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Viertes Kapitel.


Ludmille war in solche Aufregung gerathen, daß es endlich selbst ihrem neugierigen Zuhörer auffiel; er gebot ihr Ruhe, sie wollte sich anfangs nicht fügen, aber bald folgte eine solche Erschöpfung, daß sie die Augenlider nicht mehr erheben konnte.

Wir aber wollen ihr vorgreifen und das, was sie am folgenden Morgen dem Doctor noch aus ihrem Leben erzählte, in gedrängter Kürze mittheilen.

Sie hatte selbst gesagt, daß von dem Augenblicke an, wo sie Gräfin L. war, sie sich grenzenlos elend fühlte; denn nicht nur die Art, wie ihr Gemahl sich im Innern seines Hauses betrug, war ihr zuwider, auch sein Benehmen in der großen Welt und die Weise, in welcher er seine junge Gemahlin überall aufführte, empörte Ludmillens Gefühl. Den Erzherzögen, dem Staatskanzler und seiner hochmüthigen Gemahlin gegenüber war er kriechend und würdelos, gegen jeden Andern hingegen hochfahrend und impertinent; mit den älteren Damen sprach er Zweideutigkeiten, mit den jüngeren süßliche Albernheiten – Ludmille konnte das nicht mit ansehen – ihr eigener Stolz, ihr Selbstgefühl wurde in ihrem Gemahl so tief verletzt, daß sie es vorzog, diese Demüthigung sich zu ersparen, und gar nicht mehr an seiner Seite zu erscheinen beschloß. Allein ließ er sie nicht ausgehen, das erlaubte seine Eifersucht nicht, und so kam sie denn gar nicht mehr aus ihren Gemächern. Anfangs suchten ihre ehemaligen Freunde sie dort auf; da man aber bald ihre frühere Munterkeit, an deren Stelle ein erbittertes, gedrücktes Wesen getreten war, an ihr vermißte, so hörte das auch auf, und ehe einige Monate vergingen, war sie ganz einsam, denn selbst ihre Schwester sah sie nicht mehr, weil diese sich mit ihr überworfen, als Ludmille ihr erklärt, sie werde jedenfalls sich von dem Grafen scheiden lassen, was sie als Protestantin ja durfte – was ihre Schwester hingegen, die aus »Rücksichten für die Familie ihres Gemahls« katholisch geworden, auf das Aeußerste schon um des Scandals willen mißbilligte.

Ludmille hatte, obgleich ihr Entschluß unwider ruflich fest stand, noch keine Schritte wegen der Scheidung gethan, weil es für sie bis jetzt eine Unmöglichkeit gewesen. Sie hatte keinen Zufluchtsort, keinen Freund, keinen Beschützer, selbst kein Geld, um irgend etwas zu unternehmen, denn ihr Gemahl, durch seinen Schwager gewarnt, bewachte sie und entzog ihr alle Mittel zum selbstständigen Handeln. Das einzige Wesen, dem sie bisher ihr Herz erschließen konnte, ohne mit Vorwürfen, mit Mißtrauen oder mit Gleichgültigkeit empfangen zu werden, war in der Ferne, ihre Tante Rosalie. Der lebhafteste Briefwechsel mit der geistreichen alten Jungfer war der einzige Trost, die einzige Erholung der schönen jungen Frau!

Außerdem las sie ernste Bücher, zeichnete, spielte Clavier, im letzteren war sie besonders vorgeschritten, kurz sie führte das Leben einer Frau, die von der Welt nichts mehr erwartet.

Rosalie konnte ihr leider nur Trost, weiter nichts spenden, wir kennen ja die beschränkten Verhältnisse derselben.

 

Nachdem Ludmille diese Skizze ihrer Lebensgeschichte geschlossen, trug sie dem Arzt den dringenden Wunsch ihrer Seele, den Wunsch, dessen Erfüllung Alles war, was sie noch vom Leben verlangte, vor – die Verzeihung Wilhelms zu erhalten.

