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Sechstes Kapitel.


Seit Ludmillens Ankunft im Hause des Doctor Rose bis zu ihrer Abreise hatten die öffentlichen Verhältnisse in Pesth einen großen Umschwung erlitten. Der Bruch mit Oesterreich lag offen da, man dachte nur noch daran, sich zu rüsten, um dem Feinde schlagfertig gegenüber zu stehen. Ein so lebendig bewegtes Bild früher auch schon die Straßen der ungarischen Hauptstadt geboten, im Vergleich mit jetzt konnte man sie damals still und öde nennen. Tag und Nacht wogten die Patrioten lärmend auf und nieder, und da jeder Ungar ein Patriot ist, so kann man sich wohl einen Begriff von diesem Treiben machen. So feurig früher die Augen der Ungarn geglüht, jetzt erst schienen sie den wahren Glanz erhalten zu haben. Die Frauen trugen keine andern Farben mehr, als grün, roth und weiß, und die Männer schienen nichts mehr zu besitzen, als Uniformen und Waffen.

Der Siegestaumel wich aber wieder einer ernstern Zeit. Windischgrätz rückte in Pesth ein! Kossuth zog sich nach Debreczin zurück! Die Tricolore verschwand im Anzug der Frauen, die Uniformen bei den Männern, aber im Innern blieb Jeder dennoch ruhig der Ueberzeugung, daß die österreichischen Occupationstruppen nicht lange in Pesth sich pflegen würden.

Doch gab es auch natürlich noch immer viele österreichisch Gesinnte, das heißt Leute, die entweder selbst aus den Erzherzogthümern stammten, oder solche, die durch ihr persönliches Interesse mit der kaiserlichen Macht in Ungarn zusammenhingen.

Von diesen Leuten hatten sich mehrere zu österreichischen Emissairen, Spionen und geheimen Boten hergegeben. Sie trugen Depeschen hin und her, statteten Berichte ab, ja brachten sogar Ordres an Jellachich und an die Truppen, welche die Grenze von Siebenbürgen besetzt hielten; denn auf dem gewöhnlichen militairischen Wege war alle Communication im durchaus feindlich gesinnten Lande unmöglich geworden; alle einzelnen Ordonnanzen wurden von den ungarischen Bauern weggefangen. So blieb denn den Kaiserlichen nichts übrig, als willige Privatpersonen zu ihren Zwecken zu ver wenden, die unter dem Scheine von Landkrämern und dergleichen die Depeschen wohl verborgen, zu Wagen oder zu Pferde, an ihre Bestimmung zu bringen suchten. Plötzlich aber waren mehrere dieser Leute einige Meilen hinter Pesth spurlos verschwunden – nicht sie, nicht ihr Fuhrwerk, nicht ihre Pferde kamen wieder vor die Augen ihrer Angehörigen zu Pesth oder Ofen.

Das Militaircommando, in dessen Auftrag sie gereist, machte mit seinen Nachforschungen nach ihnen möglichst wenig Lärm, weil es fürchtete, durch solches Aufsehn vielleicht erst die Aufmerksamkeit des Feindes auf die wichtigen Papiere zu lenken, deren Träger die Verschwundenen waren, und von denen es doch nicht sicher war, ob sie in die Hände des Feindes gefallen.

Diese Papiere aber befanden sich immer einige Tage nach ihrer Absendung wohlbehalten in den Händen Kossuths in Debreczin und der aufmerksame Dictator wußte nicht geringen Vortheil aus diesen feindlichen Depeschen zu ziehen. Sie waren es, die ihm zuerst die Gewißheit der feindlichen Schwäche gaben. Sie kamen ihm immer im einfachen grauen Couvert mit dem Postzeichen Ketskemet zu; nicht die leiseste Andeutung befand sich dabei, wer dem Vaterlande diese wichtigen Dienste leiste.

Es befanden sich unter diesen Depeschen mehrere eigenhändige Briefe des Commandirenden, und hätte Fürst Alfred die Genugthuung sehen können, mit welcher der Gouverneur von Ungarn diese ziemlich trostlosen und dennoch pompös klingenden Schilderungen las, deren Schluß regelmäßig die Bemerkung machte, daß, wenn nicht bald Verstärkung eintreffe, er sich nicht länger gegen die »Rebellen« halten könne – Windischgrätz würde dann noch schmerzlicher die »Concentrirungen« und »retrograden Bewegungen« des österreichischen Heeres empfunden haben.

