zu übernehmen, die er denn ja auch mit Geschick und Erfolg vollführte. Er stellte Theoderich dar, dass einem ehrgeizigen Eroberer, der nach dem Besitz der ganzen Welt greife, nur durch das feste und unbedingte Bündnis derjenigen Mächte Einhalt geboten werden könne, die er zu unterwerfen suche. Avitus' Beredsamkeit entzündete die kriegerische Begeisterung der gotischen Krieger, indem er anschaulich die Verbrechen darstellte, die ihre Vorfahren durch die Hunnen erleiden mussten, deren unversöhnliche Wut ihnen inzwischen von der Donau bis zu den Pyrenäen nachsetze. Auch sei es die Pflicht eines jeden Christenmenschen, so der Senator mit Nachdruck, die Kirche Gottes und die Gräber der Heiligen vor den Zugriffen jener Gottlosen zu bewahren; und dass es im Interesse eines jeden Barbaren sei, der Siedlungsland in Gallien erworben habe, Felder und Weinberge gegen die Verheerungen der skythischen Nomaden zu verteidigen.

Theoderich konnte diesen unmittelbar einleuchtenden Wahrheiten nur beitreten, tat, was Klugheit und Ehre forderten und erklärte, dass er, der Römer und des Aëtius zuverlässiger Bundesgenosse, bereit sei, sein Leben und sein Reich für Galliens Freiheit in die Schanze zu werfen. In den Panegyricus auf Avitus und bei Jordanes im 36. Kapitel ist die Politik des Attila, des Aëtius und der Westgoten nur unvollständig dargestellt. Dichter und Historiker waren je und je von nationalen Vorurteilen geleitet. Der erstere hebt Verdienst und Bedeutung des Avitus übertrieben hervor: »Orbis, Avite, salus!« Der Zweite ist bemüht, die Goten in möglichst günstigem Licht zu zeigen. Aber dass sie übereinstimmen – wenn man sie denn richtig erläutert-, ist wohl ein Beweis für ihre Nähe zur Wahrheit. Die Westgoten, die sich damals auf der Höhe ihrer Macht und ihres Ruhmes befanden, gehorchten mit Freuden dem Rufe zum Kriege; hielten Waffen und Pferde in Bereitschaft und sammelten sich unter der Fahne ihres betagten Heerkönigs, der entschlossen war, zusammen mit seinen beiden ältesten Söhnen Theoderich und Torismond an die Spitze seiner ungezählten Scharen zu treten. Das Vorbild der Goten wirkte sich günstig aus auf die zahlreichen Stämme, die noch zwischen Römern und Hunnen hin- und herschwankten. Ohne Unterlass sammelte Aëtius in Gallien und Germanien Truppen, die sich zuvor noch Untertanen und Soldaten des Reiches genannt hatten, nun aber den Lohn für freiwilligen Dienst und die Stellung unabhängiger Verbündeter beanspruchten. Es waren dies die Laeten, Armorikaner, Breonen, Sachsen, Burgunden, Sarmaten oder Alanen, Ripuarier und die Franken, die Merowech, ihrem rechtmäßigen Fürsten folgten. Die war die buntscheckige Armee, die unter Theoderichs und Aetius' Führung in Eilmärschen heranrückte, um Orléans zu entsetzen und den ungezählten Massen Attilas ein Treffen zu liefern. Die Musterung der Armee des Aëtius unternahm Jordanes (Getica 36), in der Hisiens de la France, Band 2, p. 23, mit den Fußnoten des benediktinischen Herausgebers. Die ›Laeti‹ waren ein Barbarenmischvolk, in Gallien entstanden oder dort naturalisiert; die ›Ripari‹ oder ›Ribuarii‹ leiteten ihren Namen von ihrem Wohnsitz an den drei Flüssen Rhein, Maas oder Mosel ab; sie ›Armorikaner‹ besaßen die unabhängigen Städte zwischen Seine und Loire. In der Diözese von Bayeux war eine Kolonie von Sachsen angelegt worden; die Burgunden siedelten in Savoyen, und die ›Breonen‹ waren ein kriegerischer Stamm von Rhätern östlich des Bodensees.

 

ATTILA WEICHT IN DIE CHAMPAGNE ZURÜCK

Bei ihrem Anmarsch brach der Hunnenkönig augenblicklich die Belagerung ab und ließ die Truppen zurückbeordern, welche bereits mit der Plünderung der Vorstadt begonnen hatten. »Aurelianensis urbis obsidio, oppugnatio, irruptio, nec direptio.« [Belagerung von Orléans, ihre Erstürmung, der Einfall in die Stadt, doch nicht ihre Plünderung]. Sidonius Apollinaris 8, Epistulae 15. Die Rettung von Orléans konnte leicht zu einem Wunder umgedeutet werden, das der heilige Bischof bewirkt und vorhergesagt hatte. Attila ließ sich bei Ausübung seiner Macht stets von Klugheit leiten; und da er die fatalen Konsequenzen einer Niederlage mitten in Gallien schon vorher abschätzen konnte, zog er sich über die Seine zurück und erwartete den Feind in der Ebene von Chalon, deren weicher und ebener Boden den Ansprüchen seiner skythischen Reiter sehr entgegenkam. Aber im Verlauf dieses ungeordneten Rückzugs bedrängte die Vorhut der Römer und ihrer Verbündeten ununterbrochen den Nachtrab von Attilas Armee am Schluss der Marschkolonne. So entwickelten sich im Dunkel der Nacht und auf unbekanntem Terrain mehrfach Zufallsgefechte; und doch waren diese blutigen Handgemenge der Franken und Gepiden, in der fünfzehntausend Die verbreiteten Textausgaben lesen XCM, aber die einige Handschriften – und es würde beinahe jede einzelne hinreichen – sprechen von XVM. Barbaren ihr Leben verloren, nur der Prolog zu einer weitaus größeren und entscheidenden Schlacht. Die Katalaunischen Felder Chalon-sur-Marne oder »Duro-Catalaunum«, später dann »Catalauni«, hatte einst zum Bezirk von Reims gehört, von dem es nur 27 Meilen entfernt lag. Sieh Valesius, Notitia Galliarum, p. 136, und d'Anville, Notice sur de l'ancienne Gaule, p. 212 und 279. liegen bei Chalon und erstrecken sich nach den recht nebulösen Angaben des Jordanes auf einer Länge von einhundertunddreißig und einer Tiefe von einhundert Meilen über die gesamte Provinz, die den Namen Champagne führt. Den Name Campania oder Campagne erwähnt Gregor von Tours des öfteren, und diese große Provinz mit der Hauptstadt Reims stand unter dem Befehl eines dux. Valesius, Notitia Galliarum 120-123.

Doch gab es auf dieser weiten Ebene einige Hügel, und die Bedeutung einer bestimmten Höhe, von der aus das Lager Attilas beherrscht werden konnte, war den beiden Feldherren durchaus bewusst, so dass sie ihn sich einander streitig machten. Zunächst besetzte der tapfere Thorismund den Hügel, seine Goten stürzten sich unwiderstehlich auf die Hunnen, die ihn von der Gegenseiten her zu erstürmen suchten. Der Besitz dieser vorteilhaften Stellung schien beiden Heerführern die Garantie für den endgültigen Sieg zu sein. Attila zögerte, ängstlich und besorgt und fragte endlich seine Haruspices und Wahrsager. Man sagt, dass sie die Eingeweide durchwühlt und bis auf die Knochen bloßgelegt hätten und sich dann in dunklen Andeutungen über seine Niederlage und den Tod seines schlimmsten Feindes ergangen hätten; und dass der Barbar, einverstanden mit diesem Preis, durch die Anerkennung der Gleichwertigkeit des Aëtius indirekt dessen Überlegenheit bestätigt habe.

Aber die ungewohnte Mutlosigkeit, die die Hunnen insgesamt erfasst zu haben schien, veranlasste Attila zu der Maßnahme, die bei den Feldherren des Altertums gang und gäbe war, nämlich durch eine Ansprache seinen Kriegern den Mut zu heben. Seine Worte waren die Worte eines Heerkönigs, der schon oft an ihrer Spitze gekämpft und gesiegt hatte. Ich bin mir bewusst, dass diese Ansprochen in der Regel von dem Historiker selbst abgefasst wurden; aber die alten Ostgoten, die unter Attila gedient hatten, konnten seine Worte vor Cassiodor wiederholt haben; die Gedanken und selbst noch die Wortwahl sind von eindeutig skythischem Gepräge, und zudem bezweifle ich, dass ein Italiener des VI. Jh. sich »huius certaminis gaudia« [die Freuden dieses Kampfes] einfallen ließ. Er stellte ihnen mit Nachdruck ihre frühere Größe, ihre gegenwärtige Gefahr und ihren inskünftigen Ruhm vor Augen. Dasselbe Geschick, das ihnen waffenlos die Wüsten und Sümpfe Skythiens geöffnet und so viele kriegerische Völker zu Füßen geworfen hatte, habe ihnen die Freuden dieser Schlacht bis zu ihrem letzten, entscheidenden Sieg aufgespart. Die tastenden Maßnahmen ihrer Feinde, ihre engen Verbindungen und ihre günstige Positionierung legte er ihnen listig nicht als Frucht einer klugbedachter Strategie aus, sondern als Erzeugnis ihrer Angst. Allein die Westgoten seien das Mark der feindlichen Armee; die Hunnen mochten daher bedenkenlos die verkommenen Römer niederwalzen, deren dichte und geschlossene Schlachtreihe ihre Angst verrate und die selber außerstande seien, die Mühen und Gefahren auch nur eines einzigen Gefechtes zu ertragen. Die Doktrin der Vorherbestimmung, die dem kriegerischen Geist so ungemein günstig ist, fand ebenfalls Eingang in des Hunnenkönigs Rede, der seinen Untertanen zusicherte, dass die Krieger inmitten des Pfeilhagels ihrer Feinde sicher und unverwundbar seien; dass aber die unfehlbaren Schicksalsgöttinnen ihre Opfer noch im Schoße eines ruhmlosen Friedens erlegen würden. »Ich selbst«, fuhr Attila fort, »werde den ersten Speer schleudern, und der Wurm, der dem gleichzutun sich weigert, soll unfehlbar eines schmachvollen Todes sterben.«

