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2. Capitel

Wie Carl seinen künftigen Berufsort und die ersten Schiffe sah, und was ihm besser gefiel.


Nach rascher Fahrt erreichten sie Hannover, wo Herr Hollberg einen Tag blieb, um seinen Geschäftsfreund zu besuchen und ihm den Sohn, den er ihm in vierzehn Tagen zurückzubringen versprach, vorzustellen. Die Leute waren sehr freundlich mit Carl, dessen freies, offenes Wesen ihnen gefiel, machten aber auf den Knaben keineswegs denselben günstigen Eindruck. Es war ihm Alles so fremd da; sogar die Kinder schauten ihn so neugierig und erstaunt an. Auch im Hause selber, an dem ihm der Garten fehlte, war Alles so dunkel und einsam, die Treppen klangen so hohl, wenn er hinaufstieg, und die Thüren fielen mit einem so eigenthümlichen Schlag in ihre Schlösser zurück, daß er immer glaubte, sie gingen nun im ganzen Leben nicht wieder auf, und wenn er noch einmal hinaus an Licht und Luft wollte, müßte er aus dem Fenster springen.

Und die Schreibstube erst! zehn oder eilf junge und ältere Schreiber saßen und standen da hinter entsetzlich großen, unförmlichen, schwarzgebeizten Pulten, die ihm wie eben so viele Särge vorkamen, und schrieben und rechneten – und so still war es im Zimmer, man konnte das Kritzeln der Federn aus den entferntesten Ecken deutlich hören. Dann wurde er dem ersten Buchhalter vorgestellt – einem Manne mit einer etwas langen, spitzen Nase, der die Angewohnheit hatte, die Augenbrauen ruckweise in die Höhe zu ziehen, was ihm ein eigenes, wunderliches Ansehen gab – Carl fürchtete sich ordentlich vor ihm. Der Buchhalter war aber ein sehr würdiger alter Mann, und sprach auch freundliche Worte zu ihm, die er jedoch gar nicht hörte und verstand, weil er nur immer nach dessen, schon von grauen Haaren gesprenkelten rastlosen Augenbrauen in die Höhe schaute.

Unwillkürlich kam ihm dabei das Gefühl – wenn Du jetzt, an diesem geweihten, stillen Orte auf einmal laut auflachtest – wenn Du das Heiligthum durch solchen Laut entweihtest, was geschähe dann? – Würden sie nicht aus allen Ecken und Winkeln über Dich herfallen, und der lange Mann mit seinen beweglichen Augenbrauen Dich mit den dürren, hageren Fingern fassen? Es lief ihm eiskalt den Rücken hinunter, und als er wieder draußen im Freien war, holte er tief und ängstlich Athem, als ob eine Centnerlast von seiner Seele genommen wäre. Er wußte auch eigentlich gar nicht, wie er wieder hinaus gekommen war, ob aus eigenem Antriebe, oder ob ihn der lange Buchhalter nicht doch am Ende hinausgeworfen hätte.

Den Mittag mußte er mit bei Herrn Meier, so hieß der Kaufmann, essen, und so kostbar und reich Alles war, kam es ihm doch so vor, als ob ihm die Bissen in der Kehle stecken blieben, solche Angst hatte er; und doch wußte er auch eigentlich wieder nicht weshalb. Als ihn der Vater aber Abends fragte, ob ihm das Haus und die Leute darin gefallen hätten, so sagte er rund heraus: nein. Lügen konnte er nicht, und es that ihm wohl, das, was ihm auf dem Herzen lag, wenigstens gegen irgend Jemand frei heraus aussprechen zu können.

