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Das Luftmeer.

Der Luft.

D

 

as Windspi̦i̦l, welches in tückischer Überraschung dem Landmann sein Heu, der Bäuerin ihren Flachs entführt, galt einst als Hülle einer Hexe, welche aber auf das geschickte Hineinwerfen eines offenen Messers sich zu erkennen geben müsse. Der nüchternen Betrachtung ist heute das Windspiel lediglich Vorzeichen und Abbild eines Sturms, der heftig über Wasser und Land dahinfährt. Sture̥m nennt natürlich auch der Grindelwaldner jeden starken Wind. Er tut es aber mit dem noch lebenden Sprachgefühl, daß dem Ausdruck das Zeitwort «stören» zugrunde liege, welches der Oberländer in Ausdrücken wie d’Rëësti stëërren, im Wasser umha stëërren — oder in der Bilderrede we nn mu̦ den Dräck stëërd, su̦ stịịchd e̥r — so wohl kennt. Ein ebensolches «Herumrühren» schafft dem Emmentaler seinen Chi̦i̦rschisturm und Beeristu̦rm; 1 und was «sturm im Chopf» oder oberländisches gstŭ̦ren ist, bedarf keiner Auseinandersetzung. Wohl aber ist zum vollen Verständnis unseres «Sture̥m» an die stark coupierten Wände des trichterförmigen Grindelwaldner Quertales zu erinnern, in welchem die durch die «Enge» sich fortpflanzenden Ausgleiche zwischen verschiedenen Luft­dichtigkeits­stellen auch bei geringerer Stärke leicht die Bahnen wirklicher Wirbelwinde einschlagen können.

Die leiseste Bewegung der Atmosphäre macht sich bemerkbar an hiefür so empfindlichen Gegenständen, wie etwa dem Segel. An « des segels luft» zeigt sich nach alter Sprache 2 « des windes luft», womit 105 auch der Luft in seiner Grundbedeutung erklärt ist. — Man sagt gut grindelwaldnisch «der Luft», und zwar in beiden Bedeutungen: der eben angedeuteten ursprünglichen von «Wind» und der daraus abgeleiteten von «Atmosphäre». (Im Unterbernischen ist jenes «der» Luft, dieses «die» Luft.) Man sagt also z. B.: Der Luft gi̦ bd’s ḁ lsó hin (die Windrichtung gibt es mit), daß ’s no ch Schnee gi̦i̦ bd. Aber auch: Vor Entsetzen stotzen ei’m alli Haar i’ n Luft. Vor Teị̈bi i’ n Luft springen. Dï̦r ch de n Luft ụụs fleị̈gen. D’s ganz Zịịt 3 deṇ Grind im Luft haan (nach etwas ausspähen). D’s Fleisch am Luft derren, wie d’Walser (Walliser). Doch sagt man jetzt auch: Frischi Luft i n d’Stuba laan u. dgl. In der Schwebe zwischen beiden Bedeutungen halten sich Sätze wie: Der Fëhnd ist am Luft (oder: es ist fëhndig), und: d’s Zwärgli hed gseid: der Luft ist d’s Wätter. 4 An der Doppelbedeutung von «Luft» nehmen auch «lüften» und «luften», sowie «luftig» teil. Lï̦ften ist zunächst: in die Luft erheben, hochheben, aufheben. Man lï̦fted («lüpft») eine Last. Man denke auch an den grindelwaldnisch werdenden Lift des Gasthauses und den Lift als Wetterhornaufzug. Von einem in Schwulitäten Geratenen sagt man: das hed nen duă aa nfaa n lï̦ften! Frohgemut dagegen « lüftet die lêrche ir gedoene», wie die alte Sprache 5 sagte. Im Einklang mit dem Schriftdeutschen aber lï̦fted (lüftet) man natürlich auch die Stube, obschon dem mundartlichen Ausdruck fühlbar die sachgemäße Vorstellung vom Luftzug mit anhaftet. So ist auch e n luftiga Chäller, e n luftigi Chällerstŭ̦ba infolge ausgiebigen Windzuges von guter, wohlig einzuatmender Luft erfüllt. Und so ist es luftig an einer dem Wind ausgesetzten Stelle, wa ’s lufted und wa mu̦ si ch chan n ụụsluften, bis der Wind zu blasen aufhört: bis daß’s verlufted’s heed.

Zu solchem «blasen» gehört der Blaast als ausgepreßte, ausgequetschte Luft (bei Gotthelf 6 u. a. als heftiger Luftzug, in Zürich als Gewitter). Auch eine weiche Geschwulst heißt Blaast.

106 Eine der Zugluft, dem Zu̦u̦g, Dï̦ï̦r chzu̦u̦g ausgesetzte Räumlichkeit ist zï̦gig, dï̦ï̦r chzï̦̆gig; da ziehd’s! So auch an stark exponierten Bergkämmen und deren Abdachungen, wie auf der großen Scheidegg. Ub’r deṇ Graat ụụs, da ziehd’s! Da gibt es Tage, an welchen der Schnee vom Boden aufgewirbelt und rein weggefegt wird: es stï̦rmed, daß ’s der Schnee trịịbd!

Eine Ankündigung solcher Szenen findet der Bergbewohner darin, daß der Wind an den Fensterladen zu rütteln beginnt: der Wind tued dän 7 Balken aber ḁ lsó rĭ̦de̥llen; es chunnd anders Wätter! Dies andere Wetter macht sich denn auch bald bemerkbar genug: es enthebt der ebenen Bodenfläche handgroße Schieferplatten, läßt kirschengroße Gesteinsstücke dutzendweise in der Luft wirbeln, hebt solche von einigen Zoll Durchmesser einen Fuß hoch empor, und in ihren Tanz mischen sich ausgerissene Sträucher, die nicht durch kräftige Wurzeln sehr fest verankert sind. Arvenleichen an der kleinen Scheidegg erzählen von der Wucht eines solchen Schneesture̥m (des «Gux» anderer Berggegenden). 8 Auf exponierten Felsköpfen und Gräten führt er entweder neuen Schnee mit, oder er erfüllt mit dem noch trockenen, körnigen des letzten Falls die Luft angenblicklich bis zur Undurchsichtigkeit. Wohin das Auge blickt: ein dichter Vorhang scheint unmittelbar vor ihm gefallen zu sein.

Von Windwirkungen eigener Art weiß auch der Alpwirt zu reden. Unerfreulich war ihm ehemals etli ch’ß verwinded’s Leibesübel, dessen Dulder in e n Wind choon ist. 9 Willkommen dagegen mag ihm unter gewissen Umständen der Wind sein, der gründlicher als jeder menschliche Wärchmaan d’Alp rụụmd. 10

In den angeführten, wie in unendlich zahlreichen unerwähnt gebliebenen Zügen erweist sich die Dunsthülle der Erde als ein wirkliches Luftmeer, dessen Wellen und Wogen ein geschultes Auge zu verfolgen imstande wäre, wenn dasselbe i’ n Chrï̦mpen um chënnti g’sehn. Je tiefer und folglich dichter die Luft, desto häufigere und erregtere Szenen würden sich vor solchem Auge abspielen. Als Ersatz für solche ihm versagte Anblicke legen sich dem Alpenbewohner andere interessante Beobachtungen nahe. Am Meere drückt bekanntlich die Luft das Chächsilber im Bä̆rmĕter auf die Höhe von 760 mm und läßt bei dieser Schwere das Wasser erst bei 100° sieden. Achtz’g Grad (R) ist erwalle ns, vierz’g: halb erwalle ns. Schon in Interlaken aber 107 (567 m) siedet es bei 98°, auf unserer Egg (1155 m) bei 96°, auf Hasli-Alpiglen (1728 m) bei 94°, auf dem Zäsenberghorn (2343 m) bei 92°, auf dem Jungfraujoch bei 88°, auf dem Jungfraugipfel bei 86°. 11 Der Senn auf hoher Alp kann daher mit oder ohne Erstaunen beobachten, wie flu̦gs ’mu̦ d’s Wasser sịịded und brŭsled und doch d’Här depfla mid allem Gwaald nid wei n linden u nd zerspringen wie unten im Tal. Dem vom Arzte hergesandten Kurgast freilich macht dieser letztere Umstand nicht so schwere Sorgen, daß er etwa um ihretwillen die für ihn wie geschaffene Luft der Vor- und Mittelalpen 12 miede. In dieser ebenrecht dünnen, im Winter trockenen und etwas «derben» Luft, wa mu̦ mëcht drĭ̦nbịịßen wie in e n sụụra Epfel, da wird dem sonst noch Gesunden vëge̥lliliecht ums Herz. Die Füße tragen ihn auf seinen Bergwanderungen trotz den schwer beschlagenen Schuhen wie von selbst: es ist ei’m, mu̦ chënni fleigen. Die (auf der Eigerspitze vollends bazillenfreie) 13 Höhenluft bringt auch den Lunginen wenigstens Gelegenheit zu richtig abgemessener Trainierung.

