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Schlußkapitel.

Abschied von unsern Freunden.

Zwei Wochen später war die Bestallung des neuen Strandvogts von Jasmund eingetroffen, und Waldemar hatte die Reise nach Putbus in das fürstliche Schloß angetreten, um sich dem Fürsten, wie ihm Graf Brahe geraten, als denjenigen vorzustellen, dem er seine hohe Protektion geliehen habe, ohne ihn anders als durch die Empfehlung eines edlen Mannes zu kennen. Der Fürst Malte von Putbus nahm den jungen Mann mit seiner gewöhnlichen Leutseligkeit und Herzlichkeit auf und fand an ihm, was Graf Brahe vorhergesagt, einen schönen und dabei zuverlässigen Mann, dem man in allen sein Amt betreffenden Angelegenheiten das größte Vertrauen schenken konnte. Der Fürst bestätigte ihm den Ankauf der Spykerschen Güter mit Ausnahme des Gutes Blankenau und behielt ihn einige Tage in Putbus, um ihm die Anlagen und Pläne behufs des beabsichtigten Bades und anderer Baulichkeiten zu zeigen, ihn auch in manchen Dingen, die seinen Beruf betrafen, um Rat zu fragen. Gegenseitig von einander auf das höchste befriedigt, schieden sie wieder, und Waldemar, mit vielen Freundlichkeiten und den herzlichsten Grüßen an die Jasmunder beladen, kehrte nach Sassnitz zurück, wo er damals noch seine Wohnung hatte.

Von hier aus aber fuhr er in Begleitung Hilles nach Spyker, um die Hinterlassenschaft Magnus Brahes in Besitz zu nehmen, die nun gesammelt war, wie der alte Ahlström geschrieben hatte. Es war dies ein ernster Tag für Waldemar Granzow, der allein durch Hilles Gegenwart sein trübes Ansehen verlor. Nachdem er die verschiedenen Gegenstände hatte einpacken und auf einen Wagen laden lassen, um sie nach Blankenau zu befördern, wo sie ihre Ausstellung erhalten sollten, hielt er sich noch einen halben Tag bei den guten Leuten auf, die von jeher den innigsten Anteil an seinem Glücke genommen hatten und denselben auch jetzt wieder durch ihre herzliche Freude betätigten. Von Gylfe sah er nichts, obgleich er manches hörte, was ihm kein besonderes Behagen verursachte. Als er aber mit seiner Braut in den Wagen steigen wollte, um nach Sassnitz zurückzukehren, sagte ihm Gysela, daß Gylfe im Fenster liege und ihn und Hille in genauen Augenschein nehme. Das war die ganze Verbindung, in die er schließlich mit ihr trat, und er tat wohl daran, sich nicht weiter um sie zu bemühen, denn die alle Tage böser werdende Dame hätte ihn bitter beleidigt, wenn er ihr nahe gekommen wäre, da sie ihn seit des Kolonel Caillards Tode, den sie allein der Rachsucht des Freundes des jungen Grafen zuschrieb, noch viel mehr haßte als früher, und der Anblick der schönen Hille, die sie übermäßig beneidete, nicht allein weil sie schön war, sondern auch weil sie einen sie anbetenden Geliebten besaß, ihr Blut so in Wallung gebracht hatte, daß Gysela acht Tage darunter leiden mußte.

Am 30. September des Jahres 1815 fand die Hochzeitsfeierlichkeit des jungen Paares auf Pulitz statt, denn Waldemar sah ebensowenig wie Hille die Notwendigkeit eines Aufschubs ein, da durch die hochherzige Fürsorge des Grafen Brahe, wie sich sehr bald erwies, die ganze Ausstattung des Herrenhauses in Blankenau besorgt worden war, sobald er die Kunde von der Verbindung der beiden jungen Leute erhalten hatte.

