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21. Capitel

Wie der Kamehameha nach seinem Nordzug wieder gen Süden fährt, und welchen alten Bekannten Carl auf der Insel Tahiti findet.


So glücklich übrigens der Kamehameha im Norden gewesen war, so wenig wollte jetzt aufkommen, ihnen nur den Beginn einer Jagd zu sichern. Woche nach Woche kreuzten sie auf und ab, immer mehr dem Aequator zu, und wären beinahe einmal in einer dunklen Nacht an Christmas island (die Weihnachts-Insel) gestrandet. Endlich passirten sie die Linie wieder, da sie in der Nähe der südlicher gelegenen Gruppen Fische anzutreffen hofften.

In den dem Aequator am nächsten liegenden Graden halten sich überhaupt die Spermacetifische am liebsten auf, und ihre Jagd wird dort am einträglichsten betrieben. Jagd ist aber Jagd; wie es heute gelingen kann, schlägt es morgen fehl. Ja, es sollen Spermfischer in diesen Meeren ein volles Jahr herumgefahren sein, ohne einen einzigen Fisch langseit zu bekommen.

Drei volle Monate waren sie so mit reinem Deck, die Ausgucks fortwährend in den Masten, gesegelt, ehe sie den ersten Fisch wieder fingen. Das war doch wenigstens etwas, und der Capitain hatte noch immer die Hoffnung, in der nächsten Jahreszeit – wie der Sommer gewöhnlich vorzugsweise von allen Wallfischfängern bezeichnet wird – sein Schiff »voll zu bekommen« und den Heimweg antreten zu können. Lieber Gott, es ist eine gar lange Zeit, so Jahr und Tag, manchmal drei und vier Jahre in einem Strich sich draußen in der Welt herumzutreiben, und das Herz sehnt sich dann doch wieder nach dem Vaterlande, nach alten, lieben Gesichtern und Bekannten zurück, selbst bei dem Seemann.

Carl schien freilich selbst dieser kürzeste Zielpunkt noch eine wahre Ewigkeit, und wenn er daran dachte, daß für ihn vielleicht im günstigsten Falle noch anderthalb Jahr dazwischen lagen, ehe er die Heimath wieder betreten sollte, wollte ihm fast das Herz verzagen, und die Thränen traten ihm dann wol voll und schwer in die Augen.

Das war nun die Fremde – Alles, was sein junges Herz in früheren Jahren mit Sehnsucht und Verlangen erfüllte, hatte er erreicht, Scenen durchlebt, die er früher kaum für möglich gehalten, und selber sein Theil mitgespielt in dem großen Weltdrama. Fremde Zonen waren ihm erschlossen worden, mit Wilden hatte er verkehrt, Kokosnüsse hatte er ausgetrunken, Brodfrucht gegessen und den Thran gekostet, von dem sich die Lappen, Kamtschadalen und Eskimo's nähren – und war er jetzt glücklich? – war er befriedigt mit dem, was er gesehen und durchgemacht? – Fühlte er sich wohl in seinem neuen Leben? Nein, nein und tausend Mal nein; sein Herz hing an der Heimath, der er angehörte. Und als sie hier am Aequator auf- und abkreuzten, und die liebe, liebe Weihnachtszeit herankam; als die Stunde nahte, in der daheim die Lichter angezündet wurden, und er da mit der Schürstange vor den glühenden Speckkesseln stehen mußte, Thran auszukochen, und die schlüpfrigen, schweren, arg duftenden Stücke Speck von der Luke mit hineinzuschleppen hatte zu dem Ofen, da war es ihm, als ob Reue und Sehnsucht ihm die Brust zerreißen müsse, und wäre nicht die Scham vor den Kameraden gewesen, er hätte sich in eine Ecke gesetzt und geweint wie ein kleines Kind.

So kam der Februar heran, und der Kamehameha war indessen, östlich an den Fidschi-Inseln vorüberlaufend, nach Süden hinuntergegangen, um dem Süd-Ost-Passat aus dem Wege und mehr in die veränderlichen Winde hinein zu kommen, mit denen er eher im Stande war, wieder nach Osten zu auszuhalten. Nichts desto weniger hatten sie mit hartnäckigen Ostwinden so viel zu kämpfen, daß sie erst die letzten Tage des Februar die westlichen Inseln der Cooks-Gruppe sichteten. Zwischen den Tubuai- und Cooksinseln durch, von einem hier einsetzenden Westwind begünstigt, konnten sie jetzt gerade auf Tahiti zu halten, das sie den zweiten März glücklich anliefen.

