Emile Gaboriau
Aktenfaszikel 113
Emile Gaboriau

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

24.

Einige Tage später ging Herr Lecoq – der offizielle Lecoq, der wie ein Kanzleirat aussieht – in seinem Arbeitszimmer ungeduldig auf und ab und blickte alle Augenblicke auf die Uhr.

Endlich klingelte es und Nina und Prosper erschienen.

»Herr Verduret hat uns zusammen hierher bestellt,« sagte Prosper.

»Bitte, wollen Sie sich einen Augenblick gedulden, ich werde ihn sofort benachrichtigen.«

Er ging und ließ die beiden allein. Sie saßen und sprachen kein Wort miteinander, und es dauerte geraume Weile, ehe Herr Verduret erschien.

Er hatte nicht seine gewöhnliche freundliche Miene, sondern sah so finster aus, daß weder Prosper noch Nina wagten, ihm, wie sie es wollten, freudig entgegenzustürzen.

»Sie kommen, um Aufklärung von mir zu fordern,« sagte er, »ich habe Ihnen versprochen, das Geheimnis zu enthüllen und ich werde Wort halten – wenn es mir auch schwer fällt. Also hören Sie: Ich hatte einen Freund namens Caldas. Er liebte ein junges Mädchen und war so töricht zu glauben, daß auch sie ihn liebe, weil sie ihm alles verdankte . . .«

»Ja,« rief Nina, »sie liebte ihn!«

»Sie liebte ihn so,« fuhr Verduret fort, »daß sie eines Tages mit einem anderen davonlief. Er war fast wahnsinnig vor Schmerz und nahe daran, sich umzubringen, aber er faßte sich und beschloß Rache zu nehmen. – Und Caldas hat sich gerächt. Er hat den Zerstörer seines Glücks, der durch seinen Unverstand und seine Charakterschwäche an dem Rand des Abgrunds stand, mit starker Hand zurückgerissen und ihn gerettet. – Verstehen Sie, Prosper, wissen Sie wer die handelnden Personen sind? Sie sind alle hier versammelt . . .«

Und mit rascher Bewegung riß er Perücke und Bart herunter.

»Caldas!« rief Nina.

»Ich heiße in Wirklichkeit weder Caldas noch Verduret, sondern – ich bin Lecoq, der Sicherheitsagent.«

Prosper und Nina waren zu verblüfft, um ein Wort hervorbringen zu können. Lecoq aber fuhr zu Prosper gewendet fort: »Sie verdanken Ihr Heil nicht mir allein; Fräulein Magda war meine getreue Bundesgenossin. Ich hatte ihr versprochen, daß Herr Fauvel nie etwas erfahren würde, allein Sie haben durch Ihren anonymen Brief meine Veranstaltungen vereitelt. – Ich bin zu Ende, nun wissen Sie alles.«

Er wollte in sein Schlafzimmer zurücktreten, aber Nina stürzte auf ihn zu und rief flehentlich: »Caldas, ich beschwöre dich, habe Erbarmen – ich bin so unglücklich – ach, wenn du wüßtest . . .!«

Prosper sah, daß seine Gegenwart überflüssig war und entfernte sich leise.

* * *

Wenige Wochen später wurde die Hochzeit Magdas und Prospers gefeiert, nachdem Fauvel den jungen Mann zu seinem Geschäftsteilhaber gemacht hatte.

Die Firma des Bankhauses hieß nun:

André Fauvel und Prosper Bertomy.

 

Ende

 


 << zurück