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Drittes Kapitel.

Die Vorboten des Orkans.

Waldemar hatte nicht unrecht gehabt, als er vom nahenden Orkan gesprochen, denn er sollte in der Tat bald von neuem über das kleine Land hereinbrechen. Vor ihm aber liefen verschiedene Vorboten her, die, wenn man sie im rechten Lichte sah und im bedächtigen Geiste erwog, schon schließen ließen, was für ein Dämon in ihrem Gefolge sein werde, und Waldemar Granzow war bei weitem nicht der einzige Mann auf Rügen, der die Anzeichen des Unwetters aus der Ferne erkannte.

Die im vorigen Kapitel beschriebenen Vorfälle fanden in den letzten Tagen des März 1810 statt. Auf den ersten April war das allgemeine öffentliche Dankfest im Lande angesagt, welches die Regierung von Schweden für den mit Frankreich abgeschlossenen Frieden zu veranstalten für gut fand. Alle kleinen Kirchen auf der Insel waren, nachdem man sie ihrer heiligen Bestimmung zurückgegeben, von Menschen überfüllt, die ihrem Schöpfer aufrichtig für den Frieden dankten und ihn zugleich baten, das grollende Ungewitter, das sich schon wieder in der Ferne hören ließ, von den Ufern der heimatlichen Insel abzuhalten.

Auch auf der Halbinsel Jasmund feierte man diesen Tag mit inbrünstigem Herzen, und die ganze Bewohnerschaft des südlichen Teils derselben war nach Sagard geströmt, um den verehrten Geistlichen daselbst zu hören, der, wie immer, auch diesmal wunderbar ermutigende Worte sprach und alle Zuhörer mit neuen Hoffnungen erfüllte. Auch der Strandvogt nahm mit seiner Frau und seinem Sohne an dieser Predigt teil, und als er gegen Mittag wieder nach dem Kiekhause zurückkehrte, glaubt? er so fest an einen ewigen Frieden Schwedens mit ganz Europa, daß Waldemar es schwer gefunden haben würde, ihn vom Gegenteil zu überzeugen.

Sechs Tage später fand eine neue Feierlichkeit innerhalb der Grenzen des schwedischen Reiches, also auch auf Rügen statt. Man feierte die Huldigung des neuen Königs Karl XIII., wozu Deputierte von allen Städten nach Stockholm abgeordnet waren, um bei ihrer Rückkehr in die Heimat die Beschreibung des großen Aktes in alle Richtungen des Reiches zu tragen. Allein schon diese Deputierten, als sie eine Woche später wieder in Deutschland anlangten, brachten die wunderbare Meldung mit heim, daß der neue König, in seinen hohen Jahren sich zu schwach fühlend, um die Regierungsgeschäfte in so verhängnisvollen Zeiten allein zu leiten, dem Entschlusse nahe stehe, noch bei seinen Lebzeiten einen jüngeren und kräftigeren Thronfolger zu wählen, da er selbst leider kinderlos war. Dieses schnell in die Runde laufende Gerücht bestätigte sich früher, als man es für möglich gehalten, und zufolge der einstimmigen Wahl des Königs und der Stände ward Herzog Christian August von Schleswig-Holstein-Augustenburg zu seinem Nachfolger und Helfer erlesen. Als aber dieser sehr bald darauf eines noch nicht hinreichend erklärten Todes starb, wählten König und Stände im August 1810 den bekannten General Bonapartes, Bernadotte, zum Kronprinzen des schwedischen Reiches.

So kam wider Vermuten ein französischer General aus der Schule des Länderverwüsters Napoleon auf den nordischen Thron, und obgleich nicht alle Schweden mit seiner Wahl einverstanden waren, da er nur der Sohn eines einfachen Rechtsgelehrten in Pau war, so fiel sie doch später nicht zu Ungunsten des Vaterlandes aus.

Während der Zeit nun, daß Karl XIII. die Regierung führte, erfreute sich Pommern und Rügen zwar des im April gefeierten Friedens; da aber infolge dieses Friedensschlusses alle Häfen geschlossen, jeglicher Handel mit England den Einwohnern untersagt war und überhaupt die Stipulationen des Napoleonischen Kontinentalsystems strenge durchgeführt werden sollten, so konnte das arme Land die Wunden des Krieges nicht so leicht verschmerzen, zumal auch noch bald wieder neue Steuern und Abgaben behufs einer abermaligen Kriegsrüstung erhoben wurden.

