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Hinaus in die Ferne

Lehren und Lernen! In den folgenden Nächten gab's Unterricht. Genau wie in der Menschenschule, nur mit dem Unterschiede, daß unter den sechs Hexlein keins faul war und keins nachsitzen mußte.

Es gäbe nicht viel zu lernen? Oh! Schon als Kikimora in der Morgendämmerung, in der die Walpurgisnacht unterging, zur Heimkehr blies, waren ihr die Hexlein dankbar, daß sie sie mitgenommen hatte. Wie wunderhübsch war doch das Leben!

Am liebsten wären sie noch ein großes Stück hinausgestrichen ins Moor, bis dorthin, wo der Uhu seinen Königsruf erschallen ließ. Aber dazu war heute keine Zeit mehr. Sie hatten auf der Mäusejagd zu lange zugebracht; denn das war ein Hauptspaß. An die achtzig Stück hatten sie erlegt. Irgendwo krähte schon der Morgenhahn, und noch immer stob der graue Schwarm traumleis über Borst und Heide dahin.

Schließlich baumte Kikimora auf einer Krüppelweide. Die sah aus wie ein Mann, der vor der Kühle der Nacht eine graue Pferdedecke fest um seinen Leib geschlagen hat. Auf dem Kopfe des niederen Stammes saßen sie nun alle beieinander.

»Aufgepaßt!« befahl Kikimora. Es mußte etwas sehr Wichtiges sein, was nun kam. So hart hatte sie noch gar nicht mit ihnen geredet. Auf einmal – Kikimora sperrte den Schnabel so weit auf, als wollte sie eins ihrer Kinder verschlingen. Sie streckte den Kopf nach vorn und nach unten. Sie klappte gefährlich mit den Augendeckeln. Sie beugte den Körper und schaukelte dabei von einem Bein aufs andere. Manchmal sah das schreckhaft aus, manchmal lächerlich. Ganz verwandelt war die kluge, ruhevolle Mutter. Und dann – entsetzlich! – sie würgte, sie schüttelte sich, ihr ganzer Leib zitterte, es schob sich eine dicke graue Raupe aus ihrem Halse! Dann noch eine!

»Sehr wichtig!« sagte Kikimora befriedigt und brachte sich in ihre natürliche Form. Viel Worte machte sie nicht. Über allem war der Morgen kaum grauer geworden, und doch wußten die Hexlein schon, um was es sich handelte. All die Mäusefelle und Knochen und was ein Eulenmagen sonst nicht verdauen mag, hatte sich zu diesem Gewölle geballt und war nun ausgeschieden worden. Natürlich hatten alle sechs gut achtgegeben.

Dann ging es an die Heimfahrt.

Es war ein gespenstisches Zwielicht, mehr Düster als Tag. Was über die dunkelbraune Moorebene ragte, nahm wunderliche Gestalt an. Graue Nebelschwaden woben sich aus den Torfkulen, spannen sich aus den Gräben, schleierten um die Weiden, wimpelten von Schilf und Rohr.

Selbst auf diesem Heimflug wurde gelehrt und gelernt. Da schnürte der Fuchs in guter Deckung seiner Burg zu und drückte sich an einen Büschel Heide. Er wollte eins der unerfahrenen Hexlein von der tiefen Flugbahn herunterholen. Aber Kikimora rief sie so hoch empor, daß der Raubgesell nur das Zusehen hatte. Sehr genau mußten sie sich den gefährlichen Rotrock betrachten. Dabei lernten sie über ihm rütteln wie die Falken und verhöhnten den Laurer. Gar zu gern hätte der ein Käuzlein gegessen! Aber er sagte: »Aus so minderwertigem Wildbret mach' ich mir nichts!«

»Huhuhuhuuu!« lachte Kikimora. Und: »Komm mit! Komm mit!« riefen alle Hexlein.

Jedennoch: Reineke hütete sich, dem lieblichen Locken zu folgen. Er hatte einen Mann im Morgengrau über die Moorheide stapfen sehen. Dem war nicht zu trauen. Das dumpfe Lachen Kikimoras und das pfeifende Rufen der Käuzlein drang nun auch zu den Ohren jenes Menschen. Deshalb hielt der an auf seinem Wandergange. Und siehe, schon kam der graue Flug dahergesegelt in Nebel und Dämmerung. »Komm mit! Komm mit! Huhuhuhuuu!«

Der Mensch stand an dem fußbreiten Pfädlein und sah aus wie jener Weidenstamm, auf dem Kikimora vorhin das Gewöll abgelegt hatte.

