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Vor vier oder fünf Jahrzehnten heiratete ein junger Blankeneser Seemann, aus dem alten Geschlecht der Guldts, nicht die Lotsentochter, die seine Tanten für ihn bestimmt hatten, sondern irgendein bräunliches etwas duckiges Ding von einem Mädchen, das sich eines Sonntagabends vom Etzer Moor her in einen Blankeneser Tanzsaal verlaufen hatte.

Die Familie war sehr enttäuscht, und ließ es den jungen Mann gleich am ersten Tag fühlen. Als aber am zweiten eine alte spitzige Tante fragte, wieviel tausend Torfsoden die junge Frau denn als Mitgift ins Haus gebracht, warf er sie hinaus. Die Familie konnte ihn dann nicht weiter quälen, so gern sie es getan hätte und ihm allein deswegen ein längeres Leben gegönnt hätte; denn er fuhr am dritten Tag auf der Anna Hollmann nach Senegambien, wurde dort an Bord fieberkrank und starb dort. Seine Witwe, die von Natur und von ihrer Jugend im Moor her zu einer scheuen Einsamkeit neigte, und durch den frühen Tod ihres Mannes noch dazu vergrämt war, zog sich ganz von der Familie zurück. Sie nannte sie mit Verachtung kurzweg ›das Pack‹, und verbot ihrem kleinen Jungen, den sie immer mit seinem vollen Namen ›Jan Guldt‹ nannte, in ihrer kurzen Art, jeden Verkehr mit ihr.

Sie lebte dürftig, ja arm, in einem der niedrigen Strohdächer unten am Strand, von denen es damals noch viele gab, in der hinteren Mietswohnung, die nur Stube und Küche hatte, und nährte sich, indem sie vom Morgen bis Abend für ein Dutzend Seeleute wusch und stopfte – wobei sie aufs genauste auf den Pfennig acht gab und zuweilen um einen Pfennig einen argen und rechthaberischen Streit begann – und gab damit der jungen Seele ihres Sohnes ein Bild der Treue und stiller und starrer Pflichterfüllung.

Sie sprach wenig und stieß das Wenige unfreundlich hervor, indem sie es mit einer Handbewegung begleitete, als wenn sie Unangenehmes von sich stieß. Aber in dem Wenigen, was sie sagte, gab sie ihm die erste Richtung für seinen Geist. Sie sprach aus ihrem bitteren Gemüt heraus von nichts anderm als von dem Tod ihres Mannes, indem sie sich darüber erging, daß die Hollmanns, die Reeder jener Anna Hollmann, die Leute auf ihren Schiffen verhungern und verkommen ließen, und so den Tod ihres Mannes verschuldet hätten. Sie erzählte dann weiter, daß auch sein Großvater im Dienste der Hollmanns seinen Tod gefunden hätte. Er war einst mit einem ihrer Schiffe nach Brasilien gefahren, wahrscheinlich zu einem schlechten, jedenfalls zu einem gesetzwidrigen Unternehmen, und war nicht wiedergekommen. Von diesen beiden Begebenheiten sprach sie, und zwar in einer Art von mürrischen Selbstgesprächen. Wenn sie dann ausgeredet hatte und wieder in Schweigen versunken über den groben grauen Wollstrümpfen und den dicken Isländern ihrer Kunden saß, sagte sie noch einmal ihre Meinung, indem sie ihr böses Urteil über die Hollmanns zusammenfaßte: »Sie haben es gewollt! Gewollt haben sie es, Jan Guldt! Mörder sind sie!« Der kleine Junge ihr gegenüber hörte dies alles, was sie immer wieder sagte, gierig an; denn er war in Nachträglichkeit ihr Sohn, und sog es in sich hinein.

So wie er heranwuchs, wurde seine Mutter infolge ihres einsamen Lebens und bittern Grübelns allmählich so scheu und einsilbig, daß sie bald mit keinem mehr sprach, da sie keinem mehr traute. Allmählich sprach sie nur dann noch im Zusammenhang, wenn ihr einer von ihren Kunden von irgendeinem Schiffsunfall erzählt hatte. Dann saß sie zwischen den groben grauen Strümpfen, Hemden und Isländern auf dem Ende des Herdes, neben sich das Feuer, auf dem sie sich ihren dünnen Kaffee kochte, und erzählte ihrem Knaben von seinem Vater, der so jung hätte sterben müssen, und von seinem Großvater, der vielleicht noch irgendwo in Brasilien gefangen säße, weil er im Auftrage der Hollmanns irgend etwas Schlechtes – natürlich wider sein Wissen und Wollen – hatte tun müssen. Und wieviel Seeleute hatten die Hollmanns seitdem schon wieder in den Tod geschickt!? Solche Leute waren die Hollmanns! Und das seit hundert oder zweihundert Jahren! So sagte sie. Und wenn sie dann eine Weile geschwiegen hatte, hob sie noch einmal wieder den Kopf und sagte: »Ist's nicht wahr, Jan Guldt? Ist's nicht wahr?«

Er saß auf der andern Seite des Feuers und ergrimmte über die beiden Toten und all die andern, und sah seine Mutter mit seinen eng beieinander stehenden Augen an und sagte dann voll Leben und Zorn in seinem verwegenen Gesicht: »Wenn die Hollmanns noch leben, wenn ich groß bin: dann sollst du sehn, Mutter! dann rede ich ein Wort mit ihnen!«


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