Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Puck

Sehr beschaulich war das Dasein um die Weihnachtszeit auf dem Gebirge, sehr beschaulich. Manchmal fielen die Wolken vom Himmel und woben den Wald ein. Dann geisterten die Eulenrufe zwiefach gespenstisch hindurch. Manchmal waren alle Lichter droben angesteckt wie an einem richtigen Christbaum. Dann war es klingend kalt. Und manchmal wirbelten die Flocken dicht und groß. Ein andermal trieben sie klein und hart im Sturme wie sandfein gestoßenes Glas und klirrten wider die Stämme. Das mußte man sich im Kauzenhaus dann durch das Fenster hindurch betrachten. In den Tagen, in denen der Schnee fußdick auf den Ästen lag oder die Bergbäume gar einhüllte in weiße dicke Pelze, in diesen Tagen hatte Kikimora den Meistersinger und seine Braut häufig zu Gast in ihrem Häuschen. Sogar als Logierbesuch. Das war recht kurzweilig; denn Gimpels waren verträgliche Leute und ohne Falsch.

Hans Sachs gab freundwillig ein Stücklein nach dem andern zum besten. Aber die große Nummer seines Programms war ›Die schöne Witwe‹. »Sehen Sie,« sagte er zu Kikimora, »das ist es, was ich an Ihnen so schätze: sie achten die menschliche Kultur. Man darf so etwas nicht einfach von der Hand weisen, wie die meisten von uns Vögeln. Ich bin froh, daß ich etwas gelernt habe. Es kommt uns doch in dieser harten Zeit zustatten. Und finden Sie nicht auch: man übersteht die Tage der schmalen Kost viel leichter mit solch einer Freude an der Kunst?« Dann sang er ›Keinen Tropfen im Becher mehr, und der Beutel schlaff und leer, lechzend Herz und Zunge …‹ Es war hübsch.

Von den Freunden ihres Hauses stellte sich der Kauz Puck am häufigsten bei Kikimora zu Besuch ein. Er kam fast in jeder Dämmerung. Hans Sachs und seine Frau schliefen da schon, und er konnte mit Kikimoren unbelauscht von der Zukunft reden.

Schwärmerisch war Puck nicht veranlagt. Aber er hatte eine tapfere, aufrechte Art und ging gerade auf sein Ziel los.

»In den ersten Februartagen fällt meist ein Tauwetter ein,« sagte er. »Ich denke, wir halten da gleich Hochzeit.«

Puck hatte es eilig. Nun, Kikimora war das von den Männern gewöhnt. Im erwachenden Frühling ging es auch in diesen Dingen stürmisch zu. Aber zu einem Gelöbnis ihrerseits war es noch nicht gekommen.

Da geschah es, daß eines Abends in der Dämmerung ein fremder Kauz durch ihre Tür schaute. »Ich heiße Kilian,« sagte er. »Ich bin nicht ansässig auf dem Gebirge, sondern wohne draußen im blauen Lande in einem Feldholz. Kilian, ja. Seit Jahresfrist bin ich Witwer. Ich suche eine Frau.«

»Und da dachten Sie an mich?« fragte Kikimora. Es klang nicht unfreundlich. »Führt Sie der Zufall her?«

»Nicht eigentlich,« antwortete Kilian. »Ich hörte heute mittag an der Landstraße einen Gimpel singen ›Da drüben an der Ecke, wo die Omnibusse stehn, da wohnt die schöne Witwe, ja, die müssen Sie mal sehn …‹«

Das konnte stimmen. Hans Sachs hatte an diesem Tage mit seiner Braut eine Reise ins Flachland unternommen. Da drunten guckten schon die braunen Schollen aus dem Schnee, und die Haselbüsche an den Sonnenrändern hatten ihre Fähnlein herausgesteckt. Allerliebst. Noch winterlich und doch voll heimlicher Verheißungen! Hans Sachs war davon so beglückt worden, daß er gleich Hochzeit gehalten hatte.

