Karl Emil Franzos
Leib Weihnachtskuchen und sein Kind
Karl Emil Franzos

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IV

Der Schlaf war ihm barmherzig; nur noch einige Minuten, wo ihm alle Erlebnisse dieses Schicksalstages, wie noch keiner über ihn gekommen, qualvoll, in tollem Wirbel durchs Hirn stachen – dann wußte er nichts mehr von sich und all seinen Nöten.

Erst gegen Morgen kamen sie ihm im Traum. Er sah sich in einer großen, festlich geschmückten Stube, die er nie gesehen; es war wohl im Hause David Münzers, denn der saß an der Tafel obenan, neben ihm Miriam, totenbleich und vergrämt. »Ich hab nie mehr gesungen, Vater«, flüsterte sie, und er verstand es, obwohl er weit von ihr stand und die vielen Hochzeitsgäste lärmten und schrien. Aber da waren sie alle plötzlich verschwunden, nur das Brautpaar saß noch auf seinen Ehrenstühlen und er in seiner Ecke; da stürzte plötzlich Janko mit hochgeschwungenem Beil herein und auf Miriam zu. Der Träumende schrie auf und wollte sich dazwischenwerfen, aber er war wie gelähmt; »Erbarmen!« stöhnte er und erhob den Arm, »Janko! . . .« Da legte sich eine kalte Hand auf seine Stirn, und er erwachte  . . .

Es war seines Weibes Hand; sie hatte ihn geweckt, weil er so angstvoll gestöhnt. Er blickte um sich – das erste Grau des Morgens brach eben durch die kleinen Scheiben in die Kammer – und starrte Chane verstört an. Ihm war's, als hätte er ihr Antlitz nie so fahl, so abgezehrt gesehen. »Bist du krank?« stammelte er.

»Nicht kränker als sonst«, erwiderte sie scharf. »Aber was ist's mit dir? Was hast du gestern mit dem Janko gehabt, daß du davon träumst?«

»Nichts . . . Später . . . Nach dem Gebet!«

Er erhob sich, verrichtete die üblichen Waschungen, legte die Gebetriemen an und wandte sein Antlitz gegen Osten. Das war ja auch sonst die hohe Stunde seines Tages, aber nie hatte er so viel Trost, so viel Bedeutung in den liebvertrauten Worten gefunden wie heute. »Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott, der du aufrichtest die Gebeugten« – und dann: »der du lenkest die Schritte des Menschen« – o wie wohl das der armen, zitternden Seele tat . . . Er hatte die Schritte nach seinem Gebot gelenkt, immer, auch gestern, er konnte ihm auch heute ins Auge schauen  . . . wer sich solches sagen konnte, brauchte nicht zu zittern . . .

Ein Abglanz dieser Zuversicht lag noch auf seinem Antlitz, als ihm nach dem kärglichen Frühmahl sein Weib befahl: »Erzähle!« Er wollte ihr nichts verschweigen, aber trotz seiner gehobenen Stimmung begann er doch mit dem, was ihm die wenigsten Vorwürfe einbringen konnte, seinem Gespräch mit Mendele Schadchen.

Sie hörte unbewegt zu; nur zuweilen ging ein Zittern durch den siechen Leib, und die Linien um den Mund wurden noch schärfer; so als er von dem Taubstummen, dann Avrumele Sturm erzählte. Erst als er den Namen des greisen Freiers nannte, fuhr sie zusammen, die Hand umkrallte in fieberhafter Spannung seinen Arm. »Reb David Münzer . . . Was hast du geantwortet?!«

»Daß – daß ich's mit dir bereden will!«

»Gottlob!« Auf den welken Wangen lohte eine fiebrige, scharf begrenzte Röte auf. »Dir hätt's ähnlich gesehen, das Glück abzulehnen.«

»Das Glück?« fragte er schüchtern. »Du glaubst . . .«

»Daß wir Gott im Staube danken müssen, wenn was draus wird«, erwiderte sie. »Ja, das glaub ich . . . Red nicht«, unterbrach sie ihn heftig, »was du sagen willst, hab ich mir tausendmal selbst gesagt, schon vor Jahren hat's mich nicht schlafen lassen, und nun erst, seit sie erwachsen ist . . . Denn ich bin ja nicht blind, nicht närrisch, ich hab vorausgesehen, wie wir sie versorgen können . . . Versorgen! – daß Gott erbarm!« Sie begann zu schluchzen. »Damals hab ich zu Gott gefleht: Tu du ein Wunder, sie ist ja so gut und schön!« Zwei jähe Tränen rollten ihr über die Wangen, sie wischte sie hastig hinweg. »Aber Wunder geschehen nicht mehr, und unter dem möglichen ist das noch vielleicht das beste.« Sie fröstelte wieder und zog das dünne Tuch fester um die Schultern. »Ich war auf Schlimmeres vorbereitet . . .«, sagte sie dumpf. »Ein braver, reicher Mann, und gerade sein Alter ist ja ein Trost . . .«

»Versündige dich nicht!« rief er erschreckt.

»Wünsch ich ihm den Tod?! Aber ein Mann von Siebzig, ein Weib von Sechzehn –« Dann aber fragte sie angstvoll: »Glaubst du, daß Mendele es ernstlich versuchen will?«

Er erzählte das Gespräch nochmals; nun wagte er auch, den Schluß zu berichten.

