Karl Emil Franzos
Aus Halb-Asien – Zweiter Band
Karl Emil Franzos

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Zwischen Dniester und Bistrizza.

(1875.)

»Zwischen Dniester und Bistrizza« . . . wer weiß, wer das alte Jubellied ersonnen und zu welches Woden Ruhm? Sein Angedenken ist verklungen, sein Name steht nicht eingeschrieben in der Welt Geschichten, verrauscht ist längst der Jubel, aber noch singen sie, droben auf den felsigen Höhen, zwischen denen der wilde Czeremosz schäumt, und in der grünen Wüstenei des Lungul und drunten im lachenden Sereth-Thal:

Zwischen Dniester und Bistrizza
Freu'n sich alle braven Leute,
Und in Waffen geh'n die Männer
Und in Seide geh'n die Frauen,
Geh'n in Seide und in Blumen,
Und sie rufen: Heil uns, Heil!
Preis und Dank dem großen Woden,
Der uns aus der Noth gerettet . . .

War's Polennoth? War's Türkennoth? Und wer war der große Wode? . . . Unverstanden, inhaltlos klingt das Lied durch den Karpathenwald, durch die Buchenhaine der Niederung. Aber heuteDie Skizze ward zum 7. Mai 1875 geschrieben, zum hundertsten Jahrestag der Vereinigung der Bukowina mit Österreich. Sie darf heute leider nur mehr den Werth beanspruchen, die Culturverhältnisse der Bukowina, wie sie vor dreizehn Jahren bestanden, wahrheitsgetreu darzustellen. Daß sich das erste Decennium des zweiten Jahrhunderts, welches die Bukowina unter österreichischer Herrschaft verbringt, für das Land weniger segensreich gestaltet, und aus welchen Gründen, hierüber mag man die Einleitung dieses Buches nachlesen. Ich will mich hier auf diesen Hinweis beschränken und, um Wiederholungen zu vermeiden, jede berichtigende Bemerkung zu der folgenden Schilderung unterlassen. Traurig genug, daß man diese letzte Epoche nicht mehr »eine Zeit währenden, wachsenden Gedeihens« nennen kann. »Wir Oesterreicher«, sagte mir einmal einer unserer bedeutendsten und edelsten Patrioten, mit bitterem Lächeln, »haben ein Talent zum Zerstören, wie sonst Niemand auf der Erde; was wir heute nicht ruinirt haben, das ruiniren wir morgen!« Anm. zur 3. Aufl. ist wieder einmal ein Tag, da das alte Lied wieder zu schöner Wahrheit wird, da neuer Geist und Sinn in die alten Reime kommt! Denn heute ist ein Tag des Gedächtnisses, an dem in der That Alle, Alle, die drüben im schönen entlegenen »Hochland im Ost« in Licht und Frieden wohnen dürfen, aus ganzem Herzen rufen: »Heil uns, Heil!« Alle, nicht etwa blos ergebenste Loyalitätsmenschen, sondern jeder Vernünftige, der seine Augen zum Sehen gebraucht, der Umschau hält in der eigenen Heimat und dann über die Grenze hin, nach Ost und Süd: in's verödete Bessarabien, in's unglückliche Rumänien! . . . Ja, Preis und Dank dem »großen Woden«, der seine Hand über dieses Land gestreckt und es aus der Noth der Barbarei gerettet, dem Herrscher, der in der That ein großer, edler Mensch gewesen, dessen eiserne Hand »den Völkern eine Rose bot« – Preis und Dank dem »Woden« Josephus! Seines Namens war er der Zweite, seines Herzens und Geistes für alle Zeit der Erste! Lebendig gilt er der Sage, und sein Gedächtniß wird nie ersterben; aber inniger denkt Niemand seiner, als die »braven Leute zwischen Dniester und Bistrizza«! Und nun gar heute! Denn heute sind es hundert Jahre, da des Herrschers Mühen und Ringen um diese Landschaft endlich Abschluß und Erfolg gefunden: am 7. Mai 1775 ist die Bukowina an Oesterreich gekommen.

In Allem ist das uralte Lied wieder neu und giltig geworden, nur in Einem nicht: heute gehen drüben am Pruth und der Suczawa die Männer nicht im Waffenschmucke, die Frauen nicht in »Seide und Blumen« – es ist eine stille Feier, und laut und prächtig soll sie sich erst in jenen Tagen entfalten, da das Reich der Provinz nachträglich zu ihrem Festtage das Ehrengeschenk darbringt, das schönste und nützlichste, was man auszusinnen vermocht: die neue deutsche Hochschule im Osten, die »Universitas Czernoviciensis!« . . . »Prächtig«, sagte ich, würde das Fest jener Herbsttage sein, und ich weiß doch gut, daß das ferne Hochland wohl schön ist, aber nicht eben reich und gar so abgeschieden von der großen Welt, daß die armen Leute beim besten Willen nicht solchen Prunk und Glanz aufbringen können, wie sie sicherlich gerne möchten! Aber das Wort nehme ich nicht zurück. Denn eine Feier, bei der sich jede Brust stolz hebt und jedes Auge freudig leuchtet, bei der kein Hochruf erzwungen ist und kein begeistertes Wort erlogen, eine solche Feier darf man wohl prächtig nennen, ohne Rücksicht auf die Zahl der Teppiche und Fahnen! Und solcher Geist wird durch jene Herbsttage wehen; dieses Land ist dankbar und treu und verdient seine Bezeichnung als »Tirol Ostösterreichs« nicht blos seiner landschaftlichen Schönheiten wegen . . . Wohl gibt es Menschen im Lande, welche anders denken und der Säcularfeier die Todtenfeier für irgend einen dakischen dunklen Ehrenmann demonstrativ entgegenstellen; zwei ganze Dutzend dürften es sein – »nationale Politiker« nennen sie sich selbst; »Hochverräther« werden sie von den Anderen genannt. Aber beide Namen scheinen mir überaus unpassend. Ein nationaler Politiker ist ein achtungswerther Mann, der beharrlich und besonnen ein Edelstes und Höchstes erstrebt: Sicherung und Blüthe seines Volksthums – und selbst zu einem ganzen Hochverräter gehören ganze fünf Sinne! Aber wer heute, im Jahr des Heils 1875, ernstlich anstrebt, daß die deutsche Kultur in der Bukowina ausgerottet werde, daß das Land an Rumänien falle, der ist kein Hochverräther, welcher Strafe verdient, der ist von Gott gestraft genug und verdient im Gegentheil eine tägliche ausgiebige Douche und den kostenfreien Aufenthalt in der einsamen Zelle eines nützlichen sanitären Instituts, zu dem es das Buchenland freilich leider noch nicht gebracht hat . . .