Und – man weiß ja, wie Kinder sind! – das älteste hätte es nun gern gemacht wie Mama. Es flatterte also oben auf den vermeintlichen Stamm und fing gleich an, sich von einem Bein auf das andere zu schaukeln. Diese interessante Sache wollten sich die Geschwister aus der Nähe betrachten.

Auf einmal hob der Stamm einen Arm. Es spreizte sich eine Hand. Die wollte sich langsam um das Hexlein auf der blauen Schifferkappe schließen … In der letzten Sekunde erkannte Kikimora die Gefahr. Und wie der Wind in ein Klümplein Federn, so blies der Schreck in den Schwarm der Käuze.

»Huhuhuhuuu!« Lachend ahmte der Mann das Heulen der Eulen nach. Es war Hinnerk der Seefahrer. Ein fröhlicher Heimkehrer, schritt er dem Tag und seinem Glück entgegen.

»Na, so etwas!« ärgerte sich das Hexlein, das den Mann nicht von dem Baumstamm unterschieden hatte. »Du hättest mich aber auch früh genug warnen können, Mutter!«

»Tja,« sagte Kikimora, »das ist nicht so einfach! Wir sind scheu, aber wir sind nicht vorsichtig! Unser ganzes Leben hindurch hängt uns das an. Erst im Spätherbst habe ich mich auf das Feuerrohr eines Jägers gesetzt, weil ich dachte, es sei der Ast eines Baumes. Man kann da leicht eine große Dummheit machen, Kinder!«

Während sie sich über den merkwürdigen Fall unterhielten, gelangten sie in den Eichenschlag bei Mutter Wöbkes Hüsung. Klara die Ziege schnökerte schon an den jungen Trieben im Borst herum. Also war auch Wöbke aufgestanden. Der Torfrauch quoll durch den Spalt der angelehnten Tür. Ein paar Stare, die in den Eichen den ersten Mai feierten mit Hei und Tralaleien, ein Rotkehlchen, ein Fink und ein paar Meisen hatten eine Auseinandersetzung mit den Käuzen. Die Meisen bliesen gleich zum Kampf.

»Sie,« sagte der Star zu Kikimora, »ich kenne Sie noch vom vorigen Jahr. Da waren Sie noch ein junges Mädchen, und ich habe Sie keineswegs in schlechter Erinnerung. Wenn Sie aber glauben, Sie könnten hier mit Ihrer Familie noch um Sonnenaufgang Ihr Wesen treiben, dann sind Sie sehr im Irrtum. Ich persönlich habe, wie gesagt, nichts gegen Sie. Für meine Freunde kann ich jedoch keine Gewähr übernehmen. Ich rate Ihnen, machen Sie sich davon; sonst gibt's womöglich noch eine Schlägerei.«

»Danke!« antwortete Kikimora. Es klang liebenswürdig. Und dennoch: jedes ihrer Worte und ihr ganzes Behaben hatte für die Tagvögel etwas Aufreizendes. »Ich dachte, das sollte sich ändern,« begann Kikimora wieder. »Sie können uns ja doch nichts machen; und wenn Sie unangenehm werden …«

»Bitte, keine Herausforderung!« mischte sich das gemütvolle Rotkehlchen ein. »Wir wissen genau, daß Sie uns hin und wieder auf Ihren nächtlichen Streifzügen halbflügge Kinder aus den Nestern rauben.«

»Ist mir niemals eingefallen!« sagte Kikimora. (Ob sie damit ganz bei der Wahrheit blieb?) »Unsere Leibspeise sind und bleiben Mäuse. Sie sprechen da einen Verdacht aus …«

»Reden Sie nicht so viel, liebe Frau!« rief der Fink. »Sie reden sich höchstens noch um Kopf und Kragen!«

»Ach, Sie kleiner Gernegroß,« sagte Kikimora, »weil Sie nachts nicht gucken können, verwechseln sie mich wahrscheinlich mit meiner Base, der Schleiereule, oder mit …«

An eine Einigung war nicht zu denken. Diese Taggesellen schrien dermaßen durcheinander – keiner konnte sein eigen Wort verstehen. Und eine Kohlmeise schwang sich Kikimoren keck auf den Rücken und klopfte ihr mit dem Schnabel den Rock aus. Es gab ein Mordsgeschrei.