»Unsinn«, sagte sie verächtlich. »Das hat Mendele erfunden, dich zu schrecken. Und wenn's wirklich so ein jüdisch Kind gibt – man hört ja auch von Kälbern mit fünf Füßen –, was geht's uns an? . . . Also Mendele wenigstens scheint's wirklich zu wollen. Und weil er klug ist und nie Unmögliches versucht, so gelingt's ihm vielleicht.« Sie atmete tief auf. »Morgen gehen wir zu ihm und besprechen das Nähere.«

»Morgen schon?!« Es war ihm unwillkürlich entfahren.

»Worauf willst du warten?« fragte sie bitter. »Daß Reb David jünger wird oder du ein reicher Mann? Ich hab keine Zeit dazu; ich bin ein krankes Weib, ich möcht ruhig sterben, und das kann ich nur, wenn ich mein Kind unter dem Trauhimmel gesehen habe. Oder willst du bis zum Sommer warten, wo sie Reb David von der Straße weg heiraten kann?!«

Der Kleine schrak zusammen. Und dabei kannte sie noch sein Gespräch mit Mosche nicht; heut waren's ja nur noch neun Tage bis zum ersten Oktober . . . Ein andermal! dachte er, wie wird sie wettern! – und helfen kann ja das auch nichts! Dann aber raffte er doch all seinen Mut zusammen und beichtete ihr zögernd und stockend die neue Bedrängnis.

Sie nahm's noch schlimmer auf, als er befürchtet; eine Flut von Vorwürfen und Klagen ergoß sich über sein tief geducktes Haupt. »Ja, so klug weißt du dich zu den Menschen zu stellen«, rief sie. »Und dabei willst du noch Reb Davids Werbung ablehnen? Was kann uns noch retten, wenn nicht seine Bürgschaft?!« Er erwiderte nichts, aber das traf ihn doch innerlich nicht allzu hart. Reb David hat ja noch gar nicht geworben, dachte er, und was die Geschichte mit dem Wechsel betrifft – kann ich dafür, daß Mosche etwas von mir wollte, was er nicht gestattet? . . . So recht schlimm zumute ward ihm erst, als sie schloß: »Und warum ist dies alles über uns gekommen? Des Bauern wegen! Jetzt mag dich dein lieber Janko retten!«

Seine Bestürzung war so sichtlich, daß sie es trotz ihrer Erregung gewahrte. »Nun?« fragte sie. »Aber mir scheint, du hast es schon versucht. Du hast ja davon geträumt: Janko! Erbarmen! Was hat er dir geantwortet?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein«, erwiderte er tonlos. »Mein Traum hat sich auf ein anderes Gespräch bezogen . . . Der Janko könnte mir nicht helfen, und seit gestern bisse ich mir auch lieber die Zunge ab, als ihn darum zu bitten . . . Seit gestern . . .« Er rang nach Luft. »Du mußt alles wissen!« Und er erzählte die Szene am Kreuz, Wort für Wort, nur den entsetzlichen Verdacht, den er einen Augenblick gehegt, brachte er nicht über die Lippen. Das würde sie mir nicht verzeihen, dachte er, und hätte damit recht.

Die Wirkung war eine andere, als Leib sie befürchtet hatte. Zwar hagelten die Vorwürfe auf sein Haupt nieder, daß er sich immer ängstlicher zusammenduckte und schließlich nur noch die Spitze des verschossenen Käppchens über dem Tisch sichtbar war, aber von jener Angst, die ihm Jankos Leidenschaft eingeflößt, empfand Chane offenbar nichts. Im Gegenteil, trotzig und kampfbereit stemmte sie die Arme in die Hüften und rief:

»Dem will ich's heut gründlich besorgen! . . . Wein nur, diesen Kunden vertreib ich dir für immer! . . . für immer!«

»Weinen?« Das Köpfchen wagte sich ein wenig aufzurichten. »Springen will ich vor Freud, wenn's dir gelingt . . . Aber . . .«

»Was?« rief sie scharf.

»Ich mein nur . . . Du weißt gar nicht, wie er gestern getobt hat . . . In dieser Sach scheint er wie verrückt . . . Wenn man ihn reizt, so . . .«

»Schlägt er uns alle tot!« rief sie hohnvoll. »Ja, ja, einen braven Freund hast du dir ausgesucht . . . Aber ich fürcht mich nicht, ich weiß – wie man – mit Tieren – fertig – wird – ich –«

Weiter kam sie nicht. Ein krampfhafter Husten drohte sie zu ersticken; die eingefallenen Wangen röteten sich, der sieche Leib wankte. Erschreckt wollte ihr Leib beispringen, sie winkte ihm ab. Endlich ließ der Anfall nach; sie sank erschöpft auf eine Bank.

»Geh«, murmelte sie. »Später! . . .«

Betrübt schlich Leib vor die Türe. Wieder war's ein wunderschöner Tag; der Herbst ist die einzige Jahreszeit, die diesem dürftigen, gleichsam auch von Gott verstoßenen Heideland eine Reihe andauernd heiterer Tage schenkt; sommerlich warm schien die Sonne vom tiefblauen Himmel. Ihn aber fröstelte es bis ins tiefste Herz hinein. Jammer und Sorge, wohin er blicken mochte – und ach, mit jeder Stunde immer neue Sorge . . . Wie Chane hustete, wie sie aussah – gewiß nicht erst seit heute, aber auch darauf hatte er, während er so sein armseliges Leben in gewohntem Schritt weitergeschleppt, nicht recht geachtet...

