Emile Gaboriau
Aktenfaszikel 113
Emile Gaboriau

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3.

Zur selben Stunde als Nina ihre neue Behausung aufsuchte, wurde Prosper ins Polizeigefängnis gesperrt.

Er hatte sich die ganze Zeit über tapfer gehalten. Auf dem Polizeikommissariat, wo er mehrere Stunden warten mußte, saß er ruhig und gleichgültig, als ginge ihn die Sache gar nichts an. Als es Mittag war, ließ er sich das Essen aus einem nahen Gasthaus holen, er aß mit Appetit und leerte fast eine ganze Flasche Wein.

Als man ihm sagte, daß der Wagen, der ihn ins Gefängnis führen sollte, da sei, zündete er sich ruhig eine Zigarre an und rauchte während des Hinuntergehens. Am Haustor stand eine Blumenverkäuferin, er kaufte ihr ein Veilchensträußchen ab und steckte es ins Knopfloch. Als die Frau merkte, daß er verhaftet sei, sagte sie: »Armer Herr, viel Glück!«

Dies teilnehmende Wort rührte ihn.

»Ich danke, gute Frau, aber ich habe schon lange keines mehr,« antwortete er.

Es war ein strahlend schöner Frühlingstag, Prosper blickte sehnsüchtig zum Wagenfenster hinaus und sagte: »Merkwürdig, noch nie habe ich eine so große Lust gehabt, spazieren zu gehen, wie heute.«

Der Gendarm, der an seiner Seite saß, brach in ein schallendes Gelächter aus.

»Ja, das glaube ich wohl!« meinte er.

In der Kanzlei, wo die üblichen Förmlichkeiten abgemacht werden mußten, antwortete Prosper auf die ihn vorgelegten Fragen kurz und kühl, nur als man ihm befahl, die Taschen zu leeren und man sich anschickte, ihn zu untersuchen, stieg die Röte des Unwillens ihm heiß ins Gesicht und eine Träne drängte sich in sein Auge. Aber nur einen Augenblick dauerte die Erregung, er biß die Zähne fest aufeinander und ließ sich von Kopf zu Fuß betasten, ob er nichts Verdächtiges unter seiner Kleidung berge.

Diese demütigende Untersuchung würde vielleicht noch länger gedauert haben, ohne die Einmischung eines vornehm aussehenden älteren Herrn mit weißer Halsbinde und goldener Brille, der an dem, trotz des herrlichen Frühlingswetters, geheizten Ofen stand und sich wärmte. Er schien hier wie zu Hause zu sein.

Als Prosper mit den Gefängniswärtern eingetreten war, hatte er ihn überrascht angesehen und machte Miene, auf ihn zuzutreten, indes besann er sich eines anderen, blieb auf seinem Platze stehen, beobachtete Prosper aber unausgesetzt.

Diesem entging es nicht, daß der Herr ihn beharrlich betrachtete, er schien ihn zu kennen, aber so sehr Prosper auch sein Gedächtnis anstrengte, er erinnerte sich nicht, ihn je gesehen zu haben.

Als nun die Männer, die Prosper untersuchten, sich anschickten, ihm auch die Stiefel auszuziehen, um zu sehen, ob er nicht etwa ein Taschenmesser oder dergleichen darin verborgen hätte, wehrte der Herr mit einer Handbewegung ab und sagte: »Genug.«

Die Leute ließen sofort von ihm ab, denn der Befehl kam von einer Persönlichkeit, die sich unter dem Gerichtspersonale der größten Wertschätzung erfreute, der Herr war nämlich der berühmteste Detektiv der Polizeipräfektur, Lecoq mit Namen.

Endlich waren alle Förmlichkeiten erledigt, der unglückliche Kassierer wurde in eine Gefängniszelle abgeführt und die schwere eisenbeschlagene Tür hinter ihm abgesperrt.

Jetzt, wo er allein war – sich wenigstens allein wähnte – denn er wußte nicht, daß die Wände und Türen eines Gefängnisses Augen und Ohren haben – jetzt ließ er die Maske angenommener Gleichgültigkeit fallen und ließ seinen zurückgedrängten Tränen freien Lauf.

Er war der Verzweiflung nahe. Man bezichtigte ihn eines Verbrechens, sein ganzes Leben war zerstört, verloren! Das also war der Weg, den er genommen, die Zukunft, die er erträumt!