Eine Landes-Irrenanstalt also haben sie drüben noch nicht, aber ein schönes Kulturleben haben sie und Rechtssicherheit und geordnete Sitte und bürgerliche Freiheit! Wie eine Oase liegt dies Ländchen mitten in der Wüste östlicher Uncultur. Wahrlich, wenn der Bukowinaer so dankbar und so treu ist, so hat er auch allen Grund dazu – mehr Grund, sag' ich offen, als der Bürger eines andern Kronlandes! Nicht etwa, daß hier die k. k. Verwaltung durchwegs von besserem Geist erfüllt gewesen, als anderwärts – auch hier blieb sie sich gleich in ihren geringen Vorzügen und großen Schwächen. Aber zwei Dinge gibt's, für welche der Bukowinaer dem österreichischen Staate allezeit verpflichtet bleiben muß: Erstens für – den 7. Mai 1775! Ja, schon die Thatsache, daß dies Land nicht bei der Moldau blieb, sondern an Oesterreich kam, wiegt schwer genug! Zweitens für die treffliche Art, in der Kaiser Joseph das Land colonisirt, für den genialen Blick, mit dem der große Monarch das Verhältniß der Nationalitäten festgestellt. Die Bukowina ist ein kleines Ländchen, und was Joseph dafür gethan, steht in keinem Geschichtsbuch zu lesen, aber wer sich in die vergilbten Acten aus jener Zeit vertieft, in die Berichte der k. k. Militär-Verwaltung und des Herrschers Entscheide hierüber, dem tritt es fast überwältigend entgegen, wie weit, wie scharf, wie weise diese Kaiseraugen geblickt . . .

Das kann man von den Augen der k. k. Verwalter, der Herren Kreishauptleute und Landes-Chefs freilich nicht immer sagen. Einiges haben sie gefördert, Manches wohl auch gehindert – die Hauptarbeit haben sie wahrhaftig nicht gethan! Es war dies auch zum Glück nicht nöthig, denn wenn es nöthig gewesen wäre, dann – siehe Ostgalizien, siehe Oberungarn . . . Aber hier war ein richtiger Grundstein gelegt, und die Erbgesessenen und die Colonisten schafften selber fröhlich weiter, und es war Segen über ihrem Werke, weil sie dabei Frieden hielten und sich nicht um Glauben oder Sprache die Köpfe blutig schlugen. So war das Jahrhundert, welches heute voll wird, für die Bukowina eine Zeit emsigsten, gesegnetsten Fleißes, eine Zeit währenden, wachsenden Gedeihens. Und so mag der Bürger dieses Landes heute dankbar jenes Tages gedenken, da für die Bewohner ein menschenwürdiges Dasein begann, aber noch dankbarer der Arbeit seiner Ahnen und Väter, und stolz der eigenen Arbeit. Wohl wird sich auch die ferne, düstere Vergangenheit vor sein Auge stellen, und dann, wie sich jener 7. Mai 1775 gefügt, aber lieber wird er bei der schöneren Gegenwart verweilen. Und genau so will ich's halten in diesem Gedenkblatt zum Festtag des schönen, merkwürdigen Berglandes . . .

