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Achtes Kapitel.

Mönchguter Jagd.

Waldemar war, wie gesagt, spät am Abend und wortkarger denn je nach Hause gekommen, diesmal aber nicht so wohl, weil er wieder ohne Unterlaß seinen alten Wünschen nachgehangen, sondern weil er überhaupt einen bewegten Tag verlebt hatte, der ihn zuerst in die Erinnerung seiner glücklichsten Jugendzeit zurückgeführt und dann, wie der Gegensatz bei dergleichen Gedanken nie ausbleibt, die ganze Hoffnungslosigkeit seiner Zukunft hatte überschauen lassen. Schon der Spaziergang am hohen Klippenstrande von Jasmund entlang, von Sassnitz bis über Stubbenkammer hinaus, hatte sein für Naturschönheiten so empfängliches Herz in eine ungewöhnliche Wallung versetzt. Das herrliche Wetter der lieblichsten Jahreszeit, die blühende Natur, der über dem blauen Meere golden blinkende Sonnenschein, der hunderte von Segeln beleuchtete, die seine kleine Heimat umschwärmten und nach Weltgegenden steuerten, hatte eine unglaubliche Sehnsucht nach einem auch innerlich so wohltuenden Zustande in ihm erweckt, denn ein denkender und zugleich gefühlvoller Mensch liebt es nicht allein, sondern hegt auch das Bedürfnis, seine Seele stets in harmonischen Einklang mit den Erscheinungen der Außenwelt zu setzen, und gewöhnlich ruft diese, wenn sie schön ist, das Innere zur Freude wach, nicht selten aber auch erweckt der Gegensatz die traurigste Stimmung, wenn das Herz des Menschen von heißen und schwer erreichbaren Wünschen überfüllt ist, wie es das unseres wackeren Freundes war.

Als er nun aber über Stubbenkammer hinausgekommen war, die düstere Stubnitz hinter sich gelassen und die anmutige nordöstliche Landschaft von Jasmund erreicht hatte, auf deren schönstem Punkte die Meierei Blankenau mit ihren belebten Viehhöfen, ihren in regelmäßigen Linien gepflanzten Waldungen und den schon in goldener Frucht stehenden Ackerfeldern lag, als er alles in blühendster Frische und nirgends mehr eine Spur der auf anderen Stellen der Insel so sichtbaren Verwüstung aus den vergangenen Kriegsjahren fand, da tauchte vor seinem rückwärts schauenden Blicken die liebliche Jugendzeit auf, die mit ihren unbezahlbaren Freuden und unvergänglichen Eindrücken, wenn sie uns in geeigneter Zeit vor die Seele treten, wohl dazu angetan ist, ein sanftes und reizbares Gemüt mit linder Wehmut, aber auch mit lebensvollen Wünschen zu füllen.

Als er nun aber die inneren Räume des behaglichen und stets in Ordnung gehaltenen Wohnhauses betreten und auch hier alles in glänzender Frische gefunden hatte, als wäre es eben erst aus den Händen des Baumeisters hervorgegangen, da war ihm wie nie der ungeheure Unterschied zum Bewußtsein gekommen, der zwischen einem begüterten und einem mittellosen Mann besteht, und der Vorzug, den jener genießt, erschien ihm als ein beneidenswertes Glück, das nur wenigen Menschen auf dieser Erde beschieden ist und von diesen wenigen nicht einmal immer auf die rechte Weise beherzigt und genossen wird.

Er war durch das ganze Gehöft geschritten, ohne den jungen Verwalter anzutreffen, der als eheloser Mann ein bescheidenes, von dem Herrenhause abgesondertes Häuschen bewohnte, und nach ihm fragend, hatte er die Antwort erhalten, er sei nach dem Strande hinabgestiegen, um die Felssteine malerisch zu ordnen, die der Zufall dort aufgehäuft, und die, wild und wüst durcheinander geworfen, dem mit reicher Vegetation bedeckten Uferabhange ein unholdes Ansehen gaben, das mit der übrigen Symmetrie der Musterwirtschaft nicht recht stimmen wollte.

So suchte er den fleißigen Mann denn auch hier auf und fand ihn bei einer Arbeit, der er, mehr zur Befriedigung seines eigenen Schönheitssinnes als um den Anforderungen des Gutsherrn zu genügen, alle Tage einige Stunden widmete. Er war damit beschäftigt, eine bequeme Treppenstiege nach dem Außenstrande anzubringen und so das Gut selbst mit dem Meere in unmittelbare Verbindung zu setzen, an den Seiten dieser Stiege aber in gefälligen Gruppen junge Edeltannen zu pflanzen und dazwischen mit Moos bewachsene Steine aufzustellen, die dem ganzen das Ansehen einer planmäßigen Anlage gaben, ohne ihm die wohltuende Physiognomie einer von selbst entstandenen Naturschöpfung zu nehmen. Waldemar war von diesem Unternehmen wahrhaft entzückt und mit innerer Genugtuung bemühte er sich, auf die Ideen des geschickten Mannes einzugehen und ihn zur Ausführung seiner weiteren Pläne auf jede Weise zu ermuntern. Ach, wenn er in diesem Augenblick seinen lieben Magnus zur Seite gehabt hätte, für den der gütige Vater alle diese Neuerungen ins Leben gerufen, wie glücklich würde er sich dann gefühlt haben und wie würde dann auch der andere Kummer leichter zu ertragen gewesen sein, der außerdem noch auf seinen Schultern lastete!

Mit solchen ihn durch und durch erschütternden Gedanken nahm er am Abend Abschied von dem Verwalter, das Versprechen hinterlassend, in den nächsten Tagen wiederzukehren und auch die Verbesserungen auf den Feldern und in den Wäldern in Augenschein zu nehmen, die er seit der Anwesenheit der Franzosen eingeführt, die zwar auch hier zeitweise ihr Unwesen getrieben, aber infolge einer guten Bewirtung keine übertriebenen Anforderungen geltend gemacht hatten. Auf dein ganzen Heimwege schwebte ihm nun das an diesem Tage Erlebte und Genossene vor und selbst zu Hause noch, als er schon lange wieder unter den Eindrücken des engen Haushalts seiner Eltern sich befand, tauchten wie mit linder Schmeichelei die reizenden Gebilde von Blankenau vor ihm auf. –

Der nächste Tag kam und wieder war es ein klarer windstiller Sommertag, wie sie auf Rügen nur selten in anhaltender Reihe wahrgenommen werden. Am Morgen war Waldemar am Sassnitzer Strande gewesen, um an dem Boote mit arbeiten zu helfen, welches er von einigen Schiffern, die das Handwerk eines Schiffszimmermeisters aus dem Grunde verstanden, für sich selbst herstellen ließ. Nach Tisch war er etwas länger im Hause geblieben und hatte seinen Eltern von der Meierei des Grafen erzählt und ihnen das allgemeine und einzelne mit treuen Zügen vor Augen geführt. So anhaltend wie diesmal hatten ihn die guten Alten lange nicht sprechen gehört, und als er sich endlich zu einem weiteren Ausfluge anschickte und mit herzlichem Gruße das Kiekhaus verließ, sagte Mutter Ilseke zum Strandvogt: »Na, Daniel, er fängt ja an, wieder Anteil an den Sorgen und Freuden der Leute zu nehmen, er ist also auf gutem Wege. Hoffen wir denn auch das beste und reden wir ihm freundlich zu, es wird am Ende noch Alles besser geraten, als wir so oft schon gefürchtet haben.«

»Na, nur nicht zu früh frohlockt!« mahnte der ernstere Strandvogt, »es kann auch eine Laune sein, die ihn einmal zufällig angelächelt hat. Ich weiß nicht, wie es kommt, aber der Spaß den der alte Schwede vorhat und den ich nicht ergründen kann, wie sehr ich mir auch darüber den Kopf zerbreche, hilft am Ende mehr als alles übrige. Gib mir doch meinen Hut dort herunter, Ilske, ich will einmal den Strand beschreiten und nach dem Rechten sehen. Die gute Jahreszeit muß man nutzen, damit die schlechte uns gerüstet findet.«

Mutter Ilske langte den Hut und reichte ihn dem biederen Mann dar, wie sie es seit vielen Jahren zu tun gewohnt war, wenn er einen Ausgang beabsichtigte. Bald darauf hatte er das Kiekhaus verlassen und wanderte am Strande auf und ab, mit diesem und jenem der Bewohner von Sassnitz redend, wie er ihm nun durch Zufall in den Weg geführt ward.

Mutter Ilske aber blieb allein bei ihrer häuslichen Arbeit zurück, die sie auf ihrem gewöhnlichen Platze am Fenster verrichtete und hegte dabei schon wieder neue Hoffnung, wie sie das leicht bewegliche Frauenherz glücklicherweise so oft überströmt. Da ward sie aus ihren Gedanken durch lautes Klopfen an die Haustür gerissen, und als Trude, die im Garten auf der Strandseite arbeitete, nicht gleich herbeieilte, um den Kommenden einzulassen, stand Mutter Ilske selbst von ihrem Stuhle auf, um nachzusehen, wer da sei.

Zu ihrer Verwunderung sah sie den Landpostboten vor sich stehen, der ihr einen ziemlich großen Brief überreichte und dafür die kleine Münze in Empfang nahm, die er zu beanspruchen hatte. Mutter Ilske goß ein Glas Milch ein und gab sie dem Boten zu trinken, denn es war heiß, und der Mann war von dem weiten Gange erhitzt. Als er das Gebotene mit Dank genossen, und wieder fortgegangen war, trat die alte Hausfrau in ihr Zimmer zurück und setzte sich nach alter Gewohnheit auf ihren Stuhl, immer noch den Brief in der Hand haltend, den sie von allen Seiten betrachtete und dessen Aufschrift sie wohl zehnmal las.

