Karl Emil Franzos
Aus Halb-Asien – Zweiter Band
Karl Emil Franzos

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Allerlei Hochverräther.

(1872.)

Es war ein Tag im Herbst, ein schöner, klarer Septembertag. Die Ofener Berge lagen in blauem Dufte, schier wie zur Sommerzeit, die blaue Donau schimmerte im Sonnenstrahl und am Pester Quai wogte der Strom geputzter Spaziergänger auf und ab. Es läßt sich gut wandeln hier am herrlichen Strome zwischen den beiden prächtigen Städten, und es gibt wenige Orte auf Erden, wo ein Blick des Auges so viel Farbenpracht und Fülle der Schönheit umfassen kann. Es gilt dies von Allem, von dem Strome, dem Verkehre, den Bauten und ganz insbesondere von den Frauen. Aber alle Pracht thut auf die Dauer dem Auge weh. Und so ging ich an jenem schönen, stillen Tage am Flusse hin und der Quai blieb hinter mir und die fashionable Promenade und die geputzten Menschen, und ich ging weiter und weiter, bis mir der sonderbare Blocksberg gegenüber lag. Hier bog ich in eine große öde Straße zur Linken ab und dann nahm mich ein Gewirr von Gassen und Gäßchen auf, in dem ich mich kaum mehr auskannte.

Ein größerer Gegensatz zweier Stadtviertel ist kaum denkbar, als zwischen dem, woher ich kam, und jenem, in welchem ich umherirrte. Dort moderne Paläste und Zinsburgen, hier kleine, ärmliche, alterthümliche Häuslein; dort lautes Wogen und Treiben, hier nur selten ein Mensch. Die kleinen Gäßchen lagen wie ausgestorben – es war just Arbeitszeit und die Bewohner in den Häusern oder auswärts. Wenn ich auf einen Haufen von Leuten stieß, so waren es eben kleine Leute mit blonden Haaren und blauen Augen und putzensbedürftigen Näschen – junges, übermüthiges Germanenthum.

Der Dialect, in dem sie sich sehr geräuschvoll unterhielten, wird freilich kaum irgendwo in deutschen Landen gesprochen, es ist eben ein sonderbares Gemisch aus baierischen, schwäbischen, fränkischen, niederrheinischen und ganz insbesondere urwienerischen Elementen, das Zeug klingt zuerst fast unverständlich. Aber hätte ich auch daran gezweifelt, daß dies deutsche Kinder seien, so wäre mir dies gleich darauf sonnenklar geworden; just, als ich vorüberging, erklärten einige, »nicht mehr mitzuthun«. Und richtig prügelten sie sich gleich darauf; soviel ich bei flüchtigem Rückblick bemerkte, stand auch kein Bismarck unter ihnen auf. Im Uebrigen achtete ich ihrer nicht mehr und studirte die Schilder, welche hier und da, klein, buntfarbig, oft mit sonderbarster Ausstattung und Schreibweise an den Häusern hingen. Da war z. B. ein phantastischer Stiefel mit einem Riesensporn und darunter stand: ›Schwemminger János‹. Oder eine großmächtige Scheere mit der Unterschrift: ›Haubele Mihály‹. Im Hause daneben an einer kleinen Gassenthüre eine ockergelbe Bretze, ein zinnoberrothes Bierglas und ein giftgrünes Schnapsfläschchen und darunter ein Name, der schlimm dazu paßte: ›Wassermacher Zsigmond‹ . . . Dann begegneten mir einige Mühlknappen, und als ich in eine Straße gelangte, wo von allen Seiten melodisches Kuhgebrülle an mein Ohr schlug, da wurde mir zur Gewißheit, was ich bisher nur geahnt: ich war in der Franzstadt.

Es gibt wohl keine andere Stadt, deren Theile so grundverschiedenen Charakter aufweisen, wie die Hauptstadt Ungarns. Mehr oder minder findet sich dergleichen überall, nur wird es wenig beachtet: dem flüchtigen Touristen sticht es nicht grell genug in's Auge und der Einheimische nimmt es eben als Gewohntes hin, über das man sich weiter keine Gedanken macht. Wer aber Sinn und Auge für solche kleine Eigenthümlichkeiten hat, kann ganz interessante und ergötzliche Studien machen, insbesondere in Buda-Pest. Denn hier gleicht nicht allein keine Vorstadt der andern, sondern jede derselben zerfällt noch überdies in sehr verschiedene Bezirke. So ist in dem kosmopolitischen Gewirre der innern Stadt ganz deutlich ein kleines Gebiet mit specifisch magyarischer Physiognomie erkennbar, so scheiden sich in Ofen die Bewohner nach den Nationalitäten, in der Josefstadt nach dem Besitzthume und in der Franzstadt, die fast ganz von ärmeren Leuten deutscher Zunge bewohnt wird, nach der Berufsart. Da wohnen die Fiaker und die Wäscherinnen, die Müller und die Milchmeier, die Schuster und die Schneider, die Wagenbauer und die Schmiede und sie halten sich, ganz gegen alle Grundsätze moderner Volkswirtschaft, gern in eigenen Gassen zusammen. So kam ich in eine lange Zeile von Gärten, wo rechts und links an Stricken die gesammte Wäsche der vereinigten Hauptstädte schwankte, und wieder in eine andere Gasse, wo wohl an die dreißig Schuster wohnten, stattliche Schuhmacher mit stattlicher Werkstatt und stattlichem Schilde und kleine, dürftige Flickschusterlein. Und wo ein Schild zu sehen war, da war gewiß ein kerndeutscher Familienname darauf und dazu ein kernmagyarischer Vorname. Es berührt dies den Deutschen eigen und auch ich machte mir so meine Gedanken darüber an jenem stillen Herbstnachmittage.

Aber zu dem gebräuchlichen Manöver: dem Faustballen in der Tasche gegen den magyarischen Chauvinismus konnte ich's nicht bringen. Etwas ist schon daran, aber ich denke, wir Deutschen hätten allen Grund, uns da auch an die eigene Nase zu fassen. Denn warum sind die Väter dieser Leute fortgezogen aus der liebvertrauten Heimat an der Donau, am Neckar oder am Rhein, fort in's fremde, wilde Land? Weil sie's daheim nicht mehr ertragen konnten, weil sie die Verhältnisse zu Boden drückten. Der Eine wollte Meister werden und durfte es nicht – das Zunftrecht stand entgegen, der Andere wollte heiraten und konnte es nicht – ein grausames Gesetz der Patrizier hinderte ihn daran, den Dritten, einen Landmann, trieb sein Herr durch Frohnden und Lasten schier zur Verzweiflung. So zogen sie fort. Und was nahmen sie mit – etwa einen deutschen Staatsgedanken, ein deutsches Volksbewußtsein!? Ach – damals gab's kein Deutschland, selbst der Gedanke an den ideellen Zusammenhang aller Deutschen dämmerte nur in erleuchteten Köpfen, und was sie mitnehmen konnten, war höchstens ein reichsstädtisch Ulmsches oder kurfürstlich Mainzsches oder reichsritterlich Katzenellenbogensches Bewußtsein. Solch' ein Bewußtsein aber verduftet leicht in der Fremde, und verduftet's nicht von selber, so ist man sehr gerne geneigt, es freiwillig von sich zu werfen! . . . Was die Väter wirklich aus der Heimat mitgebracht: deutsche Sprache, deutsche Sitte, deutsche Tüchtigkeit, das haben die Söhne meistens bis heute bewahrt. Aber weil es ihnen hier gut ging, weil sie hier gedeihen durften im Schutze verhältnißmäßig freisinniger Gesetze, so nahmen sie gerne den neuen Staatsgedanken an und damit zugleich – unglückseliger-irrthümlicher-, aber sehr leicht begreiflicherweise! – das neue Nationalitäts-Bewußtsein.

Diese Leute fühlen sich als Magyaren, auch wenn sie magyarisch nur »Eljen« zu rufen wissen und »hunczut a német«! . . . Diese Erscheinung ist sicherlich sehr beklagenswerth, und geradezu peinlich wäre sie, könnten wir uns nicht mit dem Worte trösten, das Grabbe seinen Hermann von den abtrünnigen Sigambrern sprechen läßt: »Blätterabfall der Eiche, die in Europas Mitte prangt.« Sie kann viel entbehren und bleibt stark. Aber wer darüber empört ist, der richte seine Empörung nicht gegen diese Leute, mit denen es ging, wie es gehen mußte, sondern gegen – die Schuldigen. Und die Hauptschuldigen sind nicht die Bekämpfer des Deutschthums, sondern Diejenigen, die dafür eintraten, indem sie offiziell, wie man es eben verstand, »germanisirten« . . .

»Du schwarzgelber Hund!«

Laut und gellend klangen mir die Worte in's Ohr – ich fuhr auf aus meinen Gedanken und blickte um mich. Ich war noch in der Gasse der Schuster. Daß der Schimpf mir galt, konnte ich nicht zweifeln. Denn die Straße lag im hellen Sonnenschein verödet, nur weiter oben balgten sich zwei flachshaarige Buben und ein altes Weiblein hinkte an den Häusern dahin. Aber wie kam just ich zu dem Ehrentitel?! Und wer war der Rufer?

»Eljen Kossuth! . . . Eljen Kossuth!« . . .

Ich wendete mich hastig um. Der Rufende mußte im kleinen Gassenladen stecken, vor dem ich stand. Es war die Werkstätte eines Flickschusters. Aber der alte Mann hockte mit überaus harmloser Miene auf seinem Dreibein und mühte sich emsig, eine lebensmüde Sohle zu fernerem Gange durch's Leben zu stärken. Er blickte erst auf, als ich dicht vor ihm stand. Derselbe, nicht schmeichelhafte Zuruf klang mir gleichzeitig aus dem Hintergrunde entgegen. Und nun konnte ich auch deutlich erkennen, daß das keine Menschenstimme war.

»Ah! mein Staarl«, lachte der Meister und rief in einen Winkel: »Hansl, halt's Maul.« Da saß der stahlgrau schillernde Uebelthäter und blinzelte mich mit den klugen Aeuglein an. »Er meint's nöt bös!« tröstete mich sein Herr. »Wissen's, er hat's amal so g'lernt! . . .«

Ich mußte herzlich lachen. »Das ist ja ein seltenes Thier«, meinte ich dann, »man trifft kaum einen Staar, der so viele Worte kann und dabei so deutlich.«

»Ja!« bestätigte der Schuster stolz, »a rares Stuck. ›Eljen Kossuth‹ kann er rufen und ›Du schwarzgelber Hund‹.« Und der Vogel bewies auch ununterbrochen, daß er das wirklich könne.

