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6. Capitel

Carl's erstes Abenteuer, und welche Folgen es für ihn hatte.


Wir haben Carl verlassen, als er eben, statt einem helfenden Boote, einen im Wasser schwimmenden Menschen fand. Sein gutes Herz ließ ihn aber in dem Augenblick alles Andere nur in dem einen Gedanken vergessen, Diesen zu retten, und wenige Minuten später hatte der Schwimmwende schon das ihm dargereichte Ruder ergriffen, sich daran hin bis zum Bootsrand gearbeitet, und schwang sich nun, während sich Carl auf die andere Seite hinüberlehnte, um das Gleichgewicht zu halten, hinein.

»Um Gottes willen! wie kommt Ihr hier ins Wasser?« rief Carl aus, als er ihn erst in Sicherheit sah; »wo ist Euer Boot, und war der alte Jahn nicht darin?«

»Der alte Jahn soll zum Teufel gehen,« brummte Jakobs – denn kein Anderer war der Gerettete – halblaut vor sich hin, indem er sich die nassen Haare aus dem Gesichte strich, und dann an seine rechte Seite faßte, als ob er da einen Schmerz hätte; »aus dem Boote haben mich die Schufte geworfen, um meine paar Schilling Verdienst mitzunehmen, weil sie in dem Nebel hoffen konnten unentdeckt zu bleiben, und wärst Du hier nicht so zur rechten Zeit hergekommen, mein Bürschchen, so würden die Fische morgen früh wol sehen müssen, wie der arme Jakobs schmeckte. Wetter noch einmal! wie mir die Seite weh thut!«

Der Mann sah so blaß und finster aus, und die langen dunklen Haare hingen ihm so wirr und klebrig über die bleiche Stirn und die Wangen; seine Augen flogen auch dabei so unstät umher, und er horchte in den Nebel hinein, nach irgend einem Geräusch oder Ruf – Carl wurde es ganz unheimlich bei ihm zu Muthe. Auch gefiel ihm nicht recht, daß er ihn so ohne Weiteres mit dem vertraulichen Du anredete. Freilich trug er auch nur ganz gewöhnliche Fischertracht, die ihm seine Aeltern zu den Bootfahrten gekauft hatten, damit er seine anderen besseren Kleider nicht verderbe, und der fremde Bootsmann mußte ihn da wol für seines Gleichen halten. Dies Alles verlor sich bei dem Knaben aber bald in dem einen, seligen Bewußtsein, in dem neuen Gefühle, das ihn hob und glücklich machte, ein Menschenleben gerettet und seiner Familie erhalten zu haben. Jetzt verzieh ihm sein eigener Vater auch gewiß gern den begangenen Fehltritt, seine Unfolgsamkeit, da es ja doch zu einem so guten Ende geführt und, freilich ohne seine Schuld, solche gute Früchte getragen hatte. Seine eigene Sicherheit machte ihm die geringste Sorge. Er dachte auch jetzt wirklich an gar keine Gefahr mehr, denn der Bootsmann wußte jedenfalls mit der See hier genug Bescheid, ihn glücklich nach Helgoland zurückzubringen, und wenn sie auch das Boot nicht mehr trafen – denn wo in dem Nebel hätten sie das finden können – durften sie ja nur auf Helgoland zu halten.

Aber wo lag Helgoland, nach welcher Richtung zu? – er war durch das Auffischen des Mannes ganz irre geworden, und wandte sich jetzt in seiner Angst und Unentschlossenheit an den Fremden, ihm in der Führung des Bootes beizustehn und die Richtung anzugeben, die sie einhalten müßten, die Insel wieder zu erreichen.

