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III.
In Ungarn.


Erstes Kapitel.


Der Gang unserer Erzählung führt uns nach Ungarn, und Agnes von Stein, unsere frühere Bekannte, ist es, an deren Hand wir dieses wunderbare Land betreten. Ihr Vater war ihr schon dorthin vorausgeeilt, sie aber noch bei Freunden in Wien zurückgeblieben, um ihm, dem sorgsamsten aller Väter, Zeit zu gönnen, das Haus des neuangekauften Gutes zu ihrem Empfange herzurichten.

Die Freunde, unter deren Schutz sie noch in Wien geweilt, waren Mitglieder einer höchst liebenswürdigen ungarischen Familie, deren nähere Bekanntschaft ihr Vater bei Gelegenheit des Gutsankaufs gemacht, denn eben sie waren die früheren Besitzer desselben. Solche Kauf- und Verkaufsverhältnisse sind besonders geeignet, Menschenkenntnisse zu sammeln, weil, wo es das Vermögen gilt, die meisten Menschen jede andere Rücksicht fallen lassen, der zu Liebe sie sonst die Schattenseiten ihres Characters zu verhüllen pflegen. Aus dieser Feuerprobe war aber die Familie Serenyi in ungetrübtem Glanze hervor gegangen, und Herr von Stein ließ mit Freuden sein Kind für einige Tage in ihrer Obhut.

Herr von Serenyi, der Vater, hatte Herrn von Stein begleitet, und seine beiden jüngsten Kinder, August und Elisabeth, waren mit Agnes zusammen geblieben. August war ein Mann von ungefähr fünf und zwanzig Jahren und Advocat, Elisabeth wohl nur etwas älter als Agnes, die in ihr die erste Freundin fand.

Die drei jungen Leute freuten sich nun, gemeinschaftlich die Reise anzutreten, und beschlossen, nur bis Preßburg am ersten Tage mit dem Dampfschiffe zu fahren und dann einen kleinen Abstecher nach Tyrnau zu machen, wo der älteste der Serenyi'schen Brüder – August hatte deren fünf – mit einer liebenswürdigen Frau verheirathet lebte; Agnes hatte ihm bei seiner Anwesenheit in Wien versprechen müssen, ihn auf der Reise nach ihrem Gute nicht links liegen lassen zu wollen.

Agnes verließ leichten Herzens die Kaiserstadt. Vor dem Rothenthurmthor, auf der Leopoldstädter Brücke, stand sie noch einmal im Wagen auf und sah rückwärts nach der alterthümlichen Stadt, von der ihr ahnte, daß sie ihre Zinnen nie wieder erblicken werde!

»Sonderbar,« sagte sie zu Herrn von Serenyi, »so alt dieses Wien ist, so macht mir doch all sein Leben und Treiben nur den Eindruck des Lebens und Treibens eines Kindes, und drum scheide ich auch ohne tieferes Interesse davon.«

»Wohl Ihnen,« sagte Herr von Serenyi bitter, »daß Sie nur diesen Eindruck empfangen! Ihnen kommt diese Sucht, in schalen Vergnügungen, jedes Gedankens beraubt, die Zeit zu tödten, nur als beschränkte kindliche Heiterkeit vor, wir Männer aber erblicken darin den geängstigten Seelenzustand eines schlechten Gewissens, das durch rauschende Lust das Bewußtsein seiner Laster und seiner Sünde zu betäuben strebt!«

»Das ist wieder so eine exaltirte, oder wie Sie mir ja selbst erlaubt es zu nennen, eine ungarische Ansicht. Wie kann man das Treiben von dreimalhunderttausend Menschen resumiren, indem man es mit den Zuckungen des schlechten Gewissens eines Einzelnen vergleicht! Für so summarisch grausam hätte ich sie nicht gehalten!«

»Sie mißverstehen mich, gnädiges Fräulein! Ich wollte mit diesem Vergleiche nicht das Treiben der Individuen, sondern das sogenannte öffentliche Leben, dasjenige bezeichnen, was die kaiserlich königliche väterliche Regierung ihren folgsamen Kindern gestattet und angiebt!« – –

 

Es war die höchste Zeit zur Abfahrt, als die Freunde an Bord des Preßburger Dampfers eintrafen. Die Geschwister begrüßten schon auf der Landungsbrücke einen alten Bekannten, der mit ihnen reisen sollte, einen Landsmann, der, wie sie, aus der Gegend von Eperies stammte, aus dem Lande des feurigen Tokayers.

