Karl Emil Franzos
Aus Halb-Asien – Zweiter Band
Karl Emil Franzos

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Jancu, der Richter

(1875.)

Das Folgende ist streng den Thatsachen nacherzählt. Wer es liest, dem wird diese Versicherung fast überflüssig scheinen. Denn diese Geschichte trägt den Stempel ihres Autors, des Schicksals. Nur dieser größte, unbarmherzigste und sorgloseste Poet wagt so gräßliche und dabei so einfache Effekte. Ihm Solches nachzudichten, wäre für einen Novellisten vielleicht eine lohnende, aber sicherlich eine traurige Arbeit. Der Schilderer fremder Sitte aber steht auf anderm Standpunkt. Ihm darf nicht die Schönheit die höchste Göttin sein, sondern die Wahrheit. Es fällt ihm oft schwer, diesen Standpunkt festzuhalten, bitter schwer – gleichviel! er muß seine Pflicht erfüllen . . .

. . . Vor einer rumänischen Jury sitzt auf dem Schemel des Angeklagten der Bauer Jancu. Sein brauner Serdak (Gürtelrock) ist zerrissen und durch dessen wie des Hemdes Ritzen sieht man die broncefarbene Haut schimmern. Das Haar fällt ihm in langen, wirren, mißfarbigen Strähnen in's fahle Antlitz, das Haupt ist auf die Brust gesenkt, das stumpfe Auge stier auf den Boden gerichtet. Kein Blick trifft das Publikum, die Geschworenen, die Richter.

Der Gerichtsschreiber ruft die Sache auf, der Anklageakt wird vorgetragen. Der Bauer Jancu, Besitzer einer großen Wirtschaft, griechisch-rechtgläubig, 29 Jahre alt, derzeit, da er sein Weib ermordet, verwitwet, bisher durchaus unbescholten und drei Monate vor der That zum ›Aeltesten‹ (Richter) seines Dorfes gewählt, ist vollkommen geständig, sein Weib Xenia, 21 Jahre alt, seinen Knecht Alexa, 43 Jahre alt, und die Zigeunerin Mariula, unbekannten Alters, jedenfalls weit über die Fünfzig, in einer und derselben Nacht, Fastnacht-Sonntag auf Montag ermordet zu haben. Der Akt schildert die drei Verbrechen nach der Aussage des Angeklagten – Thatzeugen sind nicht vorhanden. Doch ist das Geständniß Jancu's, welcher unmittelbar nach der That seine Verhaftung selbst veranlaßt, sehr umfassend und durch die Ergebnisse der Obduktionen durchweg bestätigt. Demzufolge hat Jancu sein Weib durch eine Kugel ins Herz getödtet, den Knecht durch eine Ladung von drei Rehposten gegen den Kopf, die Zigeunerin hat er mit den Händen erwürgt. Ueber die Motive, bemerkt der Akt, verweigere Jancu jegliche Auskunft – »ich hab's gethan, weil ich's thun mußte«; auch den Zeugen sei die That unerklärlich.

Das Verhör beginnt. »Jancu«, sagt der Präsident, »Ihr habt Alles gehört – gestehet Ihr auch heute Eure Schuld?«

Der Angeklagte erhebt sich. Aber sein Antlitz bleibt unbewegt und die Augen haften am Boden. »Ja, mein gnädigster Herr« erwidert er dumpf, »es ist Alles wahr.« Darauf sinkt er sogleich wieder auf den Schemel zurück.

»Ihr müßt stehen bleiben, Jancu«, belehrt ihn der Präsident. »Ihr müßt uns nun Alles erzählen, was Ihr gethan und gedacht habt an jenem Sonntag und in der Nacht darauf. Ihr müßt uns erzählen, wie Ihr Eure Verbrechen begangen, und warum Ihr sie begangen.«

Jancu schüttelt den Kopf und läßt ihn noch tiefer auf die Brust sinken. Dann erhebt er sich doch, unwillig, zögernd. Aber seine Stimme klingt dumpf und ohne Erregung, wie früher: »Nein, mein gnädigster Herr, das werde ich nicht thun. Denn wie ich's gethan, wißt Ihr schon und es ist unnöthig, daß ich's noch einmal sage. Und warum ich's gethan habe, werde ich Euch nicht sagen und keinem Menschen und in keinem Falle.«

