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Fünftes Kapitel.


Ein paar Tage darauf kam die Familie Horvath angefahren, um ihren Gegenbesuch abzustatten; auch der junge Doctor ritt mit Herrn von Horvath neben dem Wagen, worin die drei Schwestern saßen. Frau von Horvath ging nie aus ihrer Pusta heraus. Agnes stand zufällig am Fenster, als die Gesellschaft ankam, und sie konnte nicht umhin zu bemerken, wie vortheilhaft sich Wilhelms feine Gestalt in leichter, nachlässiger Haltung zu Pferde ausnahm. Er grüßte sie auf das Ehrfurchtvollste, was er jeder Dame gegenüber that, obwohl es für die, die ihn näher kannten, etwas Auffallendes hatte, da er außerdem wenig galant und aufmerksam, ja zuweilen unverantwortlich nachlässig in seinem Benehmen gegen das andere Geschlecht war. Die Fürstin Rosalie pflegte oft neckend von ihm zu sagen: »Er kann nicht galant und aufmerksam gegen uns sein, denn alle in ihm vorräthige Ehrfurcht und Aufmerksamkeit verschwendet er schon beim Eintritt in seinem Compliment.«

Die wahre Ursache aber lag nur in einer ihm in frühester Kindheit von seiner Mutter beigebrachten Gewohnheit, die immer zu sagen pflegte: »Ein Gruß ist da, um Achtung oder Ehrfurcht zu bezeugen; wird also diese Gesinnung nicht dabei an den Tag gelegt, so ist er ein Unsinn oder gar eine Beleidigung, und wer möchte sich so etwas zu Schulden kommen lassen?«

Wilhelm hatte seitdem freilich unendlich weisere, klügere und praktischere Auslegungen eines Grußes gehört, wie denn überhaupt ein junger Mann beim Eintritt in die Welt mit nichts reichlicher empfangen wird, als guten Ratschlägen, um – sich möglichst unangenehm zu machen. Wilhelm hatte sich aber nie an diese Dinge gekehrt, er hatte immer nur gethan, was seine Mutter ihm gesagt und – was ihm selbst angenehm, bequem und unterhaltend war, eine Rücksicht, die freilich oft ein gefährlicher Rathgeber und Wegweiser, wurde.

Agnes sagte lächelnd zu Elisabeth: »Bitte, besorgen Sie die Erfrischungen, damit wir nicht zu sehr hinter dem Empfange der Familie zurückbleiben, denn so auftragen zu lassen, wie Ihr Ungarn es versteht, und daß die Tische sich biegen, dazu muß man in Eurem Lande erst mehr acclimatisirt sein als ich.«

Elisabeth versprach eine ächt ungarische Jausse zu beschaffen, und schwer beladen mit allen möglichen Schlüsseln verließ sie das Zimmer, während Agnes ihrem Vater folgte, um die Gäste zu empfangen.

Ueber die drei Schwestern konnte sich Agnes heute nicht genug verwundern; wenn der Ausdruck bei drei so blassen, schüchternen, verkümmerten Mädchen nicht geradezu lächerlich wäre, würde man sagen können, sie waren ausgelassen. Offenbar wirkte das Gefühl, den Augen der strengen Mutter weit entrückt zu sein, gleich einem berauschenden Trank auf sie. Bei einem Spaziergange, den die Gesellschaft in die ausgedehnten Gemüsegärten (denn alle andern Gartenanlagen waren noch im Werden) unternahm, trat Wilhelm an Agnes' Seite und äußerte gegen sie eine Bemerkung über die Veränderung seiner Hausgenossinnen, deren lautes Lachen eben die Luft erfüllte. Er schrieb sie natürlich derselben Ursache wie Agnes zu. Agnes hörte seine Rede freundlich an, denn er war ja heute ihr Gast.

