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Elftes Kapitel. Ein Negeraufstand.

Nun hielt unseren Freund eigentlich nichts mehr in Para, und mit aller Macht drängte es ihn zur Heimkehr. Aber über dem Besuche des Grabes hatte er den fälligen Dampfer versäumt und mußte sich nun noch vierzehn Tage in Geduld fassen, bis das nächste größere Schiff nach dem Süden ging. Es war eine harte Geduldsprobe für ihn, denn tiefe Traurigkeit umdüsterte sein ganzes Wesen, die nur durch die rührende Anhänglichkeit Zampas und durch den freundschaftlichen Zuspruch Manuels etwas gemildert wurde. Trotzdem kam sich Helmut ungemein verlassen vor, denn zu viert waren sie ausgezogen von der väterlichen Farm, und nur zwei kehrten zurück, während die beiden andern in der Blüte ihrer Jahre auf grausame Weise dahingerafft waren. Helmut war über all diesen Ereignissen während der letzten Monate aus einem unreifen Jüngling zu einem ernsten Mann geworden, der die Welt mit ganz andern Augen betrachtete als früher. Bald fand er, daß der schönste und würdigste Trost im Unglück die Arbeit sei. Er hatte sich daran gemacht, seine und Doktor Mangolds Tagebücher zu vergleichen und einzelne Kapitel daraus auszuarbeiten. War es zunächst mehr das Pflichtgefühl, das ihn dazu trieb, um das dem verewigten Forscher gegebene Wort einzulösen, so fand er doch selbst bald bei dieser Arbeit eine so tiefe innere Befriedigung, daß er sich nicht mehr davon losreißen konnte, sondern sich mit einem von Tag zu Tag steigenden Interesse immer mehr darein vertiefte. Jedes Stück der Sammlungen, das er prüfend und vergleichend zur Hand nahm, erweckte tausend Erinnerungen und machte vor seinem regen Geiste all die Umstände wieder lebendig, unter denen es erworben worden war. So zog in der Erinnerung wie in einem verklärten Scheine nochmals die ganze abenteuerliche und gefahrvolle Reise an ihm vorüber.

Bei vielen Stücken war Helmut freilich bezüglich der wissenschaftlichen Bestimmung im Zweifel, denn er war ja noch ein junger, unerfahrener Anfänger und ohne tiefere wissenschaftliche Vorkenntnisse. Da hörte er zu seiner Freude, daß in Para ein großes Museum vorhanden sei, und nun pilgerte er täglich dorthin, um seine Schätze mit den dort aufgestapelten und genau bestimmten zu vergleichen. So vertieft war er in diese anregende Beschäftigung, daß er gar nicht bemerkte, wie ihn öfters ein hochgewachsener alter Herr mit langem Vollbart und silbernen Locken mit dem Ausdrucke des Erstaunens, aber auch des Wohlwollens musterte. Eines Tages aber sprach ihn der alte Herr an.

»Entschuldigen Sie, wenn ich Sie bei Ihren Studien unterbreche, aber es ist in unserem Museum eine solche Seltenheit, daß jemand eingehendere wissenschaftliche Studien macht, daß man doch gern wissen möchte, mit wem man es eigentlich zu tun hat.«

Etwas verwirrt stellte Helmut sich vor. »Ich bin der Professor Naegli,« versetzte der alte Herr, »gebürtiger Schweizer, aber schon seit langen Jahren Direktor dieses Museums, das aus kleinen Anfängen geschaffen wurde, jetzt aber in erfreulichem Aufblühen begriffen ist. Ich sehe an Ihren Sachen, daß sie nicht in unserer Gegend gesammelt wurden, sondern von weit her kommen, und ich glaube, es ist manches Stück darunter, das uns im Museum noch fehlt, und das ich deshalb gern für unsere Sammlungen erwerben würde. Im übrigen stehen Ihnen natürlich alle unsere Hilfsmittel mit Vergnügen zu Gebote, denn es macht mir immer besondere Freude, junge Forscher zu unterstützen.« »Wenn unter meinen Sachen etwas ist, was Sie brauchen können, so sehe ich es natürlich selbst am liebsten, wenn es einem brasilianischen Institut zugute kommt,« erwiderte Helmut.

So ging das Gespräch hin und her und wurde auch an den folgenden Tagen fortgesetzt. Helmut konnte daraus seine Kenntnisse in ungeahnter Weise bereichern und die wertvollsten Anregungen für seine im Entstehen begriffene Arbeit empfangen. Er faßte unbegrenztes Zutrauen zu dem würdigen Gelehrten und erzählte ihm auf Befragen den ganzen Verlauf seiner Expedition.