Er war von Jugend auf von einem brennenden Ehrgeiz beseelt gewesen und alles, was er an Intelligenz und Tatkraft besaß, hatte er angewendet, um sich emporzuringen, sich eine schöne Lebensstellung zu schaffen und nun . . .!

Er wußte, daß er verloren war, er gab sich keiner Täuschung hin, denn der Verdacht ist wie ein unauslöschliches Brandmal und wer einmal darunter gestanden, der ist gezeichnet für ewige Zeiten!

Er hätte rasen, toben können, aber dann überfiel ihn tiefste Mutlosigkeit.

»Verloren, verloren!« stöhnte er und warf sich schluchzend aufs Bett.

Als am Abend der Gefängniswärter ihm das Essen brachte, lag er noch in derselben Stellung. Auch jetzt, da er allein war, hatte er keinen Hunger, er ließ alles unberührt und lag die ganze Nacht schlummerlos, ein Raub grenzenlosester Verzweiflung.

Gegen Morgen überfiel ihn doch eine Art Betäubung, aus der ihn erst die Stimme des Gefängniswärters riß. Er war gekommen, um ihn vor den Untersuchungsrichter zu führen.

Mit einem Satze war Bertomy aufgesprungen. Er sollte verhört, sein Schicksal entschieden werden! Und ohne daran zu denken, seine Kleidung in Ordnung zu bringen, sagte er: »Gehen wir, gehen wir!«

Der Gefängniswärter führte ihn durch eine endlose Reihe Korridore und Säle, bis er endlich vor einer Tür stehen blieb.

»Wir sind am Ziele.«

Prosper schrak zusammen; hier also, hinter jener Türe, war der Mann, der sein Schicksal, sein Leben in Händen hielt, der ihn freilassen, oder den Vorführungsbefehl von gestern in einen Haftbefehl verwandeln konnte!

Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und legte die Hand auf die Klinke. Aber der Gefängniswärter hielt ihn zurück.

»So schnell geht das nicht,« sagte er, »setzen Sie sich, man wird Sie aufrufen, wenn die Reihe an Sie kommt; es sind noch mehr Leute hier.«

In der Tat wimmelte es in dem dunklen unsauberen Korridor von Leuten aller Art. Häftlinge, Zeugen, Polizisten kamen und gingen und saßen längs den Wänden auf den Bänken. In kurzen Zwischenräumen ging immer eine von den vielen Türen auf, die in den Korridor mündeten, und ein Gerichtsdiener rief einen Namen oder eine Nummer.

Die Luft war so heiß und dunstgeschwängert, daß Bertomy sich einer Ohnmacht nahe fühlte, als endlich die Tür, neben der er saß, geöffnet und sein Name gerufen wurde.

Er taumelte empor und stand auf einmal, er wußte selbst nicht wie, im Zimmer des Untersuchungsrichters.

Da er aus dem finsteren Raume kam, war er von der Lichtflut, die durch das der Tür gegenüber liegende Fenster breit hereinströmte, so geblendet, daß er gar nichts sah. Erst nach einigen Augenblicken sah er mitten im Zimmer einen mit Akten bedeckten Tisch, hinter dem der Richter saß, zu seiner Rechten stand an einem Schreibpult sein unentbehrlicher Gehilfe: der Gerichtsschreiber.

Das Äußere des Untersuchungsrichters war ein ungemein sympathisches, er hatte gütige milde Augen und um seinen schöngeformten Mund lag ein Zug des Wohlwollens. Und in der Tat war Herr Pertingent ein edler Charakter, so recht für seinen schwierigen Beruf geschaffen, er besaß eine unermüdliche Geduld, ließ sich durch keine vorgefaßte Meinung beeinflussen und war von falschem Mitleid ebenso weit entfernt, wie von übermäßiger Strenge.

»Setzen Sie sich,« sagte der Untersuchungsrichter. Prosper war von dieser Freundlichkeit angenehm berührt, er hatte befürchtet, geringschätzig behandelt zu werden; die Höflichkeit des Richters erschien ihm als ein gutes Vorzeichen und gab ihm seine geistige Freiheit wieder, ruhig und mit klarer Stimme beantwortete er die Fragen des Untersuchungsrichters nach Namen, Alter, Stand, Wohnung und nur als er über seine Familie befragt wurde, von seinem alten Vater und der jungverheirateten Schwester sprach, zitterte seine Stimme merklich und dem Richter entging diese Bewegung nicht.