»Nicht wahr, gnädiges Fräulein,« fuhr er fort, »diese alte Frau ist Ihnen auch eine überaus merkwürdige Erscheinung?«

Und als Agnes bejahte, setzte er lachend hinzu: »Schon um ihretwillen allein wäre es der Mühe werth, eine Reise nach Ungarn zu unternehmen. Schade, daß ich kein Dichter bin, und Ungarn nicht im Kriege gegen Oesterreich aufsteht, welche Heldin wollten wir zwei, der Krieg und ich, aus dieser steinernen Patriotin machen! Ich habe nie bei einer Frau einen so felsenfesten Willen, ein so unrührbares Herz gesehen. Sie ist bewundernswürdig!«

»Bewundern Sie solche Eigenschaften wirklich?«

»Darf ich Ihnen ganz offen meine Meinung über Ihr Geschlecht aussprechen? Werde ich nicht in ganz unrettbare Ungnade dadurch bei Ihnen fallen?«

»Nur immer zu,« lachte Agnes, »ich will en revanche eben so offen über das Ihrige sprechen.«

»Nun wohl! Erstens muß ich Ihnen erklären, daß ich Ihr Geschlecht ganz nach der Ansicht Lord Chesterfields begrenze – nämlich, daß mir nur reizende Frauen als Frauen erscheinen, während ich die häßlichen entschieden zu den Männern zähle, auch eben so gerne diesen vollkommene Emanzipation bewilligen würde, da sie in meinen Augen furchtbar beklagenswerth sind; nachdem die Natur ihnen keinen einzigen Vortheil ihres Geschlechts gegeben, lassen die Menschen sie nur die Nachtheile davon empfinden.«

»Was denken Sie nun von den von Ihnen anerkannten, nämlich den schönen Frauen?« fragte lachend Agnes.

»Da giebt es nun zweierlei. Die Guten leben nur in der Atmosphäre der äußern Eindrücke. Wer und was ihnen gefällt, wer und was sie rührt, bestimmt ihre Handlungsweise, ihr Urtheil, ihre momentane Richtung. Was ihnen nicht gefällt und sie nicht rührt, mag es noch so erhaben, zum Erfolge berechtigt, oder noch so unglücklich und mitleidswerth sein, wird von ihnen ignorirt oder selbst, wenn ein Gegner desselben ihr Wohlgefallen oder ihr Mitleid zu erringen weiß, verdammt. Das sind die guten schönen Frauen.«

»Ich verstehe,« sagte noch immer lachend Agnes. »Nun aber die bösen?«

»Bös ist nicht der richtige Ausdruck, bös ist keine schöne Frau, sie ist nur nicht gut, und dafür ist sie auch nicht verantwortlich, denn sie hat kein Herz! sie handelt also nur immer so, wie es ihr am bequemsten, am angenehmsten, am unterhaltendsten ist, sie kann aber natürlich sehr viel Böses stiften, weil sie ganz mitleidslos ist.«

»Im Grunde ist diese Art,« sagte Agnes mit ernsthaftem Gesicht, »für das allgemeine Menschenwohl aber doch noch besser, denn da die andere ihr Herz nur hat, um sich confus machen zu lassen, so kann diese mit ihrem Herzen und ihrem falsch angewandten Mitleid viel größeres Unheil stiften, als jene, die nur ihren Egoismus zur Richtschnur nimmt.«

»In gewissen Fällen ja, mein gnädiges Fräulein, im Allgemeinen nein, und überdem hat die Herzlose den ungeheuren Nachtheil, daß sie nicht liebenswürdig mehr erscheint, sobald man sie erkannt hat, während die Weiche, Mitleidige, Großherzige, wenn sie in falschem Eifer auch noch so viel Unglück stiftet, doch nie die Krone der Anmuth, jenes kostbarste Frauenkleinod, einbüßt.«