Schon acht Tage vorher hatte der alte Schwede, der eine so seltene Feier in seinem Hause mit Glanz begehen wollte, sechs Hochzeitsbitter auf bunt ausstaffierten Pferden im ganzen Lande umhergesandt und nicht allein diejenigen Gutsbesitzer, die früher mit Magnus Brahe und dem Bräutigam in freundschaftlichem Verkehr gestanden, sondern auch eine große Zahl eingeladen, mit denen er selbst im Laufe der Jahre bekannt geworden war. Es geschah dies in des Festgebers wohlmeinender Absicht, den Besitzer von Blankenau, der jetzt mit vollem Recht in die Reihe der begüterten Herren im Lande getreten war, gleich von vornherein mit allen bedeutenderen Personen auf der Insel in nähere Verbindung zu bringen, wobei vielleicht auch die kleine Eitelkeit mit ins Spiel kam, daß eine Verwandte seiner Frau die Gattin desselben werden sollte.

Kein einziger der zahlreich Geladenen hatte abgesagt, und so strömten an dem festgesetzten Morgen – der in Bezug der Witterung einer der schönsten Tage des Jahres war – von allen Seiten zu Wagen, zu Roß und zu Wasser die Gäste herbei und wurden in den zu dem Feste ganz neu hergestellten Herrenzimmern des alten Pachthauses empfangen, wie es die Sitte des Landes erheischte und die Gastfreiheit des Pächters von Pulitz für unerläßlich hielt.

Kaum faßte das mäßig große Haus die Zahl der wohlwollenden und mit großer Herzlichkeit sich geberdenden Hochzeitsgäste, und da Adam Sturleson nicht allein den Vornehmen des Landes, sondern auch den kleineren Leuten ein Freuden- und Friedensfest bereiten wollte, so hatte er im Freien ein großes Zelt aufschlagen und darin einen Tanzplatz anbringen lassen, um auch diesem Teile der Bewohner Rügens das ihnen nach der Landessitte Zukommende ungeschmälert zu gewähren. Hier im Freien nun entwickelte sich, nachdem die Trauung im Innern des Hauses durch den ehrwürdigen Pastor von Willich aus Sagard vollzogen war, das ganze etwas wilde und laute Getümmel einer Rügianischen Hochzeit ab und es fehlte keine der seltsamen Schaustellungen, die man bei dergleichen Gelegenheiten zu damaliger Zeit aufzuführen für angemessen hielt, die wir aber den Lesern dieser Erzählung zu schildern unterlassen, da in vielen andern Büchern dergleichen altväterische Szenen bereits weitläufig beschrieben sind. Wir begnügen uns damit, zu berichten, daß alle im Laufe der sechs Jahre, die wir unsern Lesern vorgeführt, handelnd aufgetretenen Personen geringeren Standes auf Pulitz versammelt waren und bis gegen Morgen bei Sang und Tanz und Gläserklang beisammen blieben, nachdem sie sich alle Mühe gegeben hatten, die reichlich herbeigeschafften Vorräte des alten Schweden in flüssiger und fester Gestalt in pure Einbildung zu verwandeln.

Wenn nun hier im Freien das Hochzeitsfest auf eine etwas stürmische Weise verlief, so ging es im Innern des Hauses gerade so zu, wie es überall unter gebildeten und begüterten Leuten herzugehen pflegt, und niemanden störte es, daß die Braut in ihrer bisherigen Tracht bei ihrem Ehrenfeste erschien, denn, teils wußte man, daß sie von Geburt eine Mönchguterin war, teils fand man sie in den kostbaren Stoffen und in der gewählten, dem besseren Geschmacke gemäß modernisierten Landestracht so wunderbar holdselig und schön, daß man keine Zeit zu der Vorstellung übrig behielt, sie würde im Kleide einer Großstädterin vielleicht noch besser ausgesehen haben.

Was Waldemar Granzow betraf, so erntete auch er den vollen Beifall aller Gäste ein, die seinen Ehrentag durch ihre Gegenwart verherrlichten. Und von nun an blieb er mit allen in Freundschaft und geselligem Verkehr, wie es das Leben auf jener Insel, die sein Vaterland war, mit sich bringt. Von diesem Tage an hatte er sich nicht allein die Achtung, sondern auch die Liebe aller derer erworben, die ihm bisher noch nicht nahe gestanden, und namentlich die Gutsbesitzer und Pächter Jasmunds freuten sich wahrhaft, gerade ihn in ihre Mitte eintreten zu sehen, zumal er für das Wohl der schönen Halbinsel gerade durch sein Amt so viel des Guten leisten konnte und in Zukunft wirklich leistete.