»Aber das Gesetz will es so«, sagt der Präsident. »Das Gesetz will, daß die Geschworenen das Geständniß aus Eurem Munde hören. Und wenn Ihr die That so reumüthig bekennt – warum nicht auch die Gründe? Das kann ja nur zu Eurem Vortheil sein, Jancu! Ihr seid ja kein gewöhnlicher Verbrecher! Alle Leute in Eurem Dorfe sagen einstimmig, daß Ihr der bravste, wackerste, nüchternste Mensch gewesen. Darum seid Ihr ja in so jungen Jahren Richter in Eurem Dorfe geworden. Auch der Fürst St., bei dem Ihr einst drei Jahre gedient, ist selbst zum Untersuchungsrichter gekommen und hat gesagt, er halte sich in seinem Gewissen verpflichtet, für Euch zu bezeugen, daß Ihr, Jancu, der ehrlichste, verständigste, treueste Mensch gewesen, den er je um seine Person gehabt. Wenn also ein Mensch, wie Ihr, plötzlich so gräßliche, unerhörte Verbrechen begeht, so ist er entweder wahnsinnig, und das seid Ihr nicht, oder er ist durch irgend Etwas, was ihm widerfahren, in die fürchterlichste Aufregung versetzt worden. Was war nun bei Euch dieses Etwas? Gestehet es doch! Das wird Euer Gewissen erleichtern und Eure Strafe vielleicht milder machen!«

Aber wieder schüttelt Jancu den Kopf. Und wieder fallen die Worte langsam, ruhig, tonlos von seinen Lippen. »Mein gnädigster Herr, ich danke Euch und meinem guten Fürsten und den Nachbarsleuten, aber das paßt mir Alles nicht! Mein Geständniß war nicht reumüthig; ich habe nur Alles gesagt, was der Richter wissen mußte, damit man mich bestrafen kann, und ich habe es ganz nach der Wahrheit gesagt, weil ich noch niemals gelogen habe und auch in diesem Letzten nicht lügen wollte. Aber nicht aus Reue habe ich es gethan, denn ich bereue meine That nicht, ganz und gar nicht. Und wenn ich bis jetzt gewesen wäre, was ich einst war, ein ganz glücklicher, ganz friedlicher Mensch und wenn ich jetzt erkennen würde, was ich damals erkannt habe, ich würde die drei Menschen in der nächsten Stunde tödten, wie ich's in jener Nacht gethan. Darum brauche ich auch mein Gewissen nicht zu erleichtern, denn es ist leicht. Und was die mildere Strafe betrifft, o mein gnädigster Herr, was soll mir Milde?! Das Liebste wäre es mir, wenn diese Herren« – er deutet auf die Geschworenen – »sagen würden: Man soll ihn henken! Das kann aber leider nicht geschehen, weil bei uns das Henken aufgehört hat und man wird mich nur auf Lebenszeit in die Salzwerke nach Okna stecken. Soll ich etwa wünschen, wieder herauszukommen, – wozu, mein gnädigster Herr? Nein! Das wäre nichts für mich! Ich werde dort bleiben und die Arbeit, die Hundekost und die Schläge werden mich nach einigen Jahren tödten. Und so wird es gut sein. Denn ich sterbe sehr gern, mein gnädigster Herr, sehr gern sterbe ich!«

Vielleicht empfängt, wer dies liest, von diesen Worten kaum einen seltsamen, geschweige denn einen erschütternden Eindruck. Aber wer sie gehört, dem werden sie unvergeßlich sein. Man fühlte es heraus, daß auf der Seele dieses Menschen in der That ein furchtbarer Druck lastete, der ihm den Tod als eine Wohlthat erscheinen ließ; nicht die Reue, nicht das Schuldbewußtsein, aber ein übermächtiges, rätselhaftes Etwas, unter dessen Einfluß er gehandelt, das ihn noch heute zu Boden drückte.