»Was mag wohl in diesem Briefe stehen,« sagte sie mit jener verzeihlichen Neugier, die schon Millionen Menschen mit ihr empfunden haben, »er ist an Waldemar Granzow gerichtet und kommt aus Stockholm. Aus Stockholm! Das ist weit her, und er ist gewiß von einem alten Kameraden zur See an meinen Sohn geschrieben. Doch halt – nein, was seh' ich denn da – da hab' ich ja beinahe die Hauptsache außer Acht gelassen –« und sie drehte ihn herum und blickte auf das rote Siegel hin, das mit einem schönen Wappen bedruckt war. »Bei Gott,« fuhr sie erregt fort, »seh' ich recht? Ist das nicht das Brahesche Wappen? Ha, der Brief ist gewiß von dem Grafen selber! Nun, dann bringt er nur etwas Gutes, das kann man sich denken, und Waldemar wird sich unendlich freuen, endlich einmal von dem alten Herrn etwas zu vernehmen, der so lange nichts hat von sich hören lassen. Ha! da fällt mir ein, morgen ist Sonntag, und ich wollte zur Kirche nach Sagard gehen. An einem solchen Tage kann man sich nicht genug freuen, und ich werde den Brief erst morgen früh beim Kaffeetrinken auf Waldemars Platz legen. Da findet er ihn, und wenn was Gutes darin ist, wie ich hoffe, so freut er sich den ganzen Tag. Ja, ja, so soll es sein, und dem Alten sage ich auch nichts davon. Dem Jungen nun schon gar nicht. Denn wenn er wie gewöhnlich spät nach Hause kommt, ist er ermüdet und geht gern gleich auf seine Kammer. Was nun auch darin enthalten ist, Gutes oder Schlimmes, er könnte nicht davor schlafen, und junge Leute bedürfen ebenso gut der Nachtruhe, wie wir Alten. Ja! So ist es abgemacht – weg damit in die Kommode – nun liegt er darin, und keiner soll mir erraten, was für eine Überraschung ich auf morgen habe.«

Wie sie sagte, so tat sie es, und bald war der Brief in der Kommode unter Hauben und Kragen versteckt, und sie saß wieder am Fenster, diesmal ein Geheimnis mehr auf ihrer Seele als früher, und hoffentlich ein recht angenehmes, wie sie sich immer mehr einredete.

 

Waldemar kam diesen Abend noch später als gewöhnlich nach Hause und erzählte den Eltern, die schon lange ihr Abendbrot verzehrt, daß er auf der Försterei Werder in der Stubnitz gewesen sei und der Ausgrabung eines Hünengrabes beigewohnt habe, was man schon lange beabsichtigt, aber wegen der Anwesenheit der räuberischen Franzosen immer hinausgeschoben hatte. Man war diesmal sehr glücklich gewesen und hatte eine Menge wohlerhaltener Waffen gefunden, die man der Sammlung des Grafen Brahe einverleiben wollte, da sie auf seinem Grund und Boden ausgescharrt worden waren. Der Strandvogt, der ebensowenig wie sein Sohn dergleichen Umwühlungen des vaterländischen Bodens liebte, brummte etwas Unverständliches vor sich hin und gab seinen Wunsch zu erkennen, zur Ruhe zu gehen, da er den Tag über viel in der freien Luft gewesen war und sich ermüdet fühlte. Mutter Ilske stimmte ihm bei, und so zog sich das alte Paar in sein Schlafgemach zurück, das von Waldemars Wohnung ziemlich entfernt und auf der entgegengesetzten Seite des Hauses lag. Auch dieser verließ bald darauf das Wohnzimmer und bestieg sein Giebelstübchen, fühlte aber durchaus noch keine Neigung zum Schlafen und legte sich daher in sein kleines Fenster, um den Lauf der Gestirne zu beobachten, die an diesem windstillen Abend wunderbar klar am Himmel glänzten und mit lieblichem Wiederschein sich in der ruhig wallenden See spiegelten.

Je mehr Waldemar sich in den Anblick dieses herrlichen Nachtbildes vertiefte und mit stillem Behagen dem rauschenden Pulsschlage der Brandung lauschte, um so sanfter ward seine Stimmung und um so empfänglicher sein Sinn für die unnennbar süße Melodie, die das kosende Wellenspiel in so friedlicher Nacht hören läßt, und jedes Menschen Herz mit linder Wehmut und schwellender Sehnsucht füllt. Ach, und sein Herz war in dieser Zeit für dergleichen Empfindungen nur zu weit geöffnet, es war leicht zugänglich für alle menschlichen Gefühle und nahm mit ganzer Hingabe alle von außen andringenden Regungen auf.

Was er in diesem Augenblick fühlte und dachte, wir brauchen es nicht mehr zu erörtern, denn wir kennen seine Wünsche und Hoffnungen! – wie es aber kam, daß er sich jetzt weniger unglücklich als an den Abenden zuvor fühlte, das wissen wir ebensowenig, wie er selbst es wußte, denn wer begreift, wer errät, wer entziffert die Ursache des Ebbens und Flutens der menschlichen Seele, die heute wie ein ruhiger Bach sanft dahinfließt und morgen wie ein jähzorniger Strom voll heftiger Leidenschaft über alle Schranken und Hindernisse fortstürzt?

Es mochte etwa elf Uhr sein, und die alten Leute waren schon lange in den festesten Schlaf gesunken, als Waldemar endlich das Fenster verließ, um sein Lager aufzusuchen. Eben hatte er jenes geschlossen und dies geöffnet, als er zu hören glaubte, daß jemand das Gattertor des Gärtchens in Bewegung setze und in den grünen Raum eintrete, der rings das Kiekhaus umgab.

Im Begriff, sich zu entkleiden, hielt er inne und neigte sein Ohr dem Fenster zu. Da erschrak er, denn ein hoch erhobener Stab pochte leise an dieses Fenster, als wolle man ihn dadurch bewegen, dasselbe zu öffnen. Waldemar zog den Rock wieder an, den er schon abgeworfen hatte, und trat an das Fenster, um in den Garten hinunter zu blicken, allein im ersten Augenblick sah er niemanden. Als er es jedoch geöffnet hatte und sich hinausbeugte, nahm er in der sternenklaren Nacht die Gestalt eines großen Mannes wahr, der dicht unter dem Fenster stand und infolge seiner Länge und mit Hilfe seines Stockes bis zu ihm empor hatte reichen können.

Waldemar war über diesen seltsamen Besuch nicht wenig verwundert und, um alles Geräusch zu vermeiden, fragte er mit leiser Stimme hinunter: »Wer ist da, und was wollt Ihr?«

Da antwortete eine tiefe und nur mit Mühe ihre natürliche Kraft dämpfende Stimme von unten her: »Ich bin es, Waldemar Granzow, kennst du mich nicht?«

»Wie!« rief der Angeredete, in der Tat erschrocken, denn die Stimme kam ihm bekannt vor und weckte ein lange nicht vernommenes Echo in seiner Brust. »Wer seid Ihr, ich sehe es nicht genau und kenne Euch nicht recht.«

»So will ich es denn sagen, wer ich bin, wenn du mich nicht kennst. Ich bin deines Vaters und deiner Mutter Vetter, Adam Sturleson mit Namen, und wohne auf Pulitz; im gewöhnlichen Leben aber nennt man mich den alten Schweden, was mich nicht im geringsten verdrießt, denn alt bin ich fürwahr und ein ehrlicher Schwede auch!«

Waldemar zitterte vor Freude, und kaum hatte er so viel Geduld, den alten Freund aussprechen zu lassen, der seltsamerweise heute in einem wunderbar gemessenen und förmlichen Pathos sprach. »Sturleson!« rief er etwas lauter als zuvor, »teurer Ohm, wie, du bist es? O, wie freue ich mich, dich hier zu sehen. Aber warum kommst du so spät? Warte einen Augenblicks ich will dir sogleich das Haus öffnen, damit du eintreten kannst.«

»Halt, junger Mann, es ist meine Absicht nicht, so spät in deines Vaters Haus zu treten, denn ich will niemanden stören und nur dich allein sprechen, da ich einen Gruß und eine Bestellung an dich auszurichten habe.«

»Mich allein willst du sprechen? Und einen Gruß und eine Bestellung hast du an mich? Wie soll ich das verstehen?« rief Waldemar hinab, und seine Stimme zitterte unwillkürlich, als er dies sagte.

»Ja,« erwiderte der alte Schwede im tiefsten Baß und nickte sichtbar mit seinem weißen Kopfe.

»So sprich, was führt dich hierher, alter und teurer Freund?«

»Ich komme aus Mönchgut, von Bakewitz her, und Hille Vangerow ist es, die mich schickt, denn sie ist meiner Frau Talke Nichte, und ich bin also auch ihr Ohm, wie ich der deinige bin.«

Waldemar glaubte seine Sinne schwinden zu fühlen, als er dies hörte. Das Firmament mit allen Sternen tanzte wie im Wirbelgewoge vor ihm hin und her, und es dauerte eine geraume Zeit, ehe er sich so weit fassen konnte, daß er weiter zu reden vermochte.

»Von Hille Vangerow kommst du? Es ist wohl nicht möglich! Aber was bringst du zu so ungewöhnlicher Zeit, und was will sie von mir?«

»Die Zeit, in der ich komme, ist die rechte, und was ich bringe, sollst du sogleich hören. Hille ist ein echtes Mönchguter Kind und achtet die Rechte und Sitten, die ihre Väter seit undenklichen Zeiten ihr überliefert haben. So macht sie denn Gebrauch von dem, was ihr zusteht, und sie hat mich zu ihrem vertrauten Sendboten erwählt, den sie an dich, ihren Liebling, schickt.«

»Gott im Himmel, Sturleson!« brachte Waldemar stammelnd hervor – »was will sie von mir?«

»Sie begehrt dich zum Manne, Waldemar Granzow, und trägt dir Herz und Hand, Haus und Hof zum Besitz Zeit Lebens an. Du allein sollst ihr Herr, und sie will dein treues Eheweib sein, wie es Gott angenehm und den Menschen eine Notwendigkeit ist, und keiner soll zwischen Euch treten, wenn Ihr beide einig seid, und sie will glücklich mit dir leben und dich auch glücklich mit ihrer Person machen, wenn du ihren Antrag annimmst.«

Waldemar hatte keine Worte mehr. Er rang die Hände wie in Verzweiflung, und doch war er nie glücklicher gewesen als in diesem Augenblick.

»Sturleson, Ohm,« rief er endlich hinab – »sprichst du wahr? Täuschest du mich nicht?«

Der alte Schwede würgte einen unverständlichen Fluch hinab, schüttelte den Kopf und legte die rechte Hand auf sein Herz. »Wenn ich es dir sage, Junge,« sagte er mit natürlicher Stimme, »so kannst du es schon glauben. Hast du mich je eine verdammte Lüge sprechen hören?«

Waldemar war überzeugt; o, wer wäre es nicht an seiner Stelle gewesen, da ihm hier nur aus freien Stücken angeboten wurde, was er schon seit langer Zeit mit allen Wünschen seiner Seele erstrebt und doch nie zu fordern gewagt hatte.

