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Walpurgis

Die Nacht war eine Vase aus dunkelblauem Glas, und die silbernen Blumen der Sterne blühten darin.

Die Hütte, in der Kikimora wohnte, stand in einem Eichenschlag, tief im Teufelsmoor, und war mit Rohr gedeckt. Unter dem dicken Dache war es im Winter köstlich warm gewesen. Kikimora konnte also schon Ende März daran denken, sich eine Kinderstube einzurichten. Da hatte der Sturm aus Westen noch in den kahlen Eichbäumen gebraust, und große Regenkugeln waren hindurchgeschlagen. Herrlich war das anzuhören! Deshalb lachte Kikimora oft hinein in das nächtliche Dröhnen. Huhuhuhuuu! Recht schauerlich hatte das geklungen.

Auch heute in der Walpurgisnacht lachte Kikimora droben aus ihrem Giebelfenster. Binne, die schwarze Katze, stellte auf ihrem Rundgange durch die Hütte die Ohren und lauschte. Dann schlüpfte sie durch das Katzentürchen und kletterte draußen an der Giebelseite hoch; denn Kikimora wohnte gerade über der Haustür. Der Eingang zu ihrer Dachstube war das Eulenloch.

Es war nicht ganz einfach, da hinaufzukommen, wenn man keine Flügel hatte. Zum Glück war der Lehmputz am alten Fachwerk seit Jahren bröckelig.

»Guten Abend, Nachbarin Kikimora,« sagte Binne, »ich hörte soeben, daß Sie zu Hause sind.«

»Huhuhuhuuuu!« lachte Kikimora und verzog das Gesicht. Darin war sie Meisterin. Die seltsamsten Grimassen konnte sie schneiden. Die waren so beredt, daß sie kein Wort zu sagen brauchte.

Diesmal brachte sie damit ihre Überlegenheit zum Ausdruck. Binne verstand.

»Sie finden, meine vier Beine seien eine recht fragwürdige Einrichtung. Auch mein Rock aus Haaren sei viel unpraktischer als Ihr Federkleid. Aber …«

»Huhuhuhuuuu!« lachte Kikimora. »Sie haben schon oft versucht, mich zu überzeugen, daß Sie eine ganz vortreffliche Erfindung seien! Ich kann das nicht anerkennen, liebe Nachbarin.«

Das Gespräch war lang, aber durchaus liebenswürdig; denn die Steinkäuzin Kikimora und die schwarze Katze Binne waren von Kind an die besten Freundinnen.

Überhaupt: in der einsamen Moorhütte herrschte ein inniges Zusammenleben. Ein paar gelbe Hühner waren da; Klara die weiße Ziege; zwei Ringelnattern, die in dem Düngerhaufen wohnten und jeden Abend ein Schälchen frische Milch zu trinken bekamen; und zuletzt: Mutter Wöbke, eine alte Menschenfrau, die ihnen die Milch gab.

Ihr gehörte die Hütte. Und diese Hütte hatte einen einzigen Raum. Auf der einen Giebelseite trat man hinein. Da lag gerade gegenüber ein Fenster aus Butzenscheiben. Der Fußboden bestand aus gestampftem Lehm. In der Mitte auf ein paar Klinkersteinen schwelte ein Torffeuer unter einem rußigen Kessel. Links vorn stand die Ziege. Links hinten das Bett von Mutter Wöbke. Rechts vorn schliefen die Hühner, und rechts hinten – rechts hinten schlief in der Regel niemand. Aber eine Bettstatt befand sich auch dort. Die war für Mutter Wöbkes Sohn, für Hinnerk den Seefahrer. Der war schon jahrelang nicht nach Hause gekommen. Aber im März hatte er einen Brief aus Westindien gesandt: im Mai wollte er Muttern von Hamburg aus besuchen.