Als nun aber der Abend auf Pulitz herabsank und das Fest im Hause seinem Ende entgegenging, beeilte sich Waldemar, mit seiner jungen Frau heimlich ein Boot zu besteigen, das der vorsorgliche Piesing nach geschehener Verabredung an einem bestimmten Orte schon bereit gehalten hatte. Er selbst, sein Bruder und noch zwei ältere Lotsen ruderten das neu verbundene Paar nach Thiessow hinüber, wo ein bequemer Wagen, mit zwei herrlichen Blankenauer Pferden bespannt, sie erwartete, um sie im schnellsten Laufe nach der neuen Heimat zu führen, die von den zurückgebliebenen Dienern auf das freundlichste geschmückt war. Hier auf Blankenau nun war es unserm Helden vom Schicksale gegönnt, an der Seite der schönen Hille Tage des reinsten Menschenglücks auf Erden zu verleben und, gesegnet auch durch äußere Güter, sich den Seinigen, deren Kreis alle Jahre umfangreicher wurde, so dankbar wie liebevoll zu erweisen, was von allen Inselbewohnern anerkannt zu sehen er in seinem langen Leben oft genug die Befriedigung hatte.

So wollen wir denn hiermit von den beiden Abschied nehmen, nachdem wir sie durch mancherlei Gefahren und Sorgen in einer verhängnisvollen Zeit treulich bis in den Hafen der Ruhe begleitet haben, denn was wir von ihnen etwa noch Genaueres erwähnen könnten, wird sich von selbst ergeben, wenn wir das Schicksal aller derer mit kurzem Blick überfliegen, die wir als Hauptträger mit in den Rahmen, unseres Lebensbildes aufgenommen haben.

Zu dieser Vollendung unserer Aufgabe gehen wir jetzt über und beginnen zuerst mit der Schilderung des Schicksals einer Person, dessen Entwickelung wir nicht bis in alle Einzelheiten verfolgt haben, da uns ein näheres Eingehen auf dasselbe zu weit abseits geführt haben würde. Wir meinen hiermit das Schicksal der Gylfe Torstenson.