Jakobs, der indessen die Gefahr gut genug kannte, der sie in dem kleinen Boot ausgesetzt waren, aber zugleich gar nicht daran dachte, wieder nach Helgoland zurück zu fahren, wo ihn die gewisse und so reichlich verdiente Strafe für das beabsichtigte Verbrechen erwartete, beschloß, sein gutes Glück, das ihm so zur rechten Zeit dies kleine Boot mit dem Knaben in den Weg geführt, auch so gut wie möglich zu benutzen, und statt nach Helgoland hinüber, vor dem Wind nach Süden hinunter zu laufen, dort womöglich die Wesermündung zu erreichen, und irgendwo an die dortige Küste zu entkommen. Er war da schon bekannt, und zweifelte nicht daran, daß es ihm ein Leichtes sein würde sich in Sicherheit zu bringen. Daß er den Knaben, seinen Lebensretter, mit dort hinunter schleppte, machte ihm die geringste Sorge; seine eigene Sicherheit lag ihm mehr am Herzen. Was nachher aus dem jungen Burschen wurde, konnte ihm gleichgültig sein, sobald Dieser nur nicht wieder so rasch nach Helgoland zurückkam, um die Spur zu verrathen, der er selber gefolgt war.

So etwa eine halbe Minute sich im Boote emporrichtend, um genau die Richtung des Windes zu bekommen, den er gerade von Norden herunter vermuthete, rief er Carl zu, zum Segel zu treten und dieses zu richten wie er ihm sagen würde, während er selber das Steuer nahm und das kleine Fahrzeug, etwa einen Süd-Süd-Ost-Cours haltend, fast platt vor den Wind brachte.

Carl verstand noch nicht viel vom Segeln und der Schifffahrt; als aber das kleine Boot so rasch, von der kräftigen Brise getragen, über das Wasser schoß, wobei er auch wieder ruhiger wurde und sich dessen zu erinnern begann, wie der Wind vorher gewesen, kam es ihm doch so vor, als ob das nicht die Richtung sein könne, in der Helgoland läge, und der sie zusteuerten, und er sagte, sich halb schüchtern zu seinem Begleiter wendend:

»Aber fahren wir auch recht? der Wind kam doch erst von Norden nieder.«

Ein tief grollender Donner, gerade aus der Richtung her, von der sie abhielten, antwortete ihm, und Jacobs, mit dem Daumen seiner linken Hand über die Schulter zurückdeutend, sagte finster und einsylbig:

»Hörst Du's, mein Bursche? der ist hinter uns her, und je eher wir dem aus dem Griff kommen, desto besser ist's.«

»Aber wo wollen wir da landen?« rief Carl erschreckt.

»Wo wir eben zuerst Land erreichen können«, sagte Jacobs; »daß wir in dem Nebel nicht den kleinen Punkt, die Insel, treffen können, brauch' ich Dir doch wol nicht noch erst zu sagen, und liefen wir daran vorbei, so könnten wir mit den Ditmar'schen Bänken, wenn wir sie überhaupt je erreichten, Bekanntschaft machen. Sieh einmal, wie die See anfängt hohl zu gehen, und wo willst Du da mit einer solchen Nußschale von einem Fahrzeug gegen den Wind anliegen?«

»Aber wie würden sich meine Aeltern ängstigen, wenn ich heute Abend nicht bei ihnen wäre?« rief Carl, in Angst und Entsetzen über seine so mit einem Schlage zertrümmerten Hoffnungen emporspringend. »O, Du lieber Gott, meine Mutter stirbt ja in Sorge und Noth.«

»Stirbt in Sorge«, brummte Jacobs vor sich hin. »Unsinn, da hätten wir viel eher Ursach zu lamentiren. Sterben vor Sorge, bah! wenn uns das Salzwasser nicht noch vor Abends in die Stiefeln läuft, braucht Niemand Anderes darum zu sterben. Jetzt aber aufgepaßt, denn der Wind nimmt beide Backen voll. Himmel Donnerwetter, wie das an zu heulen fängt – wir müssen Segel reefen, oder das kleine Ding von einem Mast springt uns ab wie Glas – er biegt sich jetzt schon – hallo! was ist das?«

Sein Ausruf galt einem großen dunklen Gegenstand, der vor ihnen sichtbar wurde, und als Carl rasch danach umschaute, erkannte er in dem dichten Nebel ein großes, gewaltiges Schiff, das allem Anschein nach gerade auf sie zu kam.