»Er ist der einzige Mann von allen Männern, der mich geliebt, dessen Character mir bei näherer Kenntniß Achtung eingeflößt hat, und diesen Einzigen habe ich tödtlich beleidigt! Ich kann nicht mit dieser Ueberzeugung aus der Welt gehen – schaffen Sie mir seine Verzeihung – wenn auch nur schriftlich. Wenn ich in den wohlbekannten Zügen seiner Hand lese, daß er mir vergeben hat,« sagte sie weinend, »so scheide ich beruhigt von hinnen.«

Der Doctor ging zu Rose und hoffte fest, ihn diesem Wunsche der Kranken geneigt zu machen, aber selbst eine schriftliche Verzeihung verweigerte Wilhelm. »Ich kann ihr nicht verzeihen,« sagte er düster, »der Gifttropfen, den Sie in mein Leben geworfen, hat schlimme Saat getragen– er ist nicht gut zu machen!«

»Aber doch zu verzeihen« –

»Auch das nicht – ich kann es nicht, weil ich überhaupt nicht an ihre Reue glauben kann. Es ist nur eine neue Laune – – ich habe jetzt eine noch schlimmere Meinung von ihr als damals, wo sie mich betrog – damals habe ich sie doch für eine zu stolze Weiblichkeit gehalten, um einen Mann zu heirathen, wie diesen Grafen L.!«

Doctor Keller glaubte sich nicht berechtigt, Ludmillens ihm vertraute Aufschlüsse über diese Ehe auch Wilhelm mitzutheilen, und begab sich zurück zu ihr, um deshalb nachzufragen. Sie billigte seine Verschwiegenheit.

»Nicht gut zu machen, was ich an ihm verbrochen,« sagte sie sinnend, »heißt das, daß er unglücklich verheirathet ist?«

»Im Gegentheil, Frau Gräfin. Er hat eine schöne, sehr gebildete und geachtete Frau aus dem Reich. Eine Dame, von welcher man sagt, daß ihre Eigenschaften ihrem Gatten nichts zu wünschen übrig lassen.«

Nachdem Ludmille eine Weile geschwiegen, sagte sie plötzlich rasch: »Gehen Sie zu ihr und ihr theilen Sie Alles mit, was Sie von mir erfahren! Die Frauen sind immer großmüthiger als die Männer, sie wird mir verzeihen, und wenn sie schön und klug ist, auch Einfluß auf ihren Mann haben. Sie wird ihn bewegen, mir zu vergeben. Gehen Sie zu ihr.«

Und Doctor Keller ging zu ihr. Agnes hörte ihn athemlos bis zu Ende, dann, zu seiner größten Verwunderung, brach sie in einen Thränenstrom aus – und es dauerte lange, ehe sie sich hinreichend gefaßt hatte, um ihre Thränen ihm erklären zu können.

»Liebster, bester Doctor,« sagte sie endlich schmerzlich lächelnd, »welchen Aufruhr haben Sie in meinem Herzen wach gerufen! Seit sechs Jahren bin ich mit Rose verheirathet, und lassen Sie mich es jetzt gestehen, nicht glücklich, denn ich habe keinen Blick in sein Herz gethan! Daß dieses Herz wirkliche und zwar schmerzliche Geheimnisse bewahre, davon hatte ich, wenn auch keine Beweise, doch die Ueberzeugung!

Rose ist hart, ja man könnte zuweilen versucht werden, ihn unbarmherzig zu nennen – aber er ist durchaus gerecht! Wie kam es, daß er, ein so gerechter Mann, seiner Frau kein Vertrauen schenkte?«

»Weil eine ihn betrogen, verdammte er das ganze Geschlecht.«

»Er verdammte es nicht,« sagte Agnes eifrig, »er hielt nur als vorsichtiger Mann mit seinem Vertrauen zurück, weil er einmal getäuscht worden – hätte er das Geschlecht verdammt – er würde sich nicht vermählt haben – o nein, sicher nicht! Ich bin sogar überzeugt, daß er mich seines Vertrauens für würdig hält, aber das Herz mancher Menschen und gerade das der edelsten Menschen, wozu ich mit Stolz meinen Mann rechne, hat die Eigenthümlichkeit, sich nur einmal zu öffnen; schließt es dann der Verrath, dann bleibt es für immer geschlossen.«

»Die Frauen sind doch besser als wir,« sagte der Doctor gerührt.