»Und woher haben Sie dies System, mein Herr Doctor?«

Wilhelm wies statt aller Antwort lachend auf seine Stirne. Agnes bog sich näher zu ihm und sagte ernsthaft: »Da haben Sie ja eine große, senkrecht laufende Falte – die haben Sie wohl von der Anstrengung beim Ausdenken dieses superklugen Systems bekommen, denn wo kam sonst Ihre Jugend zu solch ›tiefen Eindrücken?‹«

»Diese Falte,« sagte Wilhelm, aus dem leichten Tone, in dem er bisher gesprochen, plötzlich zu einem ernsteren übergehend, »diese Falte ist mir eine liebe Erinnerung. So oft ich sie fühle beim Berühren meiner Stirne, tritt mir die Liebe meiner verklärten Mutter vor's Auge, die sich mir nie so lebhaft gezeigt, als da ich durch einen Sturz von der Steintreppe unseres Hauses mir hier diese tiefe Wunde schlug. Ich war damals zehn Jahre alt, aber ich kann noch nicht daran denken ohne Bewegung – da, an ihrer Verzweiflung wurde mir klar, wie lieb sie mich hatte, sie glaubte mich in Gefahr!«

»Sehen Sie, Herr Doctor, der Himmel steht mir bei im Kampfe gegen Ihr ungerechtes Männerurtheil. Im Moment, wo Sie unverantwortlich unser ganzes Geschlecht verdammen, führt eine zufällige Aeußerung von mir Ihnen das Bild Ihrer verklärten Mutter vor, Ihrer Mutter, die Sie doch unter keine der beiden von Ihnen bezeichneten Rubriken stellen.«

Wilhelms Auge leuchtete zornig auf, tiefer noch zog sich die tiefe Falte auf seiner Stirne, und nach einer ziemlich langen Pause sagte er abgebrochen:

»Jemand, wie meine Mutter, lebt nicht mehr, sie war ein Engel – und deshalb ist sie auch so früh gestorben! Mein Vater nicht, ich nicht, Niemand verdiente in ihrer Nähe zu athmen.«

Agnes schwieg, aber sie grollte dem unhöflichen Menschen nicht, die tiefe, leidenschaftliche Verehrung seiner Mutter hatte sie ganz mit ihm ausgesöhnt, er hatte dadurch, ohne es zu ahnen, alle üblen vorhergehenden Eindrücke verwischt. Die stärkste Saite ihres starken Herzens, die Liebe zu ihrem Vater, ihre Mutter kannte sie ja nicht, hatte er sympathetisch dadurch angeschlagen; und machte sie es ihrem Vater gegenüber nicht gerade so, wie Wilhelm? Auf alle Männer sah sie mit Gleichgültigkeit, auf die meisten mit Geringschätzung, während sie ihren Vater vergötterte.

 

Als Wilhelm gegen Abend mit seinen Gastfreunden auf die Pusta zurückkehrte, empfing die alte Dame sie unter dem Thore.

»Wie lange seid Ihr geblieben! Wer wird bei einem ersten Besuche sich so verweilen!« Dann sagte sie hart zu ihren Töchtern: »Und Ihr habt keine Mäntel mitgenommen! Meint Ihr, man müsse immer noch für Euch sorgen?«

Und damit wendete sie ihnen grollend den Rücken. Zitternd und blaß stiegen die Drei aus, Keine suchte in der Andern Blicken Trost, Jeder war das Weinen näher als das Lachen, welches eben noch vor dem Thore so fröhlich von ihrem Munde erschollen. Der Sohn kümmerte sich nichts um die Verstimmung der Mutter, und Wilhelm ergötzte sich daran.

Als sie Alle beim Schein einer trüben altväterischen Lampe im niedern Eßsaale versammelt waren, sagte Frau von Horvath zu Wilhelm, indem sie sich bemühte, langsam zu sprechen, da er nur wenig Ungarisch verstand: »Lajos' Reitknecht hat von der Stadt einen Brief für Sie mitgebracht. Er trägt den Poststempel von des Königs Residenzstadt.«

Wie alle ächten Ungarn sprach sie nie vom Kaiser, sondern nur vom König und trieb es so weit, das verhaßte Wien nie anders als des »Königs Residenz« zu nennen.