»Ich beglückwünsche Sie dazu aufrichtig,« sagte der Professor, »und möchte Sie bitten, die Ihnen hier noch verbleibenden Tage doch dazu zu benutzen, wenigstens ein Kapitel Ihres Materials nach Möglichkeit auszuarbeiten und es mir zur Durchsicht zu übergeben.«

Freudig nahm Helmut diesen ihm hochwillkommenen Vorschlag an, und er errötete vor Stolz, als ihm Professor Naegli nach Durchsicht des Manuskriptes sagte:

»Wahrlich, junger Freund, Sie haben das Zeug dazu, ein tüchtiger Naturforscher zu werden. Verrät auch Ihre Arbeit den Anfänger, und weist sie mancherlei bedenkliche Lücken in den Vorkenntnissen auf, so zeugt sie doch von scharfer Beobachtungsgabe und gesunder Urteilskraft. Bleiben Sie also nur ruhig dabei, sich dem Studium der Naturwissenschaften zu widmen, wie Sie es ja vorhaben. Machen Sie diese Arbeit fertig, erweitern und ergänzen Sie dabei auch Ihre Vorkenntnisse, und ich bin überzeugt, daß Sie sich damit einen guten Namen machen werden, denn die von Ihnen besuchten Gegenden sind ja teilweise noch von gar keinem Naturforscher betreten worden, und Sie werden deshalb viel Neues bieten können.«

»Wenn ich nur,« entgegnete Helmut zögernd, »auch sicher wäre, daß ich die mir fehlenden Grundlagen in nicht zu langer Zeit nachholen kann, aber das ist es, woran ich zweifle. Ich war bisher Soldat, Landwirt und Jäger und habe mich vor der Bekanntschaft mit Doktor Mangold herzlich wenig um die Wissenschaften gekümmert, und auch meine Schulbildung mag wohl vieles zu wünschen übrig lassen. Ich fürchte, daß ich eine klägliche Rolle spielen würde, wenn ich etwa nach Europa hinüber ginge und versuchen wollte, mir auf einer der deutschen Universitäten die nötigen Kenntnisse anzueignen.«

»Aber das ist ja auch gar nicht nötig, zumal Sie ja doch später nach Brasilien zurückkehren wollen. Sie würden in Europa nur fremde Begriffe einsaugen, die für unsere Verhältnisse passen wie die Faust aufs Auge. Brasilien bietet dem, der es mit der Wissenschaft ernst meint, heute selbst Bildungsmöglichkeiten genug. Gehen Sie auf einige Semester nach Rio oder Pernambuco, und dann kommen Sie als Assistent zu mir, und ich will Ihnen schon den nötigen naturwissenschaftlichen Schliff beibringen. Sie wollen ja praktisch im Interesse unserer Landwirtschaft arbeiten, und da müssen Sie Ihre Kenntnisse auch im Lande selbst sammeln, denn die europäischen Verhältnisse sind von den unsrigen doch gar zu verschieden. Ich zweifle nicht daran, daß Sie sich durchsetzen werden, denn bei uns kommt es vor allem auf praktische Kenntnisse an und nicht auf graue Theorien. Jene aber kann jeder erreichen. Sehen Sie einmal das Fräulein an, das drüben in dem andern Zimmer arbeitet. Es ist eine Landsmännin von mir, Fräulein Schneitlach. Trotz ihrer holden Weiblichkeit bereits mit dem Doktortitel geschmückt. Sie werden ihr's kaum ansehen, daß sie schon ganz selbständig die tollkühnsten Expeditionen nach dem oberen Amazonenstrom gemacht hat, um unsere Sammlungen zu bereichern, und ich meine, was diesem zarten Mädchen möglich war, wird doch für einen so forschen und kampfgestählten jungen Mann wie Sie keine Unmöglichkeit sein.«.