»Ein Schiff!« rief Carl erfreut, »das kann uns an Bord nehmen!«

»Das denk' ich auch«, jubelte Jacobs, – »hurrah, jetzt hat die Noth ein Ende – halloh! ahoy! – holla! – ahoy! – o aho – y!« schrie er dabei, in dem kleinen Boot in die Höhe springend, so laut er nur schreien konnte. »Tau herunter – Tau hieher – Schiffbrüchige! ahoy – y!«

Vorn auf dem Schiff standen des Nebels wegen und um irgend ein anderes Fahrzeug, mit dem sie möglicher Weise zusammenrennen könnten, zu vermeiden, zwei Mann als Ausguck, und hatten das Boot schon fast so früh gesehen, als der Hülferuf von dort zu ihnen herübertönte.

»Boot da vorn, Sir!« tönte der englische Ruf laut über Deck, »wahrscheinlich Vergnügungsboot von Helgoland, will an Bord kommen.«

»Steht mit einem Tau bei und seht, was sie wollen!« rief der Capitain zurück – und »Boot ahoy!« brüllte des Ausgucks Stimme wieder über das Wasser herüber; »paßt auf da vorn, daß wir nicht über Euch hin segeln.«

»Nehmt uns an Bord!« schrie aber Jacobs, gerade dabei auf den Bug des großen Schiffes zusteuernd, »wir können uns nicht länger in See halten!«

»Werft ihnen ein Tau zu!« rief der Capitain wieder.

»Steht bei da vorn!« schrie der Matrose, das zusammengerollte Tau zum Wurf fertig in der Hand, – das Tau flog aus. Jacobs hatte indessen Carl wieder an das Steuer gestellt, um das zugeschleuderte Tau selber befestigen zu können, und dieses rasch um das erste der Querbretter schlagend, während Carl auf seinen Ruf den Bug herumwarf, knüpfte er es fest, und kletterte dann selber wie eine Katze daran hinauf und an Bord.

Carl war das Ganze so rasch und unerwartet gekommen, daß er jetzt selber gar nicht wußte, was er thun oder lassen sollte. Das Steuer freigebend, stand er aber auf und sah an der riesigen Seitenwand des Schiffes empor, als das kleine Boot, nicht mehr regiert, von einer anrollenden Welle gefaßt, mit aller Kraft gegen die breite Seite des Schiffes anflog und sich eine Planke löste.

»Komm an Bord – rasch!« schrien ihm von oben die Leute zu – »fass' das Tau – alle Wetter! das Boot geht in Stücken!«

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Carl verlor das Gleichgewicht dabei, denn das jetzt befestigte Boot wurde zugleich nach vorn gerissen und so herüber und hinüber geschleudert, daß er nicht mehr darin stehen konnte. Da warf ihm Einer der Leute von oben ein anderes Tau zu, das er schon halb bewußtlos in Schreck und Entsetzen ergriff und festhielt.

»Wickle es um den Ellbogen! schrie eine Stimme von oben herunter, der er fast wie im Traum gehorchte, als der kleine Kahn zum zweiten Mal gegen seinen mächtigen Nach[barn] schmetterte, und diesem zweiten Stoß die gierige Fluth in Strömen folgte. Oben zogen aber die Leute zu gleicher Zeit an. Carl, der das Tau unter seinen linken Ellbogen geschlagen hatte, konnte sich dadurch besser festhalten, und wurde in demselben Augenblick an Deck gezogen, als das schon zersplitterte Boot zum dritten Male gegen die Schiffswand anschlug und völlig in Stücken ging. Nur der Vordertheil desselben wurde mit dem von Jacobs daran befestigten Tau aufgeholt, dieses dann gelöst, und das nutzlose Stück Wrack wieder über Bord geworfen.

