Friedrich von Gagern
Im Büchsenlicht
Friedrich von Gagern

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Opfer

Winterdämmern.

Blaue Schatten kriechen über den Schnee; drüben im West flutet es schwefelgelb. Dann sinkt die Farbe in ein rauchiges Rot, dünne, kalte Nebel lösen sich vom Himmel, schleiern um die nackten Birken, umwölken die schwindende Glut. Unten im Tale läuten sie den Abendsegen. So müd klingt das. Fast wie das Seufzen eines einsamen Wanderers, der erschöpft in den Schnee sinkt, glühenden Frost in den Fibern, in der Lunge die keuchende Not . . . Über ein kleines hebt es dann zu klirren an und zu pfeifen ob den lauen Stauwässern am Flusse. Hie und da eines erstickten Knalles Laut. Schließe ich die Augen, so höre ich das Fallen der Schrote in die Flut: als tropften Perlen auf eine gespannte Seidendecke.

Wir haben's gut, der alte Gordon und ich. Unsere Arbeit ist in Ehren getan. Ein zarter Festbraten hängt 186 in der Wildkammer; über das Brett spannt sich ein frischer Otterbalg; neben den Tellereisen baumelt ein halb Dutzend Schlingen aus geglühtem Ofendraht. Und die Christtanne duftet auch schon unten im Schloßhof. Morgen geht's an das wonnige, kinderselige, heimliche Putzen.

Gordon träumt. Seine Läufe zucken, die Lefze faltet sich drohend. Nun hebt er gar zu knurren an. Und dann jagt er frisch hinterdrein. Wem mag es gelten?

»Gordon! Alter! Was ist denn das?«

Gordon blinzelt schläfrig herüber, ein bißchen vorwurfsvoll sogar – ob der Störung. Aber die Rute klopft freundlich. Dann gähnt er mit Muße, reckt sich von vorn und hinten, kommt wedelnd heran, immer noch ein bißchen traumbefangen.

»Ja, Gordon, alter Junge – warst ihm schon hart auf den Läufen, was?«

Gordon setzt sich und legt seinen Kopf auf mein Knie. Mit jener treuherzigen Ruhe, die nur wenigen Hunden eigen ist. Ein sonderlich angenehmes Gefühl, diesen sanften Kopf zu streicheln, durch diese seidigen Haarwellen zu fahren, in dies ernste Auge zu schauen.

Wir sind mehr als Freunde – Gordon und ich.

Dann reicht er mir verständnisvoll die Pfote. Etwas wie ein herzlicher Händedruck, ein liebkosender Blick – und Gordon geht wieder zufrieden schlafen. Nicht ohne sich ein bißchen, wie suchend, zu drehen, nicht ohne wohliges Stöhnen. Ich liebe sie, diese uralten Symbole der Herkunft, diese Sippezeichen: noch hat der Mensch seine Gehilfen nicht enttiert.

Wenn ich mich im Lehnsessel rühre, so winkt Gordon 187 freundschaftlich mit der Rute. Aber nicht lange. Dann hebt wieder jenes Spiel der Läufe und Lefzen an. Er träumt – von Jagd und Lust.

* * *

Auch ich träume.

Und auch meine Träume gelten der Jagd – der Lust.

Fast unbewußt tastet der Blick die Geweihe entlang.

Schon ist's tief dämmrig; liebe, kleine Einzelheiten haben sich in Schatten verkrochen, gerade noch der zackige Umriß löst sich los. Aber ich habe sie alle im Auge und in der Seele, jene unscheinbaren Zeichen, jedes fast eines Erlebten Symbol, jedes unzähligemal geschaut und befühlt, jedes von Bedeutung, Träger irgendeines geheimen Gefühlswertes.

Dort das krause Achtergehörn, der Preis eines Sommertraums, eines wilden Entschlusses, eines schweren Opfers . . . Noch spüre ich das brünstige Wehen jener Nacht, den schwülen Atem des Weibes, dessen Pracht mein war, das morgen schon für immer schied . . . Und doch stahl ich mich vom zerwühlten Lager, als draußen die Häuser bleich wurden und der Fluß aufglühte. Ich wußte: heut fällt jenen die Kugel – oder nie! Und sie fällte ihn.

Mir gegenüber der starke Kronenzehner, der mir die Freundschaft eines lieben Gefährten gekostet. Keine Leidenschaft, keine Neigung, die bestehen kann vor dem Jagdtrieb . . .

Ganz hinten, in besonderer Nische, die Urbockkrone, die ich der Liebe eines schlichten, wilden Mädels verdanke. Beide waren sie damals gefallen in einer Nacht – in seliger, hochauflodernder Sonnwendnacht . . . 188

Und drüben, hart beim Kamin, zwei Hirschgeweihe: ein geringer Sechser, ein gewaltiger Zwölfer. Bleich grinsen die Schädel aus dem Dämmer; die zackigen Schatten flackern in rotem Feuerschein. Und dicht darunter glüht es kupfrig. Es sind die Läufe zweier Büchsen, so unter den Geweihen hangen.

Zweier Büchsen, die ich nimmer führe.

Sie hassen sich, die beiden. Wenn schwerer Sturm über die Giebel fährt und den Kamin herunter heult, dann klirren ihre Läufe gegeneinander: ein frostiger, knirschender Ton. Und doch müssen sie dort ausharren unter den beiden Hirschgeweihen – immerzu kreuzen müssen sich ihre Rohre.

Meine Träume verfangen sich in jenen Zinken, schlüpfen in die Seelen der zwei Waffen.

Es ist eigentlich eine ganz einfache Geschichte, die an den beiden Geweihen haftet und ihren Büchsen.

Aber mir – mir bedeutete sie viel, diese Geschichte. Eine tiefe Erkenntnis; eine große Wende.

* * *

Aus väterlichem Erbgut war mir eine alte Büchse geworden. Ein schlichtes, dunkles Ding, ehrwürdig, dienstverschossen. Gar der Schaft trug Spuren ferner Tage: das Wappen meines Großvaters, allerhand heimliche Kerbe und Runen in Backe und Rücken, manch tiefe Schramme, manch einen dunklen Fleck. Dieser Schaft hatte einst andere Läufe getragen, herrliche blumige Damastläufe. Und Schlösser mit klaren, zarten Federn.