»Sie sind wohl ein guter Patriot?« frug ich.

»Na freili!« Der Mann blickte mich stolz an. »Und ob! und was für a Badhrot! Die Kontschtiduzion – dös ist das Höchste! . . .«

»Sie meinen wohl die von Achtundvierzig?«

»Na – die neuche a – die vom Siebenundsechz'ger Jahr.«

»Ich meinte, Sie wären von der Linken – weil der Vogel ›Eljen Kossuth!‹ schreit.«

»Na – wissen's, das kummt daher, weil i's den Hansel noch im Sechz'ger Jahr g'lernt hab'. Da war noch der Kossuth 's Höchste. Später, im Siebenundsechz'ger Jahr, hätt' ich's gern g'sehn, daß er a ›Hoch der König!‹ lernt, oder weil er's Eljen noch vom Kossuth kann ›Eljen a Kiraly‹. Aber da is er z'dumm dazu – i hob' mi eh g'nug gift! Ja – wann mei' Michel noch lebet! Der hätt' 's ganze Badhernoster g'lernt, wann i g'wollt hätt'. Aber der is g'storben – schon im Sechsundfünfz'ger Jahr.« Der alte Mann wurde fast wehmüthig in der Erinnerung an den todten Liebling. Aber gleich darauf setzte er grimmig hinzu: »Die schwarzgelben Hund' haben ihn um'bracht!«

»Wen?« fragte ich erstaunt.

»Na – den Michl, wen denn sonst?«

»Und den haben die Schwarzgelben getödtet?«

»Freili ja! In Ofen haben's ihn eingesperrt und a Proceß haben's ihm g'macht und nacher um'bracht. Wissen's – wegen Hochverrath!«

»Was? Einen Staar?«

»Sie glauben's nöt? Wahr is doch! – Fragen's nur in der ganzen Pester Stadt! Wegen Hochverrath! – so a lieb's Thierl!«

»Aber wie ist das nur zugegangen?«

»Ja – segen's – das war a so!« Der alte Mann nahm die Hornbrille von der Nase und erzählte:

»'s war grad a Tag wie heut, schön, zu heiß a nöt, da sitz i da mit mei Michel und mir plauschen halt. No ja – Jemanden muß der Mensch zum Plauschen hab'n – i hab kei Weib, i hab kei Kind – also plausch i mit'n Michel. I red und er plappert, was er g'lernt hat – ›Du schwarzgelber Hund!‹ und ›Eljen Kossuth‹! . . . I sag Ihna, der Michel hat vastanden, was er g'sagt hat, und mi hat er a vastanden, besser wie a Mensch. Und wie mir so sitzen und plauschen, stürzt auf amal a blutjunger Leitnant herein, roth wie a Indian und schreit: »Wo ist der Hund? Wo ist der Kerl, der mich beschimpft hat?« Und dabei zittert er Ihna nur so vor Wuth . . . »Herr Leitnant,« sag' i, »verzeihn's, mei Michel, das Staarl!« »Wo?« schreit der Officier, »wo ist die infame Bestie, ich dreh' ihr den Hals um!« . . . Da werd' i a fuchtig. »Herr Leitnant,« sag' i, »a Beschtie is der Michel nöt und infam noch wen'ger und dös mit'n Halsumdreh'n – dös schon am Wenigsten! Das Thierl g'hört mein – vastanden, Herr Leitnant?« Da gibt er mir an Stoß in d' Brust und schreit alleweil vom Erschießen und Hängen. Dann lauft er weg und schreit noch zurück: »Du Rebell, ich will Dich schon Mohren lernen« . . . »Meintswegn«, schrei i ihm nach, »i bin a Pester Bürger, ich fürcht' mich vor kan Mohren nöt!« Dann denk i aber nach, 's war halt gar so a schwere Zeit und die Böhmaken hab'n uns g'schunden, wie's g'wollt haben, und a Gerechtigkeit war nöt z'finden und da is mir angst und bang wor'n. »Michl,« sag i, »paß auf, mit dem sein wir noch nöt fertig! Michl! Da hast uns alle zwei in a schöne Patsch'n einibracht!« Und der Michel hat's a g'spürt, der is ganz dasig dag'sessen. Und richtig – zwei Stunden d'rauf komm'n so zwei Raderer, zwei vafluchtige Böhmaken und packen mich z'samm und 'n Michel a und schleppen uns alle zwei über d' Brucken nach Ofen, in d' Polizei-Direction. Und dort führen's uns uma, wie narrisch, bis m'r endlich zan Commissär kommen sein, zan Herrn v. M. Ich hab' ihn eh 'kennt, er war a Pester, aber mit die Schwarzgelben hat er's g'halten – der Schuft.« Der Schuster spuckte verächtlich aus. »No – der hat uns ausg'fragt, wie mir heißen und wie alt mir sein, der Michel und i und wie lang i den Vogel hab'. »Seit'n Siebenundvierz'ger Jahr,« sag i. »Und wann haben's ihm solche Niederträchtigkeiten g'lernt?« fragt er. Aber das war m'r z'viel! »Niederträchtigkeit?!« sag' i, »im Achtundvierz'ger Jahr war das ka Niederträchtigkeit nöt und heut is es auch ka Schlechtigkeit und wann's damals a Niederträchtigkeit war, so sein Sie, Herr v. M., a schlecht und niederträchtig g'wesen!« Wissen's, i bin halt gach! Und dös war a Unglück für mi und mei Michel. Denn der Herr v. M. is fuxteufelswild wor'n und hat g'schrien: »In den Arrest mit ihm!« Und da haben's mi fortg'schleppt und – mein Michel hab i sideradem nimmer g'sehn!«

Dem alten Menschen traten wirklich und wahrhaftig die Thränen in die Augen. »Und wie war's nachher?« frug ich nach kurzer Pause.

»I sag Ihna – dumm und schlecht sein die Schwarzgelben g'wesen – s'is nöt zan derzählen.« Aber dann erzählte er doch: »Acht Täg bin i in'n Arrest g'sessen und alle Tag haben's mi ausg'fragt und alle Tag hab i's Nämliche g'sagt: ›In Achtundvierz'ger Jahr – da hab i's dem Michel vorg'sagt und damals is dös ka Sünd g'wesen.‹ Aber alliweil haben's von mir a Geständniß g'wollt. ›Ich waß ja nix mehr‹, hab i g'sagt, aber g'nutzt hat's nix. Und dem Michel haben's gar an narrischen Namen geben – › horpus dixi‹ haben's ihn all'weil g'nennt. Und nachher haben's mi ins Criminal g'steckt und erst drei Wochen drauf haben's mi wieder außag'lassen. ›Wo is mei Michel?‹ frag i den Kerkermeister. ›Der bleibt in Untersuchungshaft‹, sagt er, ›sein's froh, daß die Herrn Ihna laufen lassen!‹ – ›Herr Kerkermeister‹, wispel i, ›hier habend's an Zwanziger – sagen's ehrlich – wo is mein Michel?‹ – ›No‹, sagt er, ›wan's g'rad wissen wollen: todt is er. Die Herren haben a Sitzung g'halten und weil er so hochverrathisch g'redt hat, so haben's beschlossen: hin muß er wer'n. Und da hab ich ihm Ratzenpulver ins Futter g'mengt . . .‹ Segen's – das war das End von mein Michel!«

So erzählte der alte Mann, und ohne daß ich »die ganze Pester Stadt« zu fragen brauchte, konnte ich erkennen, daß er die buchstäbliche Wahrheit gesprochen. Es war eigentlich eine heitere Historie, die er mir erzählt, die Historie von dem Sturnus vulgaris, den im Jahr 1856 ein k. k. Gerichtssenat wegen hochverräterischer Reden zum Tode verurtheilt. Aber – ich weiß nicht – lachen konnte ich doch darüber nicht, als ich bei sinkender Sonne langsam wieder der Stadt zuschritt.

* * *

. . . Es war in der Steiermark, im stillen Jahr 1852. Ueberlaut war es in diesem Lande eigentlich nie gewesen. Es wäre auch schwer zu sagen, zu was in der Welt der wackere, gemüthstiefe, aber geistig langsame Steirer weniger passen würde, als zum Revolutionär. So war auch die Grazer Bewegung von 1848 nichts Anderes gewesen, als eine sehr verkleinerte und komisch in's Urgemüthliche verzerrte Kopie der Wiener März- und Oktobertage. Die militärische Reaktion hatte in diesem Lande keinen Anlaß zu Heldenthaten gefunden, und ihre würdige Nachfolgerin, die Reaktion im Beamtenrocke, fand gleichfalls verzweifelt wenig Stoff dazu.

Niemand aber war über diese Thatsache verzweifelter, als der Mann, der damals den Posten eines öffentlichen Anklägers für den Grazer Gerichtssprengel bekleidete. Dieser k. k. Staatsanwalt war kein gewöhnlicher Mensch. In niedrigen Verhältnissen geboren und aufgewachsen, hatte er sich durch seltene Geistesschärfe, durch eisernen Fleiß, durch ungewöhnliche Energie in jüngeren Jahren schon zu einem so wichtigen Posten emporgearbeitet. Was ihn trieb, war ein schier wahnwitziger Ehrgeiz, – wenn anders sein Motiv diesen Namen verdient. Denn er geizte nach Ruhm, Macht und Ehren. Ueber die Lächerlichkeit, ein Herz zu haben, war er hinaus, an der Stelle desselben saß bei ihm eine Liste seiner Vordermänner, die er überspringen wollte um jeden Preis. Und diesen Mann hatte das neidische Schicksal auf einen Platz gestellt, wo man sich so ganz und gar nicht auszeichnen, wo man weder Staat noch Kirche auch nur ein Bischen retten konnte. Er mußte sich mit gewöhnlichen Dieben und Betrügern abplagen, indeß glücklichere Kollegen anderwärts in Hochverrathsfällen und Religionsstörungen schwelgten. Und doch hatten seine Vorgesetzten große Thaten von ihm erwartet. In seiner Instruktion stand geschrieben, daß er zwei Dinge vollbringen müsse: er müsse den Geheimbund der »Deutsch-Katholiken« entdecken und sprengen und ebenso die »hochverrätherischen Verbindungen mit den Magyaren«. Und da es so geschrieben stand, so mußt' es ihm auch gelingen.

Es hatte aber Beides einige Schwierigkeiten. Ein Geheimbund der »Deutsch-Katholiken« bestand nicht; es lebten nur noch wenige vereinzelte Anhänger Johannes Ronge's im Lande, und die hielten sich fein still. Was aber vollends die »Verbindungen mit den Magyaren« anbelangt, so bestanden sie absolut nicht und hatten nie bestanden, auch nicht zur Revolutionszeit. Dies mag eine Thatsache bezeugen, welche als Kuriosum denkwürdig ist. Dasselbe »Sicherheits-Komité für Steiermark«, welches den aufrührerischen Wienern Hilfsmannschaften gesendet, berieth auch die Mittel, durch die man einem etwaigen Einfall der Ungarn vorbeugen könnte!