»Komm herein, Ohm, ich bitte dich darum,« bat er mit weicher Stimme. »O, ich habe so viel mit dir zu reden und nach hundert verschiedenen Dingen zu fragen.«

»Das glaube ich wohl, aber ich will verdammt sein, wenn ich heute einen Fuß in deines Vaters Haus setze, denn das ist nicht Brauch bei der Freiwerbung der Mönchguter Mädchen, und sobald ich meine Pflicht erfüllt habe und du mir deine Zustimmung gegeben, so kehre ich noch in dieser Nacht nach Pulitz zurück, und da kannst du mich nach den hundert verschiedenen Dingen an einem anderen Tage fragen, wenn es dir vielleicht später noch belieben sollte. Nun habe ich aber lange genug hier unter der Traufe deiner gottseligen Augen gestanden – gib Antwort – nimmst du den Antrag der Hille Vangerow an?«

»Gott im Himmel, ja! – nicht einmal, zweimal, zehnmal, – ja zehntausendmal!«

»Das tut mir leid, zehntausendmal kannst du sie nicht freien, nur einmal, so viel ich weiß. Sprich also deutlich und dann leg' dich in deine Koje und träume von den Sternen am Himmel oder – von was du sonst willst, mir ist es einerlei.«

»So will ich sie nur einmal nehmen, wenn du es nicht anders willst, ja, ja, ja und im Namen des allmächtigen Gottes will ich ihr sein, was du deiner guten Talke bist, ein ehrlicher, rechtschaffener Mann und eine Hilfe in aller Not.

»So bin ich zufrieden!« sagte der alte Schwede, und wenn Waldemar Ohren dafür gehabt, hätte er hören können, wie er aus tiefer Brust laut aufseufzte und damit ein eigentümliches Gurgeln verband, als bemühe er sich, die Freudigkeit seines Herzens damit zu ersticken. »Aber du mußt dann morgen spätestens elf Uhr in Bakewitz sein und ihr selbst dein Jawort überbringen, sie wartet auf dich, und wenn du nicht zu der bestimmten Zeit bei ihr bist, so nimmt sie es für eine abschlägige Antwort und sagt ihre kleine Hand und ihren großen Besitz einem andern Mann zu, der sie schon lange begehrt hat.«

»Gott verhüte es, Sturleson – teurer Ohm, wollt' ich sagen. Aber verzeih', ich weiß nicht recht, was ich spreche, denn die Freude erstickt meine Gedanken, und meine Zunge sprudelt wie eine Sturzsee alle Wellen auf einmal heraus. Gewiß werde ich zur rechten Zeit da sein – also um elf Uhr hast du gesagt?«

»Ja, um elf und das vergiß nicht.«

»Ei, wie werde ich! Willst du wirklich gehen?«

»Auf der Stelle. Nun gute Nacht, mein Junge. Da, ich kann dir die Hand nicht reichen, aber fasse den Stock hier an, den ich halte, und schüttele ihn, und wenn ich es fühle, so werde ich denken, du bist es selber, – he – willst du nicht?«

Waldemar hatte schon das Ende des hinaufgereichten Stockes erfaßt und bewegte ihn heftig hin und her.

»Na, laß es gut sein, Knabe, reiße ihn mir nicht aus der Hand – ich verstehe dich – gute Nacht! Aber eins noch – sage nicht den Alten, was zwischen uns vorgefallen ist, sondern überrasche sie lieber damit, wenn du aus Bakewitz zurückkommst, sie werden sich dann um so mehr freuen.«

»Das will ich, bei, Gott, und nun lebe wohl – habe tausend Dank für deine Mühe und Güte.«

»Stille, mein Herz, mit einem bin ich auch zufrieden, und was die Mühe anbelangt, so haben bloß meine Beine sie gehabt mein Herz aber hat um so mehr Freude dabei empfunden.«

Mit diesen Worten trat er vom Hause fort, und bald war er in den Schatten der Nacht verschwunden. Waldemar aber taumelte vom Fenster in das Zimmer zurück wie ein Betrunkener, er faßte sich mit beiden Händen nach der Stirn, fühlte den warmen Schweiß darauf, der aus allen Poren drang, und dann fiel er auf die Kniee und dankte Gott aus vollem Herzen für die Gnade, die er ihm in dieser Stunde gegen alle Erwartung hatte widerfahren lassen.

 

Um dem Leser, der mit den Sitten der Mönchguter nicht vertraut ist, eine Erklärung der eben geschilderten Szene zu geben, die er vielleicht nicht für natur- und wahrheitsgemäß halten möchte, so wollen wir ihm in kurzen Worten mitteilen, daß die Mönchguter Frauen nach der Landessitte das Recht haben, den Mann anzusprechen, das heißt zu wählen, der ihnen am besten gefällt. Die Anwerbung geschieht durch einen sogenannten Freiwerber, der in der Regel ein Pate oder ein Verwandter ist, aber gewöhnlich ist eine solche Anwerbung nur eine Förmlichkeit, von der man sich nicht gern lossagt, da die beiden Personen oft schon vorher wissen, wie nahe sie sich in Neigung stehen, und was also das Resultat dieser Werbung sein wird. Diese Sitte hat ihren Grund Grümbke. in Lokal- und Personalverhältnissen, indem teils Witwen und Mädchen nach dem Tode ihrer Ehemänner und Eltern die Wirtschaft als Erbinnen fortsetzen müssen, teils auch der Herrschaft die Erhaltung der bestimmten Anzahl von Wirtschaften, besonders der Bauerngehöfte, obliegt. Die Herrschaft sorgt daher mit der Mönchguterin, die sich zum Heiraten bei ihr meldet, daß ein guter Wirt und Hausvater in die erledigte oder ledige Stelle eintrete und baldigst einziehe, damit das Hauswesen nicht darunter leide. Aber weiter untersucht sie nicht, ob der Begehrte den Antrag annehmen werde oder nicht, nimmt überhaupt auch keinen unmittelbaren Anteil an der Heiratsunterhandlung und erfährt daher, weil solche oft insgeheim betrieben wird, gewöhnlich erst nach glücklicher Beendigung derselben, wer der Erkorene ist, der dann in dem Bauernwesen bestätigt wird.

Wird die gedachte Ansprache für ein Frauenzimmer durch einen Freiwerber gemacht, so ist der eigentlich übliche und gewöhnliche Ausdruck dieser: se stellt na N. N. ut (sie stellt nach N. N. aus). Ein Abschlag ist indessen keineswegs beleidigend und entehrend, oder von anderer nachteiliger Wirkung, nur pflegt man, wenn der Heiratsantrag von mehreren Männern zurückgewiesen, wohl spottweise zu sagen: die macht auch lange Jagd, oder sie jagt das ganze Land durch, und hieraus ist das Freiwerben der Weiber auf Mönchgut von Fremden mit dem Worte Jagd überhaupt bezeichnet worden. Übrigens ist noch zu bemerken, daß junge Erbinnen eines Bauerngehöfts oder eines Fischerkathens seltener Körbe davontragen, als Witwen, zumal wenn sie Kinder haben. Die heiratslustigen Mädchen wählen auch meistenteils nur solche junge Burschen, die ihnen schon längst gefielen oder ihnen Beweise der Zuneigung haben. Man hat aber auch Beispiele, daß selbst nach zwei- oder dreimaliger Erteilung eines Korbes entschlossene und beredte Freiwerber dennoch den spröden Mönchguter durch neue Angriffe, in Verbindung mit Bestürmungen der nächsten Verwandten, erobert haben. Wankelmut der Verlobten ist zwar zuweilen die Folge solcher Überredungen und einseitigen Eheversprechen, ist aber die Ehe förmlich geschlossen und vollzogen, so bleibt sie unauflöslich bis zum Tode und wird oft mit musterhafter Treue und Einigkeit, selbst unter Ehepaaren von ungleichem Alter, geführt. –

Waldemar waren die Sitten der Mönchguterinnen, zumal seine eigene Mutter eine solche war, so gut wie jedem aus Rügen geborenen Manne bekannt, daß aber Hille, deren Stand und Bildung die gewöhnlichen Verhältnisse ihrer Landsmänninnen so weit überwogen, von dieser Sitte Gebrauch machen werde und könne, hatte er zu allen Zeiten für unmöglich gehalten. Daher war er über die Maßen erstaunt, ja beinahe bestürzt, als er ihre Anwerbung empfing, und es verging eine lange Zeit, ehe er sich von dieser Bestürzung erholen und in das ruhige Geleise besonnener Überlegung zurückfinden konnte.

Endlich aber, jedoch erst lange nach Mitternacht, hatte er sich gefaßt, und nun erst war er in der Stimmung, über seine sonderbare Lage, sein unverhofftes Glück und die endliche Erfüllung seiner heißesten Wünsche nachdenken zu können.

»Gott im Himmel,« sagte er immer wieder, »wer hätte das gedacht, gehofft, wie ist es überhaupt nur möglich gewesen? Wie hat sich Hille zu dieser Werbung entschließen können? O, sie muß gewußt haben, wie teuer sie mir ist, und die Gründe gekannt haben, die mich allein davon abhielten, ihr meine Liebe zu bekennen, sonst würde sie nicht einen Schritt gewagt haben, der weit unter ihren Verhältnissen, ihrem Stande und ihrer Erziehung ist. Ha! Ob etwa der alte Schwede seine Hand dabei im Spiele gehabt hat? Gewiß, denn ihm kann man schon dergleichen zutrauen. Oder vielleicht hat auch meine Mutter ein Wort fallen lassen, und da ich immer schwieg, mich wie ein Träumender geberdete, so hat Hille mir auch diesmal geholfen, mich in bezug auf sie selber glücklich zu machen, wie sie mir schon so oft in anderen Dingen geholfen hat. O, welches Weib, welches Mädchen! Ja, jetzt erkenne ich erst, was sie mir immer war, jetzt ist und ewig sein muß! Ohne sie hätte ich nie glücklich sein können, und mit ihr erst ist mein ganzes Leben umgewandelt worden, ich werde so glücklich sein, wie es mein guter Magnus auch mit Gylfe hätte werden können – doch nein, mit Gylfe nicht, denn Gylfe und Hille lassen sich auf keine Weise miteinander vergleichen.

Aber was werde ich ihr nur sagen, mit welchem Gesichte zu ihr treten, wenn ich sie nun vor mir sehe? O, ich werde ihr sagen, wie es mir jahrelang ums Herz gewesen ist, seitdem ich sie in Bakewitz, auf dem Quoltitzer Totenfelde, in jener Nacht auf dem Boote im Jasmunder Bodden und in Bergen bei meiner Flucht gesehen habe, ich werde ihr sagen, wie ich ihrer schon liebevoll auf dem Rugard gedacht, in jener unheilvollen Nacht, als ich Magnus daselbst erwartete, und er verwundet in Stralsund lag. Ja, das will ich ihr sagen, und sie wird wissen, ob es Liebe oder etwas anderes war, was mich von ihr ferngehalten, und daß nur die Scheu, aus Eigennutz ihr Werber zu erscheinen, mich von dem bedeutungsvollen Schritte abgemahnt hat, den sie nun selbst getan. O, o, bräche doch erst der neue Morgen an – es ist jetzt erst ein Uhr, und ich habe noch drei bis vier lange Stunden vor mir, bevor ich die Sonne wiedersehe und das Meer wieder rauschen höre, das mich mit den Flügeln des Windes zu ihr tragen soll.«

So plauderte Waldemar noch lange vor sich hin, als er schon im Bette, lag, bis ihn endlich ein süßer Schlummer umfing und zu dem Unternehmen stärkte, welches er vor sich hatte. Endlich aber brach dieser Morgen an, die neue Sonne stieg strahlend über dem Meeresrande auf und goß ihren Lichtglanz auch in sein kleines Stübchen aus. Waldemar fuhr empor aus wonnigen Träumen, und als er die rosigen Wölkchen über dem Wasser heraufziehen sah, die ihm den ersehnten Tag verkündeten, da sprang er mit Entzücken vom Lager, kleidete sich mit Sorgfalt an und stieg rasch in das Unterhaus hinab, zu einer Zeit, wo ihn die früh tätige Mutter noch nicht in ihrer Stube zu sehen gewohnt war.

