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15. Capitel

Was Carl von den Südsee-Inseln hörte und sah.


»Land ho!« Vom Vortop herunter rief es der zweite Bootsteuerer lustig hinein in die blaue, sonnige Luft, und die Mannschaft, die sich rasch auf Deck sammelte, sah bald auch von hier aus die hohen, abgerundeten Umrisse eines Bergkegels am Horizont emporsteigen, von dem sich schnell das Gerücht durch das Vorcastle verbreitete, daß es der Pale-Berg von Hawaii sei, und sie nun wahrscheinlich den Hafenplatz Hilo von dieser Insel anlaufen würden. Sie näherten sich der Gruppe der Sandwichs-Inseln.

Mehr und mehr rückten sie dem Lande zu, höher und höher stieg der Berg aus der See empor, im Hintergrund einen zweiten Gipfel zeigend, aber immer noch ließ sich nicht der Thalgrund erkennen, und die Nacht deckte endlich die fernen Umrisse des Gebirges mit ihrem Schleier.

So lange es dunkel war, durften sie nicht daran denken, zwischen die Korallenbänke einzulaufen, und kreuzten deshalb, so nahegekommen, als der Capitain für die Sicherheit seines Schiffes für rathsam hielt, mit demselben auf und ab. Schon mit der ersten Wacht aber und noch lange vor Tagesanbruch hielten sie wieder auf den Eingang der Bai zu, und als die Sonne ihre ersten blitzenden, zuckenden Strahlen über die weite wogende Fluth warf, lag die Palmenküste der Bai von Hilo in all' ihrer Pracht und Herrlichkeit und von den kahlen drohenden Kraterspitzen ihrer Vulcane überragt, vor den Blicken der seemüden Wanderer.

Carl war noch nicht an Wacht, aber schon mit Tagesgrauen aufgestanden, den Anblick nicht zu versäumen und schwelgte jetzt in der wirklich wundervollen Scenerie, die einen um so höhern Reiz für ihn hatte, weil sie ihm ja eben so ganz neu und fremd war. – Aber die Klippenreihe, die sich vor ihnen, scheinbar in ununterbrochener Kette, ausdehnte – wie sollten sie durch diese hin mit dem tiefgehenden Schiff ihren Weg finden? Zum ersten Male sah Carl hier die weitdehnenden Korallenriffe der Südsee, die mit einem Schaumgürtel überstürzender Wogen alle Inseln einzeln umziehen, und manche derselben jeder Möglichkeit berauben, größere Schiffe zu ihren Ufern zu lassen.

Die weiße Koralle der Südsee ist eine eigentümliche Substanz, über deren Entstehen sogar die Naturforscher noch nicht einmal einig sind. Weiß und porös, in ihren ersten Ansätzen leicht bröckelig, später aber zu steinfester Masse verhärtend, schreibt man sie ziemlich allgemein dem Korallenwurm, einem kleinen Insect zu, das sie durch irgend eine Absonderung seines Körpers nach und nach aufbauen, oder vielleicht auch aus fremden Stoffen zusammentragen soll. Dann aber haben auch andere Naturforscher wieder bewiesen, daß eben dieses Insect nur bis zu einer gewissen Meerestiefe leben kann, und nichts desto weniger finden sich die Corallen an vielen Stellen der Südsee vom Meeresufer in senkrechten Wänden bis zu enormer Tiefe hinabsteigend. Nie aber wächst sie über die Oberfläche der See selber hinaus, denn Salzwasser gehört zu ihren unerläßlichsten Bedingungen des Lebens und Bestehens.

Viele der Inseln in der Südsee, ja die große Mehrzahl derselben verdankt ihr Entstehen einzig und allein diesen Korallen, die, wenn sie die Oberfläche an einzelnen Stellen erreichten, in ihren zackigen, baumartigen Auswüchsen treibenden Seetang, Gras, Moos und andere vegetabilische Stoffe, vom Grunde der See oder von anderen Inseln kommend, festhalten und durch neue und immer neue Anschwemmungen mehren und erhöhen. Anschwimmende Samenkerne und Kokusnüsse fassen dann Wurzel, verdichten zuerst mit ihren Fasern die noch geringe Erdmasse mehr und mehr, und vergrößern dann später durch ihre Abfälle das Land.