Nachdem das Fräuleinstift in Bergen, seit der Okkupation durch die Franzosen von diesen und schon einige Zeit vorher von den Schweden als Hospital benutzt, wieder in bewohnbaren Zustand versetzt und seiner uralten Bestimmung zurückgegeben war, kamen die alten und jungen Fräulein der Insel von nah und fern herbei und richteten sich wieder wie früher häuslich in demselben ein. Auch Gylfe Torstenson zog es vor, im Frühjahr 1816 Schloß Spyker mit der lebhafteren Stadt zu vertauschen, da die einsame Waldwohnung, in der sie bis dahin zur Betrübnis des alten Ahlströms und seiner Familie gewohnt hatte, ihren Neigungen in gegenwärtiger Zeit nur wenig entsprach, zumal sie nicht annehmen konnte, daß sie dem neuen Besitzer eine angenehme Beigabe seiner erkauften Herrschaft sein würde, der ja nicht die Teilnahme für sie empfinden konnte, die Graf Brahe ihr seit so langen Jahren durch unzählige menschenfreundliche Handlungen bewiesen hatte. In den ersten Jahren ihres Aufenthalts zu Bergen nach ihrer Übersiedlung spielte sie noch die junge lebenslustige und hoffnungsvolle Dame, die auf eine goldene Zukunft rechnete, mit der Zeit aber, und besonders, da ihre Jugendblüte auffallend rasch verwelkte, erkannte sie immer mehr und mehr, daß sie den Gipfel ihres irdischen Genusses und Vergnügens lange überstiegen habe. Da saß sie nun in dem trüben altväterischen Hause unter älteren und leider auch jüngeren Damen, denen das Schicksal ebensowenig wie ihr selber gelächelt hatte, aber nicht als die so schöne, fröhliche und leichtfertige Gylfe Torstenson, die sie einst gewesen, sondern als alte Jungfer, die des Lebens schimmernden Lenz hinter sich hatte, und verbrachte ihre Zeit mit Seufzen und Stöhnen über die Vergänglichkeit alles Schönen auf Erden und mit Erinnerungen, wie sie wohl nie geglaubt, sie jemals bezwingen zu müssen, als sie jung, reizend und hoffnungsvoll war. Mit ihrem schnell sich verändernden Äußern hatte auch ihr Charakter eine Umwandelung erlitten oder wenigstens mehr und mehr die Form ausgeprägt, die er schon in früheren Jahren im Keime gezeigt. Wie ihr einst so zierlicher Körper, von weißer und rosiger Haut umspannt, in allen Reizen des Jugendlenzes geblüht, so war er jetzt welk, zusammengetrocknet, von einer gelblichen Hülle locker umgeben, auf der keine Spur von der ehemaligen frischen Blüte zurückgeblieben war. Ihr braunes Auge allein hatte noch Glanz und Leben erhalten, aber es lag tief in dunklen Höhlen und blitzte und flammte mehr, als es leuchtete und wärmte, ja bisweilen hatte es sogar etwas peinlich Stechendes, Verwundendes, namentlich wenn sie von dem Glücke anderer sprach oder hören mußte und dabei an das eigene verscherzte Glück zu denken gezwungen ward. Ihr einst so reiches, goldblondes Haar hatte zwar immer noch, wenn die Kunst es auffrischte, einen Schimmer des früheren Lichtglanzes bewahrt, aber es war sparsam, dünn und im ganzen tot und strohfarben geworden; ihre frühere stolze Haltung war einer zusammengesunkenen Hinfälligkeit gewichen, die ihr vor allem ein gebrechliches und altjüngferliches Ansehen verlieh.

Dabei verfolgte und peinigte sie eine unaufhörliche Unruhe, so daß sie nicht lange an einer Stelle sitzen und am wenigsten mit Sammlung und Behagen lesen konnte, da die Gedanken zu heftig in ihr stürmten und sie von einem Orte zum andern jagten, um irgendwo, wiewohl vergeblich, die begehrte Ruhe zu gewinnen. Am liebsten ging sie in Gesellschaften, womöglich alle Tage in eine andere, weil das am raschesten die Zeit tötet, die für ihresgleichen wie eine Schnecke dahin schleicht, Gesellschaften, zu denen man sie einlud, um Kaffee oder Tee zu trinken und dabei die Stunden mit Klatschereien zu füllen, denn da hörte sie am häufigsten Dinge erzählen, die den Leumund anderer Personen betrafen, und es machte ihr eine eigene Freude, ein liebloses Urteil über andere zu vernehmen und dann selbst ihrer lockeren Zunge die Zügel schießen zu lassen.

Nie fand sie eine Frau oder ein Mädchen schön, und die Tugendhaftigkeit aller, auch ihr gänzlich Unbekannter, bezweifelte und begeiferte sie; überall fand sie Mängel, Verfall und Häßlichkeit, wo andere voll Beifall und Sympathie waren. Ganz besonders redselig aber wurde sie, wenn von Frankreich und seinen Bewohnern die Rede war, was auf Rügen natürlich sehr oft geschah, und gar zu gern leitete sie das Gespräch auf die Okkupationszeit, die sie mit stolzem Selbstgefühl die große Zeit ihrer Jugend nannte. Alle Franzosen waren in ihren Augen glorreich, erhaben, klug und geistreich, alle Deutschen und Schweden dagegen kleinstädtisch, stümperhaft gebildet, halb wild und im ganzen erbärmliche Kreaturen. Sie liebte es auch sehr, mit französischen Brocken um sich zu werfen und mit ihrer Kenntnis dieser Sprache und Literatur sich zu brüsten, während sie eingestand, seit Jahren kein deutsches Buch mehr gelesen zu haben, noch ferner lesen zu wollen, da sie alle langweilig, schülermäßig und ohne alle geistige Würze wären.