Sie hatte eben ihre Morgentoilette beendet und dem Strandvogt, der auch schon auf den Beinen war, ihren Morgengruß geboten, als Waldemar in Feierkleidung mit strahlendem Gesicht und leuchtenden Augen bei ihr eintrat und beide Eltern mit warmer Herzlichkeit und fast überfließenden Worten begrüßte. Beide erhoben erstaunt ihre Augen und schauten erst ihn und dann sich höchst verwundert an. Denn so, in dieser Stimmung, mit diesem glücklichen Gesichte hatten sie ihren Sohn lange nicht gesehen, und sie konnten natürlich nicht begreifen, welches Ereignis sein ganzes Wesen so plötzlich umgewandelt hatte. Fast glaubten sie, die früheren Jahre der glücklichsten Jugendzeit seien durch ein Wunder zurückgekehrt, und Waldemar habe alles Trübselige vergessen, was ihm in den letzten Zeiten begegnet war. So lautete denn auch die Anrede, die Mutter Ilske an ihn richtete, ihrer Verwunderung entsprechend, während der Strandvogt mäuschenstill daneben stand und vor Erstaunen kein Wort hervorbringen konnte.

»Aber mein Gott, Waldemar, was ist dir denn begegnet?« fragte die Mutter, als der Sohn sie stürmisch in die Arme schloß und dann dem Vater mit an Heftigkeit grenzender Wärme beide Hände schüttelte. »Und du bist schon in deinen besten Kleidern? Was soll denn das bedeuten, und was beabsichtigst du, daß du zwei Stunden früher als gewöhnlich in unsre Mitte trittst?«

»Mutter, Mutter,« rief der beglückte Sohn, »frage mich nicht, denn ich kann es Euch doch nicht sagen. Es hat sich allerdings etwas begeben, was mich außerordentlich glücklich stimmt. Und was ich zu tun beabsichtige? O, ich will eine kleine Reise unternehmen und bitte Euch, nicht in Sorge zu geraten, wenn ich einen oder ein paar Tage ausbleibe, denn so lange halten mich meine Geschäfte vielleicht vom Hause fern.«

Da blitzte in dem alten Strandvogt ein Gedanke auf, der der Wahrheit sehr nahe kam, aber sie dennoch nicht vollständig erreichte, denn er glaubte, der Sohn habe sich besonnen und endlich den Entschluß gefaßt, sein Herz der Geliebten zu offenbaren und ihr seine Hand anzutragen. Als er dies im Fluge bedacht, gab er Mutter Ilske einen verständlichen Wink, nicht weiter in den Glücklichen zu dringen, und bat dann, schnell das Frühstück zu besorgen, damit Waldemar bald auf den Weg und zu seinen Geschäften käme.

Mutter Ilske beeilte sich natürlich aus vollen Kräften und vergaß darüber den Brief aus Schweden, den sie dem Sohne am Kaffeetisch hatte überreichen wollen.

Endlich um sechs Uhr morgens war das Frühstück bereit und wurde dampfend von der alten Trude in die Stube gebracht. Waldemar aß und trank wie ein Mensch, der mit seinen Gedanken nicht bei der Speise ist, und war daher viel schneller fertig, als die bedächtiger genießenden Eltern. Als er diesen aber dann Lebewohl gesagt, nahm er seinen Hut und verließ das Kiekhaus, mit einer Eile, als brenne der Boden unter seinen Füßen, und mit flüchtigem Schritte stieg er die Schlucht des Steinbachs hinab, um so rasch wie möglich an den Strand zu gelangen.

Als er die Stube verlassen, blickte der Alte ihm mit offenem Munde nach und richtete dann die verwunderten Augen auf seine Frau, die der unerwartete Vorgang in eine heftige Gemütsbewegung versetzt hatte. »Na, Ilske,« sagte er, »was ist denn nun mit einem Male los, wirst du etwa klüger daraus als ich?«

»Weiß es Gott, ich nicht, Alter! Aber wenn dem in dieser Nacht kein guter Geist erschienen ist, so soll mich jedermann für dumm schelten.«

»Donner und Wetter, Ilske, ich glaube, ich kenne den guten Geist, der ihm die Leviten gelesen. Ich wette darauf, er segelt nach Mönchgut und trägt seine hübsche Person einer noch hübscheren zur Sonntagsmorgengabe an.«

»Alter, du kannst diesmal wohl recht haben, das glaube auch ich. Nun, dann seien alle guten Geister gesegnet, denn, ein besserer konnte ihm so leicht Wohl nicht begegnen. Nach Mönchgut! Zu Hille Vangerow, unserm Liebling! Na, da werden wir bald etwas. Herrliches erleben und nun wird es im Kickhause nicht mehr so trübe sein, wie es die langen Jahre her gewesen ist.«

»Es war auch Zeit dazu, Mutter. Bis jetzt habe ich darüber geschwiegen, aber nun ist meine Geduld zu Ende und ich hätte es nicht lange mehr so ausgehalten.«

»Das ist setzt bald gesagt, Vater, du hättest nur früher, sprechen sollen – ah! aber der Brief!« Und plötzlich fiel ihr derselbe ein und sie trippelte an ihre Kommode und holte ihn hervor. »Ich habe ihn ganz und gar über die Freude vergessen und nun ist ihm doch nicht der Kaffee damit versüßt.«

Der Strandvogt nahm den Brief in die Hand und betrachtete ihn mit großer Aufmerksamkeit. Plötzlich wurde ihm der Atem etwas kurz. »Ilske,« sagte er vorwurfsvoll, »ich glaube, deine Vergeßlichkeit hat dem Jungen einen argen Streich gespielt, denn in diesem Briefe kann leicht etwas enthalten sein, was unserm Sohne seinen heutigen Weg um ein Bedeutendes erleichtert hätte.«

»Wer weiß es, Alter! Nur heute nicht gebrummt! Es kann auch Unangenehmes darin stehen, und wir hätten ihm dann nur seine Reise verbittert.«

»Das ist freilich auch möglich. Nun, vielleicht war es Gottes Wille so, und jedenfalls erhält er ihn noch zeitig genug, wenn er morgen oder übermorgen zurückkehrt. Ist er soviele Jahre ausgeblieben, so wird es auch nichts schaden, wenn er noch zwei Tage länger im Kasten liegt.«

»So denke ich auch und Gott lenke alles zum Guten!«

 

Es war gegen sieben Uhr morgens, als Waldemar Granzow aus der Lithe des Steinbachs hervortrat und den Strand von Sassnitz erreichte. Ein lieblicher frischwarmer Morgen lag auf Land und Meer und eine sanfte Ostbrise kräuselte die Oberfläche des letzteren und versetzte sie in jene sichtbare, doch gemäßigte Bewegung, die ein Ostseeschiffer so gern sieht, wenn er eine anmutige Spazierfahrt vor Augen hat und die Wichtigkeit seines Geschäfts keinen stärkeren Luftstrom verlangt. Waldemar wußte sehr wohl, daß er sich nicht zu übereilen brauchte, denn von sieben bis elf Uhr – der ihm bezeichneten Stunde – hatte er Zeit genug, von Sassnitz bis Bakewitz zu gelangen, selbst wenn die Brise noch etwas schwächer werden sollte.

Als er den Strand erreicht und sich nach der Stelle gewandt hatte, wo damals die Boote der Lotsen und Fischer lagen, stand er still und ließ sein Auge über den glänzenden blauen Himmel und das im Sonnenschein blitzende Meer schweifen, als begrüße er beides mit echtem Seemannsauge, wie er es in seiner geistigen Versunkenheit lange nicht getan hatte. Lächelnd betrachtete er dann den Strand, sah mit Vergnügen die Möwen hin und her fliegen und die Schwalben mit pfeilschnellem Fluge dazwischen hindurchschießen, und begann nun unter den Booten eins zu wählen, wie es ihm für seine heutige Fahrt am angemessensten erschien.

In diesem Augenblick nahte dem Strande von der Südseite her die riesige Gestalt des älteren Piesing, der an diesem Tage den Lotsendienst hatte und immer bereit sein mußte, in See zu stechen, sobald von irgend einem Schiffe seine Hilfe verlangt werden sollte. Waldemar hatte sich gerade dieses ihm befreundeten Mannes Privatboot auserlesen, da es nicht zu groß, schlank und doch fest gebaut und dabei ganz neu getakelt und mit, schneeweißen Segeln versehen war, was auf Rügen zu damaliger Zeit nur selten gefunden wurde, da man sich meistens der dunkel geteerten Leinwand zu Segeln bediente.