Da machten sich die Käuze in ihr Loch über der Haustür.

Sogar Klara die Ziege hatte gemeckert. Sehr lebhaft und eindeutig. Das hatte aber einen andern Grund; denn um den Lärm der Vögel kümmerte die sich nicht. Dagegen fesselte sie die Erscheinung Hinnerks des Seefahrers. Mit der leuchtenden Sonne kam der über die Moorheide.

Und Mutter Wöbke ließ sich das von der weißen Ziege nicht zweimal sagen. Sie stieß die obere Türhälfte auf –

Und nun jauchze, jauchze, glückseliges Mutterherz! – –

Zwei Wochen später sahen die Hexlein aus wie die Hexe. Sie waren genau so groß. Sie konnten genau so sicher Mäuse jagen. Und sie fanden sich in der Welt zurecht, als wären sie darin gewesen von jeher. Die beiden ältesten hatten schon eine selbständige Wohnung in einem Bauernhofe für sich ausgesucht; denn auf die Dauer ward es ein bißchen eng in Frau Wöbkes Giebelkiste, und auch die Insekten machten sich dort mit der zunehmenden Wärme unangenehm fühlbar. Hinnerk und Wöbke, wenn sie in der lauen Dämmerung des Abends draußen auf der Bank neben der Tür saßen, beobachteten den Ausflug ihrer Käuze mit großem Wohlgefallen. Manchmal jubelte noch der Star im Eichenwipfel, da kam schon eins und das andere Hexlein heraus, drückte sich an den eulengrauen Stamm und hörte dem fröhlichen Sonnensänger zu. Hübsch war das. Und auch das Schauspiel, das sich am Westhimmel ereignete, war schön anzusehen, schön und rätselhaft. Es krochen da schwarze Ungeheuer hervor und verschlangen, was noch von der lichten Sonne am Himmel herumlag. Aber einmal –

Es war mitten im Tag und war eine Stunde, in der keine anständige Eule sich draußen herumtreibt. Da machte sich Hinnerk an der Wand der Kauzenkiste zu schaffen. Er hob mit dem Meißel ein Brett los.

»Na!« sagte Kikimora. »Huhuhuhuuu! Was soll das heißen?«

Etliche ihrer Kinder trippelten in den Gang. Da war es stockfinster. Sie dachten, sie hätten sich in der Zeit geirrt, und wollten hinausfliegen in die pechschwarze Nacht. Aber die Tür war verschlossen. Na!

Sie machten nun von allem Gebrauch, was sie für solche Fälle gelernt hatten. Sie schnitten die sonderbarsten Grimassen. Eins kehrte dem Seefahrer sein Gesicht zu, wiewohl es sich mit der Vorderseite gegen die Tür wandte, drehte die Nase also buchstäblich auf den Rücken. Alle legten ihre luftigen Federkleider straff an. Reckten sich auf. Wurden so steil wie ein Ast und auch so knorrig. Sie konnten sich die seltsamsten Stellungen verleihen und die Flügel wunderlich verrenken; da sahen sie aus, als wären sie von Holz. Und manchmal zischten sie wie die Schlangen.

Nun streckte Hinnerk die Hand herein. Um Kikimora schlang sie sich. Dann schlug er das Brett wieder fest. Und Kikimoren nahm er mit hinab in die Hütte. Er legte ihr ein Kettchen ans Bein. Dabei kniff sie ihn so herzhaft in den Finger, daß das Blut heraussprang und der Seefahrer ihr zu Ehren einen indianermäßigen Sprung ausführte. Aber es half ihr nichts. An das Kettchen fesselte er sie auf den Eichenast, den er zu diesem Zwecke hergerichtet hatte. Dann warf er ihr zärtliche Blicke zu.

Nun, Kikimora war von Natur aus liebenswürdig. Aber an eine Erwiderung seiner Zärtlichkeit dachte sie nicht. Er legte ihr eine tote Maus vor.

