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Sechstes Kapitel.

»Halt vor der Prora.«

Waldemar Granzow, in voller Uniform vor seinen Seeleuten hermarschierend, war am frühen Morgen in Bergen eingetroffen und hatte ohne Verzug die dortigen Verhältnisse in Augenschein genommen. Auf dem ganzen Wege, den er von Mönchgut aus über Putbus zurückgelegt, hatte er keine Veranlassung gefunden, zur Gewalt seine Zuflucht nehmen zu müssen, denn entweder hatte er die meisten Ortschaften von Franzosen verlassen angetroffen, oder die wenigen, die er hier und da gesehen, waren in solcher Hast auf ihrem Marsche begriffen und schienen von so großer Besorgnis in bezug auf ihr persönliches Wohl erfüllt, daß ihnen die Lust verging, an diesem oder jenem Orte noch irgend eine Beute zu machen oder eine Brutalität auszuüben.

Nachdem unser Freund ein Stunde bei seinem Bekannten, dem Müller Dalwitz, ausgeruht und dann das Treiben in dem lärmvollen Städtchen betrachtet hatte, befiel ihn ein eigentümliches Wehgefühl. Sein warmes Herz empfand plötzlich eine Art Mitleid mit den Leuten, die Napoleon von Ort zu Ort durch alle Welt herumgeschleppt und die ihrerseits doch eigentlich unschuldig an dem Übermut und den Gelüsten ihres nimmersatten Gebieters waren. Sie hatten so oft ihr Leben in die Schanze geschlagen, um seinem Ruhme ein neues Lorbeerreis beizufügen und, immer des Sieges und Triumphes gewohnt, jetzt aber zum erstenmal in ihrem Kriegerleben von jedem zuverlässigen Führer verlassen, endete ihre lange Ruhmesbahn auf so klägliche Weise, indem sie nicht einmal wußten, ob dieser Spott und Hohn der lange unterdrückten Landbewohner das letzte schwere Stück Arbeit sei, das sie zu überwinden haben, oder ob sie abermals einer ungewissen Zukunft und einem vielleicht noch trüberen Schicksal entgegengetrieben wurden.

Mit einer gewissen inneren Zufriedenheit, daß vierundzwanzig Stunden später kein Franzose mehr auf dem vaterländischen Boden stehen werde, sah Leutnant Granzow die Vorbereitungen zu ihrem Abmarsche an, als ihm einer seiner Leute die Meldung brachte, daß er eben gehört habe, der Kommandeur der in Bergen stationierten Truppen sei am frühen Morgen dieses Tages nach dem Norden geritten, und man erzähle sich, er habe irgendwo eine kostbare Beute versteckt, die er jetzt herbeihole, um sie unter sicherer Eskorte noch an diesem Tage außer Landes zu führen.

»Wohin ist er geritten?« fragte der Seeoffizier, der nicht die entfernteste Ahnung hatte, daß dieser Beute heranbringende Offizier der Colonel Caillard sein könne, da er soeben erst von seinem Schiffe gekommen war und nicht einmal wußte, daß derselbe in Bergen befehligte.

Der Matrose, der Waldemar obige Meldung gemacht, wußte nichts genaueres über diesen Beuteritt anzugeben, daher entfernte er sich, um nähere Erkundigungen einzuziehen. Nach einer Stunde aber kam er mit dem Bericht wieder, daß man glaube, der Herr sei nach Jasmund geritten, und daß er also entweder durch die Prora oder auf dem Strandwege längs der schmalen Heide nach Bergen zurückkehren müsse.

»Nach Jasmund?« fragte Waldemar Granzow in nicht geringer Bestürzung. »Wißt Ihr vielleicht, wie der Kommandant heißt?«

Der Matrose nannte den erforschten Namen und da war es, als ob ein Blitzstrahl vor dem jungen Seeoffizier niederfiele und Gegenwart und Zukunft vor ihm erleuchte, indem er mit jäher Gewalt die Vergangenheit aus ihrem Schlummer vor seine Erinnerung riß.

»Mein Gott,« sagte er zu sich, nachdem er in ein abgelegenes Zimmer des Müllers getreten war, um ungestört mit sich zu Rate zu gehen, »ist es denn möglich? Gibt es vielleicht wirklich eine Vergeltung auf Erden, wie ich es mir so oft gedacht, wie ich es sogar gesprochen habe, ohne zu glauben, zu ahnen, daß auch mir der Beweis einst sichtbar vor Augen gerückt werden würde? Mein Gott, mein Gott, welche Bilder steigen plötzlich vor meiner bisher so sorglosen Seele auf und reißen mich wider meinen Willen in die Vergangenheit zurück, die ich längst für überwunden hielt? Magnus, mein Freund! Was will dein blutiger Schatten vor mir? Will er mich mahnen, spornen, stacheln, das Vermächtnis zu vollziehen, das du mir wider meinen Wunsch in deiner Todesstunde übergeben hast? Caillard! Welche düsteren Erinnerungen weckt dieser schreckliche Name in mir! Jahre sind vergangen, seitdem ich ihn gehört und mich bemüht habe, ihn ganz zu vergessen; auf Gott weiß welchen blutgetränkten Feldern, die er und die Seinigen Felder der Ehre nennen und die wir nur mit dem Gedanken an tausendfach erlittene Schmach und Knechtschaft betrachten, glaubte ich ihn begraben und nun tritt der Mann, der diesen unvergeßlichen Namen führt, noch einmal auf meinem heimatlichen Boden vor mich hin, und noch dazu in dem Augenblick, wo er für immer denselben verlassen und zuletzt noch berauben will? Sollte es wirklich derselbe sein, der meinen Magnus erschlagen? Ha! Welche Leidenschaft packt mich so plötzlich im Herzen und treibt mein ruhiges Blut in wilden Stößen durch meine Adern! Will ich ihn töten, wenn er mir nahe tritt und vor meinen Augen mit seiner Beute zu entfliehen trachtet? Nein, töten will ich ihn nicht, aber fragen, ob er es ist, der meinen edlen Freund meuchlerisch ermordet hat und – wenn er es bejaht, was dann?