Wilhelm Rose nahm keinen thätigen Antheil an der Politik. Diese Politik hatte seine Krankenliste mit so viel Verwundeten und Leidenden vermehrt, daß seine körperlichen Kräfte seinen ärztlichen Anstrengungen zu erliegen drohten. Seine Theilnahme gehörte freilich den Siegen der Ungarn, denn Wilhelms feingeistige Natur konnte sich nur mit Ekel von der brutalen Hinterlist abwenden, welche er seit seinem Aufenthalt in Ungarn zu empörend von Seiten der kaiserlichen Regierung gegen das unglückliche Land hatte ausüben sehen.

Diese Theilnahme an der ungarischen Sache fand aber Wilhelm sich nicht bewogen, offen auszusprechen, weil ihn als Deutschen doch manche Bemerkung aus ungarischem Munde kränkte. Die Magyaren, deren Wunden er heilte, wußten ihm kein besseres Compli ment zu machen, als daß ihn sicher Niemand für einen Landsmann der Kaiserlichen halte. Daß er von »da draußen« gekommen, war doch etwas, das in ihren Augen der Sühne bedurfte!

Agnes hingegen schwärmte mit ganzer Seele für die ungarische Partei und die begeisterten Briefe Elisabeths fanden in ihren Antworten eben so feurigen Wiederschein.

Außerdem floß ihr Leben, trotz dem, daß sie sich auf dem ersten Kriegstheater der neueren Zeit befand, ziemlich in gewohntem Gleise hin. Die Sorge für ihre lieblichen Kinder verdrängte alle andern, die Freude an ihnen erhob sie über alles wirkliche Leid. Wilhelm hatte in der letzten Zeit, wenn auch kein aufmerksameres, doch ein weniger hofmeisterndes Benehmen gegen sie beobachtet, was aber nur daher kam, daß er gewöhnlich jetzt müder und ruhebedürftiger nach Hause kam wie früher.

Seine traurigen Ahnungen über Ungarns Schicksal schienen sich nicht erfüllen zu wollen. Die Oesterreicher zogen aus Pesth – Görgey stürmte Ofen – ja eine Zeit trat ein, wo Ungarn mit vollem Rechte die Fahne des unbestrittenen Sieges entfalten durfte.

 

Da rief Franz Joseph die Russen ins Land! Es war am 13. Juli 1849, als die Oesterreicher seit Ungarns Erhebung zum zweiten Male in Pesth einzogen, diesmal geführt von dem Sieger von Brescia, von Haynau.

Agnes saß an diesem Tage wie ein Bild der tiefen Trauer zwischen ihren Kindern, die heute nichts durch ihre Scherze über den Schmerz der Mutter um das niedergetretene schöne Land, das ein besseres Schicksal verdient, vermochten.

Endlich kam Wilhelm nach Hause. Seine Frau war überrascht, als sie aufblickte und seine von Zorn entstellten Züge sah; so viel Sympathie für Ungarn hatte sie bei ihm nicht vermuthet.

Da sagte er mit dem Tone der Stimme, den sie nur allzugut kannte und der gewöhnlich der Vorbote eines Ausbruchs seines Zornes war: »Ich ersuche Dich, den Domestiken zu sagen, daß Du für Niemand zu Hause bist, hörst Du, für Niemand!«

»Ich bitte Dich,Wilhelm,«sagte Agnes sich erhebend, »sage mir offen und ehrlich, welcher unangenehme Besuch mir droht.«

»Du brauchst das nicht zu wissen!«

»Wenn ich Dich aber bitte, Wilhelm« –

»Nun wohl,« sagte er in der höhnischen Art, die immer sein Zorn seiner Frau gegenüber annahm, »Dich kann es ja nur freuen. Dein ehemaliger Anbeter, der Erbprinz von Waldheim, ist eben an der Spitze seiner Schwadron in Pesth eingeritten. Der besternte Weißrock hofft am Ende in meinem Hause dieselbe Rolle wie die österreichischen Horden im ganzen Lande zu spielen – ich aber, ich schieße ihn nieder wie einen tollen Hund,« rief er aufflammend, »wenn ich ihn auf meiner Schwelle treffe!«

Agnes zitterte wie Espenlaub. Sie wagte keine Silbe zu erwiedern, weil sie fühlte, daß jedes Wort die Fassungslosigkeit ihres Gemahls vermehren mußte.

Erst am folgenden Morgen wagte sie es, ihn sanft zu fragen: »Wilhelm, hast Du denn gar kein Vertrauen zu mir, weil Du ein Verbot für nöthig hältst?

»Auf was spielst Du an?« fragte er mit gerunzelter Stirne.

»Auf Waldheim,« entgegnete Agnes stockend.