Solches Zureden bestärkte unsern Freund immer mehr in seinem Entschlusse, und es stand nun bei ihm fest, welche Laufbahn er einzuschlagen, und wie er sich seine nächste Zukunft zu gestalten habe. Auf diese Weise war die lange Wartezeit weit angenehmer verstrichen, als er zu hoffen gewagt hatte, und fast fuhr er wie aus einem schönen Traum auf, als eines Tages die Ankunft des erwarteten Dampfers gemeldet wurde. Zampa hatte schon gepackt, und so konnte Helmut nach herzlichem Abschied von dem freundlichen Professor alsbald an Bord gehen. Auch Manuel war schon dort, denn er wollte mit dem gleichen Schiffe nach dem Süden fahren, zunächst allerdings nur bis Pernambuco. Er bat und drängte Helmut so lange, bis dieser einwilligte, in Pernambuco gleichfalls einen Dampfer zu überspringen. Leicht fiel ihm dieser Entschluß ja nicht, denn die Sehnsucht seines Herzens zog ihn mit aller Macht nach dem Elternhaus. Aber doch brachte er es nicht übers Herz, dem treubewährten Freunde die Bitte abzuschlagen. Manuel wollte seinen Onkel, einen großen Zuckerplantagenbesitzer bei Pernambuco, besuchen, denselben, bei dem er sich nach seiner Flucht aus Rio de Janeiro aufgehalten hatte, und Helmut merkte aus den begeisterten Schilderungen, die der Brasilianer von der Tochter seines Onkels entwarf, recht gut, welcher Magnet den Freund eigentlich dorthin zog. Außerdem interessierte es ihn vom landwirtschaftlichen Standpunkte aus, den Betrieb in einer solchen Zuckerplantage kennen zu lernen.

Das Schiff, das die beiden benutzten, war zu Helmuts Freude einer der prachtvollen deutschen Riesendampfer, wie sie von unsern Hansastädten aus die ganze Küste Südamerikas befahren. Hier bekam Helmut einen Luxus und eine Eleganz zu sehen, wie sie ihm selbst in Rio nicht begegnet war, und lernte ein Wohlleben kennen, von dem er sich nichts hatte träumen lassen. Das Ganze glich einem schwimmenden Palast, der bis in die kleinsten Einzelheiten hinein mit feinem und künstlerischem Geschmack ausgestattet war. Auf der Speisekarte standen Gerichte, die ihm ebenso fremd waren wie die, die er vor Monaten aus den Kochtöpfen der Indianer am Xingu gefischt hatte, aber etwas besser schmeckten sie doch, und für den nötigen Appetit sorgte schon die frische, salzgeschwängerte Seeluft, die auch das Gute hatte, bei unserem Freunde bald die letzten Reste des Fiebers zu verscheuchen und ihm seine jugendkräftige Gesundheit vollends zurückzugeben. Interessant war auch die bunte Mischung der Reisenden, vom armen italienischen Auswanderer angefangen bis hinauf zum blasierten englischen Weltenbummler. Alle nur erdenklichen Kultursprachen schwirrten über Deck, das fast täglich der Schauplatz froher geselliger Veranstaltungen war, und mit neu erwachter Lebenslust nahm auch Helmut auf Manuels Drängen daran teil.

So wurde Pernambuco, der am weitesten nach Osten vorspringende Punkt der brasilianischen Küste erreicht, ohne daß man auch nur für eine Stunde Langeweile empfunden hätte. Vor der Küste erstreckte sich hier in unübersehbare Fernen ein mächtiges Riff wie eine Mauer, gegen das die Wogen mit wildem Anprall haushoch anbrandeten. Eine nur hundert Meter breite Lücke klaffte dazwischen, durch die die Schiffe bei der Flut in den schönen Hafen gelangen konnten. Der sich ans Gestade schließende Stadtteil war das Geschäftsviertel und bot mit seinen alten, unschönen Häusern und den engen, winkeligen Straßen keinen sehr angenehmen Anblick. Übel riechende Dünste entströmten den düsteren und winkligen Bureaus der Großfirmen, in denen schon mancher europäische Kaufmann sich das gelbe Fieber geholt hat, der hierher kam, um rasch Reichtümer zu sammeln. Hübscher nahmen sich die weiter landeinwärts gelegenen Stadtviertel mit ihren buntgestrichenen Häuschen und freundlichen Gärten aus. Auffallend war in dem Straßenleben die große Zahl der Neger, die sich hier recht wohl zu fühlen schienen, denn überall herrschte Frohsinn und Gesang, Lustigkeit und die größte Ungebundenheit. Auch hier trugen die zahlreichen Straßenverkäuferinnen alles auf dem Kopfe, und diese Gewohnheit war den Leuten so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, daß zur Belustigung Helmuts sogar die Mulattin, die im Gasthause den bestellten Kaffee brachte, mit eingestemmten Armen das winzige Täßchen auf ihrem Kopfhaar balancierte, ohne daß ein Tropfen verloren ging. Der aufrechte und anmutig schwebende Gang dieser Leute wurde aber vielleicht gerade durch diese Gewohnheit erklärlich. Lange konnten sich die Freunde nicht in der Stadt aufhalten, sondern mieteten alsbald Maultiere und ritten auf diesen durch den anmutigen Badeplatz Olinda eine Tagereise weit ins Innere, um die Farm von Manuels Onkel Dom Tiago zu erreichen.