Er schloß die Augen. Mein Herr und Gott, dachte er, das wenigstens nicht – das nicht . . .

Da hörte er seinen Namen rufen; es war Onufrij, der Schmied, der sein Geld holen kam. »Du hast es doch bekommen?« fragte er.

Leib nickte. »Sogar um den kleineren Wechsel.«

»So? – wirklich?« Der wohlgenährte Mann mit der verdächtig roten Nase im breiten Gesicht sagte es gleichgültig, als ginge ihn die Sache kaum was an. »Na – gib her!«

Sie traten in die Stube und machten das Geschäft ab. Und da er nun einmal in der Schenke saß, so ließ sich Onufrij trotz der frühen Vormittagsstunde eine Flasche Schnaps bringen.

»Mir tut nur leid«, sagte er, nachdem er das erste Glas auf einen Zug geleert, »daß ich mir nicht gleich vierzig Gulden geliehen habe.«

»Warum?« fragte Leib. »Braucht Ihr so viel?«

»Oh, du dummer Jud!« lachte der Schmied behaglich, »Geld kann man immer brauchen. Und jetzt habe ich doch keine Sorge mehr ums Zurückzahlen. Du weißt doch: die Eisenbahn . . .«

»Ja, im nächsten Frühling wird sie hier gebaut . . . Aber warum hofft Ihr dabei Geld zu verdienen, Pani Onufrij?!«

Der Schmied lachte laut auf. »O du Schafskopf! Was ist denn mein Handwerk – he? Und was ist denn eine Eisenbahn – he? Du hast noch keine gesehen, aber ich! – als ich im letzten Frühling in Lemberg war; dorthin kommt das eiserne Pferd ja schon seit Jahren von Krakau hergelaufen. Also – auf Schienen läuft's, guter Leibko! Und kannst du mir vielleicht sagen, wessen Geschäft es ist, Schienen zu schmieden und auf die Schwellen zu nageln? Nicht wahr, hehe, das macht der Glaser? . . . Tausende sind dabei zu verdienen – so ein Haufen Gulden!« Er hielt die Hand hoch über den Tisch. »Und um den Preis wird da mit einem armen Handwerker nicht gehandelt, wie diese knickrigen Bauern tun, wenn sie ihre Schindmähren beschlagen lassen! Denn wer baut die Bahn? Der Herr Kaiser baut sie – verstanden, Leibko?«

Der Kleine hatte kaum hingehorcht; er war wieder in seine trüben Gedanken versunken. »Freilich«, sagte er nun, »da ist Geld zu holen!«

»Aber nicht durch die Schienen allein!« fuhr Onufrij fort; er war inzwischen bereits beim dritten Glase angelangt. »Weißt du schon, daß die kaiserlichen Schreiber nächster Tage hierherkommen? Solche hohen Herren hast du noch nie gesehen! – jeder hat einen großen Bauch und auf der Brust ein goldenes Kreuz, so groß wie ein Fenster – das hat ihnen der Herr Kaiser geschenkt. Und wozu kommen sie?! Um den Weg für das eiserne Pferd abzustecken! Natürlich wird der Boden uns nicht umsonst abgenommen; jeden Zoll vergütet der Herr Kaiser mit Gold! Verstanden?!«

»Wißt Ihr aber auch gewiß«, fragte der Schenkwirt, »daß die Bahn über Euren Acker gelegt wird?!«

»Wa-as?!« Diesmal lachte der Schmied so wiehernd drauflos, daß der Kleine zusammenfuhr und Miriams blühendes Gesicht aus der Nebenstube neugierig hereinguckte. »Oh, das Sprichwort hat recht: ›Unter tausend Juden ist nur einer dumm, aber der ist es dann auch für alle tausend zusammen!‹ Ob die Bahn über meinen Grund . . . hahaha! ich lach mich tot! Über wessen sonst?! Etwa den deines Janko, des elenden Knickers, den Gott verdammen möge?! . . . Wer zieht denn die Wagen auf der Bahn? Ein eisernes Pferd, hab ich dir schon gesagt. Wie es das macht, weiß ich nicht – das heißt, dummer Leibko, ich weiß nur nicht, wie es so von selber laufen kann, weil das überhaupt niemand weiß. Einige sagen, daß es nicht mit rechten Dingen zugeht, daß . . .« Er blickte sich scheu um und schlug dreimal hastig das Kreuz.

»Der Teufel?« fragte Miriam lachend; sie war in der Türe stehengeblieben.

»Pst!« Wieder blickte sich der Bauer scheu um. »Aber das ist Unsinn – der Herr Kaiser wird sich doch nicht mit – mit ihm eingelassen haben . . . Da glaub ich schon eher, was andere meinen: in jedem solchen Pferd steckt ein böser Geist, eine verdammte Seele, aber der Herrgott selbst hat sie hineingesperrt, dem Herrn Kaiser zu Gefallen, und nun müssen sie die Arbeit tun. Gern natürlich nicht, und darum stinken sie von innen her fürchterlich und geben einen Dampf von sich – ich sag Euch . . .«

»Aber deshalb versteh ich noch immer nicht . . .«, meinte Leibko.