Herr Pertingent blätterte eine Weile in seinen Akten, dann hob er den Kopf und sagte plötzlich: »Man beschuldigt Sie, Ihrem Chef 350 000 Frank entwendet zu haben.«

Seit vierundzwanzig Stunden mußte Prosper darauf gefaßt sein, diese Anklage zu hören und doch, als der Richter sie jetzt aussprach, schmetterte sie den Unglücklichen derart nieder, daß er außerstande war, eine Silbe hervorzubringen.

»Nun, was haben Sie darauf zu erwidern?« fragte der Richter.

»Ich bin unschuldig, ich schwöre es Ihnen, daß ich unschuldig bin!«

»Ich wünsche es um Ihretwillen, und ich meinerseits werde gewiß nichts versäumen, was Ihre Unschuld ans Licht bringen kann. Sie können sicherlich einige Umstände zu Ihrer Verteidigung anführen, sprechen Sie.«

»Ach Gott, was kann ich sagen? Es ist mir ja alles völlig unbegreiflich. Ich kann mich nicht verteidigen, ich kann mich nur auf mein ganzes Leben berufen . . .«

Der Richter hieß ihn mit einer Handbewegung innehalten.

»Sprechen Sie sich klar über die Sache aus. Der Diebstahl ist unter Umständen ausgeführt, daß der Verdacht nur Sie oder Herrn Fauvel treffen kann, verhält es sich so?«

»Ja.«

»Folglich wäre, da Sie sich für unschuldig ausgeben, Herr Fauvel der Täter?«

Prosper schwieg.

»Haben Sie einen Grund anzunehmen, daß der Chef sich selbst bestohlen hat? Geben Sie ihn an, und wenn er noch so geringfügig wäre, wir wollen ihn in Erwägung ziehen.«

Und da Prosper noch immer schwieg, setzte der Richter freundlich hinzu: »Wohl, ich sehe, Sie bedürfen noch einiger Zeit des Nachdenkens, die sei Ihnen gewährt; jetzt wird Ihnen mein Schreiber das Protokoll vorlesen, und wenn Sie unterschrieben haben, werden Sie in Ihre Zelle zurückgeführt werden.«

Nochmals ins Gefängnis zurück! Der Unglückliche war wie vernichtet, er hörte gar nicht, was ihm der Schreiber vorlas und unterschrieb, ohne zu sehen, denn es flimmerte ihm vor den Augen. Als er aus dem Zimmer des Untersuchungsrichters heraustrat, schwankte er so, daß der Gefängniswärter ihn stützen und führen mußte.

Prosper kam ganz gebrochen in seiner Zelle an. Er hatte sprechen, sich verteidigen wollen und hatte es versäumt, mußte weitere gräßliche Stunden warten, bis er wieder vorgerufen würde. – Mutlos, verzweifelt saß er da und gab sich verloren.

Unterdessen hatte der Untersuchungsrichter, Herr Pertingent, den Bankier André Fauvel als Zeugen vorladen lassen.

So weich Fauvel vor Bertomys Verhaftung gestimmt gewesen, so erbittert war er jetzt, und nachdem vor dem Untersuchungsrichter die unvermeidlichen Vorfragen erledigt waren, erging er sich in so heftigen Schmähungen gegen seinen ehemaligen Kassierer, daß der Untersuchungsrichter Einhalt gebieten mußte.

»Bitte, wollen Sie sich damit begnügen, auf meine Fragen zu antworten. Haben Sie je an der Redlichkeit Ihres Kassierers gezweifelt?«

»Nein, obwohl ich genügende Gründe gehabt hätte.«

»Was für Gründe?«

»Mein Kassierer spielte, er brachte ganze Nächte beim Bakkarat zu und hat, wie ich erfuhr, einigemal nicht unbeträchtliche Summen verloren. Er soll auch einmal in eine schmutzige Spielgeschichte verwickelt gewesen sein, wie er überhaupt einen schlechten Umgang hatte.«

Fauvel erzählte noch einige Beispiele von Bertomys grenzenlosem Leichtsinn und der Richter bemerkte: »Sie müssen es doch selbst eingestehen, Herr Fauvel, daß es von Ihnen unvorsichtig, um nicht zu sagen strafbar, war, einem solchen Manne Ihre Kasse anzuvertrauen.«

»Sie würden recht haben, Herr Richter, wenn Bertomy immer so gewesen wäre, aber bis vor einem Jahre war er nicht nur das Muster eines Beamten, sondern eines jungen Mannes überhaupt. Er verkehrte in meinem Hause, wir betrachteten ihn als zu meiner Familie gehörig, meine Söhne liebten ihn wie einen Bruder und er brachte alle Abende bei uns zu. Plötzlich brach er seine Besuche bei uns ab und das wunderte uns um so mehr, als wir alle Ursache hatten anzunehmen, daß er meine Nichte Magda liebte.«

»War vielleicht gerade diese Liebe die Ursache von Bertomys Entfernung?« fragte der Richter.

