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20. Capitel

Die Bewohner der Polargegenden. Die Mitternachts-Sonne.


Der Kamehameha richtete jetzt seine Raaen (braßte sie auf), die Behringsstraße zu passiren, und als das Wetter ruhiger wurde, da konnten sie auch die ersten Eingeborenen, Fischer von den Stämmen der Tschuktschen, erkennen, die vom Lande ab und auf sie zu kamen.

Es war gleichsam eine kleine Flotte von Canoes, aus rohen Häuten, inwendig mit einer Spannung, verfertigt, und Männer, Frauen und Kinder darin, die theils das Schiff anliefen, theils es umruderten und in scheuer Entfernung davon blieben. Nur das freundliche Winken des Capitains vermochte nach langem Zögern einige davon, an Bord zu kommen und einen ihrer Lieblingsgenüsse, den Tabak, gegen das Wenige einzutauschen, was sie dafür bieten konnten und was doch eigentlich ihren ganzen Reichthum ausmachte – Waffen und Felle.

Die Leute gingen schon, trotz dem bitter kalten Wetter, in ihre Sommertracht gekleidet, die sie sich von den Därmen der Wallfische verfertigen und gar zierlich mit Streifen von Seehundsfell, den Schwanzspitzen einiger Landthiere und den rothen Federn des Penguin verzieren. An das Ueberhemd war aber zugleich eine Art Kapuze befestigt, die den ganzen Kopf bedeckte, und aus der nur das kleine verschmitzte, aber doch gutmüthige Gesicht herausschaute.

Merkwürdig einfach waren ihre Waffen, mit denen sie die Ungeheuer der Tiefe angreifen und erlegen. Die eigentliche Wallfischlanze besteht in einem etwa fünf Fuß langen Stück hartem Holze, an dessen einem Ende eine Spitze von messerscharf gefeiltem Wallroßzahn mit schwarzen und weißen Bändern von Fischbein befestigt ist, während das andere Ende eine starke Hülse von eben solchem Zahn oder Knochen trägt. In dieser Hülse und an dieselbe mit einem Streifen Rohhaut angeschnürt sitzt eine andere etwa fußlange Spitze, die nach dem Stoße aus der Hülse herausfährt und obenauf wieder eine kleine Aufsatzspitze hat, die bei Einigen von Eisen war. An dieser letztern Aufsatzspitze sitzt ein etwa drei Zoll langes Stückchen Knochen, und in der Mitte desselben ist das aus Wallroßhaut geschnittene Tau befestigt, an dessen äußerstem Ende wieder ein luftgefülltes Seehundsfell hängt. Die letztere Vorrichtung ersetzt die Harpune der europäischen Wallfischboote, denn nach dem Wurfe bleibt die letzte kleine Spitze, die sich dadurch, daß das Tau in der Mitte des Knochens befestigt ist, bei dem ersten Anziehen hinter dem Speck breitvordreht, darin stecken, während der Jäger die eigentliche Lanze in der Hand behält, oder an einer kurzen Leine wieder zurückzieht. Geht dann der getroffene Wallfisch unter Wasser, so schwimmt das aufgeblasene Seehundsfell oben und zeigt die Richtung an, die er genommen. Kommt er wieder nach oben und ist noch nicht tödtlich verwundet, so nehmen sie das Ende ihrer Lanze, oder sie bedienen sich einer andern Art, etwa sechs Fuß lang, von dünnem Holze, aber ebenfalls mit einer anderthalb Fuß langen Knochenspitze, über der, zu etwa zwei Dritttheil der ganzen Länge, also ungefähr vier Fuß von der Spitze, drei bis vier Zoll lange nach unten gekehrte Widerhaken von Knochen befestigt sind. Diese Lanze suchen sie dem Wallfisch hinter die Flosse so tief einzustoßen, daß die Widerhaken im Speck sitzen bleiben und die Lanze nicht verloren geht, bis sich der Fisch todt geblutet hat, worauf die Leute ihre Waffen wieder an sich nehmen.