»O rechnen Sie mir es nicht zum Verdienste an, daß ich Rose vertheidige; obgleich er mich unsäglich oft gekränkt, steht er doch so weit über mir« –

»Durch was? darf ich fragen.«

»Dadurch, daß nur Großartiges seinen Geist zu bewegen vermag – wie das Echo kann nur ein starker voller Klang ihn wecken – die Lappalien des Lebens haben kein Interesse für ihn. Kunst, Wissenschaft, die Leiden der Menschheit vermögen allein seine Theilnahme anzuregen, aber keine von all den elenden Triebfedern, die tausend andere Menschenleben in Bewegung setzen!«

Etwas beschämt sagte Doctor Keller: »Das ist recht schön, aber Frau und Kinder zu lieben und glücklich zu machen, ist, wenn auch gerade kein erhabener, doch jedenfalls ein edler Beruf.«

»Wenn er aber nun kein Herz für uns hat – wenn wir nun nicht so sind, wie er uns lieben könnte, ist das seine Schuld?«

»Gnädige Frau! Sie sagen das in einem Tone, als wären Sie und Ihre schönen Kinder – – das, was Sie nicht sind!«

»Wir sind keinesfalls, was wir sein sollten,« sagte Agnes und begrub den Kopf in ihre stützenden Hände. »Die Kinder sind unschuldig, aber ich – und ich hätte doch wissen müssen, wie hart ihn das Schicksal behan delt, und hätte Alles, Alles gut machen müssen – welche andere Aufgabe hat die Frau, als diejenige, gut zu machen, zu heilen, zu schlichten, was das Leben an dem Manne ihres Herzens verschuldet?«

»Und was ist denn die Aufgabe des Mannes der Frau gegenüber?«

»Das müssen Sie eben so gut wissen, wie ich – und noch besser, denn es ist Ihre Aufgabe, darüber nachzudenken; ich brauche mich nur mit unsern Pflichten zu beschäftigen!«

Der Doctor schüttelte den Kopf. »O Frauengroßmuth, die immer zu weit geht – immer sich selbst vergißt!«

Trotz allem Ernst mußte Agnes laut auflachen. »Das wäre mir eine schöne Großmuth, die an sich selbst dächte.«

»Sie urtheilen doch zu milde; die heutigen Männer verdienen es nicht. Nein, gnädige Frau,wir älteren Männer, wir waren besser als die jetzigen, die immer hübsch Alles beisammen haben wollen: Großmuth und weise Vorsicht, hingebende Liebe und stolze Zurückhaltung, kindliche Demuth und erhabenen Stolz, häuslichen Fleiß und aristokratische Unbekümmertheit, strenge Kindererziehung und immer sanftes Wesen – und vor Allem ein mei sterhaft gehaltenes Haus, worin aber unsichtbare und unhörbare Geister reinigen und ordnen.

Hat Ihr Gemahl gar keine dieser ganz gewöhnlichen und kleinen jetzigen Männerprätensionen?«

Agnes hob ihr zur Erde gefallenes Schnupftuch vom Boden auf und gab keine Antwort, sondern fragte rasch abspringend nach ächter Frauenart:

»Ist die Gräfin wirklich rettungslos?«

»Eigentlich sollte ich Ihnen die Antwort schuldig bleiben als Revanche, aber ich will Ihnen zeigen, daß Männergroßmuth auch weit gehen kann. Die Gräfin kann gerettet werden, aber ich halte es für unmöglich, wenn Rose nicht nachgiebt; diese Sehnsucht nach der Aussöhnung mit ihm ist eine entschiedene Lebensfrage bei ihr. Reden Sie mit ihm, suchen Sie wenigstens ein paar Zeilen von ihm zu erlangen.«