So wurde der Mut der Barbaren durch die Anwesenheit, die Stimme und das Vorbild ihres furchtlosen Anführers neuerlich belebt; uns Attila selbst gab ihrem Drängen nach und ließ sie in Schlachtordnung antreten. An der Spitze seiner tapferen Hunnen übernahm er in eigener Person die Position des Anführers. Die seinem Imperium untertänigen Völker, die Heruler, Thüringer, Franken, Burgunder standen an beiden Flanken aufgereiht auf den ausgedehnten katalaunischen Feldern; der rechte Flügel stand unter dem Kommando von Ardarich, dem König der Gepiden; und die drei tapferen Brüder, die Herrscher der Ostgoten, standen auf dem linken Flügel, den stammverwandten Westgoten genau gegenüber. Die Aufstellungen der Gegner war von anderen Erwägungen bestimmt. Sangiban, der ungetreue Alanen-König, stand im Zentrum, wo sein Handeln genauer überwacht und etwaiger Verrat sofort bestraft werden konnte. Aëtius übernahm das Kommando über den rechten und Theoderich den linken Flügel; Torismond indessen hielt die Anhöhe besetzt, die sich in die Flanke oder sogar bis in den Rücken der skythischen Armee erstreckt zu haben scheint. Es fanden sich die Völker von der Wolga bis zum Atlantik in der Ebene von Chalons versammelt; aber viele dieser Völker waren durch Parteienhader, Auswanderungen oder Niederlagen geschwächt; und die Standarten, die einander durchaus ähnlich schienen, verliehen dem ganzen den Anschein eines Bürgerkrieges.

 

DIE SCHLACHT AUF DEN KATALAUNISCHEN FELDERN

Die militärische Ausbildung und die Taktik der Griechen und Römer stellen einen aufschlussreichen Zug ihres nationalen Brauchtums dar. Das aufmerksame Studium der Militäroperationen bei Xenophon, Caesar oder Friedrich –vorausgesetzt, sie werden in demselben Geiste geschrieben, wie sie konzipiert und exekutiert wurden – bieten einen Fortschritt in der Kunst des Tötens, wenn denn ein solcher Kenntnisgewinn wirklich wünschenswert ist. Die Schlacht auf den Katalaunischen Feldern weckt unser Interesse nur durch ihre schiere Größe.; denn sie wurde entschieden durch blindwütiges Anrennen der Barbaren, und ihre Schilderung stammt von parteiischen Autoren, die aufgrund ihrer bürgerlichen oder kirchlichen Berufe mit militärischen Gegenständen nicht in Berührung kamen. Cassiodor indessen hatte mit vielen gotischen Kriegern, die in jener denkwürdigen Schlacht Dienst getan hatten, vertrauten Umgang: »eine Schlacht,« so belehrten sie ihn, »wild, jederzeit offen, langandauernd, blutig und ohne Parallele zu irgendeiner in der Vergangenheit oder Gegenwart.« Die Zahl der Erschlagenen belief sich auf einhundertzweiundsechzigtausend oder, nach anderer Zählung, fast dreihunderttausend Mann; Die Worte von Jordanes, vielmehr von Cassiodor, sind sehr stark aufgetragen: »Bellum atrox, multiplex, immane, pertinax, cui simile nulle usquam narrat antiquitas: ubi talia gesta referuntur, ut nihil esset quod in vita sua conspicere potuisset egregius, qui hujus miraculi privaretur aspectu.« [Ein verbissenes Gefecht, vielfältig, gewaltig, verbissen, wie keines sonst, von denen die Vergangenheit berichtet, sodass ein Augenzeuge dieses Wunders in seinem Leben nichts Gewaltigeres mehr hätte sehen können]. Dubos (Histoire critique, Band 1, p. 392f.) möchte die 162.000 des Jordanes mit den 300.000 des Idatius und Isodore zusammenpassen, indem er annimmt, dass in der größeren Zahl die Kriegstoten insgesamt einbezogen sind, die Verluste durch Krankheit und die Ermordung unbewaffneter Zivilisten u.a. diese haltlosen Übertreibungen setzen allerdings einen realen Verlust voraus, der die Worte eines Historikers rechtfertigt, dass durch den Irrsinn von Königen in einer einzigen Stunde eine ganze Generation ausgelöscht werden kann.

Nach den einleitenden und wiederholten Speer- und Pfeilsalven, bei denen die skythische Reiterei ihre deutliche Überlegenheit bewährte, kam es zwischen Kavallerie und Infanterie beider Heere zu heftigem Nahkampf. Die Hunnen, die immerhin unter den Augen ihres Herrschers fochten, durchbrachen das schwache und unzuverlässige Zentrum ihres Gegners, trennte so seine Flügel, schwenkten mit einer plötzlichen Wendung nach links und warfen sich mit ihrer ganzen Macht gegen die Westgoten. Und als Theoderich durch die Linien ritt, um seine Truppen zu ermutigen, empfing er vom Speer des Andagas, eines ostgotischen Adligen die tödliche Wunde und stürzte im Augenblick vom Pferd. Der verwundete König ging im allgemeinen Getümmel verloren und wurde von der eigenen Kavallerie zertrampelt; und so brachte der Tod dieses großen Mannes Licht in die zweideutigen Andeutungen der Haruspices. Attila jauchzte bereits über den sicheren Sieg, als der kühne Torismond vom Hügel herabstürmte und so den zweiten Teil der Prophezeiung erfüllte.

Die Westgoten, die sich wegen der Flucht und besser: des Verrates der Alanen bereits in Auflösung befanden, stellten allmählich ihre Schlachtordnung wieder her; und als Attila sich daraufhin zurückziehen musste, waren die Hunnen unwiderruflich besiegt. Er hatte sich tollkühn wie ein einfacher Krieger in den Kampf gestürzt; aber die Elitetruppen im Zentrum hatten sich zu weit nach vorne gewagt und die übrige Front hinter sich gelassen. Ihr Angriff wurde daher nur schwach unterstützt, an den Flanken waren sie ungedeckt, und nur die hereinbrechende Nacht bewahrte die Eroberer Skythiens und Germaniens vor der völligen Vernichtung. Sie zogen sich in ihre Wagenburg zurück, das ihr Feldlager sicherte; die abgesessene Reiterei bereitete sich auf einen Abwehrkampf vor, zu der sie weder Waffen noch die Kraft besaß. Der Ausgang war bedenklich, aber Attila hatte für einen letzten und ehrenhaften Ausweg gesorgt: Die Sättel und das Zaumzeug der Kavallerie wurde auf sein Geheiß zu einem großen Scheiterhaufen aufgetürmt; denn der großdenkende Barbar hatte beschlossen, sich im Falle einer erkennbaren Niederlage vorüber in die Flammen zu stürzen und seine Feinde um den Triumph zu betrügen, der ihnen durch seinen Schlachtentod oder seine Gefangennahme zugefallen wäre. Der Graf du Buat (Histoire des peuples, Band 7, p. 554-573), der sich noch immer auf den ›falschen‹ Hydatius bezieht und den ›echten‹ erneut ablehnt, hat Attilas Niederlage in zwei große Gefechte zerlegt: das erste bei Orléans, das zweite in der Champagne; in der ersten wurde Theoderich getötet, in der zweiten wurde er gerächt.

 

ATTILAS RÜCKZUG · THEODERICHS TOD

Aber auch die Feinde Attilas hatten die Nacht in Sorge und Auflösung zugebracht. Torismonds vorschneller Mut drängte darauf, die Verfolgung aufzunehmen, als er sich, für ihn selbst überraschend, mit nur wenigen Begleiten zumitten einer skythischen Wagenburg wiederfand. Er wurde im Durcheinander des nächtlichen Gefechtes vom Pferd geworfen, und der Gotenprinz wäre gleich seinem Vater des Todes gewesen, wenn nicht seine jugendliche Kraft und der unverzagte Mut seiner Mitstreiter ihn aus seiner heiklen Lage herausgehauen hätten. Ähnliches widerfuhr Aëtius auf dem linken Flügel, als er –von seinen Verbündeten getrennt, in Unkenntnis über ihren Sieg und besorgt um ihr Schicksal – mit den schwärmenden feindlichen Truppen auf der Ebene von Chalons zusammen gestoßen und anschließend entkommen war; endlich ereichte er das Lager der Goten, das bis zum Morgengrauen nur mit einem leichten Wall aus Schilden gedeckt werden konnte.