Später hatte mein Vater ein neues Rohrpaar einpassen lassen. Noch flimmert der Name des Meisters goldig in der Schiene: Hans Erasmus Leuvenhoek. 189

Oft hatte ich, ein Bürschlein, das die schwere Büchse kaum zu heben vermochte, gierig hineingespäht in diese wundersamen Läufe. Zwar kostete es mich arge Mühe, den Riegel aufzudrehen, der die Haken mit ehernen Klammern festhielt; wohl mußte ich einen Stuhl erklimmen, um die gewichtige Waffe herabzulangen. Und wurde ich über solchem ertappt, so setzte es harte Worte und Strafe.

Immerhin: gelang einmal die heimliche Tat, so waren alle Gefahren vergessen, alle Streiche verschmerzt – war meine Kühnheit herrlich belohnt.

Denn nichts auf Erden gab es, das mir ähnliche Wollustschauer über den Rücken jagte, wie ein einziger Blick in diese gewundene, enge Welt.

Immer und immer wieder faßte das Auge eine der scharfen, klaren Nahten, sie hinauszuverfolgen auf ihrer Schraubenbahn, bis in die blaue Luft jenseits des Schlundes.

Aber nimmer wollte solches glücken.

Der blanke Saum verlor sich in Glanz und Schimmer. Dort hinten gleißte es wie von tausend kleinen Spiegelchen. Die ganze wundervolle Ordnung schien aufgelöst in Schmuck und Blitze. Das eben war das Seltsame, das Berückende: diese blinkende, glatte Ferne, in der sich noch ein bißchen Himmelsblau und Ulmengrün spiegelten, als hätte sich da drüben die ganze Welt im schmalen Rohre festgenistet.

Und jenseits dieser Wunder, da spannte sich das bunte Kreislein, in das der Tod hinausschoß, ein heißes Stückchen Blei, zu rasendem Gradflug gezwungen durch jenes strahlende Gewinde.

Eine wohlige Scheu überkam mich: als hätte mich ein elbisch Wesen in den heimlichen Grund gelockt, von 190 dem die Märchen singen. Aber mehr als all der holde Sagenspuk war mir dieser funkelnde Drall, dessen Pfade in blauen Fernenduft hinausführten: in ein Unendliches, das kein Auge spiegelt.

Aber einmal erschrak ich furchtbar, als ich durch meine wunderliche Schraubenwelt in den Himmel lugte. Da war alles schwarz, finster, rußig: kein Sonnenjubel, kein Auflösen in Flimmer und Silberprunk. Ganz dünn drehten sich die Rippen in diesem Schlot; bis hinaus ins Freie sah ich sie heute. Und ein seltsamer Geruch wehte mir entgegen: warm, faulig, erstickend. Rasch preßte ich die Läufe wieder in ihr Lager und schob den Riegel zu. All das in zitternder Hast, als hätt' ich das Verlöschen jener herrlichen Spiegelwelt verschuldet.

Unten im Schloßhof, auf grünen Tannbrüchen lag der Haupthirsch, den der Vater heut morgen gestreckt. Mit einer kleinen, runden Wunde spanntief unterm Rückgrat, die Läufe steif, die Lichter wie grüne Opale.

Sie standen alle im Kreise um den Gefällten: Vater, Mutter, das Weidgesind. Und des Bewunderns war kein Ende.

Vater winkte mich heran. Ich folgte zagend. Wußte er, was ich an seiner Büchse verbrochen?

»Da, schau' dir den da an, Junge. So einen wirst du auch einmal schießen, wenn du groß bist und stark. Das macht man mit der Büchse, in die du immer hineinguckst.«

Nun wußte ich es, was jene Finsternis, jener schlimme Duft bedeuteten.

* * *

Etwa ein Dutzend Jahre später trugen sie meinen Vater hinaus, unter die Tannen, von denen er sich manchen Bruch gepflückt. 191

Die alte Büchse mit dem Goldwappen im Schafte und Meister Leuvenhoeks herrlichen Läufen wurde mein.

Wohl drei Herbste hindurch war sie blank geblieben. Und Hirsch und Bock im Holz waren alt geworden darüber.

Wieder einmal sah ich in diese blitzende, strahlende Enge hinein. Zug und Balken waren klar wie Geschmeide, die Schloßfedern klangen zarter und reiner denn je, unerschütterlich saß das Laufpaar in seinem Eisenbett, hineingekeilt von mächtigen Zapfen und Haken. Dann schielte ich über Kimme und Korn hinweg ins Freie – nach irgendeiner Krähe oder einem rüttelnden Turmfalk. Denn ich hatte inzwischen gelernt, wie schön die Welt sei, wie hell und begehrenswert, so Grinsel und Fliege hineinweisen.

Und dieses Grinsel, diese Fliege – sie schienen ganz besondere Deutungskräfte zu bergen. Sauber und scharf das eine, schmal und fest die andere: es war ein zauberhaft Zielen. Und die Büchse selbst, die schmiegte sich mir in Hand und Schulter, als wüßte sie, daß sie nun mir zu dienen habe, in mich hineinwachsen müsse.

Blätter fielen rot und gelb, Nebel wallten im Holz. Ich kam gar nimmer heraus aus der verwitterten Joppe; wochenlang harrte und birschte ich, hoch oben im Bergtann, wo Hirsch und Bock reif geworden während der letzten Jahre.

Und nun fielen sie, diese Reifen, fielen wie Früchte im Sturm. Von meiner Hand, von meinem Blei, unter der Gewalt der alten Büchse. Aber kein Wüsten war's, kein Schuß brach, der Hans Erasmus Leuvenhoeks Meisterarbeit unwürdig gewesen wäre. Und kein Bruch zierte meinen Hut, nach dem nicht auch mein 192 Vater gegeizt hätte, oder jener Ahn, der die geheimnisvollen Runen in den Schaft gekerbt.

Nun fügten sich neue Zeichen an die alten, kleine, unscheinbare Ritze, doch lesbar und vielsagend meinem Auge.

Alles nur ruhmvolle Tat der Büchse.