»Ich? Wo denken Sie hin – er würde mir eine Einmischung in diese Angelegenheit nie verzeihen.«

»Wenn Sie es nicht vermögen, vermag es Niemand. Ich muß jetzt zur Gräfin zurück, werde ihr aber sagen müssen, daß Sie sich ihrer annehmen wollen – auch selbst, wenn Sie es nicht thun! Sie würde diese Weigerung bei Ihnen mißdeuten, es für etwas ganz Anderes halten.«

Agnes lächelte schmerzlich: »Für Eifersucht, für Rachsucht! Ich verstehe – eifersüchtig, rachsüchtig einer Todtkranken gegenüber! Diese Frau hat mir mein bestes Leben vernichtet, aber ich verzeihe ihr; sie hat gebüßt.«

Als Agnes allein war, kam der Plan, ihren Mann mit Ludmillen zu versöhnen, ihr immer verführerischer vor. Ihr enthusiastisches, großmüthiges Herz liebte die Aufregungen, die Opfer; wie alle lebhaften Frauen, empfand sie immer das Bedürfniß zu handeln, zu wirken, dies Bedürfniß, was Männer weniger lebhaft fühlen, weil sie ihm eher genügen können.

Als in der Dämmerung Wilhelm bei ihr eintrat, sagte sie mit zitternder Stimme: »Wilhelm, sei nicht böse, ich habe einen unangenehmen Auftrag an Dich übernommen.«

»Was ist's? Sag' es nur schnell.«

»Doctor Keller war hier – – – sie stirbt, wenn Du ihr nicht verzeihst – schreibe nur eine Zeile, dann ist sie zufrieden.«

Als Agnes Keller's Namen nannte, hatte sich Rose rasch von ihr abgewandt, obgleich es schon so dunkel war, daß sie seine Züge nicht mehr erkennen konnte.

Eine lange Pause trat ein, welche ein paar Juraten mit ihrem Schreien und Singen auf der Straße ausfüllten, endlich sagte Wilhelm mit auffallend trockner Stimme:

»Keller ist ein tactloser Mensch – was geht Dich die Sache an – diese Wiener können alle den Mund nicht halten, sie sind wie die alten Weiber.«

»Du thust ihm Unrecht, Wilhelm, die Gräfin hat ihn zu mir geschickt.«

»Sie weiß nicht, was sie thut,« fuhr er heftig fort. »Wenn ein Arzt alle Wünsche einer im Delirium liegenden Sterbenden erfüllen wollte, welcher Unsinn käme da heraus!«

»Also Du hältst sie doch selbst für eine Sterbende und dennoch – Wilhelm, gieb nach, um Deiner Mutter willen!«

»Agnes!« und die tiefe Stimme des Mannes zitterte im Gefühl des herannahenden Zornes, »Agnes, lasse mich gewähren! Ich thue ihr nicht den Willen! Dieser fürstlichen Thörin, die bis zum Grabe jede Laune befriedigt haben will! Und wäre diese Erfahrung ihre letzte, sie soll erfahren, daß Geburt, Schönheit und Geld nicht immer hinreichen, um seinen Willen durchzusetzen. Rede nie mehr von ihr, wenn Du nicht willst, daß ich um ihretwillen auch Dich meiden soll. Ich will nichts mehr von ihr hören.«

Und er ging mit dröhnenden Schritten. Agnes war sechs Jahre seine Frau und wußte am Tone seiner Stimme nur zu gut zu erkennen, daß Ludmille nichts zu hoffen hatte.

Am Abend desselben Tages fuhr Agnes zu Ludmillen. Sie hatte den Doctor von der abschlägigen Antwort ihres Gemahls benachrichtigt und darauf von diesem den dringenden Wunsch Ludmillens erfahren, doch wenigstens sie, die sich so großmüthig ihrer angenommen, zu sehen und zu sprechen. Als sie am Arme des Doctors die hell erleuchteten breiten Treppen des gräflichen Palais hinanstieg, konnte sie sich eines ironischen Lächelns über sich selbst nicht erwehren. War sie nicht im Begriffe, die ehemalige Geliebte ihres Mannes darüber zu trösten, daß er nicht kam? Hätte sie sich selbst im glücklichen Besitze dieser Liebe gefühlt, so wäre das eine Pflicht der Großmuth gewesen, aber litt nicht ihr eignes Herz seit sechs Jahren durch die Schuld dieser Frau?