Diese kleinen Schwierigkeiten also standen der Erfüllung der Instruktion entgegen. Aber unser Staatsanwalt achtete ihrer nicht: seine Karrière stand ja auf dem Spiele. Und es gelang ihm Beides. Ja! er sprengte den deutsch-katholischen Geheimbund, er deckte die hochverrätherischen Verbindungen der Steirer mit den Magyaren auf. Wie es ihm gelang, ist freilich eigenthümlich und sehr interessant. Die deutsch-katholischen Geschichten sind bereits genügend von Anderen behandelt worden, ich aber will hier erzählen, wie besagter k. k. Ehrenmann mindestens einen von Kossuth's Mitverschworenen entdeckte.

Ich erzähle nach den Akten, die mir vorgelegen.

Im Hochsommer 1852 machten zwei Grazer eine Fußtour durch Obersteiermark. Sie kamen hiebei auch in ein kleines, abgelegenes Bergdorf in der Nähe von Admont. Von hier aus beschlossen sie einen der nahen Bergriesen zu besteigen. Sie machten sich am Nachmittage auf und erreichten am Abend eine einsame, halb verfallene Hütte. Hier beschlossen sie über Nacht zu bleiben und in der Morgendämmerung den Gipfel zu ersteigen. Die Nacht war kühl, sie machten daher ein tüchtiges Feuer an. Das Material hiezu fanden sie reichlich vor, Reisig lag überall umher, die Hütte stand am Waldrande und war früher offenbar von Holzknechten bewohnt gewesen. Beim Scheine des Feuers nun entdeckten die beiden Touristen an einer der Holzwände nachfolgende Inschrift:

Fifat die Rebublik!
Salz muess pillig wern!
Der Paur derf jagen!
Hoch Fernand der Gitige!

Diese Inschrift war halb verwischt. Darunter standen folgende, gleichfalls kaum noch lesbare Worte:

Die Ungern und Deitsche wölln Koschut zum Kaiser!
                Mir wölnn unsern Hanns!

Offenbar jüngeren Datums als die beiden anderen, und noch leicht lesbar, stand schließlich folgende politische Tagesneuigkeit:

Die Ungern und Russen sein gut freind!
          Koschut wird doch Kaiser!
          Win wird plintert!

Unsere Touristen entzifferten mit einiger Mühe diese Weisheitssprüche eines einsamen Politikers der Alpen, lachten herzlich darüber, notirten sie wörtlich und schliefen dann friedlich ein. Am nächsten Tage erwachten sie mit der Sonne, vollendeten ihre Partie und kehrten am Nachmittage fröhlich in das Wirthshaus des Bergdorfes zurück. Am Abend erzählten sie dem Wirthe und den anwesenden Bauern von ihrer Entdeckung, lasen die Inschrift vor und forschten nach dem Verfasser. Aber den wußte Niemand zu nennen. »Die Hütte steht in 'n Kreuzbauern sein Wald«, belehrte sie der Wirth, »seine Holzknecht' haben d'rein gewohnt, aber ob von die aner schreiben kinnt, waß i nöt.« Damit war das Thema erschöpft; weder die Bauern noch die Touristen dachten weiter daran.

Anders aber war's mit einem anderen Gaste, der in einem Winkel der Stube saß und dort, anscheinend von der Ermüdung überwältigt, eingeschlafen war. Mindestens hielt er die Augen geschlossen und schnarchte vernehmlich. Das war der Gensdarmerie-Postenführer aus Admont. Nicht aus Ermüdung schnarchte er, sondern aus k. k. Amtseifer; auch die Augen hielt er nur kriegslistig geschlossen, damit sein Blick die beiden Touristen, die ja Emissäre der Revolution hätten sein können, nicht in der Verübung etwaiger Hochverräthereien geniere. Aber das Ohr des Gesetzes wachte um so aufmerksamer und vernahm wonnetrunken die Märe von der geheimnißvollen Kossuth-Inschrift.

»Dahinter steckt was!« flüsterte das Gesetz, als es schlafen ging, »da sind fünfundzwanzig zu verdienen.« Fünfundzwanzig Gulden meinte der wackere Mann. Denn so viel war jedem Sicherheitsorgane, welches irgend etwas Hochverräterisches entdeckte, als Prämium zugesichert. Daß man just diese Zahl wählte, darf nicht verwundern; die Zahl fünfundzwanzig war damals in Oesterreich stark in Mode.

Wie die Träume des Mannes gewesen, weiß ich nicht, es steht nichts davon in den Akten. Aber was nun folgt, ist ebenso prosaisch als wahr. Der Gensdarm stieg zur Hütte empor, nahm dort genaue Abschrift von den räthselhaften Worten und schickte dieselben sammt Rapport an sein Abtheilungskommando, von wo beide zum Flügelkommando in Graz wanderten. Und drei Tage später brütete bereits unser Staatsanwalt über ihnen.

Es ist wohl kein Zweifel, daß der scharfsinnige Mann auf den ersten Blick erkannt haben mußte, er habe es hier mit den Aufzeichnungen eines armseligen, unwissenden Menschen zu thun, die für Niemand in der Welt Bedeutung haben konnten, außer für den Redakteur der »Fliegenden Blätter« in München. Aber andererseits wußte der Mann, daß er »Hochverrätherische Verbindungen mit den Magyaren« aufdecken müsse, und entschloß sich daher kurz. Hier hatte er doch mindestens einen Anhaltspunkt, wenngleich nur einen bodenlos lächerlichen. Aber »Hochverrath ist Hochverrath«, dachte er wohl und veranlaßte daher die Entsendung eines eigenen Untersuchungsrichters nach dem Dorfe, der den Auftrag erhielt, alle Erhebungen zu pflegen, den Verfasser unbedingt zu eruiren und ihn nach Graz zu bringen, »todt oder lebendig«.

Der Untersuchungsrichter requirirte einige Gensdarmen als Assistenz, begab sich zur Hütte, ließ das sonderbare Corpus delicti – das Brett sammt Inschrift – herausheben und in's Dorf bringen. Dort inquirirte er zunächst den Wirth, der ihn aber an den Kreuzbauer wies, den Besitzer. Dieser wohnte etwa eine Stunde vom Dorfe in einem einschichtigen Gehöfte und war nicht wenig erschrocken, als der seltsame Zug: der Untersuchungsrichter, das Brett, die Gensdarmen und das halbe Dorf als Zuschauer, bei ihm anlangte. »Kennen Sie das? Haben Sie das geschrieben?« fuhr ihn der Untersuchungsrichter an. Aber der Kreuzbauer versicherte seine Unschuld unter Berufung auf einen gewichtigen Umstand: er war der edlen Schreibkunst nicht mächtig. »Leicht haben's d' Herrischen g'schrieben, die allweil auf'n Berg laufen«, meinte er. Aber der Untersuchungsrichter entschied kurz: »Das hat kein Städter geschrieben.« – »Dann hat's mei' Seppl g'schrieben, mei' Knecht, er hat vier Jahr im Häus'l gewohnt«, verrieth der Kreuzbauer. Auf seine weiteren Fragen erfuhr der Beamte, daß besagter Seppl Holzknecht sei und das Lesen und Schreiben von den Benediktinern in Admont gelernt habe. »Also ein Mensch von einiger Bildung?« inquirirte er erfreut weiter. »Na,« lachte der Kreuzbauer, »dös net, mei' Seppl ist thörisch (taub) und . . .« Und er wies mit dem Finger auf die Stirn, um anzudeuten, daß es im Oberstübchen des Verdächtigen nicht ganz richtig sei.

Der Mann des Gesetzes stutzte einen Augenblick. Dann aber fiel es ihm ein, daß er ja nur einen Hochverräther überhaupt zu liefern habe. Daß der Mann bei Vernunft sein müsse, stand nicht in seinem Auftrage. »Wo ist dieser Seppl?« fragte er daher.

Er erhielt zur Antwort, daß der Mann etwa eine halbe Stunde vom Hofe entfernt, auf einer Waldblöße arbeite.

Der Untersuchungsrichter bot seine Getreuen auf und machte sich auf den Weg nach der Waldblöße. Er wollte sich nicht das Verdienst entgehen lassen, selbst den Hochverräther verhaftet zu haben. Aus Neugier zogen die Dörfler mit, verstärkt durch die ganze Bewohnerschaft des Kreuzbauerhofes.

Es war wohl eines der seltsamsten Bilder, die je die alte gute Sonne beschienen, als nun der feierliche Zug auf der Waldblöße anlangte und sich um den gefährlichen Seppl gruppirte. Dieser zeigte sich äußerlich wenig als Revolutionär. Eine kleine untersetzte, etwas verkrüppelte Gestalt, bekleidet mit Bundschuhen, Lodenhosen und Lodenjoppe. Den Hals zierte ein überaus stattlicher Kropf, der bis auf die Brust herabfiel. Das eckige, häßliche Antlitz sah aus, als hätte es ein recht ungeschickter Meister aus sprödestem Holze geschnitzt. Die beiden kleinen Aeuglein schienen starr vor Erstaunen über die ehrenwerthe Versammlung. Staatsgefährlich mochte der Seppl schon sein, geistreich aber war er sicherlich nicht.

Der Richter verlor keine Zeit, er schritt schnell auf Seppl zu und hielt ihm das Corpus delicti vor die Nase: »Kennen Sie das?« fragte er.

Seppl nahm das Brett in die Hand und wendete es hin und her. Es machte ihm offenbar Mühe, sich zu vergegenwärtigen, daß dasselbe Brett, welches bisher einen Theil seiner Hüttenwand gebildet, nun plötzlich zu ihm in den Wald hinausspaziert war. Dann aber lächelte er blöde und verlegen, wies auf die Schriftzeichen und sagte: »Dös hob' ja i geschrieben!«

Der Richter athmete auf. »Also Sie sind geständig, das geschrieben zu haben? Dann verhafte ich Sie im Namen des Gesetzes.«

Das verstand der Seppl nicht ganz, aber klar wurde es ihm, als ihn die Gensdarmen nun in die Mitte nahmen, ihm die Hände auf den Rücken banden, und ihn aus dem Walde hinaus und in's Dorf führten. Der Richter schritt stolz an der Spitze, die Bauern folgten gedrückt und kopfschüttelnd, Seppl schluchzte. So kam der Zug vor dem Wirthshause an.

