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Neuntes Kapitel.

Der Strandvogt von Jasmund.

Die beiden Brautleute, im Rausche ihres jungen Glücks nicht die anderen vergessend, die daran teilzunehmen die nächste Anwartschaft hatten, waren bei Tische übereingekommen, noch an demselben Tage in den ersten Nachmittagsstunden Bakewitz zu verlassen und, bevor sie sich nach Sassnitz begäben, um den alten Eltern des Bräutigams die frohe Kunde ihrer Vereinigung zu überbringen, erst den alten Schweden auf Pulitz zu besuchen und ihm Rechenschaft von dem Erfolge seiner List abzulegen, die so gute und schnelle Frucht getragen. Waldemar aber hatte sich vorgesetzt, den Scherz des Alten durch einen anderen zu erwidern und ihm Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Hille, alle Wünsche des Geliebten zu den ihrigen machend, stimmte von ganzem Herzen mit ein, fügte aber die Bitte hinzu, sie bei dieser Gelegenheit auf den Rugard zu führen, den sie noch nie bestiegen, und damit ein Versprechen zu erfüllen, welches er ihr einst in einer traulichen Stunde, wie wir wissen, gegeben hatte.

Zu ihrer Überkunft nach Pulitz hatten sie zunächst den Seeweg bis zur Landungsstelle an der schmalen Heide, dem Heidekrug gegenüber, gewählt; vom Kruge aus wollten sie ein Boot nehmen, um ganz im stillen auf Pulitz zu landen und den alten Schweden womöglich noch zur Zeit seines Mittagsschlafes zu überraschen. Nachdem Hille nun rasch einen kleinen Koffer gepackt und in das Boot des Pächters von Bakewitz gesandt hatte, sagten sie diesem und seiner Familie Lebewohl und begaben sich an den Strand, wo unweit der Nußbäume das zur Überfahrt bestimmte Boot lag. Wohlwollende Hände hatten es in größter Eile in Bereitschaft gesetzt, und so weit die vorhandenen Mittel reichten, mit bunten Wimpeln und Flaggen geschmückt, wogegen weder Waldemar noch Hille etwas einwenden mochten, da die guten Leute es sich einmal nicht nehmen ließen, auf diese Weise wenigstens ihre Liebe und Freude an den Tag zu legen.

Da derselbe Wind noch wehte, der Waldemar nach Bakewitz gebracht, ja sogar noch etwas kräftiger geworden war, so ging ihre Fahrt ziemlich rasch von statten, und schon nach zwei Uhr langten sie an der bezeichneten Stelle der schmalen Heide an, wo sie das Boot verließen, um zu Fuß quer über den schmalen Erdgürtel nach dem Heidekruge zu gehen. Bevor sie jedoch von den Leuten, die sie gefahren, Abschied nahmen, bat Waldemar den Steuermann, ihm zu Liebe seine Fahrt bis Sassnitz fortzusetzen, dort im ersten Häuschen am Strande dem Lotsen Piesing Hilles Koffer zur Aufbewahrung mit der Bitte zu übergeben, ihm um Mittagszeit des andern Tages ein Boot an dieselbe Stelle der Heide zu senden, um darauf die Überfahrt nach seiner Heimat zu bewerkstelligen. Dabei aber sprach er den Wunsch aus, noch nichts von den auf Bakewitz vorgefallenen Ereignissen verlauten zu lassen und den Lotsen am Strande zu untersagen, den Strandvogt von seiner Rückkehr mit Hille in Kenntnis zu setzen.

Der Mann versprach es mit lächelndem Munde und segelte nach Jasmund ab, während Hille an Waldemars Arm die kurze Strecke zum Heidekruge zurücklegte, wo sie in wenigen Minuten ein Ruderboot erhielten, das sie nach Pulitz trug.

Innigst beglückt im Herzen und Hand in Hand in dem kleinen Boote sitzend, fuhren die Brautleute über den schmalen Wasserstreifen, und erst als sie dem Strande der kleinen Insel nahe kamen, fing Waldemars Herz an zu pochen, da er sich nun auf die Ausführung eines Scherzes vorbereiten mußte, der seinem ernsten Wesen nicht ganz entsprach und dessen Gelingen daher fraglich erschien.

Nachdem er aber mit Hille die ganze Szene wiederholt verabredet, stieg er mit ihr ans Land, sandte das Boot nach, dem Kruge zurück und schritt nun langsam gegen das Gehöft vor, das, da es Sonntag war, in friedlichster Stille ruhte, zumal die meisten Dienstleute die Insel verlassen hatten, um auf dem nahegelegenen Rügen bei Verwandten und Freunden, ihrem Vergnügen nachzugehen.

Es war noch nicht drei Uhr nachmittags, als sie geräuschlos durch die Pforte des Hofes schlüpften, wo sie der ersten Magd desselben ansichtig wurden und ihr Stillschweigen geboten. Ohne ein Wort zu reden, näherten sie sich dem Herrenhause, und während Waldemar in das Wohnzimmer Adam Sturlesons eintrat, blieb Hille mit klopfendem Herzen an der Tür stehen und horchte mit Spannung auf die Entwicklung der Szene, die sogleich ihren Anfang nehmen sollte.

Der alte Schwede saß in der Nähe des Ofens auf seinem bequemen Sorgenstuhl und schnarchte im glücklichsten Mittagsschlummer. Mutter Talke hatte die eine Ecke des alten Kanapees eingenommen, um in einem Gesangbuche zu lesen, das jedoch ihren Händen entglitten war, weil auch sie ein sanfter Schlaf heimgesucht.

Unter diese schweigende und friedfertige Gruppe nun, die sich eines solchen Überfalls nicht im geringsten versah, trat plötzlich mit einigem Geräusch Waldemar Granzow, auf seinen Mienen den Ausdruck des größtmöglichen Kummers tragend, der mit einem geschickt erheuchelten Grolle gegen den Urheber des gestrigen Scherzes erkennbar genug gemischt war.

Kaum hatte Waldemar die Tür hinter sich zugeschlagen, so fuhr zuerst Mutter Talke aus ihrem Schlummer in die Hohe, und ihr lauter Freudenschrei, dem aber sogleich eine lebhafte Besorgnis folgte, als sie das entstellte Wesen des befreundeten jungen Mannes sah, weckte alsbald auch ihren Mann aus dem Schlafe. Der alte Schwede, sich rasch in den Vorgang zurechtfindend, sprang mit heftiger Bewegung vom Stuhle auf, starrte seinen Vetter mit offenem Munde an und konnte anfangs kein Wort finden, um seinem Erstaunen einen Ausdruck zu geben.

Waldemar, ohne ein Wort der Begrüßung zu sprechen, ließ sich auf das Kanapee fallen, bedeckte sein Gesicht, auf dem er mit Mühe das Lachen beherrschte, mit der Hand und stieß eine ganze Reihe verzweiflungsvoller Seufzer aus.