Agnes überflog mit raschem Blick ihre Reisegesellschaft auf dem Schiff und bemerkte außer ihren ungarischen Gefährten kein einziges anziehendes Gesicht. Herr von Serenyi machte sie spöttisch auf eine außerordentlich zahlreiche Judenfamilie aufmerksam, die wegen der peinlichen Verhältnisse für Leute ihres Glaubens nach Ungarn auswanderten. »Die kommen aus dem Regen in die Traufe,« sagte er lächelnd; »in Wien da vergessen die Leute, wenn man ihnen viel Geld giebt, Alles, was man will, sogar daß man ein Jude ist. Wir Ungarn aber – wir vergessen nichts – der Preis müßte denn,« setzte er sehr bitter hinzu, »ein Kammerherrnschlüssel oder der Sternkreuzorden sein – und selbst die so Geköderten wagen nicht, ihr Vaterland wieder zu sehen, weil dessen Anblick alle alten Wunden aufreißen würde. Ein Ungar kann nur fern von Ungarn vergessen, daß er ein Ungar ist!«

»Und weil das ein so schmerzenbringendes Bewußtsein ist, drum leben so Viele von uns fern von ihrem Vaterlande,« setzte sein Landsmann düster hinzu, »denn nicht ein Jeder liebt seinen Schmerz, obgleich dieser Schmerz um's Vaterland das Beste ist, was wir armen Ungarn haben!«

Agnes betrachtete mit Theilnahme die bleichen Züge der beiden Magyaren, in denen sich eben ein tiefer leidenschaftlicher Schmerz aussprach.

August Serenyi's Gesicht war sonst unbeweglich wie Marmor. Er und sein Freund gehörten zu den schweigsamen Menschen, die nur für eine Idee leben und nur, wenn diese angeregt wird, Theilnahme und Feuer beurkunden. Sie waren nur Patrioten, alles Uebrige lag ihnen fern, und jede andere Thätigkeit war bei ihnen nur eine Folge ihres Pflichtgefühls.

Zwei sehr unbedeutend aussehende Passagiere waren den beiden Ungarn besonders ein Dorn im Auge; zwei Männer mit glattrasirten Gesichtern und zugeknöpften Oberröcken. Sie wurden Agnes als zwei Spione bezeichnet, die unausbleibliche Zugabe jedes nach Ungarn segelnden Bootes. Agnes lachte über diese Voraussetzung, aber als das Schiff ungefähr eine Stunde lang gefahren und man die schwarz gelbe Fahne am Spiegel herunter riß, um sie mit der grünroth-weißen ungarischen zu vertauschen, weil man die Grenze passirt, gewahrte sie auch eine auffallende Veränderung im Benehmen der beiden Männer. Sie setzten sich ängstlich in eine Ecke, während die Ungarn sich als die Herren des Schiffes geberdeten. Diese brachten dem Vaterland ein donnerndes Eljen und sogen mit begeisterten Zügen die bessere und freiere Luft ein, von der sie behaupteten, daß stärkendes Leben in ihr enthalten im Vergleich zu der versumpften Luft des eingepferchten Oesterreichs.

Allerdings ist es wahr, daß unter keinem Himmelsstriche der Welt so nahe zusammen eine solche Verschiedenheit zu finden ist, wie dies- und jenseits der österreichisch-ungarischen Grenze, man mag nun das Land oder die Menschen und ihre Sitten ins Auge fassen!

In Oesterreich, das fleißig und mühsam bis in jedes Winkelchen bebaute, mit Obstbäumen und Blumenbeeten geschmückte Land, in Ungarn die fruchtbaren, aber meilenweit brach liegenden Strecken ohne Obstcultur, ohne Blumenzier! Diesseits die rührigen, untersetzten, runden, geschwätzigen und geputzten Men schen mit dem lachenden, starklippigen Munde und den begehrlichen blauen Augen; jenseits die schlanken, ernsten Gestalten mit den feinen, schmalen, dunklen Gesichtern, in denen nur die düster glühenden schwarzen Augen Leben verrathen. Sie lachen nicht, sie reden nicht. Das Treiben der Fremden scheint ihrem feinen Munde nur ein spöttisches Lächeln zu entlocken – was scheint ihnen überhaupt im Leben Werth zu haben? Sie arbeiten nur so viel, wie sie brauchen, um es nothdürftig zu fristen; das weiße Fell, worin sie ihre hohen Gestalten hüllen, währt ja viele Jahre, und der schwarze Schlapphut wird ihnen erst lieb, wenn er vom langen Gebrauch geknickt ihnen über die düstern Augen fällt. Zu ihren Wohnungen genügen ihnen die strohbedeckten Lehmhütten mit ein paar Holzklötzen und einem an der Kette hängenden Kessel im Innern. Sie brauchen nicht diese bemalten österreichischen Bauernhäuser mit den runden Fensterscheiben – sie verschmähen diese lustigen Gärtchen davor!

Sowie es einzelne Personen giebt, denen ein tiefer Menschenkenner ansieht, daß ihnen nie ein glückliches Loos zu Theil werden wird, ebenso giebt es ganze der Trauer geweihte Völker; die schlechtesten sind das nicht, und die Magyaren sind ein solches Volk! Und dennoch, wie schön, wie anziehend ist dieses Ungarn mit sei nen kunstlosen Formen und seiner unüberwindlichen Melancholie!

Die vorstehenden Bemerkungen passen übrigens nur für das Landvolk, denn in den Städten sind, wie überall in der Welt, die scharfen Kanten durch den häufigen Verkehr mehr oder weniger abgeschliffen.