Nicht ein Gran Zündkraut verbrannte umsonst, kein Lot Blei zwängte sich vergebens über die scharfen, reinen Balken. Griff einmal die Kimme um das Korn und blinkte dies Korn im Wilde: dann flog sicherer Tod mit dem Feuerstrahle, gleichviel, ob es dem flüchtigen Hirsch galt oder dem blockenden Weih. Oder ob der Berggewaltige turmhoch stand in steiler Lehne oder wie ein Gespenst durch die Stangen huschte. Das schwere Blei fand seinen Weg, es fraß sich im Dickicht fort, ohne um Haaresbreite abzuirren, es fuhr mitten in sein Ziel, schien auch die Bahn zu lang.

Und wo es faßte, dieses fast zweilötige Blei, dort war meist Hochflucht und Sturz und Schnellen und Tod. Oder eine breite rote Fährte brachte mich zum Gefällten – Halm und Blume und Kraut: alles naß, übersprüht von Schweiß. Es wohnte eine Stärke in dieser Kugel, als hätte die Büchse die Jahre über dreifachen Willen, dreifache Kraft aufgespeichert . . .

So ging's Sommer für Sommer, Herbst für Herbst. Ich war treffgewohnt geworden, fast stumpf. Freilich, birschte ich dann einmal mit einer anderen Büchse, so begriff ich wohl, daß der Zauber nicht an mir lag. Und doch führte ich mitunter eine andere Waffe. Denn ich wollte haushalten mit der Erbbüchse. Sie war alt, sie hatte manch Hundert Lot Blei verschossen, manche tausendmal hatten die Hähne geknackt. Aber stets bereute ich's, war die Wahl des Tages auf eine minder 193 ehrwürdige Genossin gefallen. Da stand dann alles zu erwarten: Fehlschuß, Weidwundschuß oder Kerntreffer. Eine besonders gute Krone, ein starkes Geweih, eine schwere Arbeit – die wurden freilich immer der Erbbüchse zugedacht. Und sie – sie versagte nie. Ihr fielen die würdigsten Opfer, sie überwand die härtesten Bedingungen, sie häufte Sieg auf Sieg . . .

Aber einmal mußte auch diese Kraft erlöschen, trotz sorglichster Pflege, trotz freundlichster Schonung . . .

Das Herz brach mir bei dem Gedanken . . .

Aber noch hielt sie stand.

* * *

Und wieder wanderten Jahre durchs Land.

Das tolle, herrliche Jagdfeuer der Jugend war versprüht, der Brand gesunken. Er, der mir einst Sonne gewesen, der oft alles übrige zu versengen gedroht – er wurde nun zur stillen, wärmenden Flamme. Oft tröstete mich ihr freundlicher Schein, oft noch gab ich mich schrankenlos ihrer Glut hin, war mir irgendwoher ein kaltes, graues Weh geworden. Und dieses sanfte, belebende Lohen hatte mich noch stets gerettet, hatte auch die schlimmsten Male getilgt, die zäheste Qual in Vergessenheit gelöst.

Da sank ich eines Tages wieder einmal zum Knecht.

Zum Knechte eines Weibes. Des schönsten Weibes, das ich bis dahin geschaut.

So schön war diese Frau, so hoch und sonnig, daß ich alles vergaß über ihr. Wie denn der sonngewohnte Blick lahm wird für die ganze übrige Welt.

Ihr wollt' ich folgen und kostete es Herzblut. Die geliebte Vaterscholle wollt' ich missen, die stillen, heiligen Wälder, meine Berge, die ihre blauen Wellen ins 194 Unendliche hinausrollen, mein stolzes, schönes Wild . . . Wenn es sein mußte.

Denn nicht war es mir genug, von ihr geliebt zu werden, ihrer Glut bewußt zu sein, diese Glut tiefer Züge trinken zu dürfen in heißer Nacht, ihr Herr zugleich und ihr wehrloser Schalk . . . Selbst der seligste Besitz dieser Pracht, der Tausch ungezählter Schwüre, die ganze Leidenschaft ihrer Hingabe sättigten mich nicht.

Mein sollte sie sein vor aller Welt, nicht bloß in scheuer Dämmerung, nicht bloß für einige Ahner und Wisser. Mein mußte sie sein – immer und überall mein. Denn unstillbar war mein Verlangen nach diesem glühenden Leibe, nach den blonden Wogen dieser Haare, nach diesen Augen, die dunkel waren, fragend, drohend fast: wie die Nacht, wenn sie zu sinkender Stunde aus dem Dickicht schaut.

Und konnt' es nicht hier sein, nicht, wo ich bis dahin all mein Glück, all meiner Sehnsucht Erfüllung gewähnt, in meiner Heimat: so mochten meinethalb First und Giebel morschen und Eulen in den Hallen horsten und Hirsch und Reh frei aufwuchern im Bergwald. Was galt all der Tand? Bei ihr, nur dicht bei ihr: da war meine Heimat.

Sie willigte ein. Übers Jahr – da sei sie dann mein. Mein Weib . . .

Aber jetzt – jetzt mußten wir uns trennen. Für einige Monate, für den ganzen Winter vielleicht. Das begriffen wir beide. Und doch rang ich mit Verzweiflung.

Es war in unseren letzten Tagen, als sie mich einmal sonderbar ansah aus ihren dunklen, grundlosen Augen. 195

»Was wirst du jetzt tun ohne mich, sag'?«

Ich zuckte die Achseln.

»Wirst du wieder in deinen Wäldern jagen, du Wilder?«

»Mag sein . . . Was liegt mir daran?«

»Du mußt. Weil ich es will . . . Du sollst jagen. Ich weiß, wie Leidenschaft wirkt nach Leidenschaft. Genieße, sei wild und froh und stark. Denn dann, du – dann bist du mir verfallen – nur mir . . . Nichts wirst du haben, nur mich! . . . Es sind deine letzten Tage, vergiß es nicht. Dann bist du tot für alle anderen – bist mein, mein mit all deinen Tiefen und Trieben! . . .«

Die Wimpern sanken herab über den flackernden Blick. Als könnte ihr sanftes Blond dem Feuer gebieten.

»Du wirst für mich jagen. In meinem Dienste. Und ich werde mit dir sein. Sieh her!«

Sie langte etwas hinter einem Vorhange hervor und legte es mir über die Knie.

»Die soll dein sein. Daß du auch dort meiner denken mußt . . .«

Es war eine Büchse.