Hier und da half aber auch die Natur gewaltsam nach, neue Inseln zu gründen, die sie, mit wilder Kraft von irgend einem unterseeischen Vulkan getrieben, oft in einer Nacht an die Oberfläche der See warf. Beispiele hiervon haben wir selbst in unseren europäischen Gewässern. Das neueste dieser Beispiele fand am Morgen des 10. Juli 1831 an der Küste von Sicilien statt, wo ein zufällig dort vorbeikommendes Schiff, die Brigg Theresine, etwa zwanzig Miles vom Cap St. Mark entfernt, das Wasser in geringer Entfernung, von dickem Qualm gefolgt, zu einer Höhe von sechzig Fuß emporsteigen sah, während die Luft nach Schwefel roch. Als der Capitain später hieher zurückkehrte, fand er eine kleine, etwa acht Fuß über die Meeresfläche hervorragende Insel, mit einem lavagefüllten Krater in der Mitte, und die Tiefe des Wassers ringsumher etwa 100 Faden, oder 600 Fuß engl., so daß also hier Menschen selbst Zeugen des Entstehens einer solchen Insel waren, die durch die aufgeworfenen Lavamassen eines unterseeischen Vulcans gebildet wurde.

Ein großer Theil dieser Südsee-Inseln hat noch jetzt die Form ausgebrannter Vulcane, um deren Kraterrand sich die Koralle angesetzt und aufgebaut hat, so daß sie in der Mitte eine manchmal tiefe, manchmal ganz seichte und mit Korallen ausgefüllte Lagune bildet.

Der Vulcan auf Hawaii, der von den Indianern Kirauca genannt wird und in dem, ihrer Sage nach, die Feuergöttin Pele wohnt, ist jedenfalls der größte der Erde, denn der Umfang seines Kraters allein, in dem ein See kochender, gährender Lava steht, beträgt sieben englische Meilen. Von Zeit zu Zeit, bis auf die neueste, beginnt er zu arbeiten; der ungeheure Kessel füllt sich mehr und mehr und schleudert die glühenden Massen ins Thal hinabI m vorigen Jahre erst wurde sogar Hilo von einem solchen Ausbruche bedroht, und ist noch gegenwärtig in Gefahr., bis er ausgetobt hat, wo sich die Lava an einzelnen Stellen mit einer festen und halb erkalteten Rinde bedeckt. Unter dieser wühlt und kocht es aber fort, und bricht an einzelnen Stellen immer wieder aus.

Wie gewaltig die Natur hier schafft und gährt! wie sie aus dem Innern der Erde heraus dem Menschen einen Blick in ihre heimliche Werkstätte vergönnt! Wie das da unten braust und donnert und wühlt und kocht und durch den Mittelpunkt des Erdballs hin, selbst wenn wir nicht annehmen wollten, daß dieser hohl und mit der gährenden Fluth gefüllt sei, seine Canäle nach allen Seiten hinaus schießt! Wenn aber die Geister da unten einmal recht besonders thätig sind, schleudert er wol auch zu gleicher Zeit aus dem Vesuv und Etna, auf den Sandwichs-Inseln und im Indischen Archipel die kochenden Lava-Massen aus und macht sich Luft da unten, während der Mensch oben mit Zittern und Zagen seinem dumpfen Grollen lauscht.

Diese Vulcane, die mit den verschiedenen Erdbeben in der genauesten Verbindung stehen, können wir deshalb auch recht gut als die Sicherheitsventile des Erdballs betrachten, denn die sich im Innern desselben entwickelnden Gase, die sich mit der Zeit da unten ansammeln, müssen zuletzt einen Ausweg haben, sich Luft zu machen, oder sie würden die Erdkruste durch ihre furchtbare Kraft sprengen, wie der eingeschlossene Dampf in den Kesseln unserer Maschine, ohne solche künstlichen Ventile, diese sprengt und wenn sie von faustdickem Eisen wären.