Inmitten ausgedehnter Zuckerrohrfelder erhob sich ein geradezu schloßartiges, märchenhaft schimmerndes Gebäude mit großen Spiegelscheiben und unzähligen Veranden, Erkern und Balkons, daran anschließend ausgedehnte Wirtschaftsgebäude, in denen sich über hundert Schwarze geschäftig tummelten. Die innere Ausstattung der Gemächer entsprach freilich nicht ganz dem prunkvollen Äußeren, denn die Zahl der Möbel war verhältnismäßig gering und die besseren Stücke schienen alle schon aus älterer Zeit zu stammen. Helmut kannte diese Eigentümlichkeit des brasilianischen Haushaltes ja auch schon von den Südprovinzen her, und er hütete sich auch, früher gemachten Erfahrungen gemäß, wohl, einen Blick in die Küche zu werfen, damit ihm die dort herrschende Unsauberkeit und die unzähligen, daumenlangen Riesenschaben nicht den Genuß der in prachtvollen Schüsseln aufgetragenen und sonst appetitlich zubereiteten Speisen verekeln sollten. Mit großer Herzlichkeit wurden die Ankömmlinge aufgenommen, und das Haus schien überhaupt äußerst gastfrei zu sein, denn es waren außerdem wohl noch zwanzig Logiergäste anwesend, meist junge Männer, von denen unschwer zu erraten war, daß sie hauptsächlich der schönen Angela halber hier weilten. Die schien sie freilich alle nur zum Narren zu haben und ihre losen Possen mit ihnen zu treiben. Im vertrauten Kreise hieß sie die »Wildkatze«, und man konnte diesen Namen verständlich finden, wenn man ihre ausgelassene Ungebundenheit beobachtete und ihre funkelnden Augen sah, in denen es von tausend losen Schelmenstreichen nur so wetterleuchtete. Dabei war sie von unglaublicher körperlicher Gewandtheit, geschmeidig wie eine Katze, ein loser Irrwisch, dessen silbernes Lachen überall da ertönte, wo man es am wenigsten vermutete, eine tollkühne Reiterin und sichere Pistolenschützin – das echte Kind des tropischen Großpflanzers aus der guten, alten Zeit.

Aber diese guten Zeiten schienen auch im Staate Pernambuco vorüber zu sein. Wenigstens konnte der alte Tiago nicht genug klagen, wenn er auf die wirtschaftlichen Verhältnisse zu sprechen kam, wobei er zu seiner Freude an Helmut einen aufmerksamen Zuhörer fand, während das übrige junge Volk wenig Sinn für dergleichen hatte.

»Früher,« so meinte er, »führten wir nicht umsonst den Namen Zuckerbarone, und nicht nur in Rio, sondern auch in Lissabon und Paris waren wir den großen Hotels die willkommensten Gäste, weil wir etwas draufgehen ließen und man sich von unserm Reichtum wahre Wunderdinge erzählte. Wie groß unsere Besitzungen eigentlich waren, wußten wir selbst kaum, denn niemand ließ sie vermessen. Bei den großen Bankhäusern genossen wir unbeschränkten Kredit, und nach der Ernte rechneten unsere Verwalter einfach mit ihnen ab, ohne daß wir uns viel darum zu kümmern brauchten. Allerdings wäre es für so manchen doch wohl besser gewesen, wenn er dies getan hätte. Betrogen und bestohlen worden sind wir ja von allen Seiten her wohl ganz gehörig. Aber damals schöpfte man eben aus dem Vollen und meinte, es müsse immer so weiter gehen. Auf Kleinigkeiten kam es ja gar nicht an. Und heute? Ach du lieber Gott! Zu Europareisen langt's schon längst nicht mehr. In Rio borgt uns kein Geschäftsmann auch nur einen Conto (etwa 2000 Mark), und die Hotelbesitzer machen süßsaure Gesichter, wenn wir vorsprechen, und sehen uns lieber gehen als kommen.«

»Wodurch ist denn dieser bedauerliche Niedergang eigentlich zu erklären?« erkundigte sich Helmut.