»Hä!« sagte sie und wandte die Augen verächtlich ab. »Tote Mäuse! Das fehlte noch!« Keine bessere Eule ißt Aas. Auch Buchweizenpfannkuchen rührte sie nicht an. Im Winter, nun ja, wenn man ein paar Tage gefastet hat! Aber jetzt …

Hinnerk hatte offenbar von den Gewohnheiten der Freundin seines Hauses keine richtige Vorstellung. Er beschäftigte sich viel mit ihr und freute sich an dem beredten Ausdruck ihrer Stimmungen, den sie in ihr Gesicht legte. Bald sah das hexenhaft und furchtbar erregt aus. Bald gleichmütig und müde. Jedennoch – –

Der Seefahrer wollte Kikimoren natürlich am nächsten Morgen mitnehmen auf das große Segelschiff. Bis nach Indien sollte sie mit ihm reisen. Aber unterwegs wollten sie in Beirut Ladung löschen. Und Hinnerk wollte bei dieser Gelegenheit einen Ritt auf dem Kamel nach Jerusalem machen. Dabei sollte sie ihn begleiten. Er dachte sich das offenbar sehr hübsch und romantisch. Ja, begleiten sollte sie ihn. Etwa auf der Achsel konnte sie ihm sitzen wie Wotan dem Waltenden die Raben. Oder wer weiß, wie er sich das ausmalte?

Doch: wenn sich auch nur ein Teil dieser bunten Reisegeschichte erfüllen sollte, dann hätte er sich eins von den Hexlein wählen müssen – und nicht Kikimora die Hexe! Die stand zwar auch erst im zweiten Lenz ihres Lebens, aber selbst der liebenswürdigste Mensch konnte von ihr nicht verlangen, daß sie die dunkelblauen Nächte ihrer Heimat vergaß und die Freiheit, in der sie sich hinausgeschwungen hatte unter die funkelnde Sternendecke.

Freilich: stundenlang hatte sie im Winter Mutter Wöbken Gesellschaft geleistet und hatte sie mit den Lippen und den Stricknadeln klappern hören. Stundenlang. Aber nun war das eine andre Sache. Kikimora betrachtete sich das Kettlein am Fuß, und sie betrachtete Hinnerk den Seefahrer und dachte: ›Einfältiger Kerl!‹

Unliebenswürdiger konnte sie nicht sein. Deshalb hatte Hinnerk auch das Vertrauen zu ihr, sie würde ihm in seinen meerumschauerten Einsamkeiten eine vortreffliche Freundin werden. Mutter Wöbke war der gleichen Meinung. Diese Meinung war falsch.

Draußen fiel die Abenddämmerung sachte nieder. Da ward es im Eulenloch lebendiger als sonst. Die Kinder flogen in die zartbelaubten Eichenwipfel und riefen nach ihrer Mutter in alle Winde.

Um diese Zeit machte Kikimora einen Versuch, emporzuschweben. Nur diesen einen. Er mißlang, wie sie erwartet hatte. Dann saß sie eine Zeitlang still und in sich gekehrt und trauerte hin und wieder ein schmerzvolles Huhuhuhuuu hinaus in die Nacht. Da erschienen ihre sechs Kinder, alle sechs, auf der Kante des unteren Haustürflügels. Dort saßen sie groß und wunderlich gegen den verblühenden Abendhimmel und fragten: »Warum kommst du nicht, Mutter?«

Kikimora setzte ihnen die Sache auseinander. Und später, es ging schon gegen die Mitternacht, fanden sich die Nachkommen wieder an dem gleichen Platz ein. Da hatten sich Wöbke und Hinnerk schon zu Bette gelegt. Aber die obere Türhälfte war offen geblieben; denn die Nacht war weich, traumstill und voller Blütenlust. Von draußen herein schwamm es wie Wunder. Und mittendrin schwebten die Kinder Kikimoras in die Hütte. Sie setzten sich neben die Gefesselte auf den Eichenast und besahen sich Hinnerks Werk. Nicht einmal Wöbke, die einen eulenleisen Schlaf hatte, hörte den Flug. Aber von der Unterhaltung, die sie nun pflagen, erwachte sie.

Kikimora konnte die vielen Fragen ihrer Kinder gar nicht beantworten. Was wußte sie von morgen und einst?