Eine moderne Büchse, ein erlesen Meisterstück feinster Arbeit, bestechend schön, voll edelster Rasse, schnittig, schlank und geschmeidig wie ein Vollblut reinster Zucht. Geziert mit Gravüre von ausgesuchtem Geschmack, keines jener Raffinements bar, wie sie von Waffenschmieden unserer Tage ersonnen werden. Der Repetiermechanismus spielte wie ein Uhrwerk, so leise und klar; Korn und Kimme schienen unter magischem Zwang zusammenzuschmelzen vor meinem Auge . . . Diese Büchse konnte überhaupt nur treffen. Sie hatte einen verborgenen Willen zum Fleck. Das stand fest . . . 196

Sie lächelte über mein unverhohlenes Entzücken.

»Das regt dein Blut, wie? . . . Der beste Meister, von dem ich erfuhr, mußte seinen besten Fleiß, sein bestes Können da hineinschmieden. So schön sollte sie werden, als ich es dir bin. Und so treu, als ich dir ewig sein werde . . . Meine Seele mußte er in diese Waffe bannen, meine Seele, die dir noch fremd ist . . . Und meinen Leib, der dein war in unseren höchsten Nächten. Das bin ich selbst für dich, solange uns Fernen scheiden. Nur mit mir, in mir, durch mich sollst du genießen . . . Sie sei dein Glück, wie ich dein Glück sein will . . . Schau –«

Im Kolben blinkte ein Schildchen, genau an der Stelle, wo die Erbbüchse das Wappen trug. Und dieses Blatt trug ein Monogramm, kunstvoll gestochen wie von eines Goldschmieds Hand: unsere Initialen.

»Ich weiß, dich bannt ein Ring nicht, du Lieber, Wilder . . . Wo deine Welt ist, da muß auch ich mit dir sein. Bis du mir gehörst, mir und meiner Welt! Sei glücklich mit dieser Büchse, in der ich selbst lebe, mit meiner ganzen Liebe, mit all meinen Wünschen . . . An Nächte soll sie dich gemahnen . . .

Dann zog sie mich leidenschaftlich in ihre Arme, stammelnd, fassungslos, schluchzend wie ein Kind . . .

* * *

Lange Wochen verschlichen, bevor ich daran dachte, die herrliche Büchse in meine Berge zu tragen.

Nichts lockte mich dahinaus. Meine Sinne waren matt, mein Wille fand keinen Halt. Wie grauer, grenzenloser Regen nach Blüte und Licht. Immerzu ein Weh, ein Klaffen, ein rastlos Bluten und Schauern. In dumpfer Muße verbrütete ich meine Tage. Gleichviel, ob draußen mildes Herbstsonnen auf den 197 Parkwegen lag, ob tränende Schleier hereinhingen in die roten Wälder. All das war außer Kraft, hatte keine Beziehung auf mich und mein Kranken.

Manchmal schrieb sie.

»Hast du schon mit mir gejagt? Ist sie treu und schön? Macht sie dich glücklich?«

Was sollte ihr Fragen? . . . Ich konnte keine Lust aufbringen. Nicht einmal den Mut, da draußen Beschwichtigung zu suchen.

Etliche Male hatte ich die Büchse zur Hand genommen, hatte sie zu ergründen, in ihre Seele hineinzuforschen gesucht. Und es schien wirklich, als lebte jenes glühende Weib in der Waffe, die von so entzückender Schönheit war, sich so leidenschaftlich, so begehrlich an meine Schulter zu schmiegen wußte, als lechzte sie nach Tat und Genuß.

Aber dann stellte ich sie doch still beiseite. Einen schalen Schuß wollte ich nicht tun mit dieser Büchse, zu Höchstem geschmiedet. Die erste Kugel mußte edelstem Wilde gelten; dieser Waffe eine Prüfung zuzumuten, wäre unwürdig gewesen. Treu mußte sie sein, treu und stark wie die geliebte Spenderin. Ich baute darauf – mit der blinden Gläubigkeit eines Verliebten.

Die alte Erbbüchse mußte sich ohnehin nach Ruhe sehnen; sie verriet es deutlich. Verdrießlich schwer lastete sie in meiner Hand, der Kolben hatte kein Plätzchen mehr frei für neue Runenkerbe, der Glanz des Wappens schien verloschen, der einst sonnenblanke Drall war matt und stumpf geworden. Und zu allem Überfluß hatte sich in jedes Rohr böses Rot hineingefressen: tiefe Schrammenmale zwischen den Rippen. Selbst die Kraft des Riegels schien erschlafft, der Klang der Schloßfedern deuchte mir heiser, gebrochen . . . 198

Mit einem Seufzer hängte ich die Erbbüchse wieder an ihren Haken. Nun war auch sie zum alten Eisen geworden. Verrostet auch sie – wie alles andere, was aus ihren Tagen war. Alles schwer, müde, klanglos, häßlich: die Vergessenheit, dem Grabe entgegenschlummernd. Erst diesseits war Licht, Schönheit, Leben, Auferstehung . . . Diesseits! Und immer leuchtender, morgender in die Zukunft hinein.

Schließlich – sie verdiente ihren Schlaf, die greise Waffe. Einmal muß allem die Wende dämmern, auch der zähesten Kraft, der dauerndsten Welt. Mochten sie sinken, die alten Tage, die Liebe zur Heimatscholle, die ganze Erbschaft an Lust und Qual. Denn nun ging's ja ausgebreiteter Arme einem Neuen, Herrlichsten entgegen: winterlosem Gelände, ewiger Sonne.

Immer häufiger spielten Zufall oder Absicht mir die Meisterbüchse in die Hand. Oft ertappte ich mich über einem schier lüsternen Griff, wenn ich sie in Schußlage erhob, mitunter war mir, als flüsterte eine Stimme aus diesem Gebilde von Stahl und Holz, ein wildes, loderndes Stammeln.

»Nimm mich! Nimm mich! Ich will dein sein . . . Dein Glück will ich sein . . .«

Ja, ihre Seele wohnte in diesem Kunstwerk, das so wundervoll war wie ihr geschmeidiger, verlangender Leib.