Tahiti Die Insel Tahiti in der Georgiengruppe, die Residenz der Königin Pomare IV., wird gewöhnlich Otahaiti gesprochen, obgleich diese Benennung falsch ist. Sie rührt von den Engländern her, die das lange i wie ei aussprechen, und den Tahitischen Artikel O, der dem Namen gewöhnlich vorgesetzt wird, mit dazugehörig glaubten. Die Indianer selbst nennen ihre Insel Tahiti., die Perle des Meeres, wie sie nicht mit Unrecht von französischen Seefahrern genannt wurde, ist unstreitig einer der lieblichsten Plätze der Welt und jedenfalls, wie fast alle Inseln dieser Gruppen, weit fruchtreicher, als der nördlich vom Aequator gelegene Hawaiische Archipel (die Sandwichsinseln). Obgleich ebenfalls höchst wahrscheinlich vulkanischen Ursprungs, sind die hohen Gebirge, welche die ganze Insel bilden und nur von einem verhältnißmäßig schmalen Streifen niedrigen Palmenlandes umschlossen werden, bis in die höchsten und schroffsten Kuppen hinauf bewaldet und mit üppigem Grün bedeckt, und Carl konnte sich nicht satt sehen an dem reizenden Bilde, das sich, von aller Pracht eines tropischen Sonnenuntergangs übergossen, vor den Blicken der seemüden Wanderer entrollte.

Zwischen den beiden wundervollen Inseln Tahiti und Morea (Imeo) fuhren sie hin, und die Brandung der weit in die See hinausgehenden Korallenriffe donnerte ihnen dabei ihren Gruß entgegen, bis sie die Einfahrt des Hafens von Papetee erreichten und zwischen den Sturzwellen der Klippen hin ihre Bahn in den innern Hafen suchten und fanden.

Es war aber indessen dunkel geworden, denn auch in diesen Breiten folgt fast unmittelbar dem Sonnenuntergange die Nacht, und der kriegerische Schall von Trommeln am Ufer überraschte die Mannschaft, die vielleicht noch nicht einmal wußte, daß diese Inseln nicht mehr ihrer eingeborenen Königin gehorchen durften, sondern von den Franzosen mit Waffengewalt und nach harten Kämpfen mit den Insulanern in Besitz genommen waren.

Ursache hierzu gaben die Streitigkeiten zwischen protestantischen und katholischen Missionären, von denen die Ersteren die Letzteren nicht auf den Inseln dulden wollten und das Volk aufreizten, sie auf ein Schiff zu packen und fortzuschicken. Dies geschah, die Franzosen nahmen aber dadurch einen Vorwand für eine, ihren Unterthanen und Glaubensgenossen angethane Unbill Entschädigung zu fordern, und während der Ehrgeiz einiger anderen, von einem frühern Königsgeschlechte abstammenden Häuptlinge sie dabei unterstützte, nahmen sie erst das Protectorat oder die Schutzherrschaft über dieselben für sich in Anspruch und dann die ganzen Inseln in Beschlag. Die Königin Pomare bekommt mit ihren Kindern jetzt nur noch eine gewisse Summe jährlich ausgezahlt, um sie für die verlorene Macht zu entschädigen, und die Franzosen sind Herren der Gruppe. Es ist ein in Deutschland allgemein gemachter geographischer Fehler, die Gesellschafts-Inseln mit den Sandwichs-Inseln zu verwechseln, und besonders die Königin Pomare, die nach ihres Bruders Pomare III. Tode die Regierung dieses schönen Landes antrat, nach den über 40 Grad von einander entfernten Sandwichs-Inseln zu versetzen. Ein Blick auf die Karte wird den Unterschied zeigen.

Am nächsten Morgen gewann die Mannschaft des Kamehameha erst einen richtigen Ueberblick über den reizenden Hafen, der sich allerdings sehr zu seinem Vortheil von dem Honolulus unterscheidet. Die majestätischen, bis oben in die höchsten Kuppen bewaldeten Berge bildeten den Hintergrund, und das reizende, von Palmen- und Fruchthainen erfüllte Thal dehnte sich rings um sie aus, während eine Reihe stattlicher, im europäischen Geschmack errichteter Häuser, von schattigen Gärten umgeben, den ganzen Strand fast umgürtete. Die einfachen Bambushütten der Eingeborenen waren nur an wenigen Stellen durch das dunkle Laub der Brodfruchtbäume und Orangen sichtbar, und die schlanken Kokospalmen, die Fürsten der Baumwelt, neigten und schaukelten ihre rauschenden Federkronen über dem lieblichen Bilde.