Noch führen sie einen Bogen von ziemlich starkem eschenem Holze, der außerdem so dicht mit Sehnen umwickelt ist, daß nicht geringe Kraft dazu gehört, ihn zu spannen. Die etwa zwei Fuß langen Pfeile sind theils mit sorgfältig geschärften Knochenspitzen, theils mit Steinspitzen, theils mit Eisen bewehrt, und nur die eine Art, mit welcher sie am Lande die Zobel und andere kleine kostbare Pelzthiere schießen, hat statt der Spitze eine stumpfe Krone wie ein Backenzahn, um das Fell nicht zu verletzen, denn die Gewalt des Bogens ist groß genug, das Thier zu tödten.

Die Leute schienen äußerst gutmüthig zu sein, und gaben wirklich, was sie hatten, nur um eine Hand voll Tabak, ein Beil, einige Fischhaken oder gar etwas wollenes Zeug dafür zu bekommen. Waffen konnten sie sich den langen Winter hindurch genug wieder anfertigen, aber diese anderen Gegenstände führten ihnen nur die Schiffe der Fremden zu, und die Gelegenheit durften sie nicht vorüberlassen. Der Capitain machte ihnen dabei noch einige Geschenke, gab ihnen Brod und etwas Hülsenfrüchte, und sie tanzten und jubelten und schienen mit dieser Behandlung außerordentlich zufrieden zu sein.

Mit wie Wenigem kann auch der Mensch zufrieden sein! wie wenig genügt Dem, dessen Ansprüche an das Leben bescheiden sind, sich in seinem Loose froh und glücklich zu fühlen! Wer ungenügsam ist und unzufrieden, um wie viele Freuden bringt sich der nicht selbst! Das, was den Bescheidenen glücklich macht, entlockt ihm noch kein Lächeln, und die stete Gier nach mehr und immer mehr läßt ihn über den frohen Augenblick der Gegenwart mürrisch hinwegspringen, die Hände schon nach neuen Gütern auszustrecken. Solche Menschen bekommen nie genug. Ihr ganzes Leben ist ein rastloses Haschen und Jagen, in dem sie das Gewonnene hinter sich werfen zu dem Uebrigen, ja sich nicht einmal die Zeit nehmen es zu betrachten, und wenn der Tod sie ereilt, dann sind sie so weit von ihrem Ziele entfernt, als je. Indessen geht der mit Wenigem Zufriedene still und vergnügt seine bescheidene Bahn, pflückt jede kleine Blume an seinem Wege, freut sich ihres Duftes und ihrer Farbenpracht und läßt das aufsteigende Wetter still über sich hinstreichen, weil er weiß, daß Gott seine Sonne doch wieder scheinen läßt.

Diese nördlichen Stämme geben uns darin gewiß ein großes Beispiel, denn die Natur scheint sie da oben kärglich genug bedacht zu haben. Ihr ganzes Leben besteht fast in einem Ringen um ihre Existenz; zehn Monate haben sie Winter und sind gezwungen, sich von dem zu nähren, was die Jagd ihnen bietet. Nichts desto weniger hängen sie an ihrer Heimath mit derselben Liebe, wie der Südseeinsulaner für seine Palmeninseln, der Schweizer für seine Berge fühlt. In ihrer rauchigen Erdhütte, unter Schnee und Eis halbe Jahre lang begraben, bei einer düstern Thranlampe, die ihr mattes Licht darüber ausgießt, harren sie fröhlich ihrem kurzen Sommer entgegen, und das zuckende Nordlicht, das ihre Nacht nothdürftig erhellt, scheint und strahlt über so glückliche Menschen, wie Kerzenschimmer und Gas in den geschmückten Ballsälen der civilisirten Welt – vielleicht über glücklichere.