Nun redete die in den langen, einsamen Tagen immer nur von Hinnerk, bald einmal mit der Ziege, bald mit Binne der Katze. Und wenn sie in der Dämmerung den beiden Hausschlangen die Schale Milch vor die Tür stellte, dann erzählte sie auch diesen von Hinnerk dem Seefahrer.

Ja, so war das. Mit wem sollte die alte Frau sonst auch reden? Manchmal mit dem Sturm, wenn der so heftig gegen die Butzenscheiben klirrte. Aber das war nur ein Notbehelf; denn der Sturm hörte das gar nicht. Und wenn sie in ihrem breiten Platt so vor sich hinsnakte, war der schon weit hinausgelaufen ins Moor. Hatte er es ganz eilig, dann mußte er wohl drei Minuten über die braune Ebene hasten, ehe er wieder an das Fenster einer Menschenwohnung pochen konnte. So einsam war die Welt um Mutter Wöbke.

Mit Binne der Katze unterhielt sie sich am meisten. Mit den Hühnern wollte ein Gespräch nie recht in Fluß kommen. Es drehte sich höchstens um das bißchen Essen.

Hin und wieder machte auch Kikimora einmal ihre Aufwartung in der Hütte. Sie pflegte sonst zwar erst in der Dämmerung auszugehen; aber selbst an den hellsten Tagen herrschte um Frau Wöbke ein heimeliges Zwielicht. Man fand sich darin gut zueinander. Kikimora setzte sich dann immer auf eine Stuhllehne, ließ sich von Binne etwas vorschnurren und sah zu, wie Mutter Wöbke strickte.

Wenn Kikimora da war, redete Frau Wöbke nur mit ihr. Sie gab ihr auch weichen Buchweizenpfannkuchen zu essen. Den fand Kikimora nun ganz schmackhaft, denn im Winter war vier Wochen lang in allen Nächten ein so wüstes Gestöber und Gestürme gewesen – nein, eine anständige Eule hatte da beim besten Willen nicht ausgehen können. Und Kikimora gewöhnte sich an jene Hausmannskost. Des Nachts aber hatte sie zu ihrem Giebelfenster hinausgeguckt und ihr gespensterhaftes Lachen in die heulende Finsternis gelacht.

Wie gesagt: mit der schwarzen Katze Binne verstand sie sich ausgezeichnet. Aber den ganzen Monat April hindurch hatten sie sich nur flüchtig gesehen; denn erstens hatte Kikimora in den letzten vierzehn Tagen scharf zu tun gehabt – sechs Kinder machen Arbeit, namentlich wenn der Mutter die Pflege ganz allein überlassen bleibt; zweitens: auch Binne die Katze hatte drei Kindern das Leben geschenkt; und drittens: sie streifte des Nachts nicht gern im Moor herum. »Was wollen Sie?« sagte Binne. »Soll ich mir die Sache nicht bequemer machen? Frau Wöbke richtet mir ja das schönste Leben! Und das Wetter war wahrhaftig nicht sehr einladend die ganze Zeit. Für heute freilich hatte ich mit meinen Kindern den ersten nächtlichen Ausgang geplant. Was meinen Sie dazu?«

»Huhuhuhuuu!« lachte Kikimora. »Welch ein sonderbares Zusammentreffen! Eben deshalb finden Sie mich noch daheim! Ich führe meine sechs heut ebenfalls zum erstenmal aus. Das ist nicht so einfach wie bei Ihnen. Ich habe die Sache schon seit der Dämmerung vorbereitet.«

Binne die Katze konnte keins der Kauzenkinder sehen; denn es führte von der Stelle, auf der sie sich unterhielten, ein Gang nach einer Kiste. Darin war die Kinderstube. Kein Lichtstrahl fiel hinein, und es war ordentlich warm darin.