»Ja, es ist halt Vieles zusammengekommen, um den ›reichen Onkel aus Brasilien‹ nachgerade zu einem Ammenmärchen zu machen. Ganz besonders waren es aber zwei Gründe. Der eine davon ist das Aufkommen und die rasche Ausdehnung der Rübenzuckerindustrie in Europa, das bis dahin größtenteils auch auf unsern Rohrzucker angewiesen war. Der kann aber mit dem europäischen Rübenzucker den Wettbewerb nicht aufnehmen, schon deshalb nicht, weil wir nicht genügend gute Maschinen besitzen, um den Zuckergehalt des Rohres richtig auszunutzen. Der beträgt nämlich zwar chemisch 10 bis 20 Prozent, aber bei unserer Fabrikationsmethode werden davon in Wirklichkeit nur 4-1/2 bis 5, allerhöchstens 6 Prozent gewonnen, der größere Teil dagegen geht ungenutzt verloren. Die europäische Zuckerrübe hat zwar nur 6 bis 12 Prozent Zuckergehalt, dieser aber wird bei den raffinierten dortigen Gewinnungsmethoden bis zum letzten Atom ausgenutzt. So kann gar keine Rede mehr davon sein, unsern Rohrzucker wie früher in ganzen Schiffsladungen nach der Alten Welt auszuführen, sondern wir müssen froh sein, wenn wir dafür im eigenen Lande noch Abnehmer finden, denn bereits dreht Europa den Spieß um und überschwemmt Südamerika mit billigem Rübenzucker, dessen wir uns nur durch hohe Zollsätze erwehren können. Dadurch sind aber die Zuckerpreise auch im Lande derart gedrückt worden, daß sich der Anbau des Zuckerrohrs gar nicht mehr verlohnt, weil kaum noch die Erzeugungskosten herauskommen. Mancher kleinere Pflanzer ist schon ganz zugrunde gegangen, und die größeren führen unter mühsamer Wahrung des äußeren Glanzes ein elendes Scheindasein, bis auf die wenigen, die klug genug waren, sich in den Zeiten des Überflusses etwas zurückzulegen für knappe Jahre, wie sie nun so überraschend schnell und gründlich gekommen sind. Die meisten aber haben daran kaum gedacht, lebten sorglos in den Tag hinein, ließen sich Weihrauch streuen und sich von Schmarotzern ausnützen, nahmen die ihnen dargebrachten Huldigungen, die doch in Wahrheit nur ihrem Reichtum galten, als etwas Selbstverständliches entgegen und spielten mit Behagen den Grandseigneur, wie es dem Brasilianer ja so wohl ansteht.«

»Und der zweite Grund?«

»Der zweite Grund, mein Herr, das war das Gesetz über die Aufhebung der Negersklaverei. Sie als moderner Mensch mögen ja darüber wohl andere Anschauungen haben als ein Pflanzer der alten Schule. Übrigens denke ich unparteiisch genug, um mir zu sagen, daß die Sklaverei nicht mehr in unsere Zeit hineinpaßt, und daß deshalb ihre Beseitigung ein dringendes Erfordernis war. Nur so plötzlich hätte sie nicht kommen dürfen, sondern hätte langsam und schrittweise geschehen müssen, damit für alle Teile genügend Zeit geblieben wäre, sich in die neuen Verhältnisse hineinzufinden. Da aber keinerlei Übergangsstadium stattfand, sind die Neger, die mit der ungewohnten Freiheit zunächst nichts Rechtes anzufangen wußten, dadurch vorläufig wohl schwerlich viel glücklicher geworden, sicherlich aber viele Pflanzer verarmt oder ganz zugrunde gegangen, indem ihnen mit einem Schlage die zum Betrieb ihrer großen Unternehmungen unbedingt nötigen Arbeitskräfte entzogen wurden. Sie dürfen da nicht nach den Verhältnissen in den deutschen Ansiedlungen unserer Südstaaten urteilen. Dort haben Sie verhältnismäßig kleine Güter, und der deutsche Kolonist hat in seinen eigenen Familienangehörigen die besten und billigsten Arbeitskräfte, mit denen er, wenn's sein muß, das Nötigste selbst bewältigen kann. Alles dies trifft aber in den ausgedehnten Großbetrieben, wie sie der Zuckerrohrbau notgedrungen mit sich bringt, keineswegs zu. Früher hatten die großen Zuckerbarone so viel Schwarze auf ihren Gütern, daß sie die Zahl meist selbst nur annähernd kannten, jedenfalls von einem Mangel an Arbeitskräften nie die Rede sein oder ein solcher durch Ankauf weiterer Sklaven doch sofort behoben werden konnte. Nach Aufhebung der Sklaverei aber trat bei den Schwarzen sofort eine förmliche Landflucht ein, und sie wanderten massenhaft nach den großen Hafenstädten aus, weil sie dort ihr Brot auf bequemere Weise verdienen zu können und außerdem mehr Lustbarkeiten vorzufinden glaubten, ohne die dieses lebenslustige Völkchen ja nun einmal nicht zu existieren vermag. Die auf den Gütern verbleibenden Neger wurden aus leibeigenen Sklaven zu freien Pächtern oder Handarbeitern. Wir handhaben es jetzt hier zumeist so, daß die Schwarzen unentgeltlich ein beliebig großes Stück Land – an solchem fehlt's ja hier nicht – bebauen dürfen, dann das geerntete Zuckerrohr auf die Herrenhöfe bringen, wo es verarbeitet wird. Von dem gewonnenen Produkt erhalten dann Gutsherr und Pächter je die Hälfte. Viel kommt aber bei dieser Methode nicht heraus, und jedenfalls stehen sich die Nigger dabei entschieden besser als wir Großgrundbesitzer, die wir überdies die größte Mühe haben und es uns schweres Geld kosten lassen müssen, um auch nur das nötigste Gesinde für Haus und Stallungen zu bekommen. Trotz alledem sind die Schwarzen nicht zufrieden, sondern es ist ein ihnen früher fremder aufsässiger Geist in sie gefahren, so daß wir für unsere Sicherheit mehr besorgt sein müssen als früher zur Zeit der Sklaverei.«