Die Beständigkeit der winterlichen Witterung bringt ferner mit sich, daß nicht wie in den übrigen Jahreszeiten beständig konstatiert zu werden braucht: der Bä̆rmĕter geid de̥s uehi; er g’hịjd; er zï̦ckd e̥s Bitze̥lli. Übrigens würde den Unerfahrnen an höher gelegenen Orten das ohne gleichzeitige Beobachtung von Wind und Bewölkung zu Rate gezogene Barometer täuschen. Auf dem Faulhorn (2683 m) z. B. g’hịjd der Bä̆rmĕter nịịd, e̥s mag stï̦rmen wie’s wollt. 14 Bloß unterhalb der Luftschicht von etwa 2000 bis 4000 Meter Höhe 15 gelten nämlich die dem Landmann geläufigen Regeln der Luftbewegung unbedingt, und nur hier lassen sich aus der Art, wie d’Winda gägen enandre n spannen, volkstümliche Wetter­prophezeiungen ableiten. Ballone und «eilende Wolken, Segler der Lüfte» verraten einen bisweilen heftigen Zug der obern Winde, während der Beobachter im Tal sich völliger Windstille erfreut oder auch einen Wind von ganz anderer Seite herkommen sieht. Es heißt im letztern Falle ganz drastisch: der ober u nd der under Luft chriege n z’sä̆men. Das Ende des Streites ist gewöhnlich, nach vielen Queranfällen und Seitenangriffen, die Herrschaft des obern Luftzuges auch im untern Talboden. 16 Wir haben es hier mit dem im Gebirg regelmäßig sich einstellenden «Kampf» zwischen Berg- und Talwinden zu tun. In Tälern und Niederungen bewirkt die Sonnenwärme tagsüber einen aufsteigenden Luftstrom. Dadurch 108 verdünnt sich die Luft, und es fließt nun die schwerere, kältere Luft der höhern Lagen über den Boden hin in die Tiefe. Das ist der ober Luft: der Bergwind, der sich von Sonnenuntergang an erhebt und verstärkt. Über den Tag treten bei schönem Wetter Talwinde ein: 17 der under Luft geid. Als speziellster Bergwind macht sich zumal der Gletscherluft sehr bemerkbar. Ähnlich hat das oberste Emmental seinen Bocken. In der Regel 18 weht also der Luft am Tag uehi, d’Nacht ahi. Doch bringen lokale Umstände Abweichungen. Auf dem Thunersee z. B. streicht der Morgenwind abwärts, der Abendwind aufwärts. 19 In höhern Lagen hinwieder, wo überhaupt die höchste Windstärke des Bärglufts den frühsten Morgenstunden eignet, kann der Wanderer durch einen recht rääßen, scharf­schneidenden Wind die Morgenbotschaft der bald aufgehenden Sonne erhalten: sie lääj aa nfḁn grïeßen, sie chë̆mi deen n!

Von den Windrichtungen nun, über welche die Tafel auf S. 109 uns viele Worte erspart, 20 sei als Kommentar bloß folgendes angebracht.

Feuchte und kalte Su̦mmra werden durch West- und Südwestwinde beherrscht, weil alsdann der nordatlantische Ozean namentlich zwischen dem 30. und 40. Breitengrad seine mit Wasserdampf beschwerten Luftströme uns besonders reichlich zusendet. Vom Meer har und grade deswegen für den Grindelwaldner vo n Land năha (denn beides bedeutet: von Westen her durch die Zufahrtsenge des «Orts») kommt der Wätterwind: der «Wätterluft» oder «Räge nluft» des Unterlandes. Wie ein «Blaast» des größten Kalibers rast er durch das gleichsam gesprengte Ventil der Ortweid daher und gab mit seiner Heftigkeit den Einwohnern hinter Scheidegg das Urbild des Rëëtitị̈̆ị̈̆fels. So heißt eine Abzweigung des westlichen Windstromes, der vom Rötihorn her gegen das Wetterhorn weht und natürlich ebenfalls schlechtes Wetter bringt. Ebenso u nschoondliha ist der Wind, der vom Eiger her weht. Dagegen geid von Nordost über die große Scheidegg herüber und zur Ortweid hinaus der Heiterluft oder Heiterwind, auch der 109 Oberluft geheißen. Als eine Art Fallwind ist dieser Oberluft hier unten warm; dem Faulhorngehänge entlang aber sendet er durchdringende Kälte und macht dem ihm Ausgesetzten gehörig chaalti Wangen! Damit bringt er freilich schönes Wetter: es schooned, wenn där chunnd. Deswegen trägt er zu den angeführten auch die Namen Schoo nwind, Schoo nluft. Seine Lieblingszeit ist der helle ( der heiter) Morgen.

Windrose.

Im übrigen jedoch sind es eben die gegen Norden vorgelagerten Gebirge, welche in hohem Maße den Ansturm der kalten Nordwinde gegen das Grindelwaldtal hin brechen. Damit schaffen sie letzterm den so unschätzbaren Charakter, ja die Himmelsgabe seiner Mildheit und Temperaturruhe. Nur in der Zeit des Laubfalls dehnt die flachländische Bịịsa ihre gewöhnlichen heftigen Vorstöße über Zweilütschinen hinaus bis ans Wetterhorn hinauf.

110 Um so frischer und schneidiger geht der Nord ins Zeug da droben auf der Faulhornkette! Er könnte zu Zeiten wohl auch dort den Reiter auf dem Pferd erfrieren machen. 21 Dennoch ist er den Bewohnern hier oben lieb und wert als Nä̆belfrässer. Gerne fegt er, wenn der graue Geselle zu lang ’grŏpped hed, mit dem Kehrbesen aus.

Einen ähnlichen Charakter trägt die «Bịịse» im Unterland. Auch hier vertreibt der «Bisluft» zuweilen die Nebel mittelst der schneidenden Schärfe seiner Trockenheit, welche die drollige Redensart «sĭ̦ben Ell dünner weder Bị̆sluft» als Bild für einen äußerst dünnen Stoff erzeugt hat. Der Grindelwaldner kennt die Bịịsa nur in sehr abgeschwächter und zersplitterter Bedeutung, welcher wir hier (vgl. S. 100) noch von neuen Seiten beikommen müssen. Zunächt fegt der Ostwind, welcher von der Innerschweiz der als «Brünigbịịse» im Haslital sich breit macht, als die ober Bịịsa hie und da über die Kette zwischen Faulhorn und großer Scheidegg herein, wendet hierseits derselden gegen die Grindelalp um und verliert sich da, indem sie gleichsam ub’r den Bŏden e nwägg ggraagged oder schnaagged, in dem so mannigfach zerschnittenen Gehänge. Sie wird also in Grindelwald teils als Nord-, teils als Ostwind empfunden. — Zur Ortweid herein, also gleich dem Wetterwind vo n Land năha, zieht die Landbịịsa oder die under Bịịsa.

Diese sogeheißene «under Bịịse n» hat bisweilen helles und kaltes Wetter im Gefolge; öfter jedoch ist sie u nschoonlihi oder fịịste̥rri: zieht (im Gegensatze zum «Nebelfresser» s. oben) als «grauer Talvogt» mit schwarzem Gewölk einher. Unter solchem Geleite kennt sie ja auch das Unterland. Zumal die «Aarbịịse n» (wie diese westlich der Aare genannt wird) durchfegt schaurig das Emmental, treibt das Quecksilber in die Höhe und täuscht schönes Wetter vor, wo doch bald Regen aus den hängenden Nebeln sich entwickeln wird. Ebensolche Nebel behängen zuweilen an Grindel und großer Scheidegg die schwarzen Tannen wie mit schneeweißen Flocken. Im Emmental schleichen sie grau an den langen, gradlinigen Waldrändern und über das offene Gefilde hin, bis ihre Schwere sie zum Tröpfeln bringt. Drum sagt man dort zu einem, der recht finster und mürrisch drein schaut — rächt sụụr fï̦rha g’sehd — mit aufheiterndem Humor: «dú laast iez rächt Biise nnä̆bel ahe n!» In Grindelwald spricht man von si ch undernä́blen ( S. 101) und betrachtet Nebel oder tiefhängendes Gewölk (die «schwarzi Bịịse n» des Unterlandes) als eine so charakteristische Erscheinung der fịịste̥rre n Bịịsen (s. oben), daß überhaupt der Name Bịịsa fast ausschließlich dem Nebel gilt. Wo (namentlich gegenüber Fremden) die Deutlichkeit es erfordert, hält man 111 etwa Nebel und Nordostwind auch als Bịịsnä̆bel und Bịịsluft auseinander ( S. 100).

