Friedrich von Gagern
Im Büchsenlicht
Friedrich von Gagern

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Im Genesen

Und dann stieg ich wieder in meine Einsamkeit hinauf: in die Berge voll Sage, Schauer und Schönheit, in die Wälder, die mir stets Freunde gewesen und Hüter meiner heiligsten Geheimnisse; zum Wilde, das so klugen Blickes ist und reinen Sinnes, das so sanft und sacht durch den Frieden seiner Welt zieht, an dem alles Unschuld ist und Wahrheit. Hinauf – in das Grenzenlose der Empfindungen und Erkenntnisse.

Es hatte mich nicht lange drunten geduldet zwischen den Schatten der uralten Rüster und den Trutzmauern, die so viele meiner Schmerzen in Kühle gegruftet und mir doch immer von einer Erbschaft des gleichen Wehs und ewiger Triebe sprachen. Gleich dem seltsamen, ehrwürdigen Hausrat: den Teppichen, die manchen scheuen Buhlerschritt verschwiegen; den zarten Kelchen, die sich zu manch verhohlenem Zutrunk gehoben, an manch sehnsüchtige Lippe geschmiegt hatten, in denen mancher Wein der Freuden, mancher Linderungstropfen geglüht; den rostigen Wildererbüchsen im Stiegenhause und den Geweihen in der großen Halle, die ich zu besserer Stunde erbeutet, bebend in unbefangener Lust, gesunder, ursprünglicher Wünsche voll.

Wohl hatt' ich all das in Seligkeit gegrüßt; hatte geschluchzt wie ein Kind, als meine Waldberge aus der Ebene hervortauchten und sich zu lösen begannen von ihren Brüdern aus gleichem Stocke; war weiten Herzens, ausgebreiteter Arme in den rosigen Morgen hineingefahren, in meiner Täler lichte Sonnenschleier und 214 das Grün von Saat und Buchenhag. Und als ich dann die braunen Giebel wieder schaute, wie sie hinwegsahen über die Ulmenkronen und hinein in den Segen des Geländes; die lieben Firste, die so verklärt stehen gegen den kühlen Morgenhimmel; den friedlichen Qualm von Heimatherd und Heimatflamme: da war kein Halten mehr gewesen, und weinend schwenkt' ich den Hut den Willkommwinken zu, so von Erker und Söller niederwehten . . .

Und doch waren sie wiedergekommen, die Stunden des Grauens und der Seufzer. Die Nacht sank über diesen Tag, der nichts gewesen denn Wiedererkennen und Hoffen. Da war ich allein mit meinen Erinnerungen und dem Klang meiner Schritte, die ruhelos auf und ab irrten im dämmerigen Saal. Wohl stockten sie zuweilen; aber dann war's, daß ich nach anderen Tritten lauschte, Tritten, denen meine Sehnsucht galt – die nimmer kommen wollten; daß ich nach der Flügeltür spähte, die so herzlos verschlossen blieb, durch die keine helle Gestalt in meine Träume schwebte. Oder ich preßte die heiße Stirn gegen die Scheiben und starrte in die Mondnacht hinaus. Die lag so kühl und bleich auf der Welt und wiegte die schlafenden Zweige und rieselte über Dächer und Mauern . . . Selbst da herein goß sie ihre Schauer. Vom Schreibtisch glotzten blanke Blätter, ebenso rein, als ich sie damals verlassen; alte, dunkle Leinwand an den Wänden hub an, sich zu regen, also, daß unheimliche Fratzen hervorgrinsten; eine weiße Büste stierte mir ins Gesicht; blauweiße Schleier spannen sich über Estrich und Getäfel, weit in das Zwielicht des Saales hinein. Und dann wurde eines noch lebendig und lächelte traurig und sah gerade nach mir: ihr Bild . . . 215

Dein Bild, du, die du mich verließest, als ich darniederlag und nach Erlösung dürstete – damals, in den Nächten der Seufzer und des Schmachtens . . . Gestöhnt hatte ich, hatte mir die Finger wund gerungen in Bitten und Gebet, war ein Erbärmlicher gewesen in meinen Schwächen. Aber ich war einsam geblieben, keine Tür öffnete sich der Erlösung, keine Blüte legte man mir aufs Krankenlager . . .

