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Zweites Kapitel.


Die beiden Damen schoben ihre Abreise von Pesth auf das Land noch um einen Tag zu Ehren einer »akademischen Nationalversammlung« auf, und Herr von Serenyi schickte einen reitenden Boten nach dem Gute, um Herrn von Stein davon zu benachrichtigen.

Sie erhielten mit Mühe noch einen Platz bei dem Feste auf der Gallerie unter den anwesenden Damen. Unten am Saale stand eine lange grünverhängte Tafel, an ihr saßen die Gelehrten, die Professoren der Universität und mehrere Magnaten, die Anspruch machten, zu den ersteren zu gehören. Einer davon, ein schlanker junger Mann, erhob sich jetzt, um, das zierliche Heft in der Hand, nachlässig auf den Säbel gestützt, einen Vortrag zu halten, dem Alles in gespannter Stille lauschte, und der gegen das Ende einen ungeheuer lebhaften Schwung erhielt; mehr verstand Agnes davon nicht!

Dichtgeschaart, Kopf an Kopf füllten die Zuhörer den Saal, alle stehend, alle in der Nationaltracht, die Bedingung des Eintritts war. Der schwarze kurze Rock mit stehendem Kragen und einer Reihe Knöpfe, die hohen Stiefeln mit Quasten am Knie, um den Hals die breite schwarze Atlasbinde mit dem langen, auf die Brust herabhängenden befranzten Ende und vor Allem der Hauptschmuck jedes Magyaren, der blanke Säbel am rothen Saffiangurt, kleidete diese Männer vortrefflich. Die ungarische Mütze ohne Schild hielten sie in der einen Hand, während sie mit der andern den gewichsten Schnurrbart, ihren höchsten Stolz, von Zeit zu Zeit durch die Finger gleiten ließen.

»Es ist möglich,« sagte Agnes lächelnd zu ihrer Freundin, »daß von all diesen gegenwärtigen Männern keiner eine regelmäßige Schönheit besitzt, aber mir kommt es vor, als wären es lauter Modellköpfe, und ich meine, nie schöner geschnittene Augen, feinere Nasen und kühnere Stirnen gesehen zu haben.«

Sie wollte nun mit ihren ächt deutschen Gesetzlichkeitsscrupeln wissen, was in Ungarn dazu gehöre, um zum Tragen eines Säbels berechtigt zu sein, da man ihr in Wien versichert, das sei ein ausschließliches Recht des ungarischen Adels. Diese harmlose Frage erregte in ihrer Umgebung, zu welcher sich einige alte Herren, Bekannte Elisabeths, gesellt, die heftigsten Debatten. Der Eine sagte: »Außer dem Adel auch Gelehrte, Künstler und Professoren der Akademie, denn die Angehörigen dieser Stände stehen bei uns dem zahlreichen Adel vollkommen gleich.« »Nicht doch,« rief ein Zweiter, »Jeder, der nicht Handwerker und nicht Bauer ist, hat das Recht, einen Säbel zu tragen.«

»Lassen Sie sich von den jungen Leuten nichts vorplaudern,« wandte sich da lächelnd ein alter weißbärtiger Ungar zu Agnes. »Ich will Ihnen das wahre Sachverhältniß aufdecken; Jeder, der in Ungarn fünf Gulden hat, um einen Säbel zu kaufen, hat auch das Recht, einen zu tragen.«

Als die Andern lachten, setzte Herr von Serenyi noch mit seinem gewöhnlichen Gleichmuth hinzu: »Oder für fünf Gulden Credit, denn mir wird Niemand leugnen, daß es bei uns unendlich viel mehr Säbel als Fünfguldennoten giebt.«

Die fragbegierige Agnes wurde überhaupt beim Eintritt in das fremde Land nur selten mit einer befriedigenden Antwort beglückt. Jede ihrer Erkundigungen wurde das Signal zum Streite unter ihrer Umgebung, da der ganze nationale Aufschwung – es war im Jahre!1843 – bis auf die Sprache noch ungeregelt und formlos war; die nationale Idee lag in der Wiege, aber es war ein Herkules.