Diese Begriffsverschiebung ist um so bemerkenswerter, da gerade der Grindelwaldner Sprachschatz den Urbegriff des Wortes noch in lebendiger Anwendung aufzeigt. Das Unterland kann bloß noch in übertragender Rede sagen: «flingg wi’s Bịịse nwätter.» Der Grindelwaldner aber sagt von einem, der aus voller Kraft einherrennt: dä́r bịịsed! Där ist dahar choon bịịsen! Där hed ’bĭ̦sen! oder: dä́r hed ’bịịsed! — Am Aaben d bịịsen die Gueten, un d am Morge n lĭ̦ge n s’ mid Mueßen. Mit diesem köstlichen Oxymoron meint die fleißige Grindelwaldnerin im Grunde: Wer sich von früh bis spät auf seinem häuslichen Posten finden lassen will, muß mit seinen Kräften derart haushalten, daß sie noch am späten Abend zur Nachholung von allerlei am Tag unterbliebenen und zur Vorbereitung von morgen zu unternehmenden Geschäften ausreichen. — Das für alle Vorzeichen des Witterungswechsels so merkwürdig empfindliche Vieh der Alp aber bịịsed gä̆g’ d’Hï̦tta zue schoon en Tag old zween ẹb’s es Wätter gi̦ bd. Daher kann es an schwülem Tage heißen: Es ist z’heiß, d’Chïeh ụụsz’laan; si bịịseten doch nu̦mmḁn un d weideten nịịd,.

 
1   Lf. 451. 507.   2  Parzival 75, 27; 459, 6; 753, 7.   3  Man sagt gut grindelwaldnisch das Ziit auch für die Zeit, nicht bloß wie im Unterland für die Wanduhr. Är verfolget mi d’s ganz Ziit. Är hed es lengs Ziit niid wa ’dorfed (geplaudert) u niid gmachd. Hiir (heuer) gid’s es churzes Alpziit. D’s heilig Ziit: in alter Sprache d’s Hochziit, wie noch heute auch unterbernisch für nhd. Hochzeit. (Wir verdanken auch diese Beispiele unserm Papa Roth.)   4  Gemäß seiner Begriffsableitung von «heben» («lüften) ist «Luft» ein Verbalsubstantiv, das alle drei Geschlechter haben konnte ( Graff 2, 208). Das sächliche ging bald ein, während die beiden andern bis in unsere Zeit um den Vorrang kämpften. Noch Gotthelf läßt «die Luft» als Sturmwind hausen. (Wer lügt am besten? 33), und «gut deutsch ging die Bysluft» (Jacob 1, 155; vgl. Dorbach 18.)   5   Mhd. WB. 1, 1051.   6  Z. B. im AB.   7   där, dä n = dieser, diesen; der, den (mit reduziertem e): der, den.   8   Tempestates alpinae: Cool. JS. 234 f.; snow storms: Murray LXXXII.   9  Vgl. Lf. 453.   10  Vgl. «Hirt und Älper».   11  Nach Weltall 1, 462.   12  Ebd. 486; Str. BO. 61. 73; König 35.   13   Alpz. Mai 1906, 86.   14  Wirt Bohren.   15  Vgl. Hann 151 ff.   16  Vgl. Tschudi 17; Wals. Sch. 57 f.; Keller 354.   17  Vgl. Hann 172 f.   18   Pflzlb. 56.   19  Dummermuth 10.   20  Die Ziffern am äußersten Rand bedeuten die Stärkegrade 0-4½ der sechszehn Windrichtungen N (Nord), NNW (Nordnordwest), NO (Nordost) usw. Die konzentrischen Ringe veranschaulichen die Vorherrschaft dieser Winde in jedem der 12 Monate. Die Zahlen der Dritteltage mit Wind weisen auf die Häufigkeit zumal der Südwinde, indes der für OSO (Ostsüdost) leer bleibende Raum zur Aufzählung der windstillen Dritteltage jedes Monats dient. — Die anhand der meteorologischen Aufzeichnungen von Sekundarlehrer Stump (bis 1900 in Grindelwald) von uns hergestellte Windrose kann als Darstellung eines ärographisch normalen Jahres gelten.   21   Grun. 3, 207.  
 

Der Föhn. 1

In Grindelwald gangi niemmḁ n wan der Weibel und der Fehnd. Dieses für unsern Ort etwas zweifelhafte Kompliment 112 verliert seine Spitze durch die Verbreitung, dank welcher das geflügelte Wort mehr und mehr auch andern Orten von gleicher Kreditfähigkeit und kleinerer Föhnbelastung hängen bleibt. Es ist darauf etwa so viel zu geben wie auf den 1904 laut gewordenen Spott: Der eltist 2 Grindelwaldner ist g’storben, oder: wär hed is denn de n Fehnd gnu̦u̦n? Der Föhn in seiner volksmäßigen Bedeutung als starker Wind, als Föhnsturm hatte nämlich, als solcher Spott laut wurde, lange nicht mehr aus voller Kraft geblasen. Är hed es lẹngs Zịịt nịịmmeh ụs dem ä̆ffä̆ff g’chụụted g’hä̆ben. (Äffäff ist das «ff» [fortissimo] der Musik.) Der Leistungsnote 4 oder gar 4-5 der meteorologischen Aufzeichnung hatte er, wie’s schien, gar nichts mehr nachgefragt. Es gehört dies zu den Launen des Fehnd, der sich nur mit Widerwillen den Wettstein’schen Gesetzen fügt, wonach z. B. auf den Frühling dreieinhalbmal so viele Föhntage und fast zweimal so viele Föhnperioden entfallen als auf den Sommer. Fügsamer als der Fehnd des Volksmundes unterstellt sich der Föhn der Wissenschaft den Regeln derselben. Nämlich als fehndigs Wätter in allen und namentlich auch den untersten Stärkegraden ließ er zwischen August 1897 und März 1903 folgende nicht undeutliche Regelmäßigkeit erkennen:

1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903
     

16. Januar

     
     

2. Februar
14. Februar
19. Februar

     
 

27. März
29. März

10. März

20.-22.
März

15.-19.
März
31. März

13. März
21. März

25.-27.
März

 

10. April

 

16. April

 

13. April

 
 

2. Mai
16. Mai

14. Mai

7. Mai

 

29.-31.
Mai

 

1. August
15. August
16. August

   

28. Aug.

28. Aug.

29./30. Aug.

 
   

30. Sept.

       

14. Okt.
25. Okt.
28. Okt.

 

1. Okt.
5. Okt.

20. Okt.
28. Okt.

21.-23. Okt.

   

30. Dez. bis
1. Januar

   

2. Dezbr.
12. Dezbr.

     

Lehrreich wäre gewiß eine länger fortgesetzte Beobachtung an verschiedenen Stationen unserer Talschaft, ausgedehnt auf alle Grade, in welchen es fehndig ist oder fehnded. Die Beobachtung müßte sich bereits den ganz leisen, bloß erst fühlbaren und noch nicht sichtbaren Anzeichen zuwenden, nach welchen der Fehnd im Spi̦i̦l ist oder e̥s z’fehnden oder n Fehnd a nrreised. Sie dürfte den Augenblick nicht verpassen, wa der Fehnd ụụf ist: wo er gleichsam von seiner Schlafstätte sich erhoben hat und wa mu̦ mues fï̦rchten, är machi Äärist. Sie müßte ausharren, bis er den n ụụstŏbed’s hed und si ch umhi leid, oder: bis er g’steid.

Die Beobachtungen gewännen noch an Wert durch die Bestimmtheit, womit man in Grindelwald den Föhn als trocken-warmen von den andern Südwinden unterscheidet, während z. B. dem Emmentaler jeder von den Voralpen her wehende Süd ein «Flüeluft» ist. 3

Und zwar weht der Föhn am kräftigsten, wo er gegen Norden oder Nordosten zieht. Daher gehört Grindelwald mit seiner untern Gletscherlï̦cken und der gegen die Jungfrau hin halb offenen kleinen Scheidegg 114 zu den Föhnstationen ersten Ranges, wie Bex, Meiringen, Engelberg, Altdorf, Glarus, Altstätten, Klosters, Bludenz u. a. es sind.