Der Civilisation sind diese Menschen freilich wenig zugänglich, denn unter Verhältnissen, wo ihre ganze Energie, ja auch ihre ganze Zeit daraus verwendet werden muß, dem starren Klima ihre Existenz abzuringen und allein dafür zu sorgen, sich gegen die Kälte zu schützen und Nahrungsmittel herbeizuschaffen, bleibt dem Geiste, wo er nicht eben diese Zwecke fördern muß, wenig Spielraum übrig. Eben so ist es aber auch in den heißesten Ländern, deren Bewohner allerdings Zeit genug hätten, da die Sorge um ihre Nahrungsmittel schon die Natur übernommen hat. Aber der Geist erschlafft unter den glühenden Sonnenstrahlen, er verliert seine Spannkraft, und die gemäßigte Zone ist allein geeignet, in dieser Hinsicht Außerordentliches zu liefern. Von ihr aus geht der Antrieb durch die übrige Welt, und mit einem Klima, welches den Geist thätig und kräftig erhält, mit allen Mitteln ausgestattet, um ohne zu große Anstrengung unsere Bedürfnisse befriedigen zu können, bleibt uns vollkommen Zeit genug, selbst ohne den Trieb, den Gott in unsere Brust gelegt hat, einer höhern geistigen Vollkommenheit zuzustreben. Auch die wachsende Bevölkerung, die in manchen Districten schon an Uebervölkerung grenzt und uns gewaltsam oft zur Auswanderung getrieben, macht uns gar häufig aus Noth erfinderisch und führt uns aus einer Entdeckung und Erfindung in die andere. Mit unseren Teleskopen ziehen wir die Sterne aus ihrer Höhe zu uns nieder, mit unseren Mikroskopen die unsichtbar gewesenen Infusionsthiere in die von uns begriffene Welt; Dampf und elektrische Kraft kürzen täglich mehr die Entfernungen unserer Erde; alle Zonen liefern uns schon ihre Producte und Erzeugnisse, und Schrift und Druck, das Segenreichste, was der Menschengeist erfand, dienen dazu, die Kenntnisse allgemein zu machen und Bildung und Lust zum Lernen selbst in die ärmlichste, niedrigste Hütte zu tragen.

Dem Bewohner der Polargegenden genügt es freilich, seine Waffen so viel als möglich zu vervollkommnen, um seine Beute desto sicherer erlegen zu können; er verlangt nicht mehr. Wenn die Knaben gelernt haben den Bogen zu spannen, die Lanze und die Harpune zu werfen und eine Falle richtig zu stellen, so ist ihre Bildung vollendet.

Diese Männer sind übrigens durchschnittlich gutmüthig und weit weniger kriegerisch als ihre südlicher wohnenden Landsleute, wozu die Nahrung und die ganze Lebensweise viel beitragen mag. Es ist nämlich eine ziemlich fest begründete Thatsache, daß die Nahrung großen Einfluß auf den Charakter des Menschen ausübt, was sich am Besten und Auffallendsten da zeigt, wo eben die Lebensmittel eines Volkes nur einer gewissen Gattung ausschließlich angehören. Verschiedene Naturforscher haben deshalb auch schon die Menschenracen nach diesem Princip eingetheilt, und sie unterscheiden daher: Fleischesser, Fischesser, Frucht- oder Kornesser (d. h. Solche, die sich nur von vegetabilischen Stoffen nähren, wozu die sogenannten »Wurzelgräber« ebenfalls gehören), Heuschreckenesser, Erdesser und Allesverzehrer, denen wir selber uns beizuzählen haben. Man ist sogar so weit gegangen, auch noch eine Gattung Menschenesser zu nennen. Das ist aber in so fern falsch, da kein Stamm ausschließlich kannibalisch ist, sondern die Nationen, die diesem entsetzlichen und widernatürlichen Gebrauche noch fröhnen, fast nur bei festlichen Gelegenheiten die Körper ihrer erschlagenen Feinde, oder auch ihre Gefangenen verzehren; – in der Noth, z. B. bei Schiffbrüchen, sind auch schon Europäer dazu gezwungen worden.

Zu den Fleischessern gehören besonders die südamerikanischen und die nordamerikanischen Nomadenstämme, dann aber auch die von den Spaniern abstammenden Bewohner der Pampas, ein großer Theil der australischen Wilden, wie die Nomadenvölker der asiatischen Steppen.