Und die Schiffe – Carl klopfte das Herz, denn vier oder fünf Fahrzeuge lagen hier in der Bai, die keine Wallfischfänger waren. – Wenn eines von diesen der alten Heimath zustrebte, und er an Bord desselben vielleicht – er konnte den Gedanken nicht ausdenken, so wild und ängstlich rollte ihm das Blut durch die Adern.

»Nun, mein Bursche!« sagte da plötzlich der Capitain, der hinter ihn getreten war und ihn auf die Schulter klopfte, »hast Du Lust nach Hause zu fahren?«

»Herr Capitain,« rief Carl, zitternd in freudigem Schreck, und wurde todtenbleich.

»Nun, nun,« lachte dieser; »Du brauchst nicht, wenn Du nicht willst; hast Dich gut betragen an Bord, und ich nehme Dich noch gern eine Jahreszeit mit. Doch Spaß bei Seite,« setzte er dann ernster hinzu, als er sah, welch schmerzlichen Eindruck die Worte auf den jungen Burschen machten, »Deine Aeltern werden Angst genug um Dich ausgestanden haben, und es ist Zeit, daß Du zu ihnen zurückkehrst.«

»Aber wie? Herr Capitain,« bat Carl – »ist eines von jenen Schiffen etwa« –

»Die Brigg dort drüben, die neben dem französischen Kriegsschiff liegt, mit der weißen Leiste und den wacker und keck eingesetzten Masten segelt morgen früh um zehn oder elf Uhr direct nach Hamburg, wie mir der Lootse eben sagt, und wenn Du Lust hast, und nicht wirklich Wallfischfänger bleiben willst, magst Du auf ihr heimkehren – es ist ein deutsches Schiff.«

»Aber meine Passage,« stammelte Carl, und wurde blutroth, denn plötzlich fiel ihm ein, daß er ja nicht einen Pfennig Geld besaß, und es doch sehr unwahrscheinlich wäre, daß der fremde Capitain ihn, den armen Schiffsjungen, umsonst mit nach Europa nehmen würde.

»Deine Passage?« lachte der Capitain, »Wetter noch einmal! mein Bursche, glaubst Du, daß Du so lange bei mir an Bord ganz umsonst mit gearbeitet und gefischt hast? denkst Du, ich habe den großen Spermfisch vergessen? Nein, Carl, was Deine Passage kostet, und soviel, um Dich, wenn Du drüben angekommen bist, ordentlich zu kleiden und zu den Deinigen anständig zurückzukehren, bekommst Du vom Kamehameha, und brauchst Dich nicht einmal dafür bei ihm zu bedanken. Du hast es zu Gute und es gehört Dir. Wir haben den letzten Sommer eine recht gute Jagd gemacht, und jedem der Leute sind wir seinen Antheil schuldig, warum nicht Dir, der es vielleicht mehr verdient hat als mancher Andere? So ziehe Dich an, mein Junge, und komm' mit mir an Land, wir wollen einmal sehen, ob wir den Capitain der Brigg da drüben finden können, und mit ihm abmachen, was eben abzumachen ist. Für Alles andere werde ich dann schon sorgen.«

Carl war nicht einmal im Stande, auch nur einen Dank zu stammeln, so unerwartet und plötzlich war das lange und heißersehnte Glück über ihn hereingebrochen, und der Capitain mußte ihn zuletzt nur gutmüthig lachend selber fortdrängen, daß er sich rein anzog und bereit hielt, ihm mit an Land zu folgen. Hier brauchte das Schiff auch nicht zu fürchten, daß ihm die Mannschaft entliefe, denn die Franzosen hielten gar strenge Polizei, und jeder Schiffsdeserteur, sobald er nur angezeigt war, wurde augenblicklich verfolgt und wieder eingebracht.

Carl war bald gewaschen und angezogen und behielt kaum Zeit, Barthels die frohe, glückliche Kunde zuzurufen. Der deutsche Harpunirer hatte stets herzlichen Antheil an dem Schicksal des Knaben genommen und freute sich jetzt selber mit über dessen Glück. Wie sie aber an Land kamen, wußte Carl gar nicht. Alles war ihm wie ein Traum; Schiff, Hafen, die ganze Insel drehte sich mit ihm, und nur ein einziger Mann trat ihm, gerade als er über Bord hinunter in das Boot klettern wollte, noch so schroff und kalt entgegen, daß er sich mit einem recht häßlichen, unheimlichen Gefühl von ihm abwandte, und schon seinetwillen froh war, das Schiff und dieses Leben so bald verlassen zu dürfen.