Häufig ergießt sich über die beiden Lütschinentäler und das Aaretal bis Brienz die eine und selbe Föhnwelle. Trotz Zerteilung ungebrochen, stürzt sie über die Sefinenfurgge und durch das Rottal über die kleine Scheideng am Eiger vorbei als Eigerfehnd; über die Viescherwand ghịjd sie ụsi auf Eismeer und untern Gletscher als Viescherfehnd; über das Lauteraarjoch fällt sie als Gletscherfehnd auf den obern Gletscher oder «den Gletscher» schlechthin ( S. 61); über das nämliche Joch oder über die große Scheidegg bläst sie hinüber ins Haslital. Aus eben demselben aber kann der Scheiteggfehnd umgekehrten Weges auch wieder nach Grindelwald kommen. Dieses kann also den Föhn von vier Seiten her empfangen. Ja zu diesen gesellt sich eine fünfte, wenn der Eigerföhn quer über das Tal an die Wand der Faulhornkette anschlägt — a nstichd — und von ihr zurückprallt, we nn’s n e̥n da z’ru̦ggrïehrd. Unterhalb dieser Doppelströmung stichd dann die Windsbraut an jeder ihr entgegenstehenden Böschung aan, bläst durch jegliche enge Röhre, dï̦r ch jelhi Schluecht, jeden Hohlweg mit dreifacher Kraft, während er als zähma Fehnd über geschützte Gelände breit hinwegstreicht.

Als Fallwind (vom Fallen erwärmter Wind) steht der sommerliche Föhn in Verbindung mit fast plötzlicher Wärmesteigerung bis zu dreißig Grad. So am 18. August 1892, wa Grindelwald verbrunnen ist. In solcher Hitze trocknet frischgemähtes Gras sogleich zu Heu. Aber auch im winterlichen Föhn, der (wie am 31. Dezember 1898) das Thermometer auf neun Grad oder (wie am 14. Oktober 1897) gar auf fünfzehn Grad «hinauftreiben» kann, zerkrümelt Heu, welches der Älpler unvorsichtigerweise ins Freie bringt, zu Gmĭ̦lder (Gmolder) oder zu barem Staub.

Auch, das Barometer g’hịjd rasch und stark. Schon vor und bei Föhn, der an den Oberländer Seen weht, kann es selbst in Grindelwald binnen wenig Stunden um zehn Millimeter sinken. Dies führt uns auf folgende knappe Erklärung des Phänomens. So bald das Barometer am Südfuß der Alpen bedeutend höher steht als diesseits derselben, so erzeugt das Ausgleichs­bestreben einen Luftstrom, welcher oben nach Norden abfließt. Vom Hauptkamm des Gebirges an wird derselbe von den Tälern mit dünnerer Luft angesogen. Er stürzt über die zwei- bis dreitausend Meter hohen steilen Abhänge hinunter, verdichtet und erwärmt sich dabei intensiv (bei je hundert Meter Fall um ungefähr einem Grad) und saugt vermöge seiner daherigen Trockenheit viel Feuchtigkeit auf. Je 115 tiefer das Barometer diesseits der Alpen steht, desto heftiger dringt die Luft nach Norden vor, um erst beim Austritt aus den Tälern in die breitern Niederungen abzuflauen.

Stellt sich Grindelwald mehr durch Heftigkeit als Häufigkeit seiner Stürme unter die erstklassigen Föhngebiete, so ist daran nebst seiner Himmelslage die trichterartige Talform beteiligt. In der so beschaffenen Ausweitung kann der Föhn, zumal zu kühlerer Jahreszeit, so recht seine wirbelochtigi Natur entfalten, indes die benachbarten Täler ihn eher zum Hinfließen wie durch einen Kanal zwingen. Jene Bewegungsart macht sich in äußerst sinnenfälliger Weise durch Raum und Zeit bemerkbar. Jetzt der unschuldige laue Wind, der leicht und leise mit den Baumblättern spielt — da plötzlich der Sturm, der höhnisch im krachenden Gezweige wühlt. Dieser Baum in heftiger Schüttelbewegung, jener nebenan ein Urbild der Ruhe. Hier vorüberwandelnd, fühlst du dich wie aus kalter Freiluft plötzlich in eine geheizte Stube tretend. Da läßt der Zerstörer ein altes, baufälliges Häuschen unberührt, dort wirft er ein neues, festgefügtes Gebäude über den Haufen. Und wie zum Tummel- so zum Sammelplatz der wilden Elemente gibt der hochgelegene Talkessel sich her. Der wird zum Wetter-, zum Hexenkessel, in welchem Unheil und Verderben gebraut wird. Wenn die Jungfrau zornig in Sturm und Ungewitter sich hüllt, so entsendet sie den Eigerfehnd, der zuweilen mit den andern um die Übermacht ringt. Das tost und wirbelt im Kampf; das drückt und drängt nach dem Ausgang, der einzigen engen Pforte der Ortweid. Beobachten wir den sinnfälligen Vorgang eines solchen Kampfes.

Der Bä̆rmĕter ghịjd aangänds und das teiff; d’s Chächsilber wollt i’n Bŏden ahi, es will grăd u̦nna ụụs! 4 Das Gebälk des Hauses kracht und knackt; es chroosed in allen Fugen: so trocknet der anbrechende Föhn alles aus. Die Holzgefäße zerlächchnen. Blätter und Blüten werden aus nämlichem Grunde welk und schlaff: zoop. Der Tiere bemächtigen sich, da die dünne Luft und die trockene Wärme ihnen zusetzen, unheimliche Angstgefühle. Die Vögel zä̆ren an den Federn, baden sich, verbergen sich. «Die Fische springen und das Wasserhuhn taucht unter.» Bremsen und Mücken, Wespen und Hornisse — Brä̆men und Mŭ̦ggi, Wäxe̥ni und Hu̦rnụụßen — werfen sich höchst reizbar — bë̆ë̆s — auf alle Warmblütler und verfolgen sie als unabtreibliche — anhäärigi — Peiniger. Ganze Schwärme fliegen 116 bald in aufgelösten Gruppen, bald zusammen: etliha Brääm, etlihi Mu̦gga, etli chß Wäxi, etlicha Hu̦rnụụß 5 plaged es Roos, und jetzt wieder fleigen alli 6 wie die wilde Jagd davon. Mit den Ketten rasselt im Stalle das Vieh: es b’langed ab der Seili z’choon; nach Freiheit einzig dürstet es, Trank und Futter wird verschmäht. Auf der Weide aber schnụụped’s: schnaubt es, wirft den Kopf hin und her, schnellt den Schweif über den Rücken, steckt wohl auch den Kopf ins Wasser und steht dann lange da in dumpfem Brüten, die Asung vergessend. Jetzt schï̦tted’s d’Trịịchla und jagt, wie mit dem losbrechenden Sturm wetteifernd, in wilder Verwirrung dahin. Alpenziegen fallen einander wütend an und suchen sich über Felsen hinauszudrängen: ụsi z’spoisen. Andere răglen (klettern) und steigen wie b’sässen, und der arme Geißbueb mag nid g’choon, die verstellten (verstiegenen) Tiere ga n z’reihen. Auch d’s Gemschi bekommt den Föhn in den Leib. Selbst in hilwen (windstillen) Felsennischen eilt es unstät und flüchtig da- und dorthin. Aber auch der Mensch fühlt die «Föhnsucht» (um urnerisch zu reden) in Leib und Gliedern: sie schlaad ’mu̦ si ch u̦f d’Närven. Sie beginnt als allgemeines Mißbehagen, Unaufgelegtheit zu Arbeit und Vergnügen, Ermattung und Schläfrigkeit. Die Glieder drohen einzuschlafen, wenn nicht reißender Schmerz — Wehtaat — sie unliebsam wach erhält und allfällige alte Wunden als die «Wettervögel» des Urners neu aufzubrechen drohen. Die außerordentliche Luftverdünnung erzeugt Bangigkeit, Atemnot: e̥s ersteckd eine s fast! Der Blutandrang nach dem Hirn bringt Hoi ptweh — kurz, alle die Übel, die auch mit der verwandten Bergkrankheit verbunden sind. Aber selbst die unangegriffen bleibende Hausfrau, die noch rach vor der Untersagung des Herdfeuers n Ggaffee wollt aa nreisen, wird nicht fertig mit Husten und Pusten, mit Schelten und Schalten (Holz zulegen). Kein Wunder: es wollt nid ziehn, der Roich will nid ze’m Chemi uehi, es schlägt ihn immer wieder aus dem Schornstein zurück. Aha, jetz wollt’s chon gă n fehnden! Das sagt ihr auch der funkelnde und flämmelnde Ruß am Boden und Rand der Pfanne. «Es chrieget», sagt der Emmentaler bei diesem Anblick; der Grindelwaldner: es mĕde̥rred, es gi bd Mĕder, d’s Pfanni mĕde̥rred, d’Pfanna glịejd.

