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Achtes Kapitel.


Es war bereits ganz finster geworden, Agnes' Kinder hatten sich schon auf dem Sopha des zweiten Zimmers zur Ruhe begeben, sie selbst saß an ihres Freundes Bette und die Lampe erhellte kaum seine matten Augen, als draußen ein rascher Hufschlag sich vernehmen ließ. Die Beiden fuhren auf, Beide ahnten, was es sei.

»Lassen Sie mich hinausgehen,« flehte Agnes, »ich möchte allein die Antwort entgegennehmen.«

Albert winkte ihr mit der Hand zu gehen, und der Doctor, der eben eingetreten, nahm ihren Platz ein.

Draußen auf dem Gange traf sie schon den bestaubten Reiter. Den Brief, den er übergab, hielt sie ans Licht, das düster an der Wand brannte. Was war das, es war ihr eigner Brief, den sie gestern abgeschickt!

»Der Doctor Rose war nirgends zu finden,« berichtete der Bote. »Seit sechs Tagen ist er nicht nach Hause zurückgekehrt, sagten mir seine Leute, aber sie vermutheten, daß er arretirt sei; sein Kutscher meinte, ihn in einem geschlossenen Wagen zwischen zwei Soldaten nach dem Neugebäude haben fahren zu sehen.«

Agnes mußte sich an die Wand lehnen, um nicht umzusinken. Während sie hier in ungestörter Ruhe bei dem Freunde weilte, erschoß man vielleicht in Pesth ihren Gatten, den Vater ihrer Kinder!

Der Doctor kam, sie zu Albert zu rufen, der vor Ungeduld verging.

Sie theilte dem Arzt mit wenigen Worten mit, was sie vom Boten erfahren. »Das dürfen Sie dem Prinzen nicht sagen – das könnte ihm augenblicklich den Tod geben,« sagte er ängstlich.

»Ich will es ihm auch nicht sagen, ich will ihm nur sagen, mein Gemahl rufe mich zurück.«

Der Arzt ergriff ihre Hand. »Meine liebe gnädige Frau! Sein sie barmherzig gegen den armen Prinzen, Gott wird es Ihnen an Ihrem Gemahl vergelten – Waldheim hat vielleicht nur noch ein paar Stunden zu leben, lassen Sie dies schöne junge Leben harmonisch entschwinden! halten Sie hier aus!«

Agnes rang die Hände. »Ich kann nicht, ich kann nicht! Meine Pflicht ruft mich nach Pesth, ach – auch mein Herz, denn jetzt, wo mein Mann mir vielleicht entrissen wird, fühle ich, daß alles Andre bei diesem Gedanken in den Hintergrund tritt – ihn muß ich zu retten versuchen – denn selbst, wenn ich hier bleiben wollte, hier kann ich Niemand mehr retten, Sie gestehen selbst, daß Alles verloren ist!«

»Und was können Sie in Pesth?«

Agnes richtete sich hoch auf und sah den Doctor mit ihren großen Augen verwundert an. »Was ich in Pesth kann? Meinen Mann retten. Glauben Sie, ich könne begreifen, daß man, so lange man Leben in den Adern fühlt, einen geliebten Gatten unschuldig zum Tode führen lasse? Glauben Sie, ich halte meines Gatten Recht nicht für höher als die Willkühr dieses Haynau? Glauben Sie, ich zweifle einen Augenblick, daß ich diesem Ungeheuer gegenüber siegen werde? Wenn mein Mann bei meiner Ankunft in Pesth noch am Leben ist, dann ist er auch gerettet!«

Der Doctor schüttelte den Kopf. »Und dennoch, gnädige Frau, beschwöre ich Sie, bleiben Sie hier nur bis zum nächsten Morgen, der Prinz überlebt die Nacht nicht.«

Agnes ging kalt an ihm vorüber nach Alberts Zimmer. Die Größe ihres Unglücks hatte ihr alle Fassung zurückgegeben, sie war entschlossen, von dem Verwundeten Abschied zu nehmen. Als sie aber das Zimmer betrat, blieb sie erschrocken auf der Schwelle stehen – Albert hatte sich weit vorgebeugt, seine beiden Hände ihr entgegenstreckend, und sein Gesicht war jetzt das Gesicht eines Sterbenden.