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Es war Jacobs, der mit zusammengefalteten Armen auf der Reiling lehnte, und den jungen Burschen, als dieser mit freudeglühendem Gesicht an ihm vorübereilen wollte, höhnisch anrief: »Heh, Mosje Carl – bitte, auf ein Wort – wie man hört, wollen Sie ja wol jetzt Kajütspassage auf der Brigg da drüben nach Deutschland nehmen, wie?«

»Wahrscheinlich, Jacobs,« sagte Carl, der neben ihm stehen blieb und ihn ernst von oben bis unten betrachtete – »und wir landen in Hamburg und fahren an Helgoland vorüber.«

»Helgoland, heh?« lachte der Bursche, an dem die beabsichtigte Anspielung an seine Lebensrettung spurlos vorüberging; »Helgoland, ei, sieh doch 'mal an, Helgoland – na, über's Jahr denk' ich auch wieder dort zu sein, wenn ich dem Alten hier nicht vorher durchbrennen kann. Weißt Du was, Carl, Du könntest mir eigentlich einen Gefallen thun, wenn Du nach Hamburg kommst.«

»Und der wäre?« fragte Carl, dem das kalte höhnische Lachen des Menschen immer widerlicher wurde.

»Wenn Du ein paar Zeilen an den alten Jahn Velten in Helgoland, der Dich immer dort gefahren, auf die Post gäbst, und ihm darin sagtest, daß Du mich hier zuletzt gesehen hättest, und daß es mir gut ginge, und ich ihn vielmals grüßen ließe – willst Du's nicht vergessen?«

»Ich glaube nicht, Jacobs,« sagte aber Carl, der, so gutmüthig und leichtgläubig er auch sonst war, doch nicht den in jenen Worten liegenden Hohn verkennen konnte; »ich glaube aber auch nicht, daß Jahn Velten an dem, solcher Art aufgetragenen Gruße liegen wird. Was Sie gegen ihn haben, weiß ich nicht; aber schreiben werd' ich ihm nicht, und selber nach Helgoland komme ich wol nicht wieder, wenigstens nicht in den nächsten Jahren.«

»Nun, dann schadet's auch Nichts, mein Junge,« lachte der Matrose; »lieb wär' mir's gewesen, die Leute drüben wissen zu lassen, daß ich mich wohl befinde. Es giebt doch Einige dort, die sich dafür interessiren. Na, mache daß Du hinüber kommst, der Capitain wartet schon im Boote auf Dich!« und lachend wandte er sich von ihm ab und ging das Deck entlang. Carl aber hatte andere Sachen im Kopfe, als sich jetzt viel mit dem unfreundlichen Menschen zu befassen; er eilte in das Boot hinab und ruderte, wenige Minuten später, mit dem Capitain nach der Hamburger Brigg hinüber, die etwa einen Büchsenschuß entfernt von ihnen ebenfalls in der Bai vor Anker lag.

Der Capitain, ein sehr einfacher, aber gutmüthig aussehender Hamburger, der in Hemdärmeln an Deck herumging und seinen feucht gewordenen Proviant, Rauchfleisch, Käse, Würste und andere Sachen, trocknete, empfing sie sehr freundlich, hörte lächelnd des Knaben Geschichte mit an und erklärte sich dann gern bereit, den jungen Burschen als Passagier mit hinüber zu nehmen. Ueber die ziemlich mäßige Passage einigten sich dann ebenfalls beide Parteien, und es wurde bestimmt, daß er den nächsten Morgen um neun Uhr mit seinen Sachen an Bord sein müßte.

Carl wußte kaum, wie er wieder an Bord kam, so wirbelten und stürmten ihm die Gedanken durch das Hirn. Nach Hause – zu Vater und Mutter – in die Heimath; großer, allmächtiger Gott! war es denn möglich? sollte er wirklich das Ende dieses traurigen Lebens erreicht haben und wieder zu den alten lieben Verhältnissen, in sein Vaterland zurückkehren dürfen? – Das Herz drohte ihm fast vor lauter Lust und Seligkeit zu zerspringen, und der Himmel schien ihm in dem Augenblicke noch einmal so blau, die Erde noch einmal so schön zu sein. – Er hätte alle Menschen, die er sah, umarmen und ihnen zujauchzen mögen, wie glücklich, wie unendlich glücklich er sei.