»Das wird sich schon geben,« lächelte aber der Vater, ihm freundlich dabei die Haare aus der Stirn streichend; »das ganze Wesen und Treiben eines so großartigen Geschäfts ist Dir noch fremd; wenn Du aber erst einmal in das innere Getriebe desselben hineingeschaut und gelernt hast, wie der Kaufmann gerade in seinem Geschäft die ganze Welt mit einander verbindet, und, jede Entfernung aufhebend, in seinem kleinen Comptoir die Producte der heißen Zone mit den Erzeugnissen der civilisirten Welt herüber und hinüber wechselt, Tausenden dabei Beschäftigung und Unterhalt giebt, und auf einen Namenszug von ihm gewaltige Schiffe mit geblähten Segeln hinausziehen über das Weltmeer, seinen Willen bekannt zu machen, seine Waaren zu tragen, dann wirst Du Respect bekommen vor einer solchen Kaufmanns-Welt. Willst Du dann später einmal selber zur See, nach Indien oder Amerika, oder wohin Dich Deine Verbindungen gerade führen, so hindert. Dich Nichts mehr daran, Deinen Lieblingsplan auszuführen, und Du kannst die Welt dann genießen, die Dich jetzt, wenn Du so unvorbereitet hinausgehen wolltest, nur mißhandeln würde.«

Carl hörte, was sein Vater mit ihm sprach, aber er verstand es nicht; sein Herz zagte noch in der Erinnerung dessen, was er heute gesehen und was das Ziel seines Lebens werden sollte. Selbst die Fahrt nach Helgoland war nicht mehr im Stande, die trübe Wolke zu verscheuchen, die sich über seine Zukunft gelegt, denn hinter Helgoland lag die düstere, stille Stube mit den kritzelnden Federn, und über die Insel hinaus, die sich seine Phantasie schon in bunter Schöne ausgemalt, ragte der lange Buchhalter und zuckte mit den Augenbrauen, als ob er hätte sagen wollen: »Komm Du mir nur unter die Fuchtel, mein Söhnchen, Dir wollen wir den Kitzel schon austreiben nach fremden Ländern!«

Der Kopf that ihm zuletzt weh vom vielen Denken und Sinnen, und er ging früh zu Bett. Am andern Morgen aber wurde er mit Tagesanbruch geweckt, und als unten vor der Thür das lustige Horn der Extrapost schmetterte (denn die Eisenbahn nach Hamburg war damals noch nicht beendet), und die frische Morgenluft ihm die Schläfe kühlte, wurde es ihm auch wieder froher, leichter zu Sinn. Das ist ja das unendliche Vorrecht des jugendlichen Herzens, daß es sich noch keine schweren Sorgen für die Zukunft zusammenthürmt, wie es das reifere Alter thut. Die Welt liegt ihm noch freundlich und offen da, und ein einziger Sonnenblick, der hinein scheint und selbst den nächsten Gegenständen nur seine rosige Färbung leiht, macht es aufjubeln in Glück und Wonne.

Die Fahrt dauerte etwas lange, denn die weite, öde Lüneburger Haide mußte durchfahren werden, und die Pferde konnten das, wenn auch leichte Geschirr doch nur langsam durch den tiefen Sand hindurchziehen. Wie das so eine andere Welt hier war um ihn – so still und einsam mit dem grünen Haidekraut und den einzeln zerstreuten kleinen Büschen dazwischen, die wie Inseln daraus hervorschauten! Fast so hatte er sich das Meer gedacht – und dann kein Haus dabei, soweit das Auge reichte, lange Strecken hindurch. Wie groß war doch die Welt! und ihn drückte schon der weite leere Raum, den er hier sah.

Endlich kamen sie wieder in fruchtbares Land; Bauerhöfe begannen und fette Weiden, frische, gesunde Menschen begegneten ihnen auf der Straße, fröhliche Kinder spielten am Wege, und es war fast, als ob sie einen ganz neuen Welttheil betreten hätten, der an der andern Seite der Haide lag, und den diese abschnitt – gerade wie das Meer.

War es dem Knaben ja doch auch eine vollkommen neue, fremde Welt, die er hier betrat – ein neues, fremdes Leben, in das er nur mit Zagen und Bangen den zögernden Fuß setzte. Er wußte kaum, wie sie nach Harburg gekommen waren, wo sie freilich erst spät Abends eintrafen, und schon der ferne Anblick der weiten Elbe beengte ihm das Herz.