»Hölle und Teufel!« brachte endlich der alte Schwede mit schallender Stimme hervor, »was soll das heißen? Junge, ist der Blitz in dich gefahren, oder ist dein Haus abgebrannt, daß du so kläglich wie eine Unke winselst? Heraus mit der Sprache, ich will wissen, was vorgegangen ist.«

»Ach, Ohm,« jammerte Waldemar, »du wirst es wohl wissen, ohne daß ich es dir sage. Du bist an dem ganzen Unfall schuld, denn du hast mich auf das ärgste belogen, und nun, da ich mit der Tür ins Haus gefallen bin, hat sie mich spöttisch heimgeschickt und gesagt, Mutter Talke hätte vielleicht um mich geworben, ihr aber sei es nicht im Traume eingefallen und es betrübe sie sehr, daß du auf deine alten Tage dich noch zu solchen Narrenstreichen herbeigelassen hättest.«

Dem alten Schweden verging beinahe der Atem, was bei ihm etwas Seltenes war, da er so leicht nicht aus de Fassung kam. »Was,« rief er mit donnernder Stimme »Narrenstreiche! hat sie gesagt? Ich – auf meine alten Tage? Ei, da soll ja gleich ganz Rügen in das Meer der sinken, und ich will es ihr anstreichen, daß sie mich mit einer Narren vergleicht.«

Jetzt war auch Mutter Talke zur völligen Besinnung gekommen. Ganz bleich im verschrumpften Gesicht näherte sie sich ihrem Mann, stämmte die beiden Hände in die Seiten und sagte mit weinerlicher (stimme: »Aha! Hab' ich es nicht gesagt? Und nun ist es eingetroffen! Mit solchen Narreteien richtet man nie etwas Gescheites an! Wenn du nichts besseres wußtest, die Jungen zu kopulieren, so hättest du klüger getan, die Hand ganz aus dem Spiele zu lassen. Aber das ist dir schon recht, Alter, nun iß die Suppe aus, die du eingebrockt, und tröste den armen Vetter, den du in die Schlinge geführt wie eine unschuldige Walddrossel.«

»In die Schlinge geführt!« tobte der alte Schwede weiter. »Nun ja, ich werde die Suppe schon ausessen, die ich eingebrockt, darauf verlaß dich. Aber du, Junge, höre mich einmal an; wenn das alles so ist, wie du sagst, und kaum glaube ich es anders, da du wie ein Verzweifelnder dreinschaust, so gratuliere ich dir mehr als ich dir kondoliere. Ich habe die Hille für ein wackeres Mädchen gehalten bisher und sie an die Spitze gestellt von allen Weibsleuten, die ich kannte, weit und breit. Nun aber, da sie ist, wie jede andere, leicht verletzlich und schnippisch, so will ich auch nichts mehr von ihr wissen – ja, das will ich, so wahr mir Gott helfe! Und da – da, ich will es dir nur sagen: ich wollte, wenn ich einmal sterbe, ihr alles hinterlassen, was ich besitze, denn ich habe außer dir und ihr keine Kinder, nun aber kriegt sie nichts, nicht die blasse Spur und du – du sollst alles allein haben, Geld und Geldeswert. Ha, bist du damit zufrieden, Junge?«

Waldemar wollte etwas antworte, aber es gelang ihm nicht; seine Kraft, das Lachen zu unterdrücken, war erschöpft, und wäre ihm nicht in diesem Augenblick eine Hilfe zu Teil geworden, so hätte seine Rolle nur kläglich geendet. Gerade zur rechten Zeit aber öffnete sich hinter dem alten Schweden die Tür, und Hille, die jedes Wort gehört, glitt wie, eine Elfe herein, schlang ihre Arme von hinten um den Hals des guten Ohms und rief: »Ja, ja, alter Schwede, damit ist nicht allein er, sondern damit bin auch ich zufrieden, und nun ist das Stück aus, und wir wollen alle recht glücklich sein!«

Da ging denn eine plötzliche Wandlung bei allen im Zimmer Versammelten vor. Waldemar ließ seine Verzweiflung fallen und zeigte ein heiter lachendes und glückliches Gesicht, der alte Schwede aber stand wie versteinert mitten zwischen den jungen Leuten und starrte bald die eine, bald den andern an.

»Hallo!« rief er dann laut, mit seiner Stentorstimme, als er den ihm gespielten losen Streich durchschaut, »spielt Ihr mir so mit für meinen guten Willen? Also, ich bin der Sündenbock für Eure lange Flennerei? Halt, das soll nicht ungestraft hingehen, gleich jetzt fordere ich dafür ein Versprechen, und ich lasse Euch nicht eher aus diesem Zimmer, als bis ich es schwarz auf weiß von Euch beiden in Händen habe.«

»Auch damit sind wir einverstanden, mein guter Ohm,« rief Waldemar fröhlich, aber Hille ließ es für jetzt noch nicht zu dem Ausspruch der Forderung kommen, denn sie umarmte bald Mutter Talke, bald den Ohm Sturleson, und das hatte eine so gute Wirkung bei beiden, daß Friede und Zufriedenheit im Handumdrehen hergestellt war.

Einen glücklicheren Tag hatte man sobald nicht auf Pulitz verlebt, und selbst die beiden Alten wurden wieder in der. Erinnerung jung, als sie die beiden schönen Brautleute nun eng verbunden nebeneinander sahen und von ihren Lippen das Geständnis vernahmen, daß sie namenlos glücklich seien und sie dem alten Schweden allein die gute Wendung verdankten, die die ganze Angelegenheit wider aller Vermuten so rasch genommen habe.

»Nun, das heiße ich mir ehrlich und vernünftig gesprochen!« wiederholte der Alte von ganzem Herzen mehrere Male. »Ha, ich wußte wohl, wie man einen solchen Burschen aus seinem Eigensinn treibt und wider seinen Willen so glücklich macht, wie den lieben Gott im Himmel.«

»Du irrst, lieber Ohm,« lächelte Hille; »Waldemar war nicht eigensinnig in seinem Schweigen –«

»Nun ja, daß du jetzt seine Partei gegen mich nimmst, wundert mich gar nicht, aber dafür sage ich dir noch einmal, du Schelm, meine Erbschaft ist dir verloren, denn was ich einmal gesagt, hab' ich für immer gesagt, und der da hat sie, so wahr ich Adam Sturleson heiße, den man den alten Schweden nennt.«

Hille warf sich in seine Arme und küßte ihn wiederholt. »Damit bin ich ganz zufrieden, mein teurer Ohm,« rief sie fröhlich, »und niemand wird dir zuwidersein. Ich selbst besitze nichts mehr für mich allein, sobald, ich Hille Granzow heiße, und so wird dein Eigentum jedenfalls an den rechten Mann kommen, wenn du es doch einmal in andere Hände übergehen lassen willst.«

»Willst? Ich denke nicht daran, aber, Kinder, der da« – und er streckte mit gläubig schimmerndem Gesicht die rechte Hand nach oben aus – »der allein hat einen Willen und ihm beuge ich mich, wenn er ihn ausspricht. Ihm aber wollen wir danken, daß er auch diesen Krieg zu Ende gebracht, und nun werdet Ihr mir wohl das Versprechen geben, was ich schon vorher von Euch fordern wollte.«

»Welches ist das?« fragten Hille und Waldemar zugleich mit Augen und Lippen.

»Daß Ihr Eure Hochzeit hier bei mir auf Pulitz feiert, und daß ich das Recht habe, dazu einzuladen, wen ich will.«

Hille schmiegte sich sanft an Waldemar an und blickte ihm, um seine Meinung fragend, in die großen blauen Augen. »Was sagst du dazu, mein Freund,« sagte sie zärtlich, »darin hast du zu bestimmen.«

»Nein, du, meine Teure!« erwiderte Waldemar, sie auf die reine Stirn küssend.

»Pulver und Blei!« rief der alte Schwede mit dröhnender Stimme. »Nun zanken sie sich schon, wer das meiste Recht in solchen Sachen hat. Bah, Ihr jungen Kreaturen, Ihr beide habt kein Recht, und ich allein werde das mit den Alten, abmachen, ich will und muß nun einmal Brautvater sein und damit basta für heute!«

 

Nachdem man am nächsten Morgen gemeinschaftlich das Frühstück eingenommen, erinnerte Hille ihren Geliebten an sein Versprechen in Betreff des Rugard.

Er war sogleich bereit und eine Viertelstunde später saßen sie schon in einem Boote, um nach Rügen überzusetzen und vom Strande aus auf dem nächsten Wege den schönen heimatlichen Berg zu besteigen. Golden stand auch an diesem Tage die Sonne am Himmel und linde wehte der Wind die Düfte der Wälder und Felder heran, die im vollsten Sommerschmucke prangten. So war denn die Umschau vom höchsten Punkte des Rugard aus, nachdem der kurze Weg bis zu seinem Gipfel bald zurückgelegt war, eine überaus lohnende, und Hille, dicht an Waldemar geschmiegt, gab sich einem Entzücken hin, wie sie es unter solchen Umständen noch nie genossen hatte.