»Daß der Weg an meinem Haus vorbeiführen muß?! Aber das muß ja jedes Kind begreifen! Nämlich, was drinnen steckt, weiß ich nicht, weil das kein Christenmensch weiß, aber daß es außen von Eisen ist und daß an diesem Eisen jede Meile was kaputt wird, weiß ich. Nun also! Wenn das hier in Winkowce passiert, wer soll's dann wieder zusammenflicken als ich? – he? Und da sollen sie mich erst eine halbe Stunde weit heranholen müssen?! – he?«

Er hielt die Flasche gegen das Licht; sie war fast leer. »Noch ein Fläschchen, Leibko! Ja, jetzt kommen die guten Zeiten!«

»Geb's Gott«, erwiderte der Kleine mit traurigem Lächeln und füllte die Flasche. Dann schlich er hinaus, zu sehen, wie es seinem Weib gehe.

Er traf sie in der Küche, wo sie das ärmliche Mahl bereitete. Der Rauch des Herdfeuers weckte immer wieder den schlimmen Husten. »Du solltest dich schonen«, bat er. »Könnt heut nicht die Miriam . . .«

»Warum grad heut?« fragte sie. »Du bist ein merkwürdiger Mensch, Leib«, fuhr sie fort, und diesmal war die Stimme ruhig; nur eine leise, schmerzvolle Bitterkeit klang hindurch. »Daß du eine erwachsene Tochter hast, weißt du erst seit gestern, und seit heut erst, daß deine Frau todkrank ist.«

»Todkrank?!« schrie er entsetzt auf. »Da sei Gott vor!«

»Vielleicht erbarmt er sich meiner«, sagte sie, »und nimmt mich nicht eher fort, als bis ich mein Kind unter dem Trauhimmel gesehen hab. Aber lang darf's dann damit nicht mehr dauern, sonst . . .«

Sie verstummte und preßte die Lippen fest aufeinander. Auch er mußte sich erst fassen, eh er sagen konnte: »Chane, da müssen wir ja sofort einen Arzt . . .«

Sie schüttelte den Kopf. »Mir hilft kein Arzt mehr«, sagte sie nun so unbewegten Tons, als spräche sie über etwas Gleichgültiges. »Ich hab's auf der Brust; meine Mutter – sie ruhe in Frieden – ist an derselben Krankheit gestorben, und, beiläufig, auch in meinen Jahren – zum nächsten Purim (Fastnacht) werd ich ja vierzig  . . . Vielleicht irr ich mich«, fuhr sie fort, als sie seine tiefe Erschütterung sah, »aber . . .«

Sie brach ab, und wieder preßten sich die dünnen Lippen fest aufeinander.

»Mein Gott!« seufzte er leise. »Mein Gott . . .«

»Wir können ja auch morgen den Arzt fragen«, sagte sie, gleichfalls nur zu seiner Beruhigung. »Da sind wir ja ohnehin in Halicz . . . Wenn es auf mein Herz allein ankäm, so gingen wir schon heut zu Mendele Schadchen. Aber ich fürchte, es wär nicht klug, ihm zu zeigen, wie dringlich es uns ist.«

Er nickte nur und wollte wieder hinausschleichen; da hielt sie ihn zurück. »Der Onufrij bleibt heut wohl sitzen«, fragte sie scheinbar gleichgültig, »bis sie ihn abends heimtragen?«

»Wahrscheinlich«, erwiderte er.

»Dann kann ich heut nicht mit dem Janko sprechen . . . Und ich weiß noch gar nicht, ob ich's morgen tu . . . Ich will keinen Unfrieden im Haus«, fügte sie zögernd bei. »Und da du es besser verstehen willst als ich und so sehr dagegen bist . . .«

»Aber Chane«, sagte er ängstlich, »wie kannst du das nur sagen? Ich hab ja kein Wort dagegen gesagt. Wenn du es für richtig hältst . . .«

Da hielt er inne, weil er ein Zucken der Ungeduld um ihre Lippen sah. Nun wußte er Bescheid: so machte sie es immer, wenn ihr Entschluß sie reute. Sie war zu eigenwillig, um zuzugeben, daß sie etwas Verkehrtes gewollt; so schützte sie denn seinen Willen vor, sich den Rückzug zu decken.

Natürlich hielt es der Kleine in solchen Fällen immer für seine Pflicht, ihr dies zu erleichtern.