Das Zeugenverhör begann. Der erste Zeuge war der greise Bauer Thodika, der vor Jancu Dorfrichter war und jetzt wieder das Amt provisorisch bekleidete, »bis sich ein anderer jüngerer Hansvater findet, der so brav wäre, wie der Jancu da.« Der kleine geschwätzige Alte, mit dem fahlen Gesichte, aus dem die Nase roth hervorglühte, wie ein Rubin, leistete den Eid und erzählte dann, wie folgt:

»Nun, es war also am Fastnachtssonntag. Das ist ein besonders heiliger Tag, ich bin früh in der Kirche gewesen, dann fortwährend in der Schänke gesessen und am Abend bin ich heimgegangen. Weil ich aber einen Eid geschworen habe, so will ich die Wahrheit sagen: nämlich, daß ich nicht gegangen bin, sondern mein Weib und meine Söhne haben mich getragen, weil ich sehr betrunken war. Also gut, da legen sie mich hin und ich schlafe mich aus. Gegen die dritte Morgenstunde erhebt sich ein furchtbarer Sturmwind, ich höre nichts davon, aber mein Weib sagt zu meiner Tochter Anitza, welche bei mir im Hause war, weil ihr Mann sie zu Tode prügeln wollte – aber jetzt sind sie wieder versöhnt – also: »Anitza«, sagte sie, »da hat sich Jemand aufgehängt, oder es ist ein großes Verbrechen geschehen, der Wind weht gar so stark.« Und da klopft es auch schon sehr heftig an die Thüre. Die Weiber erschrecken. »Wer ist da?« – »Ich bin's, Jancu der Richter, öffnet, rasch, rasch!« Aber wie sie die Kienfackel anzünden und er hereintritt, da erschreckte er sie noch mehr; das war der Jancu und war's wieder nicht, um zwanzig Jahre älter war der Mensch plötzlich geworden. »Was willst Du?« stammelt mein Weib. Er aber tritt auf mich zu und rüttelt mich auf: »Thodika, Du mußt aufsteh'n!« Anfangs hör' ich nichts, weil ich wirklich ein Bischen zu viel getrunken hatte, dann fahre ich doch empor: »He, Jancu, was gibt's?« Aber wie ich ihn ansehe, bin ich schon vor Schreck halb nüchtern, und ganz nüchtern werde ich, wie er mir sagt: »Du warst vor mir Richter und bist Aeltester im Ausschuß. In Deine Hände lege ich mein Amt. Und nun verhafte mich, wie es jetzt Deine Pflicht ist, und liefere mich sogleich in die Stadt. Denn ich bin ein Mörder, ich habe mein Weib, meinen Knecht und die alte Hexe getödtet.« Da springe ich auf: »Jancu, Du bist wahnsinnig!« und dann fällt mir ein, daß ihm den Tag vorher sein einziges Kind gestorben ist, ein liebes, kleines Mädchen, die Aniula, und ganz plötzlich, an Krämpfen. Da denke ich mir: er hat ja das Kind so ungemein lieb gehabt; sein Sterben wird ihm das Hirn verbrannt haben und ich sage mitleidig: »Jancu, Dir träumt etwas Furchtbares. Vielleicht wegen Deines armen Kindes' Tröste Dich – es war Gottes Wille so!« »Nein!« ruft er wild, »es war nicht Gottes Wille, aber gleichviel – es ist gerächt! Ich habe im Namen Gottes Gerechtigkeit geübt – nun mögen die Menschen mit mir thun, was sie wollen – führe mich zur Stadt!« Und da erkannte ich, daß es wahr war, und mein Herz ist still gestanden. Es war, um verrückt zu werden, aber es war doch so: unser Richter Jancu war ein Mörder! . . . Nun – da habe ich ihn am Morgen in die Stadt geführt!«

»Und hat er Euch nichts gesagt«, fragt der Präsident, »warum er die That verübt hat?«

Thodika blickt zu Boden und dann verlegen auf Jancu hin. Mit diesem geht eine sonderbare Veränderung vor; sein Haupt hebt sich, seine Züge beleben sich und sein glühender Blick haftet halb drohend, halb flehend auf dem Antlitz des Zeugen.