Die alte Dame holte dann aus einer großen Tasche ihres weiten Rockes den Brief hervor, und als Wilhelm ihn aus Höflichkeit uneröffnet in der Hand behielt, sagte sie kurz:

»Lesen Sie, ich erlaube es Ihnen, und vor denen da,« sie wies mit nachlässiger Geberde auf ihre drei erschrockenen Töchter, »brauchen Sie sich nicht zu geniren.«

Sie zündete eine kleine Lampe auf einem Ecktischchen an und wies gebieterisch auf den Stuhl, der davor stand, und welchen Wilhelm auch freundlich dankend annahm.

Der Brief, den er rasch entfaltete, war vom Prinzen Albert; er war lang, und Wilhelm, der des Prinzen Widerwillen gegen lange Briefe kannte, staunte, was ihn zu solcher Expectoration vermocht.

Kaum hatte der junge Arzt die ersten Zeilen gelesen, so überflog ein spöttisches Lächeln sein Gesicht. Sein fürstlicher Freund schrieb:

»Was werden Sie dazu sagen, Wilhelm, wenn ich Ihnen beweise, daß Agnes, die von mir so hoch gestellte Agnes, die ich bei Ihren Urtheilen über Frauen immer ausnahm, um kein Haar besser ist, als all die Andern?«

Die »Andern« stehen jetzt offenbar bei ihm noch schlechter wie bei mir, dachte Wilhelm.

»Ich habe hier zufällig die Bekanntschaft eines böhmischen Edelmanns, eines Barons Wratislaw gemacht, ein unbedeutender, lügenhafter, geschnürter Bengel, wahrhaftig, er trägt ein Corsett und färbt seine rothen Haare! Von diesem Menschen hat sich nun Agnes während ihrer mehrwöchentlichen Anwesenheit in Wien den Hof machen lassen, und er hat mir sein Ehrenwort gegeben, daß Agnes ihm Hoffnung gemacht, wenn er sie in Ungarn aufsuche, ihm ihre Hand zu gewähren.«

Wilhelm biß sich auf die Lippen, um nicht laut aufzulachen, als er diese Stelle las. Dann hieß es weiter:

»Täglich ist er ins Haus gekommen, den alten Herrn hat er überall herumgeführt, im Theater ist er mit Vater und Tochter gewesen und jedes Mal beim Abschied hat er ihr die Hand geküßt – mit seinen breiten böhmischen Lippen; diese Hand, deren Spitzen ich kaum berührte!«

Und ich bin doch ein Erbprinz aus einem der ältesten Häuser, sagte leise und sehr ironisch Wilhelm.

»Sie werden sagen, Wilhelm, sie habe ihn zum Besten gehabt. Nein, er hat mir sichere Beweise des Gegentheils erzählt, den sichersten, indem sie ihn beim Weggehen in einem Billet eingeladen, sie in Ungarn aufzusuchen – so weit treibt selbst Agnes nicht den Scherz mit einem harmlosen Menschen!

Er will auch wirklich hin. Mag sie ihm nun ›die ihm gegebenen Hoffnungen verwirklichen‹ oder nicht, ich gebe sie auf und gebe mir hiermit Ihnen gegenüber mein Ehrenwort, daß es von nun an sein wird, als habe ich diese Syrene nie gesehen! Wenn Sie ihr einmal begegnen, reden Sie nicht von mir, ich will auch für die Unwürdige todt sein!«

Arme unwürdige Syrene! Wie konntest Du es aber auch wagen, einen deutschen Prinzen in Dich verliebt zu machen, und nachher einem böhmischen Baron, der ein Corsett trägt und sich die Haare färbt, dasselbe erlauben! Unwürdige Syrene!