»Hallo!« rief der gute Lotse schon von weitem Waldemar an, »ich grüße Euch, Herr Granzow. Ha! Ihr seid ja ganz neu getakelt, als wolltet Ihr dem Quarterdeck eines Admirals Eure Aufwartung machen. Wollt Ihr wieder nach Schweden, wie damals, o – Ihr wißt doch, als Ihr in die Patsche auf Bakewitz gerietet?«

»Gewiß weiß ich das, mein lieber Piesing,« erwiderte Waldemar leicht errötend, als er den oben genannten Namen aussprechen hörte, »und ich biete Euch einen herzlichen guten Morgen. Ich will aber heute nach Süden segeln und bei dem leichten Winde möchte ich auch ein leichtes Boot haben, da die meines Vaters mir zu schwer sind und einem Menschen zu viel Arbeit machen, wenn er es nicht gerade nötig hat. Und da dachte ich, Ihr würdet mir Euern neuen Pelikan hier leihen, der so schmuck aussieht, als wäre er zu einer Brautfahrt gerüstet.«

»Wer weiß, wozu er heute dienen soll!« dachte der alte schlaue Lotse, aber er ließ nichts darüber laut werden, denn er nahm sich nie heraus, mit dem gewöhnlich so ernsten Sohne seines Vorgesetzten zu scherzen. »Gern,« sagte er gleich darauf, nehmt es und fahrt damit wohin Ihr wollt; aber Ihr werdet doch einen Mann mitnehmen wollen, der Euch die Segel stellt, wenn Ihr am Steuer sitzet? Ihr seid ja heute nicht auf der Flucht wie damals, wo der verwetterte Däne von der Oie her hinter Euch her war – Ihr wißt es doch noch?«

»Ich weiß alles, Piesing; ach ja, das waren trübe Zeiten. Aber heute ist es anders, Freund, und Ihr möchtet recht haben mit dem Vormann, wenn ich nicht gerade Lust hätte, allein zu segeln, da ich nicht viel reden und lieber meinen Gedanken nachhängen mag.«

»Oho, wenn es weiter nichts ist, da kann ich schon helfen. Ich will Euch meinen schweigsamen Bruder mitgeben, der jetzt bei mir wohnt, der hat bloß Augen und Ohren vom lieben Gott empfangen, aber die Zunge ist ihm angenagelt, wie der Wimpel am, Notmast. Ihr wißt ja, daß er sich zehnmal besinnt, ehe er einmal spricht, der wird Euch also in Evern Gedanken nicht stören und Ihr habt doch jemanden, der Euch die grobe Arbeit aus der Hand nimmt.«

»Wenn das ist, so mag er mich begleiten und Ihr tut mir obendrein einen Gefallen damit, wenn Ihr es erlaubt.«

Der Lotse nickte beifällig, drehte sich nach dem Lande um, steckte zwei Finger in seinen walfischartigen Mund und ließ einen schrillen Pfiff hören, der mit dreifachem Echo an den vorspringenden Wänden des Hochstrandes entlang fuhr und alsbald einen Mann aus einem der Häuser rief, der ein solches Zeichen und seine Bedeutung ohne Zweifel kannte.

»Da kommt er schon,« sagte Piesing! »seht Ihr, Ohren hat er und auf seine Augen und Hände könnt Ihr Euch auch verlassen.«

In wenigen Minuten war der jüngere Piesing, derselbe, der jene verunglückte Reise nach Schweden mitgemacht und mit Magnus und Waldemar auf Bakewitz von den Franzosen gefangen worden war, von dem Wunsche des jungen Granzow unterrichtet, und wie zu erwarten stand, stimmte er sogleich ein und machte das Boot zurecht, das ihn wider Vermuten noch einmal nach Bakewitz tragen sollte. So konnte Waldemar denn bald seinen gewöhnlichen Platz an der Pinne einnehmen, und er tat es mit einem Freudengefühl, das wie ein wetterleuchtender Strahl sein ganzes Gesicht erhellte, was dem älteren Piesing nicht entging.

»Geht mit Gott,« rief er dem Sohne des Strandvogts zu, »ich sehe, Ihr habt etwas Angenehmes vor und der Tag ist wie geschaffen dazu; die Brise wird anhalten, so sicher wie die Sonne bis zum Abend am Himmel bleibt.«

»Ich danke Euch, Piesing, lebt Wohl! heute abend habt Ihr Euer Boot wieder.«

»'S hat keine Eile damit!« rief der Lotse ihm nach, in dem er mit seinen gewaltigen Armen dem Boote einen Stoß gab, der es zehn Ellen weit vom Strande brachte, wo der Wind das leichte Segel faßte und es nun auf seinen Fittigen dahin schweben ließ.

Waldemar hatte kein Auge mehr für das rückwärts Liegende, nur auf das Vorwärts war es gerichtet. Nie in seinem Leben, so weit seine Erinnerung reichte, hatte er eine anmutigere Fahrt vor sich gehabt, nie aber auch hatte die Außenwelt so harmonisch mit den Gefühlen seines Innern überein? gestimmt, denn Sonnenschein war außer ihm und in ihm und ein gleich glücklicher Wind blies sein Segel wie seine Hoffnung auf, so daß er voller Frohlocken war und kaum seine Freude in der übervollen Brust verschließen konnte, wovon jedoch der schweigsame Mann im Buge keine Ahnung hatte, da ihm, das tiefstehende Ewersegel den Anblick des Steuernden entzog.

Nie war ihm seine nordische Heimat so schön vorgekommen wie an diesem Tage, als er, in Sehweite der ihm zur Rechten liegenden grünen Küste Rügens unter leichtem Ostwinde langsam seine Fahrt nach dem Süden der Insel fortsetzte, und schön war der Anblick in der Tat, der sich ihm unter dem goldstrahlenden Himmel, auf der blau schimmernden gekräuselten Flut darbot, wenn er das Auge nach dem Lande wandte und den stolzen Rücken des hügelreichen Jasmunds allmählich in das Meer abfallen und in den schmalen graugelben Sandstreifen der schmalen Heide übergehen sah, die nur an wenigen Orten mit dem Boote zugänglich ist, da die einförmigen, höchstens mit kargem Rietgras bedeckten Dünen, oder schwere ins Meer gewälzte Steine dem Kiele keinen Zufluchtsort darbieten. Aber auch seewärts lächelte ihn heute die Ferne an, denn niemals, selbst in früheren ruhigeren Jahren nicht, hatte er das Meer so belebt von Schiffen aller Nationen gesehen. Unter ihren schneeigen Schönfahrsegeln, friedlich daher schwimmend, tauchten stolz die dunkeln Rumpfe auf, beladen mit allerlei Gut, das jetzt von nah und fern nach, Deutschland und Rußland strömte, und wenn schon das Auge des Laien an solchem Schauspiel den vollsten Anteil nimmt, wie muß erst das weiter dringende Auge des Seemanns sich daran werden, der jedes Schiffes Bau von weitem erkennt und an der bloßen Stellung, der Segel, dem Laufen der Taue, die wie schöne architektonische Linien auf dem mattgoldenen Hintergrunde des hellen Lufthimmels hervortreten, die Nation errät, die diesen majestätischen Bau geschaffen und diese kühnen Linien von einem Maste zum andern gezogen hat.

Der Anblick dieser landwärts und seewärts in so ganz entgegengesetzter Weise sich darstellenden schönen Szenerie war von so mächtiger und überwältigender Wirkung auf Waldemar an dem sonnigen Sommertage, daß er ihn beinahe von dem stürmischen Gefühle abgezogen hätte, das in seinem Innern brauste, immer wieder aber kehrte er von dem Ausfluge ins weite zu der schwellenden Seligkeit dieses Innern zurück und dann war er nahe daran, zu bezweifeln, es nicht begreifen zu können, wie er dazu komme, so auserwählt zu einem Glücke zu sein, wie früher niemals eins für ihn auf Erden gelächelt hatte. War aber der Gedanke an dieses Glück auf der ersten Hälfte seiner Tagesfahrt vorherrschend in ihm, so machte, je näher er dem Ende derselben kam, eine gewisse Ängstlichkeit sich in ihm geltend, als wäre er noch nicht am Ziele, das ihm bisher so glänzend und unvermeidlich vor Augen gestanden hatte, und als könne noch immer ein unerwartetes Hindernis zwischen ihn und dieses Ziel treten. Namentlich von dem Augenblick an, wo die düstere Waldung der Granitz am Lande auftauchte und der weit ins Meer vorspringende Granitzer Ort ihn gewissermaßen in den näheren Bereich des Landes und der darauf wohnenden Menschen zog, ergriff ihn eine Art Beklemmung, die er nicht imstande war von sich abzuschütteln und endlich nur durch ein Gespräch zu unterdrücken glaubte, das er mit dem im Buge sitzenden Lotsen anzuknüpfen versuchte. Allein da war er auch auf keine gründliche Abhilfe geraten, Piesing des Jüngeren Zunge war in Wahrheit wie angenagelt und nur wenige Silben kamen über seine Lippen, da er gewöhnlich auf Waldemars Fragen mit »Ja, ja, Herr!« antwortete und dann alsbald in sein voriges Schweigen zurückfiel.

Als der Pelikan aber am Quitzlaser Ort sanft vorbeigestrichen war und gerade vor seinem Buge jetzt die hohe Vormauer des Göhrenschen Höwts aufragte, hinter dessen steilem Rücken das Ziel des Tages, das liebliche Bakewitz lag, da fing Waldemars Herz noch stärker an zu klopfen, denn von nun an, glaubte er, könne jeden Augenblick die schöne Gestalt des holden Wesens aus den Bäumen des Ufers hervortreten, die ihn ohne Zweifel mit Sehnsucht an irgend einer Stelle des Strandes erwartete.

Allein diese Hoffnung wies sich für jetzt wie auch nachher als eine irrige aus; niemand ließ sich weder auf Peerd noch weiter südlich blicken, denn die meisten Strandbewohner mochte die Kirche nach dem Innern des Landes gelockt haben, die ja um diese Stunde – es war etwa zehn Uhr – der, allgemeine Sammelplatz am Sonntage ist.

Nur einmal und zwar dicht am Lande vor Bakewitz regte sich Piesings schwere Zunge, wozu ihm die seltsame Steuerung des kleinen Bootes Veranlassung gab, die er nicht begreifen konnte, trotzdem sie ein so erfahrener Seemann in Händen hatte. Als nämlich Waldemar dem Lande näher gekommen war, welches schon zu Bakewitz gehörte, hinderten ihn die Segel, nach dem Ufer hinüberzublicken und er hielt daher den Schnabel des Schiffs vom Lande abgewandt, um ungehindert die Gebüsche am Strande bestreichen zu können, hinter denen er nun endlich die geliebte Gestalt zu erblicken glaubte.

»Herr!« rief ihm Piesing von vorn zu. »Ihr fahrt ja an der Landestelle vorbei. Die Baaken liegen mehr rechts hin. Oder wollt Ihr vielleicht nach Lobberort hinüber, der da drüben mit seiner grauen Landspitze vorspringt?«

»Nein, Piesing,« erwiderte Waldemar lächelnd und gewissermaßen vor sich selber errötend, da ihm sein sehnsüchtiges Herz diesen Vorwurf zugezogen hatte, »ich will an dem gewöhnlichen Landeplatze von Bakewitz anlegen, und seht, jetzt gebe ich dem Pelikan die rechte Wendung – so, nun richtet Eure Segel und Ihr werdet sehen, daß wir noch leicht genug, herum kommen.«

»Ich weiß es doch nicht,« dachte Piesing im stillen, »und ich verstehe ihn heute nicht so recht; man wählt doch sonst nicht den weitesten Weg, um das Ziel zu erreichen, und diesmal hat er sich und mir unnötige Mühe mit dem Wenden gemacht. Na, ich habe Zeit und er hat sich vielleicht einen Spaß machen oder eine kleine Übung anstellen wollen.«

Jetzt war man dem Lande näher gekommen und der Pelikan rauschte mit leichtem Schwünge durch das vorspringende Schilf, nachdem er die beiden Baaken schon lange hinter sich gelassen hatte. Da lag Bakewitz, dicht vor den Augen des Verlangenden, die Nußbäume vor der kleinen Laube über der Bank, die die Aussicht nach dem Meere bot, grünten im vollsten Blätterschmuck, und der kleine Garten, den Hille alle Jahre zu ihrem Vergnügen selbst bestellte, duftete von Levkojen und anderen Blumen und war so zierlich und von allem Unkraut frei gehalten, daß es eine Freude war, ihn anzuschauen. Aber die Bewohnerin und Erhalterin dieser abgelegenen Zierde war nirgends sichtbar, wie das ganze Ufer überhaupt leer von Menschen war.