Hier begann die wirkliche Elbe, und Carl konnte in der That die ganze Nacht nicht schlafen, so freute er sich aus den Anblick, der seiner, wie ihm der Vater schon erzählt, am andern Morgen warten sollte. O wie langsam verging ihm die Nacht, wie zählte er die Viertelstunden, die von der alten Stadtuhr so entsetzlich zähe und zögernd geschlagen wurden! Aber mit dem ersten Dämmerlicht war er auf, wusch sich und lief zum Ufer hinunter, das etwa fünfhundert Schritte vom Gasthofe entfernt sein mochte, und sah mit einem heiligen Schauer den breiten, mächtigen Strom, der seine Fluth dem nicht mehr fernen Meere entgegenwälzte.

Es ist schon ein eigenes, wunderliches Gefühl, wenn wir nur an einem Wege, an einer einfachen Landstraße stehen und sehen, wie sie sich weiter und weiter, immer schmäler werdend, zuletzt wie ein dünner, weißer Faden in das Land hineinzieht, und ihr mit den Augen, soweit das geht, und dann weiter, immer weiter mit den Gedanken folgen. Wie läuft sie doch so schlängelnd ihre Bahn, herüber und hinüber haltend, dem murmelnden Bache gleich, der sich sein Bett durch den Wiesengrund sucht – dort führt sie in ein freundliches Dorf hinein, und scheint da zu enden; wenn wir ihr aber mit den Augen folgen und weiter suchen, sehen wir, daß sie drüben auf der andern Seite schon lange wieder die engen, düsteren Straßen hinter sich gelassen hat und immer weiter, immer weiter drängt. Ein flaches Wasser legt sich ihr quervor – was thut's? wie eine Schlange gleitet sie mitten durch und an dem andern Ufer wieder den Hang hinauf, dem nächsten Walde zu. – Und keine Grenze hat sie auf so lange Strecke hin; nach allen Städten zweigt sie aus, nach allen Ländern still und unverdrossen ihren Lauf ziehend, einladend ihr zu folgen, und doch so kalt und gleichgültig dabei gegen Die, die auf ihr wandeln und ihrer Führung sich vertrauen. Und wie viel gewaltiger ergreift es uns die Seele beim Anblick eines breiten Stromes, der seine Wasser, die er sich weit herab aus den Bergen geholt, in stolzer Fluth dem Meere entgegenführt, und dort dem Tropfen gleich verschwindet, der aus der Wolke niederfällt.

Das Meer! – ein geheimnißvoller Zauber liegt über dem Worte, wie über der Unendlichkeit – das weite Meer – nicht nur jungendliche Phantasie, nein auch das Alter hat schon sein Herz gehängt an jenes unbeständige, wilde, trotzige Element.

Carl wurde es wunderbar zu Muthe, als er die gelbe Fluth langsam unter seinen Füßen vorüberrauschen sah. Es war ihm ordentlich, als ob die kleinen, winzigen Wellen lockend und flüsternd zu ihm hinauf riefen, mitzukommen mit ihnen, weiter, immer weiter hinaus, und draußen mit den wilden, bäumenden Wogen zu tanzen im Ocean. Es war ihm fast, als ob er hinunterspringen müsse in die Tiefe, und könne erst dort gerade sein heißes, glühendes Sehnen stillen. Ein ordentliches Grauen rann ihm dabei über den Leib, und er lief, sich gewaltsam sammelnd, zum Hause zurück, so rasch ihn seine Füße trugen.

Seine Aeltern waren indessen auch schon aufgestanden; es wurde Kaffee getrunken, und um sechs Uhr läutete der Dampfer unten am Ufer, der sie mit ihrem Geschirr hinüber nach Hamburg bringen sollte. Noch lag ein dichter Nebel auf dem Wasser, aber das kleine, wackere Boot dampfte mitten hindurch, und als sich der Nebel endlich auf den blitzenden, gurgelnden Strom senkte, daß er wie ein Schleier von einem Bilde niederfiel, da lag die alte, ehrwürdige Hansastadt, mit ihren dunkeln, mächtigen Thürmen, vom frühen Sonnenlicht beschienen vor ihren Blicken, und ihre Glocken grüßten freundlich herüber mit den tiefen, mächtigen Klängen.