Die breiteste Straße ins Freie hat jener geheimnißvolle unterirdische Herd hier auf dieser Insel, die jedenfalls ihren ganzen Ursprung seiner Thätigkeit verdankt, und fortwährend noch hebt er neues Land, neue Lavafelder aus dem Grunde des Meeres auf, und erweitert die flache Küste oder schreckt die Bewohner durch sein plötzliches Arbeiten bald hier bald da. So sank vor einer Reihe von Jahren plötzlich einmal die See eines Abends zu einer ganz ungewöhnlichen Tiefe, und trat an manchen Stellen Hunderte von Fußen weiter vom Ufer zurück, als sie je gethan. Die Insulaner aber, die nicht mit Unrecht einen eben so raschen Rückschlag der Wasser erwarten mußten, bekamen nicht einmal alle Zeit, ihr Leben auf das höher liegende Land zu retten, denn wie eine Mauer stürmte schon wenige Minuten nachher die gewaltsam durch irgend eine vulcanische Thätigkeit zurückgepreßte Wassermasse wieder nach vorn, um ihr Gleichgewicht herzustellen, und ergriff Hunderte der Unglücklichen, um sie mit sich fortzureißen. Der zweite Rückprall, der hierauf erfolgte, war schwächer als der erstere, der dritte noch schwächer, und die See beruhigte sich so nach und nach, wie sich etwa das Wasser in einem größern Gefäß, das man durch Anstoßen in Bewegung gebracht, nach und nach wieder setzen würde. Welch ein prachtvoller Anblick bot sich jetzt der Schiffsmannschaft, als sie die Einfahrt der Riffe erreichte! Durch einen schmalen Canal, an dessen beiden Seiten die weißbeschäumten Wogen donnernd gegen die Korallenfelsen anschlugen und doch das Binnenwasser nicht bewegen konnten, das in einem glatten, ungestörten Streifen die Insel umschloß, fuhren sie hinein. Aber vor ihnen dehnten sich die wunderschöne Hilo-Bai aus und schien mit ihren beiden, rechts und links ausragenden Vorgebirgen wie mit zwei Armen die Ankommenden gastlich empfangen zu wollen.

Ueberall an der Uferbank standen einzelne Gruppen schlanker, hochstämmiger Kokospalmen, von anderen Laubbäumen, Brodfrucht, Kastanien, breitblätterigen Bananen etc. dicht umgeben, während dazwischen die hellen, freundlichen Wohnungen der Indianer herausschauten. Von diesen lagen kleine Dörfer, dicht in den Schatten ihrer Fruchtbäume gedrängt, zusammen, und die mächtigen Kuppen der beiden Berge, die hoch und düster mit ihren nackten Lavamassen hinausragten, gaben dem ganzen Bilde einen großartig wilden Anstrich.

Und wie belebt war die See! Zwei andere Wallfischfänger – Amerikaner, ihren Flaggen nach – lagen noch im Hafen, und zahlreiche Canoes, theils mit Segeln versehen, theils von darin sitzenden braunen Gestalten gerudert, glitten über die kaum bewegte, nur leise wogende Fluth herüber und hinüber.

Carl freute sich wie ein Kind aus das Land und die weiten herrlichen Streifzüge in jenen wilden Schluchten, die mit ihren dunklen Schatten so verführerisch zu ihnen herüber schauten. Er träumte auch schon von klaren, murmelnden Bächen, von dem Umgang mit, wie er es sich dachte, unverdorbenen, von der Civilisation unberührten, einfachen, braunen Menschen, die ganze Naturaliencabinette gegen ein paar verrostete Nägel, Stücken Spiegelglas, Knöpfe und andern Tand eintauschten und dann noch hinterher glaubten, sie hätten ihre Geschäftsfreunde auf das entsetzlichste hinter's Licht geführt.