Da erst erfuhr der kaiserliche General zu seiner Genugtuung von Attilas Niederlage, der immer noch ruhig in seinem Lager verharrte; und als er dann nachdenklich die Szenerie musterte, bemerkte er mit stiller Freude, dass die Barbaren den größeren Blutzoll entrichtet hatten. Der Leichnam Theoderichs, mit ehrenhaften Wunden bedeckt, wurde unter einem Berg von Gefallenen hervorgezogen: seine Untertanen beweinten ihren Vater und König, aber unter ihre Tränen mischten sich auch Gesänge und Freudenrufe, und die Begräbnisrituale begingen sie im Angesicht eines besiegten Feindes. Die Goten erhoben seinen ältesten Sohn Torismond unter lautem Waffenklirren auf den Schild, da sie in ihm nicht zu Unrecht den Vater des Sieges sahen; und der neue Herrscher nahm die Pflicht zur Rache als einen geheiligten Teil seines väterlichen Erbes an.

Die Goten indessen bemerkten mit Erstaunen, wie ihr mächtiger Gegner immer noch einen furchterregenden und gewaltigen Eindruck machte; ihr Geschichtsschreiber hat Attila mit dem Löwen verglichen, der in seiner Höhle gefangen sitzt und seinen Jägern mit verdoppelter Wut begegnet. Den Königen und Stämmen, die in dieser Stunde auf schnöden Verrat sinnen mochten, kam zum Bewusstsein, dass der Unmut des Königs für sie die schwerste und unmittelbarste Gefahr darstellte. Alle seine Kriegsinstrumente intonierten einen einzigen und aufrüttelnden Klang der Herausforderung; und Tatsächlich wurden die ersten Truppen, die zum Angriff vorrückten, von einem Pfeilhagel zurückgeschreckt oder sogar dezimiert, der von allen Seiten aus der Verschanzung auf sie herabflogen. In einem allgemeinen Kriegsrat wurde deshalb der Entschluss gefasst, den Hunnenkönig in seinem Lager einzuschießen, jeden Nachschub zu unterbinden und ihn so nur noch die Wahl zwischen einem Schmachfrieden oder einem ungleichen Gefecht zu lassen. Aber die Ungeduld der Barbaren verschmähte diese bedächtigen und vorsichtigen Maßnahmen, und der erfahrene Aëtius besorgte, dass nach dem Untergang der Hunnen nunmehr die Macht der Goten dem Reiche furchtbar werden könnte. So bediente er sich der wirkmächtigen Waffen der Vernunft und der Autorität, um die Leidenschaften herabzudämpfen, die Theoderichs Sohn wohl mit einer heiligen Pflicht verwechselte; stellte ihm mit erheuchelter Anteilnahme und nachdrücklicher Wahrheit die Gefahren einer zu langen Abwesenheit und Verzögerung dar und brachte Torismond dazu, durch seine rasche Rückkehr die ehrgeizigen Entwürfe seiner beiden Brüder zu enttäuschen, welche Thron und Schatzhaus von Toulouse an sich reißen könnten. Jordanes, Getica 41. Die Politik des Aëtius und das Verhalten von Torismond sind völlig natürlich. Nach Gregor von Tours (2,7) entließ der Patrizier den fränkischen Fürsten, indem er ihm eine vergleichbare Befürchtung darstellte. Der unechte Hydatius behauptet albernerweise, Aëtius habe nachts heimlich den Königen der Hunnen und der Westgoten eine heimlichen Besuch gemacht und von jedem von ihnen eine Bestechungssumme von zehntausend Goldstücken für einen ungestörten Abzug erhalten.

Nach der Trennung der Goten von ihren Verbündeten erstaunte Attila über die große Stille über dem Schlachtfeld von Chalon; die Besorgnis einer feindlichen Kriegslist veranlasste ihn indessen, noch ein paar Tage in seiner Wagenburg zu bleiben; und sein Rückzug über den Rhein hinaus schließlich bezeugte den letzten Sieg, der im Namen des Abendlandes erkämpft wurde. Merovius und seine Franken beobachteten einen gehörigen Abstand und vergrößerten jede Nacht durch zahlreiche Feuer ihre scheinbare Zahlenstärke; sie verfolgten die Nachhut Attilas bis in das Thüringische hinein. Die Thüringer leisteten Kriegsdienst unter Attila; sie durchzogen beim Hin- wie beim Rückmarsch das Land der Franken, und es war wohl auch in diesem Krieg, in welchem sie die Grausamkeiten verübten, für die etwa achtzig Jahre später Chlodwigs Sohn Rache nahm: sie ermordeten ihre Geiseln und Kriegsgefangenen, zweihundert Jungfrauen wurden mit ausgesuchter Grausamkeit gefoltert, ihre Leiber von wilden Pferden zerrissen oder vom Gewicht schwerer Lastkarren zermalmt, und an öffentlichen Straßen wurden die Körper den Geiern und Hunden zum Fraß vorgeworfen. Soviel zu jenen Völkern, deren Tugenden späteren zivilisierten Zeiten bisweilen zu Lob oder gar Neid Anlass gaben! Diese Grausamkeiten, die Chlodwigs Sohn Theuderich (Gregor von Tours 3,10) so heftig beklagt, passen in die Zeit und zu den Umständen von Attilas Invasion. Sein Aufenthalt in Thürigen hielt sich lange Zeit in den Volkssagen; auch soll er einen Kurultai, einen Reichstag in die Gegend von Eisenach einberufen haben. Siehe Mascov, Ancient Germans, Buch 9, c.30, der mit erfreulicher Genauigkeit das Ausmaß des alten Thüringen bestimmt und dessen Namen vom Gotenstamm der Therwingen herleitet.

 

ATTILAS EINBRUCH IN ITALIEN A.D. 452

Weder der Unternehmungsgeist Attilas noch seine Macht noch sein Ansehen hatten durch das Scheitern der gallischen Feldzuges ernstlich Schaden genommen. So erneuerte er im nächsten Frühjahr seine Ansprüche auf die Prinzessin Honoria und ihr väterliches Erbteil. Dieses Begehren wurde neuerlich mit Hohn zurückgewiesen, und der empörte Liebhaber rüstete sogleich, ging über die Alpen, drang in Italien ein und belagerte Aquileja mit einer nicht zählbaren Masse von Barbaren. Indessen waren jene Barbaren in den Belagerungskünsten ungeschickt, welche sogar im Altertum eine gewisse Grundkenntnis oder doch wenigsten praktische Erfahrung in der Mechanik voraussetzten. Aber mit den vereinten Anstrengungen von Provinzialen und Gefangenen, deren Leben man mitleidlos opferte, wurde diese gefährliche und schwierige Arbeit zustande gebracht. Selbst die römische Mechaniker wurden dazu herangezogen, ihr eigenen Vaterland zu zerstören. Dann berannten sie die Mauern von Aquileja mit ganzen Batterien von Rammböcken, fahrbaren Türmen und Wurfmaschinen zum Schleudern von Pfeilen, Steinen und Bandfackeln; »Machinis constructis, omnibusque tormentorum generibus adhibitis.« [Belageerungsmaschinen wurden gebaut und mit jeder Art von Wurfgeschossen bestückt]. Jornandes, 42. Im XIII Jh. bestürmten die Mongolen chinesische Städte, welche Mohammedaner oder Christen in ihren Diensten entworfen hatten und die Felsbrocken zwischen 150 und 300 Pfund schleudern konnten. Zur Verteidigung ihres Landes benutzten die sogar Schießpulver oder Bomben, mithin hundert Jahre, bevor sie in Europa bekannt waren; doch selbst diese himmlischen -oder doch besser wohl: infernalischen Waffen waren unzureichend, eine schwächelnde Nation zu schützen. Siehe Gaubil, Histoire des Mongous, p. 70f., 155 und 157ff. und außerdem setzte der Herrscher aller Hunnen die wirksamsten Triebfedern ein, die Hoffnung, die Furcht, den Neid und den Eigennutz, um die einzige Barriere einzureißen, die der Eroberung Italiens noch im Wege war. Zu jener Zeit war Aquileja eine der reichsten und am besten befestigten Hafenstädte an der Adriaküste. Die gotischen Hilfstruppen, die vermutlich unter dem Kommando ihrer heimischen Herrscher Alarich und Antala standen, bewährten ihrer unerschütterten Kampfesmut; und auch die Bürger Aquilejas erinnerten sich an den erfolgreichen Widerstand, den vordem ihre Väter einem tyrannischen Barbaren geleistet hatten, der der Ehre des Römischen Purpurs zu nahe getreten war.