Fragte Agnes nach der Benennung verschiedener Gegenstände, so nannte ihr Jeder ein anderes Wort und die alten Herren klagten, daß sie vor lauter neuerfundenen und hinzugekommenen Wörtern die Zeitungen selbst nicht mehr verstehen könnten. Die Damen in den Städten, die sonst nur deutsch gesprochen, ließen sich auch nur noch in ihrer Muttersprache vernehmen, gut oder schlecht, sie sprachen ungarisch, und das war freilich auch das beste Mittel, es rasch zu erlernen.

Am Nachmittage wurde das schöne Ofen gegenüber besichtigt, diese von den Österreichern für uneinnehmbar erklärte Festung. Agnes drang sogar in den gemauerten Gang, der von der Spitze der Citadelle unter der Erde nach der Donau führt, um in Belagerungszeiten die Besatzung immer mit Wasser versorgen zu können.

 

Der Tag, an welchem Agnes mit Elisabeth auf das neue Gut fuhr, war ein wunderschöner Herbsttag, das heißt, es war im September, aber in jenen gesegneten Fluren prangte noch der volle Sommer, kein lauer Sonnenstrahl mahnte noch an den Winter, kein fallendes Blatt an den Tod.

Elisabeth erzählte Agnes vom neuen Hause, das man im angrenzenden Dorfe nur das Castell nannte. Es war einstöckig, wie die meisten ungarischen Landhäuser, aber in schönem Style vor ungefähr hundert Jahren von einem aus russischen Kriegsdiensten zurückkehrenden Edelmann gebaut. Das ganze Innere war nach der Mode der damaligen Zeit mit Figuren des Olymps al Fresco bemalt, und die junge Ungarin bereitete ihre Freundin schon jetzt auf den Anblick einer besonders schönen und wohlconservirten Venus vor, die mit einer unnachahmlichen Grazie und Verschämtheit die Finger spitze, um den Apfel aus Paris Hand entgegen zu nehmen.

Als Agnes nach wenigen Stunden einer ächt ungarischen Sturmfahrt im Castell angekommen und das zärtliche Wiedersehen mit dem geliebten Vater gefeiert war, durchschritt sie mit unnennbarem Vergnügen die Räume des neuen Eigenthums. Ein Landgut war seit ihrer Kindheit einer ihrer liebsten Wünsche gewesen, und das schöne geräumige Haus mit seinen hohen edlen Gemächern, dem weiten Flur, umgeben von grünen wehenden Bäumen, übertraf alle ihre Erwartungen, wenn sie das nach deutschen Begriffen kleine Capital bedachte, welches ihr Vater dafür gezahlt.

Wie lieblich wollte sie es sich hier einrichten, wie glücklich und friedlich mit dem theuern, einzig geliebten Vater leben!

In Pesth hatte sie sich einen Vorrath von Möbeln ausgesucht, deren Ankunft sie stündlich erwartete, denn noch fand sich nichts vor, als einige aus Gefälligkeit von Herrn von Serenyi für Herrn von Stein hier gelassene Unentbehrlichkeiten.

Bald genug riefen sie denn auch lebhafter Peitschenknall und fröhliches Jauchzen ans Fenster, aber wie erschrak sie; der Möbelwagen aus Pesth, bei dessen vorsichtiger Bepackung sie zum Theil selbst gegenwärtig gewesen, kam pleine carrière auf dem Hofe angefahren. Der Kutscher, den ihr Vater von Herrn von Serenyi übernommen und dem sie wohl zehnmal anempfohlen, langsam Schritt für Schritt zu fahren, war, mit hochgeschwungener Peitsche auf dem Vordertheil des Wagens stehend und die drei kleinen flinken Pferde zur rasendsten Eile antreibend, den Weg hieher geflogen. Jubelnd sprangen ihm seine und des Verwalters Kinder auf dem Hofe entgegen, aber als Mischka endlich stille hielt, trat ihm Agnes verweisend entgegen.

»Es wird Alles in Stücken sein,« sagte sie mißmuthig, »ich hatte Ihnen doch so sehr anempfohlen, langsam zu fahren, und Sie kommen daher, als gelte es einen Wettlauf.«

Mischka's eben noch so aufgewecktes heiteres Gesicht legte sich in melancholische, ausdrucksvolle Falten. Unter seinen langen Wimpern warf er seiner neuen Herrin einen traurig ernsten Blick zu und versetzte dann nach einer Pause mit langsamer und tiefer Betonung: »Meine Schuld nicht, Gnädige! Nicht zu halten waren Pferde, ungarisch Pferd läßt sich nicht halten, wenn es frei Weg vor sich sieht – ungarisch Pferd ist nicht deutsch Pferd!«

Agnes mußte trotz ihres Aergers über diesen Seitenhieb auf ihre Landsleute lächeln, diese Landsleute, welche sich halten lassen, wenn sie auch noch so viel freien Weg vor sich sehn!