Dichter und dichter umwoben mich geheime Fäden. Hinauf führten sie, in die alten Berge: zum Wilde, in die Einsamkeit. Ich weiß nicht, ob es der gewohnte Trieb war, der mich lockte. Vielleicht. Einmal noch wollte ich jagen, jagen mit dieser Büchse, die nicht fehlen konnte, weil der Geliebten Seele in ihr war. Einmal noch wild und ungefesselt über die Höhen schweifen, 199 durchs Geschroff klimmen, stolz wie ein Falke, wagetoll und froh . . . Einmal noch diesen Becher zur Neige leeren, all seine Schauer, seine ganze göttliche Trunkenheit schlürfen . . . Einmal noch Zeit und Ort und all das Hemmende vergessen, in den Himmel hinaufträumen, über Felswänden hangen, durch Dickichtdämmerung schleichen . . . Zum letztenmal Kraft und Wille und Sieg – mit dieser Waffe in der Faust: meine Kunst ihre Macht, meine Lust ihre Sehnsucht.

Ein grauer, harter Herbsttag kam. Da stieg ich bergein – Leib an Leib mit ihr.

* * *

Die Brunft war längst abgeflaut. Kaum daß noch irgendein geringer Hirsch verschämt nachorgelte. Nacht für Nacht sanken schwere Fröste, da und dort flammte noch ein gelber oder scharlachroter Strauß über die kahlen Kronen, rostbraunes Fallaub deckte den Boden. Sogar der schmuckglitzernde Altweibersommer schien zerweht; und die Wacholderbeere war schieferblau geworden, reif für Haselhuhn und Drossel.

Mein Gang galt eigentlich keinem bestimmten Wilde, keinem besonderen Revierteile. Vorläufig wollte ich erst spüren, sehen, versuchen. Seit Jahresfrist war ich nimmer droben gewesen. Und auf die Meldungen hatte ich nicht hingehört.

Irgendwo in einem steilen Hange war damals ein außerordentlich starker Zwölferhirsch gestanden, ein Kerl von reichlich einem Dutzend Sommern, still wie ein Spuk und schlau wie Raubwild. Selbst dem Zauber der Erbbüchse hatte er gespottet. Aber diesem Rohr, das sich so zärtlich an meine Seite schmiegte, – dem würde auch er nicht trotzen können . . . 200

Der Weg stieg durch uraltes Hochholz, wo die Buchenpfeiler den Himmel zu stützen scheinen, durch dunkle Stangenorte, an Wiesen und Schonungen vorbei. Überall stand Wild, Kälbertiere, Rehe, geringe Hirsche, sogar ein guter Bock, der noch auf hatte. Schon glitt die Büchse von der Achsel, schon schlich sich das Korn ins Blatt – aber nein! Die erste Kugel einem erlesenen Wilde.

Endlich stand ich unter dem steilen Schlage. Schier mannshohes Waldgras wellte seine fahlen Ähren darüber. Unter mir finsterte der alte Tann, oben verlor sich der Schlag in jungem Kiefernwuchs auf magerem Heideboden.

Das war die Stätte.

Schon kroch Dämmerung unterm kalten, grauen Himmel dahin. Ein frostiger Windstoß fuhr von der Seite herein. Das war nicht gut. Denn unter mir weitete ein Kessel.

Da regte sich's auch schon im Schlage.

Hoch oben hob sich ein mißtrauisches Haupt aus dem Grase. Das Glas zeigte mir ein Tier. Der Hirsch wird nicht weit sein.

Da und dort läuft ein Schwanken durch die Halme. Und dann steht plötzlich eine graue Gestalt auf knapper Blöße. Aber nirgends Stangen, nirgends leuchtende Kronenzinken.

Da . . . Wie ein schwarzer Ast zackt sich's auf über den Rispen. Ein zweiter gleich dahinter. Sechs und sechs zählt mein suchender Blick.

Es sind keine hundert Gänge da hinauf. Das hätte auch die Erbbüchse noch getan, rostig wie sie ist.

Das Geweih schiebt sich weiter, auf eine Blöße zu. 201

Längst liegt der Schaft zwischen Schulter und Backe. Wie von selbst ist er da hinaufgeglitten. Und wie von selbst bohrt sich das Korn an der Stelle fest, wo das Blatt frei werden muß. Es ist, als wallte ein fiebrig Glühen durch die Büchse, eine rasende Begier . . . Nun soll ihr Erfüllung werden in Blitz und Sieg! . . .

Haupt und Vorschlag erscheinen. Dann tritt das Blatt in das Korn hinein. Genau dort flimmert die Silberperle, wo der Hirsch am sterblichsten ist: hart hinterm Vorschlag, spanntief unterm Rückgrat.

Behutsam, streichelnd fast rührt der Finger ans Züngel.

Ein harter, knirschender Aufprall, wie von Stahl auf Stahl . . .

Kein Knall. Keine Hochflucht da oben.

Lautlos gleitet der Verschluß auf und zu. Dann sucht der Blick den Hirsch.

Eilige Furchen streben durch die Halme. Aufwärts, den Kiefern zu. Dort muß er mir noch einmal vor das Korn. Wohl ist's schon tiefdämmerig, wohl hat's zweihundertfünfzig Gänge da hinauf. Und mehr . . . Desto besser . . .

Gier und Leidenschaft nun auch in mir.

Hoch überm Schlag, schon in einer Steinrunse, zwischen den Kiefern stutzt er. Ganz breit weist sich das Blatt. Die Büchse sitzt, wie in der Schraube zwischen einem Tannenstamm und meiner Linken; wieder hascht das Korn wie aus eigenem Willen das Ziel . . .

Dann bricht der Schuß.

Hell, gellend, hart. Nicht der mächtige Schlag meiner alten Waffe. Es ist etwas Herrisches in dieser Stimme, etwas Kaltes, Grausames.

Und mein Hirsch? . . . 202

Wie, die Kugel sollte auch nur um Haaresbreite geflattert haben? Aus dieser Büchse, dieser seelenvollen, herrlichen Waffe? Unmöglich! . . .

Er flüchtet abwärts, wieder ins graue Waldgras hinein. Die Halme schlagen über ihm zusammen. Auch nicht mit einem Laufe hat er gezeichnet.

Jetzt . . . Dort rütteln und nicken die Rispen, immerzu auf einem Fleck. Es hat ihn geworfen, ich wußte es. Freilich, solch ein Hirsch! . . .