Der Capitain rief ihn zuerst wieder zu ruhigem Ueberlegen zurück, nahm ihn mit an Land und rieth ihm hier, sich einen kleinen Vorrath von Früchten für die Reise anzukaufen. Denn zu kurze Zeit bliebe er jetzt an Land, um das Alles ordentlich genießen zu können, und auf der langen, noch vor ihm liegenden Seereise würde er eine derartige Erfrischung gut gebrauchen können. Hier und da wäre vielleicht noch sonst eine Kleinigkeit, die er zu haben wünschte oder brauchte, dazu gab er ihm jetzt zehn spanische Dollars und befahl ihm, um acht Uhr Abends wieder an der Landung zu sein, um an Bord zurückzukehren und dort das Weitere zu besprechen. Den Tag möge er an Land verbringen, wie es ihm gerade beliebe.

Carl kam es wirklich vor, als ob er träumte, und als ihn der Capitain am Ufer verlassen hatte, um seinen eigenen Geschäften nachzugehen, stand er noch eine ganze Weile, um seine Gedanken erst zu sammeln, sein Glück erst ordentlich fassen und begreifen zu können. Das rohe Leben des Wallfischfängers lag hinter ihm, er war frei, und die Heimath jetzt sein Ziel.

Sich selber überlassen, wußte er indessen kaum, was er in dem fremden, wunderschönen Orte mit sich anfangen sollte. Er schlenderte am Strome hinauf, die vielen französischen und amerikanischen Trinkstuben anstaunend, die unter den Kokospalmen und Orangen lagen, und wanderte durch die gartenähnlichen Straßen der Stadt. So schüchtern war er dabei, daß er nicht einmal wagte, ein paar der hier und da unter den Bäumen liegenden Orangen aufzunehmen und sie zu essen, da er nicht wußte, ob er sich dabei an fremdem Eigenthume vergriffe, und doch fand er nirgends einen Platz, wo sie zu verkaufen gewesen wären. Das Wasser lief ihm dabei im Munde zusammen, und er wollte sich schon in eines der englischen Häuser wenden, um den Besitzer zu erfragen, als ein paar eingeborene Knaben die Straße herunter gelaufen kamen, auf einen der fruchtschwersten Bäume stiegen und zu schütteln begannen. Fünfzehn oder zwanzig Orangen fielen herunter; aber anstatt sie zu essen, warfen sich die wilden Burschen damit und setzten dann, ohne sich weiter um den Rest zu bekümmern, der von den Vorübergehenden aus dem Pfade gestoßen wurde, ihren Wege fort. Carl sah jetzt wohl, daß die Frucht hier in solcher Menge wachse, um gar keinen Werth zu haben, und langte von dem, was ihm die Buben übrig gelassen hatten, tapfer zu.

Wie das so gut nach der langen Salzkost schmeckte! Als er aber noch so dastand und den kühlen süßen Saft einsog, kam ein junges Mädchen vorbei, die ihm lachend zusah und eine Weile neben ihm stehen blieb.

»Bist Du durstig, Fremder?« sagte sie dann in einem wunderlich gebrochenen Englisch, und als er das bejahte, nahm sie ihn an der Hand und führte ihn in den nächsten Garten hinein, wo ein ganzer Haufen grüner Kokosnüsse aufgeschichtet lag. Carl mußte hier Brodfrucht und Fisch und Bananen essen und Kokosmilch trinken, und als er bezahlen wollte, schüttelte das junge Mädchen lachend den Kopf und meinte: »das kostete Nichts.«

Wie lieb und freundlich die Menschen hier alle waren, und so nett und sauber, mit den duftenden Blumen und frischgrünen Kränzen im Haar. – Carl hätte Tage lang dastehen und ihnen zusehen können.

So war er wieder an den Strand hinunter gekommen und schlenderte einer Stelle zu, in deren Nähe ein kleiner Schooner vor Anker lag. Drei Seeleute, von denen er fast hätte schwören mögen, daß es Deutsche wären, standen nicht weit davon am Lande, und gehörten sicherlich zu dem Hamburger Schiff. Wenn das der Fall war, so beschloß er sie anzureden. Er hatte sich auch in ihrer Landsmannschaft nicht getäuscht, denn als er näher kam, hörte er schon die deutschen Laute.

»Guten Tag, Kameraden,« sagte er, als er auf wenige Schritt Entfernung an sie hinangekommen war, »seid Ihr von der Hamburger Brigg da drüben?«

Der eine von ihnen, der ihm den Rücken zugekehrt hatte, drehte sich nach ihm um, fuhr einen Schritt zurück und rief:

»Alle Wetter!«

Aber auch Carl erschrak, denn vor ihm, auf Tahitischem Grund und Boden, aber mit demselben treuen, ehrlichen Gesicht stand – sein alter Jahn von Helgoland.