Das Boot fuhr an den halb im Wasser und halb auf dem Lande liegenden Balken an und Piesing machte dem Steuernden Platz, daß er bequem aussteigen konnte.

»Wollt Ihr vielleicht mit hereinkommen, Piesing,« fragte Waldemar mit unsicherer Stimme, »und Euch erfrischen nach dem langen Fasten, so will ich für einen guten Imbiß Sorge tragen; wir werden heute willkommener sein als vor fünf Jahren, da wir in den Hinterhalt der Franzosen fielen.«

»Ja, ja, ich weiß es noch recht gut, aber hinein will ich heute nicht, denn ich möchte noch nach Lobbe hinüber, wo ich bei meiner Schwester, die dort verheiratet ist, essen will, bevor ich nach Sassnitz zurücksegle.«

»So danke ich Euch vorläufig und wünsche eine gute Nachhausekunft.«

Er reichte ihm die Hand und stieß nun selbst wieder das Boot in die See zurück, denn er sah es diesmal nicht ungern, wenn keiner seiner Bekannten dem Zusammentreffen mit Hille Vangerow beiwohnte.

Aber auch diesmal hatte er umsonst gesorgt; denn nachdem er den Pelikan eine Weile mit den Augen durch das Schilf verfolgt und sich dann nach dem Plätzchen unter den. Nußbäumen gewandt hatte, kam ihm ein Bewohner von Bakewitz entgegen, und auf seine Frage, wo die Besitzerin des Gutes weile, sagte der Mann, sie sei nach Middelhagen zur Kirche gegangen und könne vor einer Stunde nicht gut zurück sein.

Waldemar schien etwas betroffen und, sich eine Weile auf der Bank ausruhend, überlegte er, ob er hier warten, oder Hille nach Middelhagen entgegen gehen solle, was etwa eine kleine halbe Stunde von Bakewitz entfernt zwischen Reddewitz und Philippshagen lag. Endlich entschied er sich für den Gang, denn er glaubte durch eine körperliche Bewegung das Klopfen loszuwerden, das sich allmählich in seiner Brust zu regen begonnen hatte und von Minute zu Minute heftiger ward.

»Mit welchen Worten wird sie mich nur zuerst empfangen?« dachte er. »Wird sie eine Entschuldigung vorbringen, daß sie mich hierher gerufen oder wird sie mir unbefangen wie immer entgegentreten? Was soll aber ich ihr sagen, wie ihr danken, daß sie mir das größte Glück des Lebens bereitet? Ach! der Schritt, den ich heute tue, erscheint mir schwerer als je einer, den ich bisher getan, und wie ist es so sonderbar, daß ein Mann, der so oft Todesgefahren entgegengegangen wie ich, sich scheut, in die lichtvollen Augen eines Mädchens zu schauen, die nur Wohlwollen und Liebestrahlen! Sonderbares Ding das, ich hatte mir nicht gedacht, daß ich je in eine so seltsame und peinliche Lage geraten, könnte!«

Solches denkend schritt er langsam durch den Garten, an dem Gehöft vorbei und wandte sich dann nach Westen, zuerst die kleine Birken- und Buchenwaldung erstrebend, die zu den Bakewitzschen Ländereien gehörte und an das freie Feld grenzte, durch welches der Weg über Wiesen und Ackerland, Torf- und Moorstriche nach dem Dorfe Middelhagen führte, wo die Filialkirche von Groß-Zicker lag. Jene kleine Waldung galt für einen der lieblichsten Plätze auf ganz Mönchgut; die Bäume waren geradlinig gepflanzt, von mäßiger Stärke und sämtlich reich bewipfelt und voll belaubt. Der Boden zwischen ihnen aber stieg wellenförmig auf und ab und war mit einem dichten Moosteppich bedeckt, der jetzt, da die. Strahlen der nahenden Mittagssonne darauf fielen, in smaragdgrüner Farbe leuchtete und, wo er hier und dort zerstreut liegende Steine und Baumstämme überzog, manchen angenehmen Sitzplatz im Schatten der saftigsten Laubkronen darbot.

Als Waldemar durch diesen Wald schritt und eine lautlose Stille ihn umgab, die um diese Zeit nicht einmal der Gesang eines Vogels unterbrach, kam eine sanfte und ruhige Stimmung über ihn, wie er sie den ganzen Morgen noch nicht gehabt, und er sprach wiederholt im stillen den Wunsch aus, daß es ihm vergönnt sein möge, an diesem Orte das Mädchen zu treffen, welches ihn in so wichtiger Angelegenheit zu sich beschieden hatte. »Wenn sie doch hier käme,« sagte er leise, »hier hätte ich den Mut, den Strauß mit ihr zu beginnen, denn hier sieht und hört mich niemand, der mich stören und beunruhigen könnte, wenn ich ihr in die großen blauen Augen sehe, die immer so wunderbar blicken, als wollten sie mir bis auf den Grund meiner Seele schauen!«

Aber er hatte das Ende der Waldung erreicht, ohne der Gesuchten zu begegnen, wie ihm überhaupt hier noch kein Mensch zu Gesicht gekommen war. So schritt er denn ein Stück auf das Feld hinaus, bis er von weitem das Dorf Middelhagen liegen sah, in dem heute der Gottesdienst abgehalten wurde, was einen Sonntag um den andern abwechselnd mit Zicker geschah. Als er auf diese Weise einige hundert Schritte fortgewandert war, blieb er auf dem freien Felde stehen; ihn fesselte das Schmettern der Lerchen, die hoch über ihm in der reinen Sonnenlust wirbelten und auch ihren Gottesdienst wie die Menschen, aber wie immer, die freieste Gemeinde der Welt, auf freiem Felde abhielten.

Da aber drang noch ein anderer feierlicher Ton vom Dorfe über die Felder herüber, denn eben fingen die Glocken an zu läuten, die das Ende der Predigt und den Schluß des Gottesdienstes verkündeten. »Ha!« sagte Waldemar und hielt wieder auf seinem Gang inne, »nun ist die Feierlichkeit vorbei und die Menschen werden bald nach allen Richtungen in ihre Heimat strömen. Auch Hille wird unter ihnen sein, nachdem sie noch einmal mit Gott geredet und ihn um seinen Segen in Betreff ihres heutigen Vorhabens gebeten hat. Wenn sie doch allein daher käme! Denn wenn sie andere Begleitung hätte, so würde ich es nicht wagen, ihr vor das Angesicht zu treten.«

Kaum hatte er dies gedacht, so sah sein scharfes Auge von weitem einige Männer und Frauen, die Kinder an der Hand hielten, über die Felder schreiten, aber noch kam ihm niemand entgegen, alle wandten sie sich nach Norden oder Süden hin.

»Nein,« sagte er, indem ihm das Herz immer ungestümer schlug, »hier auf freiem Felde halte ich es nicht aus, hier sengt mir die Sonne den Scheitel und ich will lieber den Wald und seine Schatten aussuchen, damit ich mich ruhige und sammle. Mein Gott, mein Gott, was ist es für ein seltsames Gefühl, das ich heute empfinde! Ich hätte es mir nicht träumen lassen, daß die sehnsuchtsvolle Liebe im Herzen und der nahe bevorstehende Erguß derselben eine solche Angst und Beklommenheit hervorrufen kann, wie ich es nun an mir selbst erlebe! Bei Gott, eine Werbung ist doch kein so leichtes Ding, wie man es sich gewöhnlich vorzustellen pflegt. Still, still, Herz, was ist es denn weiter, es ist ja nur Hille, der du entgegen siehst, und sie ist ja so schrecklich nicht, daß du eine so bittere Furcht vor ihr zu empfinden brauchst.«

Dennoch aber schien die seltsame Furcht in seiner Brust etwas groß zu sein, denn er schritt viel, lebhaft und schneller nach dem Walde zurück, als er vorher auf das Feld hinaus getreten war. Endlich aber hatte er ihn erreicht und nun erst fühlte er sich wieder erfrischt und zu jedem Unternehmen aufgelegt. Als er aber ungefähr in die Mitte der Waldung gelangt war, die ein schmaler Fußsteig vom Dorfe her nach Bakewitz durchschnitt, setzte er sich auf einen moosbewachsenen Stein und schaute von hier aus durch den Wald zurück, so weit sein Auge reichte. Beinahe eine Viertelstunde mochte er so gesessen haben, als er in der Ferne mehrere Menschen kommen sah, und als er nach einer Weile genauer hinschaute, erkannte er den Pächter von Bakewitz, der mit seiner ganzen Familie aus der Kirche kam. Hille war nicht dabei, das sah er wohl und so faßte er sich und schritt den Ankommenden langsam entgegen, die ihn auch bald erkannten und auf die gewöhnliche Weise mit Wort und Handschlag begrüßten.

»Herr Granzow,« sagte der Pächter freudig, »ei, was führt Sie denn einmal hierher?« Und dabei konnte er ein unbestimmtes Lächeln nicht ganz unterdrücken, das schwer auf des Sehnsüchtigen Seele fiel. »Wir haben ja lange nicht das Vergnügen gehabt, Sie zu sehen!«

»Ich will meine Cousine sprechen,« entgegnete Waldemar kurz und mit fliegendem Atem – »kommt sie bald aus der Kirche?«

»O ja, sie muß bald heran sein; sie wollte nur noch eine arme, kranke Frau im Dorfe besuchen, der sie auf ihrem Kirchgange immer eine kleine Spende bringt.«

»Wird sie diesen Weg daherkommen?« fragte Waldemar weiter, nur um etwas zu sagen.

»Ei gewiß, Herr, welchen sollte sie sonst kommen? Es führt kein anderer Weg von Middelhagen nach Bakewitz.«

»So will ich Euch nicht aufhalten und ihr lieber entgegengehen. Lebt wohl, wir sehen uns nachher wohl noch.«

Der Pächter verabschiedete sich mit seiner Familie und Waldemar war wieder allein. Er atmete aus, als wäre ihm ein Stein von der Brust gewälzt, und erst, als er die kleine Gesellschaft jenseits des Waldes verschwinden sah, drehte er sich wieder nach dem entgegengesetzten Ende um, und da noch immer niemand auf dem Feldwege erscheinen wollte, schritt er langsam demselben von neuem zu.