So spottete er im Innern über den armen Albert, der trotz all seiner Thorheit doch gewiß, als er diesen Brief schrieb, sich sehr im Rechte unglücklich zu sein ge fühlt hatte. Kein Funke von Mitleid war in Rose's Seele für ihn. Ihm erschien auch der geschnürte und gefärbte Wratislaw ungeheuer ungefährlich, aber das kam eben daher, weil er nicht in Agnes verliebt war.

 

Einige Tage später, er hatte des Prinzen Brief noch nicht beantwortet, ritt er nach dem Castell, um Herrn von Stein einige Bücher wiederzubringen, die dieser ihm beim letzten Besuche geliehen hatte. Im Salon, wohin er geführt wurde, fand er Herrn von Stein, Agnes, Elisabeth und einen Herrn, der ihm als – Baron Wratislaw vorgestellt wurde.

Eben hatte er offenbar kein Corsett, sondern einen weiten grünen Ueberrock an, auch sahen seine dunkeln gelockten Haare nichts weniger als gefärbt aus. Als Wilhelm eine Weile da gesessen – der Böhme trug allein alle Kosten der Unterhaltung – mußte er aber doch dem übrigen Urtheile des Prinzen beipflichten, nämlich daß Wratislaw ein sehr unbedeutender und nur im Punkte der Wahrheit ein sehr großartiger Mensch sei. Ueberdem waren seinem jungen bleichen Gesichte die Spuren eines tollen Lebens unzweideutig aufgedrückt. Agnes, die von Wilhelm scharf beobachtet wurde, hörte dem Schwätzer aber offenbar mit Vergnügen zu. Sie lachte herzlich über seine tollen Einfälle; wurden seine Erfindungen gar zu übermäßig kühn, so hob sie höchstens drohend den Finger und sagte lächelnd: »Maaß gehalten, Baron, Maaß gehalten! Sie wissen, wir glauben Ihnen viel, aber doch nicht Alles.«

Wratislaw verbeugte sich dann recht ritterlich, indem er die Hand auf die Brust legte, und ließ einige Mäßigung in seiner Erzählung eintreten. Er erzählte nichts Geringeres als seine Reise von Wien bis hieher und die Abenteuer, die ihm da begegnet – was waren dagegen die Abenteuer eines Bliomberis, eines Amadis von Gallien Bliomberis. Ein Rittergedicht in zwölf Gesängen (1791) von Johann Baptist von Alxinger. – Amadis de Gaula. Ritterroman von Garci Rodríguez de Montalvo. (Älteste erhaltene Bearbeitung des Amadis-Stoffes von 1508, nach einem verschollenen portugiesischen Prosaroman). – Anm.d.Hrsg.!

Nach einiger Zeit nahm Herr von Stein ihn mit in den Stall, um ihm da ein Paar neu acquirirte Wagenpferde zu zeigen, da Baron Wratislaw behauptete, er sei einer der ersten Hippologen der Welt.

Wilhelm war nun mit den Mädchen allein. Mit einem gewissen Unmuth, den er nicht ganz unterdrücken konnte, fragte er Agnes:

»Hat dieser – junge Baron schon lange den Vorzug, von Ihnen gekannt zu sein?«

»Während unseres Aufenthaltes in Wien kam er täglich in unser Haus; er ist der Neffe eines alten Bekannten meines Vaters und führte uns statt seines kranken Oheims mit der größten Gefälligkeit überall herum.«

»Es war eine Gefälligkeit von Ihnen, mein gnädiges Fräulein, daß Sie sich von ihm führen ließen!«

»Nicht doch, nicht doch! Und dann lassen Sie mich Ihnen gestehen, obgleich Ihr ernster Sinn das vielleicht sehr tadelnswerth findet, ich habe ihn wirklich gern! Sie haben ihn zwar nur eine halbe Stunde gesehen, aber Sie kennen ihn gewiß schon so gut, wie ich, wenn er Ihnen auch wohl nicht so zusagt, wie mir!«

Wilhelm zuckte statt aller Antwort die Achseln.