»Sieh,« sagte Waldemar, nach Südwesten deutend, »da springt die ausgezackte Halbinsel, die du deine Heimat nennst, wie eine riesige Hand mit ihren ausgestreckten Fingern, dem Redewitzer-, Göhren- und Thiessower Höwt in das blaue Meer vor. Dort hinter jenen grünen Waldungen, der Granitz, dessen höchsten Punkt das fürstliche alte Jagdschloß einnimmt, hast du die vorige Nacht geschlafen, noch nicht im geringsten voraussehend, daß du heute schon auf diesem Gipfel stehen und mit mir in Gemeinschaft die Reize deines Vaterlandes betrachten würdest. Aber so webt das Schicksal die Fäden des Menschenlebens stets im Geheimen, und mit seiner heutigen Arbeit können wir Wohl zufrieden sein. Sieh, dort gerade vor uns taucht das schöne Schloß empor, in dem unser gütiger Fürst, der Herr von Putbus wohnt, um das herum sich seit fünf Jahren eine kleine Stadt aufgebaut hat, die mit schnellen Schritten ihrer Vollendung entgegenreist. Wenn ich nicht irre, wird sie bestimmt sein, einst den leuchtendsten Stern Rügens zu bilden und Gott gebe ihr und ihrem edlen Schöpfer das beste Gedeihen. Jenes breite Wasserbecken aber, welches die Küste von Putbus bespült, ist der Rügianische Bodden; ihm gegenüber vor jenem grauen Streifen, der pommerschen Küste, bildet das Meer, tief in das Land eindringend, den Greifswalder Bodden, in dessen tiefster Bucht dort die Greifswalder Türme ragen. – Hier zur Rechten hinüber, jenseits des schmalen Wassergürtels, erblickst du die Mauern und Wälle der deutschen Feste, das dräuende Stralsund, aus deren Mitte ich damals mit dem blutenden Magnus Brahe dort nordwärts nach jenem schmalen Inselchen, Hiddens-öe genannt, flüchtete und bei Herrn von Bagewitz auf dem Gute Kloster eine gastliche Aufnahme fand, wie jeder andere sie finden wird, den einmal sein Weg in Freud' oder Leid dahin führt. – Sieh nun dort hin über Gingst und Udars hinüber, wo Hunderte von Dörfern, Höfen und Häusern mitten aus den grünen Fluren und Wäldern hervorragen, in jener Wasserenge zwischen Wittow und Rügen fand der Kampf statt, der uns von unsern feindlichen Verfolgern befreite, als wir nach Schweden flüchten wollten, und aus welchem Piefing der ältere mit seinem eisernen Willen und seinem kühnen Mute uns siegreich hervorgehen ließ. Aber jetzt über Wittow fort, fliege mit mir über unsern großen Bodden nach dem schönsten Punkte unseres Vaterlandes, nach Jasmund. Sieh seine ragenden Wälder, seine hochgetürmten Berggipfel und dort ganz vorn seine Weißen Klippen, die jäh in das weite Meer hinabstürzen. Ach, auf diesem grünen Lande habe ich mein Leben begonnen und die herrlichsten Freuden, aber auch die herbsten Leiden erfahren. Beides zusammen aber bindet den Menschen fest an die Scholle und darum kann ich nur mit Wehmut meinen Blick davon losreißen, der immer wider meinen Willen nach Spyker zurückkehrt, wo das Grab meines Freundes liegt.«

Hille antwortete ihm nicht, denn sie teilte seine Empfindungen, nur inniger lehnte, sie sich an ihn an und drückte stumm seine Hände, dadurch verratend, daß sie denke und fühle wie er. Wohl eine Stunde blieben sie auf der Höhe stehen und genossen die Aussicht über ihr kleines aber schönes Heimatland, und als sie endlich wieder den Weg nach Buschwitz hinabschritten, waren sie beide befriedigt, denn die Wonne, sich gegenseitig endlich gefunden und so eine Stütze und einen Trost gegen allerlei Not und Gefahr zur Hand zu haben, stimmte sie glücklich und ließ sie die Schmerzen und Leiden vergessen, die sie bisher erfahren und durchlebt hatten.

Auf dem Wege von Buschwitz nach Pulitz legten sie eine Viertelstunde auf dem kleinen Werder All-Rügen an und Waldemar führte Hille in die geheime Moosgrotte, in der er, während der Anwesenheit des Generals Chambertin mit Magnus verborgen gelebt hatte.

Als sie in das Innere derselben hinabgestiegen waren und den Sitz auf dem schwellenden Moose eingenommen hatten, war Hille erstaunt, das Ganze so behaglich und lieblich zu finden, und sie sprach ihre Meinung darüber in fröhlichen Worten aus.

»Ja,« erwiderte Waldemar, »jetzt scheint es dir wohl angenehm und behaglich, einige Minuten aus diesem weichen Lager zu sitzen, aber damals, tagelang hier eingesperrt und von allen Menschen so weit entfernt, war es uns doch peinlich und beschwerlich genug, namentlich für den armen Magnus, der mit seinen Gedanken immer um Spyker flatterte und an seinen bevorstehenden Tod dachte. Sieh, hier, wo du sitzest, hat damals mein armer Freund gesessen und geseufzt, hier hat er noch immer an. die leichtsinnige Gylfe gedacht, die seinen Edelmut ebensowenig wie seine Liebe zu schätzen wußte. Ach, ich sehe ihn hier noch immer stumm und schmerzvoll brüten und mir seine Leiden klagen, die ich doch nicht lindern konnte, und so wird er mir überall und immer vor Augen schweben.«

Bei diesen Worten, den ersten traurigen, die Waldemar sprach, seitdem er in ihren Besitz gelangt war, umschloß Hille ihn mit beiden Armen und drückte ihn zärtlich an sich. »Mein Freund,« sagte sie, »Magnus allerdings ist nicht mehr hier, aber an seine Stelle bin ich getreten und ich will mich aus alle Weise bemühen, ihn dir in deinem Herzen zu ersetzen.«

»O Hille, wie schön sprichst du das aus und wie unendlich dankbar bin ich dir dafür. Ja, du, du allein bist mir der einzige Trost, wenn ich an seinen Verlust denke, denn Magnus war mir mehr als ein Freund und Gefährte, er war mir fast ein Bruder! Und wie wunderbar richtig hat er mir vieles vorausgesagt, was schon jetzt vollkommen eingetroffen ist. Erst wenn ich tot sein werde, sagte er mir unter andern, wirst du ganz glücklich sein. Und sieh, Hille; er ist tot, und ich bin, was er mir vorhergesagt – glücklich, wie es ein Mensch nur sein kann, schon allein durch dich.«

Hille drückte ihn noch fester an sich und dankte ihm mit Küssen, denn Worte hatte sie nicht. Dann aber stiegen sie wieder an die Oberfläche empor, schlossen vorsichtig die Türen der verborgenen Hütte und bestiegen ihr Boot, mit welchem sie bald wieder nach Pulitz gelangten.

Bei dem Mittagsmahle, das nun in der Behausung des alten Schweden in der gewohnten reichlichen und förmlichen Weise aufgetragen wurde, erfuhren die Brautleute zu ihrer Freude, daß sowohl Adam Sturleson wie Mutter Talke sie nach Sassnitz begleiten wollten, um Zeugen der Freude des Strandvogts und seiner Frau zu sein. So wurde denn heute nicht an den Mittagsschlaf gedacht und sobald die Tafel aufgehoben war, rüstete man sich, die Reise anzutreten, in der Hoffnung, daß der Steuermann aus Bakewitz seinen Auftrag vollzogen, und Piesing ein Boot dem Haidekrug gegenüber in die Prorer Wiek gesandt haben werde.