»Sieh, Carl, wie schön und herrlich sich die Stadt da vor uns ausbreitet, und was für ein Leben und Treiben dort am Ufer herrscht.«

»Ja, Vater, – aber dort – was ist das – die langen Bäume – sind das – sind das nicht Masten?« rief Carl fast athemlos in banger und doch so freudiger Erwartung und sein Auge nicht verwendend von dem einen Punkte.

»Das ist der Hafen,« sagte der Vater, der Richtung von Carl's ausgestrecktem Arm mit den Augen folgend; »dort liegen die großen Seeschiffe, von ihren Reisen ausruhend, und wieder frisch rüstend zu neuen Wanderungen; wenn wir morgen oder übermorgen dort hinaus fahren, werden wir sehen, wie sie mit geblähten Segeln den Strom hinunter halten. Das sieht gar herrlich und großartig aus, und so ein Schiff mit seiner so künstlichen und doch wieder so unendlich einfachen Einrichtung ist gar ein wunderbares Zeugniß für den Geist des Menschen, der sich also die Elemente, Wasser und Luft, eben so wie Feuer und Erde, dienstbar macht. – Aber sieh Dir jetzt die Stadt an, Carl; wie wir –«

»Dort geht eines, – dort segelt es hinaus!« rief jedoch Carl, der für nichts Anderes jetzt mehr Auge und Sinn hatte – »dort schießt das große Schiff wie ein riesiger, weißer Schwan zwischen den anderen Fahrzeugen vor – o Vater, Vater, wie das schön ist!«

»Ja, recht schön zum Ansehen,« sagte der Vater, dem es nicht recht gefallen wollte, daß der Sohn nur über die Schiffe so entzückt war; »aber die Leute darauf gehen nicht selten einem sehr gefährlichen, ganz gewiß aber einem sehr beschwerlichen Leben entgegen. Von Jugend an freilich daran gewöhnt, von ihren Aeltern selbst vielleicht dazu angehalten, wissen sie es eben nicht anders, und wollen es oft nicht besser haben. Und das ist recht gut, denn gerade dadurch, daß sich für jede Beschäftigung Menschen finden, denen sie zusagt, wird unser so künstlich zusammengesetztes bürgerliches Leben auch eben zusammen und im Gang erhalten.«

Carl erwiderte Nichts darauf, aber den Blick konnte er nicht fortnehmen von dem aussegelnden Schiffe, bis ihr kleines Dampfboot selber sich so weit dem Lande näherte, daß es die Aussicht dort hinüber abschnitt. Dann kam die eigene Landung, und während Herr Hollberg für seinen Wagen und sein Gepäck sorgte, und Jemand beauftragte. Beides nach einem ihm bezeichneten Hotel zu schaffen, setzten sie sich selber in eine Droschke, dem Platze zuzufahren.

Die nächsten Tage vergingen Carl in einem wirklichen Taumel von Vergnügungen, und so viel des Neuen drängte von allen Seiten auf ihn ein, daß er wirklich kaum zu Athem kommen konnte. Aber die Häusermasse um ihn her that ihm weh; er sehnte sich hinaus ins Freie – auf das Wasser hinaus, zwischen die Schiffe und Masten, die er von draußen schon gesehen, und ein neues Leben ging ihm auf, als endlich die versprochene und schon lange verabredete Fahrt nach Helgoland wirklich Thatsache wurde.