Drei Monate lang war Aquileja bereits erfolglos belagert worden; schließlich zwangen Proviantmangel und wohl auch der Unmut seiner Krieger Attila, die Belagerung aufzuheben und mit Bitternis im Herzen die Anordnung zu geben, die Truppen sollten am nächsten Morgen ihr Gezelte abbrechen und zum Abmarsch antreten. Als er aber ein letztes Mal um die Mauern ritt, gedankenverloren, enttäuscht und in ohnmächtigem Zorn, beobachtete er, wie sich ein Storchenweibchen anschickte, ihr Nest in einem der Bastionstürme aufzugeben und mit den Jungen ins Land hinauszufliegen. In einem Nu erfasste Attila mit der Geistesgegenwart des wahren Staatsmannes die einmalige Chance, die ihm der Aberglaube in die Hand gegeben hatte; und er lief laut und fröhlich aus, dass ein Vogel, der so sich so eng an die menschliche Gesellschaft angeschlossen habe, niemals seine Behausung aufgeben würde, wenn nicht den Türmen Einsamkeit und Untergang unmittelbar bevorstünden. Dies günstige Omen wurde als ein Siegesversprechen gedeutet, die Belagerung wieder aufgenommen und fortgesetzt mit neuermunterten Kräften. Jordanes und Prokopios erzählen dieselbe Geschichte, nur ist es schwierig zu entscheiden, von wem das Original stammt. Aber der Grieche hat einen Fehler gemacht: er lässt die Belagerung nach Aëtius' Tod stattfinden. In die Stelle der Mauer, wo die Störche fort geflogen waren, wurde eine große Bresche gerammt, dann stürmten die Hunnen mit gnadenloser Gewalt; und die späteren Generationen hatten Schwierigkeiten, wenigstens die Ruinen von Aquileja aufzufinden. Jordanes bestätigt etwa hundert Jahre später, dass Aquileja so vollständig zerstört war, »ita ut vix ejus vestigia, ut appareant, reliquerint.« [...dass kaum eine Spur übrig von ihrem Dasein übrigblieb]. Siehe Jornanes, Getica, 42; Paulus Diaconus 2,14; Liutprand, Historia 3,2. Der Name Aqulileja wurde zuweilen für Forum Iulii (Cividale de Friuli), die neuere Hauptstadt Venetiens benutzt.

Nach dieser fürchterlichen Heimsuchung setzte Attila seinen Marsch fort; und als er fort war, da waren die Städte Altinum, Concordia und Padua nur noch Stein und Asche. Auch die Städte im Landesinneren, Vicenza, Verona und Bergamo waren der Raubgier der Hunnen ausgeliefert. Mailand und Pavia unterwarfen sich, fügten sich in den Verlust ihres Reichtums und rühmten sogar noch die unübliche Milde, welche die öffentlichen und privaten Gebäude vor den Flammen bewahrt hatte und endlich sogar den Gefangenen das Leben schenkte. Den Volkssagen von Como, Turin und Modena wollen wir füglich misstrauen; immerhin aber scheinen sie zu bestätigen, dass Attila vornehmlich die Gegend der heutigen Lombardei heimgesucht hatte, welche vom Po geteilt und von Alpen und Apennin begrenzt wird. Zur Darstellung dieses ebenso berühmten wie in den Einzelheiten wenig bekannten Krieges von Attila habe ich mir zwei gelehrte Italiener zu meinen Führern erwählt, die diesen Gegenstand mit einigen besonderem Geschick behandelt haben: Sigonius, de Imperio occidentali, Buch 12. Opera Band 1, p. 425-502 und Muratori, Annali d'Italia, Band 4, p. 229-236, Oktavausgabe.

Als er den Kaiserpalast zu Mailand mit Beschlag belegt hatte, war er unangenehm berührt beim Betrachten eins Gemäldes, welches die Caesaren darstellte, zu deren Füßen die Könige von Skythien im Staube lagen. Die Revanche, die Attila an diesem Denkmal römischer Eitelkeit nahm, war ebenso harmlos wie witzig: er ließ einen Maler kommen, der die Figuren und ihre Attribute tauschen musste. Und so wurden die Kaiser auf derselben Leinwand neu portraitiert, wie sie in unterwürfiger Haltung dem skythischen Herrscherthrone nahen, das schuldige Tributgold zu entrichten. Diese Anekdote findet sich in der Suda in zwei Fassungen. Dem Betrachter haben die Wahrheit und Stimmigkeit dieser Korrekturen eingeleuchtet; und ebenso waren sie wohl auch geneigt, zumindest bei dieser Gelegenheit eine Verbindung zu der wohlbekannten Fabel vom Streitgespräch zwischen Löwe und Mensch herzustellen. Leo respondit, humana hoc pictum manu: Videres hominem deiectum, si pingere Leones scirent. [Der Löwe erwidert: Das Bild ist von Menschenhand: Ihr würdet den Menschen am Boden liegen sehen, wenn Löwen zu malen verständen]. Phaidros, Fabeln, Appendix 18. Der Löwe bei Phaidros (3,10) beruft sich, töricht genug, statt der Bilder auf das Amphitheater; und ich freue mich, das der angeborene gute Geschmack von La Fontaine diesen lahmen und blutleeren Schluss gestrichen hat.

 

DIE GRÜNDUNG DER REPUBLIK VENEDIG

Man hat eine Redensart zur Hand, die gut auf Attilas grausamen Stolz passt, dass nämlich dort, wo sein Pferd einmal aufgestampft habe, nie wieder Gras wachse. Und dennoch veranlasste dieser maßlose Zerstörer, wenn auch nicht beabsichtigt, die Gründung einer Republik, welche dem feudalen Europa die hohe Kunst und den Geist der Geldgeschäfte schenkte. Das hochberühmte Venedig oder Venetia Paulus Diaconus (De gestis Langobardorum 2,14) beschreibt die italienischen Provinzen am Ende des VIII Jh.: »Venetia non solum in paucis insulis quas nunc Venetias dicimus, constat; sed ejus terminus a Pannoniae finibus usque Adduam fluvium protelatur.« [Venetia besteht nicht nur aus den paar Inseln, die wir heute die venetianischen nennen; vielmehr gilt diese Benennung für das Gebiet von Pannoniens Grenzen bis zur Adda]. Die Geschichte dieser Provinz bildet den ersten und zugleich interessantesten Teil des Werkes ›Verona illustrata‹, in welchem sich der Marquis Scipio Maffei den Erfordernissen eines großangelegten Überblickes (p. 1-388) ebenso gewachsen zeigt wie denen von detaillierten Einzelstudien. war ursprünglich nur für die große und fruchtbae italienische Provinz in Gebrauch, die sich zwischen Pannonien und der Adda und vom Po bis zu den Rhätischen und Julischen Alpen ausdehnte. Vor dem Barbareneinfall blühten hier fünfzig venezianische Städte in Wohlstand und Frieden; den Vorrang unter ihnen besaß Aquileja, aber auch Padua stützte sich seit alters auf Landwirtschaft und Handwerk; und der Besitz der über fünfhundert Bürgern im Range eines Ritters muss sich – selbst bei zurückhaltender Schätzung – auf eine Millionen und siebenhunderttausend Pfund belaufen haben. Viele der Familien, die dem Gemetzel entkommen konnten, fanden eine sichere, wenngleich nicht eben prominente Zuflucht auf den benachbarten Inseln. Zeitgenössische Belege für diese Auswanderung liegen nicht vor, aber die Tatsachen als solche wird durch das Ergebnis bewiesen, und die Tradition konnte näheren Begleitumstände aufbewahrt haben. Die Bürger von Aquileja begaben sich auf die Insel Gradus, die von Padua nach Rivus Altus oder Rialto, wo nachher Venedig erbaut wurde &c. Am äußersten Ende der Bucht, wo die Adria noch den Tidenhub des Ozeans erahnen lässt, finden sich etwa einhundert durch Flachwasser vom Ufer getrennte Inseln, welche durch diverse Landzungen vor der Brandung geschützt sind und die zugleich durch verborgene und enge Kanäle der Schifffahrt einen Zugang gewähren. Topographie und Altertümer der venezianischen Inseln von Grado bis Chioggia sind sorgsam verzeichnet in der Dissertatio chorographica de Italia medii aevi, p. 151-155. Bis in die Mitte des V Jahrhunderts waren diese abgelegenen und verborgenen Lokalitäten so gut wie ohne Namen und Bewohner geblieben. Aber die Bräuche der venetischen Flüchtlinge, ihre Künste und ihre Verfassung wurden hier allgemach durch die neue Lebenssituation umgeformt; und einen der Briefe Cassiodors, Cassiodor, Variae 12, Epistulae 24. Maffei (Verona illustrata, Teil 1, p. 240-254) hat diesen wichtigen Brief übersetzt und kommentiert, und zwar im Geiste des gelehrten Altertumswissenschaftlers und des getreuen Untertanen, dem Venedig die einzige rechtmäßige Erbin der Römischen Republik war. Er datiert den Brief und demgemäß auch die Präfektur Cassiodors in das Jahr 523; und die Autorität des Marquis hat umso mehr Gewicht, als er eine Ausgabe seiner Schriften besorgt und soeben eine Abhandlung über die korrkte Schreibweise seines Namens publiziert hat. Siehe seine Osservazioni letterarie, Band 2, p. 290-339. der ihre Lage siebzig Jahre später beschreibt, möge man als die Gründungsurkunde der Republik Venedig ansehen.

