Friedrich von Gagern
Im Büchsenlicht
Friedrich von Gagern

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Karfreitagszauber
des Buches Widmung

Ein paar Handbreit Erde weiß ich, die sind mir das Liebste auf der Welt.

Dort sind mir die reinsten Stunden geworden, dort habe ich die tiefsten Bilder und Fernen geschaut, die geheimsten Weisen erlauscht, wie sie durch junges Birkenlaub wehen oder über lenzzartes Korn und Apfelschnee, wie sie in dumpfem Rhythmus tief unten in der Erdkruste pochen, oder droben von Stern zu Stern widerklingen. Schmeichelnd, tröstend, mahnend, jauchzend.

Dort sah ich meinem Gott ins freundlich-ernste Greisenantlitz, barg meine Stirn in seinen Mantel, gestand ihm vieles und empfing alles. Dort wurde ich aus einem scheuen Knechte dieses Gottes sein Vertrauter.

Das ist ein seliger Fleck Heideland.

Nicht ganz in der Tiefe, gleichgestellt der Arbeit und den Scheuern des Tales. Aber auch nicht unermeßlich hoch über dem stillen Frieden dieses Lebens.

Der Wanderer muß steigen, will er diese sanfte Höhe gewinnen. Einmal droben, sieht er dann gemächlich hinein in die zierlichen Halmreihen und die Hecken, darin sich sorgloses Volk tummelt; in die verlassenen Schotterkuhlen, darüber schon mitleidiges Gras schleiert, und in die träggeschäftigen Bauernhöfe oder in die krähenumschwärmte Brache. Und dem goldigblauen Himmel ist er just so nahe wie der schraubende Mauser da oben, oder jener schwarzviolette Berg, über den die Frühlingsschatten jagen.

Eine saubere, ruhige Straße zieht da herauf, quer durch verwahrlostes Weideland und Dorn und Erlach. 7

Oben auf dem breiten Rücken des Hügels wandelt sie dann gemach das junge Eichenholz vorbei und den duftigen Birkenhain, bis sie wieder talwärts steigen muß, hinab zu den Wiesen und Schollen. Da ist nichts Heftiges, nichts Trotziges, nichts, was verwirren könnte oder erschüttern. Aber gerade darin ist dies Land so schön, daß es rührt, ohne zu blenden, still ist und doch hinhorcht nach des Menschen Glocken und Rädern und Spaten, einsam träumt und doch wacht über dem Schreiten und Schaffen da drunten.

Meine wenigen Spannen Welt haben sich freilich versteckt vor dieser Straße und ihren müden und hoffenden und bergenden Kunden. Ganz abseitig dehnen sie sich am wohlig warmen Hügelrande, wo krauses, braunes Heidekraut unter geschmeidigen Birken kauert – unter diesen Birken, die so licht sind und zart und biegsam wie junge Mädchenleiber, so unstet und überschwenglich wie Mädchenseelen. Dort duckt sich auch Freund Juniperus, der weise, widerspenstige Strauch, um den der Herbst mit demantglitzerndem Brautgespinst wirbt . . . Dort späht der Hang in den Schotterbruch hinab, in diese böse, krustige Narbe meines Hügels. Sie haben ihn nun vergessen, feines Rasengewebe schützt das Mal, allerhand bescheidenes Leben schmarotzt darin: bunte Nattern, nervöse Echslein, mitunter gar ein Hühnervolk. Ganz am Rande, wo der Spatel sich unter die Heideplagge hineingebissen hat, in sicherem, molligem Neste schläft schon seit Jahren mein alter Schotterhase. Der Hund kennt ihn, er weist ihn mir kaum mehr. Mag auch sein, daß der rote Heideritter an mageren Fangtagen seine Grimasse von oben über die Kuhle schiebt. Irgend ein Brocken fällt da allemal ab.

Dort oben, im Heidekraut zwischen Birkenjungfrauen 8 und Wacholderweiblein, spannt sich meine Welt. Viel tausendmal haben wir uns da geborgen, ich und Bruder Müßiggang. Dann haben wir zusammen in die buntscheckigen Ackerbreiten hinabgeschaut, in die goldenen Wellen der Gerste und den schilfwüchsigen Mais. Haben den leichtmütigen Fälterlein und pflichteifrigen Immen nachgesonnen, die der Wind über den Hügel trug, auf die Wiese zu den Butterblumen, ins Holz zur Taubnessel. Haben die Gefährten des Pflügers belauert, die tiefernsten Krähen oder die lachenden, schimmernden Taubenschwärme auf der Stoppel. Schön war's; und der, dem ich dort den lieben Tag stahl, hat mir's verziehen. Denn durch ihn geschah es.