»Jahn!« rief er, halb in Staunen, halb noch immer in Zweifel die Hand nach ihm ausstreckend – »Jahn, sind Sie's wirklich?«

»Ei Haifische und Seespinnen!« fluchte der Alte, »so was ist doch noch nicht dagewesen. Der junge Herr Hollberg – den muß ein Wallfisch oben in der Nordsee eingeschluckt, und hier in Tahiti wieder an Land gespieen haben.«

»Ein Wallfisch gerade nicht, alter Freund,« lachte der junge Mann, jetzt in aller Freude seine Hand nehmend und herzlich schüttelnd – »aber ein Wallfischfänger. Doch wie kommen Sie hieher?«

»Das ist vor allen Dingen ganz verdammt gleichgültig,« sagte aber der alte Mann, den jungen Burschen bei den Schultern nehmend, und derb und herzlich schüttelnd, »jetzt erst einmal, wo kommen Sie her? das ist die Hauptsache. – Doch halt, Kameraden, solch einen frohen Tag hätt' ich heute doch nicht zu haben geglaubt, den müssen wir feiern. Wetter und Seeschlangen, den Burschen hier hab' ich todt geglaubt, und mir selber die langen Jahre hindurch im Stillen Vorwürfe darüber gemacht, und indessen läuft mir der Sappermenter hier kreuzfidel auf Tahiti herum und sieht so munter aus, wie ein Delphin in Salzwasser. 's ist doch toll, was man nicht Alles erlebt! Bei einer Flasche Claret besprechen wir aber das Alles viel besser, und dort drüben in dem französischen Weinhaus, denk' ich, finden wir die.«

Niemand hatte Etwas dagegen; mit dem Knaben saßen die Männer bald darauf in dem kühlen Zimmer des französischen Restaurant, vor den geleerten und wieder gefüllten Gläsern, und Carl mußte jetzt vor allen Dingen dem aufmerksam zuhörenden Jahn die ganze Geschichte jenes Abends erzählen.

»Ich weiß, ich habe Schuld,« unterbrach er ihn mehrmals dabei; ich habe meine Zeit nicht eingehalten – aber der verdammte Schuft – na! er hat seinen Lohn, und wir wollen nicht weiter darüber reden.«

Ganz ruhig saß er auch neben der Flasche, bis Carl zu der Stelle kam, wo er die Stimme aus dem Wasser gehört und den Schwimmenden gefunden. Da fuhr der alte Mann in die Höhe, schlug mit der geballten Faust auf den Tisch und schrie:

»Den hast Du doch nicht herausgezogen?«

»Ich sollte ihn doch nicht ertrinken lassen?« rief Carl.

»Himmel Heiland Donnerwetter!« fluchte da der Seemann, von seinem Sitze auf und wie toll in der Stube herumspringend. Er war auch wirklich erst eine ganze Weile später, und als er sich ordentlich ausgetobt, zu beruhigen, daß er Carl's Geschichte weiter hörte.

»Aber was ist aus dem Burschen später geworden?« fragte er endlich, als Carl ihm ihre Rettung durch den Wallfischfänger, wie seine späteren Abenteuer bis zur Erlegung des großen Spermfisches erzählt hatte; »wo steckt er jetzt?«

»Wo er jetzt steckt?« sagte Carl erstaunt, – »wo soll er sonst stecken? auf dem Kamehameha.«

»Kamehameha? was heißt das?«

»Nun, auf dem Wallfischfänger.«

»Mit dem Sie gekommen sind, und der hier im Hafen liegt?« rief der Alte wieder und seine Augen blitzten und funkelten in gespannter Erwartung.

»Nun ja, – das versteht sich doch von selbst,« rief der Knabe.

»Hurrah!« jauchzte aber der Alte, wieder von seinem Stuhl emporspringend und seine Mütze schwenkend, »hurrah! dann kriegen wir ihn lebendig! – Kellner, eine andere Flasche Wein, und zwar vom Besten, den Ihr im Keller habt! – hurrah! der Kamehameha soll leben!«

Carl begriff allerdings noch immer nicht, was den alten Mann so bewegte, bis Dieser endlich, um ihn aus jede Ungewißheit zu reißen, sein eigenes Abenteuer auf der Seehundsjagd erzählte und Jacobs' nichtswürdige Absicht dabei außer allen Zweifel stellte. Der junge Amerikaner hatte später nämlich Alles eingestanden, und außerdem war auch noch gleich nach Jacobs' vermuthetem Untergang ein anderer Raubmord bekannt geworden, den der Bube auf festem Lande, und zwar an einem reichen Engländer verübt hatte. Der deshalb gegen ihn erlassene Steckbrief erreichte auch Helgoland, freilich zu spät, um den Thäter zur Verantwortung zu ziehen.