Der Minister des Theoderich vergleicht sie darin in seinem hintersinnigen Stil mit Wasservögeln, die ihre Nester auf den Wellen erbauen; und wenn er auch nicht in Abrede stellt, dass die venezianischen Provinzen ehedem viele Familien von Adel aufgewiesen hätten, so müsse er doch andeuten, dass sie nunmehr infolge vieler Unglücksfälle alle miteinander in bitterer Armut lebten. Fische bildeten die tägliche und fast ausschließliche Nahrung für alle Stände, ihr einziger Reichtum sei Salz im Übermaß, das sie der See abtrotzten und für welche dem menschlichen so notwendige Annehmlichkeit sie auf den benachbarten Märkten Gold und Silber im Austausch erhielten. Das Volk, dessen Heimat man mit gleichem Recht das Land und das Meer nennen könne, war schon bald mit beiden Elementen wohlvertraut, und so ließ sich nach der Stimme der Not schon bald die Stimme der Habgier venehmen. Die Insulaner, die von Grado bis Chiozza aufs engste miteinander verbunden waren, drangen mittels der zuverlässigen, wenn auch mühseligen Fluss- und Kanalschifffahrt bis in das innerste Italien vor. Ihre Schiffe, die im Laufe der Jahre immer mehr an Zahl und Größe zunahmen, liefen alle Häfen der Bucht an; und die Vermählung, welche Venedig noch jährlich mit der Adria begeht, wurde schon in seiner frühesten Kindheit gestiftet.

Der Brief des Prätorianerpräfekten Cassiodor ist an die Tribune des Seewesens gerichtet; und ermahnt sie in dem milden Tone der anerkannten Autorität, den Eifer ihrer Landsleute für den Dienst am Staat zu befeuern, welcher ihre Unterstützung beim Transport der Wein- und Ölvorräte aus der Provinz Istrien nach Ravenna erfordere. Die unbestimmte Stellung dieser Tribunen erklärt sich durch die Tradition, gemäß der in jedem Jahr aus den zwölf vornehmsten Inseln zwölf Richter oder Tribune vom Volk gewählt wurden. Übrigens wird die Existenz der Republik Venedig unter den Gotenkönigen durch genau die echten Aufzeichnungen bekräftigt, welche zugleich ihren stolzen Anspruch auf ursprüngliche und immerwährende Unabhängigkeit bestreiten. Man sehe im 2. Band der ›Histoire du gouvernement de Venise‹ von Amalot de la Hossaie eine Übersetzung des berühmten ›Squittenio‹. – Dieses stark überschätzte Buch starrt in jeder Zeile vor unredlicher und bösartiger Parteilichkeit, aber immerhin sind hier die wichtigsten – apokryphen wie echten – Zeugnisse vereinigt, und so kann der Leser den Mittelweg leicht selber finden.

 

ATTILA SCHENKT DEN RÖMERN FRIEDEN

Die Italiener, des Umgangs mit der Waffe schon längst entwöhnt, wurden nach vierzigjährigem Frieden von einem Barbaren überrannt, der ihnen als Feind ihrer Religion und ihres Staates in gleicher Weise entsetzlich war. Inmitten der allgemeinen Orientierungslosigkeit war es allein Aëtius gegeben, nicht in Panik zu verfallen; aber allein und auf sich gestellt war es auch ihm nicht möglich, irgendwelche seiner früheren Reputation gemäßen militärischen Unternehmungen zu leiten. Die Barbaren, die Gallien verteidigt hatten, weigerten sich, auch Italien zur Hilfe zu kommen, und die Hilfe, die der Herrscher des Ostens versprochen hatte, war ungewiss und ließ auf sich warten. Während Aëtius an der Spitze seiner einheimischen Truppen sich im Felde behauptete und Attilas Vormarsch erschwerte und aufhielt, zeigte er sich niemals als wahrhaft größer, als eben zu der Zeit, da seine Vorgehensweise von einer ignoranten und undankbaren Volksmasse angefeindet wurde. Sirmond hat in den Kommentaren zu Sidonius Apollinaris, p. 19, eine merkwürrdige Passage aus Prosper Tiro ausgezogen: »Attila, redintegratis viribus, quas in Gallia amiserat, Italiam ingredi per Pannonias intendit; nihil duce nostro Aetio secundum prioris belli opera prospiciente, etc.« [Attila wollte nach der Ergänzung seiner Verluste aus dem gallischen Feldzug von Pannonien in Italien einfallen; von unserer Führung – Aëtius – wurde nach den Mühen des ersten Krieges keinerlei Maßnahme ergriffen]. Er wirf Aëtius vor, er habe es unterlassen, die Alpen zu sperren und außerdem die Absicht verfolgt, Italien zu verlassen. Dieser leichtfertige Vorwurf wird jedoch durch die günstigen Zeugnisse des Hydatius und Isidor mehr als nur aufgewogen..

Wenn Valentinians Gemüt irgendeiner höheren Empfindung fähig gewesen wäre, würde er sich einen solchen Feldherren zum Muster und Vorbild erwählt haben. Aber Theodosius' angsterfüllter Enkel floh vor den Gefahren des Krieges bei ihrem ersten Herannahen; und sein hastiger Rückzug von Ravenna nach Rom –von einer uneinnehmbaren Festung mithin in eine schutzlose Großstadt – verriet seine heimliche Absicht, bei der allerersten Gefahr für seine kaiserliche Person Italien im Stich zu lassen. Diese würdelose Flucht indessen verzögerte sich infolge jener schwankenden und zögerlichen Haltung, die solchen aus Feigheit geborenen Ratschlüssen gemeinhin innewohnt und die zu korrigieren sie gelegentlich imstande ist. So gelangten der Kaiser des Westens und der Senat von Rom zu dem heilsameren Entschluss, durch eine feierliche und demütige Bitt-Gesandtschaft Attilas großen Zorn abzuwenden.

 

DIE GESANDTSCHAFT AN ATTILA

Dieser hochbedeutsamen Aufgabe unterzog sich Avienus, welcher aufgrund seiner Herkunft und seines Reichtums, seiner Konsulatswürde und seiner umfangreichen Klientel sowie wegen allgemeiner persönlicher Verdienste den ersten Rang unter Roms Senatoren einnahm. Avienus' Siehe die Originaldarstellungen von Avienus und seinem Rivalen Basilius, wie in den Briefen des Sidonius (1,9) skizziert und gegenübergestellt sind. Er hatte die beiden Häupter des Senates eingehend studiert, fühlte sich selbst aber mehr zu Basilius hingezogen, dem zuverlässigen, über den Parteien schwebenden Freund. gewinnendes und gewandtes Naturell war für Verhandlungen privater und politischer Natur gleichermaßen geschickt; sein Kollege Trigetius hatte in Italien das Amt des Prätorianerpräfekten inne gehabt, und Leo, Bischof von Rom, stimmte darin ein, sein Leben für die Sicherheit seiner Herde zu wagen. Leos Charakter und Grundsätzen Leos kann man in den 141 Originalbriefen nachspüren, welche die Kirchengeschichte seines langen und ereignisreichen Pontifikates (440-461) veranschaulichen. Siehe Dupin, Bibliotheque ecclesiastique, Band 3, Teil 2, p. 120-165. Genie bewährte sich in diesen Zeiten der allgemeinen Bedrängnis, und redlich hat er sich den Beinamen ›der Große‹ verdient durch das nachdrückliche Streben, mit dem er seine Auffassungen unter dem ehrbaren Namen der Orthodoxie und der Kirchenzucht durchsetzte.

Roms Botschafter wurden in Attilas Zelt eingelassen, wo der windungsreiche Minucius in den stürmischen Benacius-See Siehe Vergil, Georgica 3, 14 und 2, 159f. einmündet und wo seine skythische Reiterei die Landgüter des Vergil und Catull niederstampften. Der Marchese Maffei (Verona illustrata, Teil 1, p. 95, 129 und 221; Teil 2, p. II und 6) hat mit Geschmack und Gelehrsamkeit diese interessante Topographie vor uns ausgebreitet. Er verlegt die Unterredung zwischen Attila und Leo in die Nähe von Arioloca oder Ardelica, dem heutige Peschiera, wo der Fluss in den (Garda)See mündet; bekräftigt, dass die Villa Catulls auf der hübschen Halbinsel Sirmio lag; und entdeckt das Andes Vergils in dem Dorfe Bandes genau dort, wo die ›veronesischen Hügel sich allmählich in Mantuas Ebene verlieren.‹ Der barbarische Monarch lauschte ihren Worten mit geneigter, ja, respektvoller Aufmerksamkeit, und Italiens Befreiung wurde erkauft durch ein gigantisches Lösegeld, oder genauer: die Mitgift der Prinzessin Honoria.

Der Zustand von Attilas Armee mochte ihm diese Übereinkunft erleichtern und seinen Abmarsch beschleunigen: ihr kriegerisches Gemüt war durch den Luxus und das Klima des Südens erschlafft, die Nomaden des Nordens, deren übliche Nahrung rohes Fleisch und Milch war, gaben sich etwas zu freudig den Genüssen von Wein, Brot und dem durch höhere Kochkunst verfeinertem Fleisch hin; und die Ausbreitung von Krankheiten war im gewissen Sinne Italiens Rache für erlittene Unbill. »Si statim infesto agmine urbem petiissent, prande discrimen esset: sed in Venetia quo fere tractu Italia mollissima est, ipsa soli coelique clementia robur elanguit. Ad hoc panis usu carnisque coctae, et dulcedine vini mitigatos, etc.« [Hätten sie sofort in einem Vorstoß die Stadt angegriffen, wäre dies eine große Gefahr gewesen; aber in Venetien, Italiens lieblichster Landschaft, erweichen Himmel und Erde mit ihrer Sanftheit die Kraft. Außerdem griff Marius genau zur rechten Zeit an, als sie durch den Genuss von Brot und gekochtem Fleisch sowie die Süße des Weines verweichlicht waren]. Diese Passage bei Florus (3,3) lässt sich noch besser auf die Hunnen anwenden als auf die Kimbern, und sie kann uns zugleich die ›Himmelspest‹ verstehen lernen, mit der Hydatius und Isidor Attilas Heer angesteckt hatten.