»Sehen Sie, das paßt wieder prächtig in Ihr System. Wir Frauen lieben eben Alles, was uns gefällt!«

»Aber wie kann er Ihnen gefallen?«

»Er gefällt mir, weil ich ein junges Mädchen bin, die gern lacht, gern Geschichten hört, gern mit höflichen und besonders mit muntern Leuten umgeht. Will ich singen, so accompagnirt er mich, will ich zeichnen, so spitzt er mir die Bleifeder, corrigirt meine Zeichnung und lobt sie dann, will ich tanzen, zieht er seine Handschuhe an, und nie hat ein flinkerer Tänzer mich durch einen Saal getragen. Er hat für Alles Talent.«

»Für diese Talente,« sagte Wilhelm mit einiger Bitterkeit, »habe ich freilich kein Urtheil, darf keins haben, weil ich weder immer lustig und höflich sein und noch viel weniger singen, zeichnen oder tanzen kann.«

»Das gefällt mir von Ihnen,« rief Agnes, »denn Ihnen stände das Alles auch nicht an. Der Baron ist dafür auf der Welt und erfüllt eben so gut seine Bestimmung, wie Sie die Ihrige.«

»Welche Bestimmung ist die des Barons, wenn ich fragen darf?« fragte Wilhelm sehr scharf.

»Die eines Spielwerks,« entgegnete Agnes übermüthig.

»Und das nennen Sie eine Bestimmung?«

»Warum nicht? Der Mensch ist eben so gut im Leben, um sich daran zu freuen, wie daran zu lernen.«

»Allerdings, sich zu freuen, aber nicht – zu zerstreuen, zu zerstückeln!«

»Sein Sie nicht so pedantisch, bester Doctor, und verderben Sie mir meine Freude an dem kleinen Baron nicht. Vielleicht ergötzt er mich auch nur so, weil mir Seinesgleichen nie vorgekommen.«

»Nie vorgekommen? Diese Gattung Menschen ist doch überall vorhanden.«

»Mit Nichten. An dieser Aeußerung sieht man, daß Sie das, was man die große Welt nennt, nicht kennen.«

»Mag sein,« sagte Wilhelm sehr bitter, »aber die große Welt würde mir nicht oder vielmehr ich ihr nicht conveniren.«

»Wie Sie das Alles spitz nehmen! Lassen Sie uns ernsthaft reden. Jemand wie der Baron ist mir wirklich bisher noch nicht vorgekommen. Alle Leute in meiner Heimath, die ihm an Oberflächlichkeit und Leichtsinn gleichkommen, sind blasirt und langweilig. Um bei solchem Mangel an Gründlichkeit nicht langweilig zu werden, muß man gleich Wratislaw in einer großen Stadt wie Wien leben, und um bei solchem Leichtsinn nicht blasirt zu werden, sondern immer frischen und lustigen Geistes zu bleiben, muß man slavisches Blut haben, wie er. Bei uns sind die Menschen, die Sie seine Gattung nennen, die unerträglichsten!«

»Möge der Baron,« äußerte Wilhelm mit etwas milderem Tone, »immer so gütige Beurtheilerinnen finden, wie Sie es sind, vielleicht gelingt es ihm dann auch noch einmal trotz seinem notorischen Leichtsinn eine Frau zu finden.«

»Eine Frau! Wratislaw eine Frau! Wie kommen Sie auf diesen abenteuerlichen Gedanken? Das wäre ja das furchtbarste Unglück für ihn. Mein armer kleiner Baron mit einer Frau behaftet! Ich wüßte gar nicht, was er mit ihr anfangen sollte? Wie kamen Sie denn auf diesen Gedanken?«

»Weil mir ein Bekannter aus Wien schreibt, Baron Wratislaw sei hieher gereist mit der Erklärung, er werde sich um Ihre Hand bewerben.«

Erst sah ihn Agnes an, als habe sie ihn nicht recht verstanden, dann brach sie aber in ein so kindisches unaufhörliches Lachen aus, daß Wilhelm zuletzt selbst mit einstimmen mußte. Elisabeth hatte das Zimmer verlassen, um Einiges im Hauswesen zu besorgen.