Helmut konnte als sittlich empfindender Mensch zwar die Ansichten des alten Pflanzerbarons über die wirtschaftliche Berechtigung der Sklaverei nicht teilen, da nach seinem Empfinden sich jeder durch eigene Arbeit den Lebensunterhalt zu erwerben habe, aber er empfand doch, daß man nicht alles nach einer Schablone beurteilen dürfe, und konnte, selbst ein Landwirtsohn, praktisch in mancher Beziehung seinem Partner nicht ganz unrecht geben. Auch ihm war in den wenigen Tagen seines Aufenthaltes auf der Plantage schon aufgefallen, wie unbotmäßig und widerwillig die Schwarzen sich beständig benahmen, und er machte auch eine diesbezügliche Äußerung zu Herrn Tiago.

»Nun, allzu tragisch darf man dergleichen nicht nehmen,« meinte dieser etwas leichthin. »Zwar mein Verwalter hat mir auch schon gesagt, daß sich der Ausbruch einer Revolte vorbereite. Aber ich vermag es nicht zu glauben. Ich darf wohl mir und meiner ganzen Familie das Zeugnis ausstellen, daß wir die Nigger immer gut und menschlich behandelt haben. Schon als sie noch Sklaven waren. Umso mehr jetzt, wo man die Kerle ja förmlich mit Glacéhandschuhen anfassen und sie in Watte wickeln möchte, nur damit sie einem nicht davonlaufen und man doch noch ein paar Arbeitskräfte auf dem Hofe behält. Im allgemeinen kann ich daher wohl sagen, daß wir bei den Leuten beliebt sind und sie uns in ihrer Art gern haben, wenn auch vielleicht ein paar berufsmäßiger Hetzer und Unruhestifter, an denen es ja nirgends fehlt, sie aufzuwiegeln versuchen. Namentlich meine Tochter, eine so wilde Hummel sie sonst auch sein mag, verdient durchaus ihren Namen, der auf deutsch so viel wie Engel bedeutet, sobald sie die Hütten der Neger betritt, und hat diesen schon unendlich viel Gutes erwiesen. Und ganz undankbar ist auch der Neger nicht. Überdies wüßte ich wirklich nicht, welchen Grund zur Unzufriedenheit die Schwarzen eigentlich haben könnten, denn es geht ihnen doch wirklich vortrefflich, und sie haben in Hülle und Fülle alles, was nach ihrer Auffassung zum Leben nötig ist. Nein, mein Verwalter sieht am hellen Tage Gespenster, und Sie haben sich ein wenig von ihm anstecken lassen. Freilich soll man der Bestie, die im Innern dieser schwarzen Menschen sitzt, nie recht trauen, aber zu offenem Aufruhr lassen sie es doch nicht kommen. Dazu sind sie viel zu feige, und dazu ist ihnen der Respekt vor der Überlegenheit der weißen Rasse viel zu sehr in Fleisch und Blut übergegangen. Und sollten sie es wirklich darauf ankommen lassen, nun, dann sind unsere Flinten und Revolver da, um sie schleunigst wieder zur Vernunft zu bringen.«

Der ganze Rassenhochmut des großmächtigen brasilianischen Pflanzerbarons, die ganze Verachtung der elenden Nigger leuchtete bei diesen Worten aus den energischen Augen des alten Herrn, und Helmut, der ja auch nicht näher über die Verhältnisse unterrichtet war, hielt es für zwecklos, ihm weiter zu widersprechen.