Vielleicht hatte die Angst bei ihrem langen Gespräche mit dem Arzt seine letzten Stunden beschleunigt – wer konnte das wissen? aber jetzt sah selbst Agnes, daß sie hier nicht lange mehr zu verweilen habe – auch wenn sie ausharre bis zuletzt!

»O Agnes – Sie wollen gehen?«

»Nein, nein, ich bleibe!«

»Und lassen mich so lange in der Höllenqual!«

»Ich bin besorgt, weil Wilhelm mir nicht geschrieben – der Bote brachte nur eine mündliche Antwort!«

»Was liegt daran, wenn Sie nur bleiben dürfen! Gott sei gedankt,« rief er dem eintretenden Doctor entgegen, »sie bleibt!«

Ja, sie blieb, sie blieb und kniete nieder am Bette des Mannes, der ihr einst so werth, und betete, daß Gott sie erlösen möge aus dieser Qual, ohne in ihres Herzens Pein zu ahnen, daß sie durch dies Gebet nichts Anderes als Alberts Tod erflehte!

Er bat sie um ihre Hand, die sie ihm noch nie gegeben – sie that es – die seinige war schon eiskalt; so schlummerte er ein mit dem seligen Lächeln eines Kindes – in beiden kalten Händen ihre lebenswarme; ruhig, still und zufrieden, während das angstzerrissene Weib sich mit allen Qualen, die das Leben in eine Menschenbrust legen kann, vor seinem Bette wand.

»Er hat vollendet,« sagte der Arzt leise; in diesem Augenblick schlug die Uhr Mitternacht, und Agnes schnellte empor wie von einem electrischen Schlage getroffen.

»Nun aus Barmherzigkeit einen Wagen, Doctor!«

»Ich habe das schon besorgt,« antwortete er traurig, »seit einer Stunde hält er unten – Gott segne Sie, daß Sie barmherzig waren!«

Agnes warf noch einen Blick auf das Antlitz, das sie nie mehr sehen sollte, und das ihr doch einst, nach dem ihres Vaters, das liebste – gewesen, jenes Antlitz, das sie immer heiter und fröhlich gesehen, und das ihr auch jetzt das Lächeln verdankte, mit dem man es in die dunkle Erde legen sollte!

»Lebewohl,« sagte sie leise, »Dir ist wohl, Gott gebe, daß ich einst auch so ruhig scheide.«

Der Doctor half ihr die beiden schlafenden Kinder in den Wagen tragen, und fort, fort fuhr sie in die dunkle, lichtlose Nacht mit ihrem dunklen, lichtlosen Herzen; hätte sie nicht das Athmen der beiden süßen Kinder gefühlt, sie hätte auch vielleicht nicht Kraft gefunden, diese Nacht so zu ertragen.

Ueberall fand sie Vorspann, der Doctor hatte für Alles gesorgt – und als sie endlich in Pesth einfuhr und die vielen weißröckigen Soldaten gewahrte, meint sie in jedem von ihnen denjenigen zu erblicken, der das Todesblei in das Herz ihres Gatten gesendet!

Sie fuhr nach dem Neugebäude. Der wachthabende Officier gestand auf ihre Fragen, daß Wilhelm sich da befinde – und lebend da befinde. Dann eilte sie nach Hause und, nachdem sie die Kinder ihren Leuten übergeben, zu Haynau.

Der Feldzeugmeister war verreist und zwar nach Klagenfurt, um das Geburtsfest seiner Gemahlin dort zu feiern!

Also wieder nach dem Neugebäude. Man ließ sie nur vor den Commandanten, als sie angab, wichtige Nachricht aus Ketskemet zu bringen.