In der Wirthsstube ward das erste legale Verhör mit Seppl aufgenommen. Schon die Feststellung des Nationale ging schwer; denn erstens war Seppl taub, zweitens war er überhaupt nicht ein Mann des raschen Denkens und Sprechens, und drittens war er bezüglich gewisser Dinge, wie z. B. bezüglich seines Alters, nicht mit sich selbst im Klaren. Wie er aber nun über die Inschriften Rede stehen sollte, stockte er vollends; nur daß er jene Worte vor drei, beziehungsweise vier Jahren geschrieben, gestand er ein. Aber im Uebrigen verhielt er sich mehr als lakonisch. Nur einmal erwiederte er: »Die Leut' haben so g'redt und aufg'schrieben hab' i's, daß i mir's mirk (merke).« Aber mehr war von ihm nichts herauszubringen. Oeffnete er überhaupt den Mund, so war es zu einem Stoßseufzer an seinen Schutzpatron, den heiligen Joseph.

Der Richter schloß das Protokoll, nahm den Seppl und zwei Gensdarmen mit sich und lieferte den Hochverräter sammt dem Brette triumphirend an das Grazer Landesgericht ab.

Die Untersuchung, deren sich unser Staatsanwalt persönlich eifrigst annahm, begann und dauerte volle drei Monate. Der arme Halbtrottel wurde unzählige Male verhört, man inquirirte an ihm herum, daß es ein Erbarmen war. Ein anderes Opfer hätte den Verstand verlieren können, beim Seppl war wenigstens dies Gottlob! nicht zu befürchten.

Ich will diese Untersuchung, die tollste und erbärmlichste Farce, die je im Namen der Gerechtigkeit inscenirt worden, nicht in ihren Einzelheiten wiedergeben. Ich fasse nur kurz ihre Resultate zusammen.

Seppl gestand, jene drei Inschriften zu verschiedenen Zeiten an der Wand seiner Hütte angebracht zu haben. Er habe die Mittheilungen sämmtlich in der Revolutionszeit im Wirthshause unten vernommen und sie niedergeschrieben, damit er sie nicht vergesse. Jene Sätze waren also Seppl's politisches Tagebuch – nicht mehr und nicht weniger.

Auch bezüglich jeder einzelnen Inschrift »gestand« er Alles. Die erste habe er im Frühjahr vor vier Jahren geschrieben, also im April oder Mai 1848. Damals sei große Bewegung im Wirthshause gewesen, man habe getrunken, geschossen, die Volkshymne gesungen und »Vivat die Republik!« gerufen! Der Kaiser, erzählte Seppl, habe nämlich »a Republik geb'n«, welcher »Republik« zufolge alle Bedrückungen des Landvolks aufhören würden. Auch sei hierdurch der Preis des Salzes herabgesetzt, die Jagdfreiheit für die Bauern eingeführt worden. Seinen Gefühlen des Dankes für den Kaiser, dem man doch besagte »Republik« verdanke, habe er eben durch das beigefügte »Hoch Fernand der Gitige!« Ausdruck gegeben. Auch gestand er, selbst häufig, freudig und aus vollem Herzen »Vivat die Republik« gerufen zu haben.

Die zweite Inschrift habe er im Sommer 1848 niedergeschrieben. Da habe man nämlich erzählt, daß die »Ungern und Deitschen« den »Koschut«, welcher ein »ungarischer Fürst« sei, zum Kaiser ausrufen wollten. Damit sei aber das ganze Dorf und auch er nicht einverstanden gewesen. Seppl und seine Mitbürger seien vielmehr der Ansicht gewesen, daß, wenn man schon einen neuen Kaiser brauche, man dazu »unsern Hans« wählen müsse, den Reichsverweser Erzherzog Johann nämlich, welcher sich im ganzen deutsch-österreichischen Alpenlande einer schier unbeschreiblichen Beliebtheit erfreute.

Die dritte Inschrift endlich stamme aus dem Herbst 1848. Da sei ein »Kotscheber« (Südfrüchtehändler aus der Gottschee) durchs Dorf gekommen und habe die Neuigkeit gebracht, daß die Ungarn und Russen sich vereinigt, daß »Koschut« doch Kaiser werde, und daß die »Grobaten« (Kroaten) aus Rache Wien geplündert.

Schließlich war Seppl geständig, die Inschriften jedem seiner Besucher gezeigt und die dort aufgezeichneten Neuigkeiten auch mündlich allen Holzknechten mitgetheilt zu haben.

Das war das Material, das unserem biedern Staatsanwalt bei Abfassung des Anklageaktes vorlag. Und was wußte der geschickte Mann daraus zu machen? Er erhob gegen Seppl die Anklage wegen »Verbrechens des Hochverraths, begangen durch Verbreitung staatsgefährlicher Nachrichten und direkte Agitation gegen die bestehende Staatsordnung.« Begründet war diese Anklage durch Seppl's »Geständnisse«. Derselbe gestehe, häufig »Vivat die Republik« gerufen zu haben und habe sich hiedurch offen als »Anhänger der Umsturzpartei und Gegner des monarchischen Prinzips« manifestirt. Derselbe sei ferner geständig, Gerüchte bezüglich der bevorstehenden Absetzung des legitimen Monarchen verbreitet, und sogar direkt für einen bestimmten Prätendenten (Erzherzog Johann) agitirt zu haben. Ein besonderes Gewicht legte der Anklageact auf die letzte Inschrift. Der »Kotscheber« sei wohl ein Emissär der magyarischen Revolutionspartei gewesen, dazu ausgesandt, um durch tendenziöse Entstellungen (Abschluß einer Allianz zwischen den Ungarn und Russen) den gesunkenen Muth der Anhänger dieser Partei in den übrigen Provinzen zu beleben, und durch die Lüge, die kroatischen Soldaten hätten die Reichshauptstadt geplündert, den Haß gegen das k. k. Heer zu entflammen. Durch den Eifer, mit dem der Angeklagte in jeder ihm möglichen Form diese Nachrichten verbreitet, sei er dringend verdächtig geworden, selbst ein Anhänger der Kossuthpartei zu sein! . . . Das ist lustig, nicht wahr mein Leser?! Aber was nun folgt, ist noch ergötzlicher.

Seppl wurde vor ein Fünfrichter-Kollegium gestellt. Unter diesen fünf Männern gab es sicherlich gewissenhafte, ehrliche Menschen, die die ganze jämmerliche Komödie durchschauten. Aber damals durfte kein Hochverrathsprozeß mit einer Freisprechung enden; man mußte Staat und Kirche in möglichst eklatanter Weise retten. Und Seppl ward schuldig gesprochen und »in Anbetracht zahlreicher Milderungsumstände« zu nur sechs Monaten schweren Kerkers verurtheilt. Seppl's Verteidigungsrede bei der Schlußverhandlung wirft das charakteristischeste Licht auf jenes »Schuldig«. Als ihn nämlich der Präsident fragte, was er zu seiner Vertheidigung vorbringen könne, wies er schluchzend auf den Staatsanwalt: »Der Herr hot eh' schön g'redt . . . i sog nix . . . i bin a Hulzknecht!« Er hatte keine Silbe von der Anklage verstanden und geglaubt, der Staatsanwalt spreche für ihn! . . .

Seppl wanderte in den Kerker, die »hochverrätherischen Verbindungen mit den Magyaren« waren »entdeckt und gesprengt!«

Der Staatsanwalt hat seinen Lohn empfangen, er wurde, nachdem er seine Instruktion erfüllt, in den Adelstand erhoben und stieg rasch von Stufe zu Stufe.

Unter Schmerling wurde er »liberal« und Reichsrathsabgeordneter, unter dem Bürgerministerium avancirte er zu hohen Würden. Derzeit ist er noch immer »liberal«, wenngleich nicht mehr Abgeordneter, einer der ersten Justizbeamten Österreichs . . .

* * *

Es war ein Jahr später, im Frühling 1853. Alle Spuren der Erhebung waren verwischt; im Lande herrschte die Ruhe eines Friedhofs. Mit der Verschwörung im Szeklerlande – der Bund hieß bekanntlich »das Jahr« – war man fertig, ebenso mit dem Komplote Mackh's in Wien. Die Polizei hatte viele Mußestunden und ein richtiger Polizist sucht auch diese nützlich zu verwerthen. Das System der Spionage ward zu seltener Vollendung gebracht, so arbeitete z. B. auch das »schwarze Kabinet«, in welches sämmtliche Briefe vor Abgabe an die Adressaten wanderten, mit unvergleichlicher Präzision. Aber auch so konnte man nur harmlose Mücken entdecken, keine politischen Elephanten.

Was geht daraus hervor? Für einen Polizisten, der Mußestunden hat, nur Eines: giebt's keine Elephanten, so muß man aus den Mücken Elephanten machen.

Eine solche harmlose Mücke war ein in Pest wohnender Maler, Namens S. Er lebte ruhig seiner Kunst und seiner Familie. Er sprach nie über Politik, er hatte keinen Umgang mit »Verdächtigen«. Aber er war ein Ungar von Geburt, er war ein Schüler des »verbrecherischen« Rahl, er war der Gatte der Kousine eines »Hochverräthers«, des Generals Vetter. Das waren drei Todsünden. Der Mann sollte die Sünden furchtbar büßen – eine Veranlassung ergab sich bald.

S. erhielt eines Tages einen Brief von dem obengenannten General. Der Brief hatte rein familiären Inhalt, von Politik stand keine Silbe darin. Unter Anderem fand sich auch folgende Stelle darin: »Was macht Therese? Ist sie von ihrer Schwäche genesen, nimmt sie an Kräften zu? Werde ich bald Erfreuliches von ihr hören? Sage ihr, daß ich, obgleich fern, innigsten Antheil an ihr nehme.« Therese hieß nämlich die Gattin des Malers, die Kousine des Generals. Sie hatte erst kürzlich eine Krankheit überstanden.

An demselben Tage erhielt S. eine Vorladung zur Polizei und zwar in direktester Form: zwei handfeste Herren czechischer Nationalität ersuchten ihn um die Ehre seiner Begleitung. Im Gefühle seiner Unschuld tröstete er seine erschreckte Frau und nahm nur flüchtigen Abschied von ihr. Er sollte sie nie wiedersehen.