Und dann war auch das überwunden worden. Ich genas zur schlimmen Erkenntnis; meine Fieberträume wurden wache Verzweiflung. Bis ich Frieden suchte an der Stätte, die jenen Qualen fremd war – im stillen Lande meiner Kindheit, wo sich die feierlichen Wälder wölben und das Vergessen Gluten wehrt und Frost: in meiner Heimat.

Und nun ich heim gefunden hatte, wunden Herzens, niedergerungen, ohnmächtig: nun erstand doch wieder das Weh in mir und schlich mir nach, Schritt für Schritt, und klopfte mir auf die Schulter wie ein alter Freund und griff nach meiner Seele.

Dort hing das Bild, totenbleich, mit zuckendem Antlitz, immerzu mir in die Augen starrend. Du hast mir nicht zu grollen, du!

Noch blieben Pfade, die ins Dunkel führen, Wege, auf denen mich auch die Erinnerung nicht finden kann; und draußen flutete die Mondnacht über die geliebten Berge. Das lockte mit tausend Winken . . .

Der mächtige Riegel flog dröhnend zurück, das alte Tor summte in seinen Angeln – dann stand ich draußen im blauen Licht.

Schwer stand das Schloß inmitten schwarzer Wälder: ein steinerner Traum mit weißem Gesicht und 216 stummen Augen. Das verwitterte Hirschgeweih auf dem Tore zackt trotzige Schatten, die Fichten neigen sich im Schlummer, von den Bergen weht es kühl zu Tal. Und droben hängt der Mond am Himmel, der so grundlos ist und keine Farbe hat und keinen Klang.

Er führt mich meine Pfade, der schwermütige Gesell, ganz wie in den Tagen, da ich um kein Weh wußte und kein Bangen, da mich wilde Jagdlust aus dem Pfühl scheuchte, nicht Sorge. Durch den Park, den starren, düsteren Park, wo die Bäume so feierlich stehen und sehnsüchtige Melodien sich aus dem Gesträuch emporringen in den Schimmer der Höhen; wo seltsames Schreiten über die Kieswege geht, ein gemessenes, ernstes Wandeln, bedächtig und weise. Der Rohrstock mit güldenem Knopf stößt gegen den Sand, alte Seiden knistern, es weht von anmutigen Fächern . . . Und die Bäume, die nimmer wachsen und verdammt sind zu ewiger Majestät, schauen still auf die hinab, so sie gepflanzt haben, daß der Urenkel im Schatten sich ergehe – der Urenkel, dem vor solcher Größe graut, und den Schritten der Väter, die das Werk gesät.

Droben, wo Ähren den Park säumen, müht sich die Straße hügelauf. Blendend fast leuchtet ihr weißer Schlangenleib zwischen den nickenden Halmen. Und jenseits dieser Halme, die sich in den Alltagsstaub neigen, daß er sie versengt und ihnen Fruchtbarkeit entsaugt und Farbe; die sich in den Straßenlachen spiegeln und den Schlamm nicht scheuen. mit dem ein vorüberrollend Rad sie besprüht: jenseits dieser Halme dehnen sich weite Felder im Mondschein. Silbernes Wogen läuft über die Saat, die schlichten Fenchelstauden am Rain senken ihre Dolden, ein Kauz flattert schwerfällig vom Schoberfirst weg. Manchmal ist's, daß ein 217 leichter Schatten die Flur entlang weht: dann schwimmen selige Wölkchen durchs Licht und kühlen sich schauernd in seinen Wellen . . .