O, denke nicht daran, Waldemar, denke nicht an so Schreckliches! Beruhige dich, Herz, es wird nicht derselbe unselige Mann sein, der schon einmal deinen Pfad gekreuzt hat, nein, nein, es kann und wird ein anderer sein, denn er würde es nicht wagen, noch einmal ein Haus zu betreten, das er mit Blut befleckt, und Menschen in das Gesicht zu blicken, die Zeugen seiner schimpflichen Flucht an jenem Tage gewesen sind.

Wenn er es aber dennoch wäre und noch einmal wagte, seine Hand nach dem Hab' und Gut anderer auszustrecken, wie dann? Er ritt nach Jasmund, um Beute zu holen, sagen die Leute – ha! das stimmt wunderbar mit seinem Charakter zusammen. Halt! es ist meine Pflicht, ihn in den Weg zu treten, wenn er als Räuber das Land verlassen will, wo er alles in allein, Tyrann, Verführer und zuletzt auch Mörder gewesen ist. Wohlan denn! Mein Entschluß ist gefaßt und die Ausführung soll ihm auf dem Fuße folgen. – Heda, Ihr Leute!« rief er aus dem geöffneten Fenster den Matrosen zu, die auf dem Hofe mit der Reinigung ihrer Waffen beschäftigt waren – »macht Euch fertig! Nehmt Eure Pistolen und Messer und auch eine Portion Mundvorrat mit, wir wollen sogleich einen Streifzug antreten, um hoffentlich einen Fang zu tun.«

Die kühnen Seeleute, immer und überall zu jedem Wagestück aufgelegt, sprangen in das Hintergebäude, wo sie einquartiert waren, und rüsteten sich im Fluge zu dem befohlenen Marsche. Waldemar selbst sah nach seinen Pistolen, steckte sie in den Gürtel und schnallte sein dolchartiges Seitengewehr daran fest, das er als Seeoffizier trug. Dann nahm er von dem Müller, mit dem er erst wenige Worte gesprochen, Abschied und sagte ihm, daß er einen Ausflug nach Jasmund unternehmen müsse und daß er ohne Sorge um ihn sein möge, wenn er an diesem Tage nicht nach Bergen zurückkehren sollte.

Zehn Minuten später befand er sich mit seiner kleinen Abteilung, die durch verschiedene Detachements bis auf zehn Mann zusammengeschmolzen war, auf dem Wege nach Carow, um von da über Lubkow die schmale Heide zu erreichen, durch die Kolonel Caillard zurückkehren mußte, wenn er wirklich den Ritt nach Jasmund unternommen hatte.

Es war am 8. März 1813, morgens zehn Uhr, als Waldemar Granzow den Marsch an der Spitze seiner kühnen Begleiter antrat, von denen kein einziger die Empfindungen kannte oder gar teilte, die seine, Brust so tief bewegten. An ein Wagnis, welches mit seinem Vorhaben verknüpft sein könnte, dachte er nicht im entferntesten, seine geistige Auflegung war zu groß und sein Gemüt zu stark in Anspruch genommen, um ihn eine mehr oder minder große persönliche Gefahr befürchten zu lassen. Aber das Allgemeinwohl seiner Landsleute war bei diesem Unternehmen so sehr mit seinen persönlichen Gefühlen in Einklang, daß er sich in einer seltsam gehobenen Stimmung befand und es ihm schien, als führe er heute nicht die Befehle eines irdischen Machthabers, sondern vielmehr die eines göttlichen Willens aus.

Es war ein frischkalter Morgen, der naturgemäß zu einer heftigen körperlichen Bewegung. reizt; die Sonne stand strahlend am Himmel, dessen klare Bläue nur einige kleine flatternde Wolken von Zeit zu Zeit trübten. Ein leichter Ostwind fegte in wechselnder Stärke über das Meer und zog pausend durch die Lüfte, die der nahende Frühling noch nicht mit seiner lieblichen Wärme gemildert hatte.