Für soviel Unbehagen entschädigt auf Minuten ein Blick nach Himmel und Horizont. Den Bergsteiger entzückt am Abend ein Wätterlịịch (Wetterleuchten) hier, einer dort. Der Alpenkranz erscheint auf 117 Sekunden in eitel Feuer getaucht. Der Sternkundige erstaunt erstmals, den Stand der Gestirne um etwas heejjer zu finden, wie er denn auch am Tage sonst verdeckte Berggipfel erblickt. 7 Stärker flimmern die Sterne am Abend des Tages, der die Berge von ihrem bläulich violetten Hintergrund zum Greifen nahe und mit allen Einzelheiten sichtbar abgehoben hatte. Allein in der Morgenfrühe verkündet eine leichte rötlichgraue Schleierfärbung des Himmels das Ende der Herrlichkeit. Die letzten Sterne funkeln im Zwielicht, wie Fakeln im Winde flatternd. Gehüllt in einem rötlich farbigen Hof geht der Vollmond unter, bleich und glanzlos steigt die Sonne auf. Das mattfarbige Gelände, die umflorten Berge, die allmählig zum dünnen, halbflaumigen Filze ich verwebenden Federwolken deuten auf Kampf zwischen Nord und Süd: der Fehnd ist ụụf! Wie eine mächtige Kappe legt sich über beide Gletscherlịcken, besonders über den Vieschergrat, langsam das aus Nebeln verdichtete Haufengewölk. Zwischen Eiger und kleiner Scheidegg aber hängt eine seltsam gestaltete, grell beleuchtete Wolkenfahne ins Freie hinaus.

Jetz fehnded’s! In den Gletscher- oder Bärgli̦cken wird’s u nrïwwig. Bald aus pianissimo zum fortissimo anschwellend, bald mit tüchtigem chụụten einsetzend, wickelt sich die Ouverture ab. Des Basses Grundgewalt aber liefert die tosende und tobende Lütschine. Plötztich schweigt’s. Die Totenstille unterbricht nur das Rauschen der obersten Wälder, das Brodeln der fernen Bergbäche. So weit trägt die Föhnluft. Allein für die Talschaft ist die Stille nur der Rückzug des Löwen, der sich zum Sprunge rüstet. Und wie ein Sprung auch nur braucht der neue Ansturm zu sein, der jetzt riesige braune Staubwolken die Gletscher hinunter jagt, sie durch windfeste Türen und Fenster preßt, drinnen die Lichter löscht, Sand und Kies, Föhrennadeln und Wurzelstücke durch die feinsten Ritzen auf Tisch und Bank wirft. Die winterlichen Stöße aber durchsetzen das Wollgewand des draußen Überraschten mit fast unentfernbarem vereistem Schnee. Und der solchermaßen Beschenkte muß noch froß sein, durch rasches Sichhinlegen auf platten Boden dem Schicksal eines Strohhalmes zu entgehen. Kein Hilferuf könnte nützen; denn auf Meterweite verstehen ihrer zwei die lautesten Zurufe nicht. So laut erschallt das Brausen der Stöße.

Die rasende Schnelligkeit und die trockene Hitze räumen aber auch mit Nebel, Wolken und Schnee heftig auf. Der Fehnd, där pfịịffed de n Schnee schon dänna! Nur dem Gewölk und Wind, welche von Südwesten her in hellgrauen, flachen Schichten ihre breite Straße über den Schauplatz des Föhn einherziehen, kann dieser nichts anhaben. 118 Dies Gewölk pflegt sich in Regen: Fehndrägen, im Winter in Schnee auszulösen. Der Fehnd lëësd ụụs oder laad gaan. Geschieht dies nicht, su̦ meind mu̦, är g’standi nid liecht, är chemi gären grăd umhi. Der Föhn kann aber auch — im Emmental häufiger als im Oberland — das Heranziehen tiefhängender Gewitterwolken zur Folge haben, und es schlaad gären ịịn. Blitz und Donner haben alsdann Wolkenbrüche mit ihren Verheerungen zum Geleit. Sorgenvoll schaut da der Emmentaler nach dem schwarzen Wägli am Steingrat der Schrattenflühe.

Im Winter dagegen kann der nämliche Föhn über die nämlichen Höhen herein das schönste warme Wetter bringen. Der geringere Unterschied der Barometerstände ist hier im Spiele. Auch in den höheren Alpen herrscht zuweilen, namentlich im Herbst und Vorfrühling, wochenlang das schönste milde Fehndwätter. Solches kann selbst im Dezember und Januar Hĭ̦melbliemle̥ni (Frühlingsenziane) zum Blühen bringen, Mücken zum Tanz und Heidoxen (Eidechsen) zum Spielen in der milden Sonne aufwecken. Aus dichtem Höhennebel tauchen ääbe̥rri (schneefreie) Bergeshäupter in prachtvoller Klarheit hervor. Damit kann aber die Landschaft um ihren vollen wirklichen Winter kommen, den der Gastwirt und der Landwirt gleich ungerne missen. Der letztere vergleicht ihn dann mit der Kuh, die es nicht zum Kalben und damit nicht zu dem von ihr erwarteten Milchertrag bringt, und sagt: der Winter hed erworffen 7a (verworfen). In gleicher Weise kann es aber auch geschehen, daß der Fehnd erwi̦i̦rfd. Ein aufsteigender Nebel zeigt an, daß der Föhn zurückgeblieben ist, oder ein Schneefall kann noch während ihrer Herrschaft rasch die Sturzluft «kühlen und klären» (wie man das Verhältnis von Grund und Folge deutet) und eine Reihe prächtiger Wintertage bringen: einen Fehndschoon, dem der Landmann und der Bergsteiger trauen dürfen.

Sind dagegen alle Bedingungen zur Vollentfaltung einer Föhnwelle erfüllt: wehe, wenn sie losgelassen! Alli Wätter wäre n g’nähm, wenn der Fehnd nid chääm! 8 So heißt es selbst dann, wenn der alte Talvogt bloß erscheint, um seine tolle Laune an uns auszulassen, «e n chlịịn ï̦s choṇ gă z’fu̦xen;» wie aber erst, wenn sein Regiment mit furchtbaren Zerstörungen verbunden ist! Ein Glück nur, daß auch hier selbst die übelste Despotenlaune Gutes stiften kann. Welche Dienste hat er schon der Liga für Heimatschutz und der Erziehung geleistet, indem er schonungslos mit dem Kehrbesen unter 119 die die Landschaft schändenden Schokolade- und andere an Magen und Gaumen appellierenden Reklametafeln gefahren ist!

Folgendes launige Gedicht von Pfarrer Straßer feiert in bestem Grindelwaldner-Dị̈ị̈tsch 9 den Föhn als Heimatschützer.

So! Bravo, Fehnd!
Diis Lied het ’teend
Fii toll:
Re mi fa sol.

Jetz siig der mengs vergässen,
Was ’boosged hed dii Gwaald.
Das ist vo’n beste G’spässen,
Wa menga Schade b’sahld.
Butz numme mid diim Bäsen
No z’volem furt das Wäsen!

Da lige s’ scheen am Boden,
Die Tafelli, botz Schieß!
Mu hätt der niwwe Moden
Scho langist g’winschd flingg Fieß.
Geng zueg’nuun het das Gsindel,
Där wiest Reklameschwindel!

Du hest nid lang duduußed,
Hest g’chuuted us der Seel
Und hellisch toll g’strubußed
Ritsch ratsch! die leide Gsteel
Von Iisen u vo Latten
A Wäägen und uf Matten.

Da lige s’ drob und drunder,
Hotäll u Schoggelaa
Und alla andra Plunder.
Schaad is’ ’s, hest gfägd, ja ja,
Nid o mid diinen Henden
Das Gsch’mier von Muur u Wenden!

So! Bravo, Fehnd!
Diis Lied hed ’teend
Fii toll:
Re mi fa sol.

Sie hein di chenne g’winnen
Drum o zum Heimatschutz.
Du bist im Vorstand innen
Als Ober-Dänna-Butz.
Gued! nummen niid verschoonen
Vom Riin bis zu der Roonen!

Schade bloß, daß der Föhn in lauter Launenhaftigkeit, drum unterschiedslos Gutes und Böses, gierigen Dividendenhunger und ehrlichen Broterwerb durch einander wirft. Oder gehört denn wirklich die bescheidene Ankündigung «Hier werden Bergstöcke gebrannt» ebenfalls zu den Trümmern einer eine Halbstunde entfernten Zaunlatte? Ist ferner die Lücke der emporgehobenen und wieder gesetzten Vorderwand eines Hauses nach künftiger Hausordnung der Aufbewahrungsort für einen Hochzịịtsschlŭ̦fi? (Schlŭ̦fi = Rock.) Muß fortan die harmlose Tabakspfeife den schön bemalten Kopf in einer Wandfuge verstecken, nur den ordinären Bịịßer nach außen kehrend?