Da, eben als er aus dem Saume des Waldes heraustreten wollte, war es, als ob sein Herz still stehen müßte, und alle seine Gedanken schwammen in ein wüstes Chaos zusammen, so daß er keinen einzigen klar aus seinem Hirn entwickeln konnte.

Denn in der Ferne, mitten zwischen den wogenden Ähren des Feldes, sah er eine Gestalt sich daher bewegen, wie es keine zweite mehr auf Rügen gab, so viel Weiber und Mädchen auch rings auf der Insel wohnten. Es war Hille, es mußte Hille sein, einen so leicht schwebenden Gang, so anmutig natürliche und doch gleichsam bedachtsam ausgeführte Bewegungen konnte nur sie allein haben.

Sie kam rasch näher, eben so rasch aber trat Waldemar in den Schatten der nächsten Buche zurück, als wolle er sich verborgen halten, so lange es möglich sei. Von diesem Hinterhalt aus lugte er mit schwimmendem Auge hervor, das sonst die Stärke eines Adlerauges hatte, heute aber wie mit einem Flor bedeckt war. Schon sah er die langen seidenen Bänder, der golddurchwirkten kleinen Kappe, die sich bemühte, die Fülle des braunen Haares auf dem Hinterkopfe zu umfassen, im leicht sie umspielenden Winde flattern. Über den linken Arm hatte sie ihr schwarzes Windtuch geschlagen, ohne welches eine Mönchguterin nie ausgeht, in der Rechten hielt sie einen Strauß Feldblumen, die sie im Korne gepflückt, das zu beiden Seiten des Fußpfades seiner Reife entgegenschwoll.

Als sie noch ein Stück näher gekommen war, konnte Waldemar schon die Umrisse ihrer schönen und viel voller gewordenen Gestalt wahrnehmen, die jetzt in der reichsten Lebensblüte prangte; er glaubte sogar das Rauschen ihres schweren schwarzen Seidenrocks zu hören, der zwei Hände breit bis unter das Knie herabfiel, in weiten Falten sich reich um ihren Leib bauschte und die zierlichen, mit schneeweißen Strümpfen bedeckten Füße sich frei bewegen und weithin sichtbar werden ließ.

Als er alle diese Einzelheiten wahrgenommen, wagte er endlich auch nach ihrem Gesicht zu. blicken, das etwas seitwärts gewendet war, um die Äcker zu überschauen, und dabei heiter ernst wie gewöhnlich und freundlich sinnend auf die Saaten niederblickte. Aber wie schön und voll war der Hals, der bei dieser Wendung sichtbar wurde und dessen matte Weiße lieblich gegen die goldgelben Bernsteinkorallen abstach, deren kostbare Schnur auch heute denselben umgab! Auf dem blauatlassenen Latze ihres Mieders endlich, das die volle Brust eng umspannte, glitzerten im Sonnenstrahl die goldenen Zierarten und ließen bei jeder Bewegung ein leises Klingen ertönen, was der ganzen Erscheinung eine eigentümliche Lebendigkeit verlieh.

Waldemar hatte genug gesehen, er mußte sich zum Handeln entschließen. Er raffte sich daher zusammen und trat hinter dem Baumstamm hervor, der ihn bisher verborgen hatte. Die Kehle war ihm dabei wie zugeschnürt und alles, was er fühlte und dachte, prägte sich nur in seinem Auge aus, das in einer Art trunkener Starrheit dem schönen Wesen entgegenschaute, das, ahnungslos, was ihm bevorstand, rasch auf ihn zutrat.

Da erfaßte ihr helles Auge plötzlich die Gestalt des ihr so wohlbekannten Mannes und sie erschrak sichtbar. Denn sie blieb mitten auf dem Wege stehen, drückte den Arm, auf dem sie das Tuch, trug, fest gegen die Brust und hob den dunklen Kopf hoch empor, als wollte sie sich vergewissern, daß es wirklich Waldemar Granzow sei, den sie so unverhofft vor sich sah, wobei ihre Wangen bis hoch zu den Schläfen erröteten und ihr Atem merklich kürzer und schneller wurde.

Als aber Waldemar ihr mit aufgehobener Rechten entgegentrat, schritt auch sie wieder vorwärts, und als sie in den Schatten der Buche gelangt war, trafen sie sich und ihre Hände fielen zitternd ineinander.

»Hille!« sagte Waldemar, unvermögend, ein Wort weiter zu sprechen, und »Waldemar!« erwiderte sie, worauf sie rascher gefaßt als er, hinzufügte: »Wie kommst Du hierher? Dich auf Bakewitz zu sehen hätte ich am wenigsten an diesem heiligen Sonntage erwartet.«

Waldemar stand bei diesen Worten wie versteinert vor ihr, seine Augen suchten in ihren Augen zu lesen, aber er fand keine Spur von dem darin, was er so sehnsüchtig begehrte. Ach, da erleuchtete plötzlich ein trüber Blitz seine Seele und er erkannte die List des trügerischen alten Schweden, die ihn hierher geschickt, ohne daß Hille eine Ahnung davon, noch viel weniger aber ihn zu einer Anwerbung um seine Hand abgesandt hatte.

Als Waldemar den unseligen Irrtum erkannte, in dem er seit zwölf wonnigen Stunden befangen gewesen, dunkelte es vor seinen Sinnen und er geriet in eine Aufregung, die er kaum vor Hille bemeistern konnte, die mit ihren tief dringenden Blicken ihn durchforschte und sich ebensowenig sein seltsames Benehmen erklären konnte, zumal sie nicht im Entferntesten ahnte, in welcher peinlichen Lage sich ihr armer Freund befand. Um aber endlich der unheimlichen Pause ein Ende zu machen, die sich zwischen ihnen eingestellt, kam sie ihm mit einer Frage zu Hilfe, und als Waldemar erst ihre sanfte melodische Stimme vernahm, kehrte allmählich seine Fassung zurück, und indem er wiederholt tief Atem schöpfte, wagte er es sogar, in ihr Gesicht zu blicken, das mit ungewöhnlicher Spannung und doch so sanft und klar wie immer ihn mit heimlicher Freude anlächelte.

»Bist du den weiten Weg zu Fuße gegangen?« fragte sie ihn, um seine und ihre Gedanken auf das Alltägliche zu lenken.

»Nein, Hille, ich bin in einem Boote gekommen, das ich aber schon wieder zurückgeschickt habe.«

»Ah, so willst du den Landweg nach Hause einschlagen?«

»Ja, wenn ich wieder zurückkehre, was, ich weiß noch nicht wann, geschehen wird.«

Hille schwieg wieder. Die eben vernommene Antwort klang ihr etwas wunderlich und in einer Art unwillkürlicher Hast ausgestoßen, deren Bedeutung und Ursache sie sich unmöglich ganz erklären konnte.

»Wir haben uns lange nicht gesprochen, Waldemar!« fuhr sie nach einer kleinen Pause wieder fort.

»Ach, sehr lange nicht, Hille, und ja – du wirst dich wundern, mich nach langer Zeit einmal wieder bei dir zu sehen.«

»Freilich wohl, aber die Freude ist doch größer als die Verwunderung, da du mir gewiß viel zu erzählen haben wirst, denn du hast mehr erlebt als ich.«

»Ach ja,« seufzte Waldemar, und indem er an ihrer Seite langsam durch den schattigen Wald schritt, fing er an, sich nach und nach zu sammeln und die Gedanken zu ordnen, die noch immer verworren in seinem Kopfe schwirrten. »Hille,« fuhr er fort, »du kannst nicht ahnen, was mich eigentlich zu dir geführt hat und vielleicht – vielleicht habe ich nachher den Mut, es dir ganz offen zu sagen, da ich einmal so weit gekommen bin. Aber zuerst muß ich mich meiner Schuld gegen dich entledigen, die seit Jahren zu einem Berge angewachsen ist, der überlästig auf meine Brust und mein Gewissen drückt.«

»Deiner Schuld? Was willst du damit sagen? Und wie ein Berg drückt sie überlästig auf dein Gewissen?«

»Ja, Hille, einmal muß es doch gesagt sein und da wir glücklicherweise allein in Gottes freiem Walde sind, so will ich es gleich sagen. Du hast jahrelang meinen Eltern Wohltaten erwiesen und ihnen Opfer gebracht, wie sie nur ein edler und reich begabter Mensch seinen Mitmenschen erweisen und bringen kann.«

Hille stand still und legte ihre rechte Hand, aus der ihre Linke schon lange die Blumen genommen, auf seinen Arm. »Waldemar,« sagte sie mit bittender Stimme und Miene, »schweig davon, oder du machst mich vor mir selbst erröten. Was ich getan, hättest du hundertmal besser und lieber getan als ich, wenn du an meiner Stelle und ich an der deiner Eltern gewesen wäre, abgesehen davon, daß sie mir unendlich viel Gutes in meiner verwaisten Jugend erwiesen haben.«

»Nein, Hille, ich kann dir diesmal deine Bitte nicht erfüllen, ich muß davon sprechen. Ach, aber wie soll ich es sagen, was ich darüber fühle? Ich bin so tief und dankbar ergriffen von der Freundschaft und Hingebung, die du an uns alle seit Jahren gewandt hast, daß ich – daß ich unmöglich mit Worten allein es wieder gut machen kann, und Jahre werden vielleicht vergehen, bevor ich die ganze Schuld abzutragen vermag, die du mit seltener Liebe auf uns gehäuft hast.«

Hille schwieg und senkte das Kinn auf die Brust, die sich allmählich zu heben begann. Auch Waldemar schwieg, in großer Unruhe, denn nun wußte er nicht, was er weiter sagen, wie er fortfahren sollte in dem Gespräch, das sich so glücklich angesponnen hatte. Da aber, als er mit seiner Gefährtin den Ausgang des Waldes erreicht, das in stiller sonntäglicher Feier ruhende Gehöft links liegen blieb und beide unwillkürlich wie auf gegenseitiges Übereinkommen der abgelegenen Laube unter den Nußbäumen am Strande zuschritten, kam ihm ein guter Gedanke, und wie er in seinem ganzen Leben mit jedermann offen und ehrlich zu Werke gegangen war, so beschloß er auch diesmal offen und ehrlich zu sprechen, wie es sein Herz verlangte. Als er nun den blauen Spiegel der See vor sich sah, die der leise Wind noch immer spielend beilegte, schien ihm dieser Wind einen wunderbaren Mut heranzufächeln, und indem er Hilles Hand ergriff, die sie ihm willig ließ, sagte er fest und freudig, wobei er jedoch nicht wagte, ihr Auge zu suchen, das von Zeit zu Zeit forschend und Aufschluß begehrend seitwärts auf ihn gerichtet ward:

»Hille, ich befinde mich gegenwärtig vor dir in einer eigentümlichen Lage, so eigentümlich, daß du, wenn du sie einmal erfährst, mir gewiß verzeihen wirst, daß ich mich so seltsam und linkisch benehme. Aber sieh, wir sind Gespielen und Freunde seit unsern Kinderjahren, und ich kann, denke ich, immer noch auf deine Freundschaft rechnen, obgleich ich die meinige nicht in Worten und Taten zu dir habe sprechen lassen, woran indessen die schwierigen Verhältnisse schuld waren, in denen ich mich bewegte. So will ich denn auch jetzt auf deine Freundschaft bauen und du wirst die meine offen erwidern. Sage mir aufrichtig – hast du gestern Besuch gehabt?«

Hille wandte schnell den Kopf nach ihm herum, in den alles Blut ihres glühenden Herzens geströmt war. Eine Art Ahnung blitzte auch plötzlich in ihrem Geiste auf, doch sie hielt sie noch zurück und beschloß, erst Waldemar weiter reden zu hören. »Ja,« sagte sie, »unser beider Ohm, der alte Schwede von Pulitz war hier.«

»Was hat er bei dir gewollt?«

»Er hat sich nach meinen Verhältnissen erkundigt und dabei alles und jedes auf Bakewitz in Augenschein genommen.«

»So. Das kann ich mir denken. Wovon hat er mit dir gesprochen?«

»Von allen möglichen Dingen. Vom Leben und Sterben, von Krieg und Frieden, von dem Glück der Häuslichkeit und einem guten Gewissen, was dem Menschen das Leben und Sterben erleichtert und ihn anstacheln sollte, mit allen seinen Nächsten sich auf das herzlichste zu vertragen.«

»Hm! Sei einmal recht aufrichtig – hat er auch von mir gesprochen?«

»O ja!« brachte Hille langsam und, mit tief gesenktem Kopfe hervor.

»Kannst du mir wiederholen, was er von mir gesagt?«

Hille schwieg. Waldemar wandte sein Gesicht zu ihr und suchte in ihren Augen zu lesen, die sie ihm aber beharrlich entzog.

»Er hat vielleicht Böses gesagt, daß du es mir nicht wiederholen kannst?«

Hille lächelte auf eine unendlich liebliche und doch verlegene Weise. »Nein,« sagte sie, mehr durch das Schütteln ihres reizenden Kopfes als mit den still sich bewegenden Lippen.

»Nun, wenn du es nicht sagen kannst, so will ich dich nicht dazu zwingen, aber ich muß dir sagen, daß er auch bei mir gewesen ist, und zwar gestern Nacht, insgeheim, als meine Eltern schon schliefen, und ich habe ihm das Versprechen geben müssen, gegen niemand von seinem geheimen Besuche reden zu wollen.«

»Aber du redest ja zu mir davon?«

»Zu dir muß ich davon reden, denn dich betraf sein nächtlicher Besuch.«

»Waldemar!« rief Hille laut auf und eine glühende Röte überzog nicht allein ihr Gesicht, sondern auch ihren Hals und verlor sich in das dunkle Mieder hinein, das ihre wundervollen Formen umschloß.

»Ja, Hille, dich betraf es und mich dabei mit, und wir sind die beiden einzigen, die er hintergangen hat, vielleicht aus Liebe zu uns, aber doch uns beiden eine Verlegenheit bereitend, die ich wenigstens noch nicht überwunden habe.«

Hille schwieg wieder, aber atmete laut und so heftig, als wollte ihr Herz die Banden sprengen, die es umschlossen.

»Kannst du dir denken,« fuhr Waldemar fort, »was er von dir sagte? – du schweigst – o sprich, du glaubst nicht, wie ich mich nach deiner Antwort sehne.«

Mit dem Tone, wie Waldemar jetzt zu Hille sprach, hatte er noch nie zu ihr gesprochen, seine ganze Seele lag darin, und diese Seele war übervoll, darum ging er auch zu Hilles Seele und löste endlich ihre Zunge.

»War es dir unangenehm, was er dir von mir sagte?« fragte sie endlich flüsternd.

»Hille! Unangenehm? Wäre ich dann so schnell nach Bakewitz gekommen? Köstlich, köstlich war es für mein Herz, das beinahe vor Sehnsucht nach dir starb.«

»Waldemar!« schluchzte Hille und lag mit ihrem Kopfe an seiner Schulter.

»Ja, das ist die Wahrheit, und sie muß endlich gesagt sein. Aber ich bin noch lange, nicht fertig. Meine Sehnsucht nach dir war groß, Hille, aber noch größer war mein Kummer.«

»Dein Kummer? Warum denn?«

»Du bist Hille Vangerow, aber das nicht allein – du bist auch Besitzerin von Bakewitz und ich –«

Jetzt war die Kraft des Widerstandes, die Hille bisher an den Tag gelegt, erschöpft und das Maß ihrer weiblichen Zurückhaltung bis auf den letzten Tropfen gefüllt. Sie vermochte ihr Herz nicht länger zu bemeistern, es quoll über und strömte gegen den aus, der ihr in diesem Augenblick wie immer der Nächste war. Sich zu dem Geliebten hinneigend, schloß sie mit der Linken, der lange das Tuch und die Blumen entfallen waren, seinen Mund, und bei dieser Bewegung näherte sie sich ihm so sehr, daß ihr warmer Atem seine Wange streifte und ihr Körper sanft den seinigen berührte. Als diese Berührung Waldemar mit elektrischer Wirkung ergriff, erwachte sein ganzer männlicher Mut, und auch er streckte seinen linken Arm aus und umfaßte damit ihren Leib.

»Waldemar!« rief sie wie in Herzensangst, »sage nichts weiter, gar nichts, oder etwas anderes, womit du mich vielleicht sehr – sehr glücklich machst.«

Waldemars ganze, übervolle Seele schien in seinen Augen zu fluten, als er sie nach diesem Ausruf auf das schöne Mädchen richtete, das er so lange liebte und jetzt zum ersten Male, eng an seine Brust geschmiegt in den Armen hielt. »Was willst du hören?« fragte er leise, aber um so inniger.

»War dir Sturlesons Besuch und das, was er dir von mir sagte, unangenehm?« wiederholte sie mit starker Betonung.

»Nein, Hille, ich dankte sogar Gott dafür, denn ich nahm es für Wahrheit und hatte lange gewünscht, daß es auf die eine oder andere Weise zutage kommen möchte, ohne daß ich den Mut gehabt hätte, den ersten Schritt dazu zu tun.«

»Dann hat der gute Ohm dir ja wohlgetan, mein Freund?«

»Unendlich wohl, und ich bin ihm dankbar dafür, trotzdem er mich betrogen hat, denn du – du hast ihn ja nicht zu mir gesandt.«

Jetzt weinte Hille wirklich, aber kein Schmerz, kein Wehgefühl preßte ihr diese wohltätigen Tropfen aus, sondern das Gefühl einer wunderbaren, nie empfundenen Freude. Als aber Waldemar sie bat, ihm ein Wort zu sagen, das ihn beruhige, ihn belebe, da schluchzte sie: »Nein, ich habe ihn nicht zu dir mit Worten gesandt, mein Herz aber, mein Herz – o das habe ich alle Tage zu dir geschickt, und dies Herz hat er wahrscheinlich verstanden, und so hat er dich hierher beschieden.«

»Hille! Was muß ich hören! O dann kann ich dir sagen, daß dein Herz nicht zu mir zu schicken brauchte, um mich erst rufen zu lassen, denn das meine war immer bei dir – immer – seit –«

Er konnte nicht fortfahren; die süße Gestalt, die er liebte, mehr als alles auf der Welt, lag fest an seiner Brust, und ihre Lippen ließen den seinen kein Wort entschlüpfen.

Der seligste Moment, den Menschen auf Erden nur erleben können, verband die Glücklichen ziemlich lange, denn nichts störte sie, als das Flüstern des Windes und das sanfte Rauschen der im Schilfe sich wiegenden Wellen. Keins von beiden konnte sprechen, keins mochte sprechen. Worte sind es auch nicht, deren der Mensch bedarf, wo Taten reden, und hier redete eine süße Tat mit feurigen Blutwellen, die, getrennten Ursprungs zwar, doch nach einem Ziele wallten und für einander pochten und stürmten.

»Es hat lange gedauert, bis wir uns in Liebe gefunden haben,« sagte Waldemar endlich.

»Lange, sehr lange, mein teurer Freund, aber ich wußte, daß die Zeit kommen würde, und darum war ich getrost und geduldete mich.«

»Auch ich, Hille, wußte das – oder glaubte es wenigstens zu wissen, aber mein Hoffen war mit Bangen gemischt. O warum hat dir der alte Lachmann sein Erbe vermacht, – ohne ihn hätten wir schon lange glücklich sein können!«

»Wer weiß es! Wir hatten ja Krieg, und es wäre schrecklich für mich gewesen, dich in Gefahr und Not zu wissen und dir nicht helfen zu können.«

»Du hast mich doch darin gewußt –«

»Ja, aber nicht als den Meinen! Jetzt aber, jetzt ist Friede, Waldemar, und sieh, wie die Sonne so heiter auf uns hernieder lächelt, und das Meer seine silbernen Wogen so traulich an uns heran murmelt – o, mein Gebet ist erhört, das ich heute zu Gott emporgestammelt. Gib ihn mir, sagte ich an heiliger Stätte mit aller Inbrunst und Sehnsucht, und sieh, als ich aus der Kirche trat und auf die Felder schritt, über denen die Lerchen schwirrten und Gott seine Sonne scheinen ließ, da warest du da –«

»Um dich wieder zur Kirche zu führen, nicht wahr?«

»Wie und wann du willst – ich bin die Deine, solange ich lebe auf Erden und Gott uns in seiner Gnade zusammen vereint lassen will!«

Lange ruhten sie Brust an Brust auf dieser Stelle und genossen das Glück, das der gütige Himmel auch ihnen aufbewahrte Als sie aber endlich in das sonntäglich geschmückte Haus eintraten und allen darin Wohnenden verkündeten, was da draußen geschehen, da ließ eine Freude ihre heiteren Klänge vernehmen, wie sie noch nie auf dem stillen Gute laut geworden war, denn ihre schöne und geliebte Herrin mit dem Manne ihrer Liebe – den alle kannten – mit Waldemar Granzow vereinigt zu sehen, war der einzige Wunsch gewesen, den sie gehegt hatten, nachdem ihnen Gott den Frieden im Lande gegeben.


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