Als sie eben das Vorzimmer erreicht, ließen sich hastige Schritte hinter ihnen vernehmen. Agnes erschrak, sie fürchtete, ihr Mann, dem sie ihr Vorhaben nicht mitgetheilt, weil sie ein Verbot von ihm besorgte, komme, um sie zurückzuführen. Es war aber eine Dame, die nach ihr eintrat; der Bediente, der sie hereingeführt und der ihr kaum folgen konnte, wandte sich an den Doctor:

»Wollen Sie nicht die Güte haben und diese Dame bei der Frau Gräfin melden? Sie sagt, sie sei ihre Tante, die Fürstin Waldheim.«

Der etwas zweifelhafte Ton, womit der Diener dies sprach, war leicht zu entschuldigen, denn die Dame sah durchaus nicht wie eine Verwandte dieses vornehmen Hauses aus. Die ergrauenden Haare hingen verwirrt um die hohe Stirne, das blasse, scharfgezeichnete Antlitz war bestäubt, der Hut gedrückt, der Mantel von unscheinbarem Stoff und veraltetem Schnitt. Aber mit rascher Fassung wandte sich die Fremde an den Arzt:

»Nehmen Sie keinen Anstoß an dem Aufzug, in dem ich komme, und sagen Sie mir vor allen Dingen, wie steht es mit der Gräfin?«

Doctor Keller zuckte die Achseln.

»Gott sei Dank, daß ich sie nur noch am Leben finde nach dieser Mühsal. Dem Grafen bringe ich eine Schreckensnachricht. Wien ist in Aufruhr, der Kaiser in der Burg eingeschlossen, die Studenten Regenten von Wien. Die Straßen sind mit Flüchtlingen bedeckt, ich selbst bin nur wie durch ein Wunder hier – wo man noch keine Kunde zu haben scheint.«

In diesem Augenblicke ertönte in der Straße ein solches Freudengeschrei, daß Agnes unbewußt fast des Doctors Arm erfaßte. Aus einer Nebenthüre aber trat der Graf mit bleichem, entsetzten Gesichte. »Doctor, was giebt's?«

»Hier die durchlauchtige Tante Ihrer Frau Gemahlin (der Graf verbeugte sich nicht, sondern sah staunend die fremde Erscheinung an), die eben flüchtig von Wien kommt, bringt die Nachricht, daß dort die Revolution auf's Furchtbarste ausgebrochen, der Kaiser ermordet und die Studenten die Tyrannen von Wien sind.«

»Ermordet ist der Kaiser nicht,« sagte die Fremde, »so viel ich weiß, aber ohne Zweifel in den Händen der Insurgenten. Den Ausbruch des Aufstandes verursachten die Truppen, welche am Rothenthurmthor sich weigerten, nach Ungarn zu marschiren, wobei das Volk ihnen beisprang. So viel ist gewiß, was man gewöhnlich unter Autoritäten zu verstehen pflegt, ist aus Wien verschwunden. Geflüchtet, versteckt, gefangen oder gehängt wie Graf Latour, den ich selbst am Pfahle baumeln sah.«

Der Graf hielt sich an die nächste Stuhllehne. »O heilige Dreifaltigkeit! Jesus, Maria, Joseph! Was fang' ich an! Wohin?« So stieß er die Worte kaum vernehmbar heraus, denn das Geschrei hatte sich auf der Straße dermaßen vermehrt, daß die Fensterscheiben erklirrten.