»Hohe Herren«, stammelt dieser verlegen, »es ist ihm so ein Wort entfahren, wider Willen, als wir zur Stadt fuhren. Aber ich habe ihm heilig versprochen, es Niemandem zu sagen. Und nun habe ich hier den Eid geschworen, die ganze Wahrheit zu gestehen. Ich weiß mir gar nicht zu helfen! Jancu, wenn Du mir erlauben wolltest . . .«

»Du wirst schweigen«, fährt dieser wild empor.

»Jancu«, sagt der Präsident strenge, »noch ein Wort und eine Bewegung, und ich lasse Euch binden und wegführen.«

»Mein Eid«, sagt Thodika weinerlich, »mein lieber Jancu, ich kann Dir nicht helfen. Also . . .«

»Schweige!« ruft der Angeklagte noch einmal wild, gebieterisch. Der Präsident winkt den Polizisten. Aber Jancu fährt fort: »Wenn schon meine ganze Schande offenkundig werden soll unter den Menschen, so soll es doch mindestens Keiner aussprechen, als ich selbst. Lasset dies schwatzhafte alte Weib zurücktreten – ich selbst will sagen, wie Alles kam . . .«

Es ist todtenstill geworden im weiten Saale. Und Jancu berichtet seine Geschichte, nicht dumpf und stumpf wie früher, sondern wild, leidenschaftlich, fast schluchzend. Kein Herz bleibt unbewegt, kein Auge trocken, als der arme unselige Mensch erzählt:

»Ich will es selbst sagen, so schwer es mir fällt. Aber ich ertrüge es nicht, wenn es ein Anderer sagen würde. Ich habe nicht gedacht, daß ich so enden würde, und Niemand hat es gedacht. Denn ich bin einmal ein sehr glücklicher Mensch gewesen und ein guter, braver Mensch – ich darf das jetzt sagen, ich spreche ja nicht von mir selbst, sondern wie von einem Todten. Es ist mir Anfangs gar nicht gut im Leben gegangen, ich war der zweite Sohn, der ältere Bruder sollte Alles erben – ich mußte mir als Knecht mein Brod verdienen. Zwar in meines Vaters Hause, aber bei den eigenen Leuten dient sich's oft schwerer, als bei fremden – das könnt Ihr mir glauben. Nach dem Tode des Vaters bin ich als Diener in die Stadt gegangen; ich war sehr fleißig, sehr treu, Alle werden es mir bezeugen. Auch gelernt habe ich, Lesen und Schreiben, und weil ich gesehen habe, wie der Branntwein den Menschen zum Vieh macht, so habe ich niemals einen Tropfen Branntwein getrunken. Dann bin ich zu einem herrlichen Herrn gekommen, dem Fürsten, und bin mit ihm in Deutschland gewesen und in Frankreich. Dort ist ein anderes Leben, sogar der Bauer ist dort ein Mensch. Nun – der Fürst war mit mir zufrieden, er hat sich ja selbst jetzt meiner erinnert in meiner großen Noth. Ich habe mir damals gedacht: Jetzt bleibst du einige Zeit noch in der Stadt und sparst dir deinen Lohn zusammen und dann gehst du in dein Dorf und kaufst dir einige Aecker. Aber es kam anders. Wie ich heimkomme von den Reisen, ist mein älterer Bruder todt und an mich fällt das ganze große Bauerngut. Da setze ich mich nun hin und beginne zu wirtschaften. Aber die Leute sagen, daß mir noch etwas fehlt, und ich spüre es selbst. Unser Sprichwort sagt ganz recht: ›Ein Hauswesen ohne Frau ist wie eine Schänke ohne Schnaps‹. So habe ich denn angefangen nach einem Weibe auszulugen und die Xenia habe ich mir genommen. Nicht blos deshalb, weil sie sehr schön war und mir sehr gut gefallen hat, sondern auch so halb aus Mitleid. Sie war sehr arm und mußte im Hause ihrer älteren Schwester Magddienste thun – das hat mich an meine eigene Jugendzeit erinnert – ich weiß, wie das thut! Daß ich sie übrigens nur aus Edelmuth geheirathet habe, will ich auch nicht sagen; ich war auch sehr in sie verliebt. Die Xenia war ein stilles fleißiges Mädchen, dem Niemand im Dorfe etwas nachsagen konnte, und schön – freilich in einer andern Art, als unsere Mädchen sonst sind. Sie war zart, blond, und hatte stille blaue Augen. Vielleicht hat mir gerade das gefallen. Kurz – in vier Wochen waren wir Mann und Weib.