Die czechischen Herren führten ihn vor einen Polizei-Commissär. Dieser sah den Maler lange schweigend an. Dann brach er plötzlich los: »Nennen Sie augenblicklich die Mitglieder der ›Therese‹ . . .«

S. sah ihn erstaunt an. »Wie – was?«

»Die Mitglieder der ›Therese‹, die Mitglieder und die Statuten – augenblicklich!«

»Ich verstehe Sie nicht!«

»O, Sie verstehen mich nur zu gut. Sie haben heute einen Brief vom berüchtigten General Vetter erhalten. Darin erkundigt er sich nach dem Erstarken des Geheimbundes ›Therese‹. Er ist auswärtiges Mitglied. Er fragt, wann er Erfreuliches hören wird. Nun – wann gedenkt ›Therese‹ loszuschlagen?«

»Therese ist meine Frau – ich schwöre es Ihnen. Ich kann Ihnen den Taufschein bringen.«

»Könnte Jeder sagen! Leugnen Sie nicht! Es nützt Ihnen nichts! Wir verstehen schon Ihren Jargon.«

»Mein Herr – ich schwöre Ihnen.«

»Sie sollen nicht schwören, Sie sollen gestehen. Was ist der Zweck der Therese?«

Der Maler schwor und betheuerte, es nützte ihm nichts, »Therese« war und blieb ein »Geheimbund«. Als der Maler trotz allen Schimpfens und Polterns die »Mitglieder« nicht zu nennen vermochte, ward er in's Gefängniß geworfen.

Acht Tage ließ man ihn darin, um ihn mürbe zu machen. Dann ward ein neues Verhör mit ihm aufgenommen. Diesmal handelte es sich hauptsächlich um den Präsidenten der »Therese«. Natürlich konnte der Unglückliche auch über diesen keine Auskunft geben.

Der Polizei-Commissär war wüthend. Ein so hartgesottener Sünder war ihm in seiner ganzen Praxis noch nicht vorgekommen. Dazu kam, daß die Frau des Unglücklichen in ihrem grenzenlosen Jammer von Pontius zu Pilatus lief, und daß man auch von oben her »Resultate der Untersuchung« verlangte. Die Wuth des Mannes ward vielleicht auch dadurch vermehrt, daß er inne ward, einen riesigen Bock geschossen zu haben.

Was sollte er thun? Den Maler freilassen? Nimmermehr! Eine kaiserlich-königliche Amtsperson durfte sich niemals irren.

Die »Untersuchung« mußte also fortgesetzt werden. Der Maler ward auf zwei Monate in einen abscheulichen Kerker in Einzelhaft gesetzt. Als er nach zwei Monaten zum Verhör vorgeführt wurde, gab er nur verwirrte Antworten. Der Unglückliche war wahnsinnig geworden. Zwei Jahre später starb er im Irrenhause. Was aus seiner Familie geworden, habe ich nicht erfahren können.

Diese Geschichte ist buchstäblich wahr. Ich wage es nicht, sie mit irgend einer Betrachtung zu beschließen. Sie ist geschehen – das ist genug! . . .

* * *

. . . »Vier Worte, Signor! Wegen vier Worten haben sie mir den theueren Knaben erschossen! Weh mir, weh!«

Ob ich den Ton je aus meinem Ohre werde bannen können?! Wer durch fremde Lande wandert und ist's auch der Sorglosen einer, der's nur des lieben Wanderns wegen thut, und der Begnadeten einer, dem feines Empfinden gegeben, nur selten fügt sich's doch, daß ihm am Wege ein fremdes Geschick wirklich tief durch's Herz geht, so recht durch's tiefste Herz. Sehr selten! – beladene Menschensöhne sind wir ja allesammt, und so frei ist keiner gestellt, daß er nicht sein eigen Leid mittrüge in die Welt, und die Fremde bleibt doch die Fremde – was ist uns Hekuba, daß wir um sie weinen sollten?! Aber zuweilen weinen wir doch um sie, wir müssen's! Jäh, urplötzlich, vielleicht mitten im Sonnenschein heiterster Wanderlust tritt uns ein großes Menschenleid in den Weg und uns erbebt das Herz, als hätte es der Abprall des Blitzes gestreift, welcher das arme, wildfremde Herz dicht neben uns zerschmettert – »o, wär' ich todt, Signor!« . . . Greifbar klar steht der stolze, schöne Campo Santo am Fuße der Alpen vor meinem Blick und von dem geborstenen Grabhügel richtet sich die todtblasse Greisin auf und streicht sich das wirre weiße Haar aus der Stirne und ruft gellend: »Die feigen Henker! vor einem Kinde haben sie gezittert! Was blickt Ihr mich an, Signor? Ich bin nicht wahnsinnig! – leider! – Gott ist nicht so barmherzig . . .«

Das war zu Brescia –

Eine seltsame Laune hatte mich von Mailand her in die düstere Stadt geführt, wo Blut und Thränen geflossen sind, wie Bäche. Ich hatte sie nie zu schauen gedacht, in stürmischer Märznacht war ich an ihren Mauern vorbeigesaust und schwamm nun schon mehrere Wochen behaglich im Treiben der heiteren lombardischen Metropole: wie lebt's sich so lieblich, wie lebt's sich so süß im weißen prächtigen Milano! Einen wackeren Cicerone hatt' ich da, einen jungen Gelehrten, gelehrt genug, um mir die dunkelsten Palimpseste der Ambrosiana zu erläutern, doch auch jung genug, um gründlichsten Aufschluß zu geben über jenen Strom warmlebendiger, glutäugiger Schönheit, welcher täglich durch Porta Venezia am Corso entlang an uns vorbeifluthete. Aber am liebsten schwelgten wir selbander im Genusse jener Schönheiten, welche nie launisch sind, nie runzlich werden, welche seit Jahrhunderten Jedem gleich holde Freude in's Herz hineinlächeln – in der Gemäldesammlung der Brera. Und da war's, wo ich das Täfelchen fand, das mich nach Brescia trieb.

Es war nur ein armseliges Sandstein-Täfelchen, welches einst wohl weiß geblinkt, aber nun, in währendem Zeitenlauf und weil es so viele Fliegen in der Brera giebt, schier schwärzlich geworden. Und unter einem Gemälde war's befestigt, von dem mir nur erinnerlich, daß es kein Gemälde war, sondern recht viele Farben, auf ein großes Stück Leinwand aufgetragen. In diesen Sandstein waren einst vergoldete Buchstaben eingelöthet gewesen, welche dem Beschauer verkündeten, wer das Gemälde in den zwanziger Jahren der Stadt Mailand geschenkt: »Francesco I. Imperatore.« Aber heute konnte man diese Pracht nur noch ahnen, denn gewaltsam herausgerissen waren die Buchstaben, der Stein jämmerlich zerhackt und nebst den Fliegen hatte sich auch der Menschengeist in Versen und Zeichnungen darauf verewigt. Kurz – das arme Täfelchen sah aus, wie in Parva die hinterste Schulbank, wo die schlimmsten Buben sitzen. Gleichwohl war die Inschrift noch ziemlich erkennbar. Denn jenen Raum, welchen die Buchstaben eingenommen, hatten die Fliegen einst nicht mit den Spuren ihres Daseins schmücken können, und so hoben sich diese Streifen schmutziggrau ab von dem tiefbraunen Hintergrunde. Es war eine seltsame Inschrift . . .

Eine seltsame Inschrift und lange mußt' ich davor stehen und mancherlei ging mir im Schauen durch Herz und Hirn. Just nichts Lustiges! Dieses armselige Täfelchen predigte ein düsteres Stück unserer Geschichte; vielleicht auch ein Stück Nemesis. Aber dann konnt' ich doch wieder lächeln. Das Geschenk haben sie behalten, nur den Namen des Schenkers verwüstet – und wie! . . . Nein! das deutete doch nur auf Jugendlichkeit . . .

»Sicherlich ist's auch nur in der ersten »furia« geschehen«, entschuldigte mein Freund. »Wohl im Hochsommer 1859. Was damals in uns Lombarden kochte und jählings aufflackerte, war ein Unsägliches – ich hab's als junger Bursche mitgefühlt, ich finde kein Wort, jene Tage zu schildern. Unsägliches hatten wir ja auch gelitten. Und wen wüthender Durst peinigt, prüft das Getränk nicht lang. Damals mußt' es mit diesem Täfelchen just so kommen, wie's eben kam. Aber heute? Heute paßt es nicht mehr hierher, minder um Euret- als um uns'retwillen. Der alte Haß ist verflogen, was soll noch die kleinliche Spur? Möge sie bald verschwinden . . .«

»Cosi sia!« klang es laut, langgedehnt hinter uns; giftigste, grimmigste Ironie lag in dem beistimmenden Wort. Wir wandten uns hastig um. Vor uns stand ein blutjunges, elegantes Paar, offenbar Bruder und Schwester, sie ein üppiges, nettes Persönchen von sechszehn Jahren, mit einem rosigen, vorwitzigen Gesichtchen und blitzenden Schelmenaugen, die man sogleich mit Küssen hätte schließen mögen; er etwa vier Jahre älter, dieselben Gesichtszüge in's Männliche übersetzt und um ein trotziges Schnurrbärtchen vermehrt. »So sei's!« wiederholte er so ironisch, als es dem guten Jungen nur eben gelingen wollte. »Der alte Haß ist verflogen, wir segnen die Oesterreicher, so oft wir ihrer gedenken. Zu einem Denkmal für Haynau ist es freilich noch nicht gekommen, aber es bedürfte nur der Anregung: besonders in meiner Vaterstadt Brescia bürge ich für einen glänzenden Ertrag der Subscription! Darum fort mit diesem Täfelchen; es ist ein schreiender Beweis unserer Undankbarkeit und beleidigt überdies die Gefühle irgend eines Herrn Fremden! . . .«

Das sprudelte nur so hervor. Und das »straniero« sprach er mit einem Ton und Blick, als wäre ich mindestens des seligen Haynau entfernter Anverwandter. Die hübsche Signorina aber schwieg zwar, doch die Augen blitzten, das Fäustchen ballte sich, daß das hellgraue Dänenleder krachte, und als sie's jählings wieder öffnete, mußt' ich unwillkürlich denken: Madonna! was mögen für scharfe Nägel an diesem weichen Tätzchen sein! . . .