»Sie stürmen mein Haus,« ächzte der Graf. »Jesus, Maria, Joseph, ich bin verloren.«

Aber in einem Anfalle plötzlicher Thatkraft riß er dem nächststehenden Bedienten den Bortenrock vom Leib, warf seinen eignen schwarzen, mit vielen kleinen Kreuzchen am Knopfloche gezierten Frack hinter einen Stuhl und stürzte durch die Seitenthüre hinaus, durch welche er gekommen.

Rosalie, die ihn mit untergeschlagenen Armen die ganze Zeit über fixirt, sagte kalt: »In diesem Hause bringt die Revolution die Dinge in die rechte Ordnung. Dieser Mann hätte nie einen andern Rock tragen sollen, er steckt nun in seiner rechten Tracht. Lassen Sie uns jetzt zu unserer Kranken gehn.«

Der Doctor stand einen Augenblick wie unschlüssig, dann sagte er stotternd: »Ich kann nicht länger meine Hausleute bei solchem« – in diesem Augenblicke klirrte eine Fensterscheibe – »Aufruhr allein lassen – es sind nur hülflose Frauen.«

Agnes wollte sagen: »Was sind wir denn?« Sie bezwang sich aber und versetzte: »Wenn Sie doch gehen wollen, so nehmen Sie mich mit – mein Mann, meine Kinder, meine Freundin haben das Recht zu verlangen, daß ich in solchem Augenblick bei ihnen bin« –

»Ich werde Ihrem Gemahl sagen, wo Sie sind,« versetzte eifrig der Doctor, »aber jetzt dürfen Sie nicht gerade das Haus verlassen, dessen Thorflügel ich befehlen werde zu schließen. Ich werde Ihren Gemahl benachrichtigen, verlassen Sie sich darauf.«

»Wenn Sie mich nicht mitnehmen wollen,« sagte Agnes ruhig, »so gehe ich allein. Eine einzelne Frau wird kein Ungar seinen Deutschenhaß entgelten lassen.«

Der Doctor sagte mit einer Satyrmiene: »Daß Ihnen der Haß jetzt auf der dunkeln Straße gefährlich werden könne, habe ich auch nie geglaubt, schöne Frau.«

Agnes wandte sich von ihm und er ging wirklich und ließ die beiden fremden Frauen allein im Vorzimmer der todtkranken Gräfin stehn.

Agnes faßte sich und sagte lächelnd zur Fürstin Rosalie: »Ich bin wie Sie zum ersten Male in diesem Hause« –

»Wenn nur Jemand uns der Kranken melden wollte,« sagte Rosalie, »ich fürchte sie zu erschrecken, wenn ich so plötzlich bei ihr eintrete.«

Eine bange Pause erfolgte, auch auf der Straße war eine augenblickliche Stille eingetreten. Ein Redner, dessen Worte nicht bis zum zweiten Stockwerk dringen konnten, ließ sich draußen vernehmen und das Volk auf der Straße war nur noch hörbar, wie ein ferne grollendes Meer.

Mitten in diesem gedämpften Lärm schlug ein gellender Schrei an das Ohr der beiden Frauen, aber nicht von der Straße erschallte er, nein, aus dem nächsten Zimmer.

Unwillkührlich eilten Beide nach der Thüre; als sie sie geöffnet, lag eine weiße Gestalt am Boden. Rosalie hob sie mit Hülfe von Agnes auf und Beide trugen sie in das geöffnete Schlafkabinet.

Es war die arme Ludmille, die Kranke, die Verlassene, die, als auf ihr Rufen Niemand erschien, unbeschreiblich beängstigt durch den Lärm auf der Straße, von ihrem Bette, sich mit den Armen an den Wänden haltend, bis ins nächste Zimmer gelangt und dort zusammengebrochen war.

Als sie im Bette die Augen aufschlug, fiel ihr erster Blick auf ihre Tante.