Übrigens gefällt der hohe Herr sich doch nicht bloß in derartigen Schrullen, sondern ab und zu in etwelchen Kraftmeierstücken. Einen Brunnentrog z. B. hat er an Ort und Stelle ụụfgli̦fted, umg’welpd und umhi ab’gstelld. Daneben ist es ihm ein Nichts, wenn er 120 ohne Sach- und Fachkenntnisse Dachziegel ausmustert, Blechbedachungen wie Papier aufrollt und sie samt Schindeln und Ortlăden wie Papierfetzen flattern läßt. Mehr besagt es, wenn er das Dach eines eben umgebauten Hauses trotz schmalster Angriffsfläche wie einen Pultdeckel aufhebt, ja in erneutem Anstoß das ganze Balkengefüge samt Verschalung und Belag frei in der Luft schweben macht. So am 10. November 1906, welcher unmittelbar an den 27. Oktober 1882 erinnert. Da warf der Föhn sich von seinen Zerstörungswerken hinter Mühlebach weg auf Burglauenen, Itramen, Wärgistal. Am brävsten Hụụs hinder Itrămen hed er den Abroost aha. 10 (Er hat den Giebel heruntergeworfen.) Um dortigen Schulhaus u̦f der Haalten hed er den Abroost und die ober Hëëhi (das obere Stockwerk) aha g’riehrd, 11 nachdem bereits am 19. Februar 1843 ein Sturm das so unglücklich mitten in den Jungfrauföhnstrich hineingestellte Gebäude «bis auf den obren Sintzen abgebrochen» hatte. Obwohl nachher durch dicke Eisenstangen bis zu unterst gebunden, wurde es 1882 «emporgehoben und förmlich in die Kreuz und Quere gestreut. Vom untersten Boden blieben noch die nackten Wände.»

Auch das jeweils vom Föhn so übel geplagte Elektrizitätwerk versagt in schlimmsten Augenblicken und gefährdet Passanten durch stürzende Stangen, ja durch Kurzschlüsse. Ebenso als Verkehrsstörer warf der Föhn im Oktober 1893 einen Zug der Wengernalpbahn um, warf einem andern den Wagen aus den Schienen und zwang wieder andere zur Umkehr. Die Hausfrau plagt er durch Entführung der Wäsche ab dem G’wandseil; den Landwirt durch vertragen von liegendem Heu, Emd, Buw, durch abrasieren von Rasen, Humuserde, Saatdecke; den Obstbauer durch unzeitiges Hervorlocken und Versengen der Blüte, durch Abzausen der Blätter und Fruchttriebe ( Brë̆mer). Am meisten aber hat sich der Waldbesitzer über Schädigungen, ja Verheerungen zu beklagen, 121 die oft jahrzehntelang sich fühlbar machen. Ausgedehnte Bestände werden entwurzelt oder wie Streichhölzchen geknickt. Der grauenhaft wütende Föhn vom 20. Februar 1879 schädigte die Westschweiz um drei Millionen Franken an Holzwert, und in Grindelwald allein fielen am 27. Oktober 1882 38,870 Bäume im Wert 141,530 Franken.

Zum Glück im Unglück hat noch kein Föhnorkan Menschenleben gefordert, wie trotz der Tĭ̦figi (Intelligenz und Gewandtheit) des Oberländers Lawinen und Gletscher es tun. Und doch stand etli chß Lä̆ben auf dem Spiel. An jenem 27. Oktober 1882 stemmte sich eine ganze Familie mit aller Macht gegen die Stubenwand, und ein armer Hausvater hinter Wärgistal mußte seine drei kleinsten Kinder in einer Hu̦tten aus dem zusammenbrechenden Häuschen flüchten. Mit dem Blewwerstääg, den am 5. November 1905 die von der Föhnschnee­schmelze angeschwollene Lütschine wegriß, stürzte ein kleines Madchen in die reißenden Fluten, wurde aber im kritischen Augenblicke durch den Wagemut des Konditors Arnold Weber gerettet, dem denn auch dafür von der Regierung die große silberne Rettungsmedaille zuerkannt wurde. An einem andern Föhntage band der zehnjährige Sulz-Bŏhren eine Leitra mid vierz’g Seiglen (Sprossen) an einem Kirschbaum fest. Mitten in diesem Geschäft riß der Föhn den untern Teil der Leiter weg. Allein der am obern Stumpf zwischen Himmel und Erde schwebende Junge gewann als behender Kletterer schleunig über Zweige und Äste den sichern Boden.

Zum größten Glück im Unglück entging alles Lebende dem furchtbaren Brande, welcher am 18. August 1892 Grindelwald und St. Stephan verheerte. — Einmal zwar nur wurde Grindelwald vom Föhn vernichtet, wie Meiringen zweimal, Altdorf dreimal, Glarus viermal; doch auch so war des Unheils genug. Mehr als fünfzig Familien im Besitz von 44 bewohnten und 72 unbewohnten Gebäuden wurden obdachlos.

Doch auch hier blühte neues Leben aus den Ruinen; nicht bloß in Gestalt des neuen Dorfes und der neuen Spilstatt, sondern im neuen Feuerlöschwesen mit Hydrantensystem für das Dorf, mit erneuter Obacht auf die unentbehrlichen Tragspritzen für die ụụßendï̦ï̦r chigen Ortschaften ohne Fahrstraße; in verschärfter und zugleich humaner gestalteter Fehndwacht unter dem Fehndscheff, und erneuter Vorsicht mit Fị̈ị̈r u nd Liecht.

Zugleich erwachte ein neues Interesse für das Studium des Föhns. Ein solches kann niemals abschließen, ohne der unschätzbaren Wohltaten dieses Lokalwindes der Alpen zu gedenken. Als gründlicher Luftreiniger ist er für Mensch und Vieh der best Tokter. Und wie gäbe es 122 ohne ihn einen Alpenlenz und Alpensommer! Wie einen Ụụstăg selbst in der Niederung! Längst weiß man, daß der Föhn als Schneefrässer in vierundzwanzig Stunden mehr Schnee schmelzt als die Sonne in vierzehn Tagen, oder für Grindelwald berechnet: im Tag 56 cm, bei lockerem Schnee beinahe 1 Meter. Vollends einen — noch so ausgiebigen — Früh- oder Spätschnee hed der Fehnd newwḁ n gleitig e nwägg’ butzd! Er gefällt sich in der Kunst, Gwäächti aufzutürmen und sie dann als Lawinen talwärts zu jagen. Sie wie die flachen Schneefelder leise und ohne Anhalt durchdringend, macht er sie unmerkbar in sich zusammensinken. Damit entführt er einen großen Teil der Schneelast in die Luft und baut so unzähligen Überschwemmungen vor, so laut auch im Mai innerhalb ihrer Schranken die beiden Gletscherflüsse «des Eises Bruch vom Föhne» verkündigen. Liecht und warm wird dann das Wetter auch in Grindelwald, den Gletschren bịị.

Wollten wir also einmal zwischen Soll und Haben die Bilanz ziehen, mit dem Föhn z’grächtem rechten und rechnen: wär bli̦i̦b ụụsi schuldig? Daß nur nicht der Fehnd ị̈ị̈ ns de n Weibel schicki!