Zu den Fischessern muß man hauptsächlich die Bewohner der Polargegenden rechnen, wie jedoch auch einige nordamerikanische Stämme von Columbia in Oregon hauptsächlich von Fischen (besonders von Lachsen) leben.

Fruchtesser sind vorzüglich die Eingeborenen der Tropen; Heuschreckenesser werden einige der wandernden Araberstämme des nördlichen Afrika genannt, wo sie eine sehr große Heuschreckenart, die dort in ungeheuren Schwärmen vorkommt, frisch und eingesalzen essen, und die Erdesser finden sich ebenfalls in Amerika, wo hauptsächlich die Otomacs am Orinoko, die sonst von den Fischen und Schildkröten des Stromes leben, bei sehr hohem Wasserstande, bei dem sie nicht fischen können, eine fettige Art Erde verzehren und dieselbe in gekneteten Kugeln aufbewahren sollen. Es ist dies aber nicht ihr Lieblingsgericht, sie werden vielmehr nur durch die Noth dazu gezwungen.

Die fleischessenden Stämme sind unstreitig die kriegerischesten, wildesten und blutgierigsten, denn das Schlachten ist ihr Geschäft und Blut für sie ein gewöhnliches Ding, während die Fruchtesser die freundlichsten und gutmütigsten Stämme in sich zählen. Die Fischesser scheinen sich mehr den letzteren als den ersteren anzuschließen.

Carl hätte sich nun freilich gern wenigstens ein paar Tage bei diesen Stämmen aufgehalten, mit ihnen gefischt und ihre Wohnungen, ihre ganze Lebensart gesehen. Aber das Schiff hielt sich nicht auf, und durch die Behringsstraße hindurch, ziemlich dicht am amerikanischen Ufer haltend, setzten sie ihre Bahn fort, weiter und weiter gen Norden hinauf.

Die Sonne ging nicht mehr unter. – Was für ein eigentümliches, unbehagliches Gefühl das war, das Tagesgestirn um Mitternacht noch mehrere Grade über dem Horizonte stehen und sich dann wieder heben zu sehen, um seine Bahn von Neuem zu beginnen! Die Mannschaft an Bord eines Schiffes ist gewohnt, auch am Tage zu schlafen, da die Wachten ja durchaus gehalten werden müssen. Dennoch war es unseren Schiffern als ob sie, mit der ruhelosen Sonne über sich, nicht ruhen könnten, und ein ordentliches Sehnen überkam sie nach Nacht und Dunkelheit.

Am Nordpol ist, wie schon in einem frühern Capitel erwähnt wurde, die Sonne sechs Monate über und sechs Monate unter dem Horizonte; vom 21. September bis Mitte November aber, und von Anfang Februar bis zum 21. März übersteigt ihre Senkung nicht achtzehn Grad, so daß während dieser ganzen Zeit Dämmerlicht und eigentliche Nacht nur etwas über zwei und einen halben Monat herrscht. Vom 22. März dagegen bis zum 22. September steht die Sonne ununterbrochen über dem Horizonte, und selbst schon am Nordcap von Europa, das achtzehn Grad südlich vom eigentlichen Pole liegt, geht sie im Junius nicht unter.

Für die Wallfischfänger, welche diese Gegenden natürlich nur im Sommer befahren, wenn sie nicht einmal unglücklicher Weise im Spätherbst von Eis umschlossen und zurückgehalten werden, ist dieser immerwährende Tag, wie sich leicht denken läßt, von großem Nutzen. Sie können nicht allein ihr Auskochen ungestört fortsetzen, wozu es allenfalls auch dunkel sein dürfte, sondern die Hauptsache ist, sie brauchen ihren Fang nicht einen Augenblick zu unterbrechen. Wenn sie ihr Deck von Speck frei und keine Fische langseits haben, ja oft selbst mit diesen, werden die Boote, sobald nur Walle in der Nähe aufkommen, niedergelassen und Jagd darauf gemacht.