Als er so in schweigender Versunkenheit dem kleinen Zuge voranschritt, die leuchtenden Augen immer vorwärts auf den bisweilen sich schlängelnden Weg gerichtet haltend, überkam ihn ein seltsames und in den Zeiten, in denen er lebte, leicht erklärliches, beinahe frohlockendes Gefühl, das nur ab und zu durch einen trüben Rückblick in die überwundene Vergangenheit unterbrochen und gemäßigt wurde. Nie war ihm die Wandelbarkeit aller menschlichen Dinge so nahe vor Augen gerückt, als an diesem verhängnisvollen Morgen. Sein Leben war in eine wichtige, ereignisreiche, erst nächtlich düstere und nun plötzlich so hell gewordene Zeit gefallen. Der große Mann des Jahrhunderts, ausgezeichnet durch so viele erhabene Eigenschaften, befleckt von so unzähligen niedrigen Leidenschaften, Napoleon, der Bezwinger einer blutgierigen Revolution, aber auch der Unterdrücker – nicht allein der Freiheiten seines eigenen Volkes, sondern auch vieler anderer Völker und Fürsten, die ihm keinen haltbaren Anlaß zum Zorn und zur Entfesselung seines gigantischen Ehrgeizes geboten hatten, er war vom Throne seiner weltbeherrschenden Macht herabgestoßen und sammelte noch einmal seine Völker, um die verlorene Höhe wiederzugewinnen und Völker und Fürsten noch einmal unter sein bluttriefendes Zepter zu beugen. Aber daß ihm das diesmal nicht gelingen würde, flüsterte einem jeden klarblickenden Manne eine sichere innere Stimme zu, denn die Zeit war im geistigen Sturmschritt vorgerückt und das lange unterdrückte Gefühl für Menschenwürde und Menschenfreiheit war aus seinem langen Schlummer erwacht. Erhoben hatte sich bereits die deutsche, englische und russische Nation, von der Stimme ihrer Fürsten gerufen, hatten sie sich zusammengeschart, und nun galt es einen großen Kampf, daß dieser Kampf aber kein vergeblicher sein werde, sagte sich jeder ohne Ruhmredigkeit voraus. Im Vergleich mit diesen großen unleugbaren Tatsachen erschien Waldemar Granzow das Unternehmen, welchem er heute seinen Willen und seine Kraft geliehen, nur ein ganz kleines, erbärmliches, es galt nur, einen einzelnen Menschen zu bezwingen und abzuhalten, seine im kleinen gesammelte Beute dem ungeheuren Raube, den die Großen zusammengetrieben, beizufügen und so einen Tropfen zu dem unermeßlichen Meere zu tragen, das über ganz Europa seine schlammigen Wogen wälzte.

Zu dieser ihm gering erscheinenden Tat aber stachelte ihn ein persönliches Wehegefühl an. Denn er gedachte in diesem Augenblick seines teuren Freundes Brahe, der nun schon lange nicht mehr auf dieser Erde weilte. O, wenn es auch ihm vergönnt gewesen wäre, den allgemeinen Umschwung in den Verhältnissen der Welt wahrzunehmen und er nun bald als reicher Erbe so schöner Güter, im Besitz seiner angebeteten Geliebten auf Spyker hätte wohnen können, welch genußreiches Leben wäre ihm da aus dem Wust und Trübsal der Vergangenheit ausgeblüht, wie glücklich könnte er nun mit seinen Freunden und wie dankbar dem Schöpfer sein, daß sich mit dem allgemeinen Schicksal auch das seinige so freundlich gestaltet habe! O, wie seltsam hatte das Verhängnis mit ihm gespielt! Gerade durch seine Liebe mußte ihm der Untergang kommen! Durch diesen habsüchtigen, falschen, gleißnerischen Franzosen mußte ihm die letzte Schranke menschlichen Erdenglücks verschlossen werden!

Mit solchen Gedanken beschäftigt legte Waldemar Granzow den fünf Viertelmeilen langen Weg bis Lubkow zurück, und nun sich gegen Norden wendend, schritt er bis zu der Stelle vor, wo sich der Weg rechts nach dem Meere wendet und links nach der Prora abzweigt, dem waldigen Engpaß der dortigen Berge, den wir ihn schon einmal betreten sahen, als er sein elterliches Haus verließ und nach Mönchgut eilte, um in Bakewitz das liebliche Mädchen auszusuchen, von dem in diesen Blättern so oft die Rede gewesen ist.

Der Boden, auf dem man sich bewegte, war vom geschmolzenen Schnee und reichlich danach gefallenen Regen tief aufgeweicht, und nur langsam und mit Mühe schritt man um Mittagszeit weiter. Die Seeleute, um eine Stütze auf dem schlüpfrigen Wege zu haben, hatten sich mit ihren Messern von den trockenen Gebüschen, durch die sie drangen, schwere Stöcke abgeschnitten, und auch Waldemar trug einen in der Rechten, wie er sich so gern eines solchen bei seinen größeren, Wanderungen bediente, zumal es zu damaliger Zeit aus Rügen so Gebrauch war.

Endlich hatte man die Stelle erreicht, wo man auf die Scheidung des Weges sein Augenmerk richten mußte. Waldemar stand geraume Zeit still und überlegte, welchen Weg er selbst einschlagen solle, um seinen Gegner sicher zu treffen, denn er wollte ihm womöglich persönlich entgegentreten und seinen diesmaligen Weg kreuzen, wie sein eigener von jenem so herbe durchkreuzt worden war.