»Was bringen Sie? fragte sie der Officier bei ihrem Eintritt nicht besonders höflich.

»Ich habe keine Nachrichten – ich gebrauchte nur den Vorwand, um Sie zu sprechen. Ich bin die Gattin des Doctor Rose, den man im Anfang dieser Woche hieher gebracht hat; ich komme eben von einer Reise und erfahre erst jetzt die Verhaftung meines Mannes. Mein Gatte kann nur durch ein Mißverständniß hier sein, er hat sich nie in Politik gemischt und nur seinem Beruft gelebt.«

»Geht mich nichts an!«

»Ist er schon verurtheilt?«

»So viel ich weiß, nicht, seine Sache wird erst nächste Woche vor's Kriegsgericht kommen, die Herren haben zu viel zu thun.

»Herr Obrist – mein Mann ist unschuldig an jeder politischen Bewegung; ich gehe jetzt zu Haynau und bringe Ihnen, sobald es menschenmöglich ist, meines Gatten Freilassung, meines Gatten, der Hunderten von österreichischen Soldaten ihre Wunden verbunden und geheilt hat und jetzt zum Lohne dafür von ihnen erschossen werden soll! Ich mache Sie verantwortlich für sein Leben bis dahin!«

Sie wandte sich und ging, und zwar nicht ohne dem alten unhöflichen Soldaten eine gewisse Scheu eingeflößt zu haben.

Als sie nach Hause kam, fand sie die drei Fräulein von Horvath. Während der Unruhen von ihrer Mutter in die Stadt geschickt, weil sie wegen ihrer Aengstlichkeit für die Pläne der kühnen Frau nicht zu brauchen waren, kamen sie jetzt, um Agnes den Tod der Mutter anzuzeigen.

Die drei armen Mädchen waren ihr sehr willkommen, ihnen konnte sie sicher die Kinder bis zu ihrer Rückkehr anvertrauen, und sie bat sie deshalb, so lange in ihr Haus zu ziehen, was sie ihr denn auch gerne zusagten, dann stieg sie in den Wagen, der sie nach Klagenfurt bringen sollte.

Welche Reise war das, und als sie ankam, welche Marter, nach dem Hause des Mannes zu gehen, den sie vor Allen haßte!

Sie ließ sich bei Frau von Haynau melden; man führte sie in ein freundliches, elegantes Zimmer, und das erste Gesicht, das sie sah, war die Physiognomie des alten Tigers, der nur zu sehr der Familie glich, von der er abstammte und die die verhaßteste auf deutschen Fürstenthronen ist.

Sie war gekommen, um zu bitten, beim Anblick des alten Mannes überkam sie aber ein so furchtbarer Groll, daß ihre lebhafte Seele alles Andere vergaß. Sie ging rasch auf ihn zu.

»Ich komme, Herr Baron, um zu fragen, weshalb mein Mann, der Arzt Rose in Pesth, seit acht Tagen im Neugebäude schmachtet?«

»Kann mich eben des Namens nicht entsinnen,« sagte sanft der Feldzeugmeister, »wird aber wohl seine Ursachen haben – ich bin hier, um mit meiner Familie ein Fest zu begehen, in Pesth stehe ich aber allen Fragen zu Diensten.«

»Auch hier, Herr Baron, auch hier müssen Sie das. Glauben Sie, es gebe einen Ort der Welt, wo Sie gesichert seien?«

Der Feldzeugmeister faltete fromm die Hände, ohne Antwort zu geben.