Ihr Anker rasselte bald in die Tiefe, und ein Canoe ruderte auf ihr Schiff zu, in dem Carl einen europäischen Offizier zu erkennen glaubte; – aber, lieber Gott! wie mußte der arme Teufel von der Sonne verbrannt sein! – er sah ganz dunkel aus. Das Canoe kam indessen näher und näher, bis dicht unter das Schiff, und die Leute daraus, zwei ausgenommen, die es gerudert hatten, kletterten wie die Katzen an Bord. Aber es war kein europäischer Offizier darunter, sondern lauter Indianer, von denen der eine nur – Carl mußte lachen, als er ihn sah – bei der furchtbaren Hitze in eine dicke blautuchene Uniform mit blanken Knöpfen, die früher einmal die tapfere Brust eines Marinesoldaten gedeckt haben mochte, bis oben an den bloßen braunen Hals eingeknöpft war, während den untern Menschen ein rothes baumwollenes Tuch umhüllte. Füße und Beine trug er bloß, und auf dem Kopfe einen kleinen runden Strohhut, mehr zum Staate, als eines besondern Nutzens wegen.

Der Mann war der Hafencapitain von Hilo, und als solcher beauftragt, sowol die Gesundheit der Mannschaft zu untersuchen, als auch die üblichen Hafengelder in Empfang zu nehmen. Dabei schloß er mit dem Capitain gleich an Ort und Stelle einen Contract ab, eine bestimmte Quantität Holz bis zum nächsten Abend an Bord zu liefern, auch einige Vorräthe an frischen Kartoffeln und Früchten, Citronensaft und ein paar junge Schweine herbeizuschaffen.

Als dies abgemacht war, so beorderte unser Capitain die vier Bootsteuerer, ihn in seinem Boote an Land zu rudern, und der strenge Befehl an das Schiff lautete: daß Keiner der Leute dasselbe verlassen dürfe.

Das war ein Donnerschlag für die Mannschaft, da fast Alle nach sechsmonatlicher Fahrt, in der sie kein Land betreten, den Augenblick wol recht heiß ersehnt haben mochten, wieder einmal unter einem grünen Baume zu liegen und das Rauschen des Windes durch die Zweige, das Plätschern des muntern Bergstroms zu hören. Und nun sollten sie hier verdammt sein, an Bord »im Schatten ihrer Masten« zu liegen und Salzfleisch zu essen wie vordem.

Capitaine von Wallfischfängern sind aber meist sehr streng mit ihren Leuten und fürchten besonders, daß ihnen Dieselben beim Anlanden an einer der freundlichen Südsee-Inseln davonlaufen möchten, was sie allerdings in nicht geringe Verlegenheit setzen würde. So ein Schiff hat z. B. zwei Zimmerleute, zwei Böttcher und einen Schmied an Bord, welche Handwerker dem Fahrzeuge während der langen Zeit seiner Abwesenheit von irgend einem bewohnten Punkte auch unumgänglich nöthig sind. Sollten Diese nun an einer Stelle, wo sie unersetzlich wären, entweichen, so würden sie nicht allein den Capitain, sondern die ganze Mannschaft, die sämmtlich auf Theilung des Fanges gesetzt ist, in die furchtbarste Verlegenheit bringen, und in manchen Fällen selbst das Auslaufen des Schiffes nach den Jagdgründen unmöglich machen, oder doch so weit verzögern, daß die beste Zeit zum Fang versäumt würde.

Der Wallfischfang macht dabei seinen ganzen Erfolg von dem Eifer und guten Willen der Offiziere, wie auch von dem der Mannschaft abhängig, und es ist unumgänglich nöthig, daß alle Diese auch bei der Beute selber interessirt sind. Wenn die Leute nämlich nur nach einem bestimmten Gehalte, gewissermaßen um Tagelohn arbeiteten, so würden sie sich wenig um den Fang der Fische kümmern, der ihnen ja doch nur Mühe und Arbeit macht. Das zu vermeiden, bekommt der Capitain eines solchen Schiffes etwa den vierzehnten Theil des Reingewinnstes vom Fang – der erste Harpunirer den achtzehnten oder zwanzigsten Theil, die übrigen Harpunirer den vierundzwanzigsten bis dreißigsten, die Bootsteuerer vielleicht den vierzigsten bis fünfzigsten, und die gewöhnlichen Matrosen natürlich verhältnißmäßig noch weniger.