Ein unbeschreiblicher Freudenstrahl flog über ihr Gesicht. »O, nun ist Alles gut,« hauchte sie, »nun bin ich nicht mehr allein! O liebe gute Tante Rosalie« – und sie führte die Hand der zitternden Fürstin an ihre trocknen Lippen – »Du wirst mich vor ihm schützen. O, welche immerwährende Angst, daß er dennoch zu mir dringt, daß ich seine gräßlichen Züge dennoch vor meinem Tode schauen muß!«

»Sei ruhig, Kind, er ist fort! Er ist entflohn.«

Ludmillens Gesicht verklärte sich, sie schlang mit plötzlicher Kraft beide Arme um den Hals Rosaliens und rief unter Lachen und Weinen: »O welch ein Glück, er ist fort!«

Da fiel ihr Blick auf Agnes, die in einiger Entfernung sich still in einen Fauteuil gesetzt hatte. »Wer ist das?« fragte sie flüsternd ihre Tante.

Diese zuckte die Achseln. Da erhob sich Agnes, welche die Frage gehört, und sagte stockend: »Doctor Keller hat mich hergebracht.«

»O Dank, tausend Dank, daß Sie meinen Wunsch gewährt!«

Weiter konnte die Kranke nicht sprechen, denn auf der Straße erhob sich von Neuem ein solcher Lärm, daß ihr das Wort im Munde erstarb.

»In Wien ist ein Aufstand ausgebrochen,« erklärte, als es wieder etwas ruhiger ward, mit gleichgültigem Tone Rosalie, »und diese Nachricht entzückt die guten Ungarn!«

»Sie stürmen vielleicht unser Haus,« entgegnete Ludmille eben so gleichgültig, »ich fürchte mich nicht! Deswegen ist er wohl geflohen?« setzte sie lächelnd hinzu.

Rosalie nickte, aber ohne innerlich die Sicherheit ihrer Nichte zu theilen.

Agnes aber war am meisten zu beklagen. »O wäre Wilhelm nur da,« seufzte sie aus gepreßter Brust, als die tobende Menge von Neuem anfing zu brüllen und von Neuem Fensterscheiben klirrten.

»Lassen Sie's gut sein,« sagte Rosalie bitter.« Wer weiß, ob ›Wilhelm‹ hier bliebe, wenn er hier wäre!«

»Es ist mein Mann, von dem ich spreche, Durchlaucht!« – und Agnes' Stimme zitterte vor tiefer Aufregung!

In diesem Moment wurde die Thüre aufgerissen – Wilhelm stand auf der Schwelle.

Ludmille fuhr hoch im Bette auf, Rosalie trat einen Schritt zurück und traute ihren Augen nicht, als sie hier den Liebling ihres Herzens stehen sah, den sie augenblicklich erkannte.

Aber er sah sie nicht! Wie ein Engel der Rache, der Vergeltung, zornig und strafend stand er auf der Schwelle, das Auge nur auf seine Frau gerichtet. »Agnes!« rief er gebietend, als sie sich nicht von der Stelle bewegte. Aber auch jetzt folgte sie nicht! Eine stehende Geberde, indem ihre Hand auf das Bett wies, war ihre ganze Antwort.

Aber kein Blick seiner großen flammenden Augen wandte sich dorthin, und seine Stimme klang wahrhaft drohend, als er sagte: »Agnes! Folge mir zu Deinen Kindern, ich befehle es Dir!«

Da erfaßte das Mitleid so gewaltig die großmüthige Frau, daß sie zu ihm stürzend seine Kniee umschlang und weinend rief: »O sei ein Mensch diesen beiden verlassenen Frauen gegenüber! Der Graf, die Dienerschaft ist geflohen! Sie sind ganz allein in dem der Volkswuth preisgegebenen Palaste! Wenn Du auch Gräfin Ludmille willst sterben lassen, was hat Dir denn ihre arme Tante gethan?«

»Ihre Tante?« fragte Wilhelm, plötzlich ein Andrer, »ihre Tante?« und sein Blick durchflog das Zimmer und Rosalie stürzte an seinen Hals und umarmte weinend und ganz aufgelöst von den verschiedensten Empfindungen den lange vermißten Liebling.

Ludmille aber kniete im Bette und wurde in diesem Augenblicke bitter für ihre Vergehungen gestraft.