Kilian, der seine Augen in Kikimoras Häuschen herumschickte, bemerkte die fröhlichen Hochzeiter hinten im Winkel sitzen. »Das ist ja vortrefflich,« sagte er, »ich bin also gerade vor die richtige Tür gekommen. Und was haben Sie zu meinem Antrag zu bemerken?«

Kikimora war in einer peinlichen Lage. »So ohne weiteres kann ich nicht ja sagen.«

»Ah, schon versprochen?«

»Das nicht. Aber ich habe über Winter mancherlei Beziehungen angeknüpft …«

»Ich bitt' Sie!« sagte Kilian. »Ich biete Ihnen doch viel freundlichere Verhältnisse. Bei uns im blauen Lande steht schon der Frühling vor der Tür. Hier ist noch alles steinhart gefroren …«

»Oh, darin täuschen Sie sich sehr!« rief in diesem Augenblicke Puck, der lautlos hinzugetreten war, während Kilian begehrlich den Kopf durch Kikimoras Tür steckte. »Sie bilden sich wohl ein, die Herzen der Leute vom Waldgebirge seien Eiskeller? Verlassen Sie augenblicklich die Gegend, oder …«

Das klang wild. Und Kilian war kein Freund von Raufereien. Sollte er es in diesem Falle darauf ankommen lassen?

»Wissen Sie,« sagte er, »der Ton, den Sie anschlagen, ist sehr unliebenswürdig. Glauben Sie, Sie könnten sich damit bei einer gebildeten Frau in Gunst setzen?«

Nun, ja, auch Puck erkannte: sehr ritterlich hatte er sich nicht benommen. Eher wie ein Raufbold. Und solch ein Behaben war seiner Sippe im allgemeinen fremd.

»Die Hauptsache ist, Sie haben mich verstanden,« sagte Puck und drängte sich neben ihn durch Kikimoras Haustür. »Ich habe hier ältere Rechte, und den Mann möcht' ich sehen, der solche Rechte nicht verteidigt.«

»Das klingt schon anders,« entgegnete Kilian. »Ich hatte allerdings angenommen, daß Frau Kikimora über ihr Herz frei verfügen könnte.«

»Das habe ich nicht gesagt,« erklärte Kikimora.

»Na also!« brauste Puck aus. »Heben Sie sich von hinnen, lieber Freund, oder ich mache Ihnen die Lage klar.«

Schade! Kilian war von Kikimoras Schönheit so berückt! Zwar nicht ganz verloren gab er seine Sache; aber das sah er wohl ein: auf einen Kampf konnte er es nicht ankommen lassen. Puck hatte möglicherweise eine Schar von Freunden im Bergwald sitzen. Und Kilian, der Fremdling, würde eine schimpfliche Niederlage erleiden.

»Nun,« sagte er, »ich achte die Überlieferung unseres berühmten Geschlechts. Schlägereien sind mir zuwider. Sie mögen das daraus erkennen, daß ich mitten im Bergwinter hierhergekommen bin. Das heißt: ich wünsche eine Frau zu besitzen, die mir aus innerer Neigung in mein Reich folgt. Dort bin ich nämlich ein König und führe den Namen Wichtel I. Kork der Rabe hat mich so genannt. Daraus können Sie auf das große Ansehen schließen, dessen ich mich erfreue. Mit den Raben werden Sie sich in Ihrer Gegend sicherlich nicht so gut stehen.«

Das Gespräch wurde noch geraume Zeit weitergeführt. Kilian flocht alles geschickt in seine Rede, was er Kikimora wissen lassen wollte. Vielleicht kam es einmal, daß sich, die Dinge hier oben änderten. Und als er sich verabschiedete, lud er Kikimoren herzlich, Ihren Verehrer formell zu einem Besuch im Feldholz ein.