»Nun ja«, begann er auch diesmal auf Befehl zu widersprechen und suchte sich sogar eine möglichst feste Haltung zu geben, »ich bin eigentlich dagegen. Denn warum? Er ist ein roher Bauer, du ein krankes Weib – zur Vernunft wirst auch du ihn nicht bringen . . .«

»So ereifere dich nur nicht!« unterbrach sie ihn. »Ich sag dir schon, es geschieht nicht. Aber dann darfst auch du nicht mit ihm darüber sprechen. Fängt er davon an, so sagst du ihm: Ach was, darüber reden wir, sobald es an der Zeit ist. Vorläufig haben wir noch keinen Bräutigam für sie, und da wir so arm sind, so finden wir vielleicht überhaupt keinen. Haben wir aber mit Gottes Hilfe einen gefunden, so sagst du ihm das erst recht nicht, verstehst du?«

»Nicht ganz . . .«, sagte er zögernd. »Du weißt, Chane«, fügte er so flehend bei, als gestehe er eine unverzeihliche Schwäche ein, »ich kann leider nicht lügen . . . Und dann, es würde ja auch nichts nützen, das Kind hält ihn ja für seinen guten Freund und wird ihm gewiß die Verlobung gleich erzählen . . .«

»Das wird sie nicht«, fiel sie ihm ins Wort, »wenn ich es ihr verbiete. Natürlich werde ich irgendeinen Vorwand ersinnen, die Wahrheit darf man ihr nicht sagen. Unsere Miriam ist gottlob noch nach ihrem Herzen ein Kind, wie sie vor zehn Jahren war; sie soll nicht erfahren, warum der häßliche Mensch täglich herkommt und was er sich dabei denkt, wenn er sie anglotzt. Sie soll es gar nicht ahnen, und eben darum müssen wir die Sach so leicht als möglich nehmen und ihn hinhalten und sogar dulden, daß er täglich kommt. Denn verbieten wir ihm das Haus, so wird sie den Grund wissen wollen, oder er lauert ihr einmal auf und erschreckt sie durch seine häßlichen Reden . . . Auch darum habe ich mich deinem Willen gefügt«, schloß sie, »und dabei bleibt's nun!«

»Ja«, sagte er eifrig; nun leuchtete es auch ihm völlig ein. Einen Augenblick fuhr ihm die wüste Geschichte, die ihm Mendele erzählt, durchs Hirn, aber dann dachte er sofort wieder: Gott, verzeih mir die Sünde an meinem Kinde! Und nicht bloß Frevel war's, sondern auch Unsinn: Chane war ja so viel klüger als er; war auch nur der Schatten einer solchen Gefahr denkbar, sie würde ihn ja voraussehen! . . . Gewiß, sie hatte auch diesmal in allem recht; glaubte Janko die Verlobung ferne, so fand er in seiner scheuen, verschüchterten Art gewiß nicht den Mut, mit Miriam zu sprechen . . .

Aber freilich, wie er sich dann benahm, wenn er's erfuhr – – den kleinen Mann überflog ein Schauer, er mußte an seinen Traum von heute nacht denken; ihm war's, als sehe er wieder das Beil blitzen und auf das Haupt des geliebten Kindes niedersausen . . .

Chane blickte ihn scharf an. »Was noch?« fragte sie kurz. Er erzählte ihr den Traum. »Verzeih«, schloß er, »aber . . . vielleicht . . . vielleicht hat uns da Gott gewarnt . . .«

»Dazu braucht Gott keine Träume«, sagte sie. »Er hat uns den Verstand gegeben, damit wir die Gefahr vermeiden . . . Natürlich werden wir auf unserer Hut sein. Vielleicht hältst du den Menschen für gefährlicher, als er ist, oder er wird mit der Zeit ruhiger, aber wenn du recht hast, so muß das Kind natürlich in dem Augenblick, wo er die Verlobung erfahren kann, aus dem Haus sein. Mag er dann in Halicz rasen. Dort geschieht dabei höchstens ihm ein Unglück, nicht uns . . .«

Wie immer, so flößte ihm auch diesmal ihre Entschiedenheit Mut ein. Nur in einem, in der Erkenntnis dessen, was Gott vom Menschen wollte, fühlte er sich ihr überlegen – in allem Weltlichen wußte sie besser Bescheid. Und so kehrte er beruhigter in die Schenkstube zurück, wo Onufrij inzwischen bereits die Hälfte der zweiten Flasche geleert hatte. Das war für den Schmied von Winkowce keine ungewöhnliche Leistung, und er war auch noch lange nicht betrunken, nur eben etwas angeheitert.

»Einen Gulden jeder Zoll«, murmelte er vor sich hin, »zwei . . . drei . . . vier Gulden.« Und als der Jude wieder auftauchte: »Zwanzig Gulden, dummer Leibko, zwanzig Gulden der Zoll . . . Oder, was meinst du, dreißig?!«

»Ja, ja!« sagte Leib und setzte sich hinter die Barre.

Er konnte sich heute mit dem Gast nicht unterhalten, wie er es sonst für seine Pflicht hielt, dazu war ihm das Herz zu schwer. Zwar gab es ja nun wohl keinen Auftritt mit dem Janko, vor dem er so sehr gezittert hatte, dennoch bangte es ihm vor dem Wiedersehen. Indes, das mußte eben ertragen sein, aber sein Weib, sein armes Weib! . . . Er hatte sie, nachdem sein Vater, ohne ihn zu fragen, die Verlobung abgeschlossen, zum ersten Mal in seinem Leben in der Stunde gesehen, wo sie ihm angetraut worden; früh war ihm der Gegensatz ihrer Naturen fühlbar geworden, und auch er, nicht bloß sie, hatte schwer darunter gelitten; früh war er ihr in allem untertan geworden, wo er nicht noch mehr Gehorsam forderte; die Not war von Anbeginn mit ihnen gewesen, und früh auch war im Dunsthauch dieser Not der Reiz ihres Leibes gewelkt – und dennoch war sie nicht allein seine Gefährtin, die Mutter seines Kindes, sondern auch das Weib seiner Liebe, das Weib seines Herzens wie nur irgendeine Frau dieser Erde, die in freier Wahl erkoren worden und in jedem Herzschlag mit dem Gatten einig war . . . Sein Weib war krank, todkrank, und er hatte es nicht bemerkt und nur gedacht: Die Ärmste, sie hustet eben, aber sie hat ja immer gehustet; es wird sich mit Gottes Hilfe wieder geben! . . . Freilich, was hätte er tun, zu ihrer Pflege aufwenden können, wenn er's bemerkt hätte?! . . . Aber nein, das war keine Entschuldigung, selbst der Ärmste kann den Arzt fragen, selbst der Schwächste noch etwas mehr verdienen . . .