Diese Kriegsrüstung fand gegen England statt, zu der der Schwedenkönig von Napoleon gedrängt worden war, um auch dadurch seinem unüberwindlichen Hasse gegen die stolzen Briten, die ihm trotzdem mit ihrer Macht und ihrem Gleichmut imponierten, Luft zu machen.

Schon im Mai verbreitete sich aus Rügen das Gerücht, es würden Schiffe von Schweden kommen, um die auf der Insel ansässigen Seemänner, die Lust hätten, sich am Kriege zu beteiligen, an Bord zu nehmen und nach Schweden zu führen, um ihnen auf verschiedenen Kriegsschiffen ihren Kenntnissen entsprechende Stellungen anzuweisen. Bald nach dem Gerüchte gingen Landboten hin und her und verkündeten laut, daß am 15. Mai die Schiffe teils in Stralsund, teils auf der südlichen Spitze der Buge in Wittow, teils auf Groß-Zicker in Mönchgut anlegen würden, wohin sich bis zum 20. Mai alle diejenigen begeben sollten, die Kriegsdienste zu nehmen gesonnen wären.

Als diese Nachricht nach Sassnitz kam, erregte sie im Hause des Strandvogts einen namenlosen Jammer, denn die alten Leute konnten den Gedanken kaum ertragen, ihren einzigen Sohn schon wieder dem ungewissen Kriegstreiben preisgegeben zu sehen, und doch wußten sie, daß Waldemar sich durch ihre Bitten nicht würde abhalten lassen, unter die Flagge seines Vaterlandes zu eilen. Dennoch aber hegte dieser ein ernstes Bedenken, dem Rufe ohne weiteres Folge zu leisten. Wäre der Krieg gegen Frankreich gerichtet gewesen, keiner hätte freudiger die Waffen ergriffen als er; aber gegen England zu kämpfen, auf dessen Seite er in der glorreichen Schlacht bei Trafalgar siegreich gegen Napoleon gefochten, sagte seinen Gefühlen und politischen Ansichten sehr wenig zu. Von dem Schwanken jedoch, in welches er demnach geraten war, befreite ihn endlich das sich wiederum rasch verbreitende Gerücht: der Krieg gegen England sei gar nicht ernstlich gemeint, Schweden begünstige sogar unter der Hand den Verkehr mit den Engländern und es warte nur eine günstige Gelegenheit ab, sich mit Großbritannien gegen Frankreich selbst zu verbünden, und nur für diesen Fall wolle es seine Flotte instand setzen, und dazu bedürfe es der kräftigsten und seekundigsten Männer.

Dieses Gerücht, an dem manches wahr sein mochte, drängte Waldemar zu einem plötzlichen Entschluß, und so trat er am 18. Mai vor seine Eltern und teilte ihnen mit, daß er am folgenden Tage nach Wittow wandern werde, um sich auf dem an der Buge ankernden Schiffe einschreiben zu lassen.

Vergebens flossen nun die Tränen der herzlich bekümmerten Mutter, vergebens sank der Vater in ein trübes Schweigen, Waldemar tröstete sie, so gut er es vermochte, und wies mit schlagenden Worten auf seine Vorhersagung hin, die sich nun schneller als man gedacht, bewahrheitet hatte. Durch diesen Krieg aber, sagte er, werde der künftige wirkliche Friede eingeleitet werden, und somit sollten die Eltern nicht trostlos sein, er werde glücklich vom Felde der Ehre heimkehren, das sage ihm ein inneres Bewußtsein, und dann werde nur Freude und Glück unter ihnen herrschen, die ja doch aus ihrem Gemüt verbannt sein würden, wenn er zu Hause bliebe und nicht an den ruhmreichen Taten seiner Landsleute teilnehmen wollte.

Durch solcherlei Reden wurden die Eltern zur Billigung seiner Absichten bewogen, und wieder war die. Zeit gekommen, wo Mutter Ilske dem teuren Sohne das Bündel schnürte, wo der Vater ihm seine besten Waffen übergab und ihn mit dem väterlichen Segen aus dem stillen Hause entließ.

Als Waldemar Abschied von den Eltern genommen und, das Ränzel schon auf dem Rücken, vor ihnen stand und beider Hände hielt, da sie nicht von ihm lassen wollten, trat endlich auf einen Wink der Mutter der Strandvogt beiseite und verließ sogar bald darauf das Zimmer.

»Waldemar,« sagte Mutter Ilske, indem sie mit ihrer schneeweißen Schürze die hellen Tränen zu trocknen bemüht war, die aber immer wieder von neuem aus ihren alten Augen hervorquollen, »welches Schiff wirst du aufsuchen, das in Zicker, oder das, welches vor Wittow liegt?«.