»Ich habe so viel Vertrauen zu Dir, als man zu einer Frau haben kann; ich weiß, daß Du redlichen Willen hast.«

»Und was habe ich nicht?«

»Was keine Frau hat: Vorsicht, Ausdauer, Energie, Zurückhaltung. Ihr könnt nur durch Aufopferung, Hingebung, Begeisterung, kurz in aufgeregtem Zustande den Versuchungen widerstehen. Aber bei einem Kampf, der sich täglich erneut, bei dem man außer dem Muth auch der Geduld und der Beharrlichkeit bedarf, da wird jede Frau schwach – und erliegt.«

»Und erliegt!« sagte Agnes mit einem leisen Anklang von Ironie, denn sie gedachte der täglichen Geduldsproben, die Wilhelm ihr auferlegte – und denen sie doch noch nicht erlegen war. Aber sie schwieg dennoch, denn ihr genügte, wenigstens zu wissen, daß sie unmittelbar seiner Eifersucht keine Nahrung gegeben, und beschloß wirklich Waldheim, um keinen Preis zu sehen, wenn er sich bei ihr zeigen sollte.

Wie staunten Beide, als der Bediente eintrat und ihnen den Grafen L., Ludmillens Gemahl, meldete. Agnes entfernte sich auf den Wunsch ihres Mannes.

Der Graf, obgleich sehr gealtert, trat dennoch mit der Miene des Gewalthabers ein und begrüßte Wilhelm ziemlich wenig ceremoniös.

»Mein Besuch gilt eigentlich Ihrer Frau Gemahlin, ich wollte ihr danken, daß sie in jener Zeit der Anarchie meiner Gemahlin eine Zuflucht bei sich gewährt.«

»Meine Frau wird es sehr bedauern,« sagte kalt Wilhelm, »sie ist aber verhindert.«

Nachdem der Graf sich der Länge nach auf einen Sessel geworfen, sagte er leichthin: »Haben Sie doch die Freundlichkeit mir anzugeben, wohin die Gräfin von hieraus gereist ist. Es war in diesen Zeiten bei nahe unmöglich, in briefliche Verbindung zu treten. Meine Frau wußte nicht, wohin ich, ich nicht, wohin sie sich gewendet. Mein Schwager Albert, den ich vorhin gesprochen und der mit seinem Regimente aus den italienischen Kämpfen kommt, ist eben so besorgt um das Schicksal seiner Schwester wie ich. Sie können uns allein aus der Ungewißheit reißen, indem Sie uns auf die richtige Spur leiten. Wohin hat sich die Gräfin gewendet?«

Wilhelm konnte bei der Behauptung, daß der Prinz um das Schicksal Ludmillens nicht wisse, sich eines ironischen Lächelns nicht erwehren, denn Agnes hatte einen Brief Rosaliens erhalten, worin ihr diese das Zusammentreffen der Geschwister und Alberts heiliges Versprechen, Ludmillens Aufenthalt nie dem Grafen zu verrathen, gemeldet hatte. Wilhelm konnte natürlich nicht weniger thun, im Gegentheile, er that mehr, wenn ihn dazu auch wohl mehr sein eigner Stolz als die Theilnahme für Ludmille trieb.

»Ueber den Aufenthalt der Frau Gräfin kann ich Ihnen durchaus keinen Nachweis geben.«

»Sie haben ihr doch sicher den Paß besorgt« –

»Auch das nicht.«

»Sie leugnen« –

»Herr Graf! Obgleich ich Ihrer Frau Gemahlin keinen Paß besorgt, weiß ich dennoch – und nur ich allein weiß es, wohin sie sich gewendet, aber Niemand erfährt es.«

»So, so,« sagte der Graf mit kurzem, zornigem Lachen, »höchst erbaulich! Hat die Gräfin Ihnen verboten« –

»Mir hat Niemand etwas zu verbieten, Herr Graf! Ich sage Ihnen nicht, wohin Ihre Gemahlin ging, weil es mir so beliebt.«

Der Graf stand auf und verließ ohne Gruß das Zimmer. Wilhelm aber ging in das seinige, um seine Papiere zu ordnen, denn ihm ahnte doch, daß er nicht umsonst in der unterworfenen Hauptstadt den österreichischen Grafen beleidigt haben könne.

 

Am folgenden Tage sah Agnes den ältesten Sohn des treuen Mischka auf triefendem Rosse in den Hof sprengen. Das Herz schlug ihr aus Angst um Elisabeth, die sie in der letzten Zeit nicht gesehn und die noch immer trotz aller Unsicherheit draußen auf dem Castell weilte.

Der kleine Mischka brachte wirklich traurige Nachricht. Elisabeth war von einem Reitertrupp gefangen genommen und mitgeschleppt worden. Als schon die Soldaten ins Haus drangen, hatte sie ihm noch zuge flüstert: »In dem Ofen im Saal liegt ein Brief an die Doctorin, den besorge schnell.« Dann hatte sie die Soldaten gefragt, wer ihr Rittmeister sei, diese aber hatten nur mit Hohngelächter geantwortet, indem sie das Fräulein mit rohen Fäusten weggerissen.