Unter kleinen Jagdausflügen, Spazierritten in die paradiesisch schöne Umgebung, Picknicks, musikalischen Abenden und andern geselligen Veranstaltungen verfloß ihm der Aufenthalt auf der gastlichen Fazenda rasch genug und in der angenehmsten Weise, und ehe er es sich versah, hatte die Stunde des Abschiednehmens geschlagen, wenn er noch rechtzeitig den Dampfer in Pernambuco erreichen wollte. Manuel konnte sich natürlich nicht so rasch von seiner angebeteten Cousine trennen und wollte daher seinen Besuch noch verlängern, aber er ließ es sich nicht nehmen, dem Freunde noch etwa drei Reitstunden weit das Geleit zu geben, und auch alle andern jungen Herren waren gern mit von der Partie. So war es eine stattliche und malerische Kavalkade von etwa zwanzig Reitern, die an einem schönen Morgen zum Tore der Fazenda hinaussprengte. Der Ritt auf trefflichen Pferden und leidlichen Wegen durch den morgenfrischen Wald war herrlich und rief bei allen die fröhlichste Stimmung hervor. Als man sich müde geritten hatte und die Sonne erbarmungsloser vom blauen Himmel herniederbrannte, machte man auf einer schönen Waldlichtung Halt, ließ die Pferde grasen, zündete ein Feuer an und packte aus den umfangreichen Satteltaschen die mitgenommenen Lebensmittel und Getränke aus, um noch ein großes Abschiedsessen zu feiern. Dabei ging es so vergnügt her, daß man gar nicht auf die rasch verfliegenden Stunden achtete, während eine Runde und ein Trinkspruch dem andern folgte. Namentlich Helmut und Manuel konnten sich gar nicht trennen, so daß ersterer erschrocken zusammenfuhr, als ihn ein Blick aufwärts darüber belehrte, wie tief die Sonne schon über den Wipfeln des Urwaldes stand. Nun trieb er aber ernstlich zum Aufbruch. Die Pferde wurden eingefangen, und man war eben im Begriff, sie zu besteigen, Abschied zu nehmen und sich nach verschiedenen Richtungen zu trennen, als die Hufschläge eines wie wahnsinnig galoppierenden Rosses sich auf dem trockenen Waldboden vernehmen ließen. Überrascht blickten alle auf, und unwillkürlich versicherte sich jeder, daß seine Waffen in Ordnung waren. Rasch kamen die Hufschläge näher, Zweige knackten, und grenzenloses Erstaunen malte sich in aller Gesichtern, als nun die Büsche sich teilten und auf schäumendem Roß mit fliegenden Haaren die schöne »Wildkatze« auf die Lichtung heraussprengte.

Sie ließ den Herren keine Zeit zu langen Erklärungen.

»Folgen Sie mir alle so rasch als möglich!« rief sie atemlos, mit vor Erregung schriller Stimme. »Auf der Fazenda ist ein großer Negeraufstand ausgebrochen. Schon ist Blut geflossen, und die Unsrigen sind in bedrängter Lage. Vorwärts, was die Pferden laufen können!«

Damit warf sie auch schon ihren feurigen Hengst herum und sauste mit Windesschnelle den eben gekommenen Weg zurück. Bestürzt folgten ihr sämtliche Herren, Manuel an der Spitze. Was blieb unserm Helmut übrig, als sich mit seinem getreuen Zampa der wilden Jagd ebenfalls anzuschließen, auf die Gefahr hin, dadurch den Dampfer in Pernambuco zu versäumen und die heiß ersehnte Rückkehr ins Elternhaus abermals um vierzehn Tage zu verzögern? Aber unmöglich durfte er den Freund und den gastfreien Fazendero in einer so kritischen Lage im Stiche lassen. Bald war er wieder an Manuels Seite, und beide nahmen die schöne Angela in die Mitte, die ihnen nun während des Galoppierens in kurzen, atemlosen Sätzen das Vorgefallene erzählte. Daraus erfuhren unsere Freunde zu ihrem Schrecken folgendes. Die im Nachstehenden geschilderten grauenvollen Ereignisse sind nicht etwa Phantasien oder Übertreibungen, sondern streng historisch (Vergl. Lamberg, Brasilien). Das Gleiche gilt auch von den meisten anderen Episoden in diesem Buche.