»Es war – das Wort will mir nach dem, was nun kommt, schwer über die Zunge, aber ich muß es sagen, weil es die Wahrheit ist – es war eine ganz glückliche Ehe. Mein Weib hat selten gelacht und war nie besonders zärtlich, aber ich habe mir gedacht: das ist nun einmal ihre Art. Als Wirthin war sie besonders brav und ist mir treu zur Seite gestanden in meinem schweren Werke. Denn ich hatte meine Kraft daran gesetzt, eine Musterwirtschaft zu führen und Alles Gute nachzuahmen, das ich anderwärts gesehen hatte. Das war schwer mit unseren Knechten, die zu drei Viertheilen Schweine sind und nur zu einem Viertheil Menschen, aber was menschenmöglich war, habe ich gethan und Vieles ist mir gelungen, das sage ich stolz. Mein Besitzthum wuchs, mein Ansehen wuchs, und weil ich hilfreich war, wo ich konnte, so wuchs auch meine Beliebtheit. Nur eines fehlte mir zu meinem Glück: ich hatte keine Kinder. Da gebar mir mein Weib vor zwei Jahren ein Kind, ein holdseliges Mädchen, blond und blauäugig – so ein schönes, liebes Kind. O meine Aniula! . . .«

Dem Mann versagt die Stimme. Er starrt vor sich hin und schüttelt den Kopf. Dann fährt er fort:

»Alles, Alles hat sich mir gut gefügt – Richter bin ich geworden in so jungen Jahren! Wenn mich am Samstag Mittag vor jenem Schreckenstage Jemand gefragt hätte: »Richter Jancu, was meint Ihr, wer ist der glücklichste Mensch auf der Welt?« – es ist wohl möglich, daß ich gesagt hätte: »Schier will mir scheinen, daß ich es bin.« Und etwas mehr als einen Tag darauf war ich der Unglücklichste unter der Sonne – so elend ist noch niemals Jemand gewesen, niemals!

»Ich will kurz erzählen, wie das kam. Denn wenn ich daran denke, wirbelt mir das Hirn und meine Kraft will mich verlassen. Also Samstag Mittag war's. Ich komme heim vom Teich, wo ich Eis ausheben lasse für die Bukarester Bierwirthe, und setze mich zum Essen hin. Mein Weib trägt mir Suppe auf, Fleisch und dann einen süßen Reisbrei. Von dem mag ich aber nichts mehr essen, die Aniula jedoch, die auf meinem Schoße sitzt, greift gierig darnach. Ich lasse das Kind bei der Speise, ich selbst reite wieder rasch hinaus zu den Arbeitern. Etwa zwei Stunden bin ich dort, da kommt eine Magd gelaufen, schreckensbleich, das Kind liege im Sterben. Ich reite wie der Wind, aber wie ich komme, ist mein Töchterchen starr und todt. Mein Weib hält es im Schoße und ist selbst thränenlos, starr und blaß wie eine Todte. Die Mariula, die alte Zigeunerin, steht daneben und sagt: »Es waren Krämpfe, wie sie bei Kindern oft vorkommen!« Mir bricht fast das Herz, aber ich fasse mich, wie ein Mann soll. Ich ordne Alles bezüglich der Aufbahrung an und gehe zum Popen. Dann komme ich heim, das Weib schicke ich schlafen, ich selbst aber setze mich neben die Leiche hin und bleibe so die ganze Nacht. Nur die Kerzen knistern und zuweilen höre ich, wie mein Weib seufzt – so vergeht die Nacht. Am Morgen ordne ich Alles in der Wirtschaft, dann halte ich Gerichtstag in der Gemeindestube, wie meine Pflicht ist, und komme darauf heim. Da hockt mein Weib am Boden und starrt auf die Leiche – mit trockenen Augen, es ist etwas wie der Wahnsinn darin. Ich will sie aufheben und trösten, da schreit sie aber wild: »Rühr' mich nicht an!« und stürzt hinaus. Ich schaue ihr verwundert nach, dann denke ich mir aber: »Sie war immer so eigen und still, der Schmerz zeigt sich bei ihr auch in eigener Art.« Dann setze ich mich wieder hin und da löst sich mein Schmerz und ich habe lange geweint . . . Thränen sind eine große Wohlthat – seitdem habe ich nicht mehr weinen können . . .«