»Ich werde nach Wittow gehen, Mutter, dort bin ich gleich näher an meinem Bestimmungsort.«

»Ich dachte,« sagte die Mutter mit leiser und doch verstandener Betonung, »du würdest lieber das in Mönchgut wählen, um – um noch einmal –«

»Mutter,« unterbrach sie der ernste Sohn mit von innerer Glut strahlendem Gesicht, »nenne ihren Namen nicht. Ach, jetzt beim Scheiden sage ich dir, daß er mir so teuer ist wie der deine, aber – sehen, noch einmal sehen und dann gleich verlassen, kann ich sie nicht. Ich habe ihr einst auf ihre Frage, wann ich zurückkehren würde, gesagt: wenn wir Frieden hätten oder Sieger wären, und das halte ich noch heute fest. Jetzt haben wir keinen Frieden, aber Sieger werden wir künftig sein, das sagt mir mein Herz, dem ich darin vertrauen kann. Gehe du selbst aber zu ihr und grüße sie von mir – ja, grüße sie herzlich und sage ihr, daß ich ihrer gedenken werde in Not und Gefahr, wie in Freude und Glück. Mehr kann ich jetzt nicht sagen.«

Fünf Minuten darauf war er dem Auge der Mutter entschwunden und zwei Tage später schon war er ein Bewohner des königlichen Schiffes, das ihn nach Schweden trug, wo er, nach abgehaltener Prüfung als dritter Leutnant auf die Fregatte Ingiald versetzt wurde, die nach ihrer Ausrüstung im Monat darauf zum Kreuzen in der Ost- und Nordsee bestimmt ward. Denn bald darauf war der Krieg gegen England erklärt worden, der aber ebensowenig ernstlich gemeint war, wie der Friede, den Napoleon mit Schweden geschlossen hatte, wie die folgenden Ereignisse sehr bald genügend dartun werden.

 

In Hoffen und Bangen verstrich den Bewohnern des Kiekhauses rasch die Zeit; der Sommer war dem Frühlinge, der Herbst dem Sommer gefolgt und nun ging man schon wieder dem Winter entgegen. Während dieses Winters hatte das einsame Elternpaar die Freude, öftere Briefsendungen von dem abwesenden Sohne zu erhalten, der ihnen meldete, daß er gesund und wohl und bereits infolge einiger Auszeichnungen bei verschiedenen Gelegenheiten zum zweiten Leutnant auf dem Ingiald avanciert sei.

Diese Briefe, die jeden Abend wieder herbeigeholt und laut vorgelesen wurden, bildeten das Hauptgespräch im Kiekhause und trügen viel dazu bei, den alten Leuten die Zeit zu vertreiben, die auch für sie wieder im Frühling des Jahres 1811 eine ernste und sorgenvolle werden solle. Zugleich hatten sie dabei Gelegenheit, einzusehen, daß Waldemars Entschluß zur guten Stunde gekommen und er noch beizeiten seinem Berufe gefolgt war, da er, wenn er jetzt noch auf der Insel verweilt hätte, zu einem anderen, ihm wahrscheinlich weniger zusagenden Dienste gezwungen worden wäre.«

Denn am 30. März 1811 erließ das General-Gouvernement zu Stralsund einen Befehl, der die Errichtung eines allgemeinen Landsturmes aus den Männern vom achtzehnten bis zum dreißigsten Jahr betraf, von welchen alle waffenfähige Mannschaft unter die Fahnen gestellt werden und nur Sieche und Krüppel ausgenommen sein sollten. Man gab vor, daß dieser Landsturm zusammentreten solle, um eine etwaige Landung der Engländer in Pommern und Rügen abzuwehren, im Grunde aber wollte man Truppen bei der Hand haben, die gegen jeglichen Feind, wer er auch sei, verwandt werden könnten.

Hiermit aber glaubte man noch nicht genug getan zu haben, um gegen alle Ereignisse gerüstet zu sein, denn der französische Kaiser erhob neue Forderungen an Schweden und runzelte die Stirn, daß man dem Handel der Engländer, der sich überall einzuschmuggeln drohte, nicht mit aller Strenge entgegentrete. So erschien denn am 25. April 1811 eine weitere Verordnung, wonach aus dem ausgehobenen Landsturm die beiden pommerschen Regimenter, das Engelbrechtensche und das Königin-Leibregiment, ersteres um 800 und letzteres um 300 Mann vermehrt werden sollten, die jedoch wieder nach Hause zu entlassen wären, sobald mit England Friede geschlossen sei, wozu alle Aussichten vorhanden waren.