 

Noch vor Abend erreichten unsere Reisenden das malerische, von Hügeln umgebene Preßburg. Auf den Straßen wälzten sich ihnen Massen Volkes entgegen. »Was geht hier vor?« fragte Herr von Serenyi. »Der Zapfenstreich, wie jeden Abend,« war die Antwort.

Oesterreichische Regimentsmusiken sind bekanntlich die besten der Welt, wie überhaupt die Musik die einzige Kunst ist, welche Oesterreichs Regierung unterstützt, und man könnte wohl eine politische Berechnung darin sehen, daß alle jene durch starke Garnisonen im Zaum gehaltenen Provinzen so vollständig besetzte Musiken erhalten. Bei den sensitiven, erregbaren Ungarn machen diese schönen Melodien vielleicht wirklich Proselyten! Wem fällt dabei nicht Göthe's Rattenfänger ein:

Und wären Knaben noch so trutzig,
Und wären Mädchen noch so stutzig,
In meine Saiten greif' ich ein,
Sie müssen alle hinterdrein.

Am andern Tage fuhr die Gesellschaft zu Wagen nach Tyrnau und wurde dort mit jener ungarischen Gastfreundschaft aufgenommen, die durch ihre umfassende Großartigkeit förmlich in Oesterreich als Sprichwort sich eingebürgert hat. Von dem Tage in Tyrnau behielt Agnes nur einen Eindruck, da das Städtchen selbst ihr wie ein deutsches Landstädtchen vorkam, den Eindruck eines ungarischen Tanzes, den sie am Abend beim Vorübergehen an einer Schenke durch die geöffneten Fenster ansah.

Ein Zigeuner spielte die Geige, und nach den originellen Tönen dieses einsamen Instrumentes tanzten mehrere Männer, den breitkrämpigen Hut auf dem Kopfe. Es war eigentlich nichts als Springen, denn wer der Decke des niederen Zimmers mit dem Kopfe am nächsten kam, erntete den meisten Beifall. Frauen waren keine zugegen, aber eine Menge von ihnen stand vor der Thüre auf der Straße und blickte sehnsüchtig durch die geöffneten Fenster, ob keiner der Herren der Welt sich bewogen fühlen werde, sie von draußen herein zum Tanze zu holen, wie es die Sitte verlangt; aber die armen Mädchen standen vergeblich in der dunklen Straße. Agnes bemerkte, daß hier die verschmähten Tänzerinnen eigentlich besser dran seien, wie auf unsern cultivirten Bällen, wo sie ihre unbegehrte Person den Augen der boshaften Welt zeigen müssen, während sie sie hier im Düster der Nacht den spöttischen Augen entziehen konnten.

Da eine drückende Hitze herrschte und der Weg nach Gran, wo unser Kleeblatt das Dampfschiff besteigen wollte, nach Herrn von Serenyi's Versicherung nur durch Sandebenen führte, so wurde eine Nachtfahrt beschlossen und Tyrnau am Abende in einem bequemen Wagen verlassen.

Agnes fand den Weg so einförmig, traurig, schlecht und sandig, wie sie es gar nicht ihren patriotischen Gefährten auszusprechen wagte; nur Schritt vor Schritt kamen die armen Pferde im tiefen, trostlosen Sande vorwärts. Nach einigen Stunden solcher Fahrt konnte das lebhafte Mädchen es nicht mehr aushalten; da ihre beiden Gefährten zu schlafen schienen, so beschloß sie, leise auszusteigen und eine Strecke zu Fuß zugehen. Als sie aber den Schlag öffnete, erwachte ihr Begleiter und fragte dienstfertig, ob sie aussteigen wolle. Agnes schämte sich zwar ihrer nervösen Ungeduld, aber sie gestand sie dennoch, indem sie lächelnd sagte: »Mir ist, als verginge ich, wenn ich noch eine Viertelstunde diese langsame Marter ertrüge; mir fehlt ganz und gar der passive Muth, das, was man im gewöhnlichen Leben Geduld im Leiden nennt!«

»Aber was wollen Sie thun?« fragte Herr von Serenyi, und der Mondstrahl beleuchtete voll sein ruhiges, kaltes, nur etwas verwundertes Gesicht.

»Ich will eine Strecke zu Fuß gehen.«

Statt aller Antwort ließ Herr von Serenyi seine Uhr repetiren; es schlug Mitternacht.

Agnes sagte auch nichts, aber sie öffnete den Schlag.

»Sehen Sie auch, mein gnädiges Fräulein, daß der Sand kniehoch liegt und Sie bei jedem Schritte einsinken werden?«

»Ich sehe es.«

Herr von Serenyi sagte jetzt gar nichts mehr, aber er stieg hinter Agnes aus und bot ihr den Arm, den sie durchaus nicht annehmen wollte. Er ließ sich aber nicht abweisen, sondern ging ohne zu reden ruhig neben ihr her. Zuletzt nahm sie auch seinen Arm, da sie wirklich zuweilen so tief einsank, daß sie Mühe hatte, die Füße aus dem Sande herauszuziehen. Als Herr von Serenyi sah, daß sie sich nicht abschrecken ließ, fand er sich auch in die Sache mit seinem gewöhnlichen kalten Gleichmuth, und da sie in ihrer lebhaften, anregenden Weise einige Fragen über eine Reise in der Türkei, von der ihr seine Schwester erzählt, an ihn richtete, begann er ihr darüber in kur zen, gedrängten, aber anziehenden Schilderungen zu berichten.