Und wieder taucht er empor, wieder geht die Flucht weiter. Diesmal quer im Schlag. Mich deucht, er schont links vorne . . . Aber die Dämmerung kann täuschen. Und nur auf Augenblicke geben ihn die Halme frei . . . Jetzt verschwindet er hinter einer Kuppe . . .

Ich weiß nicht mehr, war es ohnmächtiger Zorn, der in mir aufquoll, oder eine wilde Bitterkeit, mir noch fremd. Etwas wie Grauen kroch mir zum Nacken, meine Knie zitterten, der Atem wogte wie sonst nie vor der Entscheidung . . . Eine ganze Brandung von Gefühlen wogte auf mich herein: Zweifel, Wut, Enttäuschung, Angst . . . War das die Seele, das die Treue der Meisterbüchse? . . . War das die Seele des geliebten Weibes? . . . Stand es so um mein Glück? . . .

Aber er war ja lächerlich, dieser Aberglaube.

Ich gab mir einen Ruck. Kaltblütig mußte ich sein – kaltblütig und fest. Wie in den Tagen, da ich noch die Erbbüchse trug.

Langsam stieg ich zum Anschuß hinauf. Den mußt' ich noch heut verbrechen, unter allen Umständen. Morgen kam ich dann mit dem Hund.

Viel fand ich nicht im trüben Zwielicht. Einige Schnitthaare auf einem Stein, ein winzig Schweißtröpflein, nicht größer als eine Tauperle . . . Und dort, 203 wo der Hirsch gestürzt ist, ein paar Halme leicht besprüht. Nicht jene schweren, leuchtenden Flocken, nicht die roten Gleise, wie sie das Wild ließ, so die Erbbüchse gefällt . . .

Ein bitterkalter Windstoß fegte über den Schlag.

Weiter hatte ich nichts zu suchen hier oben.

* * *

Einem traumverlorenen Abstieg folgte eine traumschwere Nacht.

Eine Weile noch tobte der Sturm um die Giebel. Äste krachten im Ulmhag unterm Zwinger, die Kopfziegel klapperten schaurig, im Schornstein ächzte und stöhnte es zum Erbarmen. Dann wurde es gruftstill– ganz plötzlich. Selbst die Käuze im Park regten sich nicht.

Ich fand keine Ruhe. Jener Aberglaube marterte mich mit tausend Fragen. Immer wieder versuchte ich das Natürliche in meinem Erlebnis aus den sonderbaren Zufälligkeiten herauszulösen, die ihm tiefere Bedeutung gaben. Legte sich ja einmal wohltätiger Schlummer über meine Lider, so scheuchte wieder irgendein gleichgültiger Laut, das Klirren eines Fensters, das Knarren des Bettes jenes Bild auf, daß es in seiner kalten Grelle vor mir stand, in seinem sonderbaren Rahmen, durch den ihm erst zweideutiger Ausdruck wird. Ich hörte die Stimme der Geliebten, wie sie von dieser Büchse sprach, von ihrer Seele und ihrer Treue und meinem Glück . . . Ich sah das böse Rostmal in den herrlichen Läufen der Erbbüchse, unzählige Erinnerungen an rastloses Gelingen wirbelten vorbei, ich sann in die geschiedene Vergangenheit zurück, in die morgende Zukunft hinaus . . . Ich dachte, daß dies mein letztes 204 Jagen sein sollte in diesen Bergen, die ich mit allen Fasern eines treuen, jungen Herzens geliebt, die ich nun zu opfern gewillt war für den Besitz des schönsten Weibes . . . Dann grub sich mir ein schneidend Weh ins Bewußtsein, eine jammervolle Verzweiflung: tiefe Klüfte zerspalteten meine schwankende Welt, ich stand mitten auf entscheidender Brücke zwischen der Vaterscholle und dämmerigem Geländ, hinter dessen Schleiern ich ewige Hochzeitsfackeln wähnte . . .

Denn diese Erkenntnis hatte ich gestern heimgetragen auf strauchelndem Abstieg; daß jeder Nerv in mir im Heimatboden wurzle, daß alles Leben, alle Kraft aus dieser Erde stieg, Blut und Wille und Lust, jeder Traum, jede beglückende Sehnsucht. War's Trotz, war's Schwäche, was mich zur Trennung trieb – zerriß ich diese Stränge, die mich genährt und immer noch heimlich nährten, so hatte ich keine Kraft mehr, in jene Morgenröte hinauszuwandern.

Und dann schaute ich wieder den Hirsch, wie er im Wundbette litt, vorgestreckten Hauptes, den keuchenden Äser offen, furchtbaren Brand in der Flanke . . . Der Jäger hatte sich wachgerüttelt, der Jäger, der schon manch eine wüste Nacht nach unglücklichem Schusse durchseufzt. Und vor dem Gewissen des Jägers zerstob der ganze Spuk von Gefühl und Bangigkeit und verzweifelnder Liebe.

Es duldete mich nimmer im erstickenden Pfühl. Der Morgen mußte ohnedies schon überm Hügelsaum stehen. Ich sprang auf und warf rasch einige Holzscheiter in die Kaminglut. Denn es war schneidkalt geworden über Nacht. Einen heißen Tee wollt' ich mir noch gönnen – und dann hinaus, dem kranken Hirsche nach. 205

Das Holz flammte auf; im Kessel summte das Teewasser. Sehnsüchtig spähte ich in die Nacht hinaus. Wollte sich denn heute die Finsternis gar nimmer lösen? Noch trat kein Umriß hervor, nicht einmal die Flußufer drunten. Dafür rieselte es von den Scheiben, und draußen auf dem Fenstersims schichtete sich weicher, nasser Flaum.

Die erste Neue.

Wir werden böse Arbeit haben, ich und der Hund.

Vielleicht kommt der Hirsch überhaupt nicht zustande. Siedend stieg es mir in die Kehle.

Aber er hat die Kugel. Und gut muß sie sitzen, spanntief unterm Rückgrat. Der liegt. Gleich irgendwo am Schlagrand. Das ist sicher.

Da blitzt etwas auf im Flackerrot des Feuers. Dort an der Wand, wo immer die Erbbüchse hing. Es kommt von ihr, das Flimmern – vom alten Wappenschild. Das glänzt nun mit einem Male so klar und blank wie nur je. Und rein prägt sich das Wappenbild aus dem Golde: die Doppelharpune im geteilten Blatt.