Auf welchem Pfade würde der erwartete Beutejäger ihm entgegenziehen? Das war die Frage. Unfehlbar war der Weg durch die Prora der kürzere, verborgenere, der am sandigen, steinigen Strande entlang der weitere, offenere, aber vielleicht doch für seinen Zweck wünschenswerter, da ein ihm in der Prora begegnendes Hindernis seinen Zug ganz aufhalten und unnütz machen konnte.

Verharren auch wir einen Augenblick in Gedanken und ruhen wir dabei, bevor wir uns zu dem Wege entscheiden, den wir mit unserm Helden zu gehen gesonnen sind. Waldemar stand still und überlegte, ohne einen Blick auf die ihn, umgebenden Leute zu richten, die seinem Entschlüsse nicht vorgreifen wollten und ihre Meinung zurückhielten, bis er die seinige ihnen vorgelegt haben würde. Aber in seinem Innern, obwohl er in ihren Augen ruhig erschien, arbeitete es gewaltig, denn wunderbare Visionen traten vor seinen Geist und mischten die Vergangenheit mit der Gegenwart innig und bedeutungsvoll.

Es gibt Augenblicke im menschlichen Leben, wo wir uns gewissermaßen selbst entrückt sind und weniger infolge eines innerlichen Bewußtseins vorwärts gehen, als vielmehr durch den unaufhaltsamen Trieb und Zug eines äußeren Verhängnisses zu irgend einer Tat fortgerissen werden. Wir wollen dann nicht dies oder jenes tun, sondern wir müssen es tun, wir gehen nicht, wir handeln. nicht, nein, es zwingt uns ein unbegreifliches, unsichtbares Etwas dazu. Vor uns, wie in Nebel gehüllt, schwebt dann ein erreichbarer Gegenstand und wir strecken unwillkürlich die Hand danach aus, um ihn an uns heranzuziehen, ja, es ist die Bewegung gegen ihn hin oft so stark, als ob wir nicht allein zu ihm treten, sondern als ob er wie durch einen Sturmwind zu uns herangerissen würde, so daß wir, um nicht gewaltsam mit ihm zusammenzustoßen, unsere Hand erheben und ihn gleichsam von uns abwehren müssen.

Welche Gewalt, welche Fügung ist es, die uns mit diesem erstrebten Gegenstande zusammenführt, die unsere Kraft an der seinen zerschellen oder die seinige an der unseren in Trümmer gehen läßt? Fürwahr, es ist keine menschliche, irdische Gewalt und Fügung, denn sonst würden wir uns ihr entziehen, ihr aus dem Wege gehen können, vielmehr ist es eine überirdische, eine göttliche oder dämonische, und immer kommen wir dabei wieder auf den Gedanken des Verhängnisses zurück, das wir schon so oft besprochen, aber nie erörtert und bewiesen haben. Aber was wollen wir für eine sicht- oder fühlbare Aufklärung? Alles auf der Welt vorhandene können wir nicht immer sehen, hören und fühlen, wir müssen es glauben, wie wir an Gott glauben, den wir auch nicht mit den Sinnen wahrnehmen und doch von ihm wissen, daß er vorhanden ist, weil er wirkt und segnet und spendet.

In einem solchen Augenblick befand sich zu jener Zeit auch Waldemar Granzow. Er ging vorwärts, fast willenlos und doch gewaltsam fortgezogen, wie ein mechanisches Uhrwerk; er mußte gehen und die Augen erheben auf das, was an ihn herangewandelt kam, und wenn es mit ihm zusammenstieß, mußte er die Hand erheben, um es von sich abzuwehren, damit die ihm entgegenstrebende Gewalt ihn nicht selbst zerschmettere.

»Hört,« sagte er zu seinen Leuten, die ihn aufmerksam umstanden, um seine Befehle zu vernehmen, »hier ist der Vereinigungspunkt der beiden Wege, die nach Jasmund führen, einen anderen kann kein Mensch betreten. Hier also muß der Zug vorüber kommen, den wir erwarten. Diesen Punkt halten wir daher besetzt und nur zwei Mann gehen auswärts am Strande entlang und beobachten die Ferne. Sobald sie ihn sehen, kehren sie hierher zurück und benachrichtigen die übrigen. Ich selbst werde mit zweien von Euch den Hohlweg hinaufsteigen und auskundschaften. Hört Ihr mich eine Pistole abfeuern, so dringt Ihr mir nach, höre ich aber Euch schießen, so kehre ich im Fluge zurück und werde Euch beistehen. Kommt der Zug eher an, als ich bei Euch bin, so haltet Ihr ihn auf, gleichviel wie. Schießt die Pferde nieder, damit sie nicht fortkönnen, und wehren sich die Männer, so zeigt ihnen, daß Ihr brave Jungen seid und so gut mit einigen Jägern zu Pferde fertig werden könnt wie mit dem brausenden Sturme. Wohlan, Ihr beide geht langsam auf dem Strandwege vor, und Ihr beide folgt mir in einiger Entfernung.«

Der Befehl war gegeben, und schweigend, wie es die strenge Schiffsdisziplin erheischt, ward er vollstreckt. Die bezeichneten zwei Männer setzten allein ihren Weg längs des Strandes fort und zwei folgten ihrem Offizier, während die anderen sechs hinter dem dichten Buschwerk ihre Aufstellung nahmen, welches die Scheidewand zwischen beiden Wegen bildete.