Sie waren im Gespräche doch rascher als der Wagen vorwärts gekommen, und Agnes bemerkte plötzlich zu ihrem Schrecken, daß sie das Knarren der Räder, worin ihre schlafende Freundin sich befand, nicht mehr vernahm.

Die Beiden standen still – es war nichts zu hören, nichts zu sehen!

»Mein Gott,« sagte Agnes erschrocken, »wir haben doch am Ende nicht in dieser Sandwüste einen falschen Weg eingeschlagen?«

»Das wäre möglich,« versetzte ruhig, wie immer, Herr von Serenyi.

»Das wäre ja schrecklich,« jammerte Agnes, »wir sind ja wie in der Sahara!«

August Serenyi antwortete nicht, auch auf seinem Gesichte war nichts zu lesen – ein sehr aufmerksamer Beobachter dieser kalten Züge würde aber vielleicht in den Augenwinkeln einen ganz kleinen Zug von Schadenfreude entdeckt haben.

Agnes stand still und hielt den Athem an – kein anderer Ton, als das Rauschen einiger über die Beiden dahinfliegenden Nachtvögel! Ruhig und still lag die unermeßliche Ebene im Mondschein vor ihnen, einzelne Sandhöhen ließen sie Agnes wie einen großen Kirchhof erscheinen. Sie schlug Herrn von Serenyi vor, er möge zurückgehen, da der Wagen unmöglich weit sein könne, weil er so langsam fahre.

»Das will ich recht gern thun,« sagte er bereitwillig; »wie aber Sie wiederfinden, hier wo nicht Weg, nicht Steg, nicht Baum, nicht Stein ein Merkmal bietet?«

Agnes schlug nun ihrem Begleiter vor, sie wolle von Zeit zu Zeit einen hellen Ruf mit ihrer starken Stimme in die Nacht hinein ausstoßen. Darauf solle er immer achten und sich nie zu weit davon entfernen, dann könne er sie ja jedenfalls wieder finden.

Er billigte diesen Gedanken vollkommen und entfernte sich mit raschen Schritten in die Nacht, und Agnes ließ sich auf einen kleinen Hügel nieder und rief mit heller Stimme in die stille, öde Wüste hinaus.

Wenn ihr Vater ihre Lage wüßte! Sie erschrak bei dem Gedanken an den Schrecken, welchen er darüber empfinden würde; als sie aber an ihre Bekannten in Deutschland dachte, und was diese wohl sagen würden, wenn sie Fräulein von Stein nach Mitternacht allein in einer ungarischen Haide sitzend wüßten – konnte sie sich eines lauten Lachens nicht erwehren.

Sie verblieb wohl eine gute halbe Stunde in dieser Situation, furchtlos und geduldig wartend und rufend. Sie dachte, daß sie außer ihrem Vater doch keinen Mann kenne, auf den sie sich mit solcher Ruhe verlassen werde, wie auf Herrn von Serenyi, obgleich es viele Männer gab, die sie unendlich viel länger und besser kannte, und von denen sie auch überzeugt war, daß sie ihr ein größeres Interesse widmeten, denn hier sagte ihr ihr sicherer weiblicher Tact, daß sie diesem Manne so gleichgültig sei, wie überhaupt einem Ehrenmanne ein seinem Schutze übergebenes Mädchen sein kann.

Endlich kam Serenyi mit raschen Schritten wieder und hinter ihm der Wagen, den er auf einer falschen Richtung gefunden.

»Ich hatte Sie ganz richtig geführt, mein Fräulein,« sagte er lächelnd zu Agnes. »Ich gehöre überhaupt nicht zu den Glücklichen, die sich verirren und denen keine Stunde schlägt. Meine lederne Natur fühlt immer ganz genau, wie viel Uhr es ist und welchen Weg ich einschlagen muß – ich bin halt zu nüchtern!«

»Bis auf einen Punkt, Herr von Serenyi, und da sind Sie ein so gefährlicher Schwärmer, daß, wenn nur noch einige Ihrer Landsleute Ihnen gleichen, der Kaiser von Oesterreich sich nicht mehr allzulange des Besitzes der Krone des heiligen Stephan erfreuen wird – er müßte denn Sie und Ihresgleichen aus der Welt schaffen.«

»Dann,« sagte der Ungar, indem sein dunkles, gewöhnlich halb geschlossenes Auge sich weit öffnete und Feuer sprühte, »dann müßte er das ganze Land zu einem großen Kirchhof machen, denn so wie ich fühlen die meisten magyarischen Herzen.«

In diesem Augenblick kam der Wagen an und Agnes stieg wieder ein, fand aber Elisabeth noch immer schlafend, da ihr Bruder es nicht für nöthig gefunden, sie zu wecken, und wie ein unbewußtes Kind sie das ganze Abenteuer hatte überstehen lassen.