Aber schöner war's noch aus der Rückenschau.

Da wanderten oder trieben oder schleppten die sonderbaren Geister, die sich von der warmen, dampfenden Muttererde losringen und doch nimmer in die Ewigkeit hinauf können zu den anderen Sternen: die Wolken. Wie Gedanken sind sie, Gedanken dieser Welt, ebenso in unfaßbaren Fernen irrend wie die unseren. Da sind die Gewaltsinnenden, die stolz und finster sich heraufrecken, gefolgt von Heeren mit funkelnder Waffe und dröhnendem Tritt. Die Verzweifelten, die haltlos von Kante zu Kante der sichtbaren Welt schleiern, schlaff hereinhangend, grau wie Kirchhofstrauer. Die Schwermütigen, die der nasse Sturm die Straßen hinunterhetzt, die Launischen, die eilige Schatten vor sich her über das Sonnenland rollen. Und die weißen Fläumchen, zart, gleich Liebesträumen, willenlos, sich auflösend in Hingabe und Verzückung: die einzigen, welche da droben einzugehen scheinen in Räume, wo Körper Idee wird und Gedanke Gefühl . . .

Da kreuzten wundersame Flüge den Raum: 9 stahlfunkelnd Schwalbenspiel, des Sperbers raubritterlicher Stoß, des Turmfalken zweifelhaftes Rütteln. In fürstlicher Höhe über solchem Volke die aufsteigenden Kreise des Schlangenbussards. Im Herbste Krähenschwärme, die der Talnebel führt, buntes Blätterstreuen vor dem Sturme. Und im Frühling, mit faulen, warmen Wolken die Schnepfe, eine große, weiche Fledermaus gegen die Flammenwand im West . . .

Was wußten die Wanderer und Kärrner der Straße dort von mir und meinen Gesichten?

* * *

Das war an einem warmen Apriltage, als mich ein seltsam Sinnen überkam an jener Stätte meiner Andacht.

Wie's so gehen mag, wenn der Frühling nachts durch die Wälder braust und tags im Blute.

Man webt seine Gedanken, schlingt sie um allerhand wechselnde Bilder und wandert mit denen bis ins Unendliche hinaus. Vom zierlichen Primelkelche, der sich über Nacht erschlossen, ist's nicht so arg weit zum herrlichen Stern Aldebaran, der vielleicht aller Sonnen Sonne ist und seinen Erden ewig Frühlingsfackeln zündet . . . Die erkenntlichste Gegenwart ist nichts denn eine Vertrösterin auf die Zukunft . . . Man lauscht gerne dem Wehen der Flügel, die unsere Hoffnungen ins Licht hineintragen. Aber dann kommt die Überwältigung, und alles Denken schlüpft ins sichere Nestchen zurück, wie ein müdes Kind nach tollem Spiel im Lenzhag. Und wieder gewinnt das Kleinste Bedeutung, die genußmatten Sinne heben zu träumen an, sie spiegeln nichts mehr nach innen. Aber die Seele hat sich aufgetan, wie jener Primelstrauß unterm Schotterbruch; sie leuchtet 10 und duftet, als wär' der Frühling über sie gerauscht; sie wird ihrer selbst bewußt, ihrer dunklen Tiefen und morgenroten Höhen, ihrer Brachen, ihrer Keime . . .

Man sinnt über seine eigenen Gedanken.

So war's gekommen an jenem Apriltage.

Ich hatte mich sattgesogen an all den Wundern von Schönheit, wie sie zu solch seligster Stunde zur Erde niedersteigen.