Als sich Agnes endlich erholt, sagte sie noch immer lächelnd nach einer Weile: »Wenn das wirklich seine Absicht ist, so kann das keinen andern Grund haben, als daß er augenblicklich unerträgliche Gläubiger hat und, um sich etwas Luft zu verschaffen, als letztes Mittel seinen Namen für Geld an eine Frau verkaufen will; irgend ein Schalk hat dem gutmüthigen Menschen weiß gemacht, ich hätte die nöthige Million. Nein, sonst würde mein armer kleiner Freund nicht so schlecht sein, das Schicksal einer Frau an das löschpapierne Steuerruder seines lecken Lebensschiffes zu fesseln. Für mich hat das keine Gefahr, mein Vater braucht ihm nur, oder wenn er es lieber von mir hören will, ich selbst brauche ihm nur die Totalsumme meines Vermögens zu nennen, so wird er augenblicklich zurücktreten, weil diese Summe gewiß nicht die Hälfte seines negativen Vermögens beträgt.«

Herr von Stein kehrte jetzt mit dem jungen Baron zurück, und Wilhelm, obgleich er Agnes' Ansicht durchaus nicht theilte, konnte es sich doch nicht versagen, hie und da über des jungen Böhmen Rodomontaden zu lächeln. Als er wegritt, mußte er ihm sogar noch ernstlich dankbar sein für die Sorge, womit Wratislaw ihm bei der kühl gewordenen Abendluft seinen Paletot aufdrang. Als er darin nach Hause ritt, konnte er sich eines erheiternden Vergleiches nicht erwehren, des Vergleiches zwischen dem Böhmen und ihm, denn zwei verschiedenere Menschen hatte wohl nie ein und derselbe Rock bekleidet, und doch paßte er der schlanken Gestalt des Einen gerade so gut, wie der des Andern.

Ein feiner aristokratischer Parfüm durchdrang aus dem Paletot seine Geruchsnerven; das war ihm äußerst unangenehm, denn er haßte, wie alle Aerzte, jeden Parfüm; dennoch fror er zu sehr, um den Rock des Barons auszuziehen. Nach einer Weile steckte er die Hand, die ihm kalt geworden, in die linke Seitentasche. Eine Visitenkarte fiel in seine Hand. Er zog sie heraus, es war die wohlbekannte des Prinzen Albert von Waldheim. Mit Bleistift stand auf der Rückseite gekritzelt:

 

» N'oubliez pas l'heure du diner, en tout cas vous trouverez de bon vin de Champagne, et n'oubliez pas d'apporter la lettre en question.« »Vergessen Sie nicht das Abendessen, in jedem Fall finden Sie guten Champagnerwein, und vergessen Sie nicht, den betreffenden Brief mitzubringen.« ( Anm.d.Hrsg.)

 

»Vortrefflich!« lachte spöttisch Wilhelm, nachdem er mühsam in der Abenddämmerung die blasse Schrift entziffert. »Ein ›deutscher Fürst‹ schreibt eine französische Einladung zu französischem Weine an einen böhmischen Baron, um von dessen unsaubern Slavenlippen die Ehre eines deutschen Mädchens verunglimpfen zu lassen!«

Daß Albert französisch geschrieben, damit Wratislaws Bedienter es nicht lesen könne, daß er ihn zu Champagner eingeladen, weil man in Wien keinen guten deutschen Wein bekommt, da ihn die » haute volée« wie alles Deutsche verachtet, endlich, daß Albert überhaupt den Böhmen nur berufen, weil er – eifersüchtig war, das bedachte Wilhelm nicht oder wollte auch nicht daran denken.