Am Deck des Schiffes kümmerte sich aber in diesem Augenblick Niemand um die Geretteten, denn der Wind hob sich so rasch zu einem wirklichen Sturm und kann mit einer solchen Wuth und Wucht über die See dahergeheult, daß die Befehle der Officiere wild und wie ängstlich, wenn auch in aller Ruhe gegeben, dazwischen durchschallten. Die Leute kletterten dabei wie Katzen an den Wanten hinauf, oben in Raaen und Masten die Segel zu reefen oder klein zu machen, damit sie dem Wind nicht soviel Fläche böten und durch die furchtbare, hinein pressende Kraft die Masten gefährdeten, und das Schiff hielt, wie Jacobs zu seinem innigen Vergnügen bemerkte, mehr in den Wind hinein, um von der südlich liegenden flachen Küste so weit als möglich abzukommen und nicht der Gefahr ausgesetzt zu sein, durch den Sturm auf den Strand gesetzt zu werden.

Jakobs hatte auch in der That. gleich, als er an Bord kam, mit zugreifen und helfen wollen; die empfangene Wunde schmerzte ihn aber so, daß er den Arm fast nicht bewegen konnte, weshalb er sich jetzt vor dem Quarterdeck hin neben die Pumpen setzte, um zu warten, bis die Segel an Bord in Ordnung wären, und der Capitain Zeit haben würde, mit ihm zu sprechen.

Carl dagegen kümmerte sich fast gar nicht um das Schiff, und schaute nur immer nach vorn hinaus, ob er die Insel Helgoland noch nicht durch den Nebel erkennen könne, und das Herz schlug ihm in banger Furcht und Angst, als die See immer höher und stürmischer wurde, und ein Wetter jetzt über sie hereinbrach, als ob die Wolken bersten wollten. Blitz folgte auf Blitz, Schlag auf Schlag, und die ganze Welt schien in Aufruhr; die Wogen wuchsen höher und höher, der Schaum daraus kochte und zischte, und noch waren die beiden Geretteten keine halbe Stunde an Bord, als die Spritzwellen schon, ärgerlich vorn am Bug des gewaltigen Schiffes emporsteigend, ihre Spitzen über Deck schleuderten.

»Nun, mein kleiner Bursch«, sagte da der eine der Officiere zu ihm, der neben ihm stehen blieb und ihn von oben bis unten betrachtete, »Du kannst von Glück sagen, daß Ihr uns getroffen habt; in der See da draußen hättet Ihr nicht mehr leben, und nicht einmal dort drüben landen können, wäret Ihr auch wirklich im Stande gewesen, das Ufer zu erreichen.«

Der Seemann sprach englisch; obgleich aber Carl auf der Handelsschule fleißig englisch getrieben und bis jetzt auch geglaubt hatte, es ziemlich gut zu verstehen, begriff er doch nur höchst unvollkommen, was der Mann zu ihm sagte. Er verschluckte die Sylben so sonderbar, und Carl konnte kaum den Sinn derselben enträthseln. Aber er faßte Muth; verständlich mußte er sich ja überdies den Leuten machen, damit sie erführen, was er eigentlich wollte. Er fragte jetzt den Officier, der ihn lächelnd betrachtete, indem er sich die größte Mühe gab, deutlich zu sprechen, »ob sie bald nach Helgoland kämen und ihn dort an Land setzen wollten.«

»Nach Helgoland?« lachte der Seemann laut auf, »das wäre eine schöne Geschichte; damit wir unser Schiff an dem alten Steinklumpen verlören, nicht wahr? nein, mein Junge, von Helgoland kommen wir schon klar, und halten jetzt direct dem Atlantischen Ocean zu. Findet sich dann Gelegenheit, können wir Euch Beide vielleicht an ein englisches oder französisches Fischerboot abliefern, damit Ihr wieder zurückkommt; dazu muß aber freilich erst wieder besser Wetter werden, denn in solcher See wagt sich kein Boot heraus aus dem sichern Hafen.

»Nach dem Atlantischen Ocean?« rief Carl erschreckt; »aber um Gottes willen, wohin fahren Sie denn eigentlich?«.