Dann dacht' ich, wie so viele diese Straße ziehen zwischen Brache und Lenzkeimen und Erntesegen und Stoppel; wie da viele ihr Hoffen und Verzweifeln, ihre glückliche Müdigkeit und ihren Glauben heimgetragen oder hinaus in unbestimmte Fremde . . . Da erwachte in mir der Hochmut der frischen Wunde. Und ich wandte den Schritt in einen einsamen Steig, der da ins Holz kriecht, um den wenige wissen, und den alle meiden. Denn rauh ist er und steinig; er weicht keinem Eigensinn des Berges und keiner Wurzel. Das sind die rechten Wege für den, der in den Frieden wandern will und Kummer im Herzen hat; da muß er überwinden und vergessen. Auf der Landstraße ist keiner noch genesen. Zum Bettler geworden vielleicht.

Droben geht's an kleinen Weilern vorüber, wo die Nußbäume so traulich rauschen und Hunde hinterm Zaune kläffen. Die Waldberge heben sich aus dem Duft, fern, wie zarte, verklärte Träume; aber drunten im Tal rötet sich schon der Fluß, und das Weingeländ im Ost krönt dunstiges Licht.

Noch ist's nicht Morgen. Wegseits schwirren die Grillen; Nachtschwalben wippen um die Bohnenstangen. Und doch löst sich Farbe um Farbe aus dem Schimmer der Mondnacht, die Häuser werden bleich, die Bäume auf dem Hügelkamm strecken schwarze Zacken in den Himmel. All das Wesenlose erstarrt in Form und Körper; das Rätselhafte aber, das Unbestimmte, das im Finstern seine Tatzen reckt und droht und faucht: das schlüpft ins Natürliche und blickt uns unschuldig an, als gäbe es keine Stunde des Grauens, keine 218 Freiheit für die, die wir nicht sehen, und die Herren sind über uns.

Empor, empor aus den Schatten! Denn lichter wird's auf den Höhen, immer freier und weiter. Die Wälder wachsen aus der Dämmerung, und stille Blumen steigen aus den Wiesen. Selbst unten in den Fluten klärt sich's; der Fluß hat Ufer, das Hügelland weist Kämme und Gestalt. Dort, wo die Welt in den Himmel fließt, dort raucht eine Stadt mit schlummernden Menschen und wachen Lastern, mit Armut und Seligkeit: dort sieht ein feierlicher Dom zu seinem Gott hinauf und morgend Glockenwogen kündet seine Ehren – auch meiner Gemeine da heroben, die so heidnisch ist in ihrer Schönheit.

Dann ist die Stunde des Triumphes da.

Nebel wallen zur roten Sonne empor, wie berauscht von ihrer Schönheit, wie süßer Weihrauch, in dessen Wolken buntes Morgenlicht glimmt. Und durch die Wälder rauscht's wie von einer Orgel, mir ist's, als hört' ich jubelnde Posaunen, eine Kantate braust aus blauen Chören in dies Münster herab . . .

Der Tag! Der Tag! Die Sonne!

Wärst du jetzt mir zur Seite hier oben; sähst du all diese Gewalt und Schönheit; hörtest du mit mir diese Stimmen, schautest diese Opfer, diese Brände, diese Verzückungen: auch dein Herz müßte sich in reine Einfalt wenden, und mein wärst du in tiefster Überwältigung! . . .

Was war sie von mir gegangen, bevor sie die Höhen mit mir geteilt!

* * *

Ich weiß nicht mehr, wie lange meine Andacht währte; wie lange ich hinuntersah in die leuchtenden 219 Nebel des Tales, auf die verklärten Berge und die kleinen, träumenden Menschen; wie lange meine Seele hineinlauschte in dies Gloria, in dies strahlende Credo . . .

Dann schritt ich waldein. Vielleicht meine wehmütige Seligkeit in Schatten zu bergen; vielleicht sie dort zu verstehen, ihr nachzusinnen und den Schmerzen, die sie geboren.