Die Möbel wurden nun ausgepackt – es war richtig Alles in Stücken und Mischka wurde beordert, am folgenden Morgen nach Pesth zurückzufahren und dort einen Wagen voll Tischlergesellen zu holen, um zu leimen und zu stücken, was sich noch leimen und stücken ließ.

»Ein schlimmes Omen,« sagte Agnes; »die Einrichtung zerbrochen, ehe sie noch in Gebrauch kam!«

Elisabeth aber lachte. »Glauben Sie nicht an Vorbedeutungen, ich thue es auch nicht, denn wenn ich daran glauben sollte, müßte mir das schrecklichste Schicksal der Welt bevorstehen. Alle Prophezeiungen für mich und meinen Bruder August laufen auf Blut, Schaffot und ein gräßliches unnatürliches Ende hinaus. Sogar meine gute Mutter sah in ihrer Todesstunde uns Beide mit Märtyrerkronen Arm in Arm ihr folgen.«

»Und das beunruhigt Sie gar nicht?« fragte Agnes verwundert.

»Beunruhigen? Nein.« Und indem sie Agnes voll mit ihren braunen Augen ansah, sagte sie leidenschaftlich: »Ich wünsche nichts Anderes, denn als Märtyrerin zu sterben.«

»Märtyrerin für was?«

»Für mein Vaterland! Sie dachten wohl an die Liebe, weil Sie mich fragten? Ach, liebes Fräulein, damit bin ich fertig!«

»Fertig, und noch so jung?«

»Ich habe da eine traurige Erfahrung gemacht,« sagte Elisabeth nach einer Pause. »In Pesth, im Hause meines ältesten Bruders, machte ich die Bekanntschaft eines Gutsbesitzers aus der Nähe von Trentschin. Es war ein schöner, feuriger Mann, voll Vaterlandsliebe und ritterlicher Gesinnung. Er schien mir ein ächter Magyar. Ich hatte ihn zwar nur ein paar Mal gesehn, aber ich sagte ihm voll und freudig meine Hand zu, als er darum warb. Meine Verwandte billigten meine Wahl vollkommen. Die Hochzeit sollte bald auf einem Gute meines zweiten Bruders, das auf dem Wege zwischen Pesth und Trentschin liegt, gefeiert werden. Der Hochzeitsmorgen brach an. Wir waren bereits Alle versammelt und es fehlte nur noch der Bräutigam und meine beiden jüngsten Brüder, die aus Oberungarn, wo sie sich seit mehreren Monden aufhielten, noch erwartet wurden. Sie hatten meinen Zukünftigen noch nie gesehn.

Denken Sie sich mein Erschrecken, als ich, gerade beschäftigt, den Brautkranz in meinen Haaren zu befestigen, die beiden jungen Leute plötzlich mit verstörten, traurigen Gesichtern bei mir eintreten sehe.

August, den Sie kennen, kam in einer heftigen, aufgeregten Weise, die bei seiner sonstigen Ruhe mich doppelt ängstigte, auf mich zu, nahm den Kranz aus meinen Haaren, und indem er ihn weit wegwarf, sagte er zitternd vor Bewegung: ›Jetzt nicht, diesmal nicht, heute sicher nicht. Dieser Mensch verdient nicht, daß ein Mädchen wie Du sich für ihn den Brautkranz in die Haare flicht.‹

›Um Gottes willen, was ist denn geschehn?‹

Mein dritter Bruder, Stephan, der ruhiger war, als August, legte diesem Stillschweigen auf und sagte: ›Laß mich erzählen, August. Ich bin gefaßter, Du erschreckst die Schwester unnöthig.‹ Während August mit schnellen Schritten im Zimmer auf- und abging, wandte ich mich zitternd mit gefalteten Händen, denn reden konnte ich nicht, der Schrecken hatte mir die Kehle zugeschnürt, zu Stephan, der endlich ziemlich zusammenhängend mir Folgendes mittheilte.