Düster und traurig ist die ferne Vergangenheit des Gaues zwischen Dniester und Bistrizza, der »obern Moldau« – der Name »Bukowina« wird auch just heute erst hundert Jahre alt. Düster und traurig! Unsäglich viel ward auf diesem Boden gedrängt und geschlagen; hier ging die große Völkerstraße von Ost gegen West. Hier wanderte – wer mißt, seit welchen Tagen? – das sarmatische Nomadenvolk der Skythen von Trift zu Trift, bis die Geten, vielleicht ein germanisches Kriegervolk, sie schützend und knechtend zugleich unter ihnen Wohnsitze nahmen – die »Königsskythen« Herodot's. In diesem Hügellande staute sich die wüste grimme Völkerwelle der Bastarner, immer wieder in römisches Gebiet hinabfluthend, dann eingedämmt, endlich spurlos verfluthend im Völkermeere des Weltreiches. Das hatten zuerst oberflächlich die Waffen der Legionen bewirkt, dann gründlich jene der Cultur. Wo dem Cäsarenstaate die Marken gestanden, ob dies oder jenes Stücklein noch dazu gehört, darüber wird noch heute mit großer Galle und Gelehrsamkeit gestritten; gewiß ist, daß mindestens die Landschaft südlich des Hierasos – Pruth heißt heute der rasche, blaue, wilde Bergfluß – dem Einfluß römischer Cultur nicht entrückt gewesen. Freilich war es nur dünner Firniß, den die Weltgebieter schlau, rasch und energisch den Unterjochten aufgedrückt, und er barst und fiel ab, als nun von Osten her, dröhnend, verderbend, reinigend wie ein Gewitter, die neuen Herren der Welt gezogen kamen – die Germanen, die Gothen. Auf der Stätte des heutigen Suczawa hielten ihre Könige Hof,Wenigstens ist dies eine Hypothese, welche viel Wahrscheinlichkeit für sich hat. Daß aber »Suczawa« ein gothischer Ortsname sei (Suozawe = süße Aue, Schönau) ist sicherlich nur ein Philologen-Traum. Der Name ist zweifellos slavischen Ursprungs. Anm. z. 3. Aufl. das Christentum erblühte und mit ihm auf dem Boden eines starken unverderbten Volksthums allmählig eine neue Cultur. Aber sie endete jäh und gräßlich unter den Hufen der Hunnenrosse, und was nun vom vierten bis ins vierzehnte Jahrhundert folgt, ist eine Kette unsäglicher Gräuel: ein Volk drängte und mordete das andere, bis es selbst ertränkt ward von einer neuen Völkerwelle von Osten her. So sind Gepiden und Avaren, Bulgaren und Chazaren, Magyaren und Petschenegen, Kumanen und Uzen, Mongolen und Tataren gekommen und gegangen; wie eine einzige, ewig lange, grauenvolle Nacht liegt dies Jahrtausend dem Blicke des Spätgeborenen, von einem kümmerlichen Lichtblitz erhellt: dem heldenmüthigen, selbstlosen Kampfe des deutschen Ritterordens für Bildung und Christentum. Aber über die Trümmer seiner Burgen zu Niamtz und am Zezin, über die Leichen der Ritter flutheten die Horden der Mongolen. Als sie sich verlaufen, da war das Land eine Wüste, überaus spärlich bewohnt von Ueberbleibseln all der Völker, welche diesen Boden mit ihrem Blute gedüngt. Doch den Herrenlosen kamen bald, diesmal von Westen her, neue Gebieter: rumänische Hirten und Jäger stiegen aus der Marmaros in das Thal der Moldawa hinab und gründeten hier unter Dragosch, dem Häuptling, ein neues, von Felsen umfriedetes Gemeinwesen. Aber die Ebene lockte sie, aus den Hirten wurden Krieger, das Völker-Bruchgestein am Sereth und Pruth konnte ihnen nicht widerstehen, und so entstand, anfangs fast genau in den heutigen Grenzen der Bukowina, ein streitbarer Staat: die Moldau, der bald mächtig gegen Ost und Süd wuchs. Unter Stephan dem Alten erreichte der Rumänenstaat die größte Blüthe, welche ihm bisher gegönnt gewesen, und so mag sein Volk diesen Fürsten immerhin den Großen nennen: er schlug den Feind in Nord und Süd, in Ost und West – dem Polen und dem Türken, dem Ungar und dem Kosaken war der »Kara Bogdan« (der »schwarze Stephan«) gleich fürchterlich. Aber auch in Dingen des Friedens war er stark und weise, er vollendete muthig alles Gute, was die Ahnen schüchtern begonnen, er mehrte die Bevölkerung seines Landes durch Aufnahme von Armeniern, Pokutiern und Zigeunern, er gab Gesetze und handhabte sie gerecht. Seine Regierung ist der Glanzpunkt rumänischer Geschichte, und einsam ragt aus diesem Volksthum diese groß, kühn und stolz geartete Heldengestalt, furchtbar einsam! – so sehr es dieses Volk bedurft hätte, ein »Stefan del mare« ist ihm nicht wieder geboren worden! . . . Was der gewaltige Mann geschaffen, hat kurz gewährt; unter seinen nächsten Nachfolgern schon brach Alles zusammen: die Moldau ward zur türkischen Provinz, die Landschaft zwischen Dniester und Bistrizza zum Schlachtfeld, auf dem sich der Türke mit dem Polen maß oder der abgefallene tatarische Hospodar mit seinem osmanischen Zwingherrn. Oder es erhoben sich einige Bojaren, zogen vereint gegen Suczawa, die Fürstenstadt, schlachteten vereint den Hospodar ab sammt Weib und Kind, schlugen sich dann aber grimmig herum, wer nun Hospodar sein, zu deutsch: wer nun das Land aussaugen und zertreten dürfe. Denn ärger als die Kriegsnoth war jene des Friedens, das scheußliche, entnervende, durch und durch verderbte und verderbende Walten der eingeborenen, im Namen des Sultans gebietenden Machthaber. Jede Zeile in den Geschichten jener Tage kündet unsägliche Gräuel, es war ein beispielloses Morden, beispiellose Verderbniß. Alle Bande des Volksthums, alle Bande der Familie lösten sich, es war ein Wüthen Aller gegen Alle. Grauenvolle Nacht lag über dem Lande. Da brach jäh und unverhofft ein Lichtstrahl herein: die Besetzung durch die Oesterreicher.

Das war am 1. October 1774. Zunächst schafften sie mit eiserner Hand Ordnung, steuerten dem Rauben und Morden, schützten die Sicherheit des Besitzes. Sieben Monate darauf folgte die formelle Erwerbung: vor hundert Jahren, durch den Vertrag zu Konstantinopel, abgeschlossen zwischen dem Großvezier Izzed Mechmet Pascha und dem Gesandten Freiherrn v. Thugut. Dieser listige Diplomat hat damals, wie überhaupt während seines Wirkens am Goldnen Horn, seinem Namen Ehre gemacht; später freilich und zu Wien hat er's verdient, daß ihn der Volksmund den Thunichtgut taufte.

Diese Besetzung und diese Erwerbung – es ist eine etwas eigenthümliche Historie. In solcher Art, wie die Bukowina, ist kein anderes Land an Oesterreich gekommen. Und es gibt überhaupt in aller Geschichte nicht viele solche Fälle! Denn daß befreundete Souveräne einander im Frieden Pferde oder Edelsteine bescheeren, kommt vor; aber daß einer dem andern ohne jegliche äußere Veranlassung einhundertundachtzig Quadratmeilen schenkt, ist doch etwas curios. Die Bukowina ist ein Geschenk des Sultans an Joseph, selbst nach strengster juristischer Definition ein Geschenk, weil ganz freiwillig gegeben, aber – es ist doch eine eigenthümliche Historie, so recht eine Staatsaction im Geiste jenes Säculums. . ..