Der Kamehameha arbeitete indessen, bald mit mehr, bald mit weniger Glück, seine Jahreszeit hindurch. Einmal hatte er sogar drei Fische zu gleicher Zeit im Schlepptau. Wochen vergingen aber auch wieder, wo sie entweder schlechten stürmischen Wetters wegen nicht jagen konnten, oder auch Nichts fanden und vergebens zwischen Eisschollen und Bergen dicht unter der Eisgrenze auf und ab kreuzten.

Carl kam indessen aus der schweren Arbeit gar nicht heraus. Sechs bis sieben Stunden manchmal hinter den Fischen herrudernd, daß den Leuten die Arme todesmüde am Leibe niederzusinken drohten, mußten sie, wenn sie an Bord zurückkamen, ohne weitern Zeitverlust anfangen auszukochen, und »Wachten zur Koje,« wie es die Matrosen nennen, wurden fast gar nicht mehr gehalten. Nur ein paar Stunden Ruhe konnten sie der drängenden Arbeit abstehlen, und selbst dann, wenn sie sich niederlegen durften, waren sie oft nicht im Stande einzuschlafen vor übergroßer Müdigkeit.

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So verging der ganze Sommer; das Schiff landete nicht ein einziges Mal, und die Mannschaft wurde in ununterbrochener Arbeit gehalten. Dabei gingen sie mehrmals der Fische, die sie mit Mühe und Noth erbeutet, durch schweres Wetter wieder verlustig, und mußten von vorn anfangen Jagd auf sie zu machen. Auch Krankheit brach an Bord aus. Einige der Leute bekamen den Scorbut, und als der Kamehameha mit Einbruch der rauhen Jahreszeit nach den Sandwichsinseln zurückhielt, war die ganze Mannschaft so erschöpft und aufgerieben, daß sie kaum ihre Wachten halten konnte.

Auch hier aber wurde ihnen nicht viel Ruhe, denn gleich am ersten Tage, als sie diesmal vor Honolulu auf Oahu lagen, und noch ehe der Capitain an Land gefahren war, versuchten drei von den Leuten zu desertiren, und mit einem bei ihnen anlegenden Canoe, das sie dem Eigenthümer wegnahmen, das Ufer zu erreichen.

Der Kamehameha hatte eine recht glückliche Jahreszeit den Sommer hindurch gehabt, und einen ziemlich »reichen Segen« von Thran eingelegt, aber keineswegs sein Schiff schon gefüllt. Er mußte jetzt mehr als je darauf sehen, seine Leute für den nächsten Sommer zusammenzuhalten, um dann vielleicht seine Ladung voll zu bekommen. Ließ er sie jetzt entwischen, und fand er nicht gleich andere tüchtige Leute an ihrer Statt, so wurde seine Bootsmannschaft unvollzählig, und das Schiff war in allen Bewegungen gehemmt.

Die Matrosen sind ein wunderliches Volk, das wirklich nur für den Augenblick lebt, und sich Nichts darum kümmert, wie es am nächsten Tage wird. Deshalb desertiren auch öfters Leute von Wallfischfängern, mit denen sie schon recht gute Beute gemacht und einen guten Antheil für sich gewonnen haben, indem sie das Alles im Stiche lassen, nur um fortzukommen und ein paar freie Tage zu gewinnen. Sie wissen, daß ihnen später nichts Anderes übrigbleiben wird, als wieder auf einem andern Schiffe einzutreten, denn das Landleben halten sie doch nur kurze Zeit aus; auf dem nächsten Schiffe aber müssen sie, ohne einen Pfennig zu Gute zu haben, mit genau demselben Leben und derselben Arbeit wieder ganz von vorn anfangen. Aber daraus machen sie sich Nichts; sie haben einmal das Leben auf dem Schiffe satt und wollen es wechseln; ob das zu ihrem Schaden oder Nutzen ist, kümmert sie gar nicht.