Die Wurzeln einer pfeilergeraden Riesenbuche sind mir Ruhsitz und Betstuhl zugleich.

Betstuhl fürwahr.

Die frommen Schauer dunkler Kirchenschiffe wehen durch diese Wölbungen. Zart nur tritt der Fuß in das braune Laub und das trockene Reisig, daß nichts den Menschen verrate, der sich da hereinschleicht – mitzubeten oder zu – jagen. Wie im Dom jeder das Hallen seiner Schritte scheut. Durch eine Lücke in den Kronen fließt sanftes Sonnenlicht; Mücklein wirbeln im Strahl, das zarte Maßwerk eines Spinnennetzes tritt aus seiner Unscheinbarkeit hervor. Mir ist, als dehnten sich die grauen Buchen behaglich im warmen Scheine, als bräche junges Grün aus dem Unterwuchs. Spechtmeisen werden lebendig, in der Spreu scharren die Drosseln, ein Häher kreischt entsetzt auf. Und schwindelnd hoch überm Tale schrillt der gierige Pfiff eines Schreiadlers.

Immer dieselben Laute, immer noch dieselbe Stimmung. Wie vor langen Jahren, da ich meinen ersten Rehbock schießen durfte und der alte Jäger mich in diese Waldseligkeit führte. Damals freilich, damals wußte meine junge Seele nur von süßer Andacht; aber sie ahnte keine Deutung und sehnte sich nach keiner. Damals empfing ich die Eindrücke, wie die Stunde sie mir 220 zuwehte, zaghaft, atemlos, unbefangen. Und übermächtig schlugen die Pulse, als der starke Bock seines Wechsels gezogen kam: das Herz würgte sich in die Kehle hinauf, die Büchse zitterte in der Hand, kaum fand das Auge Korn und Ziel. Als dann der Bock im Strahle niederbrach und die Lehne herabrutschte, schlegelnd, daß die Laubstreu flog: da gab es für mich keine Ehrfurcht, keine Scheu. In gierigen Sätzen erreichte ich die Beute, weinend fast klammerte ich mich an das Gehörn . . .

Damals war ich gerade erst zu ursprünglichen Genüssen reif.

Heute ist alles Erinnerung, Sinnbild, Sehnsucht. Träume umschläfern meine Sinne, ich denke der wilden, reinen Knabenzeit, der schwersten Stunden und des kaum Überwundenen, der Dämmerung des nächsten Morgens. Mit Bewußtsein schlürfe ich am verjüngenden Quell, der mir so lange nicht gerauscht, mit still-inniger Freude grüße ich jeden dieser trauten Töne, die ich nun alle zu deuten weiß, die mir inzwischen Sprache geworden und Gedicht. Und einer gemahnt mich des anderen, der nun notwendig kommen muß, wie's mich die Jahre gelehrt. Und sie kommen alle, jede Farbe, jedes Lied, jeder Gedanke. Nur daß sie mir heute einen anderen Glauben künden . . .

Es ist nur der Mensch, der Vergänglichkeit hineinträgt in diese nimmer welkende Welt. Ihm ziemt die Lehre von Tod und Geburt – denn er allein ist es, der stirbt und nicht wieder derselbe wird. Die Welt aber ist ewig und altert nicht; es sei denn, der Mensch pflügte ihr Runzeln ins Antlitz. 221

* * *

Im Unterholz knistert's, ganz leise und schüchtern. Ein Schmalreh zieht den Wechsel herunter, vertraut zugleich und zag. Immerzu äugt es nach der Fichtenschonung zurück. Dort wird etwas rege, ein roter Körper schiebt sich durch die Stangen, eine weiße Stirn lugt mißtrauisch in das Holz hinaus. Aber das Schmalreh kennt kein Bangen; ungeduldig tritt es umher, wie spielend tut es ein paar wilde Fluchten. Da hält es den Verliebten nicht länger. Wie ein Toller fährt er durch die aufprasselnde Streu, er hetzt das Reh im Kreise umher, er stutzt und stampft den Grund, daß Moos fliegt. Und wieder fahren sie zu lüsternem Spiel durcheinander, verschwinden in einer dämmerigen Mulde, kommen zurück in wilder Fahrt . . .