Man weiß, damals rangen mit einander zwei Richtungen der Politik in Oesterreich, beide durch groß angelegte Herrschernaturen repräsentirt; rücksichtsvoll rangen sie, aber es war doch ein ewiges Ringen zwischen der großen Kaiserin und ihrem größeren Sohne. Maria Theresia hing an den alten Traditionen und dem alten Haß; Joseph erkannte, daß im Bündniß mit Preußen, in der Verständigung mit Rußland die Gewähr für das Erstarken Österreichs liege, und vor Allem für dessen Vergrößerung. Vor Allem hiefür: nach Mehrbesitz stand sein Sinn, aus Stolz wie aus Staatsraison. Heute denken wir anders; nicht in der Zahl, sondern in der Harmonie der Massen und ihrer Homogenität liegt uns der Quell der Macht, und gewaltig schreitet die Idee der Nationalitäten durch unser Jahrhundert. Dem großen Kaiser lag sie ferne – sehr begreiflich, nicht weil er ein Oesterreicher, sondern weil er ein Sohn seiner Zeit war; hatte sie doch auch der Preuße nicht, der große König. Aus Stolz wie aus Staatsraison, sagt' ich, strebte Joseph nach Mehrbesitz, und überdies lockte die leichte Gelegenheit. Da lag im Südosten der ohnmächtige Osmanenstaat, da lag im Osten das doppelt ohnmächtige Polen, nur noch durch die Eifersucht der drei Nordmächte im elenden Dasein geschützt. Heftig rangen Mutter und Sohn, bis Joseph die Theilnahme an Polens Theilung erstritt. So kam Halicz und Wlodimir an Österreich, das bergige Pokutien dazu und ein Stück Podoliens.

Aber anders dachte der Kaiser bezüglich der Mittel, türkisches Gebiet zu erlangen. Nur bezüglich der Mittel! – er hat später mit dem Schwerte um Bosnien gekämpft und schon in den Siebziger-Jahren erstrebte er zuerst das Tiefland an der Aluta, später jene Landschaft, deren Erwerbung allerdings sehr wünschenswerth geworden, da sie sich wie ein Keil zwischen Siebenbürgen und das neugewonnene Dniesterland einschob, eben die Bukowina. Hatte er Galizien durch den Bund mit Rußland und Preußen erworben, so erlangte er die Bukowina durch den Bund mit der Türkei, auch diesmal wieder mühsam der Mutter Einwilligung erringend. Als Katharina II. 1768 den Krieg gegen die Osmanli begann und ihre Heere Sieg auf Sieg erfochten, da gönnte Maria Theresia im frommen Herzen den Ungläubigen ehrlich alle die Hiebe, indeß Joseph in schwerer Besorgniß den mächtigen Rivalen siegen sah. Darum suchte er Friedrich zu bestimmen, mit ihm vereint bei Katharina für die Vielgeschlagenen zu interveniren. Aber nach langwierigen Verhandlungen versagte Preußen endgiltig seine Hilfe. Indeß war die Gefahr immer drängender geworden, die russischen Hiebe immer wuchtiger. Denn wohl waren die Feldherren der Czarin erbärmliche Strategen, aber die ihrer Gegner noch viel erbärmlichere – den »Krieg des Einäugigen mit dem Blinden« hat es Friedrich II. spöttisch genannt. Es hat da Facta gegeben, die wie Märchen klingen; so ergab sich z. B. die stärkste Veste des Ostens, Chotin, mit 184 Geschützen armirt, an – acht Kosaken. Aber Joseph nahm mit Recht die lustigen Facta sehr ernst und schloß am 6. Juli 1771 mit der Türkei ein geheimes Schutz- und Trutzbündniß, welches ihr den Besitz der Moldau und Walachei garantirte. Die fromme Mutter entsetzte sich über den Bund mit den Ungläubigen, aber Joseph hatte recht gehandelt; der Tractat war ein Meisterstück, er verpflichtete die Türkei zur Dankbarkeit, ohne daß Oesterreich Opfer brachte. Denn am 21. Juli 1774 kam zu Kutschuk-Kainardschi der Friede zwischen Rußland und der Türkei zu Stande; die Türkei behielt die Donaufürstenthümer, die Russen räumten die Moldau. Aber kaum daß sie abzogen, rückten die Oesterreicher ein. Stillschweigend rückten sie ein, ohne Proklamation, vielleicht weil sie ohnehin nur Wenige im Lande hätten lesen können, vielleicht weil es – sonst seine Schwierigkeiten gehabt hätte . . . Und nun arbeitete Thugut rastlos, dem Fait accompli gesetzliche Form zu geben. Was mehr auf den armen Izzed Mechmet gewirkt, ob die Vorstellung, daß die Dankbarkeit eine schöne Tugend, ob jene, daß die österreichischen Soldaten recht zahlreich – gleichviel! die Türkei trat die Bukowina freiwillig an Oesterreich ab, und aus dem Besitz ward Eigenthum. Ganz freiwillig, im ersten Artikel des Vertrages steht es klar und deutlich: »Pour donner une preuve non équivoque d'amitié, d'affection et de bon voisinage la Sublime Porte donne et abandonne et cède à la cour impériale les terres contenues d'une part entre le Dniester, le confin de Pocutie, de Hongrie et de Transylvanie.« Man sieht: ganz klar und deutlich steht es da. Und wann hätten je diplomatische Schriftstücke gelogen! . . .