Als der Morgen hell und leuchtend herauf gestiegen, kam der Wagen vor ein paar Hütten vorüber. Agnes, die seit Tyrnau kein Auge geschlossen, sprach ihr schüchternes Verlangen nach einer Tasse Milch aus.

»Unmöglich bis Gran,« sagte Herr von Serenyi, »ich kenne diese Dörfer; aber ich will doch fragen.« Elisabeth, die mit muntern Augen wieder in die Welt sah, neckte ihre verwöhnte Freundin und behauptete, ganz gut bis Gran aushalten zu können. Ihrem Bruder konnte man in allen Häusern nichts als Branntwein anbieten. Agnes war vollständig melancholisch, und sagte in einem Tone, der ihrem Begleiter ein Lächeln ent lockte: »Wenn man in einem Dorfe keine Milch bekommt, wozu sind denn die Dörfer?«

Ein Haus war noch übrig, es lag entfernt von den übrigen, und sein ganzes freundlicheres Aussehen, so wie seine höher gebauten Ställe ließen der Vermuthung Raum, daß hier noch eine andere Viehzucht als die der Schweine getrieben werde. Der Kutscher mußte vor die Thüre fahren. Herr von Serenyi fragte slavisch, dann ungarisch und ganz zuletzt, erst deutsch den davorstehenden Bauer nach Milch – welche Rührung aber befiel Agnes, als der Mann im breiten Schwäbisch: »Ha g'wiß, Milch können's han!« antwortete.

Der Mann brachte einen ganzen Topf und Schwarzbrod in Menge. Agnes erschöpfte sich in Dank und ließ auch ihren Begleiter durchaus nicht für sie bezahlen. »Gönnen Sie meinem patriotischen Herzen diese Genugthuung,« sagte sie, indem sie in ihrem eleganten Beutelchen nach blanken Zwanzigern suchte.

Als sie das spöttische Gesicht des Ungarn bemerkte, sagte sie in ihrer freimüthigen Weise: »Sie haben Recht, mich auszulachen, und es ist das Unglück meines Vaterlandes, daß die Frauen solche Milchnaturen sind und die Männer – soviel Bier trinken. Uns thäte auch Noth, daß der Tokayer und die Paprika-Wurzel den sanften Gaumen etwas reizten!«

Wie freute sich Agnes, als sie das wunderschöne Gran vor sich liegen sahen, dies Gran, eins der schönsten Bergschlösser des weiten Ungarlandes, dessen oberster Prälat eben von seinen unermeßlichen Einkünften eine neue herrliche Kirche auf der höchsten Spitze des Berges erbauen ließ. Da das Dampfschiff noch nicht eingetroffen, welches die Reisenden noch vor Abend nach Pesth führen sollte, so beschlossen sie, den Berg zu ersteigen, an dessen Fuß die Stadt liegt. Oben belohnte sie die bezauberndste Aussicht auf die schöne Donau und ihre hügeligen Ufer, und Agnes meinte sogar, man könne darüber beinahe den Rhein vergessen.

Die schöne Kirche war im Innern noch ganz durch Baugerüste entstellt, nur die unterirdischen Grabgewölbe waren vollendet, und diese hohen Gänge mit langen Säulenreihen, deren mittelstes höchstes und größtes Gewölbe auch mit einem Altar geschmückt und vollkommen zum Gottesdienste eingerichtet war, erregten die lauteste Bewunderung. Da dies Gewölbe die Gruft für alle Bischöfe von Ungarn werden sollte, so waren die Seitenwände ganz mit Nischen bedeckt, bestimmt zur Aufnahme der todten Prälaten. »Wie beruhigend,« sagte Elisabeth ernst – »jeder Bischof kann bei Lebzeiten hieher kommen und die Stelle besehen, die nach der unabänderlichen Rangordnung seinem todten Körper zu Theil wird.«

»Legen Sie darauf Werth?« fragte die Deutsche lächelnd.

»Gewiß,« sagte Elisabeth noch immer ernst. »Bei den Prophezeiungen über die Art meines Todes ist mein Begräbniß eine sehr problematische Sache.«

Agnes fragte nicht weiter, denn als Elisabeth ihr eben mittheilen wollte, wie ihrem Bruder, nach der Aussage der Zigeuner, noch viel Gräßlicheres bevorstehe, denn ihr, kam dieser selbst herbeigeeilt mit der Nachricht, daß der Dampfer eben um die Krümmung der Donau wie ein Pfeil einherschieße.

Bald sahen sie wirklich, als sie ins rosige Sonnenlicht zurückgeeilt, wie der Wasserpalast angeschäumt kam; das ungarische Wappen, drei Ströme, drei Berge, war weit sichtbar auf der großen, vom leichten Winde entrollten Flagge, und oben darüber züngelte wie eine spitze Schlange der dreifarbige Wimpel in den blauen Himmel hinein.