Als Attila seine Bereitschaft bekundete, mit seinen Waffen bis vor die Tore Roms zu ziehen, erinnerten ihn seine Freunde und seine Feinde daran, dass Alarich die Eroberung der Stadt nicht eben lange überlebt habe. Sein Gemüt, über reale Gefahren erhaben, bebte zurück vor eingebildeter Bedrohung; auch konnte er sich dem Einfluss des Aberglaubens nicht entziehen, den er schließlich so oft seinen eigenen Zwecken dienstbar gemacht hatte. Der Historiker Priscus hat auf den Eindruck, den dieses Beispiel auf das Gemüt Attilas machte, mit Nachdruck hingewiesen. Jordanes, Getica 42. Leos eindringliche Beredsamkeit, sein majestätischer Anblick und die priesterlichen Gewänder erzeugten in Attila ein Gefühl der Ergriffenheit für den geistlichen Vater der Christenheit. Die Epiphanie der Apostel St. Peter und St. Paul, die dem Barbaren den sofortigen Tod androhten, wenn er sich den Bitten ihrer Nachfolger weiter verschließe, ist eine der vornehmsten Legenden der kirchlichen Tradition. Vielleicht benötigte Roms Rettung wirklich das Eingreifen himmlischer Mächte, und so sei denn einer Fabel Nachsicht gewährt, die Raphaels Das Gemälde Raffaels befindet sich im Vatikan, das Bas- (oder vielleicht auch Haut-) Relief von Algardi auf einem der Altäre in St. Peter (siehe Dubos, Réflexios sur la poésie et la peinture, Band 1, p. 519f.). Baronius (Annales ecclesiastici, A.D. 452, Nr. 57 und 58) vertritt mannhaft die Echtheit dieser Erscheinung, die allerdings von den meisten gebildeten und frommen Katholiken abgelehnt wird. Stift und Algardis Meißel dargstellt haben.

 

ATTILAS TOD A.D. 453

Bevor der Hunnenkönig Italien räumte, drohte er eine Rückkehr an, grässlicher und unversöhnlicher als alles vorherige, wenn seine Braut, die Prinzessin Honoria, nicht innerhalb der im Vertrag vorgesehenen Frist seinen Gesandten ausgeliefert sein würde. Inzwischen widmete Attila seine aufkeimenden Bedürfnisse nach zärtelnder Fürsorge der anmutigen Ildico, »Attila, ut Priscus historicus refert, extinctionis suae tempore, puellam Ildico nomine, decoram valde, sibi [in] matrimonium post innumerabiles uxores ... socians.« [Attila hatte nach Angaben von Priscus, dem Historiker, vor seinem Tod ein wunderschönes Mädchen mit Namen Ildico nach ungezählten vorangegangenen Frauen...zur Gattin genommen]. Jordanes, Getica 49. »Filii Attilae, quorum per licentiam libidinis poene populus fuit.« [Die Söhne Attilas, die bei seiner endlosen Wollust fast einen eigenen Volksstamm bildeten]. Polygamie war unter Barbaren seit je üblich. Die Stellung von Frauen in unteren Schichten war allein durch ihre individuelle Ausstrahlung bestimmt, und die alternde Matrone bereitet ohne Murren das Bett für ihre blühende Rivalin. Doch in königlichen Familien übertrugen die Töchter der Khans ihren Söhnen ein Vorrecht bei der Erbschaft. Siehe Abulghazi, Genealogical history, p. 406ff. mit der er das umfängliche Register seiner Weiber vergrößern wollte. Die Hochzeitsfeier ward in seinem Holzpalast am anderen Donauufer mit der bei Barbaren üblichen Prachtentfaltung begangen; und der Monarch, vom Wein und Müdigkeit schier überwältigt, zog sich vom Bankett zu später Stunde in das Brautgemach zurück. Seine Diener erwiesen den ganzen folgenden Tag über seinen Vergnügungs- oder Ruhebedürfnisse submissest Respekt, bis die unheimliche Ruhe denn doch Argwohn oder Besorgnis hervorrief; nach mehreren vergeblichen Versuchen, Attila durch lautes Lärmen aufzuwecken, brachen sie endlich gewaltsam in das königliche Schlafgemach ein. Hier nun fanden sie die bebende Braut, die auf der Bettkante saß, ihr Gesicht hinter dem Schleier barg und über beides schluchzte, ihre heikle Lage und den Tod des Königs, der in der Nacht verschieden war. Die Nachricht von Ildikos ›Schuld‹ erreichte Konstantinopel, wo diese Tat indessen einen anderen Namen erhielt; und Marcellinus bemerkt, dass der Tyrann von Europa in der Nacht von der Hand und durch das Messer eines Weibes getötet worden sei. Corneille, der seiner Tragödie den ursprünglichen Bericht zugrunde gelegt hatte, beschreibt den Blutsturz in vierzig bombastischen Versen, in denen Attila in lächerlichem Zorne ausruft: »S'il ne veut s'arreter, on me payera ce qui m'en va couter.« [Wenn es nicht aufhören will, muss man mir zahlen, was es kostet]. Es war ihm unvermittelt eine Ader zerrissen; und da er auf dem Rücken lag, so erstickte er an einem Blutstrom, der ihm in Lunge und Magen gelaufen war, da er nicht durch die Nase ablaufen konnte.

Auf offenen Feld wurde sein Leichnam unter einem Seidenbaldachin aufgebahrt, in angemessenem Abstand ritten ausgewählte Schwadrone und ließen Trauergesänge vernehmen zum Gedächtnis an einen Helden, ruhmbedeckt im Leben, noch im Tode unbesiegt, der Vater seines Volkes, die Geißel seiner Feinde und das Entsetzen der Welt. Entsprechend dem Volksbrauch schnitten sich die Barbaren die Haare teilweise ab, fügten ihrem Gesicht klaffende Wunden zu, um ihren König nicht nach der Art der Weiber mit Tränen zu beweinen, sondern mit dem Blut von Kriegern, wie es ihm zukam. Attilas sterbliche Reste wurden in drei Särgen eingeschlossen, aus Gold, Silber und Eisen und zu nächtlicher Stunde in aller Stille beigesetzt; die Gefangenen, die das Grab ausgehoben hatten, wurden sämtlich gnadenlos ermordet; und dann hielten dieselben Hunnen, die so maßlos getrauert hatten, am frischen Grabe ihres Königs mit ausgelassener Fröhlichkeit ein üppiges Festmahl ab. In Konstantinopel ging die Rede, dass in jener glückhaften Nacht seines Todes Kaiser Marcian davon geträumt habe, wie der Bogen Attilas entzwei brach; diese Erzählung mag zumindest als Hinweis dafür dienen, dass der Gedanke an jenen furchtbaren Barbaren den römischen Herrscher noch bis seine Träume verfolgte. Die erzählenswerten Begleitumstände von Attilas Tod und Begräbnis finden sich bei Jordanes (Getica 49), der sie vermutlich von Priscus abgeschrieben hat.

 

DER UNTERGANG VON ATTILAS REICH

Die Umwälzungen, die nun das Hunnenreich auflösten, begründen auch den Ruhm Attilas, denn sein Genius allein hatte dieses gigantische Konstrukt zusammengehalten. Nach seinem Tode strebten die kühnsten Stammeshäuptlinge nach der Königswürde, und die mächtigsten von ihnen weigerten sich, einen Höheren anzuerkennen. Und die ungezählten Söhne, die der Verstorbene mit seinen zahlreichen Weibern gezeugt hatte, schacherten und markteten um die Herrschaft über Germanien und Skythien wie um ein Privaterbe. Der kühne Aldarik empfand die nachgeordnete Bedeutung seines Anteils und ließ seinen Unmut auch erkennen, und seine kriegesfreudigen Gepiden und Ostgoten ermutigten unter der Führung von drei beherzten Brüdern ihre Verbündeten, ihr Anrecht auf Freiheit und Königswürde zu behaupten. In einer verlustreichen Entscheidungsschlacht am Netad-Fluss in Pannonien traten die Lanze der Gepiden, das Schwert der Goten, der Pfeil der Hunnen, das suebische Fußvolk, die leichtbewaffneten Heruler und die schwerbewaffneten Alanen für oder gegeneinander auf; und Aldarichs Sieg kostete dreißigtausend Feinden das Leben.