Sehen wir uns nun die »preuve non équivoque« näher an. Einhundertundeinundachtzig Quadratmeilen waren's, und so mag das Höflichkeitswort des guten Izzed Mechmet immerhin als Wahrwort gelten. Aber das Land war eine Wüste, die spärliche Bewohnerschaft roh und verwildert, die Hauptstadt Suczawa eine Trümmerstätte, das uralte Sereth verödet, das junge Czernowitz ein Haufe Lehmhütten. Es fehlte an Gesetzen und Aemtern, an Straßen und Schulen, nur an Noth und Räubern war Ueberfluß. Besonders aber fehlte es an – Bewohnern . . .

An Allem fehlte es, und für Alles sorgte Joseph, und trefflich kam die Militär-Verwaltung seinen Aufträgen nach. Ganz genau kann man dabei verfolgen, was dem großen Monarchen vorschwebte; nicht blos aus der Barbarei überhaupt wollte er das Land reißen, sondern es auch als würdiges Glied für das Zukunftsreich gestalten, welches er plante. Kein deutscher Nationalstaat sollte Oesterreich werden, aber ein deutscher Culturstaat und alle Nationalitäten sollte ein versöhnendes Band umschlingen: eine gleichartige Bildung. Darum schaffte er zunächst deutsche Schulen und deutsche Colonisten in's Land. Daneben kamen aus allen Windrichtungen auch andere Leute daher, Leute jeder Sprache und jedes Glaubens. Allen ward die Wohlthat der Steuer- und Militärfreiheit bis in's neue Jahrhundert hinein; willkommen war Jeder, der arbeiten wollte und dem Gesetze gehorchen und seine Kinder in die Schule schicken. Czernowitz ward Hauptstadt und als solche Sitz der höchsten Bildungsanstalt des Landes, einer – vierclassigen Normalschule (1778 gegründet). Kurz – Alles, was das Land heben konnte, geschah rasch und weise. Sogar für einen geordneten – Adel ward gesorgt, denn das gab's vorher nicht im Lande; »Bojar« nannte sich jeder Reiche, jeder Ochsenhändler und Gutsbesitzer, wie dies ja auch heute noch in Rumänien üblich. Nun erhielten einige dieser Bojaren den österreichischen Adelsbrief und ein Wappen dazu. Auch später sind noch einige reiche Ochsenhändler vom Kaiser Franz geadelt worden. Daher wird es auch erklärlich, warum die Söhne und Enkel dieser guten Leute mit solcher Beharrlichkeit hochfeudale Politik treiben. Sie können nichts dafür: das Blut spricht in ihnen! Noblesse oblige. . ..

Ueberaus viel dankt die Bukowina der Militär-Verwaltung, weniger, wie erwähnt, der Civil-Administration. Hauptsächlich war es Ein Umstand, welcher die volle Entfaltung des Ländchens verhinderte: seine Anschweißung an Galizien. Wohl war es damals noch das deutsch und vernünftig administrirte Galizien, in welchem noch polnischer Uebermuth nicht seine Allotria treiben durfte. Aber beide Länder sind doch so grundverschieden, daß bei einer gemeinsamen Verwaltung unbedingt das kleinere leiden mußte. Darum war es immer ein stiller Herzenswunsch der Bukowinaer, von Galizien loszukommen. Erst im Jahre 1848, wo ja alle stillen Wünsche laut wurden, kam auch dieser zum Ausdruck. Im »tollen Jahr« waren ja die Revolutionen in Mode, und so machten auch die »guten Leute zwischen Dniester und Bistrizza« ihre Extra-Revolution. Etwas eigentümlich war diese Erhebung und ganz unblutig, nämlich so: Einige setzten eine Petition auf und Alle unterschrieben sie, und das Schriftstück ging nach Wien. Und was forderten sie darin, etwa Preßfreiheit und Volksbewaffnung? Ach nein! Nichts forderten sie, sondern sie baten ergebenst: erstens, der Kaiser möge sie gefälligst künftig nicht auf dem Umwege über Lemberg regieren, sondern direct von Wien aus und durch einen Landes-Chef in Czernowitz; zweitens, er möge dem Lande einen Titel und ein Wappen geben, und drittens – hier erheben sie sich zu drohendem Drängen – er möge doch in seiner Huld geruhen, diesen Titel dem seinen beizufügen und das Landeswappen in das Reichswappen aufzunehmen. Das gaben sie recommandirt auf die Post, steckten das Recepisse in die Tasche, und die Czernowitzer Revolution von 1848 war zu Ende. Die Leute bekamen auch, um was sie gebeten: einen Landes-Chef nach Czernowitz und für die Bukowina den Titel »Herzogthum« und als Wappen jenes der Moldau: den goldenen Stierkopf im blaurothen Felde. Seitdem heißen auch Österreichs Monarchen »Herzoge der Bukowina«, und im Reichswappen findet sich auch der goldene Stierkopf. Alles haben sie bekommen. Ja, wenn man sich so gründlich auf's Revolutioniren und Rebellischsein versteht! . . .

