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Mitternacht auf dem Ölberg

Wunderschön war diese Südnacht.

Während Kikimora so dahinstrich, tauchten plötzlich Lichter in der Ferne herauf. Die blühten an einem Berge.

Und Kikimora kam in den Garten Gethsemane, der bei Jerusalem ist, und sah das Scheinen der Lampen in der hochgebauten Stadt.

Auf dem Ölberge fand sie es sehr angenehm. Fledermäuse jagten da, und dicke Schmetterlinge ratterten durch die silberne Finsternis wie Automobile mit leuchtenden Augen. Mächtige Kerfe surrten um die uralten Bäume. Der graue Wüstennachtschatten geisterte mit gespenstisch leisem Fluge dazwischen herum als Schutzmann. Hin und wieder stellte er die Personalien eines besonders lauten oder vierschrötigen Gesellen fest. Manchmal urteilte er ihn auch gleich ab. Die Zikaden sangen. Es war außerordentlich.

In der Nähe menschlicher Wohnungen siedelte Kikimora immer noch am liebsten. Und doch hatte sie von Menschen das größte Leid ihres Lebens erfahren. Beide – Menschen und Einsamkeit – mußten nebeneinanderstehen, dann war ihr wohl.

Im Scheine der Sterne wurden aus den gewundenen, knorrigen, von Menschenhänden ausgeschnitzten Stämmen der Ölbäume wunderliche Gestalten. Manche hatten Astlöcher; daraus leuchteten Morsch und Moder; und die Löcher wurden zu glühenden Augen. So etwas liebte Kikimora ganz besonders. Da und dort kletterten die Ranken einer Melone an einem Stamm empor, und der goldene Fruchtball hing still und schwer unter dem Silberlaube wie eine Bogenlampe. Eine davon wählte Kikimora zu ihrem Sitzplatz. Es war herrlich zu fliegen, herrlich zu rasten in dem rieselnden Lichte.

»Huhuhuhuuu!« rief sie aus tiefstem Herzen und schöner, als sie das je im Teufelsmoore hinter Bremen vollbracht hatte. Und »Huhuhuhuuu!« erklang von fern her der Widerhall. Oder war es gar kein Echo?

Kikimora probierte es noch einmal. Es ward ein Frage- und Antwortspiel daraus, wie es ferne Hähne oft durch die finstere Gasse der Mitternacht spielen. Auf einmal –

Breit und würdevoll schwebte ein Steinkauz heran. Er hatte die Nachtfahrerin mit scharfen Sinnen ausgekundschaftet.

»Ah, sehen Sie mal an!« sagte er und schwang sich auf dem Ölbaum dicht neben ihrem Sitz ein. »Sie sehen diesen Garten Gethsemane wohl als Jagdgründe für Freibeuter an?«

»Ich bin landfremd,« sagte Kikimora. »Doch gehören wir beide dem gleichen ritterlichen Geschlechte an. Es nimmt mich sehr wunder, daß Sie mich also zur Rede stellen. In meiner Heimat leben wir Steinkäuze nach anderen Grundsätzen.«

»Hier auch!« entgegnete der Herr mit dem gemütvollen Augenaufschlag. »Hier auch. Und dennoch bin ich erstaunt, Sie zu treffen. Es ist nicht Brauch, daß eine Dame in dieser Stunde ohne Begleitung an solch einer Stätte herumgeistert. Hier ist es nämlich nicht recht geheuer.«

Kikimora war von der Deutsamkeit seiner Rede gefesselt. Sie hatte darauf sehr viel zu antworten. Auch war sie herzlich froh, die Bekanntschaft des stolzen Fremdlings gemacht zu haben. Stolz, ja, was seine äußere Erscheinung anlangte. Seine Art, sich ihr gegenüber zu behaben, durchschaute sie jedoch. Das machte sie sicher. Er spielte sich ein bißchen auf und hatte dabei offenbar seine Absichten.

»Nun,« sagte sie, als sie sich den Herrn noch einmal ordentlich betrachtet hatte, »hierzulande fliegen die Eulen wohl am Tage? Und hier gehen die Damen nur in Begleitung? Und hier meiden sie Gegenden, in denen es nicht geheuer ist? Das ist bei uns daheim ganz anders.«

»Soso!« sagte der Kauz verlegen.

»Und nicht geheuer? Warum denn nicht?«

»Tja,« antwortete er, »es soll hier mal eine Geschichte passiert sein in altersgrauen Tagen.«

»Erzählen Sie! So etwas hör' ich gerne.«

»Bedaure – mit Einzelheiten kann ich nicht dienen. Ich dachte, meine Andeutungen würden Ihnen genügen. Übrigens: Gudru ist mein Name.«

»Kikimora!« stellte sie sich vor.