Oben wälzten sich die schweren, tintenfarbenen Wolken des Südwindes, und mit ihnen glitten Schatten und Sonnenschein über die Landschaft. Schier grausig grell standen die schmächtigen Birkenstämmchen dagegen . . . Drüben meine dunklen Waldberge, gedrungene, ernste Gesellen, mit ihrem Mantel von Buchenwäldern und Kastanienhainen. Das schien sich in die Ewigkeit hinauszuwellen, Hänge und schwarzblaue Täler und Kuppen, fahl im wechselnden Lichte. Heut nacht mußte der nasse Sturm ein blaßgrünes Netz über die Buchen gesponnen haben, heut abend würde die Drossel in kahler Kastanienkrone stammeln; ich wußte es . . . Und drunten das Ackerland. Herber Duft von frischer Scholle wölkt herauf, junges Korn zittert unterm warmen Wind, der plötzlich dreinfällt. Dazwischen die Weiler, schon halbversteckt in Knospen und Trieben; um Quasimodogeniti tauchten sie dann unter in schlohweißem Flaum . . . Alles satt von feuchten Farben, greifbar und klar . . .

Erlösungszauber; Karfreitagszauber.

Weich wird man, schlaff und trunken unter seinem Bann. Ich weiß nicht recht, was das Herrschende ist in dieser Stimmung: verhaltener Jubel oder tiefe Schwermut. Denn wahrhaftig, es ist ein Schwermütiges um all das todgeweihte Blühen und Keimen. Das 11 Leben ist nichts denn des Sterbens Beginn und die Blüte ein Zeichen des Vergänglichen.

Eines aber weiß ich: in solchen Stunden, unter solchen Wolken schlummert der Jäger in mir. Ich träume von Parsifal, der über dem Wilde schluchzte, das sein Bolz gefällt. Das war derselbe Parsifal, der später nach Heldenjahren nichts mehr wissen wollte von Karfreitagszauber und Erlösung . . .

Parsifalträume . . .

Weben sie nur eben dann, wenn Osterwind über den Hag streicht und Knospen lockt und die Quellen im Moose tauen? Nur in den hohen Nächten, da alles nach Zeugung ringt und nach Geburt, da der Kauz von wilder Liebe heult und schwellende Zweige sich gegen den Mond recken, der hinter dünnen Schleiern steht? Steigen sie nur aus jener süßen Frühlingsdämmerung hervor, im Zeichen der Weidenkätzlein, zur Stunde, die Leben quillen heißt aus fahler Wiesenhalde und demütigem Gestrüpp am Waldessaum?

Ich habe sie auch in hohen Augenblicken geträumt, diese Leiden des jungen Jägers Parsifal.

Auch dann, wenn ich über dem starken Hirsch stand, dessen krampfig Schnellen das Leben nur um so rascher aus der kleinen runden Wunde trieb. Auch im Siegesrausche, wenn meine Hand sich bebend zwischen Sproß und Stange spannte, gierig, wollüstig. Oder im herrlichen Buchendom, wenn der Hauptbock die Spreu fliegen ließ und die Lichter angstvoll verdrehte, bis die mitleidige Klinge Läufe und Blick in Starrheit gebannt. Selbst im Vollgenusse des Triumphes, der Beute, der Macht.

Sind sie dem Jäger angeboren – sind sie sein geheimstes Seelengut, diese Träume? 12

Mein Blick wandert zurück. Weit, weit: bis an die dunkelsten Grenzen der Menschheit.

Wilde Männer schaut er, struppige, harte Gesellen. Sie schweifen am Fuße ewiger Gletscher, über die Matten, von Renntierherden bevölkert, durch Forste, in denen das Mammut bricht. Ohne Wahl schwirrt der Pfeil, dem Rennbullen in die Flanke, der Elchkuh ins Blatt. Dann hausen fellgeschürzte Horden um das Feuer, halb roh wird das frische Wildbret verschlungen. Die Knochen dienen der Feuerung oder dem Pfeilschnitzer, die Decke der Gewandung. Das hockt und kaut und schmatzt bei wärmender Lohe; hie und da fällt ein bösartiger Kehllaut, ein Schlag, wenn es an ein besonders fettes Lendenstück geht. Einige schaben auch an Pfeilschaft und Steinklinge, flechten dem Bogen Schnellkraft aus trockener Hirschsehne, gerben Wildleder mit Asche und Fett . . . Plötzlich greift einer zur Waffe. Sein Ohr, empfindlich wie das eines Raubtieres, hat draußen einen weichen Tritt vernommen – jenseits des Feuerscheines. Dort flammen zwei grüne Kohlen, ein geschmeidiger Leib strafft sich zum Sprung. Noch ist der Mensch nicht Herr . . .