Und dann kamen und gingen einige Landes-Chefs, und dann ging Einer, welchem keiner mehr folgen sollte; so plante es Herr Graf Agenor Goluchowski. Aber die ganz unsinnige und ungerechte Maßregelung, die Ankettung an Galizien, dauerte nur so lange, wie die Minister-Herrlichkeit des Herrn Grafen; er ging und im Februar 1861 kam wieder ein Landes-Chef. Mehrere sind seitdem wieder gekommen und gegangen, aber nur Einer verdient hier dankbar hervorgehoben zu werden, der aber voll und ganz: der Freiherr von Myrbach. Denn er waltete ebenso weise als gerecht und energisch, er war mehr als ein pflichteifriger Chef der Verwaltung, er war ein wahrer Vater für das Land und hat der Regierung mehr Sympathien erworben, als alle seine Vorgänger und Nachfolger zusammengenommen.Myrbach fiel, weil er als energischer Förderer der Reichseinheit den rumänischen Föderalisten ein Dorn im Auge war. Was jede andere Regierung durch wärmste Anerkennung belohnt hätte, vergalt die Wiener durch – den »blauen Bogen«, die vorzeitige Pensionirung. Wie dieser Grund zu Myrbach's Sturz für unser Staatswesen charakteristisch war, so auch die Veranlassung: ein baronisirter Ochsenhändler aus der Bukowina, der Führer der Rumänen, Petrino, war – Ackerbau-Minister geworden und verweilte auf einer Urlaubsreise einen Tag in Czernowitz. Er ließ dem Landeschef ausdrücklich mittheilen, daß er lediglich als Privatmann da sei, was Myrbach natürlich nur dahin verstehen konnte, daß der neue Herr Minister seinen Besuch nicht wünsche. Als er nun aber den Besuch unterließ, wurde er wegen Unhöflichkeit gegen seinen Vorgesetzten vom Amte gejagt. Kaum glaublich, aber buchstäblich wahr. Nach Myrbach kam Herr v. Pino als Landeschef nach Czernowitz; er war's, der das Kunststück zu Stande brachte, unter Hohenwart den bis dahin verfassungstreuen Landtag der Bukowina in einen föderalistischen umzugestalten und dann unter Auersperg den föderalistischen Landtag in einen verfassungstreuen. Wie wesentlich er sich schon dadurch um Rechtsgefühl und politische Sittlichkeit des Ländchens verdient machte, so war dies doch nicht der einzige Weg, den er zu diesem Ziele einschlug, und der Scandal wurde schließlich so groß, daß sich die Regierung veranlaßt sah, den vielgewandten Mann – nicht etwa zu entlassen, sondern vielmehr als Statthalter nach Triest zu setzen. Zum Landeschef der Bukowina aber wurde Herr v. Alesani ernannt, ein Mann, der bezüglich seiner Wirksamkeit auf dem schwierigen Posten zu freudigen Hoffnungen berechtigte. Einer italienischen Familie Dalmatiens entstammend und gleich seinen anderen dalmatinischen Landsleuten entschieden verfassungstreu, ja centralistisch gesinnt, ein Mann von deutscher Bildung und deutschem Wesen zugethan, hatte er schon durch die Eindrücke seiner Jugend volles Verständnis für die Bedürfnisse einer polyglotten Provinz gewonnen und sich zuletzt in einer überaus schwierigen Stellung, als Leiter der Statthalterei-Expositur in Trient, voll bewährt: er war den Italianissimi energisch, aber taktvoll entgegengetreten und hatte, ohne durch überflüssige Härte zu verletzen, die Interessen des Reichs in dem bedrohten und von politischen Leidenschaften zerwühlten Grenzländchen trefflich zu wahren gewußt. Ich hatte während des Winters 1873-74, den ich zum größten Theil in Wälschtirol verbrachte, Gelegenheit gehabt, diese seine Thätigkeit kennen zu lernen, und gehörte daher zu Jenen, die seine Ernennung mit am freudigsten begrüßten. Auch darf ich ihm auf Grund eines Briefwechsels und zahlreicher mündlicher Unterredungen nachsagen, daß seine Absichten die besten waren und daß er namentlich für die Cultur-Bedeutung der neuen Universität Czernowitz nicht blos in der Theorie volles Verständnis hatte, sondern auch wohl begriff, daß kein Geldopfer gescheut werden dürfe, um mindestens einige Männer von wirklicher, wissenschaftlicher Bedeutung nach Czernowitz zu ziehen. Ob er seine Vorschläge nicht energisch genug vertrat oder wirklich, wie er mir oft klagte, auf unübersteigliche Hindernisse stieß, vermag ich nicht zu beurtheilen; Thatsache ist, daß die Universität, als sie ihre Wirksamkeit begann, ein ganz anderes Bild bot, als wir gehofft und erwartet. Ich habe diesen Punkt schon in der Einleitung berührt und werde in Folgendem darauf zurückkommen; hier sei nur berichtet, daß auch aus den anderen schönen Dingen, die Herr v. Alesani zum Heile der Bukowina plante, nichts geworden ist. Culturarbeit läßt sich eben leider nicht im Handumdrehen verrichten; es gehört nicht blos Energie und Fleiß dazu, sondern auch Genügsamkeit; Großes kann ein Landeschef nicht selbstständig schaffen, aber Kleines und Kleinstes, was doch auch zum Segen wird; das hätte Alesani von dem edlen Myrbach lernen können. Dann hätte er sich auch nicht in der kleinen Stadt gelangweilt und wäre, gleich Myrbach, der Versuchung widerstanden, sich zum Reichraths-Abgeordneten wählen zu lassen. Daß er Statthalter einer Provinz auf seinem Posten bleibe, statt durch sein Erscheinen im Parlament lediglich zu beweisen, daß es in seiner Provinz wenig unabhängige und viele respektvolle Leute gibt, ist sonst überall Brauch, ja ein Gebot der Schicklichkeit, nur in Oesterreich nicht. Man hat es Alesani sehr verargt, daß er, ein ehemaliger Anhänger des Centralismus, unter dem »Versöhnungs«-Ministerium im Amte blieb, aber dafür gibt es viele Beispiele, und von einem politischen Beamten dieselbe rückhaltlose Ueberzeugungstreue zu verlangen, wie von einem unabhängigen Manne, ist vielleicht eine zu ideale Forderung; aber daß er auf seinem Posten bleibe und seine Pflicht thue, darf man sicherlich von ihm verlangen. Seit 1879 habe ich Herrn v. Alesani nicht mehr gesprochen; unser Briefwechsel war schon weit früher eingerostet; ich weiß daher auch nicht aus eigener Kenntniß zu sagen, wie sich seine, im Interesse des Landes nicht genug zu beklagende Amtsführung im laufenden Jahrzehnt – er starb 1887 – erklärt. Baron Alesani – er war in den Freiherrnstand erhoben worden – that allmählig nichts mehr, in des Wortes verwegenster Bedeutung nichts; er kümmerte sich um die Geschäfte überhaupt nicht mehr und ließ seine Beamten thun und lassen, was ihnen irgend beliebte. Welchen unermeßlichen Schaden dies dem Lande brachte, kann an dieser Stelle nicht im Detail nachgewiesen werden; Thatsache ist, daß da schließlich Zustände herrschten, wie man sie in einem Cultur- und Rechtsstaat für ganz unmöglich halten sollte. Wie Baron Alesani angeblich seine Zeit ausgefüllt haben soll, würde in eine Chronique scandaleuse von Czernowitz, nicht in ein ernsthaftes Buch gehören; wer ihn entschuldigen will, behauptet, daß er in den letzten Jahren geistesschwach oder geradezu gemüthskrank gewesen. So kann man nur mit tiefster Wehmuth jener Zeit gedenken, als er, dreizehn Jahre vorher, in's Land gekommen: ein junger, tüchtiger, von den besten Absichten erfüllter Mann. Es sei mir gestattet, hier ein Curiosum mitzutheilen, welches sich auf meinen persönlichen Verkehr mit Alesani bezieht. Viele meiner Bukowinaer Landsleute konnten es durchaus nicht fassen, daß ein junger Schriftsteller nicht die persönliche Freundlichkeit eines Landeschefs dazu ausnützen sollte, um auch ein Aemtchen für sich zu ergattern, und da die Redaction des Bukowinaer Amtsblättchens, der »Czernowitzer Zeitung«, der einzige literarische Posten war, den Alesani zu vergeben hatte, so hatte ich, dem seine Thätigkeit und sein Ehrgeiz wahrlich ein anderes Ziel anwiesen, als in Czernowitz das Amtsblatt zu redigiren, eines Tages die angenehme Aufgabe, das lächerliche Gerücht dementiren zu müssen. Gleichwohl bekam ich erst jüngst wieder, in einer sehr wohlgemeinten biographischen Skizze, welche ein junger Landsmann über mich veröffentlichte, zu lesen, es sei doch eigentlich sehr schade, daß meine Bewerbung um das Czernowitzer Amtsblatt vergeblich gewesen, und so dementire ich denn hiemit nochmals: Nein! ich habe nie daran gedacht und ebensowenig Herr von Alesani . . . Doch zurück zu unserem Thema! Während Alesani die Bukowina verwaltete, stieg Herr von Pino immer höher; er wurde Baron, Geheimer Rath, schließlich sogar Handelsminister. Aber man weiß, wie diese Ministerschaft endete, denn der Sturz Pino's in Folge von Enthüllungen über die Reinlichkeit und Selbstlosigkeit seiner Amtsführung, war ja nicht blos ein österreichischer, sondern geradezu ein europäischer Skandal! Mit Schmach beladen zog sich Pino in das Dunkel des Privatlebens zurück; daß er je wieder daraus emportauchen und abermals irgend eine amtliche Stellung erlangen könnte, schien ganz undenkbar. Aber Oesterreich ist das Land der Unwahrscheinlichkeiten und Baron Pino, derselbe Pino, der sich und sein Vaterland in bis dahin unerhörter Weise bloßgestellt, wurde nach Alesani's Tod wieder, was er einst gewesen, Landeschef der Bukowina! Und er ist es noch heute! So werden in Oesterreich die Interessen einer Provinz wahrgenommen, welche nichts, als ein wenig Thatkraft und Wohlwollen der Verwaltung bedurft hätte, um eine Oase des geistigen und materiellen Wohlstands zu werden! Anm. zur 3. Aufl.