Diesem zu begegnen, und da die Unzufriedenheit der Leute an Bord bemerkbar wurde, beschränke der Capitain den Verkehr seines Schiffes mit dem festen Lande einzig und allein auf seine Jolle und einige Regierungsboote der Insel, die ihm vor allen Dingen reichlich Gemüse und Früchte herüberschaffen mußten, um den Scorbutkranken heilsame Nahrung zuzuführen. Frisches Wasser kam ebenfalls auf den schon zu diesem Zweck eingerichteten Booten herbei, desgleichen frisches Fleisch, und mit einer tüchtigen Quantität Citronensaft und gewöhnlichen Kartoffeln, die von den Scorbutkranken nicht allein gekocht gegessen, sondern auch roh gekaut werden mußten, minderten sich rasch die Krankheitsfälle an Bord und die Leidenden erholten sich zusehends.

Leider lag wieder kein einziges nach Europa bestimmtes Schiff hier im Hafen. Nur eins für Australien, das aber erst südlich nach Tahiti ging, um dort zwischen den Gesellschaftsinseln Handel zu treiben und Perlmutter-Schalen und Kokosöl gegen kurze Waaren, Kattune etc. einzutauschen, wollte in nächster Zeit auslaufen.

Der Capitain brachte dem Knaben die Nachricht selber mit an Bord, sagte ihm aber auch dabei, wie unsicher ein solches Schiff sei, Passage darauf zu nehmen, selbst wenn es sich dazu verstände, einen Passagier die ganze Zeit mit sich herumzuführen, der dann in Sidney noch eben so entfernt von der Heimath sei wie hier, und von da aus erst recht wieder theuren Passagierpreis würde zu bezahlen haben. Nichts desto weniger fragte er am nächsten Tage bei dem Capitain an. Dieser aber weigerte sich auf das Entschiedenste, einen Passagier an Bord zu nehmen und sich dadurch für irgend ein bestimmtes Ziel zu binden. Er sei zum Handel zwischen die Inseln gekommen, meinte er, und beabsichtige jetzt allerdings in Sidney in Australien einzulaufen, wenn er aber irgend wo anders vortheilhafte Aussicht bekäme, ginge er dorthin, und Gewißheit, an irgend einer bestimmten Stelle zu landen, könne er gar nicht geben. Einen Brief versprach er jedoch mitzunehmen und nach besten Kräften dafür zu sorgen, daß er an den Ort seiner Bestimmung gelange.

Die Mannschaft des Kamehameha bekam indessen wenig oder gar Nichts von dem neuen Hafen zu sehen, in den sie eingelaufen waren, als eben nur das ihnen zunächst liegende, unmittelbare Ufer. Ein kleines, aber nicht besonders fest scheinendes Fort, aus Korallenblöcken errichtet, fiel ihnen hier zuerst in die Augen, dann weiter im Innern eine sehr große und sehr kahl aussehende steinerne Kirche, von einzelnen schlanken Kokosbäumen dürftig umstanden. Dafür aber schmiegte sich die kleine Stadt, in der eine ziemliche Anzahl gut aussehender Wohnungen lagen, desto freundlicher in das Grün ihrer Fruchtbäume, und wurde von den kühn gezackten aber kahlen, jedenfalls vulcanischen Bergkuppen und Spitzen überragt.

Auch ein lebendiges Gedränge von Männern und Frauen, in bunte Kattune und überhaupt ziemlich grelle Farben gekleidet, war am Ufer, und über den Hafen herüber und hinüber, in dem jetzt einige zwanzig Wallfischfänger lagen, glitten die scharf geschnittenen Canoes der Eingeborenen, von den nackten tätowirten braunen Gestalten gerudert, hin und her. – Aber dort lag nicht das Ziel unserer Reisenden. Wieder hoben sie den mächtigen Anker auf von seinem Korallenbett, wieder kehrte sich der Bug des Fahrzeugs dem weiten Meere zu, und die Wallfischfänger, von denen noch vier zu gleicher Zeit den Hafen verließen, breiteten draußen die Schwingen und zogen dem Süden wieder zu, die kalte Jahreszeit über in der Nähe des Aequators nach Cachelots zu fischen.

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