Üppige Fürsten schaue ich, herrschend über ein blondlockig Volk, Knechte ihrer Günstlinge und Kebsweiber. Längst ist das Reich gesichert, Furcht und Mut sind zugleich erschlafft. Höchstens, daß es gilt, Palastrevolten niederzuwerfen, einen Nebenbuhler wegzuräumen. Die gewaltigen Fluten des Völkermeeres rollen östlich vorbei, dem Mittag zu. Täglich wird in den ungeheuren Forsten gejagt: Auerstier, Keiler, vielleicht gar der Wildhengst sind gewohnte Beute. Die Tat der Not wurde zum Willen, zur Lust.

Und diese Lust? 13

Ist sie ein uraltes Erbteil, nimmer auszutilgen aus Mannesseelen?

Hat sie so tiefe Wurzeln geschlagen in jenen dämmerhaften Urtagen, da ein Zwang, eine Anpassung Steinschleuder und Pfeil ersonnen? Ist's eine brennende Sehnsucht nach Tat und Machtbeweis, die immer noch, selbst nach dem Siege, in eratmender Zeit des Friedens, den Beherrscher an seine sieggewaltige Waffe fesselt? Oder heißt ihn kindliche Freude an der eigenen Überlegenheit, am Ende gar die natürliche, unbedenkliche Grausamkeit des Kindes solches tun?

Dunkel fürwahr sind die Pfade, die aus verschollenen Altern unserer Welt heraufführen zu diesem Rätsel, zum Lichte voller Menschlichkeit.

Zum Lichte . . .

Denn dann schaue ich einen Lenzmorgen, weich, keimschwer, voll der Erlösung und Schönheit, wie dieser hier, der auf nassen, tiefen Wolken über den Heidehügel zieht . . . Ein Bolz schwirrt, ein Wild stürzt. Und dann beugen sich junge Knie, einen Augenblick nur strahlen die sinnenden, blauen Augen im Triumph; plötzlich rollt Zähre auf Zähre heiß ins Moos, das Kinderantlitz birgt sich im warmen, weichen Fell der Beute, schmeichelnde Hände wollen wieder Leben zaubern, die Starrheit scheuchen, die sie in den Frühlingsmorgen hinausgeschleudert . . . Und ist's nur die Blüte einer Dichterseele, dies wundervolle Bild: im Augenblicke, da solcher Blüte Geburt ward, hatte das Weben der Parsifalträume begonnen, dieses schmerzlichen Sinnens, das sich durch finstere Zeiten und wildes Sturmwogen herüberspinnt bis in unsere Tage, bis auf meinen stillen Heidehügel, in meine lenzberauschte Seele . . .

Mir ist's, als wäre dies dunkle Bild der 14 Vergangenheit nur ein Spiegel, darin ich mich selbst schaue, Zug für Zug.

Noch einmal irrt die Erinnerung bis ins Unwiederbringliche hinab. Aber diesmal nicht so tief.

Nur bis zum Tage, dem beseligendsten aller, da ich den ersten Schuß tun durfte. Keinem edlen Wilde galt's, irgend einem armen, gefiederten Geschöpf, einem Würger oder einer Drossel. Gleichviel. Das Blut wallte, die Wangen brannten, als ich zum ersten Male den Tod in die Ferne hinaus gewollt. Und so geschah's noch viel tausendmal. Zu hohen Stunden berauschenden Genusses, in meinen geliebten Bergwäldern drüben, unter fernen Himmeln, wo ich Wild und Wald und Menschen kaum kannte, zwischen lieben Freunden und anderen, die mir mehr noch bedeuteten, in Tagen wolkenloser Heiterkeit, unter den Schatten bitteren Wehs. Inmitten der königlichsten Pracht von Natur und Göttern, in bescheidenem Gelände, dessen Schönheit nur liebende Sinne fühlen.

Bis dann jener stille Gast kam: der Parsifaltraum.

Auf scheuen Sohlen stahl er sich herein, aus einem Zwielicht hervor, das jenseits des Willens dämmert; und er wurde der grübelnde Bruder einer Lust, die selbst aus rätselhaften Tiefen quillt, die stark ist wie Liebesleidenschaft und berauschend wie dunkler Wein . . . Die wohl bewußt ist ihrer Kraft; doch nimmer ahnt, von wannen sie gekommen.

Und was bleibt übrig, wenn neben dieser Lust stets ein Warner herschreitet, der jeden Brand dämpft, jeden Siegesruf in der Kehle erdrosselt?