Wilhelm faßte sich bald. An einer Hand Rosalien, an der andern Agnes haltend, sagte er fest: »Aber nun fort! Jeden Augenblick kann die Rotte ins Haus brechen, wir müssen dem zuvorkommen. Durch den Garten bin ich eingedrungen, aber durch das große Thor führ' ich Euch kühn hinaus. Ich bin zwar kein Redner, aber so viel reden werde ich doch, daß die da draußen erfahren, wen ich retten will und wer entflohen ist!«

Rosalie sagte weich, auf Ludmillen zeigend: »Ohne diese gehe ich nicht.« »Ich auch nicht,« – setzte Agnes hinzu, und beide Frauen stellten sich zur Seite des Bettes der Kranken, die nur durch Händefalten ihren Dank auszudrücken vermochte.

Wilhelm schwieg einen Augenblick, dann sagte er kalt: »So hüllt sie in einen Mantel und laßt sie durch ein paar Bedienten die Treppe hinab tragen.«

Ludmille gab an, wo ein Mantel liege, dann bat sie ihre Tante, an einer Klingelschnur heftig zu ziehen, die nach dem Domestiken-Zimmer führe und mit allen Schlafzimmern der Dienerschaft in Verbindung stehe.

Rosalie schellte ein, zwei, drei Mal, es kam Niemand. Der Lärm auf der Straße nahm immer zu, schon vernahm man deutliche Schläge an das Hofthor.

»Wenn sie den Eingang erzwingen, dann ist Alles verloren,« sagte Wilhelm entschlossen. » Wir müssen öffnen« – und er schritt dazu, zu thun, was ihm in diesem Augenblick das Widerwärtigste auf Erden war.

Er umfaßte das zitternde Weib, das er allein auf Erden geliebt und jetzt allein auf Erden haßte, und trug sie die Stiege hinab. Rosalie öffnete die schweren Riegel, Agnes trug auf ihres Mannes Gebot zwei große Armleuchter mit brennenden Lichtern in den Händen.

Als die Thorflügel aufsprangen und die dagegen gestemmte Menge unwillkührlich hereingebrochen war, legte Wilhelm die Kranke in die Arme ihrer Tante, wandte sich zu den plötzlich verstummten, verblüfften Patrioten und sagte in ihrer Sprache, die ihm sehr geläufig war: »Edle Ungarn! Der Graf, dem Euer Zorn gilt, ist geflohen. Die Dame, die Ihr hier seht, ist seine todkranke Gemahlin, dies ihre Tante, Beide keine Oesterreicherinnen und von ihm in der Gefahr schmählich verlassen. Ich bin der Arzt und dies ist meine Frau. Seid mir behülflich, die Kranke in mein Haus zu schaffen, ich wohne Hutgasse No. 32, und dann durchsucht das Haus nach Männern, denn gegen Frauen führt Ihr ja keinen Krieg!«

Ein Eljen war die Antwort.

Schnell organisirte sich eine Kommission, um das Haus zu durchsuchen, Wachen wurden an allen Ausgängen aufgestellt, für die indessen ganz ohnmächtig gewordene Ludmille eine Sänfte, für Agnes und Rosalie ein Wagen geholt – während Wilhelm, der als Arzt von vielen Anwesenden gekannt war, von allen Seiten Freundschaftsversicherungen erhielt!

Und dennoch, als die Frauen glücklich der Gefahr entrückt waren und er allein die plötzlich erleuchteten Straßen Pesths durchschritt, lag tiefe Trauer auf seinen Zügen!

Er dachte nicht mehr an Ludmille, nicht mehr an Rosalie, selbst nicht an seine gerettete Frau und seine Kinder daheim – er dachte des Volkes, das so siegesfroh und trunken ihm aus allen Straßen entgegenströmte, und unwillkührlich fielen ihm Becks Unheil weissagende Worte ein:

Auf Farrenkräutern, tief im Haideland,
Da sitzt die Weltgeschichte, düster lugend,
Da wird der Pflug zum Schwert, in Blut geweidet,
Und Herzen sind die Aehren, die man schneidet.



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