»Dazu wäre kein Grund vorhanden gewesen,« entgegnete der Bankier, »ich hätte seine Bewerbung nicht nur nicht verhindert, sondern ihm gerne meine Einwilligung gegeben. Für ihn aber würde diese Verbindung ein Glück gewesen sein; meine Nichte ist ein schönes liebenswertes Mädchen und besitzt eine halbe Million Mitgift.«

»So wissen Sie keinen Grund für das Betragen Ihres Kassierers?«

Herr Fauvel dachte nach.

»Eigentlich keinen, zwar wollte es mir scheinen, als ob Prosper sich geändert hätte, seit er mit einem jungen Mann namens Raoul von Lagors Umgang pflegte.«

»Wer ist dies?«

»Ein Verwandter meiner Frau, Prosper hat ihn bei uns kennen gelernt. Er ist ein liebenswürdiger, einnehmender junger Mann, der allerdings etwas leichtsinnig ist, aber da er Vermögen besitzt, so kann er seine tollen Streiche bezahlen.«

Während der Bankier sprach, notierte der Untersuchungsrichter sorgfältig den Namen Raoul von Lagors und fragte dann weiter: »Sind Sie sicher, daß niemand anderes den Diebstahl ausgeführt haben kann?«

»Vollkommen sicher.«

»Tragen Sie den zweiten Kassenschlüssel immer bei sich?«

»Zumeist, wenn nicht, liegt er in dem obersten Schubfach meines Schreibtisches in meinem Schlafzimmer.«

»Trugen Sie den Schlüssel gestern abend bei sich?«

»Nein, er lag im Schreibtisch.«

»Ja, dann . . .«

»Verzeihen Sie, bei meinem Geldschranke genügt der Schlüssel allein nicht, man muß auch das Stichwort kennen, nach welchem sich die Drücker in Bewegung setzen . . .«

»Und haben Sie das Wort niemandem gesagt?«

»Nein, niemandem. Gewöhnlich wählte der Kassierer das Stichwort, und oft wäre ich in Verlegenheit gewesen, wenn ich es hätte nennen sollen. Prosper sagte es mir zwar jedesmal, wenn er es wechselte, aber ich vergaß es häufig, nur das letzte habe ich behalten, weil es mir aufgefallen war, es lautete: Gypsy.«

Der Untersuchungsrichter notierte auch diesen Namen, dann fuhr er fort: »Waren Sie am Abend der Tat zu Hause?«

»Nein, ich brachte den Abend bei einem Freunde zu, kam erst nm ein Uhr nach Hause und legte mich gleich zu Bett.«

»Und Sie wußten nicht, welche Summe sich in der Kasse befand?«

»Nein, da Bertomy gegen meinen ausdrücklichen Befehl das Geld noch am Tage vor der Auszahlung holen ließ.«

Dem Untersuchungsrichter war es schon aus dem Protokoll des Polizeikommissars bekannt, daß es sich in der Tat so verhielt: Fauvel wußte nichts von dem Gelde in der Kasse – das belastete Bertomy schwer.

»Wenn ich auch glaube, über jedem Verdacht zu stehen,« sagte der Bankier, »so werde ich doch nicht eher ruhig schlafen können, bis die Schuld meines Kassierers klar festgestellt ist. Die Verleumdung wird nicht ruhen und der Verdacht, daß ich mich selbst bestohlen, wird an mir haften, obgleich ich zu jeder Stunde beweisen kann, daß ich dies nicht nötig habe. Sie würden mich verpflichten, Herr Richter, wenn Sie den Stand meines Geschäfts prüfen lassen wollten.«

»Das ist überflüssig, es ist vollständig bekannt, daß Sie ein vermögender Mann sind.«

Damit war Fauvel entlassen und der nächste Zeuge wurde vorgerufen. Es war des Bankiers ältester Sohn Lucian, ein schöner, intelligent aussehender Jüngling von zweiundzwanzig Jahren.