»Den Brief, den Brief!« rief Agnes.

Der Junge zog ein zerknittertes Papier aus der Brust, es war ein angefangener Brief mit dem Datum des vorigen Tages.


»Meine theure Freundin!

Alles ist verloren – und ich möchte gerne zu Ihnen flüchten, wage aber nicht Ihr Haus zu betreten, um nicht Ihren Mann und Sie in mein Verhängniß hineinzuziehen. Wenn die Schergen erfahren, daß ich das Castell in den letzten Wochen nicht verlassen und Sie nicht hier gewesen sind, wird man an Ihre Unschuld glauben. Ich that, was ich nicht lassen konnte, und bin bereit, dafür einzustehen.

Ein entsetzliches Unglück habe ich aber heute erfahren! Meine edle Freundin, Frau von Horvath ist nicht mehr. Sie hat den Tod für's Vaterland erlitten. Schon seit vierzehn Tagen vermißten wir sie und ahnten das Schlimmste. Sie werden kaum glauben, was ich Ihnen von dem Heldenmuthe dieser Frau zu berichten habe. Sie werden gehört haben, daß seit dem Anfange des Krieges Boten, Spione und Ordonnanzen des Feindes in unserer Gegend spurlos verschwanden und dann die Depeschen an Kossuth nach Debreczin gesandt wurden. Man vermuthete, daß Mehrere sich zu diesem patriotischen Zwecke vereinigt. Diese Thaten wurden aber nur durch eine Hand ausgeführt, und diese Hand war die Hand einer Frau!

Als Frau von Horvath ihren dritten Sohn zum Heere entlassen, sagte sie zu mir: ›Jetzt ist es an uns, zu handeln, Elisabeth.‹ Ich verlangte nichts Besseres, Sie theilte mir nun ihren Plan mit, Sie hatte in Pesth patriotische Späher, die ihr jedes Mal den Abgang eines Boten mit wichtigen Depeschen für den Süden meldeten. In Männerkleidung, bis an die Zähne bewaffnet und gut beritten, lauerte ihnen die heldenmüthige Frau auf – achtzehn wichtige Depeschen hat Kossuth durch ihre Hand empfangen – und die unglücklichen Träger, die zum Theile verwundet wurden, zum Theil aber auch sich gutwillig ergaben, diese Träger verbarg sie in den Kellern ihrer Pusta, und ich allein besaß das Geheimniß ihrer Gegenwart, denn mein war die Sorge für ihre Pflege und ihre Nahrung.

Frau von Horvath aber wollte vor mehreren Wochen, als es eigentlich schon unmöglich war, ihre kriegerische Thätigkeit von Neuem beginnen, indem sie einzelne militairische Ordonnanzen anzugreifen beschloß. Vor vierzehn Tagen ritt sie aus in der Nacht – und gestern erst erfuhr ich, daß sie erschossen, beerdigt, aber nicht erkannt sei!

Letzteres wird noch nachträglich geschehen und dann komme ich an die Reihe, die schwarzgelbe Fahne flattert ja wieder in Pesth!

Ihnen schreibe ich nur um der Gefangenen willen; eilen Sie schnell hieher, damit diese Menschen nicht in den Kellern der Pusta verschmachten.«

 

Agnes befahl sogleich anzuspannen, Wilhelm war nicht zu Hause, warten konnte sie aber nicht, sie nahm ihre beiden Kinder zu sich in den Wagen, denn ihr starkes Mutterherz fühlte sie am sichersten bei sich, und flog auf dem Wege nach der Pusta der Frau v. Horvath fort.

Das ganze Haus war voll Soldaten; einen Unteroffizier, einen älteren Mann, den sie an der Thüre stehen sah, fragte sie nach Elisabeth. »Nach Ketskemet zum Regimentsstab!« Dann sagte sie dem Manne von mehreren Gefangenen in den Kellern des Hauses – Elisabeth hatte aber bereits vor ihrem Wegführen das Geheimniß enthüllt, und die Leute waren schon in Freiheit; es blieb nun Agnes nichts Anderes übrig, als nach Ketskemet zu fahren, um dort für ihre Freundin zu versuchen, was sich thun ließ. Die Kinder schliefen fest im Wagen, sie setzte sich wieder zu ihnen und als sie schon dem Kutscher zugerufen: »Nach Ketskemet!« und die Pferde schon anzogen, fiel es ihr erst ein, nach dem Namen des Rittmeisters zu fragen, zu dessen Schwadron die Soldaten gehört, die Elisabeth weggeschleppt; ihr Herz stockte, als sie rufen hörte: »Seine Durchlaucht der Prinz Albert von Waldheim!«



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