Waldemar stieg, um nicht außer Atem zu kommen, den im Zickzack laufenden Bergpfad langsam hinauf, der im Jahr 1813 noch in seiner ganzen ursprünglichen Wildheit und romantischen Schauerlichkeit unangetastet lag. Zu beiden Seiten erhoben sich steil ansteigende Berglehnen, die mit dem dichtesten Gebüsch von Eichen, Eschen, Haselnußsträuchern, Espen, Birken, wilden Birnbäumen und Wachholder bewachsen und durch dornige Ranken und die Schlingwurzeln unzähliger anderer Pflanzen an manchen Stellen ganz unzugänglich und verwickelt waren. Selbst in dieser Jahreszeit, wo keine Blätter an den Bäumen und Gebüschen hafteten und die wuchernden Sträucher ihre neuen Ausläufer noch nicht über den Weg senkten, war der bergauf- und bergabführende Pfad so eng, daß man oft nur einen kleinen Flecken blauen Himmels über sich und kaum zwanzig Schritte vor- oder rückwärts sehen konnte. Oben auf der Höhe erst öffnete sich der nach dem Meere liegende Bergrücken und man erblickte stellenweise das flutende Gewässer der Ostsee und sein steinreiches Gestade, über welches die Wellen fast unaufhörlich ihren weißen Schaum wälzten.

Wegen der Enge des Weges, die an manchen Stellen einem Wagen nur mit knapper Not die Durchfahrt gestattete, war es gefährlich, denselben zu passieren, denn wenn man einem Gefährt begegnete, dessen Ziel in der Richtung lag, woher man selbst kam, so war ein Ausbiegen unmöglich. Aus diesem Grunde war es Sitte, daß die Fuhrleute, die sich in dieses Wald- und Berglabyrinth wagten, etwas rasch fuhren, laut mit der Peitsche knallten und dazwischen beständig riefen »Halt vor der Prora!« was dennoch nicht immer vor einem unangenehmen Zusammenstoß schützte und dann beide Teile in die größte Verlegenheit brachte.

Waldemar also, seinen Gefährten einige Schritte voran, bewegte sich langsam den etwa eine Viertelstunde betragenden Hohlweg hinauf und gebrauchte kräftig seinen jungen Eichenstock, indem hier der Weg ungewöhnlich schlüpfrig war. Da die Berge mit ihrem Gestrüpp von beiden Seiten den Wind abhielten, so war die Lust innerhalb des eingeschränkten Raumes ohne aller Bewegung, und an den steilen Bergwänden hallte jedes in der Ferne auftauchende Geräusch wieder, wie in einer engen Röhre der leiseste Ton ungeschwächt bis zum Ende fortrollt. Waldemar war mit dieser Eigentümlichkeit des abgelegenen Ortes vertraut und horchte, von Zeit zu Zeit stillstehend, aufmerksam nach beiden Richtungen hin, aber nicht der leiseste Ton ließ sich weder vor noch hinter ihm vernehmen. Schon glaubte er den Ausgang des schauerlichen Weges erreichen zu können, ohne jemanden zu begegnen, und darum lag es in seiner Absicht, denselben zu Ende zu gehen, dann über die freie vor ihm liegende Heide hinwegzublicken und endlich, wenn er niemanden des Weges daher ziehen sähe, zu seinen Gefährten am südlichen Eingang der Prora zurückzukehren. Eben war er zu diesem Entschlusse gelangt, als sein Ohr von der Landenge her ein dumpfes Geräusch wahrzunehmen glaubte, das schnell näher zu kommen schien, und in der Tat ließ sich sehr bald das Gestampfe galoppierender Pferde und bald darauf das Gerassel von Rädern unterscheiden, die heftig über die am Wege liegenden Steine und Wurzelstöcke fortgerissen wurden.

Als Waldemar Granzow diesen Ton vernahm, dessen Bedeutung und Ursprung er nicht verkennen konnte, ging eine auffallende Veränderung in seinem ganzen Äußeren vor. Mit einem gewaltigen Atemzuge, als wolle er eine unbesiegliche Widerstandskraft in sich einsaugen, erhob er sich zu seiner ganzen Höhe, bewegte seine mächtigen Schultern hin und her, gleichsam um zu untersuchen, ob sie noch geschmeidig wären, und erhob dann seinen schweren Stock, mit glühenden Augen die kurze Strecke verschlingend, die er mit einem Blick überschauen konnte.

»Aufgepaßt!« rief er den hinter ihm Hergehenden zu, die auch schon das Geräusch des kommenden Wagens mit den Ohren aufgefangen hatten.