›Wir konnten Eperies erst einen Tag später verlassen, als wir beabsichtigt hatten, weil August noch einen Termin für einen seiner Clienten abwarten mußte, und entschlossen uns deshalb, Tag und Nacht zu reisen, um heute früh hier einzutreffen. Als wir in Trentschin ankamen, war es acht Uhr Abends und vor Mitternacht keine Gelegenheit zur Weiterreise. August meinte, in einem Badeorte, wo alle ächten Ungarn zusammenkommen, die nicht »draußen« ihr Geld wegwerfen wollen, müßte man doch vier Stunden angenehm todtschlagen können. Wir erkundigten uns nach irgend einem Unterhaltungsort, man wußte uns aber für heute nichts Anderes zu nennen als den Salon, wo man Bank für Hazardspiele hielt. August und ich gingen hin, um zuzusehen. Es war eine ziemliche Menge Cavaliere da versammelt, von denen aber nur wenige selbst spielten. Einer der Pointeurs zog sogleich unsere Aufmerksamkeit auf sich, sowohl durch seine auffallende Schönheit, als sein leidenschaftliches Spielen. Ein alter Herr aus Trentschin selbst, wie er uns sagte, erzählte uns, der junge Mann sei der Matador der Spieler, der erste und der letzte an der Bank, und zwar seit mehreren Jahren. Er habe seine Mutter gekannt, die eine edle Dame gewesen und voriges Jahr aus Gram über diese Leidenschaft ihres Sohnes ins Grab gestiegen. »Das Geld zu 'diesem Spiel habe ich zum Theil selbst hergegeben,« sagte lächelnd der alte Herr, »mir aber natürlich ein paar schöne Güter verpfänden lassen.« Wir fragten nach dem Namen, und denke Dir unsern Schrecken, als er uns den Namen Deines Bräutigams, unsers künftigen Schwagers, den Namen Johann von Matuschka nannte!‹«

Elisabeth schwieg, Agnes nahm ihre Hand. »Und Sie haben ihm nicht verziehen?«

Die Magyarin sah sie groß an. »Einem Spieler? Mein Bräutigam Johann war für mich gestorben, der Spieler Matuschka mir ein Fremder. Meine Brüder wußten das auch und hatten ihm schon in Trentschin sich zu erkennen gegeben und mein Wort zurück verlangt. Er hatte darauf in ihrer Gegenwart einen Anfall wahnsinniger Reue gehabt, aber sie waren abgereist mit der Versicherung, daß sie nie dulden würden, daß ich ihn wiedersähe.«

»Haben Sie ihn auch nicht wiedergesehn?«

Elisabeth schüttelte mit dem Kopfe. Sie war sehr blaß geworden. Nach einer Weile setzte sie aber mit gefaßter Stimme hinzu: »So lange ich noch auf dem Gute bei Trentschin war, brachte er die Nächte klagend unter meinem Fenster zu. Da ich allein nach dieser Seite des Hauses schlief, wußte Niemand davon, und obgleich es mir sehr – – peinlich war, sagte ich auch nichts, denn meine erzürnten Brüder würden ihn todtgeschossen haben, wie ein tolles Wild auf ihrem Eigenthume« –

»Und Sie, gaben Sie ihm gar kein – gar kein Zeichen?«

Elisabeth schüttelte wieder mit dem Kopfe. »Von mir hat er seitdem nichts gesehen, gehört, noch erfahren. Aber seine ewigen Verfolgungen, um meine Verzeihung zu erlangen, waren die Ursache, daß ich meinen Bruder nach Wien begleitete, wo ich ja,« fügte sie plötzlich lächelnd hinzu, indem sie über die Stirne strich, wie um alles Unangenehme zu verwischen, »Ihre liebe süße Bekanntschaft machte.«

Agnes zog sie an ihr Herz. Durch die Kenntnis dieser Begebenheit war ihr Elisabeth zur Schwester geworden, und sie beschloß, für ihr Theil Alles dazu beizutragen, daß sie sich nicht mehr trennen würden. Da Elisabeth denselben Wunsch im Innern hegte und ganz unabhängig war, so schien auch jede Aussicht vorhanden, daß die beiden Freundinnen vereint blieben.



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