Ein glücklicher Stern hatte nicht über Kikimoras Ehe gestanden. Sie hatte ihren Mann kaum vier Wochen gehabt. Während sie brütete, war er von einem Morgenfluge nicht heimgekehrt. Offenbar hatte er sich dabei verspätet; denn Binne hatte vor einigen Tagen seinen zerrissenen Rock und Hut draußen am Moorgraben gefunden. Das deutete darauf hin, daß ihn nicht der Fuchs überfallen, sondern daß ihn der Sperber geschlagen hatte. Der pflegte in dieser Jahreszeit sehr früh aufzustehen.

Nun hatte Kikimora die Sorge um die Nachkommen allein. Und zu einem Schwätzchen mit Binne war ihr nicht viel Zeit geblieben.

Mir jedem Stücklein Weg, das die blanke Barke des Mondes emporschwamm, ward die Nacht köstlicher, blauer, lenzhafter. Am Abend waren es nur Felder silberner Sternenblumen gewesen. Nun blühte der ganze Himmel! Es knisterte in den Torfgründen von erwachendem Leben. Eine Heidelerche jubilierte sich klingend und wunderbar hinauf in die glasblaue Nacht. Frühling, o Frühling!

In keinem Menschenhause, soweit das Auge reichte, brannte noch ein verspätetes Licht. Kikimora schaute prüfend hinaus.

»So, liebe Nachbarin,« sagte sie, »es ist für mich nun die höchste Zeit. Ich habe mich gefreut. Auf Wiedersehen.« Damit komplimentierte sie die Katze hinaus. Die hatte Mühe, an der bröckeligen Lehmwand wieder hinabzusteigen.

Kikimora aber schwang sich in den Wipfel einer Eiche und rief: »Kommt mit! Kommt mit! Kommt mit!«

Nicht lange, so guckten die Kinder nacheinander durch das Flugloch hinaus in die Nacht. In sehr erregter Unterhaltung waren sie. Ihre Augen mußten sich erst an das schimmernde, fremde Mondlicht gewöhnen, wenngleich es gar nicht so hell war. Und dann wunderten sie sich über die merkwürdige Welt. Mutter Kikimora konnte doch nicht im Ernste verlangen, daß sie da hinausgingen! Nein, so etwas!

Bei Binne und ihren Kindern war die Sache wesentlich einfacher. Die waren im Bette Hinnerks des Seefahrers auf die Welt gekommen und hatten dort sehen und spielen gelernt. Es waren nur ihrer drei, schwärzer als eine Novembernacht. Aber Augen hatten sie heller als Sommersterne.

Wie kleine Teufel fuhren sie nun im welken Laub herum. Alles wackelte, raschelte, gespensterte so herrlich um sie her. Und Mütterchen Binne war lustig zwischen ihnen wie eine Maikatze. Sie wirbelte graue Blätter in die Luft, trieb eine gelbe Hühnerfeder vor sich her und stöberte ein Mäuslein auf! Gleich tobte die wilde Jagd hinter dem kleinen Dinge drein. Natürlich, an ein Entkommen war nicht zu denken. In seiner Todesangst rannte es an allen Türen in der Erde vorbei, und Binne hatte es schon dermaßen im Rücken gezwickt, daß ihm für einen Augenblick Hören und Sehen vergangen war. Dann aber ließ sie es wieder laufen. Und wenn es einmal leise pfiff, so kugelten sich die drei schwarzen Teufel vor Lust im Laub und schlugen mit ihren Krallen nach ihm. Darüber wollte der Maus das Leben vollends auslöschen. Desto toller trieben es die Höllenkinder. Recht als ein Fußball schnellte das arme Ding zwischen ihnen herum. Endlich ergriff es einer mit seinen heißen Zähnen und zerbrach ihm das Rückgrat. Aber verschlingen durfte er es nicht. Sie hatten ihre Sache alle drei gleich gut gemacht. Darum teilte Binne die Beute. Es war herrlich!