Mit raschem Ruderschlage flog das Pulitzer Boot quer durch den kleinen Jasmunder Bodden und es war noch nicht zwei Uhr nachmittags, als man im Haidekrug anlangte und nun zu Fuß über die schmale Heide schritt. Wie erstaunten aber alle vier, als sie den Strand erreichten und an der bezeichneten Landungsstelle statt des gewöhnlichen Überfahrbootes das größte und schönste Lotsenboot von Sassnitz vorfanden, das Piesing selber steuerte und außerdem bei dem schwachen Winde mit acht kräftigen Ruderern bemannt hatte, die sämtlich in ihre Sonntagstracht gekleidet waren. Sodann aber war das ganze Boot vom Ausleger bis zum Bord herab mit unzähligen bunten und lustig flatternden Wimpeln und Flaggen geschmückt, unter denen hinten über der Ruderpinne zum erstenmal die große preußische Flagge sich entfaltete, unter deren Schutz die Rügianischen Schiffer und Lotsen jetzt in See stachen.

Erstaunt blieben die vier Reisenden stehen, als sie schon von weitem das unerwartete Schauspiel erblickten, und eins neue Freude erhob ihre Herzen, daß man ihrer in der Heimat so herzlich gedacht und an ihrem Schicksal so innigen Anteil genommen hatte.

Der Bote aus Bakewitz hatte also gegen Waldemars Wunsch das Geheimnis in Sassnitz verraten und wir wollen ihm das nicht verdenken, denn Leute seines Herkommens und Standes glauben immer recht zu tun, wenn sie andern eine Freude bereiten, selbst wenn sie dabei einem ausdrücklichen Gebote zuwider handeln.

Da das große Boot nicht dicht am Strande anlegen konnte, so hatte man noch ein kleines im Schlepptau herbeigeführt, das ebenfalls bunt und reich beflaggt war; in dieses nun, nachdem es dicht an das Ufer gerudert, stiegen die Reisenden, um bald darauf von Piesing dem Älteren an Bord des großen begrüßt zu werden, der als Führer des Schiffes seinen Posten nicht verlassen hatte. Mit festem Handschlag und herzlichen Worten empfing er das Brautpaar und als alle auf ihren Plätzen saßen, ließ er ein donnerndes. Hurra ertönen, das an den Bergen von Jasmund widerhallte und weit über die Wogen der Ostsee scholl. Dann aber gab er seinen Ruderern ein Zeichen und auf einen Schlag senkten sie ihre Riemen in das Wasser und wie ein hurtiger Schwan flog das große Boot durch die Fluten dem Ufer von Jasmund zu, noch einmal im funkelnden Sonnenschein die schönen Küsten der Heimat umsegelnd.

Als man aber bald auf die Höhe von Mucran gelangt war, gab Piesing den Vormännern im Buge ein Zeichen, und als sie dieses empfangen, zogen sie ihre Riemen ein und machten sich mit einem kleinen Böller zu schaffen, den sie bisher mit einer Flagge den Blicken des Brautpaares entzogen hatten. Den entluden sie nun und Schuß auf Schuß fuhr krachend heraus und begrüßte die Höhen Jasmunds, den Bewohnern derselben damit ein Zeichen gebend, daß sie das Paar glücklich heimbrächten, nachdem sie ausgefahren waren.

Kaum aber war der erste Schuß im donnernden Echo an den Bergvorsprüngen der Halbinsel widerhallt, so belebte sich plötzlich die stille See, denn von Sassnitz und Crampas her ruderten so viel bunt bewimpelte Fahrzeuge heran, als in beiden Dörfern aufzutreiben gewesen waren, und in wenigen Minuten umringten sie alle das große Boot und lauter Jubelruf, bis weit über die Grenzen des langgedehnten Strandes tönend, erfüllte die milde Sommerluft.

Hille, als sie dieses herzliche Entgegenkommen sah und daraus erkannte, wie lieb man in Sassnitz ihren Waldemar und sie selbst habe, vermochte kein Wort zu reden, nur ihre Augen blitzten rings umher und streuten überallhin Winke und Grüße aus, während sie im stillen die Freudenperlen trocknete, die Wider Willen ihre blühenden Wangen befeuchteten.. Waldemar aber stand hoch im Boote, schwenkte seinen Seemannshut und begrüßte mit lautem Zuruf alle die biederen Männer, die es mit ihm und seinem braven Vater so herzlich meinten.

Als man sich aber dem Strande von Sassnitz allmählich näherte, wurden alle durch einen unerwarteten Anblick überrascht. Der ganze Außenstrand war mit hohen und unabsehbar langen Reihen von Fischernetzen umspannt, in denen bunte Bänder und Tücher eingeknüpft waren, deren Wehen und Flattern im Winde einen lieblichen Anblick gewährte. In den von Zeit zu Zeit freigelassenen Zwischenräumen aber hatten sich alle Bewohner von Crampas und Sassnitz aufgestellt, und Männer und Weiber, jung und alt, alle im Sonntagsstaat, bemühten sich um die Wette, mit Freudenruf und Gruß das junge Paar zu empfangen, dem alle von ganzem Herzen so freundlich gewogen waren. Als Waldemar diesen unerwarteten und herzlichen Empfang sah, da wurden auch ihm die Augen feucht, und er vermochte nur noch mit den Armen wiedergrüßend und dankend zu winken, denn Worte hatte er schon lange nicht mehr.

Endlich war man dem Strande ganz nahe gekommen, und dicht vor dem Eingange von Sassnitz, wo der Steinbach seine Schaumperlen ins Meer ergießt, hatte man schnell aus alten Booten und Brettern eine Landungsbrücke zusammengefügt, die mit Blumen und Blättern bestreut war und hinter der die jauchzenden Fischer mit Weibern und Töchtern in bunten Reihen standen. Kaum aber Hatte Waldemar, Hille an der Hand führend, diese Brücke betreten, so öffneten sich die Haufen, und der Strandvogt selber, Mutter Ilske geleitend, die man erst vor kurzem von dem Vorgehenden in Kenntnis gesetzt, trat den Ankommenden entgegen.

Als nun die beiden allgemein verehrten Alten, die an diesem kleinen Orte die angesehensten Leute waren, das Brautpaar in ihrer elterlichen Weise begrüßt und willkommen geheißen hatten, mußten Hille und Waldemar die Reihen hinuntergehen und allen und jeden die dargebotenen Hände schütteln, und niemals in ihrem Leben war Hille von so vielen bewundernden Augen beschaut worden, wie an diesem Tage, denn als hätte noch niemand vorher das schöne Mädchen von Sassnitz in der Nähe gesehen, so fand man erst heute so vollkommene Reize an ihr, daß Waldemar, wenn er die Ausrufungen gehört, die allerorten laut wurden, sich mit einer Prinzessin hätte verbunden wähnen können, was in dem Sinne der einfachen guten Strandbewohner nichts anderes hieß, als im Besitz aller möglichen Schönheiten und Vollkommenheiten zu sein.

Nachdem nun die Begrüßungen unten am Strande. Wohl eine Stunde hinweggenommen hatten, ordnete der alte Schwede und Piesing, der riesige Lotse, den Zug, der das. Brautpaar durch die Schlucht zur Höhe hinauf nach dem Kiekhause begleiten sollte.

Voran schritten zwei Fiedler, mit nicht unharmonischen Tönen das Echo der Berglehnen erweckend. Ihnen folgte, immer paarweise gehend, ein Zug der, jüngeren Fischer und Schiffer; dann kam der alte Schwede mit Mutter Ilseke, dann der Strandvogt mit Mutter Talke und dahinter, das Brautpaar, welches man mit grünen Eichengirlanden fast übermäßig beladen hatte. Hinter ihnen aber folgte die lachende und schwatzende Schar der jüngeren Fischermädchen, denen sich endlich die alten Paare, die Lotsen und ganz zuletzt die schreiende und radschlagende junge Welt anschlossen.