Das wäre in nuce des Ländchens Geschichte. Und wer dies Hochland, ob auch nur eiligen Fußes durchstreift, dem tönt diese Geschichte auf Schritt und Tritt entgegen, die ferne wie die nahe, die dunkle wie die lichte, nicht aus todten Denkmalen – die Wucht ewigen Kriegssturms hat die alten hinweggefegt und neue sind nicht errichtet worden – sondern aus Sprache und Typus der Bewohner. Seltsam, in unerhörter Mannigfaltigkeit, für welche die Völkerkunde kaum ein ähnliches Beispiel bietet, setzt sich diese Bewohnerschaft mosaikartig aus dem Bruchgesteine all der Nationen zusammen, welche einst über diesen Boden gezogen. Hier sitzt, als der jüngste und fleißigste Bürger, als Handwerksmann, Kaufherr und Gelehrter in den Städten, als Bauer, Winzer und Bergmann in den Dörfern, der Deutsche aller Stämme: aus der Zips und vom Königsboden, vom Neckar und vom Niederrhein, aus der Pfalz und vom bairisch-böhmischen Grenzwald. Hier haust, an Kopfzahl am stärksten, der Kleinrusse (Ruthene), immer mehr nach Süden herabrückend und schrittweise der einst zahlreichsten Nationalität des Landes, dem Rumänen, das Wohngebiet beschränkend. An diese beiden Haupt-Nationalitäten schließen sich, mit ihnen eins in der Sprache aber so verschieden in Typus und Sitte, daß nur beschränkte Eitelkeit diese Besonderheit zu leugnen vermag: an die Russinen das rauhe Bergvolk der Huzulen, der alten Uzen räthselhafte Söhne, an die Rumänen Volkssplitter der Tataren und Mongolen. Ferner in compacten Massen Moskowiter und Magyaren, zahlreich, aber zerstreut Armenier und Zigeuner, auch Polen; ebensowenig fehlen Griechen und Türken, Bulgaren und Slovaken. Und schließlich ist noch, von kleinen Häuflein anderer Nationen abgesehen, ein Theil der Juden, die Orthodoxen, nicht blos als Religions-Genossenschaft zu erwähnen, sondern auch als Nationalität. Wer sich die ethnographische Karte des Ländchens ansieht, dem flimmert's bunt genug vor den Augen, aber noch bunter sind die Wege, auf denen diese halbe Million Menschen dem ewigen Heil zusteuert – römisch-, griechisch-, armenisch-katholisch; armenisch- und griechisch-orientalisch; augsburgisch, helvetisch und calvinisch; türkisch und jüdisch, kurz nach jeglicher Façon wird man hier selig, oft nach sonderbarer, wie Popowzen, Unitarier und Bezpopowzen beweisen, oft nach gar keiner – es gibt unter den Zigeunern im Süden erklecklich viele Heiden!