Hätte nicht der Capitain des Schiffes, ein dunkler Venetianer, mit den Leuten der Landungsbrücke einen zornigen Auftritt gehabt, so wären unsere Reisenden zu spät gekommen; so aber mußte der unerschöpfliche Schatz eines südlichen Wuthausbruchs sich erst völlig entleeren, ehe das Signal zum Weiterfahren gegeben wurde, und Agnes und Elisabeth konnten ruhig an der Spitze des Schiffes Platz nehmen, während Herr von Serenyi das Gepäck besorgte.

Beim Anblick Pesths und Ofens war Agnes von Bewunderung ergriffen! Voll strömte sie dahin die breite, majestätische Donau mit ihrem starken, leidenschaftlichen Wellenschlage, zu ihrer Linken, mit einer Reihe von Palästen das Ufer kränzend, Pesth, zu ihrer Rechten das festunggekrönte Ofen mit der schönen thurmgeschmückten Citadelle, zu deren Füßen die Stadt sich auf den Hügeln rings gelagert, wie eine Lämmerschaar im Grünen.

Sie stiegen ab in einem schönen, großen Hause, das, in einer ziemlich engen Straße der Stadt gelegen, der Familie Serenyi gehörte.

Am Abend konnte Agnes vor dem Lärm auf der Straße lange nicht einschlafen. Er war aber nicht, wie in Wien, dem Summen eines Bienenkorbes vergleichbar, der nur vom ewigen Wagenrasseln hie und da übertönt wird, nein, es war der tolle Lärm einer freien Jugend: Schreien, Rufen, Rasseln, Spielen, Singen und zur Abwechselung ein tüchtiger Zank und Streit; aber Alles übertönt vom Klirren des Nationalsäbels. Im Hause gegenüber währte bis zum Morgen Singen und Spielen und tönte mit grellen Lauten aus den geöffneten Fenstern auf die Straße.

»Wer sind diese Ruhestörer?« fragte Agnes ihre Freundin.

»Juraten, lauter Juraten.«

»Was ist das?«

»So nennt man die Legion junger Leute, welche in Ungarn sich zu Rechtsgelehrten ausbilden.«

»Das sind eigenthümliche Vorstudien!«

»Es ist das tollste Volk bei uns. Leider lassen sie es aber nicht beim Singen und Schreien bewenden – ach wie oft, wenn sie die Nacht mit ihren schleppenden Säbeln die Straßen durchziehen, bekommen sie Streit, und man findet dann am Morgen die blutende Leiche eines solchen jungen Menschen auf dem Pflaster.«

Schon früh am Morgen wurde Agnes wieder von einem vielfachen, aber leisern Klirren auf dem Straßenpflaster geweckt. Waren schon so zeitig die Juraten wieder da? Ach nein, es waren arme lebenslänglich Verurtheilte, welche von österreichischen Soldaten bewacht an jedem Morgen mit Besen und Schaufel die Straßen Pesths durchziehen mußten, um sie zu reinigen, damit die glücklichern freien Menschen sie, mit blankem Schuh durchschreiten konnten.

Einer von den Verurtheilten erregte besonders Agnes' Mitleid. Es war ein alter Mann mit weißen Haaren und mühevollem Gang. Wie schwer rasselte die Kette an seinem Fuße! Welch ein Contrast mit dem jungen Juraten, welcher vor ein paar Stunden an derselben Stelle seinen Säbel klirrend aufs Pflaster fallen ließ, um die Augen der jungen Mädchen am Fenster auf sich zu ziehen! Welch ein Contrast! Elisabeth erzählte Agnes, daß derselbe Alte einst auch ein junger Jurat gewesen und, weil er in blindem Zorne einen Freund erschlug, zu lebenslänglichem Eisen verurtheilt wurde.

Elisabeth theilte ihrer Freundin alle näheren Umstände dieser Trauergeschichte in jenem lebhaften Eifer mit, der ihr immer eigen war, wenn sie sprach. Sie konnte tagelang kein Wort sprechen, aber wenn sie etwas anregte, dann war sie auch mit ganzer Seele dabei. Für Agnes war sie überhaupt eine eigenthümliche Erscheinung. Die Tochter einer Slavin (oder, wie man dort sagt, einer Slovakin) und eines ächten Ungarn, waren in ihr die besten Eigenschaften der beiden Stämme vereinigt. Selbst im Aeußern zeigte sich diese Mischung. Ihre unvergleichlich feingliedrige, schlanke Gestalt, die, wie bei den meisten Ungarinnen, die natürliche Anmuth und Biegsamkeit sich nicht durch Anwendung eines Schnürleibs verkümmert, sowie ihre Perlenzähne waren offenbar magyarisch väterliches Erbtheil; hingegen das reiche hellbraune Haar, die kleine, aufgestülpte Nase, der frische, volle Mund, sowie die etwas breite Form des Gesichts, das durch ein paar unendlich gutmüthig blickende braune Augen verschönert wurde – all das war von der slavischen Mutter.