Schon hebt sich die alte Büchse – ein gutes Rohr, das mir durch bittere Wochen und heiße Monde treu geblieben. Der Schaft schmiegt sich zur Wange, der Lauf fährt dem Bocke nach, das Korn sucht das Blatt nach dem Leben . . .

Wohl knipst der Schneller ab – aber kein Knall folgt. Ich hatte nicht gespannt . . .

Wieder steht er mir breit und weist ein freies Blatt.

Und dann zwingt es mir die Waffe nieder; ein weicher Schleier senkt sich vor das Wild; kein Willen vermag die holde Torheit zu scheuchen.

Talwärts geht das Brunfttreiben. Junge Stämmchen knacken, ab und zu tut der Bock einen trotzigen Schmäler. Dann keucht er wieder seinem Friedel nach, gierig, strotzend von Kraft und Trieb.

Brunfttrieb! . . . Heilig und rein, wenn es hohe Zwecke gilt. Und das Tier opfert ihm nicht um der 222 bloßen Lust willen. Denn noch gehorcht es jenen Gesetzen, von denen der Mensch frei wurde, zu seiner Qual . . .

* * *

Wie wurde es nur Mittag?

Dem Schauenden fließt die Zeit wie Woge und Wind. Wie bange spähte ich damals vom Krankenbette nach dem runden Glotzgesicht der Pendeluhr, die so träge ausschwang! Und die Stunden schleppten sich im Kreise, mühsam, zäh – wie ein lahmes Fuhrwerk im Lehm. Und doch wurde es auch dort Mittag und Abend – kam auch dem Fiebernden die lange, schwere Nacht, da die Kissen schwül wurden und das Herz verbrannte vor Sehnen und Gram.

Mittag!

Schattenlos fast stehen die Bäume im Felde, ein tiefes Ruhen ist da hereingesunken, voll von Segnung und Reife. Still, ganz still wird Seele und Welt . . . Alles so wunschlos, so schwer von Erfüllung und Frucht. Ein Turteltaubenpaar klatscht von der Brache weg und schwingt sich im Wildbirnbaum ein, der dort seine Zweige über den Rain breitet. Nur der Grünspecht hämmert fort und fort, gellend höhnt er der Feier der Tageswende. Immerzu nach Kerf und Wurm, immerzu um das liebe Futter gehackt, das tief im fremden Fleische seinem Zwecke entgegenharrt, selbst bohrend und sich mästend – für andere.

Da schwebt ein Schatten über Klee und Ähren. Der Schreiadler kehrt vom Raube heim. Und der Grünspecht pfeift bänglich auf, eilends bolzt er in einen anderen Hang hinüber. Dort schilt er lange noch seinen gewaltigen Störer. 223

Der Schreiadler hat in einer dürren Krone aufgehackt. Scharf ruckt der Kopf nach allen Seiten; der Räuber schüttelt sich, er sträubt das Gefieder, putzt die Schwingen. Nun erspäht er den Menschen drunten am Waldrand. Und wieder spreitet er die stählernen Fittiche, sein Schatten streicht über den Hag, er verschwindet hinter einer kleinen Kuppe, um erst in steiler Höhe wieder aufzutauchen. Dort steigt er zur weißen Sonne hinauf, unerreichbar für Blick und Willen.

* * *

Mittag am Waldesrand!