Welcher Sünder ich bin! dachte er zerknirscht, und dann brach es ihm halblaut aus der gepreßten Brust: »Barmherziger, rette sie . . . ich will ja büßen!«

»Was?« grölte der Schmied und hielt sich die Hand ans Ohr. »Lauter! Und dein verdammtes Jüdisch versteh ich nicht . . . Komm her«, schrie er dann, »ich will dir was erzählen . . . Herkommen, sag ich!«

Der Kleine erhob sich und schlich zaghaft dem Fenster zu, neben dem der Schmied saß. Sein Blick schweifte dabei gedankenlos ins Freie – – da ward sein Auge plötzlich starr, und den Körper überfiel ein Zittern . . .

Himmel, was war das?! Die Dorfstraße herab kam der Janko geschritten und auf das Haus zu, aber nicht bloß die Stunde war ungewöhnlich – die Sonnenuhr am Pfarrhaus gegenüber wies kaum auf zehn –, sondern auch seine Tracht: er hatte sein Festgewand angelegt, das er vom Vater ererbt, aber sonst nur an den höchsten Feiertagen trug: den langen, pelzgefütterten, vom schwarzen, silberbeschlagenen Ledergurt zusammengehaltenen Rock aus weißgegerbtem Ochsenfell, die hohe braune Schaffellmütze auf dem Kopf, und über der Schulter das Beil mit reich geschnitztem Holzgriff, das Merkzeichen des freien Bauern, der auf dem eigenen Hofe sitzt.

Das Beil! . . .

Wie von Entsetzen gelähmt starrte der Kleine auf die Waffe, die im Sonnenschein blitzte, und regte sich nicht, wie sie so langsam näher und näher kam . . . Erst als der Schmied den Heranschreitenden gleichfalls gewahrte und erstaunt aufschrie: »Der Janko – und so?!«, fühlte er das Blut wieder in die Glieder strömen und konnte sie regen. Er wandte sich zur Küche, die Frauen zu warnen, aber es war zu spät, schon trat der junge Bauer in die Stube.

»Gegrüßt sei Jesus Christ!« begann er feierlich, als er den Kleinen gewahrte, und nahm die Mütze vom Haupte. »Segen diesem Hause!« Auch dies war beides wahrlich ungewöhnlich, aber nicht deshalb allein fühlte Leib wieder die Glieder erstarren, sondern weil er lange genug im Dorf lebte, um nun ganz genau zu wissen, warum Janko gekommen war. Die Festtracht am Werkeltag, der fromme Gruß in der Schenkstube – der Bauer wollte um Miriam werben und hielt die Formen ein, die unter seinesgleichen üblich waren. Es stimmte alles – bis auf die beiden Zeugen freilich, die der Freiwerber mitzubringen pflegt.

Das war so sichtlich, daß es auch dem Onufrij nicht entging. »Was?« rief er unter wieherndem Lachen. »Der Janko geht auf die Freite?! Hoho!«

Der junge Bauer fuhr zusammen: nun erst gewahrte er, daß noch ein Dritter in der Stube war. Sein Gesicht, das hochrot vor Erregung gewesen, wurde fahl, die straffe Haltung schlaff; dann wandte er sich stumm ab und schlug in hilfloser Verlegenheit den Blick zu Boden.

Noch immer wiehernd kam der Schmied auf Janko zu. »Ich hab's ja immer gesagt«, höhnte er, »unser Janko ist der schönste Bursch im Dorf – hehe. Wie fein er sich herausgeputzt hat! In Lemberg hab ich einen Affen tanzen gesehen – aber der war lange nicht so schön gekleidet! . . . Im Gesicht könnt er's eher mit dir aufnehmen!«

»Schweig!« rief der Bauer und wich zurück.

»Hoho!« rief der Schmied und streifte die Hemdärmel auf. »Spricht so ein grüner Laffe wie du mit einem Hausvater? Ein verrufener Geizkragen wie du mit einem braven Mann, vor dem jeder im Dorf Ehrfurcht hat, weil er lebt und leben läßt?!«

Noch einmal wich der junge Bauer einen Schritt zurück. »Schweig!« wiederholte er heiser.

»Aber warum sollt ich dir nicht Glück wünschen?!« höhnte der andere. »Wen hast du dir denn ausgesucht? Am Ende gar . . .« Er sah nach Leib und brach wieder in ein endloses Lachen aus.