Auch Ellak, Attilas ältester Sohn, verlor in dieser unvergessenen Schlacht am Netad Krone und Leben. Mit dem unbekümmerten Mut der Jugend hatte er den Thron der Akatziren besetzt und diesen skythischen Stamm unterworfen, und sein Vater, der die Verdienste des Ellak durchaus zu schätzen wusste, hätte ihn um diesen Tod sicherlich beneidet. Siehe Jordanes, Getica 50. Seine Unterscheidung der nationalen Waffentypen ist bedeutsam und von Interesse. »Nam ibi admirandum reor fuisse spectaculum, ubi cernere erat cunctis, pugnantem Gothum ense furentem, Gepidam in vulnere suorum cuncta tela frangentem, Suevum pede, Hunnum sagitta prasumere, Alanum gravi, Herulum, levi, armatura, aciem instruere.« [Denn ich glaube, dass dort ein staunenswertes Schauspiel zu sehen war, wie der Gote mit dem Spieß kämpfte, der Gepide mit dem Schwert wütete und die Waffe in der Wunde zerbricht, und wie der schnelle Suebe und der bogengewandte Hunne, der Alane mit schwerer und der Heruler mit leichter Bewaffnung in den Kampf ziehen]. Die genaue Lage des Flusses Netad ist mir unbekannt. Sein Bruder Dengisich, dessen Hunnenarmee noch im Untergang furchtbar war, behauptete sich immerhin fünfzehn Jahre an der Donau. Attilas Palast und das Dacien von den Karpaten bis zum Schwarzen Meer wurden zum Zentrum des neuen Reiches, das der Gepidenkönig Ardaric begründet hatte. Pannonien von Wien bis Sirmium fiel den Ostgoten zu; und die Siedlungsgebiete der verschiedenen Stämme, die ihre eingeboren Freiheit so tapfer verteidigt hatten, verteilten sich eher zufällig und ihrer augenblicklichen Stärke entsprechend. Von der Unmasse der Sklaven seines Vaters umringt und bedrängt, endete Dengisichs Machtbereich an der Außenkante seiner Wagenburg. Mit dem Mute des Verzweifelten beschloss er, das Oströmische Reich zu erobern; er fiel in der Schlacht, und der Kopf des Toten, der schmachvoll im Hippodrom zur Schau gestellt ward, diente dem Volk von Konstantinopel zur Stärkung und Erhebung.

Attila selbst hatte, sei es aus Aberglauben, sei es aus Überschätzung, in seinem jüngsten Sohn Irnak den Mann gesehen, dem es gegeben sei, den Ruhm seines Volkes weiterhin zu mehren. Die Gemütsverfassung dieses Prinzen, der das überschäumende Wesen seines Bruders Dengerich zu dämpfen bestrebt war, passte schon besser zu der Untergangsstimmung der Hunnen, und so zog sich Irnak denn auch mit seinen Horden nach Skythien zurück. Aber schon bald wurden sie von einer neuen Barbarenflut überrannt, die demselben Wege folgten wie einst die eigenen Vorfahren. Die Jou-Jan oder Avaren, deren Heimat die griechischen Autoren an den Ozean verlegen, setzten ihren Nachbarn zu, bis endlich die nördlichen Iguren aus der sibirischen Kältesteppe, von wo die wertvollsten Pelze stammen, sich durch die Wüste bis zum Borystenes und dem Kaspischen Meer ergossen und das Reich der Hunnen endgültig von der Erde tilgten. Zwei neuere Historiker haben viel neues Licht auf den Untergang und die Aufteilung von Attilas Reich geworfen: Herr du Buat durch rastlose und detailversessene Mühen (Histoire ancienne, Band 8, p. 3-31 und 68-94) und Herr Guigenes durch seine vorzügliche Kenntnis der chinesischen Sprache und Autoren. Siehe seine Histoire des Huns, Band 2, p. 315-319.

 

VALENTINIAN ERMORDET AËTIUS · A.D. 454

Dieses Ereignis konnte wohl für die Sicherheit des Orients vorteilhaft sein, der unter einem Herrscher stand, der sich der Freundschaft der Barbaren versichert hatte, ohne ihren Respekt zu verwirken. Doch der Westkaiser, der schwache und unfähige Valentinian, hatte zwar sein fünfunddreißigstes Lebensjahr, aber noch nicht das Alter von Vernunft und Entschlossenheit erreicht und missbrauchte die scheinbare Sicherheit seines Reiches, durch die Ermordung des Patricius Aëtius das Fundament seiner eigenen Herrschaft zu unterwühlen. Aus tiefster Seele hasste und beneidete er den Mann, der allgemein als der Schrecken der Barbaren und die wichtigste Stütze des Staates verehrt wurde; und des Kaisers neuer Favorit, der Eunuch Heraclius, weckte den Herrscher aus seiner dumpfen Trägheit, die sich zu Lebzeiten der Placidia Placidia starb am 27. November 450 in Rom. Begraben wurde sie in Ravenna, wo ihr Grabmal und selbst noch ihr auf einem aus Zypressenholz gefertigtem Stuhl sitzender Leichnam für lange Zeit bewahrt wurden. Von dem orthodoxn Klerus erhielt die Kaiserin mancherlei Ehrenbezeigungen, und St. Peter Chrysologos sicherte ihr zu, dass ihr Eifer für die heilige Trinität durch eine herrliche Trinität von Kindern belohnt worden sei. Siehe Tillemont, Histoire des empereurs, Band 6, p. 240. mit dem Vorwand der kindlichen Verehrung hatte entschuldigen lassen. Der Ruhm des Aëtius, sein Reichtum, seine Popularität, sein zahlreicher und kriegerisch gestimmter Barbaren-Anhang, seine einflussreiche Gefolgschaft, die viele bürgerliche Staatsämter besetzt hielt, und endlich der Ehrgeiz seines Sohnes Gaudentius »Aëtium mactavit Placidus semivir amens.« [Aëtius wurde von dem irren Eunuchen Placidus ermordet], so der Befund bei Sidonius, Panegyricus ad Avitum 359. Der Dichter kannte die Welt und war nicht willens, einem Minister Nettes zu sagen, der die beiden Helden seines Gesanges, Avitus und Maiorianus, beleidigt und geschmäht hatte., der bereits mit der Königtochter Eudoxia verlobt war: dieses alles erhob ihn weit über den Rang eines gewöhnlichen Untertanen. Seine ehrgeizigen Pläne, die man ihm insgeheim vorwarf, erregten Valentinians hasserfüllte Angstgefühle.

Aëtius selbst hatte wohl im Bewusstsein seiner Verdienste und seiner Unschuld ein etwas hochfahrendes und leichtfertiges Verhalten angenommen. Er stieß seinen Herrscher mit einer fast schon feindseligen Bemerkung vor den Kopf, vergrößerte die Kränkung noch, indem er ihn einen Vergleich zur Aussöhnung und Verschwägerung mit feierlicher Eidesleistung zu bestätigen nötigte; er sprach seinen Verdacht vernehmbar aus, vernachlässigte sogar die Sorge für seine eigene Sicherheit und wagte sich persönlich nach Rom in den Palast; letzteres wohl in der etwas naiven Annahme, dass sein von ihm so verachteter Feind noch nicht einmal zu einem gediegenen Verbrechen imstande sei. Während er, vermutlich mit kaum verhehlter Ungeduld, auf die Hochzeit seines Sohnes drängte, zog Valentinian zum ersten Male in seinem Leben das Schwert und bohrte es dem General in die Brust, der ihm das Reich gerettet hatte; Höflinge und Eunuchen eilten dienstfertig herzu, es ihrem Herren gleich zu tun, und Aëtius, aus hundert Wunden blutend, stürzte vor seinem Kaiser tot zu Boden.

Boëtius, der Prätorianerpräfekt, wurde im selben Augenblick mitermordet, und noch bevor das Ereignis ruchbar wurde, rief man die einflussreichsten Freunde des Patriziers in den Palast, wo sie einer nach dem anderen umgebracht wurden. Diese schrecklichen Verbrechen, zu deren Rechtfertigung man auch noch die Gerechtigkeit und Staatsnotwendigkeit einspannte, wurde vom Kaiser den Soldaten, dem Volk und allen Verbündeten kundgetan. Die Völker, die Aëtius fremd waren oder sonst wie ferne standen, beklagten immerhin das ruhmlose Ende eines Helden; die Barbaren in seinem Dienst unterdrückten ihren Schmerz und ihre Verbitterung, und nur die öffentlichen Meinung, die so lange hinter Valentinian gestanden hatte, wandte sich mit einem Schlage gegen ihn. Aber solche Empfindungen von Abscheu verirren sich gemeinhin nicht in Palastmauern, und so war der Kaiser denn doch überrascht durch die aufrichtige Antwort eines Römers, dessen Beifall einzuholen er sich nicht entblödet hatte: »Ich kenne, Herr, weder Eure Beweggründe noch den unmittelbaren Anlass; aber das weiß ich gewiss, dass Ihr gehandelt habt wie einer, der sich mit seiner linken Hand die rechte abgeschlagen hat.«

 

VALENTINIAN VERGEWALTIGT DIE FRAU DES MAXIMUS · SEIN TOD 16. MÄRZ 455

Der Luxus von Rom scheint Valentinian zu oftmaligen, auch längeren Visiten geladen zu haben; folgerichtig war er in keinem Teil der Welt so verachtet wie dort. Unmerklich belebte sich im Senat eine Art republikanische Gesinnung, als des Kaisers erbärmliche Regierung die Autorität und Unterstützung des Senates benötigte. Die Prunkauftritte eines Erbmonarchen beleidigte den Stolz der Senatoren, auch waren Valentinians Vergnügungen zusätzlich störend für den Frieden und die Ehre der Adelsfamilien. Der Herkunft nach war die Kaiserin Eudoxia ihm gleichgestellt, und ihr Liebreiz und ihre Zuneigung hätte die Liebesbeweise verdient gehabt, die ihr untreuer Mann an verbotene, flüchtige Liebschaften verschwendete.