Aber auch damit war das Ende der für des kleine Land so bedeutenden Rüstungen noch nicht gekommen, denn am 11. Mai 1811 folgte die Verordnung, daß alle waffenfähigen Männer der Insel bis zum zurückgelegten dreißigsten Jahre aus dem aufgezeichneten Landsturm jene beiden Regimenter bis zu 1200 Mann Stärke zu ergänzen hätten, wozu zwei Wochen später noch der letzte Erlaß kam, daß die wohlhabenderen Bewohner aus ihrer Mitte noch 88 Berittene stellen sollten, die ihre Pferde selbst hielten und zu jederlei Dienst, namentlich aber zu Ordonnanzen innerhalb des Landes zu verwenden wären.

Man kann sich vorstellen, daß alle diese Befehle, die in überstürzender Eile aufeinander folgten, die ganze Insel in Bewegung setzten und endlich dem Blindesten und Ungläubigsten die Augen öffneten, daß ein ernstlicher Zusammenstoß unvermeidlich sei, sowie daß man allein gegen Frankreich mit solchen Zurüstungen vorgehe, da England dem schwedischen Lande sich eher freundlich als feindselig erwies und alle Konflikte zur See vermied, die ihm bei seiner damals ungeheuer großen Flotte so leicht geworden wären.

Die Hauptlasten aber hatte das Land selbst und seine mehr arme als reiche Bevölkerung zu tragen, denn es war natürlich, daß alle diese von oben herab befohlenen Einrichtungen sehr kostspielig waren und große Summen erforderten, die durch Ausschreibung namhafter Kopfsteuern und andere außerordentliche Auflagen zusammengebracht werden mußten.

Mit ahnungsvoller Verwunderung und nicht immer ohne Murren wurden alle diese Neuigkeiten von den Städtern und Landbewohnern aufgenommen, wozu sehr viel die Unklarheit der ganzen Lage beitrug. Hätte man von vornherein gewußt, daß alle diese Rüstungen und Steuern wegen des verhaßten Kaisers Napoleon unternommen und auferlegt wurden, so würde man freudig das Letzte geopfert haben, um endlich die langentbehrte Ruhe zu erkämpfen, und Männer wie Jünglinge wären singend und fröhlich herbeigeeilt, um Spaten und Ruder mit Säbel und Bajonett zu vertauschen. So aber hatte man immer noch einen Krieg mit dem heimlich befreundeten England in Aussicht, und diese war nicht dazu angetan, den Mut zu spornen und die Leistungsfähigkeit bis auf den letzten Nerv anzuregen.

Darum gab jeder nur mit innerem Widerstreben, was er hatte und nicht hatte, denn man sah leicht voraus, daß die gebrachten Opfer wenig Anerkennung finden würden, da sie kein wünschenswertes Ziel betrafen, freilich verließen die jüngeren Männer ihre Höfe und Häuser und stellten sich ihren Exerziermeistern in den dazu angewiesenen Ortschaften, aber ein freudiger Wille tat sich nirgends unter ihnen kund, und ebenso mußte man viele Mühe aufwenden, die sparsam vorhandenen Mittel zusammenzubringen, da namentlich die weniger wohlhabenden Leute noch von der letzten Okkupation der Franzosen her unter der Schuldenlast seufzten, die ein großer Teil von ihnen noch nicht hatte abtragen können.

Einer der vielen, die schwer unter allen diesen Sorgen zu leiden hatten, war der Strandvogt im Kiekhause zu Sassnitz. Seine kärglichen Mittel waren schon seit dem Jahre 1809 erschöpft und er besaß nur gerade so viel, um sich bei seinem geringen Gehalte, der durch keinen Nebenverdienst während der Okkupation unterstützt wurde, von einem Tage zum andern durchzuhelfen, obgleich er bei weitem noch nicht der Ärmste unter allen seinen Nachbarn war.

Da aber kam ihm eine Hilfe, auf die er diesmal um so weniger rechnen konnte, als sie ihm schon früher so nachhaltig zur Seite gestanden hatte.

Hille war nämlich, sobald Waldemar nach Schweden abgesegelt war, nach dem Kiekhause gekommen und hatte erklärt, ihren Wohnsitz daselbst wieder auf längere Zeit aufschlagen zu wollen. Ein erwünschterer Trost konnte den beiden alten Leuten nicht zuteil werden. Mit offenen Armen empfingen sie den geliebten Gast und nun gab es doch wieder einige Freude in der einsamen Strandwohnung, die unverändert Sommer und Winter wechseln sah und deren Dach die Störche aus dem Süden so gut im Kriege ihre gastliche Ruhestätte betrachteten.