»Wohin?« sagte der Seemann, »weit fort von hier, nach keinem bestimmten Platze, sondern hinaus in die See, so weit wir kommen können, Wallfische zu fangen.«

»Wallfische zu fangen?« rief Carl emporfahrend – »Wallfische?«

»Nun? – ist das so etwas Erschreckliches?« lachte der Seemann, der erste der Harpunirer des Wallfischfängers; »der wackere Kamehameha hat schon manch lange Reise glücklich beendet, und wird auch diesmal hoffentlich einen guten Fang thun.«

»Kamehameha?« rief Carl rasch, »ist das der Wallfischfänger, der in Hamburg im Hafen lag?«

»Allerdings haben wir in Hamburg unsere Fracht gelöscht«, sagte der Harpunirer, »und unser Schiff dort wieder frisch in Stand gesetzt, denn als wir einliefen, hatten wir auch gerade in dieser Gegend einen heillosen Sturm, der uns den Fockmast über Bord warf. Aber komm jetzt mit zum »Alten« hinter, mein Junge, damit Der erfährt, wo Ihr eigentlich her seid, und was er mit Euch Beiden anfangen soll;« und vorangehend winkte er dem Knaben, der immer noch wie gebannt auf seiner Stelle stand, ihm zu folgen.

Der Kamehameha – der Wallfischfänger, mit dem zu fahren es ihm fast das Herz abgedrückt vor Sehnsucht – der Kamehameha, der zwischen die Cooksinseln und Eisberge fuhr, der die weite See nach allen Richtungen durchkreuzte und Wallfische und Spermacetifische fing – ihn schwindelte, wenn er daran dachte, wo er sich eigentlich befand – und Helgoland – seine Aeltern?

»Nun komm, mein Bursche – verstehst Du kein Englisch?« rief der ungeduldig werdende Harpunier nach ihm zurück; »der Capitain will Dich sprechen.« Carl folgte ihm wie im Traume; das ganze Schiff, die See drehte sich mit ihm, und er mußte sich an der Reiling halten, um nicht zu taumeln und zu fallen.

Der Capitain war in die Kajüte hinunter gestiegen, seine in dem ersten Sturm und Regenguß naß gewordenen Kleider zu wechseln (– Carl war ebenfalls wie aus dem Wasser gezogen –), und verlangte jetzt auch den andern geretteten Seemann zu sehn, um von Diesem zu erfahren, woher sie kämen, und wie es geschehen sei, daß sie sich in einem so kleinen gebrechlichen Kahne so weit vom festen Lande fortgewagt. Carl sollte ihm, so lange Jacobs noch nicht unten war, darüber Bericht geben, konnte aber mit seinem Englisch nicht soweit fortkommen, und der Capitain ging indessen, bis Jacobs gerufen werden konnte, mit auf den Rücken gelegten Armen in der kleinen Kajüte auf und ab.

Carl war nun allerdings sehr neugierig, das Innere dieses Heiligthums, von dem er schon so viel geträumt, und von dem ihm auch der alte Jahn schon so Manches erzählt, näher zu betrachten, aber oben an Deck hatte er das Schaukeln des Schiffs gar nicht gefühlt, wenigstens hatte es ihm kein Unbehagen verursacht, während ihm hier unten, nachdem er sich kaum ein paar Minuten da aufgehalten hatte, übel und schwindelig wurde. Die Angst um die Rückkehr und der ungewohnte Dunst des Schiffes kam dazu; der Schweiß trat ihm in großen Tropfen auf die Stirn und er mochte wol so blaß werden, daß es selbst dem Capitain auffiel.

»Halloh, mein Bursche, wirst Du seekrank?« lachte er, als sein Blick wieder einmal auf den Knaben fiel, der sich an einer der festgeschraubten Mahagonybänke festhalten mußte, um nicht in die Knie zu brechen, »ich glaubte. Du wärst ein Seemann – heh? – wird Dir unwohl?«

»Ja,« hauchte Carl, in dem es entsetzlich zu arbeiten anfing – »ich – ich muß wieder an Deck – mir wird – mir wird so sonderbar zu Muthe.«