Wieder starrt der Mann vor sich hin. Dann seufzt er tief auf und fährt fort:

»Im Zwielicht mache ich mich auf und gehe zum Popen, das Letzte wegen der morgigen Bestattung zu besprechen. Ich gehe aber den Seitenpfad über die Aecker. Da höre ich hinter einer Hecke ein Wimmern. – »Wer ist da?« rufe ich. – »Ich bin's, Mariula«, erwidert die Hexe. »Dich führt Gott her, Jancu, oder der Teufel. Aber gleichviel – wenn ich auch selbst an den Galgen muß, er und sie sollen mit. Hier liege ich, halbtodt hat er mich geschlagen, der Alexa, weil ich mein ehrliches Geld von ihm gefordert habe, das Geld für das Gift, welches ich der Xenia gegeben habe. Ist's denn meine Schuld, daß das Kind gestorben ist und nicht Du – mein Gift war ja doch gut!« – »Hexe«, schreie ich auf, »was redest Du da!« – »O Du Kluger!« höhnt sie. »ahnst Du denn nichts? Weißt Du denn nicht, daß Dich Dein Weib haßt, daß sie Dich nur Deiner Wirtschaft wegen genommen hat? Jeder Andere ist ihr lieber, als Du, mit dem alten häßlichen Alexa hält sie's jetzt; sie haben Dich vergiften wollen, ich habe ihnen das Gift verschafft.« Mir steht das Haar zu Berge. »Du lügst!« schreie ich endlich. Sie lacht höhnisch. »Ueberzeuge Dich doch! Gehe heim und sage Deinem Weibe, daß Du wegen Deines Amtes in die Stadt mußt und erst morgen wiederkommst. Du aber, komm' dann in drei Stunden wieder und ich wette, Du findest die Beiden beisammen.« . . . Wie mir zu Muthe war, beschreib' ich nicht – das läßt sich nicht sagen. Ich gehe heim, lade meine Pistolen, lasse den zweiten Knecht einspannen und sage meinem Weibe: »Ich komme erst zur Bestattung wieder.« Aber beim nächsten Feldwirthshaus lasse ich halten und gehe dann heim durch die Sturmnacht. Das Fenster der Schlafkammer ist matt erleuchtet, ich trete heran, es ist nur der Lichtschein, der vom Katafalk durch die offene Thür fällt. Und« – der Erzähler stockt, dann schreit er mit entsetzlich heiserer Stimme auf – »fünf Schritte von der Leiche sind die Beiden beisammen gewesen! . . . Ich seh's, drücke die Scheibe ein, ziele und schieße, erst sie, dann er, blitzschnell – Beide verröcheln in ihrem Blute. Dann gehe ich hinein und zerre seine Leiche fort, damit Niemand den ungeheuren Frevel dieser Beiden gewahre. Und dann stehe ich lange, lange und starre auf die Leichen. Da kichert's neben mir: »Brav, Jancu, brav.« Die Mariula hatte sich hereingeschlichen. Da habe ich sie erwürgt, weil auch sie schuldig war. Dann bin ich zum Thodika gegangen . . . Und nun bitte ich, wäre es nicht möglich, daß mir aus Gnade die Todesstrafe wird?«

Es war nicht möglich . . .

Jancu wurde zu lebenslänglicher Zwangsarbeit in Okna verurtheilt. Die Geschworenen hatten nach neunstündiger Berathung mit acht gegen vier Stimmen ihr Schuldig gesprochen. Es fehlte also nur eine Stimme zur Freisprechung.

Wie hättest Du geurtheilt, Leser?!


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