Weil der nächtliche Familienrat immer lebhafter wurde, sprang der Seefahrer von seinem Lager. Er schlug mit den Armen, als wären sie Flügel, und scheuchte die ungebetenen Gäste hinaus. Und klapp, schlug die Türhälfte hinter ihnen zu.

Nun redeten sie eine Stunde lang oder zwei um so lauter draußen von den Eichen herab. Kikimora verstand jedes Wort. Ein paarmal gab sie ihnen auch Antwort, manchmal trübselig, manchmal ärgerlich, manchmal voller Hoffnung. So zerdonnerten die Eulen den beiden Menschen den Schlaf einer Nacht. Und wenn Hinnerk gar ein Stück Wurzelholz hinauf in das Astwerk warf, dann erscholl gleich aus allen Ecken des Hages ein gespenstisches Lachen. Und Kikimora an der Wanduhrkette im Häuslein stimmte ein tiefempfundenes Klagen an.

Am anderen Morgen tat Hinnerk der Seefahrer einen kleinen Vogelbauer vom Bord herunter. Darin hatte vielleicht vor Jahren einmal eine gefangene Wachtel über das Torfmoor geglöckelt oder ein Fink sein Reiterlied geblasen. Vor Jahren, als der Matrose Hinnerk noch ein Knabe gewesen war!

Nun pustete er am Moorgraben eine ganze Wolke Staub aus dem kleinen Gefängnis und putzte mit dem griesen Flederwisch nach. In das kleine Gebauer setzte er Kikimoren. Es war eine Zumutung. Sie füllte das ganze Häuschen aus und konnte nicht einmal aufrecht stehen. Ein Stück Papier schnürte er noch um den Käfig. Das war sein letztes Vornehmen im Häuschen auf der Heide. Dann zog er von hinnen. Mutter Wöbke schluchzte. Und Mütterchen Kikimora schluchzte auch.

»Huhuhuhuuu!« Damit trat sie ihre große Reise an. Gelangte nach einer schaukelnden Wanderung in einen fürchterlich ratternden Eisenbahnwagen – alle Federn standen ihr zu Berge. Dann – im Hamburger Hafen – bezog sie den großen Fünfmaster.

Nicht auszudenken, wie seltsam, wie lärmend, wie bunt und voller Rätsel das Leben ist! Aufs tiefste empört war Kikimora. Sie mußte immerzu mitschiffs auf ihrem Aste sitzen. Und die Sonne tat, als wollte sie ihr die Augen ausbrennen. Kikimora dachte an ihre Kinder. Ob sie des Abends nicht zu früh ausgehen und ob sie des Morgens nicht zu spät heimkommen würden? Ob sie dem Raubritter Sperber nicht in die Fänge flögen? Ach, aus ihrem Mutterherzen keimten die Sorgen wie das Heidekorn im Herbst aus den Ackerkrumen! Mit schmerzvoller Lust wollte sie sich einleben in die Gedanken an ihre Kinder, an die schöne, stille Vergangenheit. Aber die Schleier der Wehmut zerrissen alle Augenblicke. Matrosen mit harten Schritten liefen da herum. Mächtige Warenballen wurden mit Spektakel verstaut. Keuchende Dämpfe brachen aus den Rohren. Gellende Pfiffe tönten. Die Hölle war losgelassen. Und es roch nach Teer.

Ein Schiffsjunge machte sich an Kikimora heran und kraute sie hinterm Ohr. Dabei quietschte er mit dem Munde wie ein Eichenwipfel im Sturm. »Na!« knappte sie und hakte ihm ihren Schnabel in den Finger.

Da kam schon wieder ein anderes Bild. Ein Ast wurde in ihrer Nähe aufgestellt. Darauf saß ein aschgrauer Papagei. Der graue Rock war wie mit Silber bestäubt und hatte scharlachrote Schöße. Sehr schön. Wirklich sehr schön.

»Hahaha!« lachte der Papagei und sah sich Kikimoren an. Dann machte er eine Verbeugung und sagte: »Jako. Tjawoll, Jako. Seid ihr fertig? Na denn mal los! Legt an! Feuer! Puhuu!«

Von dieser gemütvollen Begrüßung ward Kikimora gefesselt.


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