Es ist wahrscheinlich die Tragik aller großen 15 Leidenschaften, daß sie von einer höheren Einsicht nicht rein befunden werden.

Und darum gesellen sich ihnen jene Parsifalträume, die nicht morden dürfen und nicht Klarheit bringen. Ihr Werk ist, schmerzliches Bewußtsein zu schaffen; jenes Tasten im Zwielicht, welches das Menschlichste ist am Menschen.

Die göttliche Sonne der Unbefangenheit soll uns nimmer scheinen; wechselnde Wolken hüllen sie, lassen sie ahnen, lassen uns sehnen. Aber verloschen ist uns das Licht nicht, ebensowenig wie die Leidenschaft. Das alte Märchen vom Paradiese – vom Menschen! Tag und Nacht rieseln ineinander, kein ständiges Dunkel, kein ewiger Glanz: ein stetig Ringen ohne Sieg, eine nimmer zu bannende Dumpfheit, das Los des Ahnens und der Sehnsucht, welches den Unseligen, Verstoßenen erst zum Menschen machte – zum Künstler.

Das ist der Segen des Parsifaltraumes.

Manch stillen Dank hab' ich ihm gewußt: für der Seele tiefste Zerknirschung und ihren Sonnenflug; dafür, daß er mir der Jugend hellen Wildmut nahm und dafür den Gedanken schenkte; daß er mir den Glauben raubte und sinnenden Zweifel gab . . . Denn was wäre Glaube ohne Zweifel, was Erkenntnis ohne Dämmerung?

Nur jener ist die Seligkeit des Schauens und Deutens, denen Glaube und Erkenntnis durch Zweifel wurden. Wäre dies Ringen nicht, wie sollte sich der Fittich regen und uns emportragen über die Wolken hinaus – sonnenwärts? Wäre dies sinnend Schauen nicht, das Tiefste wäre dem Jäger genommen: das wundersame Klingen seiner Seele. Sie schwingt mit, wenn schwerer Sturm in den Kronen wühlt, sie zittert, wenn goldiger Frühling im Hag sonnt. Eine geheime Saite, die 16 jeder Weise folgt, trunkenem Sommersang und der dumpfen Stille der Schneenacht . . .

Das ist's.

Und rührt an den Sinnen solch geheimes Regen, darin jene uralte Leidenschaft flackert und der Parsifaltraum webt und seltsame Erscheinungen schwanken: dann gestalten sich Bilder, Grüfte tun sich auf, erlebte Formen hüllen sich in Dichtung, erdichtete gewinnen Leben. Heißblütige Jugendfahrten und sinnende Wanderungen, stille Gänge und große Einsamkeiten reihen sich, dichten sich, ringen nach Farbe und Gebärde. Aber die Seele, die ihnen allen Atem gibt, Gedanke und Wesen – diese Seele ist die Urleidenschaft: der Ahnen Not, der Enkel Lust . . .

Jagd!

In ihren Grenzen wallt die Fülle der Empfindungen, in ihr lebt die Vision, die Erinnerung, die Gegenwart, die Ahnung . . . Sie spiegelt dem Träumer auf dem Heidehügel Leben, Sehnsucht und Geschick. Sie bricht den Strahl, der jenem die krause Welt erleuchtet, die er geschlossenen Auges schaut:

Büchsenlicht!

* * *

Rastlos rollen die Südwolken von den Bergen herüber. Aber immer wandert ein Streif Sonnengold mit über das Lenzgelände. Das ist ein Irren und Eilen, ein Schatten und Leuchten, als gäbe es keinen Mittag, kein Fest gnadenreichsten Liebestodes . . .

Der Hund regt sich im Heidekraut. Die Rute zittert, angestrengt späht er in die Schotterkuhle hinab. Dort unten liegt einer lang in den Stauden, rot und 17 geschmeidig, mit blütenweißer Luntenquaste – der sauberste Birkfuchs. Das gilt der großen, blaugrünen Eidechse, die sich so gern im Schotter sonnt und auf Fliegen weidwerkt. Und die Fliegen haben's auch gut da unten: vor einigen Tagen taumelte der Sperber gerade da hinein, als er eben nach Paarhühnern stieß . . .

Langsam, ganz langsam hebt sich das Rohr, ein Auge schielt darüber nach jener roten Gestalt, ein Finger krümmt sich . . .



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