Der Rheder, das heißt der Schiffseigenthümer, hat dabei, wenn der Fang nur einigermaßen gut ausgefallen ist, noch immer einen nicht unbedeutenden Gewinn und den Vortheil, daß die Leute jetzt in ihrem eigenen Interesse handeln, wenn sie so viel als möglich an Thran und Fischbein zu erbeuten suchen. Nichts desto weniger ist der gewöhnliche Matrose ein viel zu leichtsinniger Gesell, sich viel um seinen eigenen Nutzen zu kehren, wenn sein Vergnügen demselben entgegensteht. Wo er zu günstiger Zeit fortlaufen kann, läuft er gewiß und läßt lieber Verdienst und schon verdienten Lohn im Stiche.

Der Capitain blieb indessen den ganzen Tag und selbst die Nacht an Land; das Boot mit den Bootsteuerern aber – die als untere Offiziere schon mehr Vertrauen genossen und auch nicht so leicht ihr Schiff verlassen – hatte ebenfalls nur eine Stunde am Ufer bleiben dürfen und war dann zurückgeschickt worden. Die Mannschaft wäre wirklich an der wundervollen Küste vor sich, die sie nicht betreten sollten, verzweifelt, hätten sich nicht ein paar Fruchtboote zu ihnen hinausgefunden, die ihnen, allerdings zu etwas hohen Preisen und keineswegs, wie sie erwartet zu haben schienen, gegen Knöpfe und Nägel, die Früchte ihres Landes, Bananen, Brodfrucht, Kokosnüsse, Orangen, Papayas und wie sie alle hießen, zum Verkauf anboten.

Hier aber fand sich wieder eine andere, und allerdings sehr große Schwierigkeit – die Leute hatten kein Geld. Der Matrose ist das leichtsinnigste Menschenkind unter der Sonne. Auf seinen langen gefährlichen Reisen, fortwährend der Möglichkeit ausgesetzt sein Leben einzubüßen, scheint er nur stets darauf bedacht, so wenig als möglich von irdischen Gütern zu gleicher Zeit mit demselben zu verlieren. Wenn die Leute an Land kommen und ihren Sold ausgezahlt erhalten, gehen sie auch nicht eher wieder an Bord, bis der letzte Pfennig verthan ist. Ja, nicht selten verkaufen sie selbst um einen Spottpreis, was sie an Kleidern auf dem Leibe haben, um den letzten Tag auf festem Grund und Boden »würdig zu feiern,« wie sie es nennen. »Wer weiß, ob wir von der nächsten Reise überhaupt zurückkehren,« sagen sie dabei, »und was wir verdient haben, wollen wir da auch wenigstens verzehren.« Die Folge davon ist, daß sie, wenn sie eine fremde Küste erreichen, nie einen Pfennig zum Verzehren haben und stets vom Capitain abhängen, der ihnen kleine Vorschüsse machen muß. Der war aber jetzt an Land, und die Leute wandten sich in ihrer Verlegenheit an die Harpunirer, die sie baten, ihnen eine Kleinigkeit vorzustrecken, bis der Capitain zurückkäme.

Barthels half hier aus, und Carl besonders, der auch nicht die kleinste Münzsorte sein eigen nannte, bekam von ihm einen Korb mit Früchten. Er sollte diese tropischen Erzeugnisse einer heißen Sonne, nach denen er sich schon so lange gesehnt, doch wenigstens kosten können.