Mein Freund ward nicht heftig, er war ein kühler, glatter Turiner. Er lächelte sogar, allerdings etwas spöttisch. Dann aber erwiederte er sehr ernst: »Sie sind aus Brescia? Dann wundern mich Ihre Worte nicht. Ich habe auch nichts dagegen einzuwenden. Addio Signor!«

Wir gingen. Die Geschwister sahen uns verdutzt nach; auch ich war ein wenig betreten. »Sie staunen?« fragte mein Freund. »Brescia ist die einzige Stadt Italiens, wo noch der Haß gegen Ihr Vaterland gleich glühend fortlebt. Dort saugt ihn das Kind mit der Muttermilch ein, dort predigen ihn die Steine. Es giebt eben Dinge auf Erden, die sich nimmermehr vergessen lassen . . .«

Wir traten auf die Gasse und flanirten langsam an der Scala vorbei auf den Domplatz. Der junge Gelehrte plauderte vergnüglich, wie hübsch die Kleine in ihrem Zorn gewesen, und dann von tausend anderen Dingen. Aber ich hörte ihm wenig zu und gab spärliche Antwort. Endlich, als wir bei Biffi über unserem Frühstück saßen, fiel's ihm auf: »Was quält Sie nur?« – »Mich?« erwiederte ich und fuhr auf wie aus einem Traume, »ich – ich werde morgen nach Brescia fahren.«

. . . Es war ein blitzender blauer Frühlingstag, da ich's that. Der Thau schimmerte auf den tiefgrünen Saatfeldern der Ebene; rosig blinkten in der Morgengluth die stolzen weißen Häuser von Cassano, dann donnerte der Eilzug über die blaue Adda, nordwärts den Bergen zu, den violetten Bergen, die sich von der eisigen Höhe des Monte Cadella jäh, wie sehnsüchtig hinabstürzen in's blühende Welschland hinein. Dann Bergamo, das seltsame, zwiegetheilte, droben am Fels die düstere Altstadt, drunten in der Ebene der reiche, nüchterne Handelsplatz. Und wieder grüne Saaten und duftverklärte Gipfel, der stürmische grüne Oglio – endlich Brescia. Ein Gewirre von Thürmen, Dächern und Basteien, anmuthig um den Fuß der Berge geschmiegt. Aber der Blick haftet kaum darauf; ihn fesselt vor Allem das mächtige finstere Castell, welches die Stadt überragt, dann die Stätte der Todten, an welcher der Zug vorbeisaust: unzähliges weißes Gestein, aus grünen Büschen hervorlugend, dazwischen eine schlanke, weiße Säule, welche wie ein Siegeszeichen ob all' der Verwesung in den lichten Himmel hineinragt. So muß, wer diese Stadt von fern ersieht, an Krieg und ruhmverklärtes Sterben denken.

Daran denkt auch, wer sie durchwandert. Aber auch noch auf andere, viel düsterere Gedanken kommt er, nein! sie kommen über ihn und halten ihn gebannt. Oder mußt' es sich nur mit mir so fügen, der ich schon mit einem bestimmten Gefühle in der Brust diese Stadt betrat? Aber es wuchs in mir bei jedem Schritte, Alles bestärkte mich darin und es war ein sonderbares Gefühl, zu wild, um es Wehmuth, zu mild, um es Grauen zu nennen. Ich sah allerorts begrabenes Leid, verschollen und begraben und doch lebendig! In dieser Stadt gehen die Gespenster am hellen Tage umher, nicht blaß und schreckhaft, sondern greifbar und verständig. Alles Schimmern und Leuchten des Lenzes konnte mich nicht vor ihnen retten. Es war ein Tag von heiterer, unsäglicher Klarheit, aber fast schmerzhaft empfand ich all' seine Schöne. Das war nicht das rechte Licht, diese Stadt zu betrachten.

Und welches wäre dies rechte Licht? Etwa der Mond, in dessen zittrigem Strahl uns die schwarzen steilen Gäßchen Genua's, die breiten, ausgestorbenen Palaststraßen Ferrara's so seltsam an's Herz rühren? Nein, noch minder! Denn wohl sind jene Städte düster, aber zugleich alterthümlich und phantastisch – um all' ihre dunkle Oede breitet sich der Schleier melancholischer Schönheit. Brescia jedoch ist nur düster, sehr düster, und zugleich von nüchterner Häßlichkeit, häßlicher Nüchternheit. Der Raum ist kostbar in einer Festungsstadt, darum sind die Häuser hoch, die Gäßchen eng. Nur zwei Platze gewähren, wenn nicht anmuthigen, so doch stilvollen Anblick, sonst stehen diese Häuser aufmarschirt wie Soldaten, eintönige, finstere Nutzbauten, endlose Reihen, hoch und schmutzig; schnurgerade laufen diese Gäßchen, von schnurgeraden Quergäßchen werden sie durchschnitten. So der Eindruck für das Auge. Und jener für's Ohr bestärkt nur dasselbe Gefühl in des Wanderers Brust. Denn von all' jenem tollen, überquellenden Leben, welches in diesem wunderreichen Land Italien dem Nordländer vielleicht als das Wundersamste erscheinen will, grüßt und lockt hier kaum eine Spur. Hier singt man nicht, hier lacht man nicht, selten sogar tönt – ich spreche von einem Weichbild Welschlands und daher wird man mir's kaum glauben wollen – das Gejammer eines Bettlers. Aber schier jedes Haus ist eine Werkstätte, die Hämmer dröhnen, die Bälge pusten, in der Luft schwimmt allimmer und wohin der Fuß sich wenden mag, ein gewaltiges, dumpfes, schüttelndes Schwirren und Sausen – das ist das Lied, welches diese Stadt dem Fremdling zusingt, die Eisenstadt: »Brescia armata!« . . .

Die Eisenstadt – der Name paßt! Das Eisen ist ein schlichtes, düsteres Metall, sehr nützlich, aber es kann auch fürchterlich werden. Diese Leute sind keine heiteren Schwärmer, sondern kalt, ruhig, fanatisch. Sie arbeiten zum eigenen Nutzen, indem sie Waffen für das Vaterland schmieden, und wenn es Noth thut, so schwingen sie diese Waffen in der eigenen Faust und sterben für das Vaterland. Erbarmungslos gegen den Feind, wie gegen sich selbst, haben sie ebenso ungerührt in den Tagen ihrer momentanen Befreiung wehrlose Deutsche niedergemetzelt, als sie dann ungerührt ihre Jugend auf den Wällen zerschmettert dahinsinken gesehen. Sie haben keinen Pardon gegeben, noch genommen . . . Wer etwa in der Ferne von der Art gelesen, wie Brescia 1848 seine Befreiung begangen, und dann von jenem 1. April 1849, da Haynau sich den scheußlichen Beinamen verdient, – wem diese Bilder vor der Seele stehen, und seine Phantasie sucht sich nun den Hintergrund hiefür zu verschaffen, einen passenderen findet sie nicht, als ihn die Wirklichkeit bietet: diese düstere, graue, nüchterne Stadt, durchsaust, durchbraust, durchzittert von dumpfem Hammerschlag . . .

Fünfundzwanzig Jahre sind eine kurze Frist für Menschen solcher Artung; noch lebt überall die Spur jener schaurigen Lenztage. Vielleicht übersieht das, wer leichtmüthig durch die Straßen geht, ungekränkt von aller Vergangenheit; aber wem sie das Herz belastet, dem schärft sich das Aug' für jegliche solche Spur. Da traf ich auf Häuser, die aussahen wie Krüppel, ein Theil unversehrt, ein anderer nur nothdürftig zusammengeflickt und statt der Steinsäulen Stelzfüße aus Holz. Oder das ganze Haus war heil, nur ein Erker lag in Schutt und Asche und »1849« hatten sie zierlich darunter hingemalt. Derlei verfehlt nun freilich leicht die Wirkung, denn vor der Narbe des Veteranen mag man sich gerne beugen, ob aber auch vor dem künstlich offen erhaltenen – Renommirschmiß?! . . . Aber mehr als an den Häusern rührte mich die Spur jener verschollenen Leiden im Antlitz der Bewohner, besonders der Frauen. Man trifft kaum irgendwo noch so viele blasse, stolze, herbe Angesichter, so tief und traurig sinnende Augen, solchen gar nicht anmuthigen, aber schier majestätischen Gang. Ich weiß wohl, daß die Frauen, welche im Glanze des schönen Frühlingstags unter den Arkaden der »Piazza vecchia« an mir vorbeipromenirten, nicht deshalb traurig und herb blickten, weil sie just Haynau's gedachten. Aber wenn solche Schicksale über eine Stadt gekommen, so prägen sie sich unvergänglich auch in das sprödeste, beweglichste, vergänglichste Metall, das Menschenantlitz. Diesem blühenden Geschlecht sind einst auf das weiche Kindesgesicht die glühenden Thränen der Mütter gefallen, und solche Thränen lassen, auch längst vertrocknet, noch eine Spur zurück . . . Stolz und herb und muthig mögen übrigens die Frauen Brescias stets gewesen sein, wie hätten sie sonst an jenem Bluttage den Muth gefunden, lieber den Tod zu umarmen, als den Feind?!

Nur Eine hat diesen Muth nicht gefunden, und diese ist vielleicht die größte Heldin gewesen. Auf eine seltsame Weise ist mir die Kunde von ihr vermittelt worden. Da kam ich auf der Wanderung von San Clemente, dem Kirchlein, wo sich Moretto durch seinen Pinsel das Grab reicher geschmückt, als dies je ein Fürst vermocht, in ein graues Gäßchen, etwas schadhaft, und an einem Menschen vorbei, der gleichfalls grau und etwas schadhaft war: ein Ohr war ihm glattweg abgehauen. Es war ein Messerschmied; er stand in der Thüre seines Ladens, neben der ärmlichen Auslage, und starrte vor sich hin. Ich stellte mich vor die schmutzige Scheibe, that, als bewunderte ich die Klingen und schielte nach der Narbe. Natürlich nützte dies der Greis, mich zu versichern, dies seien die allerbesten Messerchen von Brescia. So kamen wir in langes Prüfen und Feilschen, und als ich eins der Dinger erworben, fand ich den Muth, zu fragen, wo er sein Ohr gelassen? – Draußen im Stadtgraben, war die ruhige Antwort, dicht bei »San Pietro in Oliveto«, da liege es anstatt des ganzen Leibes – ein Tausch, bei dem er eigentlich wenig profitirt; deß sei er immer überzeugt gewesen, und jetzt, wo er ganz alt und ganz einsam, nun schon gar! . . . Wer es abgehauen? . . . Lächerlich! wie man nur so fragen könne, natürlich der Oesterreicher! Der Lieutenant habe ihm nämlich das Erschießen erlassen, weil die Rita so schön gewesen . . . Wer die Rita gewesen? Margherita, seine Tochter, ein braves Mädchen, erst fünfzehnjährig und schön – o, so schön! – und sein einzig Kind. Zwei Tage und zwei Nächte sei sie neben dem Vater auf dem Wall gestanden, ladend und schießend, bis der Oesterreicher hereingebrochen und die Haufen zusammengetrieben, zur Füsillade. Aber der junge Lieutenant habe zur Rita gesagt: »Du gefällst mir, Dich lass' ich nicht erschießen, und mach' auch Du keine Dummheiten mit Deinem Dolch da, sondern lass' Dich in mein Quartier führen. Wenn der Mensch, an den Du Dich klammerst, Dein Vater ist, so soll er auch nur mit einem Denkzeichen davonkommen, wenn Du mir ein freundliches Gesicht machst.« Da hätten die Soldaten ihm das Ohr abgehauen und die Tochter fortgeschleppt . . . Was aus der Rita geworden? Genau wisse er's nicht, die Leiche sei nicht zu finden gewesen, was kein Wunder, da damals hier so sehr, sehr viele Leichen umhergelegen. Aber er lebe und sterbe der fröhlichen Gewißheit, daß die Rita rein gestorben, oder doch ihre Schande nicht überlebt. Denn sie sei so brav als schön gewesen, seine Rita . . .