Pucks Antwort kam fast einer Ablehnung gleich. Er hatte nicht die nötige Welterfahrung für eine solche Reise, und er war auch von der wäldlerischen Eigenart, die diesen Bergbewohnern nun einmal eigen ist. Kikimora dagegen sagte, es würde ihr eine große Freude sein, das Reich an den silbernen Seen kennenzulernen, in dem Wichtel residierte. Nach der eingehenden Beschreibung, die Kilian gegeben hatte, konnte sie den Weg kaum verfehlen. –

Puck war ein sehr kampflicher junger Mann. Er hatte noch kein Liebesverhältnis gehabt. Deshalb konnte er den Frühling gar nicht erwarten. Kikimora hingegen wäre nicht ungern mit Kilian in ein wirtlicheres Land gezogen. Das sagte sie Puck nicht geradeheraus; aber er fand sie in diesen Tagen oft recht nachdenklich. Der lange Bergwinter verstimmte sie. »Es ist auch nicht gut, wenn der Mann jünger ist als die Frau – das mußt du bedenken, mein Freund …«

»Ach, Unsinn!« brauste Puck auf. »Ich fühle den März in allen Gliedern und habe keine Lust, die Hochzeit wegen solcher Vernünfteleien aufzuschieben.«

Es kam zu einer Auseinandersetzung. Puck war stürmisch. Puck war verliebt. Und Kikimora konnte seinem jungmännlichen Werben nicht widerstehen. Sie richteten die Kinderstube ein.

»Puck,« sagte sie, »es ist noch sehr früh im Jahr. Du solltest auf mich hören. Ich halte auch die alte Eiche nicht für zweckmäßig, ihr hilflose Kinder anzuvertrauen. Ich wette, sie wird nur an ein paar Ästen Blätter treiben. Sie ist im Sterben. Und wenn die Stürme kommen …«

Puck ließ sie aber nicht ausreden. Er behauptete, sie kenne ja die Gegend viel zu wenig, um das beurteilen zu können. Da mußte sich Kikimora fügen.

Sie legte vier Eier. Es war erst Ende Februar.

Vier Eier? Das war ihm zu wenig. Dann brütete sie. Es ging schon gegen die Mitte des März. Da kam eine gruselige Nacht, so wild, so voll brüllender Stürme, daß der Bergwald stöhnte. Es war, als wollten die Felsen stürzen.

Aber die Felsen standen. Nur die Eiche, die Eiche brach mit schmerzlichem Klagen unter der Wucht des brausenden Vorfrühlings zusammen. Ein armseliger Stumpf ragte in der Morgendämmerung aus dem Gestein. Die Eier, die Kikimora schon länger als zwei Wochen hingebungsvoll bebrütet hatte, lagen in Scherben.

Sehr traurig saß Kikimora in der Nähe in einem dunkelen Fichtenwipfel und schwer grollend. Denn wiewohl Puck an dem Unglück nicht die Schuld trug: er hatte doch darauf bestanden, die Wohnung in dem morschen Baume zu behalten. Und als er im Grauen des Morgens angeflogen kam, schrie er in Zorn und Schmerz laut auf. Er setzte sich nieder auf den gespällten Stamm und betrachtete sich die Trümmer, die von seinem Glücke geblieben waren. Schrecklich.

Da schnellte ein Wiesel unter dem gefällten Waldriesen hervor. Es hatte schon den weißen Winterrock ausgezogen und sah aus wie der Grund zwischen den Fichten. In seinem Jammer bemerkte es Puck gar nicht. Ein kurzer Kampf entbrannte. Federn stoben. Dann fühlte er die nadelfeinen Fangzähne an seiner Kehle. Vorbei – vorbei war es mit Puck. Ehe Kikimora den Warnungsruf hinausschicken konnte, war es um ihn geschehen. Aus dem Fichtenwipfel strich sie hernieder. Ein paarmal umkreiste sie den Ort der Tat. Mit harten Flügelschlägen suchte sie den Mörder zu vertreiben. Vergebens. An Pucks Herzblut trank sich der Frevler satt. Und den Leichnam ließ er liegen.

Allerlei Unzeug, das des Weges zog, machte sich damit zu schaffen. Zuletzt kamen ein paar Totengräber mit gelben Binden. Die schaufelten den verwetterten Leib in die Erde. Es war ein mühseliges Werk.


 << zurück weiter >>