Die wichtigsten und auch eigentlich die alleinigen Früchte dieser Inseln sind Kokosnüsse, Brodfrüchte und das Hauptnahrungsmittel der Sandwichs-Insulaner, die Tarowurzel. – Diese Früchte entsprechen dem Klima wie den Bedürfnissen der Bewohner vollkommen. Die Tarowurzel besonders ist ihnen unentbehrlich und vertritt in diesen Gruppen das Brod unseres Welttheils, wie die Kokosnüsse in trockenen Districten oder Inseln mit ihren saftigen Nüssen das Wasser ersetzen. Die Kokosnuß wächst auf einer hohen, schlanken, sehr zierlichen Palme, mit breiter, schattiger Blätterkrone und setzt die Früchte oben im Mittelpunkte der breiten Blätter an. Wie Beeren an einer Traube, wachsen diese Fruchtstengel gerade in die Höhe, eine Unzahl winzig kleiner Nüsse tragend. Von diesen bildet sich ein Theil aber rasch aus, wird größer und größer, setzt eine grüne Schale an, füllt den sich langsam erhärtenden Kern mit einem süßen, kühlen Wasser und fällt endlich, wenn sie nicht gepflückt wird, ab, um neu Heranwachsenden Raum zu geben. Die Kokospalme zeigt, eben so wie die Orange, das wunderliche Bild eines Baumes mit Blüthe und Frucht zugleich, und so reichlich und ununterbrochen trägt sie das ganze Jahr hindurch, daß nur wenige Bäume einem Menschen zu vollständiger Nahrung dienen könnten, auch in manchen Fällen wirklich dienen. Im »gefährlichen Archipel« z. B., den meine junge Leser auf der Karte östlich von den Gesellschafts- und Georgsinseln finden können, bestehen die Inseln fast allein aus Korallen, die sich erst vor Kurzem aus dem Meere erhoben haben, und tragen beinahe als einzigen Fruchtbaum die Kokospalme. Die Insulaner dort leben denn auch nur von Fischen und von den Kernen dieser Palme, und da auf sehr vielen Inseln gar keine Quellen frischen Wassers bestehen, so sind sie auf den Saft dieser Früchte, von dem jede Nuß, wenn sie noch nicht ganz reif ist, eine reichliche halbe Flasche liefert, als auf ihr einziges Getränk, angewiesen. In der Regenzeit können sie allerdings auch das Regenwasser sammeln, da es aber manche Monate im Jahre gar nicht regnet, so wäre dies eine sehr ungewisse Hülfsquelle.

Einer der wichtigsten Bäume für die Südsee-Inseln – wenn auch mehr für die südlicher gelegenen Gruppen als die Sandwichs-Inseln – ist jedenfalls der Brodfruchtbaum.

Er trägt große runde Früchte von vier bis sechs, auch wol sieben Zoll im Durchmesser, die roh allerdings nicht genießbar sind, wie etwa unsere Kartoffeln, geröstet und gebacken aber einen mehligen vortrefflichen Geschmack haben und das Brod in jeder Hinsicht vollkommen ersetzen. Die großen handähnlichen Blätter geben ihm dabei ein gar eigenthümliches Ansehen, und die Natur hat in diesen beiden Bäumen dem Bewohner jener Landstriche eigentlich Alles verliehen, was er zu seinem Lebensunterhalte braucht.

Während die Bewohner der südlichen Gruppen fast ausschließlich von dieser Frucht leben, zieht sich indeß der Sandwichs-Insulaner mehr die schon vorerwähnte Tarowurzel, ein Sumpfgewächs, das in kleineren Teichen angepflanzt und dessen Mehl einer gewissen Gährung unterworfen wird, um es dem Geschmacke der Menschen angenehm zu machen. Sie bereiten einen Brei daraus, den sie Poë nennen und mit den Fingern essen. Ihr dritter Finger der rechten Hand hat davon sogar den Namen Poefinger erhalten. Aber auch die Anpflanzung dieses Nahrungsmittels erfordert sehr wenig Mühe und Arbeit, die erste Anlage vielleicht ausgenommen, und ein einziger damit bepflanzter Acker ist im Stande, Jahr ein und aus eine starke Familie fortwährend und allein zu ernähren.

Nun werfen wir den Leuten dort nicht selten vor, daß sie faul wären und Nichts arbeiteten, doch mit welchem Grunde? – Gott selber setzte sie in ein Paradies, ohne sie mit einer verbotenen Frucht zu beunruhigen und zu verführen, mit einem Klima, das jeder körperlichen und geistigen Anstrengung von vorn herein widerstrebt, mit einem Boden, welcher der allergeringsten Mühe die reichlichsten Früchte bietet; weshalb sollten sie sich quälen? weshalb sich anstrengen? – Daß die Weißen unablässig arbeiten – gut, das ist ihre Sache, und wenn es ihnen Freude macht, warum sollten sie es nicht thun? Sie selber fühlen aber kein Bedürfniß, sehen auch die Nothwendigkeit nicht ein, und waren ja bis jetzt ohne Arbeit auch froh und glücklich. Aber das half ihnen Nichts. Der Cultur entgingen die Armen nicht.