»Ich bin selbst erst seit einigen Tagen hier.«

»Sind Sie auch in Gefangenschaft gewesen?«

»Hä!« machte Gudru. »Wie man's nimmt, kleine Frau! Ich war von einer jungen Kauzin gefangen.«

»Huhuhuhuuu!« lachte Kikimora. »Welch ein niedliches Wortspiel! Na, und?«

»Wie das so geht im Leben! Nach kurzer glücklicher Ehe ist sie – mir abhanden gekommen.«

»Und nun haben Sie sich aufgemacht, sie zu suchen? Glauben Sie denn … äh – wir sind in unseren Ehen nicht nur sehr zärtlich, wir sind auch sehr treu. Auf wenig andere Geschlechter trifft es, soviel ich weiß, zu, daß nur der Tod solch ein Bündnis scheidet.«

»Ganz recht, liebe Kikimora,« antwortete Gudru mit sanft verschleierter Stimme, »und so muß auch ich annehmen, daß der Meinigen etwas geschehen ist. Wir werden uns nie wiedersehen. Huhuhuhuuu!«

»Tja,« sagte Kikimora und schupfte die Schultern, »so etwas ist natürlich schmerzlich. Aber es muß getragen werden. Ich bin mir nur über eins nicht klar: wenn Sie selbst der Meinung sind, daß Ihre Frau verunglückt ist, warum zogen Sie denn aus, sie zu suchen?«

»Na, eigentlich nicht deshalb,« bekannte Gudru. »Ich wollte mich ein wenig zerstreuen, wollte etwas erleben. Und dann: da man doch nicht ewig Witwer bleiben kann, so gedachte ich das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Sie verstehen! Ich stamme nämlich vom Berge Horeb. Der ist da unten auf der Halbinsel Sinai und ist ebenfalls umwoben von mancherlei Geschichten aus alter Zeit. Heut ist ein Kloster oben. Sehr interessant, überhaupt, die ganze Gegend! Ungeheuer romantisch, zerklüftet, wolkenumjagt, genau wie in biblischen Zeiten. Sie sollten mal sehen, wenn da ein Gewitter ist! Donnerwetter! Haben Sie nicht Lust, Kikimorchen, sich dies Naturschauspiel aus der Nähe zu betrachten? In Ihre Heimat können Sie doch nicht ohne weiteres wieder abreisen. Ich wette, Sie würden den Weg gar nicht finden. Und wer weiß … Ihr Mann ist sicherlich der Meinung, Sie weilen längst nicht mehr unter den Lebenden. Recht wunderliche Erfahrungen könnten Sie machen, wenn Sie jetzt heimkämen …«

»Mein Mann?« sagte Kikimora mit gedämpfter Stimme. »Ich habe keinen Mann. Huhuhuhuuu! Denken Sie, eines Morgens hat die schwarze Katze Binne seinen Rock und Hut am Moorgraben gefunden. Huhuhuhuuu!«

»Das ist freilich eine verteufelte Geschichte,« sagte Gudru. »Und eine Katze? Na, hören Sie, wenn die ihn nur nicht selber überfallen hat!«

Sehr nachdenklich wurde Kikimora. »An diese Möglichkeit hab' ich noch gar nicht gedacht!« rief sie. »Aber nein, das ist ja undenkbar! Wie oft hat sie mich in meinem Hause besucht! Und stets war sie von einer Liebenswürdigkeit …«

»Nun,« entgegnete Gudru und zog die rechte Schulter hoch, »das eine schließt das andere nicht aus. Und eine Katze bleibt eine Katze.«

Das war ein sehr tiefsinniges Wort. Kikimora sagte: »Sie haben mich da auf einen Gedanken gebracht – schrecklich! Ich habe gar keine Lust mehr, wieder nach Hause zu kommen.«

»Das kann ich begreifen. Auch Sie haben etliche Tage der Zerstreuung nötig. Fürchterliches haben Sie durchgemacht in den letzten Monaten. Und da Sie landfremd sind, werde ich mir ein Vergnügen daraus machen …«

»Sehr liebenswürdig,« sagte Kikimora.

»Siehst du wohl!« rief er und richtete sich empor wie ein Sieger. »Wir reisen also zu gelegener Zeit zu meinem Berge! Da werden sie staunen! Ich habe hier in der Nähe eine recht angenehme Wohnung, in der alten Stadtmauer von Jerusalem. Tja, meine Teure! Na, und wenn es dir in unserem Lande gefällt, so können wir ja im nächsten März Hochzeit halten. Oder gleich nach Weihnachten. Ich glaube, das ist noch empfehlenswerter.«

»Nicht so stürmisch, mein Lieber,« sagte Kikimora. »Es ist nur gut, daß ich schon ein paar Tage unterwegs bin. In dem Zustande, in den ich auf dem Schiffe geraten war, hätte ich dir sicherlich nicht gefallen.«

Dabei zupfte sie kokett an ihrem Brustlatz. Vom Sternenlichte schimmerte ihr Federkleid – wie einst. Und vom Lichte der Liebe schimmerte ihr Herz – wie einst, wie einst!

Da krähte der Hahn zum erstenmal. Und sie spielten das alte Kauzenliebesspiel ›Komm mit!‹ zwischen den breiten glitzernden Ölbäumen hindurch. Dabei aßen sie die herrlichsten Dinge, die zu haben waren, sogar einen Oleanderschwärmer und zwei große Seidenspinner mit leuchtenden Halbmonden auf den Flügeln.

Und als der Morgenhahn zum andern Male krähte, flogen sie zu dem Zimmer, das Gudru in der Stadtmauer noch für einige Tage gemietet hatte. Jahrhunderte waren daran vorübergestrichen. Von Stürmen und Regen war das Steinwerk zerschlissen. Kikimora war begeistert. Wenn man durch die kleine Pforte getreten war, so gelangte man in einen Seitengang. Der führte in das trauliche Brautgemach. Dahinein fand sich nicht einmal der Tag.

Seit dem Aufenthalt in Mutter Wöbkes Moorhütte hatte Kikimora nicht so tief und köstlich geschlafen. Aber nun war sie in Jerusalem. Wunderlich spielte das Schicksal.


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