. . . Unter dem Eindruck der Geschichte der Rita habe ich mir die Merkwürdigkeiten von Brescia besehen: die prächtige, weißglänzende Kathedrale und daneben ihre erniedrigte, altersgraue Schwester, das Kirchlein »la Rotonda«; das Museum, in welchem sie in buntem Gemisch werthvolle Reste einer begrabenen schönen Welt und werthlosen Trödel bergen, die Bibliothek des Quirini und die Gemäldesammlung des Grafen Tost. Aber mit mir gingen die Gespenster der Vergangenheit, und vor einem Bilde des del Sarto erlebte ich's, daß der heilige Josef nur ein Ohr hatte und einen grauborstigen Kopf und mich ansah mit kalten, umdüsterten Augen. Kurz – es war doch nur immer die Stadt des Haynau, die ich durchschritt, und es ist auch übrigens allerorts redlich dafür gesorgt, daß man's nicht so leicht vergißt. Da zeigten sie mir z. B. im letzten Stüblein der Bibliothek die heiligen Schätze: ein Stück von dem Kreuze, an das sie einst auf Golgatha den größten Dichter aller Zeiten geschlagen, und auch Reliquien der Dichterschule, die er gestiftet und die sein Wort verkehrt und verwässert, wie dies leider immer die Art solcher Epigonen ist, Reliquien der Apostel und Heiligen. »Aber«, fuhr der Custode fort, »das Allerheiligste, das wir bewahren, ist dieses Blatt hier.« Es war eine Erklärung der Frauen und Mädchen Brescia's, daß ihnen der Tod ihrer Väter und Gatten, ihrer Brüder und Verlobten minder schmerzlich sein werde, als die Knechtschaft; daß äußerster Widerstand ihr einziger Wunsch sei, die Befreiung Italiens ihr einziges Gebet. Sorgfältig kalligraphirt ist diese Erklärung, aber auch von den unzähligen Unterschriften ist keine mit zitternder Hand hingeschrieben . . . Oder im Herkules-Tempel, wo sie das »Museo patrio« aufgestellt, da führte mich der Aufseher durch eine ganze Allee verstümmelter Statuen flüchtig hin und litt kaum, daß ich die herrliche Victoria betrachtete, aber vor einem trübseligen Stücklein Säule blieb er stehen; das möge ich betrachten. Nun, ich that ihm den Gefallen, es war ein Säulenstumpf korinthischen Styls, viel war d'ran nicht zu bewundern. »O, sehen Sie's nur an!« rief der Mann, »was Sie sonst hier zerbrochen sehen, ist schon so hierher gebracht worden, aber dieses Säulchen ist einst ganz hier gestanden. Aber da kam eines Tages ein Hund und stieß daran und zerbrach es.« – »Ein Hund?« – »Ja, hehe, wissen Sie, ein ungarischer Hund mit einem so großen Schnurrbart und Sporen an den Füßen.« – Dieses Säulchen und dieser grimmige Witz waren überhaupt das Steckenpferd des biederen Trinkgeldmenschen; als ich mir später seitab die Medaillen besah, hörte ich, wie das Steckenpferd auch einer dünnen Dame und dann einem dicken Herrn vorgeritten wurde. Aber ich ärgerte mich darüber nicht, im Gegentheil, ich war dem Menschen aufrichtig dankbar. Denn bei dieser rohen und widrigen Uebertreibung eines an sich berechtigten Gefühls konnte ich wieder lächeln. Und noch dankbarer war ich dem Bildhauer, welcher auf des Königs Auftrag und Kosten vor der uralten, gewaltigen »Torre del Orologio« das Denkmal aus Sandstein und Marmor zu Ehren der heldenmüthigen Brescianer geschaffen. Denn da sah ich nicht mehr die Gespenster der Vergangenheit, da sah ich nur noch ein schlechtes Denkmal. Ein sehr schlechtes! – Diesem Denkstein unvergänglicher Thaten ist rascheste Vergänglichkeit zu wünschen. Die Hauptfigur, ein Trauerengel, hält schlaff einen Lorbeerkranz in der Rechten und empfindet, wie ihm deutlich am Gesichte abzulesen, da oben in seiner Vereinsamung ganz außerordentliche Langeweile. Aber noch schlimmer sind die vier Hautreliefs am Sockel. Sie stellen eine Barrikade dar, einen Kampf auf offener Straße, eine österreichische Colonne und ein Begräbniß. Die streitenden Parteien sind sehr glücklich charakterisirt. Die Italiener tragen sämmtlich wallende Gewänder, haben durchweg hübsche, etwas einfältige Gesichter, scheinen auch nahe Verwandte zu sein, da sie durchweg dieselben Gesichter haben, und sehen überaus munter d'rein. Besonders die Jungfrau, welche der stürmenden Colonne entgegentanzt, und eine Andere, welche mit gesenkter Fackel hinter dem Sarkophage einherhüpft, zeigen ungestüme Heiterkeit in den hübschen frechen Alltagsgesichtern . . . Was aber die Oesterreicher betrifft, so sind sie gleichfalls sämmtlich nahe Verwandte, aber eine häßliche Familie mit viereckigen Köpfen und verthierten Angesichtern, wahre Scheusale in k. k. Campagne-Uniform. Doch ist diese Uniform nicht ganz getreu wiedergegeben, sondern der Künstler hat sie in sinniger, patriotischer Symbolik stark in's Vitzliputzlihafte gezogen . . .

Lange stand ich vor diesem Denkmal, und was der lenzhelle Tag nicht vermocht, vermochte diese Stümperei: mir sanken die Schatten von der Seele. Wohl blieb's mir auch jetzt lebendig, daß jenes andere Denkmal auf dem Friedhofe zu St. Leonhard in Graz, an dem ich in Jünglingstagen so oft vorbeigegangen, trotz seines Prunks keine Ehrensäule ist, und trotz seiner Inschrift: »Mit Staunen werden künftige Geschlechter der Thaten gedenken, die er auf den Schlachtfeldern Ungarns und Italiens vollbracht.« . . . Mit »Staunen« nicht nur, sondern auch mit Abscheu und Entsetzen, das vergaß ich auch jetzt nicht. Aber wie ich so die armen k. k. Vitzliputzli's im Hautrelief betrachtete, mußt' ich mir sagen: Es war eben der Krieg! Und ein Krieg war's, in welchem beiderseits alle Waffen galten! Und die da hinabzogen in's heiße, tödtliche Welschland hinein, waren doch eigentlich keine Teufel, sondern ehrliches, wackeres Soldatenblut, welches seine Pflicht that, indem es seinem Kriegsherrn das Land vertheidigte . . . Ach ja! jedes Ding hat zwei Seiten und das Beste ist, von jenen unsäglichen Kämpfen und Nöthen zu schweigen. Vergessen, tiefstes Vergessen und für die Zukunft die freudige Gewißheit, daß mindestens auf diesem Boden und aus gleicher Veranlassung solcher Kampf und solche Noth sich nimmer erneuern könne! . . .

So bin ich denn erleichterten Herzens von dem seltsamen Denkmal geschieden. Aber diese schönere Stimmung sollte mir nicht ungetrübt bleiben. Just bei meiner letzten Wanderung im Weichbilde dieser düsteren Stadt, am zweiten Tage, nachdem ich sie betreten, sollte ich einen Eindruck empfangen, so seltsam, so schmerzlich, daß er mir noch in der Erinnerung peinlich ans Herz rührt . . . »wegen vier Worten!«

– Und hier versagt mein Trostsprüchlein: »Es war der Krieg!« Denn im Jahre 1856 war's und mitten im tiefsten Frieden, da sie den armen Sandro erschossen . . .

. . . Der Friedhof von Brescia ist vielleicht die anmuthigste Stätte in dieser reizlosen Stadt. Blühendes Strauchwerk umsäumt die weißen Columbarien, wo die Reichen ruhen, blühendes Strauchwerk neigt sich über die Grabhügel der Armen. Nichts erinnert an die Schauer der Verwesung, alles an süße, schmerzlose Rast. Still und bewegt ging ich die Gräberreihen entlang, über denen nichts laut war, als die leisen, holden Stimmen des Lenzes: Vogelgezwitscher und Wehen des Windes in den Blüthenzweigen. Dann wieder war's ein prächtiger Frühlingstag, und als die Sonne hoch stand und nun, da sie sank, blieb die lindbewegte Luft kühl und klar, als wollte dieser ganze gesegnete Tag ein lenzheller Morgen bleiben. Und als die Abendsonne die weißen Steine umglühte, da war's, als schwimme rothe Morgengluth über ihnen. Es war eine Stunde voll unsäglichen Friedens. Und was auf den Denksteinen zu lesen war, störte diesen Frieden nicht. In wüstem Kampf, in bittrer Noth sind viele dieser Herzen gebrochen, aber das Gold und Erz ob ihrer Hülle spricht von Frieden und Versöhnung. Nur daß sie in anderen Städten ihren Theueren als höchstes Lob auf's Grab setzten: »modello di virtù« oder »tresore di bontà«, hier aber kurz und stolz: »amante della patria« . . .