Wunderbar mannigfaltig wie die Leute ist auch das Land. Das baumlose, weiherreiche Tiefland zwischen Dniester und Pruth und die Urwaldnacht der Luczyna, die fruchtbare Ebene am Sereth und das wildschöne Waldthal der Putna, das sanft gehügelte Gelände um Suczawa und die unheimliche Felsenöde des Rareu und Dzumaleu – selten mag ein größerer Gegensatz in gleich enge Grenzen gebannt sein! Aber nicht blos die äußere, auch die innere Gestaltung der Erdrinde ist unerhört wechselnd; von dem ausgebrannten Krater des Duschor im äußersten Süden bis zu den Kalkbergen, welche an der Nordgrenze den Lauf des Dniester geleiten, fehlt kaum irgend eine hervorragende Gesteinsart oder Formation. Selbst Gold findet sich da und jegliche Gattung edlen Metalls. So ist die Bukowina auch geognostisch eine Musterkarte.

Wer all dies zusammenfaßt, wird wohl selbst zu dem Schlusse gelangen, daß sich im Laufe dieser Geschichte auf solchem Boden und bei solchem Völkergewirr Leben und Verkehr, Sitte und Gesinnung höchst eigenartig gestaltet. Aber das warmlebendige Leben übertrifft auch hier, wie allimmer und allerorts, jegliche Vorstellung, und die Bukowina ist – ich spreche dieses Wort wohlerwogen aus – vielleicht in culturhistorischer Beziehung das interessanteste Land in Europa. Man kann nicht sagen, daß sich die einzelnen Volkswellen hier in einen einzigen, seltsam schillernden Strom vereinigt – im Gegentheil! jede hat ihre Besonderheit festgehalten. Aber wenn sie sich auch nicht in einander gemischt, so haben sie sich doch in einander gefügt, und eigenartige Form, eigenartige Färbung des socialen Lebens ist hiedurch entstanden. Und zwar sind im Ganzen und Großen Form und Färbung erfreulich und gedeihlich, so unbehaglich, ja faul auch Einzelnes daran sein mag. Freilich hätten sich die widerstrebenden Elemente nicht so friedlich in einander gefunden, freilich würde das Ländchen nicht, wie jetzt der Fall, seine Nachbarn rings umher in jeglicher Richtung menschlichen Strebens überragen, wäre nicht ein Factor hiebei rastlos spornend, klärend und veredelnd thätig gewesen: das Deutschthum. Es ist in gewissem Sinne das herrschende Element des Landes; es unterdrückt die anderen Nationalitäten nicht, aber es bietet ihnen den versöhnenden, bildenden Einigungspunkt. Es mag auf den ersten Blick erstaunlich sein: Deutsch sind in dem entlegenen, zwischen slavischen und rumänischen Nachbarn eingekeilten Ostländchen Amt und Schule, Deutsch ist ausnahmlos unter allen Gebildeten die Sprache des Verkehrs, und wer an den Ufern des Pruth und der Suczawa den Drang verspürt, zu dichten – und es verspüren hier auffallend Viele diesen Drang, Berufene und Unberufene – der thut's in deutscher Sprache. »Hier muß kräftig germanisirt worden sein«, wird Mancher denken. Aber mit Unrecht, sofern man unter »Germanisirung« das Erdrücken eines Volkes versteht oder gar jene traurige k. k. Polizei-Arbeit, welche anderwärts, z. B. in Ungarn, den Namen des Deutschthums geschändet. Wäre das Deutschthum hier auf denselben faulen Grundlagen errichtet gewesen, es wäre auch hier zusammengebrochen wie in Ungarn. Aber hier ruht es auf ethischer und darum unverrückbarer Grundlage, auf ernster, steter, selbstloser Culturarbeit. Manches mag fördernd eingewirkt haben, so insbesondere, daß es keine allzu mächtige Nationalität, keine allzu mächtige Kirche im Lande gab. Aber die Hauptsache war doch, daß hier die Deutschen selbst gearbeitet, für sich und für die Anderen, und nicht sie allein, sondern mit ihnen alle Guten und Verständigen der anderen Stämme.

. . . Es war mir eine liebe Aufgabe, eine rechte Herzensfreude, von dem Lande meiner Jugend, von meiner geliebten zweiten Heimat so viel Schönes und Lichtes berichten zu können. Wohl wäre noch Manches hinzuzufügen. Wohl wäre es lustig und erbaulich, zu schildern, wie sich in den Köpfen dieser so überaus verschiedenen Menschen ihr Verhältniß zu Land und Reich spiegelt, und auch die neue Hochschule verdiente ausführliche Würdigung. Aber man soll nicht Alles auf Einmal sagen wollen. Nur ein Wort, nur einen Wunsch will ich hier noch beifügen. Wenn wir auf die Vergangenheit dieses Landes zurückblicken, so quillt uns daraus sicherlich eine wohlberechtigte freudige Zuversicht für die Zukunft. Möge diese Zuversicht nicht trügen! Mögen all die Gaben und Gnaden, welche in dieser Landschaft und in diesen Menschen schlummern, zu voller Entfaltung kommen! Mögen all die guten Geister, die es bisher behütet, auch ferner darüber sein: der Friede, die Arbeit, der deutsche Geist! . . .


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