 
1  Behufs Reduktion der Zitate stellen wir die über dies Kapitel uns in der kurzen Sammelzeit erreichbare Literatur, vermehrt durch eine wertvolle Sammlung von Pfarrer Straßer, gleich hier zusammen: ÄFG. XVIII f.; 122; Alpenpost 1873, 1; Alpenwelt (St. Gallen) 1891, 5; Alpina 1901, 155 f.; And. 883-5; AR. 1813, 247; Brand 1892; Bund 1892, 37; 1903, 317; Cronegg; Emment.-Bl. 1896, 22; EvG.; Feuerwehr-Reglement für Gw. von 1892; Fremdenbl. v. Interl. 1900, 39; für’s Schweizerhaus 1905, 104 (Ernst Zahnd); Geschäftsbl. v. Thun 1900, 25; Gilbert’s Annalen der Physik 1820, 417-422; GlM. (Cronegg); Grube 1, 131; Grun. 3, 197 f.; Hann 213; Herzog; Jerosch 24; JG. Beitr. 355; JG. Brandis 125-7; JG. Geldst. 257; JG. Jakob 1, 151; JG. Käthi 362; JG. Schuldb. 210; JG. Wass, 42-46; Intelligenzbl. d. St. Bern 1896, 241; Kram. 18, 8; 19, 12; Meiringer Nachr. 1895, 24; 1896, 21 f., wozu: Berg und Tal 1896, 281 (Arnold Hohl); MGw.; Naturw. 1819, 75-77; Neue A’post 16, 158 ff.; ÖAZ. 1896, 465; Oberhasler 1898, 48; Oberland 1882, 130; 1892, 24. 30; 1893, 122; Oberl. Volksbl. 1892, 32. 41; Osenbr. 6, 74; Rebm. Vorr., 80; Rosegger, Heimgarten, Okt. 1901, S. 4; Roth 123; Schweiz 1900, 199 (Straßer); 1901, 502 ff. (Hohl); Str. Nj. 3; Tagbl. d. St. Bern 1893, 249; Tschudi 18-20; 199; 405; Wals. Sch. 55-57; Wyß 598; ZdöA. 13, 1-16; Zschokke 21. (Abkürzungen s. im allg. Quellenregister.)   2  Vgl. A. f. Vk. 9, 208.   3  Dem «Süd» entspricht im Wortlaut der «Notos» der Griechen. (« Snotos» und ahd. sund, sundwind begegnen sich in der Wurzel snt; vgl. Sommer, lat. Gr. 62.). Der Notos brachte von Südwest her Nebel und Regen. In der Bedeutung entspricht er also in der Tat dem Favonius (oder Zephyr) der Römer, welcher als lauer Westwind um Mitte Februar den Frühling eröffnet. Über die rätischen Formen Favuogn, Fuogn kam der römische Name zu uns als «Föhn», zunächst eben nur mit der Grundbedeutung «warm», sogar ohne Rücksicht auf die Himmelsrichtung. Die ist ja auch für jedes Tal eine versschiedene. Bei Rebmann z. B. ist « fön» immer der Westwind.   4  Die Ursache als Vorbote. Sprachlich bemerke die beiden aus ursprünglichen Konjunktiven (vgl. Braune ahd. Gr. S. 284) zu Indikativen vorgerückten Formen wollt und will.   5   «Etlich» also = manch ein...   6  Man hört auch etwa: fleigd alli; vgl. die griechische Konstruktion.   7  Z. B. den Montblanc von Winterthur aus.   7a  Andere Bedeutung im Emmental: Lf. 250. So auch im Oberhasli.   8  Alle Wätter wäre zähm, wenn der Wind nit chäm: Der Zwerg im Wallis S. 102.   9  Unserer Orthographie angeglichen.   10  Ein gutes Beispiel für die Art, wie der Grindelwaldner die allgemein bernische Manier, leicht ergänzbare Sätze bloß anzuspinnen, konsequent weiterführt. So sagt er auch: Dr Att ist ab der Alp em aha (choon). D’Litschina hed d’Brigg furt (gnuun). Är hed mer die itlehnte Frankleni no niid em ueha (g’gään). Du chaist jetz ga z’Morgen (ässen).   11  Hier dagegen erscheint das energische Herunterwerfen (aha riehrren) des ausdrücklichen Erwähnens wert. Zugleich sei bei diesem Anlaß auf das genaue Auseinanderhalten des «her» und «hin» vom Standpunkt oder vom ethischen Interesse des Redenden aus hingewiesen. In unsern zwei Beispielen warf zwar der Föhn die Hausteile von seinem «Arbeitsfeld» ahi = abhin, d. i. hinab, hinunter. Im Vordergrund der Erzählung steht aber der geschädigte Zuschauer, der die Trümmer zu sich herunter, herab oder «abher», «abhar», aha, gleichsam vor seine Füße geworfen bekommt. Es gehört dies zu dem unlernbaren, dem Einheimischen als Schibbolet dienenden Feinheiten aller unverflacht erhaltenen Dialekte.  
 

Der Schall im Gebirge.

Erdrückend wirft auf den Polarforscher die starre Ruhe der unermeßnen Region ewigen Eises, wohltuend auf den Alpenwanderer die frühmorgendliche Stille des Gebirgs. In ihr überwindet er das ihn auf Augenblicke beschleichende Gefühl stundenweiter Vereinsamung mit dem Ernst des Bewußtseins, was ihn hier hinaufgeführt habe. Er ermannt sich: hed d’Hand uehi und sammelt die Kraft von Auge und Ohr für die tausend Zeugen des Lebens, die nun bald zu ihm reden werden in immer mannigfaltigern Gestalten, Farben, Tönen.

Von letztern allein sei hier die Rede. Wir schreiten am Tschụggen vorüber, an dessen nördlichem Fußgestell bereits die vormittägige Julisonne abprallt. Wie wunderlich! Da obna in dieser Steinöde schalt es genau im Takt unserer Schritte grăd ḁ lsó, wie wen n eppe̥r en ab’brụụchti Sä̆gisa wetzd. Wir schreiten zur Probe ein Stück hindertsi ch und wieder eins vordertsi ch: genau das nämliche tschi̦rgg! tschi̦rgg! Am chlä̆fe̥llen (klirren) unserer paar Silberlinge liegt’s nicht; auch haften Străffel und Zwinga unseres Bergstockes fest, sie lŏgge̥llen ni̦i̦d. Vielmehr ist es, wie leicht einzusehen, der durch unsere Schritte verdichtete Luftstoß, der das zerschlissene und trockenmauerartig aufgetürmte Tonschiefer­gestein halb klappernd, halb klingend gegeneinander schlagen läßt. Wo das Gestein fester gefügt 123 oder gegenteils mit lockerem G’mị̈lder durchsetzt ist, läßt der Spuk nach. Er sieht auch nur wie ein bloßer Versuch aus gegen die zwei Phänomene, von welchen die Lehrer Ernst und Hans Nobs als Besucher des untern Gletschers zu erzählen wissen. Auf der Bäregg ließ sich längere Zeit ein Pfeifen vernehmen in bisher unerhörten Weisen und Stärkegraden. E n Ghäärza (ein Beherzter) ist z’lest duḁ găn achten. Da stieß er auf eine in Felsstücke eingeklemmte Weinflasche, deren Hals abgebrochen war. An der vielfach zerschliffenen scharfen Bruchkante brachen sich wie an einem ganzen kleinen Orgelpfeifenregister die Windstöße und fanden sowohl im Bauch der Flasche, wie am umgebenden Gestein ihre wirksame Resonanz. Ein Ungeheuer war entlarvt. Aus Gletscherspalten herauf aber dringen bei sehr lindem Wetter mit etwas Föhn in der Höhe, starker Eisschmelze und ausgiebigerm Wasserabfluß in die Schrï̦nd allerlei sonderbare Klänge. Bald erinnern sie an Mandoline oder Zither, bald an eine Harfe und rufen dem Horcher die Äolsharfe ins Gedächtnis. Bisweilen vereinigen sich die Töne zu tadellos reinen Dreiklängen ( ut mi sol), dann verwirren sie sich wieder in ununterscheidbare Dissonanzen. (Man denke an den tiefen Unterton und den hohen Oberton, welchen Musiker aus dem Handeckfall heraushören). 1 Hinuntergeworfene Eisstücke stören den Zauber gänzlich. Dann ertönt wieder so deutlich, daß man sich nach einem Vögelchen umsieht, ein Rufen und ein Zwitschern, ein Stridulieren: es erinnert an die wassergefüllte Pfeife, die den schmelzenden Laut der Nachtigall nachahmt. Diese in unzähligen Arten durch das Schmelzwasser modulierten und emporgepreßten Luftschichten schufen anderwärts die Meerfrau mit der Harfe, schufen mit an den Nixen der Indogermanen und insbesondere an den Gletscherwịịblinen, von denen unter Sagen und Märchen die Rede sein wird.