Von ihrer Jugendliebe sprach sie mit feuriger Begeisterung, und Kolonel Caillard war der einzige Mann, der ihr als das vollkommenste Muster kavaliermäßiger Größe galt. Er würde sie geheiratet haben, erzählte sie sehr oft, wenn ihn der schändliche Strandvogt von Jasmund – beiläufig ein Mann, den alle Menschen in Bergen auf Händen trugen – nicht meuchlerisch im Hohlweg der Prora überfallen und gemordet hätte, bloß um seine gemeine Rache zu kühlen und ihn seines wohlerworbenen Besitzes zu berauben.

Alle Leute, die mit ihr verkehrten, kannten diese französische Spiegelfechterei, dies Buhlen mit eingebildeten Phantomen, und hörten sie schweigend an, wenn sie ihre Erlebnisse zum hundertsten Male auftischte und immer mit neuen Zusätzen ausschmückte. Aber man vermied sie, wo man sie vermeiden konnte, zumal sie stets auf die allgemein geehrte und geliebte Familie Brahe schimpfte, der sie, wie jedermann wußte, alles verdankte, was sie auf Erden besaß und galt, und von der sie dennoch behauptete, sie habe sie schimpflich behandelt, indem sie sie in Lumpen gehen und Hungers sterben lasse.

In ihren letzten Jahren stand sie fast ganz allein, denn sie vertrug sich mit keinem Menschen und dichtete jedem das Ärgste und Schlimmste an. Jeder Mann war in ihren Augen ein Hahnrei und jede Frau eine Buhlerin. Schönheit gab es auf Erden nicht mehr, seitdem sie jung gewesen war, und alle Tugend war bei den Männern zum Laster geworden. Wenn sie in ihrem verjährten Putze, hochrot geschminkt, mit alten zerdrückten Blumen überladen und mit außer Mode gekommenen Überbleibseln ihrer ehemaligen Toilette sich auf der Straße zeigte, gingen ihr sogar die Kinder aus dem Wege und nannten sie die alte verrückte Schwedin, die nur Französisch spräche und Deutsch schimpfte. Den Namen Spyker durfte niemand vor ihr nennen, denn das beleidigte sie, als ob man sie in das Gesicht schlüge; entfuhr jemanden einmal zufällig das Wort oder irgend eine Andeutung darauf, dann biß sie wie eine Wütende um sich und erklärte die ganze Welt für eine Mördergrube. Zuletzt wurde sie lahm und taub; auf einen alten Regenschirm gestützt, einen Hut auf dem Kopfe tragend, der vor vierzig Jahren Mode gewesen, schlürfte sie wie ein dräuendes Gespenst durch die Gassen, indem sie den Männern lachende Blicke und jungen Mädchen eine höhnische Fratze zuwarf.

Ihr größtes Labsal war Kaffee, Schnupftabak und – süßer Likör. In letzterem vergeudete sie alles Geld, was sie erübrigen konnte, und endlich kam sie nur nach Spirituosen duftend in die Gesellschaften, wo sie tolles Zeug redete und jedermann Ärgernis bereitete. Als sie endlich, beinahe sechszig Jahre alt, starb, glich sie einer ausgetrockneten Mumie und war so klein und leicht geworden, daß sie ein Knabe hätte zur Gruft tragen können. In ihrer Kommode fand man – wer hätte das geglaubt und wer will es genügend erklären! eine Locke von Magnus Brahes Haar, den Namen desselben auf ein Papier dabei geschrieben, und alle Briefe der Familie vor, welche dieselbe in früheren Zeiten an sie gerichtet hatte, wodurch ihre Undankbarkeit erst recht zu Tage kam und den Glauben veranlassen konnte, sie habe wie mit anderen, so mit sich selbst Komödie gespielt und ihre Liebe sei Haß und ihr zur Schau getragener Haß Liebe gewesen. Die Andenken an Kolonel Caillard aber hatte sie sämtlich in einem lichten Augenblicke verbrannt, angeblich, um die rohe und entmenschte Welt nicht die Kostbarkeiten sehen und erben zu lassen, die sie von dem großen und geliebten Toten bis an ihr Ende bewahrte.