»Wissen Sie, woher ich komme, Herr Baron? Von Ketskemet, wo einer Ihrer Officiere meine Freundin zur Prügelstrafe verurtheilte, ein Schimpf, dem sie durch Selbstmord zuvorkam. Der Tod einer Ungarin wird Sie wenig kümmern, aber daß einer Ihrer besten Officiere darüber ums Leben kam, wird Ihnen nicht gleichgültig sein.«

Der Feldzeugmeister sah sie fragend an. »Fürst Waldheim, empört über diese Unmenschlichkeit, hat sich mit dem Officier geschossen, der jene Schandthat befohlen. Fürst Waldheim ist kein Oesterreicher – freilich,« unterbrach sie sich, » Sie sind auch kein Oesterreicher.«

»Nun, und Fürst Waldheim?«

»Fürst Waldheim ist an der Wunde gestorben; als er todt war, ging ich nach Pesth in mein Haus zurück und finde dort Alles in Zerstörung. Mein Mann, ein Arzt, der nur seinem Berufe gelebt, von allen verwundeten Oesterreichern gesegnet und verehrt, ist auf Befehl Euer Excellenz ins Neugebäude geschleppt – wahrscheinlich auf Angabe des elenden Grafen L., dessen Gemahlin er das Leben gerettet, den er selbst aber beleidigt – weil er ihn verachtet!«

Haynau hatte der zornglühenden Frau mit der größten Aufmerksamkeit zugehört; als sie erschöpft inne hielt, ließ er sich in einen Sessel sinken, und indem die Thränen stromweis über seine hagern Wangen flossen, rief er jammernd in Einem fort: »Was für Geschichten muß ich da hören, was für Geschichten!«

Agnes glaubte zu träumen – diese Schwäche hatte sie hier nicht erwartet – aber ihr Mitleid wurde wahrhaftig nicht davon angeregt!

Der Feldzeugmeister fuhr schluchzend fort: »Wie man meinen Namen mißbraucht! Hier und überall – in Brescia haben sie alle Gefangenen niedergestochen, und ich hatte doch meinen Soldaten nur gesagt: Kinder, macht keine Gefangenen! Was sollen wir nachher mit den vielen Gefangenen anfangen! Jetzt habe ich auch nur befohlen, man soll keine Frauen erschießen und hängen, sondern sie nur leicht bestrafen, wie thörichte Kinder, die nicht gehorchen wollen, und nun prügelt man sie, und dafür verfolgt mich der Haß aller Menschen!«

Agnes wandte sich ab – war der Alte blödsinnig?

Nach einer Weile fragte sie: »Welche Antwort geben mir Euer Excellenz für meinen Gatten?«

»Kann keine geben,« sagte händeringend der Alte, »kommt Alles auf die Herren vom Kriegsgericht an!«

Da trat Agnes dicht vor ihn und versetzte mit flammenden Augen und tiefer, gewaltiger Stimme: »So wie Sie eben sagen – Ich kann nicht, so möge auch der ewige Richter sprechen: Ich kann nicht, uns sich von Ihnen abwenden, wenn Sie sich an seinem Throne winden! Diesen Fluch auf ihr Haupt, grauer, heuchlerischer Sünder!«

Sie wandte sich zum Gehen. »Bleiben Sie!« sagte der Commandirende erschrocken und leise, »bleiben Sie, bis ich Ihnen einen Zettel für den Kommandanten des Neugebäudes mitgegeben habe.«

Er ging hinaus, Agnes warf sich auf die Kniee; nie ist ein inbrünstigeres Gebet zu Gott gedrungen!

Agnes erhielt in versiegeltem Couvert die Freilassung ihres Gatten und brauchte nicht einmal dem Feldzeugmeister zu danken, da er ihr durch einen Diener den Zettel zuschickte.


Wenige Wochen nach dieser Scene, und Agnes zog mit ihrem Gatten und ihren Kindern auf dem Wege nach der Heimath zurück. Aus dem armen unglücklichen Lande, dem ihres Herzens beste Theilnahme gehörte, nahm sie einen reichen Schatz mit, auf den sie nicht gehofft und der ihr das Glück ihres Lebens sichert. Was sechsjährige Treue, Liebe, Hingebung und Duldung nicht vermocht, vollbrachte eine kühne That – sie gewann ihr dasjenige, dessen Mangel ihr Unglück gewesen, die Achtung ihres Gatten!


Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig.

 


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