Kikimora auf dem Eichenaste schrie immerzu: »Kommt mit! Kommt mit!« Sie hatte die Maus im welken Laube schon erspäht, ehe die Katzen sie geahnt hatten. Und Kikimora hätte sie gern ihren Kindern zukommen lassen. Aber die stellten ihre mütterliche Geduld auf eine wahrhaft harte Probe. Hundertmal hatte sie nun schon gerufen – keins der Kleinen wagte sich heraus.

»Na, Frau Nachbarin!« rief Binne empor zu ihr. »Es scheint, wir auf unseren vier Beinen setzen uns mit dem Dasein doch leichter auseinander.«

»Täuschung, meine Liebe!« antwortete Kikimora (ein bißchen ärgerlich klang es nun doch). »Ihre sind schon vor vier Wochen ausgekrochen, meine erst vor fünfzehn Tagen.«

»Ausgekrochen!« sagte Binne verächtlich. »Sie scheinen sehr merkwürdige Vorstellungen von uns zu haben.« – –

Es war Walpurgisnacht. Walpurgisnacht im Teufelsmoor.

Im welken Laub unter den Eichen trieben drei kleine Höllenkinder ihr wildes Spiel. Und droben im Astwerk lachte und lockte Kikimora die Waldhexe ihre Nachkommen. Mutter Wöbke in ihrem Bett aus Heidestreu fuhr darüber jäh aus dem Traume. Sie dachte: ›Nun ist der Hinnerk doch heimgekommen, und ich hab's verschlafen!‹ Seit vier Wochen hatte sie keinen anderen Gedanken gedacht, keine Hoffnung gehabt und keine andere Freude. Ein paarmal rief sie seinen Namen. Dann – eine halbe Minute lauschte sie hinaus und wollte das Herz anhalten in seinem fröhlichen, ungestümen Schlage. Da erkannte sie: eine richtige Teufelsbrut stürmte, juhute, kreischte, purzelte in der blauen Finsternis herum.

Ach nein, Mutter Wöbke entsetzte sich längst nicht mehr vor Stimmen in Nacht und Einsamkeit. Ganz heimlich lächelte sie sich wieder hinab auf ihr rotkariertes Kissen und zog sich die Wolldecke über die Ohren. »Teufelszeug!«

Kikimora indessen hatte ihre liebe Not. Wie scharfe Messer schnitten sich ihre Rufe nun ins Herz der Nacht. Endlich wagte sich eins der grauen Hexlein hervor, plusterte sein Federröckchen, breitete die Flügel, zweimal, dreimal, und schwang sich empor, erreichte den Ast mit Müh und Not.

»Huhuhuhuuu!« lachte Kikimora. Und weit draußen bei der Torfkule drückte sich der spürende Fuchs in das Gezausig und luste. Ein Höllenlärm begann um Wöbkes klein Hüsung.

»Kommt mit! Kommt mit! Huhuhuhuuu!« schrie Kikimora immerzu. Die fünf Geschwister des Hexleins zeterten durcheinander, flatterten dem ersten nach. Zwei kamen zu Fall und sparkten an der Erde im dürren Laub. Da quiekten die drei schwarzen Kätzlein vor Lust und begannen mit ihnen ein gefährlich wildes Spiel. Teufelsmutter und Hexenmutter waren augenblicklich zur Stelle. Und nun – hatte jedes raschelnde Eichblatt eine Stimme bekommen? Juhute jeder Eichenzweig mit in der schauerlichen Nachtmusik?

Da hupfte Mutter Wöbke drinnen aus ihrem Bett, schlüpfte in das kniekurze Röcklein, bekam den Ginsterbesen zu fassen und galoppierte hinaus in die blaue Finsternis.

»He, wat is?« kreischte sie. Bannig mit dem Kopfe wackelte Mutter Wöbke. »Hest Köm' (Kümmel) snökert?« pfiff sie die Katze Binne an. »Wer sopen hätt, möt sien Schmier kreegen!« Und damit hieb sie zwischen die fauchende Schar hinein. Natürlich hütete sich Mutter Wöbke, einem ein Leid zu tun. »Düwelstüg!«


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