Eins freilich war ihm nicht recht dabei, daß sie nämlich in einem Dampfboote hinüberfahren sollten. Er hatte sich das mit einem Segelschiff viel hübscher, viel romantischer gedacht, aber er vergaß das schon, als sie zu Fuße hinunter an den Hafen gingen und sich nun plötzlich von riesigen Schiffen, wie sie seine kühnste Phantasie geträumt, und noch viel, viel größer, umgeben fanden. Und dann miethete der Vater ein kleines Boot – eine Jolle, wie sie dort genannt wird – und fuhr, da sie noch fast zwei Stunden Zeit bis zum Abgang des Dampfers hatten, mit ihr hinaus in den Hafen, mitten zwischen die Schiffe hinein.

Wie jauchzte Carl! Dicht unter dem weit über sie hinausragenden Bugspriet eines mächtigen Schiffes, das auf einer riesengroßen, vergoldeten Büste den Namen George Washington trug, fuhren sie hin. Das war ein Amerikaner, wie ihnen ihr rudernder Matrose sagte, der Auswanderer hinüberholen wollte nach den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, und wie ein Haus stieg der gewaltige Bau – von Masten und Takelwerk noch so unendlich hoch überragt – neben ihnen empor. Dort links drüben lag ein Franzose, mit zierlichem Schnitzwerk am Spiegel des Schiffes, zwischen dem die Kajütenfenster hell und blinkend hervorleuchteten, und oben in der äußersten Spitze eines Mastes, an einem Tau hängend, das von hier unten aus die Dünne eines Bindfadens zu haben schien, klebte oder schwebte fast ein Matrose, den runden Hut keck in den Nacken gedrückt, und mußte sich wirklich nur mit den Beinen und Füßen anhalten, denn er arbeitete mit beiden Händen so unbekümmert, als ob er auf ebener Erde stände, eine kleine Flagge dort oben zu befestigen.

»Und wo kommt der Franzose her?« fragte Carl.

»Von Afrika,« sagte der Seemann so ruhig, als ob das gar Nichts wäre; »er ist in Mauritius gewesen, und geht morgen oder übermorgen wieder nach China ab.«

Afrika – China – der Mann sprach gerade, als ob er von Hannover und Braunschweig rede, und Carl sah ihn wirklich an, ob er nicht gar am Ende einen Scherz mache; er sprach aber im vollen Ernst.

Jetzt hielten sie ein kleines Stück in den Strom hinein, wo ein entsetzlich schmutziges Schiff lag, auf dessen Deck eine Menge kleiner Boote, mit dem Kiel nach oben, lagen, während Leute auswendig gerade damit beschäftigt waren, es wieder frisch anzumalen. Das that ihm auch wirklich sehr noth; das Schiff mußte überhaupt erst wieder hergestellt sein, denn es hatte unten ganz neues, blankes Kupfer bekommen, und an dem vordersten Maste, der ebenfalls neu schien, fehlten noch die Querstangen oder Raaen.

»Wie häßlich das alte Schiff gegen den schmucken Franzosen absticht,« sagte Carl, dessen Augen mit Vergnügen wieder zu dem andern Schiffe zurückflogen. Sie waren jetzt noch weiter hinaus gekommen, und konnten es so recht von der Seite anschauen, wie es mit seinem schlanken und ganz schwarz gemalten Rumpfe, um den sich nur eine schmale weiße Leiste zog, einem zierlichen Wasservogel gleich, auf der blitzenden Oberfläche des Stromes lag.

»Ja, das glaub' ich,« lachte der Matrose, einen Augenblick auf seinen Rudern ausruhend. »Der da drüben hat auch eben weiter Nichts zu thun, als seine Fracht aus- und einzuladen und sich sauber zu halten; das Schiff hier drüben aber macht noch viel längere und gefährlichere Reisen; es muß mit Speck und Thran arbeiten und kochen und sieden an Bord nach Herzenslust. Das ist ein Wallfischfänger

»Ein Wallfischfänger?« riefen Hollbergs erstaunt aus, das schmutzige Schiff jetzt selber neugierig und mit weit größerem Interesse betrachtend.