Liebkosend glitt meine Hand über die ehrwürdige Waffe, über diese nie versagenden Läufe, die Runenkerbe im Schaft und die festen, treuen Hähne. Fast war mir's, als erwiderte sie den wehmütigen Gruß, als ginge ein leises Seufzen durch Schlösser und Rohre. Scheu sah ich mich nach der anderen um. Die lehnte in dunkler Ecke und rührte sich nicht.

Und dann langte ich die Erbbüchse vom Haken. Sie, die oft wochenlang nicht gerastet hatte, der immer zarteste Wartung, innigstes Verstehen gewiß war –, sie hatte nun durch ein volles Jahr keinen Schuß getan, kein Wild sehen dürfen. Und war darüber verrostet.

Ich drehte den Riegel auf und forschte die Züge 206 entlang – wie einst als neugieriger Knabe. Kupferrot gleißte es da drinnen. Aber das war nicht das stumpfe Rot des Rostes: wie in einem kunstvoll geschliffenen Spiegel flammte da das Kaminfeuer. Jene Rostnarbe schien hinweggelöscht.

Und in der Laufschiene blinkte freundlich der liebe, ehrliche Meistername: Hans Erasmus Leuvenhoek.

Tränen liefen mir in die Augen. Die Erbbüchse rief mich, kein Zweifel. Sie wollte mir das alte Glück wiedergeben, den alten Glauben, meine alten Götter. An ihr sollt' ich wieder erstarken zum Sohne der Vaterscholle, deren Brot mich genährt; zum treuen Schirmer des Herdes, dessen Flamme mich gewärmt; zum Herrn der Wälder, deren Wild mir Lust gewesen und Stolz. Sie war's, die mich in letzter Stunde warnte vor jener trügerischen Brücke und dem seligen Dämmerlichte da drüben, vor dem Wahne ewigen Mittags, ewigen Lenzes. Beharren sollt' ich im alten Wechsel von Frost und Blüten, Nacht und Sonne, beharren im Flusse von Arbeit und Genuß; ernten sollte ich und säen, wie es die Väter getan . . . Denn mein waren Pflug und Büchse, Furche und Herd. Was jenseits glühte, das war nicht Leben, war nicht Tag . . . Das war Sonnenuntergang . . . – Und ich folgte dem Rufe.

Schwer lastete die Erbbüchse an meiner Seite. Aber was galt das jetzt? Sie war zäh und treu –, in ihr webte die Seele meiner Sippe, meiner Ahnen, meiner Heimat.

Ich rief meinem alten Hunde. Er war ganz erstaunt, als er mich wieder einmal zu freier Bergfahrt gerüstet sah, und schüttelte sich den Schlaf aus der Decke, als glaubte er an Traum und Spuk. Das war auch einer aus jenen Tagen. Zärtlich sprang er an mir empor 207 und schaute mir in die Augen, fragend, zweifelnd. Als er aber begriffen, daß es ernste Arbeit galt, glitt er sanft herab und trabte still voraus. Ins Dunkel der ersten, endlosen Winternacht.

* * *

Noch lebte kein Laut in den Weilern, die unser Weg kreuzte. Aber einzelne Linien rangen sich schon durch die Finsternis: überschneite Firste, ein einsamer Wildapfelbaum am Feldrain, die pfadsäumenden Brombeerhecken, der nächste Bergkamm. Und unten im Ost wurde es endlich blaß.

Als wir uns dem Schlage näherten, erstarb das Flocken. Hie und da taumelte noch ein Fläumchen herab; oder ein gebeugter Zweig schnellte plötzlich zurück und überschüttete uns mit seiner weißen Last. Schon dämmerte es ins Büchsenlicht hinein. Grell standen die Berge gegen den grauen Morgen, tiefer und tiefer schlichen die Schatten – talwärts, dem schneeverwehten Tann zu.

Keuchend blieb ich unterm Schlage stehen. Eine kurze Rast mußte ich uns gönnen; es war ein arg Stapfen gewesen daherauf. Und ich war's ja nimmer gewohnt. Aber mein Auge war heut klar wie nur je, wenn ich über die alte Büchse nach Wild geblickt hatte; und alle Muskeln strafften sich mir zu stählernem Willen.

Da gab es dem Hunde einen Ruck. Gierig hob er seine Nase – im Schlage mußte Wild stehen.

Er hatte recht. Da oben stand das ganze Rudel: Alttiere, Kälber, Schmaltiere. Und ganz hoch in den Jungkiefern er – der Zwölferhirsch! Das Unwetter hatte sie wieder in den Kessel zurückgetrieben. 208

Ein Grauen durchrieselte mich. Hatte ich denn gestern nicht eben den zu Holz geschossen?

Aber nein, dort stand er und wies mir sein volles Blatt, als wäre nie ein Blei dahinein gefahren!

Nur einen Augenblick währte solch Bedenken. Heute, im kalten, klaren Morgenlicht gab es keinerlei Spuk für mich, kein Unbegreifbares. Es mochte ein Streifschuß gewesen sein, der ihn straucheln ließ, der jene flüchtige Schweißfährte verursacht . . .

Aber jetzt – jetzt war er mein, unwiderruflich mein . . .

Denn ich hatte die Erbbüchse in der Faust.

Fest und treu stemmte sich der Kolben zur Schulter, das Korn hob sich, mählich griff die Kimme um den blitzenden Punkt . . . Noch sah ich das Flimmern der Inschrift: Hans Erasmus Leuvenhoek . . .

Da fährt das Rudel durcheinander; ein Windstoß schauert mir um den Nacken. Wo der Hirsch gestanden, staubt der Schnee von flüchtigen Schalen.

Aber mein muß er werden . . . Hilf mir, du Büchse meiner Väter – nur einmal noch! . . .

Dort schwanken die Kiefern. Gleich daneben eine schmale Lücke, wo sich der nackte Fels durchbeißt. Er kommt . . .

Jenseits der Lücke harrt das Korn . . .

Ein schwerer Stoß gegen meine Achsel, ein stumpfer Knall, erstickt zwischen den verschneiten Hängen.