Bis vor das Gartentor des Kiekhauses gab man den Bewohnern desselben das festliche Geleite, und unter Hurraruf und einem endlosen Gejauchze traten sie in die Tür ein, worauf die Dorfbewohner sich zurückzogen, um unten am Strande den althergebrachten Fischertanz aufzuführen und bis zum Abend das Vergnügen fortzusetzen, da der Festtag der einzelnen hier immer ein Festtag für alle war.

Als nun aber der Strandvogt mit allen Seinigen in das beste Zimmer des Kiekhauses eingetreten war, da begannen noch einmal die Begrüßungen und das Willkommenheißen der beiden Glücklichen, und hier empfing auch nochmals der alte Schwede den Dank der Eltern, den er so redlich verdiente, da er es ja allein war, der den Frieden nun wirklich in das stille Haus eingeführt und alle glücklich gemacht hatte.

Man war mit den Worten zu Ende gekommen, und Mutter Ilske hatte den schon bereit gehaltenen Kaffee eben hereinbringen lassen, als Waldemars Augen auf den am vorvergangenen Tage eingelaufenen Brief fielen, den seine Mutter, um ihn nicht wieder zu vergessen, in ihr Arbeitskörbchen am Fenster gelegt hatte.

»Was ist das für ein Brief?« rief er und griff schon danach. »Ha, vom alten Grafen Brahe aus, Stockholm!« stammelte er plötzlich mit gepreßter Stimme, und alles schwieg bei diesen Worten und richtete erwartungsvoll die Augen auf ihn. »Ist der in meiner Abwesenheit gekommen, Mutter?«

»Nein, mein Sohn, ach nein, jetzt muß ich mich nur anklagen, und du, hilf mir, daß er mich nicht schilt. Der Brief, Waldemar, kam schon am Sonnabend Abend an, ehe du zu Hause warst, und ich wollte ihn dir am Sonntagmorgen überreichen, um dir einen fröhlichen Tag zu machen. Da kamst du aber so früh herunter und mit so entzücktem Gesicht, daß ich ihn vergaß, zumal du dich gleich darauf in das Boot setztest und nach dem Süden fuhrst. Jetzt aber lies ihn, mein Sohn, wir erlauben es dir alle gern, und wenn etwas Gutes darin steht, wird er noch immer zur rechten Zeit gelesen sein.«

»Und erst recht, wenn etwas Schlimmes darin steht, denn wir stehen hier alle für einen Mann!« bemerkte der praktische alte Schwede.

Waldemar wandte den Brief hin und her, als könne er kaum die Zeit erwarten, ihn zu lesen, denn es war dies der erste, den er seit Magnus' Tode, also seit fünf Jahren, vom Grafen erhielt. »Darf ich ihn lesen?« fragte er dann das liebe Mädchen, das, wie alle übrigen, die Augen, voller Spannung auf ihn gerichtet hielt.

»Ja, Waldemar, du mußt es sogar, und tue es geschwind; wir aber wollen unterdessen ganz still sein und während der Zeit unsern Kaffee trinken.«

Waldemar hatte sich auf den Stuhl der Mutter an das Fenster gesetzt und den Brief rasch geöffnet. Mit ruhigem Auge überflog er die erste Seite, als er aber immer weiter und weiter las, nahm seine Miene den Ausdruck einer Aufregung an, die von Minute zu Minute sichtbar zunahm, bis er endlich ganz bleich wurde und mehrere Male einen tiefen Seufzer ausstieß.

Alle im Zimmer Anwesenden verhielten sich vollkommen schweigend und hingen erwartungsvoll an dem Gesichte Waldemars. Auch ihre Aufmerksamkeit wuchs allmählich, bis sie sich alle wie auf einen Wink erhoben und in die Nähe des Lesenden traten, der plötzlich, als er den Brief zu Ende gebracht, mit heftigster Erregung vom Stuhle aufsprang und ausrief:

»Großer Gott! Womit habe ich das verdient! O, wie belohnt sich die Liebe auf Erden, wenn sie die wahre, echte Liebe ist – und die meine war es, ich kann es vor jedermann, selbst vor Gott behaupten!«

»Nun, was ist's denn, was gibt's denn?« fragte neugierig der alte Strandvogt und wollte schon mit der Hand nach dem Papiere greifen.

Waldemar hörte gar nicht, was der Vater zu ihm sagte. Er kämpfte noch immer mit sich selber, strich sich wiederholt, mit der Hand durch das üppige dunkle Haar und trat dann auf Hille zu, drückte sie fest an sich und sagte: »O Hille, wenn dieser Brief vorgestern in meine Hände gelangt wäre, so hättest du einen anderen Bewerber an mir gehabt und ich hätte ohne Herzklopfen nach Bakewitz eilen und mit offener Stirn an dich herantreten können.«

»Ich wünsche es mir nicht anders, wie es gewesen ist, denn es war schön, herrlich, unvergeßlich so,« erwiderte Hille leise, aber da alles schwieg, doch verständlich genug.

»Das glauben wir Euch gern,« nahm der alte Schwede lächelnd das Wort. »Aber dürfen wir nicht erfahren, was in dem Briefe steht, mein Junge? Denn wenn du mit dem Mädchen von Bakewitz fortfährst zu reden, so werden wir es wahrlich noch lange nicht wissen.«

»Ja,« sagte Waldemar und trat mit feierlicher Miene und gehobener Haltung in die Mitte seiner Lieben, »Ihr dürft nicht allein, sondern Ihr müßt es erfahren, denn dieser Brief verändert Euer und mein Verhältnis wie durch einen Zauberschlag. Hört also, was der gute alte Graf mir schreibt, und dann dankt Gott noch einmal, daß er meinem Vater einst die Gelegenheit gab, den edlen Herrn dem Wellentode zu entreißen, was ja der Anfang unserer näheren Bekanntschaft und des Glücks war, welches jetzt in übermäßiger Fülle auf mich, der es so wenig verdient, herniederströmt.« Darauf nahm er den Brief und las mit klarer Stimme den ganzen Inhalt desselben vor.

 

Mein teurer Sohn!« hieß es darin. Ach, ich nenne Dich meinen Sohn, weil ich keinen anderen mehr habe, dem ich diesen Namen beilegen könnte, und Du hast ja stets gegen mich und meinen Magnus gehandelt, als wärest Du mein Sohn und sein Bruder gewesen, das hat er mir in seiner letzten Zuschrift und Willensmeinung zu erkennen gegeben, die Du selbst mir vor fünf Jahren aus Sassnitz übersandt hast.

Mein langes Schweigen wird Dich in Verwunderung gesetzt und Dir vielleicht die Meinung eingeflößt haben, als hätte ich Dich vergessen oder gar meine Hand von Dir abgezogen, wie es Wohl in der Welt unter Menschen vorkommen mag, die ein schwaches Gedächtnis für erwiesene Wohltaten und eine starke Neigung haben, nur an sich selbst und das eigene Wohlsein zu denken. Aber nein, mein teurer Waldemar, das ist nicht die Ursache meines langen Schweigens gewesen. Lange Reisen und wichtige Geschäfte im Auslande haben mir Jahre meines Lebens fortgenommen, die ich nicht für mich und die Meinigen, sondern nur für das höhere Wohlsein meines Vaterlandes verwenden konnte, und als ich endlich in mein heimatliches Haus zurückkehrte, war der Schmerz, meinen Magnus, den einzigen Erben meines Namens, die ganze Freude und Hoffnung meines Lebens, verloren zu haben, so groß, daß ich nicht imstande war, irgend wem von meinen Verhältnissen und Absichten Kunde zu geben. Auch wütete damals der Krieg mit seinen Drangsalen und Kümmernissen in Europa, kein Mann war zu Hause, und meine Zuschriften hätten Dich wahrscheinlich vergeblich in Deiner Heimat gesucht. Jetzt aber, mein guter Waldemar, haben wir Frieden, und mit ihm die Ruhe und Muße erhalten, über uns selbst und andere nachzudenken und für ihre Zukunft zu sorgen. Dieses Nachdenken aber hat mich zuerst auf Dich zurückgeführt und mich gemahnt, Dir zunächst auf Dein liebevolles und trostreiches Schreiben vom Jahre 1810 Antwort zu geben. Ich richte daher diese Zeilen in das Haus Deines guten Vaters, weil ich mir denke, daß Dich das in allen Rügianern lebhaft brennende Heimatsgefühl in die Arme desselben zurückgetrieben haben wird, um in seiner Nähe Dein ferneres Leben Deinen und seinen Wünschen entsprechend zu verbringen.