Das Unangenehmste war ihm, daß er des Prinzen Brief an ihn selbst beantworten und ihm seine Bekanntschaft mit Agnes mittheilen mußte. Mit schwerer Mühe kam die Antwort zu Stande; was sie eigentlich über Agnes enthielt, war das Unklarste, das der sonst so klare Wilhelm je geschrieben. Er gönnte Agnes dem Prinzen nicht, den er überhaupt nicht liebte, obgleich Albert ihn von jeher mit der größten Freundschaft behandelt, besonders seit der Prinz sich verpflichtet glaubte, den Verrath seiner Schwester an dem jungen Arzte nach seinen Kräften ihm durch doppeltes Entgegenkommen vergelten zu müssen.

Daß Albert ihn nach Wien mitgenommen, darin fand er nur die bequemste Art, sich seiner zu entledigen; daß er ihm sein Vertrauen schenkte, das deutete er nur als das Bedürfniß des vornehmen Mannes, sich, wenn auch einem Untergeordneten mitzutheilen; daß Albert ihn überall empfahl und zu befördern suchte, war in seinen Augen nichts als die Protegirwuth der Großen; ja selbst seine freundschaftlichen Briefe mit ihren rückhaltslosen Mittheilungen waren nur angeborne Schreibseligkeit; und so war Wilhelm gegen Niemand ungerechter als gegen Albert, in dessen Herz das reinste Wohlwollen, die lauterste Theilnahme für ihn lebte.

Als Wilhelm eben den auf Schrauben gestellten Brief an den Prinzen absenden wollte, traf eine zweite Zuschrift von dem letztern ein. Es waren nur wenige Zeilen und ihr Zweck war, Wilhelm mitzutheilen, daß der Prinz sich einem in Mailand stationirten Cavallerieregimente habe zutheilen lassen und morgen dahin abreisen werde. Der Brief schloß:

 

»Wäre nicht schon mein Anstellungsgesuch im Cabinet des Kaisers gewesen, ich hätte Alles rückgängig gemacht, denn die Veranlassung meines bleibenden Aufenthalts auf österreichischem Gebiet fällt ja jetzt weg! Ich will von ihr, von der ich Viel zu viel gesprochen, nie mehr reden und bitte Sie, lieber Wilhelm, bei Ihrer bewährten Freundschaft, mir darin beizustehen, indem Sie selbst den Namen nicht mehr nennen, nicht einmal, um die Leichtsinnige zu vertheidigen.«

 

Sehr bitter und sehr spöttisch warf Wilhelm diesen zweiten Brief von sich.

»Glückliche Reise, mein Prinz. Weder die ›Leichtsinnige‹ noch der ›bewährte Freund‹ werden Sie in Ihren heroischen Vorsätzen stören! Es ist nur ein Glück,« fuhr er in seinem Selbstgespräche fort, »daß dem Mädchen nicht durch diese Prinzenlaune die ihrige getrübt worden;« und indem er der frischen Fröhlichkeit Agnesens gedachte, erfüllte ihn ein Gefühl der Genugthuung in der Seele des jungen Mädchens, wie es wohl ihr Vater empfunden haben möchte bei dem Gedanken. Es kam ihm vor, als räche sie ihn, der sich so tief in der Schwester Fallstricken verwebt, indem sie dem Bruder gegenüber kalt geblieben – den wahren Zusammenhang des Verhältnisses zwischen Albert und Agnes kannte er ja nicht, da Niemand anders als jener mit ihm darüber gesprochen. Daß Albert eigentlich viel unschuldiger war, als selbst Agnes glaubte, wußte er eben so wenig.

Jetzt waren sie aus einander gerissen und zwar, wie es Wilhelm schien, für ewig. Denn was sollte das auf einem ungarischen Landgut vergrabene Mädchen mit dem Manne zusammenführen, der jetzt schon nach Mailand unterwegs war, mit ihm, der noch dazu sie vermied, wie sie ihn! Unwillkührlich summte Wilhelm vor sich hin:

Sie waren längst gestorben,
Und wußten es selber kaum.



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