Der Jude war bisher noch immer wie gelähmt, keines Wortes fähig, dagestanden. Nun, da sich der Hohn gegen ihn zu kehren drohte, griff er sich an den Hals, als wollte er die unsichtbare Hand abwehren, die ihm die Kehle zuschnürte . . . »Onufrij«, stammelte er, weiter kam er nicht.

Da hörte er im Nebenzimmer die Stimme seines Weibes. »Miriam, du bleibst hier!« rief sie scharf. »Drinnen streiten zwei Betrunkene, das ist nichts für dich!« Sie selbst trat in die Stube. »Der Janko?!« murmelte sie. »Was geht da vor?!«

»Hurrah!« johlte der Schmied, als er sie erblickte. »Da kommt die Frau Schwiegermutter . . . Nun hast du wohl mehr Mut?!«

Totenfahl stand der Janko da; die Brust hob und senkte sich wie in heftigem Krampf; keuchend ging sein Atem aus und ein. »Hund!« stieß er heiser hervor und schwang das Beil. »Noch ein Wort und . . .«

Die Frau war ans Fenster geeilt und hatte es aufgerissen. »Hilfe!« rief sie auf die Straße hinaus. Auch Leib hatte nun die Stimme, die Kraft wiedergefunden, sich zwischen die Streitenden zu werfen.

»Aber so laß doch!« lachte der Schmied und drängte das schwache Männchen mit einer Bewegung der Hand beiseite, daß es an die Wand taumelte. »Spaß muß sein! Ich will wissen, wer die Glückliche ist!« Und er trat noch näher auf den Bauern zu. »Am Ende gar wirklich die Jüdin?«

»Hilfe!« rief Chane noch einmal. »Herr Pfarrer, rasch!« Da hörte sie hinter sich einen dumpfen, unheimlichen Laut, wie das Wutgeheul eines Tieres, und als sie umblickte, sah sie das Beil des Janko über dem Haupt seines Gegners.

Aber im selben Augenblick ward auch die Türe aufgerissen; ein junger Mann in priesterlichem Gewande stürzte herein; es war der Hilfspriester, der bei Janko wohnte; der Ruf der Frau hatte ihn erreicht, als er eben ins Pfarrhaus wollte.

»Barmherziger Gott!« schrie er auf. »Du, Janko?!« Er riß dem Rasenden das Beil aus der Hand und drängte den Schmied zurück. »Frieden, Männer! – im Namen Gottes! . . . Was geht hier vor?!«

Niemand erwiderte. Noch immer totenbleich, mit geschlossenen Augen, lehnte Janko an der Wand, aber auch der Schmied fand kein Wort. Der Schrecken hatte ihn jählings ganz nüchtern gemacht, und nun lähmte ihm die Ehrfurcht vor dem Priester die Zunge. Trotz seiner jungen Jahre war der Pope Hilarion im Dorfe sehr geachtet; er war verständig, wollte seine Bauern nicht plötzlich zu Engeln machen, hielt aber auf Zucht und Ordnung.

»Nun?« fragte er streng, diesmal zu Onufrij gewendet. »Ihr habt ihn wohl wieder gehänselt?«

»Hm!« räusperte sich dieser verlegen. »Aber beliebet doch zu sehen, Hochwürdiger! . . . Der Pelzrock, die Mütze, das Beil . . . Also auf Freiersfüßen . . . Und kommt hierher . . .«

Hilarion blickte erstaunt seinen jungen Mietsherrn und dann wieder den Schmied an. Er begriff offenbar gar nicht, wohin dieser zielte. Als ihm aber der Sinn aufging, färbte sich sein gutmütiges Gesicht dunkelrot vor Zorn.

»Schweigt!« herrschte er den Spötter an. »Schämt Ihr, ein Christ, Euch nicht, Euren Nächsten so zu beschimpfen? . . . Um eine Jüdin werben! – wißt Ihr nicht, daß dies die größte Schmach ist, mit der sich ein Christ beladen könnte?! Er wäre gebrandmarkt und verdammt in diesem wie im künftigen Leben! . . . Für einen Süffling und Streithammel hab ich Euch längst gehalten, für einen solchen Frevler nicht . . . Daß ich das nie wieder höre! weh Euch, Onufrij, wenn Ihr's nun ins Dorf tragt . . . Hört Ihr?!«

Der Schmied senkte zerknirscht den Kopf. »Ich will's nie wieder sagen«, beteuerte er. »Aber gar so schlimm . . .«

»Eine Jüdin!« brauste der Pope auf. »Einen schlimmeren Schimpf gibt's nicht! Ist Euer bißchen Christentum ganz im Schnaps ersoffen?! Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! – Himmelkreuzdonnerwetter, wißt Ihr das nicht mehr?!«

»Ja, ja!« beteuerte der Schmied. »Aber – was hätt ich sonst denken sollen?! Dieser Anzug am Wochentag . . .«

»Geht das Euch was an?« schnitt ihm der Pope das Wort ab. Dann wandte er sich an Janko, der noch immer mit festgeschlossenen Augen, wie betäubt, an der Türe lehnte; nur die Hände zerrten wie im Krampf an dem Ledergürtel. »Nun, Janko, sag's uns, damit das Lästermaul gründlich gestopft ist!«

Der junge Bauer zuckte zusammen und riß die Augen auf. Verstört starrte er den Popen an, der das Beil immer noch in der Hand hielt.