Petronius Maximus, ein wohlhabender Senator aus anicischer Familie und zweifacher Konsul, war mit einer keuschen Schönen verheiratet; ihre unwandelbare Sprödigkeit waren indessen nur geeignet, Valentinian noch stärker aufzureizen; und so beschloss er, sei es mit List, sei es mit Gewalt zum Ziele zu gelangen. – Das Glücksspiel war eine der am Hofe gern geübten Laster; der Kaiser, der durch Betrug oder pures Glück eine beachtliche Summe von Maximus gewonnen hatte, forderte in taktloser Weise dessen Ring als Sicherheit; und schickte eben diesen im Namen ihres Mannes durch einen zuverlässigen Boten zu dessen Frau mit dem Auftrag, sie möge sich rasch bei der Kaiserin Eudoxia einstellen. Maximus' argloses Weib ließ sich in ihrer Sänfte zum Palast bringen, die Emissäre ihres ungeduldigen Liebhabers brachten sie in ein abgelegenes und verschwiegenes Schlafzimmer; und dann verletzte Valentinian gnadenlose alle Gesetze der Gastfreundschaft. Ihre Tränen nach der Heimkehr, ihre tiefe seelische Verwundung und ihre bitteren Vorwürfe gegen ihren Mann, den sie für einen Komplizen bei dieser Untat halten musste: dies alles weckte in Maximus' Gemüt berechtigte Rachegedanken; auch wurde das Verlangen nach Vergeltung durch Ehrgeiz befeuert, denn zu Recht mochte er im Falle einer freien Wahl durch den Senat auf den Thron seines erbärmlichen und verächtlichen Feindes hoffen.

Valentinian, der in der Gewissheit lebte, dass jede Menschenbrust so wie die seine frei von den Gefühlen der Freundschaft und Herzlichkeit sei, hatte unklugerweise ein paar Bedienstete des Aëtius in seiner Leibwache. Zwei von ihnen, beide ausländischer Herkunft, waren rasch beredet, eine heilige und ehrenhafte Pflicht zu vollenden und den Mörder ihres Patrons mit dem Tode zu bestrafen; furchtlos und kühn, wie sie waren, warteten sie nicht lange auf eine günstige Gelegenheit. Während Valentinian sich auf dem Marsfeld die Zeit bei ein paar militärischen Übungen vertrieb, stürzten sie unversehens mit gezogener Waffe auf ihn, machten den schuldigen Heraclius nieder und stießen dem Kaiser das Schwert durch das Herz, ohne dabei den geringsten Widerstand von seinem zahlreichen Gefolge zu erfahren, welches vielmehr Freude beim Tod des Tyrannen zu empfinden schien. Dies war der Tod von Valentinian, dem Dritten dieses Namens Hinsichtlich der näheren Todesumstände von Valentinian und Aëtius sind wir nur unzureichend informiert. Prokopios (De bello Vandalico 1,4) macht aus den Ereignissen vor seiner Zeit müßige Fabeln. Seine Berichte müssen daher von fünf oder sechs Chroniken ergänzt werden, von denen jedoch kein in Rom oder Italien abgefasst worden ist und die folglich nur andeutungsweise die Gerüchte mitteilen können, die damals in Gallien, Hispanien, Afrika, Konstantinopel oder Alexandria umliefen. und dem letzten römischen Kaiser aus der Familie des Theodosius. Sozusagen getreulich imitierte er die angeborene Antriebsschwäche seines Vetters und seiner beiden Onkel nach, ohne die Liebenswürdigkeit, die reinliche Gesinnung und Herzensgüte zu besitzen, die bei ihnen den Mangel an Geist und Begabung etwas kompensiert hatten. Valentinian kann nicht entschuldigt werden, denn er war triebhaft ohne Tugend; selbst seine Religion war fragwürdig, und wenn er auch nicht die Pfade der Ketzer wandelte, beleidigte er doch den frommen Christenmenschen wegen seiner Nähe zu den profanen Künsten der Magie und Wahrsagerei.

 

SYMPTOME DES UNTERGANGES

Noch in der Zeit eines Cicero oder Varro war es die gesicherte Auffassung der römischen Auguren, dass die zwölf Geier, die Romulus gesehen hatte, die zwölf Jahrhunderte symbolisierten, die bis zum Untergang der Stadt vergehen sollten. Diese Deutung des Vettius, eines hochangesehenen Auguren, wird von Varro im 18. Buch seiner Antiquitates mitgeteilt. Censorius, De die natali 17. Diese Prophezeiung, die in den Tagen der Machtfülle wohl nur geringes Ansehen hatte, erfüllte das Volk mit dumpfen Vorahnungen, als das zwölfte Jahrhundert, das von Unglück und Not überschattet war, sich allmählich seinem Ende zuneigte; Nach Varros Berechnungen sollte dieses XII Jh. A.D. 447 enden, aber die Ungewissheit über Roms wahres Alter ließ hier einen gewissen Spielraum in beide Richtungen zu. Die Dichter dieser Zeit, Claudian (De bello Getico 265) und Sidonius (Panegyricus ad Avitum 357) kann man als gültige Zeugen für die kursierende populäre Auffassung ansehen: »Iam reputant annos, interceptoque volatui Vulturis, incidunt properatis saecula metis.« [Schon zählen sie die Jahre, durchschneiden den Geierflug und geben den Jahrhunderten kürzere Dauer]. »Iam prope fata tui bissenas Vulturis alas Implebant; scis namque tuos, scis, Roma, labores.« [Schon war das Schicksal dabei, das Zeichen der fliegenden Geier zu erfüllen; du kennst, o Rom, du kennst deine Mühen]. und selbst die Nachwelt muss mit einiger Überraschung bekennen, dass diese willkürliche Deutung eines fabulösen oder zufälligen Naturereignisses mit dem Untergang des Westreiches auf verstörende Weise zusammentraf. Indessen: sein Fall kündigte sich deutlicher an als durch Geierflug. Die Regierung Roms wurde ihren Feinden täglich weniger furchtbar und dafür ihren Untertanen umso hassenswerter und bedrückender. Das fünfte Buch des Salvanius ist ein einziges Oh-Jammer-und-Not-Lied. Die maßlosen Übertreibungen, mit denen er schreibt, können als Beweis für die Schwäche und für die Verderbtheit der römischen Regierung angesehen werden. Sein Buch wurde nach dem Verlust von Afrika (A.D. 439) und vor dem Krieg gegen Attila (A.D. 451) veröffentlicht. Zusammen mit der allgemeinen Not stiegen auch die Steuern, wirtschaftliches Handeln fand umso weniger statt, je notwendiger es wurde. Unrecht war es, dass die Lasten von den Schultern der Reichen auf die der Armen umgelegt wurden, denen zusätzlich sogar noch die Stundung versagt wurde, die ihr Elend hätte erleichtern können.

Die unnachsichtige Steuerfahndung, die ihnen ihr Gut raubte und sie der Folter unterwarf, brachte die Untertanen Valentinians dazu, der ehrlichen Tyrannei der Barbaren den Vorzug zu geben, in die Wälder und Berg zu fliehen oder sich sogar als Mietsklaven zu verdingen. Die Rechtsstellung eines Römischen Bürgers, vordem das Ziel allen irdischen Strebens, war nunmehr ein einziges Schrecknis geworden. Die armorikanischen Provinzen Galliens und der größte Teil Spaniens wurde mit Hilfe der Bagauden in einen Zustand unstrukturierter Selbständigkeit versetzt, und die kaiserlichen Beamten stellten nun mit Proskriptionen und ohnmächtigen Waffen den Rebellen nach, die sie selbst ins Leben gerufen hatten. Die Bagauden Spaniens, die sich mit den Römern regelrechte Gefechte lieferten, werden in der Chronik des Hydatius mehrfach erwähnt. Mit kräftigen Farben hat Salvianus ihre Notlage und ihre Empörung ausgemalt: »Itaque nomen civium Romanorum ... nunc ultro repudiatur ac fugitur, nec vile tamen [tantum] sed etiam abominabile poene habetur ... Et hinc est ut etiam hi qui ad barbaros non confugiunt, barbari tamen esse coguntur, scilicet ut est pars magna Hispanorum, et non minima Gallorum ... De Bagaudis nunc mihi sermo est, qui per malos judices et cruentos spoliati, afflicti, necati postquam jus Romanae libertatis amiserant, etiam honorem Romani nominis perdiderunt ... Vocamus rebelles, vocamus perditos quos esse compulimus criminosos.« [Und so wurde der Name ›Römischer Bürger‹...außerdem noch verachtet und gemieden, und nicht nur für verächtlich, sondern für abscheulich gehalten...Und solche, die zwar nicht zu den Barbaren flohen, sehen sich dennoch genötigt, Barbaren zu werden, so wie ein Großteil der Spanier und nicht der kleinste Teil der Gallier...Ich rede nun von den Bagauden, die von grausamen Richtern beraubt, bedrängt, und getötet wurden und nach Verlust der Römischen Freiheit auch noch die Ehre des römischen Namens verloren haben...Wir schelten sie Rebellen und Verworfene und waren es doch selber, die sie ins Verbrechen getrieben haben]. De gubernatione Dei, 5,5ff.

Und selbst wenn alle Barbaren auf einen Schlag vernichtet worden wären, hätte dies das Westreich nicht wieder hergestellt. Und wenn Rom trotz alledem fortfuhr zu existieren, so überlebte es den Verlust seiner Freiheit, seiner Tugenden, seiner Ehre.


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