So hat man sie, wie man es jetzt nennt, civilisirt, aber mehr als die Hälfte der Bevölkerung, ja auf manchen der Sandwichsinseln sogar drei Viertheile derselben, sind darüber untergegangen und vom Erdboden verschwunden. Alle möglichen Laster hat der übrig gebliebene Theil kennen gelernt und eine fast nur äußerlich religiöse Form hat ihnen keinen Ersatz für das Verlorene bieten können. – Nach einem halben Jahrhundert wird man ihren Namen kaum noch kennen, denn die letzten der Stämme werden von der Erde verschwunden sein.

An jenem Abend setzte sich Barthels zu Carl vorn auf das Vorcastle und erzählte ihm von den Gruppen dieser Inseln, die er selber auf früheren Reisen schon besucht und dann und wann auch betreten hatte. Mit den Seeleuten ist es aber eine eigene Sache, denn, fest an ihr Schiff gekettet, bekommen sie von fremden Ländern und Welttheilen, die sie besuchen, selten mehr als die Hafenorte zu sehen, und oft selbst diese nur oberflächlich. Die See ist ihr Element, das Schiff ihre Heimath, und da es ihrer Sorge anvertraut ist, so dürfen sie es auch nicht verlassen. Ja, machen sie wirklich einmal kleine Streifzüge durch das Land, die sich dann immer nur auf die Nähe des Hafens beschränken, so läßt sie die Sorge um ihr Schiff selbst dieses Vergnügen nicht mit Ruhe genießen, das ihnen sonst Freude machen und das einförmige Leben der Seefahrt gewiß angenehm unterbrechen würde.

Auch das hatte sich Carl ganz anders gedacht. Was half es ihm jetzt, daß er die halbe Welt umschifft hatte und an dem ersten Ziele ihrer Reise angekommen war? Er durfte es nicht einmal betreten, und wenige Tage später pflügten sie wieder mit dem Kiel ihres Schiffes die weite See, noch ferneren, noch abgelegeneren Ländern zu, um, dort angelangt, vielleicht eben so fest an Bord gebannt zu sein als jetzt. Und deshalb hatte er sich aus der Heimath fortgewünscht? – deshalb das Leben an Bord eines Schiffes als das Ziel seiner Wünsche betrachtet? – Lieber Gott, das geht so in der Welt; unsere Jugend ist voller Hoffnungen und Träume, und Alles scheint unseren jungen Herzen von dem rosigen Lichte des Morgens überhaucht. Steigt die Sonne einmal höher und brennt sie uns auf den Scheitel, dann bekommt das Alles ein allerdings viel mehr nüchternes, aber auch viel wahreres Ansehen, und sind wir nur über die erste Enttäuschung weg, so lernen wir uns auch in das Andere finden.

Nur eine Freude hatte Carl jetzt, einen Trost auf seiner langen Fahrt, nämlich doch von hier aus wenigstens einen Brief nach Hause, an seine Aeltern befördern zu können und ihnen Nachricht von sich zu geben, daß er lebe und gesund sei, auch in einiger Zeit hoffen dürfe, reuig in ihre Arme zurückkehren zu können. Er schilderte ihnen die Vorgänge des letzten Abends in der Heimath, das Auffinden des Schwimmenden und seine Rettung durch das Schiff und bat sie, dem Sohne nicht zu zürnen wegen dieses einzigen Fehltritts, sondern ihm zu verzeihen; ach! er hatte ja schon so schwer dafür gebüßt!

Wenn sie hier fremde Schiffe träfen, so war ihm vom Capitain allerdings versprochen worden, ihn gleich von hier ab mit nach Hause zu schicken. Aber nur zwei Wallfischfänger lagen im Hafen, Schiffe, wie sie, bestimmt, die nördlichen Meere aufzusuchen, und an Land hätte er nicht bleiben können, da er Nichts in der Welt besaß, davon zu leben. Als er so trübsinnig da saß, lachte ihn aber Barthels aus, erzählte ihm von dem interessanten Fange der echten Wallfische, dem sie jetzt entgegengingen, von Eisbären und Kamtschadalen, Seehunden und Wallrossen, daß er seine Trauer endlich vergaß – aber freuen konnte er sich doch nicht mehr darüber.

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