»Ja, und noch dazu ein Südseefahrer,« sagte der Seemann, »der um Cap Horn herum fährt, und hinauf in die Behringsstraße, zwischen den Eisbergen oben, und den Kokosnußinseln, und im japanischen Meere fischt, und oft drei und vier Jahre sich draußen herumtreibt, nur hier und da anlaufend, frisches Wasser und Früchte einzunehmen, und dabei Wallfische fängt und einschneidet und auskocht, daß es eine Art hat.«

»O Gott, wer auf solch einem Wallfischfänger mit fahren könnte!« seufzte Carl.

»Ich danke dafür,« brummte aber der Seemann in den Bart, seine Ruder dabei wieder ausnehmend und einsetzend; »das ist ein Hundeleben, was die Menschen führen, und manchmal, ja da schlägt's ein, und sie kommen mit reicher Ladung nach Hause, und haben dann die Säcke voll Geld. Manchmal aber ist die Geschichte auch faul, und sie können sich Jahre lang draußen in der Welt, in Hitze und Kälte herumschlagen, und bringen Nichts mit heim als Schulden, denn von dem Fischfang bekommen sie nur eben ihr gewisses Theil, und wenn sie Nichts fangen, haben sie Nichts.

»Und was für ein schweres Brod muß das sein!« sagte Herr Hollberg.

»Ob's ein schweres Brod ist,« brummte der Matrose.

»Aber wie viel bekommen sie von der Welt zu sehen!« rief Carl.

»Von der allerdings genug,« lachte ihr Führer; »manchmal mehr, als ihnen lieb ist, wenn sie sich gar so lange draußen herumtreiben müssen. Der da hinten,« und er nickte mit dem Kopfe nach dem Wallfischfänger hinüber, den sie jetzt hinter sich ließen, »hat vier und ein halbes Jahr zu seiner letzten Reise gebraucht, und den Bauch allerdings voll Thran und Fischbein mit nach Hause gebracht. In der Zeit ist er fast in allen Häfen der ganzen Südsee gewesen, und überall glücklich gefahren, bis er wieder zurück und hier in die Nordsee kam. Da erwischte ihn ein böser Sturm, riß ihm die Fock und den Clüverbaum weg – den vordern Mast mein' ich, und das lange Holz, das vorn hinaus steht und am Bugspriet festsitzt – schlug ihm die Boote über Bord, und riß ihm einen Leck in den Rumpf, an dem die Mannschaft drei Tage und drei Nächte zu pumpen hatte, bis sie den alten Kasten nur in den Hafen brachte, und er wäre wirklich fast noch dicht davor gesunken. Jetzt freilich schaut er wieder wetterfest genug drein, und wenn er erst das neue Kleid anbekommen hat, das sie ihm jetzt überstreichen, da wird ihm Keiner so leicht ansehen, was er schon durchgemacht hat. Ich glaube, er soll schon in acht oder vierzehn Tagen wieder in See gehen.«

»So bald schon?« rief Herr Hollberg – »aber wie ist das möglich? allem Anschein nach ist er doch eben erst von einer langen Reise zurückgekommen.«

»Das geht rasch,« sagte der Seemann, seinen Tabakssaft dabei vielleicht zehn Schritte weit über Bord spritzend. »Lange aufhalten thun sich derart Schiffe in keinem Hafen, und wenn sie ihre Fracht gelöscht oder ausgeladen, und wieder Alles an Bord haben, was sie zu einer neuen Fahrt brauchen, wobei der alte Kasten wieder nothdürftig zusammengeflickt und angestrichen wird, geht's so rasch sie können auf's Neue hinaus, eine frische Ladung einzubringen. Aber hier liegt wieder ein anderes Schiff,« unterbrach er sich selber, den Kopf dabei nach einer Brigg herumdrehend, an der sie jetzt vorüberfuhren; »das ist ein Engländer, der gestern von Australien eingelaufen ist.«

»Von Australien?«

»Ja, von Adelaide; er hat Kupfererze und Wolle herübergebracht für ein deutsches Haus, und will jetzt wieder Auswanderer dorthin zurückführen.«

»Siehst Du, Carl, wie interessant das hier ist?« wandte sich jetzt Herr Hollberg an den Sohn, »die Schiffe so von allen Zonen und Weltgegenden zusammenkommen zu sehen. Und Kaufleute sind es, die sie befrachten und herüber und hinüber schicken, und solch ein Kaufmann sollst auch Du einmal werden.«

»Wie hieß denn der Wallfischfänger?« fragte aber Carl, der von den andern Schiffen fast Nichts weiter sah, und dessen Auge nur noch immer an dem einen Fahrzeuge hing.