Carl erzählte jetzt sein Abenteuer mit ihm aus dem Eisberg, und wie er nicht anders glauben könne, als daß jener Mann damals recht Böses gegen ihn im Sinne gehabt. Der alte Jahn ging indessen im Zimmer auf und ab und rieb sich vor innerem Grimm in Einem fort die Hände; lachte aber laut auf, als ihm Carl den Gruß ausrichtete, den ihm Jacobs aufgetragen, und der dabei wol nicht gedacht hatte, wie bald er an den Mann kommen würde. »Warte, Geselle!« fluchte der Alte wild vor sich hin, »meinen Gruß an Dich bestell' ich selber;« er wollte auch wirtlich aufbrechen, um die nöthigen Schritte zu thun und des Verbrechers habhaft zu werden. Carl ließ ihn aber noch nicht fort und verlangte nun auch seinerseits Etwas von Deutschland zu wissen: wie es seinen Aeltern gehe, was sie damals gesagt, als sie seinen vermutheten Tod erfahren und wie Jahn selber hieher nach Tahiti gekommen wäre. Da er sich weigerte, vorher auch nur einen Schritt mit Jahn zu thun, so mußte Dieser ihm schon willfahren.

Von seinen Aeltern wußte Jahn ihm freilich nicht viel zu sagen. Sie waren die erste Zeit so außer sich gewesen, daß er sich gescheut hatte, ihnen zu nahe zu kommen, und lieber den ganzen folgenden Tag mit seinem Boote, trotz dem schweren Wetter, draußen in See herumfuhr, um irgend eine Spur von dem Vermißten zu finden. Herr Hollberg hatte dann, als alle diese Versuche erfolglos blieben, mit seiner Frau Helgoland verlassen und war nicht wieder dahin zurückgekehrt. Für ihn selber begann jedoch von dem Tage an ein neues Leben, denn der alte Amerikaner, den er aus den Händen jener schlechten Menschen gerettet hatte, war steinreich, und ließ es sich nicht nehmen, den armen Fischer für den geleisteten Dienst auch reichlich zu belohnen. Jahn mußte ihm seinen liebsten Wunsch nennen, der allerdings in Nichts Geringerem bestand, als einen kleinen Schooner sein eigen zu nennen, mit dem er wieder als Capitain in See gehen und zwischen den Inseln Handel treiben könnte. Acht Tage später kam denn auch der alte Herr, der zu dem Zweck selber hinüber nach Hamburg gereist war, mit einem kleinen schmucken Fahrzeug, das Jahn's kühnste Erwartungen übertraf, in Helgoland wieder an, und stattete es ihm mit Allem aus, was der Alte zu einer langen Reise brauchte.

Williams war an die englischen Behörden ausgeliefert und später auf Jahn's Zeugniß hin zu vierjähriger Zuchthausstrafe verurtheilt worden. Jahn selber ging dann, sobald die Untersuchung beendet worden, mit seinem kleinen Fahrzeug und der rasch angeworbenen Mannschaft in See; er kreuzte nun schon seit einem halben Jahre hier zwischen den Inseln herum, sein kleines Fahrzeug mit vortheilhaften Waaren füllend. So gute Fortschritte hatte er dabei gemacht, daß er in drei bis vier Monaten seine Ladung voll zu haben glaubte, und dann gedachte er den Heimweg anzutreten.

Das Alles erfuhr Carl aber nur stückweise, und mußte es dem alten Jahn nach einander einzeln abfragen. Diesem brannte nämlich die ganze Zeit der Boden unter den Füßen und er konnte die Zeit nicht erwarten, den dreifachen Verbrecher endlich der gerechten Strafe übergeben zu sehen.

Als er die Neugierde des jungen Burschen deshalb so rasch und unvollkommnen als möglich befriedigt hatte, stand er auf, bezahlte den Wein und ging mit schnellen Schritten dem Strande wieder zu. Hier war er jedoch noch unschlüssig, ob er zuerst den englischen Consul, oder den Capitain des Kamehameha aufsuchen sollte, als Dieser selber die Straße herunter kam.

Ohne Säumen machten er und Carl jetzt den Capitain mit den Vorgängen bekannt, und obgleich Capitain Holly an Mannschaft nicht überstark war, so wollte er doch einen so nichtswürdigen Verbrecher nicht länger an Bord behalten und schlug dem alten Jahn vor, selbst mit ihm zum englischen Consul zu gehen, der die französischen Behörden dann veranlassen mußte, den Mörder zu verhaften. Weitere Umstände brauchten sie dann auch nicht mit ihm zu haben. Es lag gerade ein englisches Kriegsschiff im Hafen, an das er einfach ausgeliefert werden konnte.