Sie war auf dem Lande im schönsten Theil Oberungarns herangewachsen, unweit der Gegend, wo die glühenden Strahlen der Sonne das köstlichste Traubenblut kochen, denn das Gut ihrer Eltern, wo sie geboren, lag zwischen Tokay und Eperies.

Als Agnes Elisabeth in Wien kennen lernte und um ihres freundlichen, offenen Benehmens willen schätzen und lieben lernte, glaubte sie einem Wesen sich anzuschließen, welches nach derselben Schablone geformt sei, die in Deutschland für alle jungen Mädchen höherer Stände herhalten muß. Aber was man bei uns Erziehung nennt, damit war Elisabeth bis jetzt ganz verschont geblieben. Ehe sie nach Pesth und Wien kam, was erst in ihrem achtzehnten Jahre geschah, hatte sie kein anderes Buch als ihr Gebetbuch zu Gesicht bekommen und nichts gelernt, als lesen und schreiben, und das auch erst in einem Alter, wo sie selbst den Impuls dazu geben mußte. Ihre vier Brüder, alle bedeutend älter als sie, waren früh um ihrer Bestimmung willen aus dem elterlichen Hause entfernt worden. Der Vater hatte über der Verwaltung der Güter, über Jagd und Fischerei das spätgeborene Töchterlein ganz aus den Augen verloren, während die kränkliche Mutter, die beinahe immerwährend das Bett hüten mußte, nichts für ihren Liebling thun konnte, als ihn von sich fort in die frische Luft zu schicken, wenn er mit einem Schemelchen ankam, um sich im düstern Krankenzimmer an ihrem Bette zu etabliren. So Die Vorlage hat hier »Sie«. – Anm.d.Hrsg. war denn das Paradies Oberungarns die einzige Bildnerin der kleinen klugen Eva gewesen und hatte milde ihren Segen über sie ausgestreut und ihr die Schlange fern gehalten.

Als sie ihre Mutter mit achtzehn Jahren verlor, war sie noch dasselbe harmlose Kind, das sie mit acht gewesen. Ihr ältester Bruder, der mit einer reichen und schönen Frau verheirathet in Pesth lebte, rief seine einzige Schwester zu sich. Er machte ein großes Haus und sah täglich Gäste. Elisabeth blieb deshalb im Anfang immer in ihrem Zimmer. Als sie aber die tiefe Trauer abgelegt, war sie zum ersten Male Zuschauerin eines Gesellschaftsballes. Sie sah verwundert den walzenden und galoppirenden Paaren nach, wie sie nach der Musik eines Wiener Flügels sich drehten.

»Wie gefällt Dir das?« fragte ihr Bruder sie.

»Wie man so tanzen kann, begreif' ich nicht – aber spielen will ich lernen.«

»Welchen Tanz begreifst Du denn?« fragte ihr Bruder lächelnd.

»Den ungarischen.«

»So, so! Aber mit dem Spielen wird es doch seine Schwierigkeiten haben, liebe Elisabeth, in Deinem Alter ist das schwer zu lernen, eher, zehnmal eher würdest Du diesen Tanz begreifen.«

Elisabeth schüttelte lächelnd den Kopf und sagte dann heiter: »Was habe ich nicht von Deiner geschickten Frau Alles gelernt, seitdem ich hier bin, sticken und häkeln und alles Mögliche; zum Clavier werde ich einen guten Lehrer nehmen, und da sollst Du sehen, ob ich's in einem Jahre nicht so weit gebracht habe, daß Ihr danach tanzen könnt.«

»Welche Meisterschaft willst Du Dir denn im nächsten Jahre aneignen?« fragte ihr Bruder sie neckend.

»Immer was Neues. Hätte ich nur hundert Jahre vor mir – ach Gott, welche Lust, die recht zu benutzen!«

»Schade, daß Du Deine Zeit bisher nicht besser benutztest.«

Elisabeth lächelte wieder, aber diesmal mit einem gewissen schelmischen Ausdruck. »Du hast Recht, Sandor, ich kann wenig, sehr wenig für ein neunzehnjähriges Mädchen, aber etwas mehr, als Du und Deine liebe Frau glauben, verstehe ich doch.«

Herr von Serenyi maß seine Schwester mit einem jener Blicke, die Männer so häufig einer weiblichen Thätigkeit gegenüber spenden, und die sie dann für Anerkennung ausgeben – und sagte darauf mit einer gewissen nachsichtigen Gutmüthigkeit: »Nun, und was verstehst Du denn?«

»Etwas, zu dem ihr hochweisen Herren der Welt Jahre des Studiums verwendet, theoretisch und praktisch, wie Ihr mit unendlichem Scharfsinn es unterscheidet – die Landwirthschaft.«