»Der Wallfischfänger?« meinte der Matrose; »das ist der Kamehameha, nach dem König der Sandwichs-Inseln, wo diese Schiffe oft anlegen, so genannt.«

»Ein deutsches Schiff?« fragte Carl wieder.

»Nein, ein Amerikaner, der seine Ladung hier herüber gebracht hat, weil die Oelpreise in Deutschland heuer viel besser sein sollen, als in Amerika drüben.«

»Dir steckt nur der alte, schmutzige Wallfischfänger im Kopfe,« sagte aber auch jetzt die Mutter lächelnd; »sieh Dir einmal das kleine, allerliebste Schiffchen an, das da vor uns auf dem Wasser schwimmt; das ist ein niedliches Fahrzeug; dort müssen wir einmal hinfahren, lieber Mann.«

»Hol's der Teufel!« brummte aber der alte Seemann, der einen finstern Blick nach dem bezeichneten Fahrzeug hinüber geworfen hatte; »das ist das dänische Wachtboot, und ein Skandal, daß wir Deutschen uns das müssen hier auf dem alten deutschen Strome vor der Nase Herumreiten und seine Zähne zeigen lassen. Wenn wir nur dürften, wie wir könnten und von Rechtswegen sollten, dem wollten wir bald das Maul stopfen, und seinem ganzen Gelichter dazu.«

»Da kommt ein Auswanderer-Schiff!« rief Herr Hollberg, als plötzlich ein kleiner Dampfer, mit einem großen Dreimaster im Schlepptau, der gedrängt voll Menschen stand, aus der Masse der übrigen Fahrzeuge herauskam, und das große, unbehülfliche Schiff in die Strömung zog. Die Matrosen hingen oben in den Raaen, die Segel zu lösen, oder liefen die breiten Wanten, die wie Spinnweben dünn aussahen, katzenähnlich wieder herab, um sich dann unten an die Taue zu hängen, und mit laut dröhnendem, aber melodischem Chor die schweren Raaen höher hinauf zu treiben, oder die Schoten der Segel um ihre Hölzer hinauszuziehen. So dicht an das Schiff waren sie jetzt gekommen, mit dem ihr Ruderer gleiche Bahn hielt, daß sie die Worte deutlich verstehen konnten, die oben über ihnen gesungen wurden, und die allerdings nicht recht zu der etwas wehmüthigen, melancholischen Weise des Vorsängers passen wollten.

»Die Katze lief am Baum hinauf!« klang dessen helle, wirklich hübsche Stimme, aber mit plattdeutschen Worten, weit über Deck, wonach der Chor, indem die Matrosen nach dem Tacte in die Taue griffen und aus aller Kraft zogen, mit dröhnenden Lauten einfiel:

»»Singt faldara, singt faldara! –««

Dann sang der Erste wieder:

»O Katze, halt' dich ja nicht auf!
Chor: »Singt faldara juchheirasa.

»Sie wedelt mit dem langen Schwanz!
Chor: »Singt faldara, singt faldara.

»Daß ich will schlafen, vergißt sie ganz!
Chor: »Singt faldara juchheirasa.

»Miau sie schreit, miau, miau!
Chor: »Singt faldara, singt faldara.