Der Consul nahm sich augenblicklich der Sache an, und kaum eine Stunde später ruderte schon das Boot des wachthabenden französischen Kriegsschiffes Jeanne d'Arc mit dem ersten Lieutenant desselben, dem alten Jahn als Kläger, dem englischen Consul und einem der Missionäre der Inseln an Bord des Wallfischfängers hinüber, den Verbrecher dort in Empfang zu nehmen. Carl hatte gebeten, mit der Sache verschont zu werden und nicht als Zeuge gegen Jacobs auftreten zu dürfen, und da er auch in der That weiter nichts von ihm wußte, als was der Verbrecher schon selber dem Capitain Holly gestanden hatte, daß Carl ihn nämlich aus der See aufgefischt hatte, so konnten sie sein weiteres Zeugniß entbehren.

»Halt, wir bekommen Besuch,« sagte Barthels, der neben Jacobs vorn auf der Back stand, als das Boot des Kriegsschiffes, von zwölf Matrosen gerudert, wie ein Pfeil über die stille Bai heranschoß – »Wetter noch einmal! was das für ein Schlag und für ein Tact ist bei den Burschen! wenn ich Euch doch nur ein einziges Mal dahin bringen könnte, so Eure Ruder zu führen.«

»Was wollen denn die Blaujacken hier an Bord?« sagte Jacobs, der das nahende Boot mißtrauisch betrachtet hatte; »ich glaube wahrhaftig, unser Alter sitzt mit drinnen.«

»Ja wahrhaftig!« rief der Harpunirer – »hallo! da hinten, steht bei an der Fallreepstreppe und werft ein Tau nieder!«

Dem Befehle wurde augenblicklich Folge geleistet; das Boot glitt an den vor Anker liegenden Wallfischfänger hinan, das Tau wurde zu ihm hinabgeworfen und unten befestigt; der Schiffslieutenant lief, von dem Capitain des Kamehameha gefolgt, rasch die ausgehangene Fallreepstreppe hinauf. Langsamer folgte ihnen Jahn, der sich im Boot schon gesetzt hatte, daß die Leute an Bord sein Gesicht nicht erkennen konnten. Kaum war er aber an Deck, so haftete sein Blick auf dem Verbrecher, der, keine Gefahr ahnend, eben an ihm vorübergehen wollte.

»Nun, Jacobs, wie geht's?« redete er den Mann an, und Jacobs wurde todtenbleich, als er das Gesicht seines alten Kameraden von Helgoland her erkannte.

»Ist das der Bursche?« fragte der Lieutenant, und er hätte die Frage kaum nöthig gehabt, denn Angst und Entsetzen standen mit deutlichen Zügen in den starren Blicken des also Ertappten, dem das Blut im Herzen stockte und die zitternden Knie fast den Dienst versagten.

»Das ist der Mörder, Herr Lieutenant,« sagte Jahn.

»Was wollt ihr von mir?« rief aber Jacobs, die volle Größe der Gefahr, in der er sich befand, überschauend – »was – was habt Ihr mit mir?« – und einen scheuen, wilden Blick zurück über seine Schulter werfend, wandte er sich blitzschnell um und sprang dem Rande des Schiffes zu. Von den Matrosen des Kriegsschiffes waren aber auch schon vier Mann mit an Bord genommen und mit dem Ergreifen des Verbrechers beauftragt worden; ehe er die Reiling erreichen konnte, hatten sie sich auf ihn geworfen und ihn gefaßt.

»Hülfe – Hülfe!« schrie der Elende in Todesangst und der trostlosen Hoffnung, daß die Leute des Wallfischfängers seine Verhaftung nicht dulden würden – »hieher, Kameraden! zu Hülfe! hieher!« – Niemand stand ihm bei, und wenige Minuten später wand sich der Gefangene mit jetzt in Eisen gefesselten Händen verzweifelnd und jammernd zu den Füßen des Lieutenants und bat ihn um Schonung, um Erbarmen.

Die einzige Antwort, die ihm wurde, war der kurze Befehl des Offiziers, ihn in das Boot hinunter zu schaffen, und als er sich jetzt wie ein gefangenes wildes Thier dagegen zur Wehr setzte und um sich schlug und biß, daß ihm der Schaum aus die Lippen trat, schlangen ihm die Leute, die mit derartigen Fällen gut genug umzugehen wußten, ein kurzes Tauende um die Füße, ein anderes um den Gürtel, und hoben den dem Gericht verfallenen Verbrecher in das Boot hinunter, das gleich darauf wieder von Bord abstieß und an Land zurückruderte.

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