Wenden wir uns von diesem traurigen Bilde eines verfehlten und durch eigene Schuld verkümmerten Lebens ab und suchen wir andere Personen aus unserer Erzählung auf, deren Geschick uns behaglicher stimmt und mehr unsere Sympathie erregt.

Da wir soeben Spyker erwähnt, wollen wir zunächst des alten Ahlströms und seiner Familie gedenken. Alle Mitglieder derselben waren auf dem Hochzeitsfeste des Strandvogts von Jasmund gewesen und hatten mit ganzer Hingebung an seinem Glücke teilgenommen. Im darauf folgenden Dezember zog der Verwalter Hendrichs von Blankenau nach Spyker, lernte daselbst Gysela näher kennen und heiratete sie im nächsten Frühjahr, während ihre Schwester Alheid die Frau des fürstlichen Försters auf Werder ward. Der Kastellan selber und seine gute Heylike lebten noch lange in traulicher Ruhe unter ihren Kindern und Kindeskindern, und nicht selten erhielten sie von Blankenau her Besuch, was immer einen Freudentag auf dem alten Spyker hervorrief. Im Jahre 1816 ging das Schloß nebst, allen dazu gehörigen Gütern wirklich in den Besitz des Fürsten von Putbus über, und manches änderte sich seit jener Zeit in seinem Äußern und Innern, aber immer noch steht es im ganzen so da, wie wir es beschrieben haben, und der Leser dürfte es lohnend finden, bei einem Besuche auf Rügen die Gemächer desselben zu betrachten und die alten Schätze zu bewundern, die zum großen Teil schon zurzeit unserer Erzählung an Ort und Stelle waren.

Mit am meisten von allen Personen aber interessiert uns wohl das alte Ehepaar im Kiekhause bei Sassnitz, dessen Schicksale wir am genauesten entwickelt haben, und so kehren wir noch einmal zum Schluß in dasselbe zurück. Viele Jahre hindurch sah dort alles noch ebenso aus, wie wir es im Jahre 1815 verließen; kein Stück Möbel war von seinem Platz gerückt, kein Baum abgebrochen, kein Gartenfleck umgeändert. Unter den Buchen erhob sich nach wie vor die alte Warte, und bei Regen und Sturm finden wir daselbst, in seinen Sturmrock gehüllt, das Sprachrohr neben sich und das Fernglas zur Hand, den ehrwürdigen Strandvogt, der nach gefährdeten Schiffen ausschaut und Befehle zu ihrer Rettung von oben herab erteilt. Wenn er dann lange genug draußen gesessen hatte, kam, wie schon früher, auch Mutter Ilske herangetrippelt, rief ihren Alten mit bittenden und, wenn das nicht half, mit drohenden Worten ins Zimmer, wo gewöhnlich der Kaffee, das Mittag- oder Abendbrot bereit stand, nach welchem immer noch die holländische Pfeife gedampft und spät abends die Bibel gelesen wurde.

Ihre Kinder in Blankenau besuchten sie fast alle Sonntage, denn der Strandvogt von Jasmund versäumte es bei irgend erträglichem Wetter nie, den Eltern einen bequemen Wagen zu senden und sie hin und zurück fahren zu lassen. Aber die Kinder kamen auch oft zu den Alten und dann wurde gar häufig von den früheren Zeiten gesprochen, die so trübe gewesen waren und doch, wie es so oft im Leben ist, so herrliche Tage in ihrem Gefolge gehabt hatten. Die größte Freude aber hatten die beiden Alten an den heranwachsenden Kindern auf Blankenau, mit denen die jungen Leute reichlich gesegnet waren. Der alte Strandvogt sah seine Enkel noch im Boote auf der See das Segeln lernen, und Mutter Ilske lehrte ihren Enkelinnen das Stricken. Als sie endlich hoch betagt starben, gingen sie gern aus dieser Welt, denn sie fühlten sich ermüdet von der langen Arbeit des Lebens und sehnten sich nach der Ruhe im Himmel, die ja für uns alle die herrlichste und lieblichste ist, die wir erhoffen können. Darum war der Schmerz der Überlebenden auch weniger groß, sie gönnten den braven Eltern den Frieden, den sie selbst einst zu erringen hofften, denn beide leben, obwohl betagt, noch heute und freuen sich ihres Daseins im Gedeihen ihrer Kinder und Kindeskinder, die die Bevölkerung von Rügen um eine erkleckliche Zahl vermehrt haben.