»Komm mit zum Tanz, meine liebe Frau.
Chor: »Singt faldara juchheirasa!«

Dabei standen die Zwischendeckspassagiere vorn über das ganze Deck zerstreut und besonders auf dem hohen Vordertheil, die Back genannt, in kleinen Gruppen beisammen, und schauten nach der Stadt hinüber, von der sie Abschied nahmen, Männer und Frauen bunt durch einander. Eine Menge deutscher Trachten waren da vertreten, Thüringer und Bayern, Hessen und Norddeutsche, die sich in ihren Kleidungsstücken schroff von einander unterschieden, und viele von den Frauen schwenkten Tücher – manche trockneten sich auch die Augen damit – und es mochte ihnen wol recht weh und weich um's Herz sein, daß sie jetzt von dem Vaterlande, wahrscheinlich auf Nimmerwiedersehen, Abschied nehmen mußten. Lieber Gott, es ist das auch ein recht schmerzliches Gefühl, und gerade, wenn wir es verlieren sollen, fühlen wir erst, wie lieb wir es gehabt, wie lieb wir es noch haben und haben werden, so lange wir leben, was uns auch immer fortgetrieben von daheim. Aber dann ist es zu spät – das Schiff ist unterwegs, die Segel sind gesetzt, und durch das Wasser schäumt es seine lange, wilde Bahn dahin, dem fernen, fremden Lande zu.

Auf dem hintern oder Quarter-Deck standen auch viele Herren und Damen, aber modern gekleidet, nicht wie die Leute auf dem Vorderdeck in ihrer Bauerntracht. – Es waren die Kajütspassagiere – aber auch Auswanderer wie die Anderen, die nur mit höher bezahltem Fahrgeld größere Bequemlichkeiten und bessere Kost für sich auf der Reise gesichert hatten. Die Herzen schlugen ihnen wahrscheinlich eben so weh und ängstlich, wie sie den Leuten da vorn unter ihren Jacken und Blousen schlugen.

Die Segel waren jetzt ausgeholt, daß der Wind hineinfassen konnte, das kleine Dampfboot löste das Tau, das es mit dem Schiffe verband, und glitt zur Seite ab, während jenes unter dem donnernden Hurrah der Passagiere, die sich zum ersten Male wirklich unterwegs sahen, seine Bahn allein und selbstständig fortsetzte. Anscheinend ganz langsam das Wasser durchschneidend, ließ es das kleine Boot doch gar rasch zurück, und Herr Hollberg, der nach seiner Uhr gesehen hatte, bedeutete nun auch die Matrosen, wieder umzukehren, da sie sonst am Ende das Helgoland-Dampfboot versäumten, auf das ihr weniges Gepäck schon geschafft war; überdies hatten sie jetzt gegen die ausgehende Ebbe anzurudern. Damit aber wußte der Seemann trefflich Bescheid, und schon solche Stellen auszusuchen, wo sie ziemlich stilles Wasser fanden. So rückten sie rasch wieder am Lande hinauf, und ihr Führer zeigte ihnen dabei und erklärte ihnen die wichtigsten Schiffe, an denen sie vorüberkamen.

Da war ein kleiner Schooner unter Buenos Ayres Flagge, der eine Ladung Ausschnitt- und Eisenwaaren mit hinübernehmen wollte; dort lag ein anderes deutsches Auswanderer-Schiff, das eben zweihundert Passagiere nach Amerika hinübergebracht hatte, und zu der zweiten Reise rüstete. Vor ihnen lag eine brasilianische Brigg, die Kaffee und Gewürze gebracht, und das dort links, mit dem rothen Streifen um den Rumpf und den gemalten Stückpforten, war ein Ostindienfahrer, ein »Schiff von der langen Fahrt,« wie es die Seeleute nennen, der regelmäßig nach Java und Englisch-Indien fuhr, und Reis, Kaffee, Zucker, Thee, Gewürze, Cochenille und andere Producte der heißen Zone von dort herüberbrachte. – So ein Schiff brauchte gewöhnlich anderthalb Jahr zu einer Reise, manchmal legte es sie aber auch in einem Jahre zurück.

Carl's Augen suchten indessen wieder den Wallfischfänger unter den übrigen Schiffen heraus; aber da sie sich jetzt, der Strömung aus dem Wege zu gehen, im innern Hafen hielten, konnte er ihn nicht mehr finden.

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