Unzählige Male las ich das Wort und ward nicht müde, in diesem Garten des Todes auf- und abzuwandeln, bis mich die ersten leisen Schatten der Dämmerung und das Schlüsselgeklirr des Custoden an den Abschied gemahnten. Ich schritt auf das Thor zu. Neben dem Thor, zur Linken, wo die Armen und Namenlosen ruhen, saß auf einem Grabhügel eine Matrone, das Haupt tief auf die Brust gesenkt. Kein Kreuz war ob dem Hügel, doch lag darauf ein frischer Strauß. Ich blickte flüchtig im Vorbeigehen auf die kauernde Gestalt und dann unwillkürlich noch einmal zurück – es war ein bleiches, feines, edles Matronenantlitz, um welches sich breit und licht das weiße Haar legte. Und man sieht jenseit der Alpen so selten eine schöne, ehrwürdige Greisin! Sie sah kaum auf und streckte mir die Hand nicht entgegen, aber weil ihr Gewand so sehr ärmlich war, so glaubt' ich nicht fehlzugehen, wenn ich eine Münze neben sie hinlegte. Sie dankte, lauter und wortreicher, als es zu ihrem Wesen paßte, aber das ist nun schon die welsche Art. »Und«, rief sie, »daß Ihr glücklich heimkommt, Signor Inglese!« – »Ich bin aber ein Deutscher«, sagte ich lächelnd und ging weiter. Aber im nächsten Augenblicke wandte ich mich überrascht, verblüfft um. »Bestie! Verfluchter!« hatte die Greisin plötzlich schrill aufgeheult; die frommen Züge waren widrig verzerrt, die stillen Augen funkelten mich unsäglich grimmig an und mein Geldstück kollerte mir vor die Füße. »Nimm und geh' zur Hölle!« . . . War das Weib wahnsinnig? – ich blickte fragend den Custoden an. Er verstand meinen Blick und trat mit süßsaurem Lächeln näher. »Wahrscheinlich ein Mißverständniß!« meinte er zögernd. »›Tedesco‹ heißt bei uns in der Lombardei ein Schwarzgelber. Einen Deutschen nennen wir ›Prussiano‹. Die Frau glaubt, daß Sie ein Oesterreicher sind . . .« – »Und wenn ich einer bin?« – »Dann«, sagte er und seine Stimme klang herb, ohne jede Rücksicht des bevorstehenden Trinkgeldes, »dann dürfen Sie sich nicht beklagen, Ihnen ist recht geschehen, – das heißt – hm! – natürlich – nur vom Standpunkt dieses Weibes da. Ja, glauben Sie mir, Herr! – meine oder Ihre Mutter hätte sich kaum anders betragen . . . Aber«, fügte er mit devotem Flüstern hinzu, »gestatten Sie mir, die Sache in Ordnung zu bringen.« Er trat auf die Greisin zu, die wieder auf dem Grabhügel kauerte, das Antlitz in die Hände geschmiegt und zitternd, als schüttelte Fieberfrost die siechen Glieder. »Ziata!« sagte er und legte ihr die Hand auf die Schulter, »der Herr ist ja aus Berlin. Ihr habt ihm Unrecht gethan, Ziata! Ihr müßt ihn um Verzeihung bitten. Sagt ihm doch, warum Ihr die Oesterreicher so haßt!« . ..

Nun – sie hat es mir gesagt. Allerdings erst nach einer Weile und zögernd. Und oft ließen sie Thränen oder Grimm nicht weiter sprechen. Es ist ein Wagniß, wenn ich versuche, hier ihre Worte wiederzugeben und eigentlich ein vergebliches Wagniß. Denn nur die Worte kann ich hierhersetzen, nicht aber den Ton aus tiefstem, armen Herzen . . ..

»Ja – es war thöricht von mir, sich so zu irren! Selbst, ohne daß ich gebeten, habt Ihr mir eine Gabe gereicht – wie könntet Ihr ein Tedesco sein! Diese Schwarzgelben sind lauter Tiger, und wo sie uns in's Herz treffen können, da thun sie's jauchzend . . . Ach, und wir selbst haben ihnen die Waffen geschmiedet! Ja, das kann ich meinem Tonio noch heute nicht vergeben. Aber ein guter Mensch war er, gewiß! und wie er's nur gekonnt hat, da hat er mich zu seinem Weibe gemacht, obwohl ich gar nicht mehr die Jüngste war damals und auch nicht schön mehr und meine Marietta war schon zwölf Jahre alt. Nämlich das war nicht sein Kind, aber es ist keine Schande dabei und ich darf es sagen; mein erster Verlobter starb, ehe er mir sein Wort halten konnte, als Soldat starb er, in Polen; zu den Bären und in die ewige Kälte haben ihn die Oesterreicher geschleppt und da verkam er im fremden Elend – ach, an allem meinem Unglück ist dieses verdammte Volk schuldig! Nun, dann lernte ich den Tonio kennen und war ihm treu, als wäre ich sein Weib, und dann bekam er sein sicheres Brod und wir konnten heirathen. Das waren glückliche Jahre, obwohl der Lohn sehr gering war – und nur ein dürftiges Stübchen hatten wir bei Porta Torlunga, aber wir hatten doch das nöthige Brod. Auch die Kinder gediehen, nämlich meine Marietta und dann gebar ich dem Tonio noch ein Knäblein, Sandro, und ihm, dem guten Menschen, waren beide Kinder gleich lieb und Alles war gut. Da kam das wilde Jahr und die Österreicher jagten wir fort und nun erst erschien uns das Leben doppelt schön. Aber da kamen sie wieder. Und da sagt mein Tonio: »Jetzt heißt es sich wehren.« Seine Büchse nimmt er fröhlich und lacht: »Nie waren sie recht mit unsrer Arbeit zufrieden, aber jetzt beweisen wir's ihnen, daß die Büchsen doch prächtig taugen!« Und ich und die Marietta gehen mit ihm, zu laden und die Verwundeten zu pflegen und selbst der Sandro, unser sechsjähriges Bübchen, war nicht weit vom Wall. So standen wir d'rin, mitten im Sterben, und da kam auch die Kugel und riß meinem Tonio den Kopf weg und der blutige Rumpf kollerte mir vor die Füße – o weh' . . . Aber ich habe nicht geweint, sondern seine Büchse genützt und ausgeharrt, bis Alles verloren war. Und dann sind wir in unsrem Stübchen gesessen, die Marietta und ich, todttraurig und todtbereit, wie schon gestorben bei lebendigem Leibe, ohne Hoffnung und ohne Furcht. Nur der Sandro hat sich gefreut, wie draußen die Trommeln und Hörner der Sieger immer deutlicher erklungen sind. Und sie raubten und mordeten und wir hörten sie herankommen und da standen sie schon in unserer Stube. Aber da war nichts als die Armuth und nur ein Schatz: die Schönheit und Jugend meines Kindes . . . Oh, ich war ihre leibliche Mutter und ich habe zusehen müssen, ich – einen Knebel im Mund und die Glieder gefesselt – wie sie sie zu Grunde gerichtet haben . . . Oh, ich wollte, ich wäre todt, um nicht mehr d'ran zu denken . . . Im Oktober habe ich dann die Marietta begraben – sechs Monate hat ihr Sterben gewährt – hier neben an ist ihr Grab . . . Ich hätte mir das Leben genommen an jenem Tage und vor Gott hätte ich mich nicht gefürchtet, denn ich wäre vor ihn getreten und hätte ihm gesagt: »Herr! ich rechte nicht mit Dir über mein Leben! – rechte Du mit mir nicht über meinen Tod!« Aber da war noch mein Bübchen, der Sandro, für den mußt' ich ja weiter leben! Und es schien, als erbarmte sich Gott nun meiner: ich fand guten Verdienst als Wäscherin und der Knabe gedieh und ein Prachtbub' war es. Das sagte auch immer unser Pfarrer zu Santa Eufemia, und er sagte: »Das ist ein Kopf! – studiren muß der Bub!« Also studirte er und mit den Kindern der besten Leute ging er um und Alles liebte ihn – ein so hübscher, braver, muthiger Junge. O, mein Sandro! Aber da kam ein schwarzer Tag! Acht Jahre war's, seit mein Tonio gestorben und vierzehnjährig war mein Junge; da ging er einmal durch die Stadt spazieren, mit seinem Kameraden, der heutigen Tags ein Advokat ist in Mailand – ach, was wäre erst mein Sandro geworden! Aber da kamen sie am Broletto vorbei, an der »Torre del Popolo« und sahen zu, wie just die Wache der Schwarzgelben abgelöst wurde. Und da rief der Sandro seinem Kameraden zu: »Sono stanco del governo!«– nichts als diese vier Worte rief er. Aber da faßten sie ihn und führten ihn in's Broletto. Und da läuft der andere Knabe zu seinen Eltern und die schicken zu mir und ich laufe in Todesangst auf die Wache: »Habt Erbarmen – ein Kind! – gebt ihn frei!« Aber da sagen sie: »Er kommt vor ein Kriegsgericht – es ist ein Verbrechen, welches unter das Standrecht fällt.« . . . Das Standrecht! – mir ist das Herz still gestanden – ich wußte, was das für ein Recht war – der Aelteste hat »Tod!« gesagt, die Anderen haben zugestimmt – das war das Recht, welches uns die Oesterreicher gegönnt haben . . . Zum Pfarrer laufe ich und mit ihm zu einem Hauptmann, den er kennt, und wir flehen ihn an und er geht mit uns . . . »Wartet,« sagt er, und erkundigt sich im Broletto. »Er ist nicht mehr hier,« kommt er zurück, »schon im Castell – noch heute tritt das Gericht zusammen!« – »Ueber einen Knaben!« ruf ich. – »Ja!« meint er, »die Soldaten und ein Agent haben ausgesagt, daß er die Wache verhöhnt hat. Nun – das wäre nicht so gefährlich! Aber er hat auf offener Straße und vor Zeugen gerufen, daß er dieser Regierung müde ist, und das ist Hochverrath!« – »Und was geschieht mit ihm?« – Da zuckt der Hauptmann die Achseln und wendet sich schweigend ab. Ich aber eile zum Castell – sie lassen mich nicht ein. Und dann kommt die Dunkelheit und ich liege die Nacht hindurch vor dem Thor und stammle zu Gott in meiner großen Noth. Und dabei tröste ich mich: »es sind ja doch Menschen – sie werden ein Kind wegen vier Worten nicht tödten!«

Die Greisin richtete sich hoch auf, todtbleich war ihr Antlitz, flammend die Augen, heiser, fast unverständlich ihre Stimme: »Aber es waren keine Menschen – es waren Tiger! Als die Sonne aufging, hörte ich drinnen Schüsse fallen und ich ahnte, was sie bedeuteten . . . Ich hatte richtig geahnt – seinen Leichnam gaben sie mir – hier liegt er, unter dieser Erde. – Ein Kind – wegen vier Worten . . . O Gott! ich zürne Dir nicht, aber Eines fordere ich von Dir als mein gutes Recht: daß Du diese Menschen nicht barmherziger richtest, als sie einst mein Fleisch und Blut gerichtet haben . . .«

. . . So die Greisin. Und ich fühle: es ist das Beste, wenn ich ihren Worten nichts hinzufüge. War doch auch in mir nichts, als der dumpfe, schmerzliche, betäubende Nachhall dieser Worte, als ich den Campo Santo verließ und bald darauf die düstere Stadt, die Stadt des Eisens, des Blutes, der Thränen . . .


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