Als nun aber Hille bei der wachsende Not und Anspannung des verehrten Pflegevaters mit ihrer natürlichen Freundlichkeit zu ihm trat und bat, er möge sich nicht so ganz und gar der Sorge um das Materielle hingeben, vielmehr vertrauensvoll auf seine begüterten Freunde blicken, da erkannte er erst vollkommen, welchen Segen der gütige Gott mit diesem seltenen Mädchen ihm ins Haus gesandt habe. Nicht allein brachte Hille eine Kuh, zwei kleine Schweine und einen ganzen Wagen voll notwendiger Nahrungsmittel von Bakewitz mit, sondern sie öffnete auch sogleich ihre Absicht, dem Strandvogt die baren Gelder vorzustrecken, die demselben als Steuern von den Behörden auferlegt waren.

Staunen auf seiten des Mannes sowohl wie der Frau folgte diesem liebevollen Anerbieten, und von nun an war Hille die Lebenssonne der Alten geworden, um die sich alle ihre Hoffnungen drehten, zumal sie mit einer Entschiedenheit ohne gleichen fortfuhr, ihre Worte zu Taten zu machen und nicht allein dem von ferne drohenden Mangel abzuhelfen, sondern auch einen gewissen Wohlstand in das Kiekhaus zurückzuführen, der das Leben daselbst erträglich und zuzeiten sogar behaglich machte. So fügte sich denn der Strandvogt in alles, was Hille anordnete und unternahm, und wenn er auch nicht wußte, wie er ihr einst ihre Liebe vergelten sollte, so war er doch überzeugt, daß dieselbe keinen eigennützigen Grund habe, vielmehr der Ausfluß reiner Menschenfreundlichkeit und persönlicher Teilnahme sei, die sie auch geübt haben würde, wenn er keinen Sohn gehabt hätte, dem sie von ganzem Herzen ergeben gewesen wäre.

Von diesem Sohne nun wurde in Hilles Gegenwart wie von einem Menschen gesprochen, von dessen Erhaltung die ganze künftige Existenz der Familie abhinge, nie aber wurde eine Anspielung laut, die sein Verhältnis mit dem schönen Mädchen von Sassnitz betraf, denn daß eine solche dasselbe verletzte und ihr im Herzen wehe tat, hatte der alte derbe Strandvogt mehrere Male zur Genüge erfahren. So lebten sie denn ruhig, hoffnungsvoll und in ihr Schicksal ergeben fort, ein Tag nach dem andern schwand, ein Monat folgte dem andern und es näherte sich allmählich die verhängnisvolle Zeit, die Waldemar mit dem nahenden Orkan verglichen hatte, – ein Vergleich, der für Rügen wenigstens leider gar zu treffend war, was sich schon im Anfange des nächsten Jahres dartun sollte, wie der Leser sogleich erfahren wird..

Aber nicht allein für Rügen, Pommern und Schweden, nicht allein für die ganze seufzende europäische Welt, die von Napoleon mit Füßen getreten wurde, sollte die heranschreitende Zeit ein Orkan werden – Gott hatte in seiner allmächtigen Weisheit gewollt, daß dieser Orkan auch über Frankreich sich ergießen und endlich, nachdem das Maß seiner Langmut erschöpft war, den Titanen selbst zu Falle bringen sollte, der den schwer atmenden Völkern so lange die eisernen Zügel seiner Willkürherrschaft auferlegt hatte.

Wie dieser Orkan in den Eisfeldern Rußlands gegen ihn heranbrauste und wie er sich zerstörend und vernichtend von da nach Süden wälzte, Rußland, Deutschland befreite und endlich das hochthronende Frankreich in den Abgrund riß, das weiß der Leser zur Genüge, denn er hat es aus hundert Erzählungen und Berichten erfahren; wie aber dieser Orkan auch über Rügen dahinzog und diese kleine Insel mit in das Räderwerk verflocht, welches das große Triebrad in Paris in Bewegung setzte, das weiß er vielleicht nicht und im Verlaufe unserer Erzählung wird diese Darstellung ihm daher willkommen sein, zumal der Ausgang derselben im vollkommensten Zusammenhange mit dem Schicksale der Personen steht, denen er bis jetzt seine Aufmerksamkeit und vielleicht seine Neigung geschenkt hat.


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