»Steward!« rief da der Capitain dem Kajütswärter zu, der eben herunterkam und einem früher gegebenen Befehl zu Folge eine Caraffe und ein Glas in Arm und Hand hielt. »Da, schenk' dem Burschen einmal ein Glas ein, das wird ihm gut thun, und nimm ihn dann wieder mit an Deck, daß er uns hier die Kajüte nicht schmutzig macht. Gieb ihm auch trockene Kleider, daß er sich umziehen kann – wo steckt denn der Andere?«

»Kommt eben herunter, Capitain«, sagte der Steward, dem ersten Befehle gehorchend – »hat sich nur vom zweiten Harpunirer nach einer Wunde sehen lassen, die ihm in der Seite sitzt. Das ist eine wunderliche Geschichte, die er erzählt.«

Er reichte dabei dem Knaben ein halbes Bierglas voll Cognac – einen sehr starken, aus Weintrebern gebrannten Schnaps – den Carl, dem immer schlechter zu Muthe wurde, auf einen Zug austrank. Dann stellte er Flasche und Glas in ein Gestell, das an dem durch die Kajüte laufenden Maste angebracht war, und nahm den Knaben, der schon nicht einmal mehr allein gehen konnte, am Arme, um ihn die Treppe wieder hinaus zu bringen.

Auf dieser begegnete ihm Jacobs und sagte Etwas zu ihm, aber wie der Wirbel eines ganzen Regiments von Trommlern dröhnte es ihm vor den Ohren. Er hörte und sah Nichts mehr, und kam erst wieder zu sich, als sich sein Magen an Deck frei gemacht und dadurch gewissermaßen sein altes Gleichgewicht wieder erlangt hatte. Der Steward gab ihm dann trockene Kleider und brachte ihn in das Zwischendeck, wo die unteren Officiere, Bootssteuer, Böttcher und Zimmerleute ihren Aufenthalt hatten, in eine leer stehende Koje, um sich, dort erst wieder zu erholen und neue Kräfte zu sammeln.

Carl wußte kaum, wie er dort hinunterkam, – Helgoland – seine Aeltern – die Heimath, das Alles schwamm ihm nur in wirren unbestimmten Bildern vor der Seele, – er war seekrank, und in dem Zustande giebt es für einen solchen Kranken gar keine Welt mehr. Er ist stumpf und gleichgültig gegen Alles, läßt sich treten und stoßen, läßt sich hinschleppen, wohin man ihn haben will, und würde es selbst mit der größten Gemüthsruhe geschehen lassen, daß man ihn über Bord würfe. Es wäre doch eine Abwechselung, ein anderer Zustand gewesen, und der jetzige war fürchterlich.

Jacobs dagegen, der von Jugend auf an die See gewöhnt war, empfand, seine Wunde abgerechnet, nicht das mindeste Unbehagen. Die etwa zwei Zoll lange stumpfe Spitze des Bootshakens war ihm nämlich durch Jacke und Hemd unter dem Arme in das Fleisch eingedrungen, aber glücklicher Weise für ihn auf einer Rippe abgerutscht und nach hinten gefahren, wo sie einen tüchtigen Fleischriß gemacht hatte. An Bord von Wallfischfängern wissen sie aber mit solchen Wunden, die auch bei ihrem Geschäft manchmal vorkommen, sehr gut umzugehen, und der Riß, über dessen Ursache sich Jacobs indessen schon eine sehr rührende Geschichte ausgedacht, war bald verbunden und von dem Harpunirer für gänzlich gefahrlos erklärt worden.