Er sagte, daß er Prosper immer geschätzt, geliebt und für einen Ehrenmann gehalten habe, auch jetzt noch könne er nicht begreifen, durch welche Verkettung von Umständen Prosper dahin gebracht worden sei, sich an dem Gelde zu vergreifen; er habe wohl gespielt, aber seine Verluste waren nicht so bedeutend, daß er sie nicht aus eigenen Mitteln ganz gut hätte decken können. Über das Verhältnis seiner Cousine Magda zu Bertomy befragt, äußerte er, daß alle in der Familie überzeugt waren, daß er sie heiraten werde und der Vater hatte nichts dagegen einzuwenden. Das Wegbleiben Bertomys habe er einem Mißverständnisse zwischen ihm und Magda zugeschrieben und war überzeugt, daß sie sich wieder versöhnen würden.

Nach Lucian kam die Reihe an Cavaillon. Der arme Bursche war in einem jämmerlichen Gemütszustande, er hatte sein Abenteuer überdacht und sich heftige Vorwürfe wegen seiner Feigheit gemacht. Die ganze Nacht wälzte er sich schlaflos auf seinem Lager und ward von den ärgsten Gewissensbissen gequält, fürchtete er doch zu Prospers Verderben beigetragen zu haben.

Vor dem Untersuchungsrichter wenigstens wollte er sein Unrecht gutmachen, nannte sich mutig Prospers Freund und sagte, daß er von seiner Unschuld so überzeugt sei, wie von seiner eigenen.

Nach Cavaillon kamen noch die übrigen Beamten des Bankhauses, ihre Aussagen waren ziemlich gleichlautend und unbedeutend, nur einer behauptete, Bertomy habe durch die Vermittlung des Herrn von Lagors an der Börse gespielt und nicht unbedeutende Verluste erlitten.

Damit war das Zeugenverhör zu Ende und der Untersuchungsrichter gab einem Diener den Auftrag, Fanferlot so schnell als möglich zu holen.

Es dauerte geraume Weile, bis man den Sicherheitsagenten ausfindig machte, er saß in einer Weinkneipe, wo er sich eine kleine Erfrischung gönnte.

»Seit wann lassen Sie so lange auf sich warten?« fragte ihn der Richter ziemlich unwirsch.

Fanferlot, der sich beim Eintreten tief bis zum Boden verneigt hatte, verbeugte sich nochmals und sagte: »Verzeihen Sie, Herr Richter, aber ich habe meine Zeit nicht verloren.« Dann berichtete er, was er alles vollbracht hatte, legte den Brief, den er Cavaillon abgejagt, vor, und erzählte – allerdings mit Einschränkungen – seine Unterredung mit Gypsy; von Magda erwähnte er nichts. Er hatte sich's in den Kopf gesetzt, Prospers Fall auf eigene Faust zu entwirren und so teilte er dem Richter nur soviel mit, als unerläßlich war. Was er aber über Prosper und Gypsy an biographischen Daten in Erfahrung gebracht hatte, berichtete er vollständig.

Nachdem er geendet, äußerte Herr Pertingent: »Es ist leider kein Zweifel möglich, daß der junge Mann schuldig ist.«

Fanferlot antwortete nicht, er freute sich, daß der Richter auf falscher Fährte war und der Ruhm, den wirklich Schuldigen ausfindig zu machen, ihm ganz allein gebühren würde – nur leider wußte er noch nicht, wie er an dies schöne Ziel gelangen sollte.

Der Richter besprach noch verschiedenes mit ihm und sagte schließlich: »Verlieren Sie mir die Nina Gypsy nicht aus den Augen, sie wird wohl wissen, wo das Geld ist und nur durch sie können wir auf die Spur kommen.«

Fanferlot lächelte verschmitzt.

»Keine Sorge, Herr Richter, das Dämchen ist gut aufgehoben.«

»Dann will ich sie morgen vernehmen.« Und sofort fertigte er eine Vorladung aus.

Noch zwei andere Zeugen waren vorgeladen worden, nämlich der Bureaudiener, den der Kassierer auf die Bank geschickt hatte, und Herr Raoul von Lagors. Letzterer aber war verreist und so konnte ihm die Vorladung nicht zugestellt werden, der Diener aber lag infolge eines Sturzes schwer krank danieder und war für den Augenblick nicht vernehmbar. Trotzdem aber diese beiden wichtigen Zeugen fehlten, wuchs Bertomys Aktenfaszikel immer beträchtlicher an und bald hatte der Untersuchungsrichter genug moralische Beweise in Händen, um Bertomys Schuld für erwiesen halten zu können.


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