Hilarion deutete den Blick dahin, daß Janko sein Beil wiederhaben wolle. Die einst so kampflustigen Ruthenen schmücken sich heute, wo sie durch die Zuchtrute des Polen, den Weihwedel des Jesuiten der demütigste Slawenstamm geworden sind, nur noch selten mit diesem Wahrzeichen des freien Mannes, aber haben sie das Beil in die Hand genommen, so gilt es als arge Schmach, es sich entreißen zu lassen.

»Da!« sagte der Pope und drückte ihm den Griff in die Hand. »Aber nun rede!«

Der Bauer öffnete den Mund, aber nur ein gurgelnder Laut brach ihm aus der Kehle. Er schüttelte den Kopf, dann wandte er sich ab und taumelte zur Tür hinaus.

Verblüfft blickte ihm der Pope nach. »Seltsam!« sagte er dann. »Ihn muß was Bitteres getroffen haben. Muß er vielleicht zu Gericht, einen Schwur leisten!?« Er wandte sich freundlich an den Kleinen, der all die Zeit fast ebenso verstört dagestanden wie Janko. »Weißt du es nicht, braver Leibko?!« Er nannte ihn immer so, meinte auch das Lob ernst; er schätzte den Juden sehr und hatte wahrlich keine Ahnung, wie sehr er ihn doch eigentlich vorhin durch seine Standrede an den Schmied beleidigt. »Du bist ja sein Freund!«

Leibko fuhr zusammen. »Warum er . . .?« begann er stotternd. Muß ich lügen?! dachte er erschreckt. Da fühlte er zu rechter Zeit die knochige Hand seines Weibes in seinen Rippen. »Ich . . . ich . . .«

Es war gut, daß der Pope ihn nicht ansah. Er blickte zum Fenster hinaus, dem Janko nach. Langsam ging der junge Bauer dahin, seinem Hause zu, sehr langsam, das Haupt gesenkt, unsicheren, fast taumelnden Schritts, wie ein Mensch geht, der einen furchtbaren Schlag aufs Haupt erhalten.

»Also, du weißt es auch nicht?« fragte Hilarion. »Nun, ich bring's schon heraus . . .« Er griff nach seinem Hut. »Und Ihr könntet nun auch heimgehen«, wandte er sich an den Schmied. »Ein Hausvater, der am Wochentag in der Schenke sein Geld versäuft! Und ich wette, Ihr habt es eben erst gepumpt!«

Da aber richtete sich der Schmied auf. »Mag sein«, erwiderte er bescheiden, jedoch fest, »aber das geht weder Kaiser noch Papst was an, geschweige denn Euch. Vorhin habt Ihr recht gehabt, das will ich auch halten, es gehört zum Christentum. Aber wann ich trinke und wieviel ich trinke und woher ich das Geld dazu habe, das gehört nicht zum Christentum!«

Der Pope setzte sich in Positur und stemmte die Arme in die Hüften. Aber er ließ sie rasch wieder sinken. »Wie Ihr wollt«, sagte er gleichmütig. Denn er sah ein, daß er da zu weit gegangen war; verbot er seinen Pfarrkindern das Trinken, dann gehorchten sie ihm selbst in Dingen nicht mehr, die auch nach ihrer Meinung den Popen angingen. »Ein guter Rat steht jedem frei!«

Nachdem er gegangen war, setzte sich der Schmied wieder behaglich hin und ließ sich ein drittes Fläschchen bringen. Leib aber schlich zu seinem Weib in die Küche.

»Nun, was sagst du dazu?« seufzte er. »Ich hoff nur, unser Miriamchen hat nichts gemerkt . . .«

»Nein«, erwiderte sie. »Sie weiß nur, daß Janko mit dem Schmied gerauft hat. Daß er betrunken war, glaubt sie nicht, aber daran liegt nichts . . . Was ich sonst dazu sage? Daß du der größte Narr in ganz Polen bist!«

Er fragte nicht warum, sondern beugte stumm sein schuldiges Haupt.

»Um ein Haar«, wetterte sie, »und du hättst unser Kind unglücklich gemacht fürs ganze Leben! Ja, ich weiß, meine Tochter will er heiraten! – der Pope hätt dann einen Lärm gemacht, den man bis Lemberg gehört hätt und nicht bloß bis in die Haliczer Dampfsäge . . . Du verdienst wirklich nicht, daß uns Gott so gnädig war. Denn es ist ja so gut abgelaufen, wie wir nur wünschen konnten . . .«

»Meinst du?« fragte er zaghaft. »Aber mir ist doch das Herz schwer. Im Pelzrock mit dem Beil – also heiraten! – Daß er es so ernst meint, hätt ich doch nicht geglaubt . . .«

»Eben drum!« erwiderte sie. »Nun weiß er, was sein Pope und seine Leut drüber denken! Wenn er noch nicht ganz verrückt ist, so schämt er sich jetzt in Grund und Boden hinein und läßt sich nicht so bald wieder bei uns sehen . . .«

Er schüttelte zaghaft den Kopf. »Aber wenn er ganz verrückt ist?« fragte er fast flehend.

»So wird man ihn binden und ins Irrenhaus bringen!« rief sie heftig. »Laß mich in Ruh!«


 << zurück weiter >>