»So, Du verstehst die Landwirthschaft?«

»Ja, die verstehe ich, und zwar aus dem Grunde. Die letzten vier Jahre hat sich der Vater nichts, gar nichts mehr um die Güter bekümmert, weil er immer in sein Zimmer eingeschlossen war, um das Perpetuum mobile zu erfinden. Da sah ich der Mutter zu Liebe zuweilen nach, dann begann die Sache mir anziehend zu werden; ich lernte beim Verwalter, von jedem alten Bauer nahm ich eine gute Lehre an, mit Sonnenaufgang war ich auf den Feldern, im Hühnerhof, in den Scheunen und Kammern – gieb mir das größte Deiner Güter auf ein Jahr zur Probe, und ich will Dir höhere Einkünfte davon herausschlagen, als Du je erhalten – wenn der Himmel mir nicht ungnädig einen Strich durch die Rechnung macht.«

»Topp,« sagte Herr von Serenyi, dem unwillkührlich der Ernst seiner Schwester imponirte, »Du sollst das Gut haben, sobald Du willst, mit Knechten und Vieh, soviel Du zur Bearbeitung brauchst.« –

»In einem Jahre, wenn ich Clavier gelernt habe.«

Diesmal lächelte Serenyi wieder, aber er schwieg.

 

Und dabei blieb es. Ein Jahr darauf wurde wieder getanzt in dem Hause des Herrn von Serenyi, und Elisabeth saß am Clavier und spielte – aber lauter ungarische! und ungarisch konnte, außer ein paar Herren vom Lande, Niemand von der gegenwärtigen Gesellschaft, tanzen – Elisabeth ließ sich aber nicht stören und spielte ihre hinreißenden, Schmerz und Sehnsucht weckenden magyarischen Melodien so schön, daß sogar die jungen Damen das Tanzen darüber vergaßen.

Ein paar Wochen darauf bezog sie, eine junge, thätige Verwalterin, das Land, und ihr Bruder kam einen Monat darauf hinaus, denn das Gut lag nur ein paar Meilen hinter Pesth in jener fruchtbaren Ebene, von der man behauptet, sie dehne sich bis zur türkischen Grenze, ohne daß je der Reisende eine Hügel kette gewahre. Es giebt freilich Leute, die meinen, man müsse dann sehr kurzsichtig sein!

Was Herr von Serenyi nach so kurzer Frist vom Wirken seiner Schwester gewahrte, war schon solcher Art, daß, als ihre Schwägerin sie ein paar Tage später besuchte, Elisabeth bemerkte, wie sie von dieser mit einer Rücksicht behandelt wurde, wie niemals früher, und daß sie bald darauf durch ihre landwirthschaftlichen Kenntnisse eine förmliche Stellung in der Familie einnahm; das Gut aber brachte wirklich schon in diesem ersten Jahre mehr ein, als jemals vorher.

 

Da trat ein Ereigniß in ihr Leben, dem zufolge sie für mehrere Monate mit ihrem jüngsten Bruder nach Wien ging, und das wir weiter unten näher erzählen werden. In Wien schloß sie die Freundschaft mit Agnes, und der erste Anlaß ihrer Bekanntschaft war eben der Umstand gewesen, daß Herr von Stein gerade jenes Gut durch Vermittelung ihres Bruders kaufte, welches sie bisher bewirthschaftet hatte. Elisabeths Angaben darüber wurden dabei von allen Seiten für maaßgebend gehalten. Sie gewährte Agnes' Bitte, sie im neuen Besitzthum einzuführen, herzlich gerne und versprach ihr auf das Bereitwilligste ihren nützlichen Rath.

Wer die beiden jungen Mädchen zusammen sah, ahnte sicher nicht, daß deren Kindheit und erste Jugend unter so verschiedenen Verhältnissen verflossen war, denn Elisabeth hatte sich mit wunderbarem Tact alle jene Aeußerlichkeiten angeeignet, ohne welche, wenn sie nicht auffallen will, eine junge Dame nicht in der Welt erscheinen kann. Und dennoch blieb sie, ohne je zu verletzen oder anzustoßen, vollkommen wahr und ehrlich.

Ohne eigentlich hübsch zu sein, gefiel sie aller Welt, so gutmüthig, lebhaft, frisch und zierlich war sie. Sie hatte gewiß nie über ihre Bewegungen nachgedacht, aber man konnte keinen sorgfältigeren Gang und keine bescheidnere Haltung sehen.

 

Eines Tages gewahrte Agnes überrascht, daß Elisabeth die lateinische Unterredung ihres Bruders und eines andern Rechtsgelehrten verstand.

»O,« sagte Elisabeth lachend, »das habe ich spielend gelernt, wir armen Ungarn müssen ja alle vier Sprachen verstehen!«

»Vier Sprachen?«

»Ja, beinahe jeder Mann von einiger Bildung versteht Ungarisch, Slavisch, Deutsch und Latein. Ach, hätten wir nur Eine!«

»Und welcher würden Sie dann den Vorzug geben?«

»O, welcher andern als der magyarischen,« sagte die junge Ungarin, indem sie die Hand auf das enthusiastisch vaterländisch gesinnte Herz legte!



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