Das Kiekhaus selber verschenkte Waldemar, als die Eltern gestorben waren, an Piesing den Älteren, der ihm so viele Freundschaft im Leben erwiesen, und bis in die letzten Tage seines Lebens gab es keinen Menschen auf Rügen, den der riesige Mann höher geachtet und mehr geliebt hätte, als den Sohn seines ehemaligen Herrn, den Strandvogt von Jasmund auf Blankenau, wie er ihn später nannte.

Auf Pulitz endlich, denn das müssen wir doch noch einmal betreten, ging es ebenfalls viele Jahre hindurch in althergebrachtem Geleise fort. Der alte Schwede blieb bis zu seinem Lebensende Pächter daselbst und gab sich alle Mühe, den Wald wieder anzupflanzen, den der Kaiser von Pulitz mit der roten Nase in die Tasche gesteckt hatte, was ihm jedoch nicht vollkommen gelingen wollte. Noch heute erkennt man die Spuren der gewaltigen Lichtung, und alte Leute wissen noch immer zu erzählen, welchen Schmerz der ehrliche Schwede empfunden habe, als er seine Riesengarde vom Erdboden verschwinden sah.

Wenn Adam Sturleson und Mutter Talke nicht auf Pulitz weilten, so konnte man sie entweder im Kiekhause oder in Blankenau suchen, denn an beiden Orten hielten sie sich oft und lange auf, und von beiden trennten sie sich immer schwerer, je älter und hinfälliger sie wurden. »Onkel Schwede« aber, wie ihn die Kinder Hilles nannten, war auf Blankenau ein hoch angesehener Mann. Er schnitzte den Jungen Boote und Segel, lehrte sie reiten, schwimmen und schießen, und abends ritten sie auf ihm selber in den mit Decken belegten Stuben, bis »das große Pferd« müde wurde und durchaus »in den Stall« gebracht werden wollte. Das Fluchen aber konnte er sich nicht mehr abgewöhnen, darum ward es ihm erlaubt, sowohl im Kiekhause, wie in Blankenau, und wenn er einmal recht tobte und wetterte, dann sagte wohl Waldemar lächelnd zu der immer schön und hold bleibenden Hille: »Hörst du, Liebe, es weht ein alter Nordwester! Gib mir meine Sturmkappe her, ich muß an den Strand, sonst bläst er uns alle unsere Boote fort.«

»Donner und Wetter!« schrie dann der alte Schwede, »bleibt nur hier und hätschelt Euch müde an Eurer Frau, der Nordwester ist schon vorübergezogen, und wir haben wieder Sonnenschein und Windstille.«

Der Sonnenschein und die Windstille aber zeigten sich dann stets wirklich auf dem Gesichte seiner jungen Freunde, und beide drückten ihm wohlwollend und dankbar die Hand, da sie ihm nie vergessen konnten, was er in schweren Stunden einst für sie getan.

So haben wir denn das Hauptsächlichste aus dem Leben unserer Lieblinge abgehandelt und können nun selbst von unsern wohlwollenden Lesern Abschied nehmen. Gehet hin und schauet selber, rufen wir ihnen am Ende unsers Buches zu, was Rügen für eine schöne Schöpfung Gottes ist, und falls Ihr keine so große Freude daran empfindet wie wir, wenn Ihr seine blauen Wasser, seine weißen Kreidefelsen, seine Buchenwälder, Gräber und moosbewachsenen Denksteine seht, so verzeiht uns, daß wir Euch bemüht, unsrer Erzählung eine so lange Aufmerksamkeit zu schenken, aber Ihr hättet ja das Buch aus der Hand legen können, ehe Ihr es beendet, und daß Ihr das nicht getan, ist nicht unsere – sondern allein Eure Schuld.

 

Ende.


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