Was ich Dir nun zu sagen habe, ist folgendes, ich bitte Dich aber, damit nicht die ganze Dankbarkeit für erschöpft zu halten, die ich für Dich in anbetracht des vielen Guten empfinde, welches Du mir und den Meinigen erwiesen hast, sondern es nur als die Abtragung eines kleinen Teils der unvertilgbaren Schuld aufzunehmen, die Dein und Deines braven Vaters Verhalten in schweren Stunden mir auf die Seele gelegt hat und die ich daselbst tragen werde, bis auch mein Auge sich schließt, um in den ewigen Osten einzugehen.

Aus Magnus' letztem Willen geht hervor, daß Du bis an sein Ende sein treuer Freund und Gefährte auf allen Wegen gewesen bist. Er dankt Dir noch einmal durch mich für alle Deine ihm bewiesene Liebe von ganzer Seele und wiederholt Dir zum letzten Male, daß Du ihm der zuverlässigste, teuerste Freund und sorgsamste Bruder auf Erden gewesen bist. Was er Dir nun nicht selber sagen mochte, sagt er Dir durch mich, und um Dir auch sichtbare Erinnerungen an seine Freundschaft und Neigung zu hinterlassen, setzt er Dich zum Erben aller seiner kleinen Besitztümer ein, die er an Sammlungen, Waffen, Büchern, und sonstigen Dingen im Laufe der Zeit von mir, seiner früh verstorbenen Mutter und seinen übrigen Verwandten erhalten hat, und ich bestätige das hiermit, indem ich die Bitte hinzufüge, Dich in einigen Tagen nach Spyker zu begeben, um dort das Genannte in Empfang zu nehmen, da ich alles, was noch nicht daselbst ist, morgen dahin absenden werde. Wenn Du es vermeiden kannst, der leichtfertigen Gylfe Torstenson vor Augen zu treten, so erfülle meinen Wunsch, ich mag nicht, daß Deine Erinnerung an Magnus und mich, noch einmal durch den Anblick oder vielleicht gar durch eine zu spät kommende Erörterung mit diesem unglücklichen Mädchen getrübt und aus der stillen Ruhe sanften Vergessens aufgerührt werde. Denke aber nicht, daß ich meine Hand ganz von ihr abgezogen habe, das wäre gegen mein Gewissen und gegen das Versprechen, welches ich ihr gab, als sie als das Kind eines Geächteten und eine von aller Welt verlassene Waise in meine Hand geriet, vielmehr habe ich ihr ein Jahrgeld bestimmt, wovon sie neben ihren Einkünften als Stiftsfräulein in Bergen bequem leben kann, wohin sie, wie ich hoffe, sich begeben wird, sobald das vom Kriege hart mitgenommene Stift wieder in bewohnbaren Zustand versetzt sein wird. Diese Worte sollen die letzten sein, die ich über sie fallen lasse, denn es schmerzt mich, von ihr zu reden, die meinem guten Magnus vielleicht wider Willen so viel Leid und Kummer verursacht hat. Gebe ihr Gott ein recht heiteres Leben und innerliche Zufriedenheit, sie ist noch jung und zum Genusse des menschlichen Daseins geschaffen; sie würde unglücklich sein, wenn sie es einsam verbringen müßte, und doch hat sie die Winke der Vorsehung nicht verstanden, die ihr so oft hilfreich die Hand bot, als sie in bedrängter Lage war.

Alles, was ich Dir bis jetzt gesagt, betrifft aber nur den Dank und die Willensmeinung, die Magnus für Dich hinterlassen hat – ich für meine Person bin Dir zu größerem Danke verpflichtet. Um wenigstens einen Teil desselben abzutragen, habe ich hin und her gesonnen, wie ich Dir Deinen ferneren Lebenspfad ebnen und angenehm machen könnte, da mir sowohl Deine Neigungen wie Bestrebungen für eine Deiner würdige Zukunft bekannt sind, und da habe ich mich erinnert, daß ich Dir eine kleine Gabe bieten kann, die Dich und die Deinigen vielleicht erfreuen wird. Nimm also meine seit Jahren mit großer Vorsicht und Liebe gepflegte Musterwirtschaft Blankenau am Jasmunder Strande in der Nähe der Stubnitz zu Deinem Eigentum an. Sie hat ein trauliches und geräumiges neu erbautes Wohnhaus, hübsche Gärten, eine gute Viehzucht, jagdreiche Waldungen und ist in der Nähe der See gelegen, die Dir ja von Jugend auf ein befreundetes Element war. Dorthin ziehe Dich von den Sorgen des Lebens zurück, nimm ein braves Weib und erziehe Deine Kinder in Gottesfurcht und Menschenliebe, wie Dich Deine wackeren Eltern selbst erzogen haben.

Da Du aber noch jung, voll Feuer, Kraft und Lust zur Arbeit bist, also einen Lebensberuf brauchst, der Deinen Fähigkeiten entspricht und Dir eine ehrenvolle Stellung unter Deinen Landsleuten gewährt, so habe ich mit meinem edlen Freunde, dem Fürsten von Putbus, Deinetwegen Rücksprache genommen und er hat meinen Wunsch erfüllt und mit der neuen Regierung verhandelt, die jetzt über Rügen gebietet. So wird Dir denn in den nächsten Wochen Deine Bestallung als Strandvogt der ganzen Halbinsel Jasmund ausgefertigt werden und Du wirst der oberste Beamte dieser Art in Deiner schönen Heimat sein. Das Amt aber, welches Du hiermit übernimmst, wird meiner Überzeugung nach in keinen Händen besser bewahrt sein, als in den Deinen, denn Du besitzest nicht allein die Fähigkeiten, sondern auch den guten Willen dazu, es seinen Erfordernissen und seiner Wichtigkeit gemäß würdig auszufüllen, wie es einem Ehrenmanne geziemt. Wo Du also kannst, widme Dein Leben dem Wohle der Menschen, die in Stunden der Gefahr hilflos an Deine Ufer geworfen werden, übe Barmherzigkeit und wache über alle diejenigen, die mit der Rettung von Menschen und mit der Bergung verunglückter Ladungen betraut sind.

Diese Stellung bietet Dir aber auch Gelegenheit, Deiner Liebhaberei, das Meer zu befahren und das Seewesen auf Rügen zu fördern, zu genügen, sodann aber auch, zum Wohle einer großen Menge von Menschen beizutragen, die Deiner Oberleitung untergeben sind.