Und dort oben auf der Runse steigt er in prachtvoller Hochflucht, die Kronen in die Blätter gebohrt. Dann prasseln die Kiefern, Schneewolken stieben auf, Läufe fuchteln . . . Herab, herab zu mir, unaufhaltsam auf purpurnem Gleis . . . . Kein Stemmen hilft, kein Scharren . . . Noch einmal ringen sich Haupt und 209 Vorschlag und Blatt hoch, aus dem Grase dampft's, wütender Trotz wehrt sich gegen den Tod . . . Dann ein Hochaufreißen des Halses, ein letztes Zusammenbrechen: und widerstandslos walgt er zu Tal, bald Läufe oben, bald Stangen. Bis ihn eine dichte Staude hält.

Starr, krampfig umklammere ich die Büchsläufe. Als wollt' ich sie zermalmen nach solcher Siegestat. Eine tiefe, befreiende Atemwoge zieht durch meine Brust: wie wenn erlösender Regen losrauscht nach schwüler Beklemmung. Und dann hinauf. In gierigen, keuchenden Sätzen.

Der Hund jauchzt in den Wintermorgen hinaus: Hirsch tot! Hirsch tot! Wie lange hatt' ich solchem Sange nicht gelauscht – ich Tor!

Der erste rasche Griff gilt dem mächtigen Geweih. Eine erhabene Beute, solchen Schusses, solcher Wende wert! . . . Und hier, spanntief unterm Rückgrat, knapp hinter den Blättern: hier sprudelt es dunkelrot hervor und raucht hinaus in die kalte, schneeduftende Luft.

Dann preßt' ich meine Stirn in die Decke des Gefällten. Und weinte – weinte aus tiefstem Herzen. Wie nimmer seit jenen Stunden, da ich mein brennend Antlitz an der Brust der Mutter barg, ihr zu bekennen, mich zu befreien durch Reue und Verzeihung . . .

Die Erbbüchse hatte gerufen – hatte gesiegt.

Und in ihr die Heimat.

Diese prächtige, hohe, herbe Heimat, unendlich viel beglückender als des schönsten Weibes süßeste Gunst.

* * *

Und wieder war ich in Träumen, als ich mich zum Heimweg wandte.

Zaudernd, träge schwankten neue Flocken herab. 210 Dann immer dichter, immer munterer in stillem Gestöber. Den Hirsch hatte ich mit Tannzweigen bedeckt und mit einem langen Aste sichtbar verbrochen. Nun mochte es flaumen und wehen – das frische, schweißige Reis stak hinterm Hutband: das erste vom neuen Baume.

Da riß es den Hund herum, in den Tann hinein. Stand dort Wild? Ich hätte es sehen müssen im Hochholze. Und schon drängte er mit hoher Nase fort, geradeaus auf ein kleines Dornstaudicht zu. Dann stutzte er jäh; seine Rückenhaare sträubten sich. Er stand vor, zweifellos. Vermutlich ein Stück Raubzeug. Aber nein . . . Wieder reckt er sich zu jubelndem Totverbellen . . .

Herrgott – ich hatte ja vergessen. Nur so war's möglich.

Eine geringe Sechserstange zackte überm Schnee. Und darunter lag der andere Hirsch, steif, längst verendet. Gestern in der Dämmerung – das Rudel fuhr so ungestüm durcheinander – das hohe Waldgras – und der Schuß dahinauf in die Jungkiefern . . . Nun war mir alles klar.

Spanntief unterm Rückgrat, knapp hinter den Blättern klaffte ein winzig Löchlein. Auch sie hatte tadelfrei geschossen, jene Büchse, die des schönen Weibes Seele barg. Aber Glück war mir nicht geworden durch sie.

Vielleicht doch.

Das Glück der Besinnung, der Umkehr, der Erkenntnis.

Gewiß, auch dort mochte Seligkeit sein und Glaube und Schönheit. Aber durfte ich meinem Erbgut abschwören – um jenes Ungewissen willen? 211

* * *

Als ich nach Stunden wieder am Kamin saß und dem gemütlichen Knacken des Feuers, dem Plaudern des Teekessels lauschte, da hielt ich erst rechte Einkehr. Und das Herz war mir voll von jener nachdenklichen Rührung, um die nur die Genesenden wissen: die Geretteten.

Knieüber lag die geliebte Erbbüchse. Das Harpunenwappen blitzte wie ein Schild nach Heldensieg; in der Laufschiene glitzerte lustig der traute Meistername. Und im Kolben saß ein frischer Runenkerb. Der letzte. Denn die Rostmale hafteten nach wie vor im Drall, Züge und Balken waren stumpf, die Schlösser klangen heiser. Nur für mich, für den wankenden Erben, hatte sich die Büchse zu letzter Tat aufgerafft . . .

Kommt mir ein lieber Weidgenoß unter den alten First, zum alten, wackern Herde, so gilt immer ein Weilchen jenen beiden Büchsen und dem gewaltigen Zwölfergeweih. Die meisten haben ihr helles Entzücken an der schlanken, schönen Waffe, die noch so neu scheint und so jungfräulich, deren Korn so begehrlich in der Kimme glüht. Die Weisen aber, die Kenner, die nehmen die andere vom Haken und streicheln kosend die jagdmüden Läufe und horchen in die Schlösser hinein, als erlauschten sie da drinnen das Rauschen gefallener Wälder oder ein Lied von einstiger Tage Schönheit und Lust. Und dann lesen sie auch wohl den verschollenen Namen jenes wackern Meisters: Hans Erasmus Leuvenhoek.

* * *

Mit meinen Träumen sind Feuer und Dämmerung verloschen. Draußen starrt die flimmernde Winternacht. 212

Gordon wedelt freundlich vom warmen Winkel herüber.

Ich habe die Lampe angezündet und das Geheimfach meines Schreibtisches geöffnet.

Vor mir liegt das Bild der schönsten Frau, die ich je gesehen: ein hohes, schlankes Weib mit gerstenblondem Haar und Augen, dunkel wie eine schwüle Sommernacht.

Ich habe sie sehr geliebt. Und alles hätt' ich für sie hingegeben, ohne Seufzer, ohne Schwanken. Nur dies eine nicht: meine Heimat.

Und darüber war sie mir untreu geworden. 213



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