Drunten läuten sie leise Glocken. Die klingen so verträumt und selig wie Hummelsummen im Salbei. Es war Sonntag heut; Beter wallen aus dem Pfarrdorf in ihre Bergweiler hinauf, schmuck angetan mit frischer Schürze und Sträußlein in der Joppe. Klein, ganz klein sind die hellen Menschlein da unten in den Hohlwegen zwischen Hecke und Halm. Und wären es nicht Menschen, ich glaubte, sie schritten dem Frieden zu – dem Frieden und dem Glauben. Jenem Glauben an die Segnung, um den nur die Erntenden wissen und die Müden . . .

Eine junge Frau kommt den Feldpfad herauf. Sie war ein schönes Mädchen gewesen, einst. Gerade damals, als es in mir zu wallen begann von der Begehrlichkeit des eben Mannbaren. Auch ihr hatte mein Gelüst gegolten – oft war mir ihres Vaters Scheuer ein ruhsam Dach gewesen nach hartem Weidwerk.

Sie sah, erkannte mich.

Ob es da schön sei, im kühlen Schatten?

Freilich wär's schön. Nun, und wie es ihr ergehe im Hausstand? 224

O, recht gut. Fleißig müßten sie halt sein. Heuer hätten sie einen neuen Weinkeller gebaut. Und die Reben hingen voll. Zwei Kleine habe sie schon; und nun trüge sie das dritte . . . Sie müsse heut' über's Gebirg zur Base. Sie zu bitten, daß sie zur schweren Stunde gegenwärtig sei . . .

Dann schritt sie langsam zwischen den Brombeerhecken dahin, dem Walde zu . . .

Träume zogen über meine Seele, weich wie heller Wolkenflaum; Erscheinungen kamen und gingen, seltsame Bilder gestalteten sich. Ich sah die Mutter des Herrn, wie sie zu solcher Stunde durch das Gelände wallt, eine hohe, schöne Frau in lichtem Gewand, schwermütiges Lächeln um die Lippen. Sinnend läßt sie die blonden Ähren durch die Finger gleiten, sie beugt sich freundlich zu den kleinen, gelben Blumen, die um den Frauentag in der Grobmahd sprießen, ihr Fuß hinterläßt Blüte und Duft, ihre Gebärde Segen . . . Ich sah in einen Himmel hinein, wo Engel auf goldenen Wolken schlummern, wo Harfen rauschen und ewige Gärten leuchten . . .

Da knackt ein Reis, kluge Augen schauen mich an, unschlüssig trippeln zarte Läufe. Eine Mutterricke hat ihr Kitz herabgeführt, nachdem sie vielleicht wenige Stunden früher den Liebeszorn des Bockes genossen. Der kühlt sich jetzt irgendwo im hohen Farn; die Gefährtin heißer Lust aber hat noch reinere Liebe: sie betreut das Kleine, um dessentwillen sie nichts wissen darf von Erschöpfung und Ruhe . . .

* * *

Auf der Waldwiese will ich den Abend belauschen.

Diese Waldwiese! 225

Dort, bei einem mürben Felsblock an der Quelle hab' ich einst von Torheiten gestammelt, die mir später leid taten – als der Strom des Lebens höhere Wogen herabtrug. Drüben im schattigen Winkel hab' ich vor Jahren einen Bock gesehen, der noch heute in meinen Träumen spukt . . . Hier hatte ich schwüle Sommernächte durchwacht, hier unter dem eisigblauen Wintermond Fuchs und Otter abgelauert, hier die warmen Dämmerungen des Frühlenzes genossen und der braunen Schmetterlinge geharrt, die so samtweichen Fluges aus dem Sonnenuntergang hervorschwanken . . .

Der Tag taucht hinter schwere Wolken. Manchmal fährt es wie Stöhnen durch den Wald; dann weist das Laub seine helle Unterseite, die Birken winden sich angstvoll, schon taumeln gelbe Blätter ins Moos. Aber das Wehen erstickt bald in finsterem Brüten. Wetterschein jagt über die fernen Berge, Dunst verschleiert den roten Mond.