Nun noch das letzte, was Dich vielleicht in nicht geringe Verwunderung setzen wird, aber Dich vielleicht niederschlagen darf. Der künftige Besitzer der Spykerschen Güter, Blankenau ausgenommen, werde nicht länger ich, sondern wird der Fürst von Putbus sein, mit dem ich seit einiger Zeit wegen Verkaufs meiner sämtlichen Besitzungen auf Jasmund, Wittow und Rügen in Unterhandlung stehe. Er ist ein edler Mann, hochbegabt, zu allem Guten geneigt, weise, kunstsinnig und tätig für das Wohl der Seinigen und aller auf Rügen lebender Menschen, namentlich der dienenden und ärmeren Klasse. Begib Dich nächstens nach Putbus zu ihm und stelle Dich ihm vor, denn Du bist durch den Besitz von Blankenau, sowie durch Deine amtliche Stellung in die Reihe der begüterten und angesehensten Bewohner der Insel getreten. Du wirst mit ihm, und er wird mit Dir zufrieden sein, das sehe ich voraus. Ich selbst konnte nach allen Verlusten und da ich – nach Gottes Willen – keine Familie mehr habe, meine Güter auf Rügen nicht mehr nach Wunsch benutzen, jeder alte Baum, jeder zerbröckelnde Fels würde mich nur an meinen Verlust erinnert und meinen väterlichen Schmerz erneuert haben. Ich scheide ungern von meiner schönen Heimat und dem alten Wohnsitze meiner Väter und ihren großen Besitzungen, aber einem Manne von meinen Jahren, der mit allen Gedanken schon bei seinem Schöpfer im Himmel weilt, wird eine solche Trennung leichter und möglicher, als sie Dir erscheinen mag.

Lebe nun auf Deinem reizenden Besitz, am Strande des Ostseespiegels und in der Nähe der mir so teuren Stubnitz mit ihren unvergänglichen Schönheiten in Frieden; genieße das Leben in seinen reichen Gaben, und weiche nie ab von den Grundsätzen und Neigungen, die in Dir stets vorherrschend waren und wegen derer ich Dich so lieb gewonnen habe. Drücke Deinem alten Vater und Deiner guten Mutter in meinem Namen die Hand und erinnere Dich bisweilen mit herzlicher Neigung, wie Du sie mir bisher bewahrtest, des alten Mannes, der kinderlos in die Grube steigt und niemanden um sich hat, dem er weder seinen Namen, noch seinen Besitz hinterlassen kann.

Dein dankbarer Pflegevater Graf Brahe.«

Stockholm, den 24. Juni 1815.

 

Als Waldemar mit Lesung des Briefes zu Ende gekommen war, gab sich die freudige Überraschung der Anwesenden nicht durch laute Ausrufe kund, sondern alle, von verschiedenen Gefühlen ergriffen, senkten die Köpfe und schwiegen, so tief war der Eindruck, den das Schreiben des edlen Grafen auf sie hervorgebracht hatte. Hille aber war die erste, die sich ermannte, indem sie auf ihren Bräutigam zutretend, ihn innig in die Arme schloß und als Besitzer von Blankenau begrüßte, der nun zehnmal reicher und angesehener sei, als sie es je gewesen war.

Dann aber trat der alte Strandvogt heran und sagte, mit vor Aufregung bleichem Gesicht und doch im Hinterhalt mit seinem natürlichen Humor lächelnd: »So also hängt es zusammen! Nun, Ehre dem, dem Ehre gebührt! Junge, du bist jetzt mein Vorgesetzter, und ich bin der erste, der dir seine Untertänigkeit und seinen Respekt ausspricht«

»Nichts von Untertänigkeit, nichts von Respekt, mein Vater!« rief Waldemar und schloß auch ihn in die Arme, »alles aber in Liebe wie bisher und in noch größerer Liebe immerdar!« Dann aber eilte er zur Mutter, die laut schluchzte und kein Wort hervorbringen konnte, da sie sich in das große und unverhoffte Glück ihres Sohnes gar nicht zu finden vermochte.

Der alte Schwede, der mit seinen Glückwünschen sonst immer zuerst bei der Hand war, wo jemanden ein Glücksstern aufging, war aber jetzt noch ganz verblüfft und starrte mit offenem Munde aus dem Fenster auf die See hinaus, bis endlich Mutter Talke, nachdem auch sie ihren herzlichsten Glückwunsch angebracht, ihn am Ärmel zupfte und fragte, ob er denn dem Strandvogt von Jasmund nicht seine Ehrerbietung erweisen wolle.

»Ja,« schrie er laut auf, »es wird wohl Zeit dazu sein. Ha, wo ist der neue Strandvogt von Jasmund? Ah, da! Junge, komm einmal her, du also bist der neue Herr auf diesem Strande, he? Und vor dir soll ich mich bücken?«

»Alter!« rief Mutter Talke entrüstet und schüttelte mit kräftigem Rucke einen Arm des Riesen, der diesen aber, da er immer wie eine Eiche stand, nicht im geringsten erschütterte.

»Schweig!« donnerte der alte Schwede, »ich habe es jetzt mit dem da zu tun. Nein, Junge, ich bücke mich nicht vor dir, denn wer vor einem Kaiser von Pulitz nicht einmal die Knie gebeugt hat, der wird es vor einem Strandvogt von Jasmund, was auch eine ganz neu gebacken Würde ist, noch weniger tun, zumal du der Mann in Würden bist, den ich noch in Pumphosen unter den Gänsen und Hühnern habe herumstolzieren sehen. Aber, Junge, wenn du die Hand eines schlichten Biedermanns nehmen und sein Freund bleiben willst, in Freud' und Leid, zu Wasser und zu Lande – da ist sie, nur muß ich dir sagen, daß es mir fast leid tut, dich so leichten Kaufs nach Bakewitz gesandt zu haben, denn ein Herr, wie Du jetzt einer geworden bist, hätte von Gott und Rechtswegen kraft seiner eigenen Nase den Weg dahin finden können. Doch nichts für ungut, und es bleibt zwischen uns beim Alten. Deine Hochzeit aber, und das soll meine Rache sein, findet dennoch auf dem kleinen Pulitz statt, und ich werde sie auf eine Weise ausrichten, daß ganz Rügen ein Jahr davon sprechen soll.«

Darauf näherte er sich Waldemar und drückte ihm so mächtig die Hand mit seiner gewaltigen Rechten, daß selbst er, der starke junge Mann, das Wort fallen ließ, es sei jetzt genug, sonst käme er als Krüppel in sein neues Amt. –

Der übrige Teil des Tages wurde in einer Stimmung verlebt, wie sie unter den Glücklichen im Kiekhause noch niemals geherrscht hatte, und bis spät in die Nacht hinein blieben sie zusammen, immer wieder die seltsamen Fügungen der Vorsehung besprechend und bewundernd, die, hinter dunklen Schleiern verborgen, doch stets so wohl für alle die Ihrigen sorgt; und dankbar gegen Gott, den Geber alles Guten, gingen sie endlich zur Ruhe, um im köstlichen Schlummer dem nächsten Tage entgegenzugehen, der wieder ein Freudentag für sie sein sollte, wie sie jetzt ihrer viele zu erwarten hatten.

Am frühen Morgen des folgendes Tages war abermals das große Lotsenboot mit bunten Wimpeln und Flaggen für sie ausgerüstet, um den neuen Strandvogt von Jasmund mit allen Seinigen nach Blankenau zu fahren, wo er ihnen sein schönes Gut zeigen und den Bewohnern desselben sich als den jetzigen Besitzer vorstellen wollte. Als die Strandbewohner nun hörten, welche Ehre und Auszeichnung ihrem alten Herrn und seinem Sohne widerfahren war, da begannen die Begrüßungen und Glückwünsche des vorigen Tages von neuem und wieder hatte sich alt und jung in festlichen Kleidern am Strande versammelt, um die Glücklichen in das große Boot steigen zu sehen und ihnen mit ihren kleinen Fahrzeugen das Geleit bis Stubbenkammer zu geben.