Aber trotz dieses Warnungsrufes und trotz des besten Willens der drei kräftigen Männer sollte die Absicht, die sie vor Augen hatten, fürs erste noch nicht erreicht werden. Denn als der Wagen immer näher gekommen war und Waldemar sich schon in der Mitte des Weges aufgestellt hatte, um ihm den Paß zu vertreten und die Gäule zum Stehen zu bringen, so ward doch dies kühne Unternehmen dadurch vereitelt, daß der Weg gerade an dieser Stelle sehr eng war und bergab führte, der Lauf der Pferde also überaus heftig war und eine ungleich größere Gewalt dazu gehört hätte, das Wagestück auszuführen, als sie Waldemar zu Gebote stand. Das sah er auch in demselben Augenblick, aber leider zu spät ein, als er das Gefährt erblickte, das mit rasender Schnelligkeit um die nächste vorspringende Ecke vom Berge herabgerollt kam und ihn unfehlbar zerschmettert haben würde, wenn er auf der behaupteten Stelle stehen geblieben wäre. Rasch sich daher besinnend, sprang er wie der Blitz in das Gebüsch zur Seite des Weges auf die steil ansteigende Berglehne, und mit ihm die beiden Gefährten, die jeder seiner Bewegungen mit schnellem Auge gefolgt waren.

Der Wagen selbst aber war ohne Zweifel der sehnsüchtig erwartete, denn er war hoch bepackt und mit einer Leinwanddecke überspannt, und aus dem Vordersitz saßen zwei Franzosen, während dicht hinterher, einzeln nacheinander reitend, zwei Chasseure folgten, die wahrscheinlich die Schutzwache der in Sicherheit zu bringenden Beute bildeten. Ein Offizier war nicht unter ihnen gewesen, das hatte sowohl Waldemar wie seine Begleitung bemerkt, und ersterer stand, nachdem der Wagen dicht an ihm vorübergerasselt war und ihn über und über mit Kot bespritzt hatte, unschlüssig da, indem er nicht wußte, ob er dem Wagen folgen oder den Hohlweg vollends zu Ende gehen sollte, um auch den Führer des Zuges zu treffen, der jedenfalls noch kommen mußte, da ihm kein anderer Ausweg übrig blieb.

Die drei Männer eilten sofort auf einander zu, um zu beratschlagen, was unter diesen Umständen zu tun sei; endlich gab Waldemar dahin den Ausschlag, daß er riet, schnell nach dem Eingang der Schlucht umzukehren, um den dort Wache haltenden Matrosen zu Hilfe zu eilen, die jedenfalls sich dem Wagen entgegengeworfen hätten.

»Herr,« sagte der eine Matrose und faßte respektvoll an seinen Hut, »wir brauchen uns nicht zu übereilen! es sind, ihrer sechs da vorne, und der Weg ist breit und tief ausgefahren. Dort wird man nicht im Galopp reiten und fahren, und sechs handfeste Schweden werden schon mit diesen vier kleinen Franzosen fertig werden.«

»Wohlan denn, so geht langsam hinab; ich werde sogleich nachkommen, so bald ich dort oben um die Ecke gelugt habe, von der man etwas weiter in die Schlucht hinab sehen kann.«

Scheinbar ungern gehorchten die beiden Seeleute, denn es widerstand ihrem Gefühle, ihren kühnen Führer allein vorschreiten zu lassen, da ihrer Meinung nach noch Bewaffnete hinter dem Wagen her kommen konnten. Allein dennoch trennten sie sich von ihm und schritten rasch dem Wagen nach, den sie indessen schon, als sie den Eingang des Hohlweges erreichten, in den Händen ihrer Gefährten fanden, nachdem die beiden reitenden Jäger, sobald sie die Überzahl des Hinterhalts erkannt, davon gesprengt waren und die Beute mit den Wagenführern im Stich gelassen hatten.

Waldemar dagegen sprang behende den steilen Abhang hinan und lauschte mit wachsender Spannung, ob er nicht etwa den Hufschlag eines Pferdes in die Ferne vernehmen könne. Und in der Tat, kaum waren wenige Minuten verstrichen, so traf seine Erwartung ein und sogar das Schnauben eines trabenden Pferdes glaubte er zu unterscheiden. Da geriet denn des jungen Seemanns Blut wider seinen Willen in ungestüme Wallung und er mußte mit Gewalt die heftige Leidenschaft zurückdrängen, die sich in seinem Geiste Bahn brechen wollte, da er doch jetzt vor allen Dingen der Ruhe und kalten Überlegung bedurfte.

»Ha!« rief er ingrimmig mit den Zähnen knirschend aus, »jener Wagen mit seinen Reitern war nur der Vortrab des gewissenlosen Räubers, mit der Beute beladen, die er dem Grafen in Spyker abgenommen hat; jetzt aber kommt er selber, der edle Herr, wohlweislich im Nachtrab und vor jedem möglichen Angriff bewahrt, nachdem ihm die gemeinen Leute erst den Weg frei gemacht haben. Allein er hat sich verrechnet, diesmal wird ihm das geraubte Gut nicht gedeihen, hoffentlich wird es schon jetzt in den Händen der Meinigen sein. Wehe nun ihm selber und seinen Absichten! Wir wollen sehen, ob wir auch ihn fassen und fangen können; für Mörder und Diebe haben wir Eisen und Fesseln, um sie für uns und die Unsrigen unschädlich zu machen.

Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gedacht, so zeigte sich ihm in der Ferne schon der erwartete Reiter, der, allzu sicher und keck in seinem soldatischen Trotze, ohne jede Begleitung in glänzender Uniform auf schweißbedecktem Pferde dahertrabte und die kleine Anhöhe zu gewinnen trachtete, auf der Waldemar wie eine Säule und mit einer Miene stand, als wollte er sagen: »Halt vor der Prora, mein Lieber! Bis hierher und nicht weiter, denn hier ist der Markstein deiner Erdenlaufbahn gekommen!«

Der Reiter kam näher, und erst jetzt erhob er das düster glimmende Auge und sah den Mann stehen, der ihm mit seinem mächtigen Leibe den schmalen Weg vertrat, welcher allein zum erstrebten Ziele führte, aber er erkannte ihn noch nicht, denn in der schwedischen Uniform, die er heute trug, hatte er ihn noch nie gesehen, und im Laufe der vier Jahre, die seit ihrem ersten Zusammentreffen verflossen, hatte sich vielleicht auch der Eindruck verwischt, den er in seiner Erinnerung von ihm bewahrte.

»Er ist es,« sagte sich dagegen Waldemar Granzow und nahm eine noch festere Stellung ein. »Ich kenne ihn an seinem Habichtsgesicht und seiner hochmütigen Haltung, mit der er sich brüstet, als wäre er der Kaiser selber, dessen Namen er so oft gemißbraucht hat. Halloh! Dich führt Dein böses Geschick hierher, und ich mache dir nicht Platz; zurück mußt du oder der gemordete Brahe hat mir seine Rache umsonst vermacht!«

In diesem Augenblick hatte der Reiter ihn erreicht und schaute mit grellem und verwundertem Blick auf den kühnen Mann, der ihm den Engpaß vertrat und sein scheues Pferd schon zum Stehen gebracht hatte.

»Die Hand vom Zügel und Platz gemacht, im Namen des Kaisers!« rief der französische Kolonel wutschnaubend dem unerkannten Fremden zu.

»Geduld!« versetzte mit ruhiger Stimme der Seeoffizier, »Geduld, mein Herr! Hier hat Ihr Kaiser nichts mehr zu sagen, und ich stehe auf meinem Grund und Boden im Namen des Königs von Schweden, der mich hierher befehligt hat, um den Räubern die Beute abzunehmen, die sie ungerechterweise sich zu eigen gemacht haben. Begrüßen wir uns aber zuerst persönlich, und so sage ich: Guten Tag, Monsieur de Caillard – kennen Sie mich nicht?«

Dabei nahm er seine goldverbrämte Mütze mit der Linken ab und zeigte dem Kolonel ein von innerer Wallung dunkel gerötetes Gesicht und ein paar düster drohende Augen mit dem Ausdruck eines Willens und einer Kraftfülle, die dem Franzosen offenbarten, daß er es hier mit einem freien Manne und keinem Knechte zu tun habe.

»Ha!« schrie er wild und nicht ganz ohne Besorgnis, »was sehe ich! Den Deserteur, den Geächteten, den Spion! Bube, mach' Platz, oder auch deine Stunde ist endlich gekommen!«

Waldemar hatte seine Mütze beiseite geworfen und stand jetzt mit sprühenden Augen vor dem französischen Obersten, wobei er schon seinen Arm mit dem schweren Stock erhoben hatte.

»Geduld, sage ich, mein Herr! Wessen Stunde von uns beiden gekommen ist, steht bei Gott, aber ich weiche Ihnen nicht aus, und sollten mich die Hufe Ihres Pferdes zermalmen. Ziehen Sie also die Zügel an und spornen Sie es nicht auf mich, sonst vergesse ich, daß wir jetzt im Frieden leben und gedenke allein, daß Sie der Mörder eines Mannes sind, der einst mein Freund und Bruder war.«

Der Kolonel, einsehend, daß er in eine ernste Lage geraten, und daß hier keine Zeit zu verlieren sei, wenn er vorwärts kommen wolle, hatte vorsichtig und leise mit der Rechten in seine Satteltasche gegriffen und den Hahn der darin steckenden Pistole gespannt. Aber er hatte dabei nicht auf das schnelle und haarscharfe Auge seines Gegners gerechnet, das jeder seiner Bewegungen gefolgt war, und dessen Geist instinktartig seine nächste Absicht erriet. Immer noch den Zügel des Pferdes mit der Linken haltend und es Schritt vor Schritt rückwärts den Berg hinabdrängend, gab er allein auf die rechte Hand des Gegners acht, der, den Augenblick für günstig haltend und sein beliebtes: »En avant!« rufend, rasch die Pistole hervorzog und abdrücken wollte. Aber in demselben Moment fiel mit dem Rufe: »Rückwärts heißt es jetzt bei uns!« der wuchtige Stock des Seemanns über den Hals des Pferdes her auf seinen Arm. Hart getroffen sank er nieder, und zugleich ging die Pistole los, deren Kugel schadlos in den weichen Erdboden fuhr. Das triefende Pferd aber, unruhig und zum Vorwärtsdrängen geneigt, empfing den heftigen Schlag auf eine empfindliche Stelle, und, kerzengerade in die Höhe steigend, verlor es auf dem abschüssigen Wege das Gleichgewicht, stürzte hintenüber in das blattlose Gesträuch, das hart am Wege stand, und begrub unter seiner Last den Reiter, der, ohne einen Laut von sich zu geben, bewegungslos unter dem Leibe desselben liegen blieb.