Auch ohne menschliches Zutun also versteht sich der Wind auf Musik in allen Tonarten und Tonfarben. «Hohl»! 1a braust es durch die Bäume, wenn er in nachhaltigen und mächtig breiten Wellen durch die offene Ebene zieht: www! www! ist dieses hohle zugleich ein stoßweises Blasen, so chụụted’s, chụụted’s ụụs. Erhebt es sich zu der vollen Stärke des Föhns, so ju̦rned’s oder tooßed’s dem Älpler zum Wetterzeichen: We nn’s i’n Hï̦relline n fï̦rha tooßed, so gi bd’s Rä̆ge n; we nn’s ob der Mittellegi, 2 sŭ̦ tued’s ni̦i̦d. Brüllt aber der Föhn sein Sturmlied in Tälern und Schluchten tagelang und Nächte durch, so ist er doch rücksichtsvoll genug, einige Abwechslung in seine Stimmübungen zu bringen. Wie eine erhaschte Maus ggịịßed, zwịịggled, quietscht er, wo er sich durch eine enge Röhre zwängt. Mit 124 einem durchdringenden Ton, der an das Pfeifen des Murmeltieres erinnert, fällt bei einiger Heftigkeit der Abendwind in die Schlünde der Faulhornkette hinein. 3 Wieder wie ein in die Schlinge geratener Maulwurf hed er gester ’pfịịffed (gepfiffen). Oder er tat es, wie der Mensch mit gespitztem Munde zur Erzeugung seiner Fisteltöne es anstellt: er wispelt, oder wie man altdeutsch 4 sagte: er hwispalôt, indem er in den keilartig verengten Durchlassen oder gangartigen Aushöhlungen irgend einer «Windspille» 5 sich verfängt. Zu der Familie dieser Wörter gehört neben wis-peln, wis-pern, whis-per und whis-tle auch chịịs-tig und emmentalisches chịịste̥rig, baslerisches ghị̆spe̥rig, 6 altdeutsches heisi, heis, heise, lutherisches heisch, Lessing’sches heischer, heiser und grindelwaldisches heis’raam. Den Gegensatz zu der hier herrschenden Vorstellung bietet das erloschene 7 und bloß noch in der Bestätigungs­forderung gällt! gällid! gällt ja! gällt neei! erhaltene «gellen» (ertönen machen). Noch nennt der Emmentaler eine sehr starke Sprechstimme eine «Gälle n», «Chüejergälle n», und der Grindelwaldner sagt von einem Knaben, einem Hund usw.: där hed duḁ d’Gälten aa ng’gään! Zu gelster (laut tönend) gehört: «es Chind ergelstren» (aufregen, aufschrecken). So auch «gellt» der Wind am «Galen» und «Galenstock», 8 am 9 «Windgällen», am Galmifirn, an den Galmihörnern, am Gelmerhorn. So hieß denn auch das Echo in alter Sprache der «Widergalm». Kyburtz 10 schrieb dafür «Widerschall»; der Grindelwaldner sagt der oder d’s Wĭ̦derschwaal, was man gelegentlich als «Zwiderschwaal» deutet. 11 In unserm Grindelwald, da chëne n mier i n d’s Alphoren blasen, chënne n llŏsen wie’s i n Bärgen d’s Wĭ̦derschwaal gi̦i̦d! 12 Und prächtig hallt das wieder an den regennassen Wänden der Halsfluh und des Mettenbergs. Dreifach antwortet an gewissen Stellen das Echo dem Alphorn Burgeners am Wetterhorn­sträßchen. Die Riesenwand des Wetterhorns selbst gibt die Läufe wieder, «aber sonderbar in sanft geändertem Tone, mehr hell als klingend, wie aus überirdischer Ferne.» 12a Ein Widerschwaal vom Wetterhorn der gilt zudem als schoondlihă, während das Ausbleiben von dieser Seite auf ungünstigen Wetterumschlag deutet. Allein selbst hinter dem Reeti 125 (Rötihorn) hervor hallt die Antwort der Felsen; bis zum Ritzeṇgrätli dringt der Schall; ja an der Fluhwand der Eigerhöhe klingen die Töne fein und leise wieder, während jedes noch so laute Treiben des Alltags das Menschenohr da oben verschont. 13 Schöner dagegen als ordinäres Alphorngetute widerhallt auf beiden Scheideggen das «Kanonenecho» der «Echokanonen». Achtfach chlepfd und chrachched das wie einschlagende Blitze an den Wänden des Wetterhorns, Wellhorns, Schwarzwaldes.

Von selbst aber besorgt die Bergwelt solches kanonieren als Zeichen, daß’s umhi wollt leid tuen, ja daß sogar ein Sommerschnee zu erwarten steht. Tä̆tsch um Tä̆tsch, begleitet von verhallendem Rollen, tragen die Lawinen mittelst des sie begleitenden fernen Föhns bis an unser Ohr. Kommt es von Westen her, von «hinter Murten», so sind es die Tä̆tscha des Murte ng’schï̦tz oder Burgunderschießen, als Nachklang von 1476 her gedeutet. Kommt es von Ost, so ist der Ursprung da zu suchen, wo der Namen Sä̆gis̆talschießen ihn hinverlegt: ins Sägistal, wenn nicht auf die noch nähere Burg.

Die Schneestürze reden aber noch eine geheimnisvollere Sprache. Das dreimalige johlende Jehụụụ! der «Grimselstimme» 14 rettete in der Nacht des 22./23. März 1838 den Knecht des Hospizes, welches von einer Lawine zur Hälfte zerstört wurde. Unglaublich weit und von der verwickelten Gebirgsformation oft wunderbar modifiziert trägt die etwas erwärmte 15 Höhenluft den Lawinendonner. Er dringt von der Jungfrau her sechs Stunden weit nach dem Hohgant. 16 Durch die Folla (den Milchtrichter) verstärkt, dringt des Sennen Morgengruß oder Alpsegen vom Brienzergrat ins Unterwaldnerland; ohne solche Nachhülfe unterhalten sich im Sommer die Schwestern Steuri zwischen Hertenbühl und Waldspitz über den trennenden Wald hinüber. Arbeiter an der Berglihütte hörten jedes Wort, das zwei Führer an der Mittellegi, also etwa drei Kilometer entfernt, in gewöhnlicher Redestärke wechselten. Wie schallen da erst Donnerschläge! Da heißt es wohl etwa: Dás hed e n Chlapf g’ään! Dás Wätter hed g’chlepfd! Dás hed f rịị n ḁ lsó e n Tu̦u̦sch (s̆) g’gään! Dás hed rächt ’tŏned!

Wie aber muß es zu Mute sein dem in eine Gletscherspalte Versunkenen, aus welcher herauf kein noch so lauter Ruf zu den um Rettung Bemühten empordringt! Er selber vernimmt jeden noch so leisen Schall von oben 17 und kann sich nicht verständlich machen, nichts von seiner Lage 126 offenbaren! Zu ihm hinunter dringt der Ton (Knall) 18 neu geborstener Gletscherspalten, das G’ru̦mpel (Gepolter) abstürzender Felsblöcke und das chnăschle n 19 der vom Anprall getroffenen Tannen. Bis in ’s Dorf hinunter, wie dann erst in sein grauses Verließ hinab dringt das chroosen zerschellender Eisklötze, und wie das chrëëslen einer knusperigen Brotrinde unter gierigen Kinderzähnen verhallt das tausendfache Hinrollen faustgroßer Stücke über die holprige Fläche. Zwischen hinein brausen die Wildbäche. Dort murmeln die sie nährenden Schmelzwasser, hier hallt es wie Trommelwirbel, heult es, seufzt es wie im schaurigen Gebiet der Rottalherren. Es schäumen und toben die Runsen, es rauchen die Lütschinen. Aus der Tiefe des Gletscherbettes herauf aber vernimmt das Ohr so etwas wie das schụụren eines Bächleins. Es gemahnt ihn an Menschennähe, und noch einmal versucht er, «die Stimme, die rufende, zu schicken». Allein er versteht sein eigenes Wort nicht: d’s Bächli nimmd mŭ̦’s. Gleichwohl redet es ihm freundlich zu, es seid zue ’mmu. Es weist ihm den Rettungsweg eines Christian Bohren ( S. 57) unter dem Gletscher durch.

 
1   Baltz. 1, 150.   1a   JG. BSp. 377.   2  Fußnote S. 120.   3   Höpfn. M. 24.   4   Graff 4, 1239; Kluge 163. 409.   5   Gatschet 17; SdB. 1904, 189. An eine Spindel dagegen denkt Prof. Vetter im SAC. 18, 109 unter Erinnerung an den Spillstand bei Saarbrücken, die Criemhildespil des 14. Jhd.   6  Das eingeschaltete -er- ist, wie in luuter, bitter u. dgl. die ursprünglich nur männliche, dann aber mechanisch durchdeklinierte Werfall-Endung. ( Kluge 163. 229. 409.)   7  Vgl. mhd. ich gille, ich gal, wir gullen, ich habe gegollen ( WB. 2, 519).   8   Goms 82.   9   Grube 1, 224.   10  a. 5.   11  Vgl. Die gegenteilige Decomposition Wischbäächi (S. 9) und Einigen (aus Zeiningen).   12   Gw. Rs. 5.   12a   Krehbiel 26.   13   ÄFG. 94.   14  Bähler (Mitteilungen über den Grimselpaß c., Biel 1895) 32 f. nach Gottlieb Studer.   15  Luft von 16/ 0 trägt den Schall 341 m, solche von 0/ 47 nur 328 m in der Sekunde, ( Mohn 371).   16   Stud. T. 16; vgl. P. 221; Rohrd. 28.   17   Tschudi 425; Stud. T. 15.   18  Vgl. Rebm. 78.   19  Ebd. 396.  
 


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