Diese kurze Meerfahrt ward nun beim herrlichsten Morgensonnenschein in der fröhlichsten Stimmung zurückgelegt, und nie hatten sich den Augen der doppelt Beglückten die phantastischen Formen der im blendendsten Weiß erglänzenden Kreidefelsen mit ihren weichen Linien und dunklen Steinklüften so malerisch dargestellt, nie hatte das frische Grün der sie krönenden Buchenwälder so fröhlich in ihr Auge gelacht; stumm vor Entzücken schauten alle im Boote Sitzenden nach den vorüberfliegenden Höhen hinauf, im Herzen es dankbar erkennend, daß ihnen der gütige Vater im Himmel ein so schönes Vaterland und einem von ihnen einen so herrlichen Wirkungskreis innerhalb dieser Schönheiten gegeben hatte.

Als sie nun aber Stubbenkammer hinter sich gelassen, die nackten Kreidefelsen mehr und mehr zurücktraten und dafür die dunkelgrünen Wände der hohen Ufer des nördlichen Jasmunds. ihren vollen Sommerschmuck entfalteten, da deutete ihnen Waldemar an, daß man sich jetzt seiner und Hilles künftiger Heimat nähere, und alle schauten schweigend nach der Höhe empor, die sich allmählich nach dem Meere absenkte, aber in malerischen Gestaltungen mit den Abhängen verschmolz, an deren Fuße das felsige Geröll der unnahbaren Küste lagerte. Endlich hatten sie die Grenze von Blankenau erreicht, und Piesing der Ältere, der jetzt wieder das Steuer führte, lenkte das Boot in die sichere Bucht in der Nähe der Steintreppe, die der emsige Verwalter von Blankenau mit so vieler Mühe wie Umsicht zum Gebrauche des künftigen Besitzers aufgebaut hatte.

Alle stiegen jetzt aus und kletterten nun langsam die Höhe hinan, und kein einziger befand sich unter ihnen, der nicht bald von allem, was er auf jedem Schritte vorfand, entzückt gewesen wäre. Die ganze Schöpfung des Grafen Brahe, vom Seestrande bis an die fernsten waldigen Grenzen des großen Gutes, stellte sich als ein Meisterstück ländlichen Kunstfleißes dar. Alles war neu, glänzend, wie im Frühlingsschmuck seines Daseins prangend. Als man sich aber nun dem schönen Wohnhause näherte, die bequemen Räume desselben betrachtete und dann die Stallungen mit den herrlichen Pferden, Kühen und sonstigen lebendigen Wesen in Augenschein nahm, da befiel sie alle eine dankbare Rührung, denn keiner von ihnen hatte sich die Gabe des edlen Grafen so reich und vollständig vorgestellte

»Höre einmal, Junge,« sagte der alte Schwede, Waldemar beiseite ziehend, »du hast wahrhaftig in den Glückstopf gegriffen bis an den Ellbogen, nein, was sage ich, bis an die Schulter. Erst hast du diese Hille gekapert, das schönste und beste Mädchen im ganzen Lande, und nun hast du noch dieses Gut zum Geschenk erhalten, was wahrlich selbst für einen Fürsten nicht zu schlecht wäre. Donnerwetter, ich tausche gleich mit dir und gebe dir meinen ganzen Kram auf Pulitz dafür, samt dem geheimen Entenfang auf All-Rügen, selbst wenn der schöne Wald noch stände, den der schuftige Kerl mit der Burgunder Nase mir abgehauen hat. Aber du wirst dich bedanken, ich merke es schon. Na, ich sehe alles, wie es kommen wird. Bakewitz werdet Ihr bald auf ewige Zeiten verpachten und immer in diesem kleinen Paradiese wohnen. Nicht wahr, mein Junge?«

»Ja, mein alter Freund, wenn Hille will wie ich, wird es wohl so sein – was meinst du, meine Teure?«

Hille war während der Worte des alten Schweden an ihn herangetreten und hatte mit wogender Brust, denn ihre wonnigen Gefühle erdrückten sie beinahe, der Rede des wohlmeinenden Freundes zugehört; als aber Waldemar die Frage an sie richtete, schlang sie ihren Arm um ihn und ihre Freudentränen nicht mehr zurückhaltend, erwiderte sie sanft: »Dein Wunsch wird stets auch mein Wunsch sein, mein Waldemar; es wäre undankbar und unchristlich von mir, wenn ich mir noch etwas anderes auf Erden wünschen sollte, denn Gott hat mir mehr gegeben, als um was ich ihn so oft auf meinen Knien gebeten habe.«

Unterdessen blickten sich die anderen überall wie in einem Feenreiche um, alles kam ihnen so wunderbar und seltsam vor, daß sie ganz verdutzt einander anschauten und kein Wort hervorbringen konnten. Die bisherigen Bewohner von Blankenau aber, als sie das schöne Paar sahen, das von jetzt an ihre Herrschaft sein sollte, was sich bald kund getan, fühlten sich so beglückt und befriedigt, als hätten sie selbst ein großes Geschenk erhalten, und auch hier wie im Kiekhause ward also ein festlicher Tag begangen.

Im Laufe des Morgens nahm Waldemar den Verwalter Hendrichs beiseite, der ihm lächelnd seinen Glückwunsch abgestattet hatte, und fragte ihn nach allen das Gut betreffenden Einrichtungen. Da stellte es sich denn heraus, daß der gute Mann schon seit einigen Wochen gewußt, daß Blankenau einen neuen Herrn erhalten würde, und daß er sogleich in Waldemar Granzow denselben vermutet habe, als dieser in ganz anderer Absicht vor einigen Tagen dasselbe besucht hatte. Daß er aber alles zu seinem Empfange bereit gefunden, verdanke er allein dem Grafen, denn dieser habe dem Verwalter schreiben lassen, alles im ganzen und einzelnen licht und klar zu machen, da der Herr, dem Blankenau von jetzt an gehöre, bald erscheinen werde und nichts unvollendet und schmucklos finden dürfe.

»Ich danke Ihnen aufrichtig für alle Ihre Sorgfalt und Mühe,« erwiderte Waldemar und drückte dem Verwalter herzlich die Hand, »aber haben Sie auch an Ihre eigene Person gedacht, da ich nun selbst mein Gut bewirtschaften werde?«

»Auch dafür hat der gute Herr Graf gesorgt, Herr Strandvogt. Sobald Sie eingezogen sind und von allem Kenntnis genommen haben, begebe ich mich nach Spyker, um die Stelle des alten Kastellans einzunehmen.«

»Ha, was sagen Sie? Und wo bleibt der gute Ahlström?«

»Er bleibt auf den Befehl des Herrn Grafen Zeit Lebens in Spyker wohnen, nur soll er keine Mühwaltung mehr haben, und in Ruhe seine Tage beschließen.«

»So, also das war sein Plan! O, der Plan war gut, und ich freue mich, daß Sie ein so angenehmes Unterkommen gefunden haben. Auch in Spyker werden Sie schaffen und wirken können nach Herzenslust.« Und er lächelte heiter dabei, weil ihm, als er die stattliche Gestalt des neuen Spykerschen Kastellans überflog, ein sehr natürlicher Gedanke einfiel.

»Warum lächeln Sie, Herr?« fragte der ehrliche Mann, der es bemerkt hatte.

»Haben Sie schon eine Braut, Hendrichs?«

Der also Gefragte errötete und verneinte die Frage.

»Nun, so gratuliere ich im voraus. Ahlström hat zwei hübsche Töchter und ein ganz ansehnliches Vermögen. Vielleicht trifft es sich, daß Sie den Alten und Mutter Heylike doppelt glücklich machen, indem Sie sie zur Ruhe setzen und zugleich mit einem Schwiegersöhne beschenken.«

»Dazu kann Rat werden, Herr, die kleine runde Gysela hat sich schon lange meines Beifalls zu erfreuen.«

»Dachte ich mir es doch! Nun dann wollen wir gute Nachbarschaft halten, denn zwei junge Ehemänner und zwei hübsche Frauen vertragen sich in der Regel gut, und keiner braucht auf den andern eifersüchtig zu sein.«

»Ich danke für die mir zugedachte Ehre im voraus und nehme den Glückwunsch herzlich gern an!«


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