Jetzt sprang Waldemar schnell zu dem Pferde hin und den Zügel ergreifend und daran zerrend, brachte er es schnell auf die Beine, worauf es, nachdem es sich geschüttelt, zitternd stehen blieb und verwundert den Fremdling anschaute, der es samt seinem Herrn zu Falle gebracht. Aber sich nicht mehr um das Pferd bekümmernd, trat Waldemar an den gefallenen Franzosen heran, und da er ihn still am Kopfe blutend auf der Erde liegen sah, bückte er sich schnell zu ihm nieder.

Und merkwürdig, gerade da, wohin der Kopf desselben geschleudert war, lag ein scharfgekantetes Felsstück, das ohne Zweifel der Zufall hierhergebracht hatte, das aber dennoch bestimmt gewesen zu sein schien, die Klippe aller ferneren Entwürfe des beutesüchtigen Reiters zu werden.

»Kolonel!« rief der Sieger dem Besiegten zu. »Hören Sie mich? Sehen Sie mich? – Ah, er röchelt schon – sollte es so rasch mit ihm zu Ende gehen? Deine eigene Schuld, Mann, du hast dich selbst zu Falle gebracht. Aber wir wollen sehen, ob wir nicht noch Hilfe bringen können.«

Und er bückte sich ganz nieder, faßte den widerstandslosen Körper unter die Arme und zog ihn auf eine höhere Stelle der Berglehne hinauf, wo er ihm eine bequeme Lage gab, sein Auge untersuchte, und als er es noch voll Leben fand, rasch das Pferd bestieg, um nach dem Eingang der Prora zu sprengen, von wo ihm eben einige Leute mit der Kunde entgegenkamen, daß der Wagen erbeutet und die beiden Franzosen gefangen genommen wären.

»So geht zurück und laßt sie laufen, damit sie zu ihren Landsleuten kommen und ihnen erzählen, daß ihr Oberst bei einem Sturze mit dem Pferde sich tödlich beschädigt hat. Ihr aber kommt bald wieder dort hinauf und helft mir den Verwundeten nach dem Heidekrug bringen, das ist der nächste Ort, wo ihm Hilfe oder ein Grab zuteil werden kann.«

Die Seeleute beeilten sich, den erhaltenen Befehl auszuführen, und in wenigen Minuten fanden sie sich wieder bei ihrem Führer ein, während einige von ihnen den Wagen bestiegen hatten, um ihn wieder nach Spyker zurückzufahren, woher er mit seiner Beute gekommen war.

Den Verwundeten aber fand man in derselben Lage vor, wie ihn Waldemar verlassen hatte. Man hob ihn auf das Pferd, unterstützte ihn dabei und führte dasselbe nach dem Heidekrug, wo er indessen schon nach einer halben Stunde verschied, da nicht allein sein Kopf gespalten war, sondern auch die Wucht des Pferdes seine Brust tödlich gequetscht hatte.

An derselben Stelle aber, wo Kolonel Caillard fiel, sieht man noch heute ein kleines steinernes Kreuz aus dem Heidekraut ragen, obgleich die verschönernde Menschenhand auch diesen Weg geebnet, erweitert und zu einer chaussierten Straße umgestaltet hat. Alte Leute erzählen gern, wenn man sie danach fragt, wie an dieser früher gefährlichsten Stelle der Prora ein französischer Offizier, der sich mit großer Beute habe flüchten wollen, von Waldemar Granzow, dem braven Rügianer, ertappt und infolge des Pferdesturzes, wie wir es berichtet, sein Ende gefunden habe.

Nachdem Waldemar vom Heidekruge aus das Pferd des Kolonels mit einem besonderen Boten nach Bergen, den eroberten Wagen aber mit zweien seiner Leute nach Spyker gesandt und dem Kastellan die herzlichsten Grüße hatte sagen lassen, folgte er seiner Pflicht und kehrte wieder nach Bergen zurück, wo er indes erst am späten Abend eintraf und hörte, daß kein Franzose mehr in Bergen sei, und daß sie sogleich abmarschiert wären, sobald die beiden waffenlosen Soldaten und der Bote mit dem Pferde die Nachricht des Todes ihres Obersten überbracht und die Meldung hinzugefügt hätten, es sei eine ganze Armee Schweden gelandet, und sie drängen schon heran, um den Franzosen den Rückzug nach Stralsund abzuschneiden.

So war denn Waldemar Granzows Pflicht auch in Bergen erfüllt; er blieb die nächste Nacht daselbst und kehrte erst am frühen Morgen des anderen Tages nach Sassnitz zurück, um seinen Eltern mit ergriffener Seele aber ohne Prunk und Ausschmückung das Erlebte sowie den Tod des kleinen Tyrannen von Spyker mitzuteilen.


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