Der Capitain unten in der Kajüte wollte aber mehr von ihm wissen, und Jacobs erzählte ihm jetzt, daß er ein armer Helgoländer Fischer sei, der mit einem andern Fischer zusammen ein kleines Boot eigen gehabt habe. Heute hätte er da mit seinem Kameraden den Auftrag bekommen, ein paar Seehunde zu schießen, die einige Fremde aus dem innern Land mit nach Hause nehmen und als selbstgeschossene ausgeben wollten. Es war ihnen dafür, wie er weiter log, ein sehr bedeutender Lohn zugesichert worden, und sie wären auch mit dem Erlegen der Thiere ungemein glücklich gewesen. Sein Kamerad aber, von Geiz und Habsucht angestachelt, habe einen unbewachten Augenblick benutzt, ihn in dem Nebel über Bord zu stoßen, um den Gewinn für sich allein zu haben. Als er nämlich oben auf dem Deck ihres kleinen Cutters mit der Schote des Segels beschäftigt war, stieß ihm sein Kamerad heimtückischer Weise den Bootshaken in die Seite, daß er das Gleichgewicht verlor und über Bord stürzte; da er aber wieder an die Oberfläche kam, war das kleine rasche Fahrzeug schon weit über die Stelle fortgeschossen, und wenige Minuten später, trotz seinem Schreien um Hülfe, in dem Nebel verschwunden. Zu seinem Glück lief da der junge Bursche, der mit dem Boote noch nicht recht umzugehen wußte und von der Insel verschlagen war, zufällig vor ihm vorbei und nahm ihn an Bord; ohne die Ankunft des Kamehameha wären sie aber doch wol Beide verloren gewesen, denn in dem kleinen Ding von einem Kahne hätten sie die Küste schwerlich mehr erreichen können.

Jakobs erzählte diese erdichtete Geschichte mit einer solchen Ruhe und einem so ehrlich offenen Gesicht, daß der Capitain nicht umhin konnte, sie ihm zu glauben, und den armen Teufel seines erlittenen Verlustes wegen beklagte. Aber was gedachte er nun zu thun?

Jacobs wußte das selber nicht; er hatte nicht einen Schilling bei sich, von England oder Frankreich aus seine Passage zurück nach Helgoland zu zahlen, und gestand auch ein, daß er sich schon mit dem Gedanken vertraut gemacht habe, Helgoland einmal auf längere Zeit zu verlassen. Sein Kahn blieb ihm indessen unverloren, denn er konnte seinem dort ansässigen Bruder darüber schreiben, daß dieser sein Eigenthum in Obhut nehme. Eine Fahrt auf einem Wallfischfänger hatte er sich, seiner Aussage nach, schon überdies lange gewünscht, und wenn ihn der Capitain auf irgend einen bestimmten Ertrag des Fanges mitnehmen wollte, so wäre er der Letzte, der Nein sagen würde.

»Und der junge Bursch?«

Dieser war, soviel er wußte, ein fremder Fischerbursche, dem eine Fahrt nach der Südsee eben auch Nichts schaden konnte. Er lernte dabei mehr in seinem Geschäft, als in eben so vielen Jahren, wie diese Reise Monate dauerte, auf den Flußschiffen und Küstenfahrern, auf denen das junge Volk doch nur verdorben und gleichgültig würde. Wollte er aber gar nicht mit, so konnte man ihn ja wol irgendwo in England an Land setzen.

Jacobs fühlte sich jetzt hier an Bord vollkommen sicher, denn der Wallfischfänger, soviel wußte er ziemlich genau, lief in Europa keine fremde Küste mehr an, und wenn dann auch Carl, so rasch ihn ein Dampfboot führen konnte, zurückkehrte, und von seinem Zusammentreffen mit ihm erzählte, was that's? – Er selber schwamm dann schon weit draußen im Atlantischen Ocean, nicht einmal die genaue Bahn der Schiffer haltend, sondern herüber und hinüber nach Fischen kreuzend, und auf Helgoland konnten sie nachher Lärm schlagen, soviel sie wollten. Jacobs hatte seinen Kopf, wenn er auch diesmal keinen Nutzen davon gehabt, doch äußerst schlau und geschickt aus der Schlinge gezogen, und die Burschen mit dem zweifarbigen Tuch an den Röcken, – die Polizeidiener – mochten sehen, wie sie ihn wieder hinein bekamen.

Mit Carl war aber jetzt gar Nichts anzufangen; die Krankheit hatte ihn, bei der immer höher gehenden See, so furchtbar gepackt, daß er wie todt liegen blieb, wohin man ihn legte. Er dachte an Nichts – er wollte von Nichts wissen, und verlangte nur zu sterben.

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