Heut tritt kein Wild aus.

Drunten wandern die Herdenglocken heim; und wenn ein Windstoß herüberkommt, ist's mir, als hört' ich das eilige Grasen der Rinder.

Dann reckt sich die Nacht von ihrem Lager, sie steht auf und schaut mit schwarzen Augen aus den Büschen. Die braune Erdscholle im Hohlweg flattert plötzlich in die Dämmerung hinaus, ein düsterer Aststumpf wird reg' und dehnt lautlose Schwingen und heult . . . Wieder erwachen die Gebannten und all das Tote, nun befreit von der Grelle des Tages. Häßliche Kröten stecken die Köpfe aus dem Bachtümpel, ein Salamander wälzt sich plump über den Grund. In Dorn und Strauch flattert's – ich weiß nicht, ob von müden Flügeln oder unholdem Getier. Flechtengraue Wurzeln kriechen ins 226 Geleis hinein, zähklebrige Spinnennetze senken sich wie zu Wehr und Hohn. Aus Farbe wird Schatten, aus lieben Gestalten Spuk, aus dem Liede banges Seufzen.

Wie ein sturmgebauschter Mantel ragen die Wolken in den Himmel. Das jagt auf schwarzen Rossen herauf, Funken splittern unter dröhnendem Hufschlag, die Höhen schnauben und sausen. Aber da unten schwirrt es von tausend seidigen Geigen, so lockend und süß, daß nackte Bornweiblein sich aus der Flut heben und nebelhaft Elbenvolk dem Grunde entschlüpft. Das reigt in wehenden Schleiern und hascht sich und leuchtet und schwindet . . . Alle wollen mit im närrischen Tanz: der Feuerschröter brummt den Schwebenden nach, Lattich und Farn und die bleiche Regwurz nicken so seltsam, die selbst ernsten Pilze drehen sich und möchten den plumpen Fuß aus der Erde ziehen . . .

Da flammen Wald und Wiese im Blaustrahl, schmetternd fährt der Donner nach, daß die Schwüle zerreißt und das Gestrüpp sich verschüchtert duckt. Und wie dann das Zürnen schwerfällig Berg und Halde hinaufrollt, lösen sich die Himmel, es pocht auf das Blätterdach, bedächtig erst, nun flinker: bis es zum vollen Rauschen schwillt – dem Liede von Hingebung und Erfüllung.

* * *

Das war aber die grüne Portiere, in welcher es rauschte. Und mir schien, als hätte eben jemand hastig eine Tür zugeworfen . . .

Draußen auf den Straßen lag der späte Lenznachmittag. Die Fensterscheiben drüben glühten wie blankes Kupfer, auf dem Sims saßen noch immer die schnäbelnden Tauben. Wie aus dämmerigen Tiefen scholl 227 das Brausen der rastlosen Stadt; die Pendeluhr schleppte träge ihre Zeiger im Rund und tickte dazu ihr gleichgültiges: gestern, heute, morgen; irgendwo in einer Ecke klapperten die Stricknadeln der guten Schwester Veronika . . .

Da vernahm ich die Stimme des Arztes. Diese ruhige, dunkle Stimme, vor der sich mein Fieberwahn stets scheu verkroch.

»Er ist jenseits aller Gefahr, meine Gnädige. Die letzten Fieber wird er überstehen – Sie dürfen außer Sorge sein . . .«

Dann spürte ich das Wehen eines weichen Gewandes; eine schmale Hand lag auf meiner Stirn, ein Rosenstrauß mir zur Seite in den Kissen . . . Erst streiften ihre Lippen meinen lechzenden Mund, sacht wie der Kuß, der einem Kinde gilt . . . Und dann, leise, leise, als sollt' ich es nur im Schlummer hören:

. . . »Sei ruhig, du – ich bin bei dir. Ich bin bei dir – und du wirst leben! . . .«




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