Seit der Revolution, über deren Ursachen und Verlauf die Neger nur ganz ungenügend unterrichtet waren, hatte sich der Schwarzen auf den Fazendas große Erregung bemächtigt. Es waren Abenteurer in der Umgegend aufgetaucht, die sie aufhetzten und ihnen vorspiegelten, es sei die Zeit der Güterteilung gekommen, und die Plantagenbesitzer müßten die von den Farbigen bewirtschafteten Ländereien diesen nun ganz abtreten. Diese schlimme Saat hatte schlimmere Früchte getragen, als Tiago in seinem Optimismus, den übrigens alle seine Nachbarn teilten, geglaubt hatte. Es hatte aber doch mächtig gegärt unter den Schwarzen, und es mochten wohl ähnliche Zustände eingetreten sein wie im mittelalterlichen Deutschland beim Ausbruch der großen Bauernkriege. Offenbar hatten die Neger die Entfernung fast sämtlicher Männer aus der Fazenda als den günstigsten Augenblick zum Losschlagen betrachtet. Nach dem Abreiten der Kavalkade hatten sie sich zusammengerottet und drohende Rufe ausgestoßen. Der Verwalter Apollonio, ein furchtloser und herkulisch gebauter Mann, war daraufhin mit Revolver und Machete aus seiner in einem Nebengebäude gelegenen Wohnung in den Hof unter die Tobenden getreten, aber von den blutlechzenden Schwarzen sofort wütend angegriffen worden. Den Rücken durch seine Haustüre gedeckt, hatte er sich heldenmütig verteidigt und die vordersten Angreifer niedergeschossen, aber die sonst so feigen Neger waren nicht zurückgewichen, sondern schienen es auf einen Kampf auf Leben und Tod ankommen lassen zu wollen. Apollonios rechte, mit dem Revolver bewaffnete Hand war durch einen furchtbaren Beilhieb vom Körper getrennt worden. Trotz der fürchterlichen Verwundung und dem kolossalen Blutverlust hatte der riesenstarke Mann doch noch so viel Kraft besessen, sich auf den gefährlichsten Gegner zu werfen, ihm mit eisernem Griff der Linken den Hals zuzuschnüren und ihn dann mitten unter seine Genossen zu werfen. Dann war der Tapfere mit dem Machete in der linken Hand unter diese gesprungen und hatte wie ein Wahnsinniger um sich gehauen. Der Anblick dieser Berserkerwut des verstümmelten Riesen mußte so grauenvoll gewesen sein, daß die Neger von panischem Schrecken ergriffen wurden und schreiend davonstoben. Des Verwalters Frau hatte ihnen aus dem Fenster noch ein paar Schüsse aus dem Doppelgewehr nachgeschickt und dann ihren schwer verletzten Mann zur Tür hereingezogen und ihm einen notdürftigen Verband angelegt. Das alles hatte Angela durch die brave Verwaltersfrau, eine Mulattin, erfahren, die unmittelbar danach ins Schloß geeilt war, um Meldung zu machen. Die zahlreichen weiblichen Dienstboten des Schlosses hatten sich auch in ihrem großen Schlafsaale zusammengerottet und mit der Zerstörung der Einrichtung begonnen. Als Angela den Lärm gehört hatte, hatte sie sofort in der Waffenkammer einen Revolver zu sich gesteckt und war furchtlos unter die erregten Weiber getreten. Die hatten ihr zugeschrieen, daß von jetzt an die Schwarzen Herren des Landes seien und alle Weißen sterben müßten. Ein widerliches, vierschrötiges Weib hatte gleich zu einem großen Küchenmesser gegriffen und war auf Angela losgestürzt, mit den Worten, daß mit ihr gleich der Anfang gemacht werden müsse. Aber Angela hatte die Megäre kaltblütig niedergeschossen und die dadurch entstehende Verwirrung benutzt, mit einem raschen Satz den Saal zu verlassen, die schwere Tür zu verriegeln und dadurch sämtliche Negerinnen einzusperren, so daß sie ihrer Enttäuschung und ihrer Wut nur durch ein wahrhaft tierisches Geheul Luft machen konnten. Der Hausherr hatte von all diesen Vorgängen in seinem auf der andern Seite des weitläufigen Gebäudes gelegenen Arbeitszimmer nichts wahrgenommen und erfuhr erst jetzt durch seine Tochter davon. Aber immer noch wollte er nicht recht an die volle Gefährlichkeit der Lage glauben. Immerhin waren einige Vorsichtsmaßregeln getroffen worden. Das Erdgeschoß ließ sich glücklicherweise durch schwere Fensterläden und Eisenstangen verbarrikadieren und das eiserne Haupttor konnte jedem Angriffe der Schwarzen Trotz bieten. So hatte man sich in den Oberstock zurückgezogen, und der Hausherr hatte die Damen nebst einigen treu gebliebenen Dienern in zwei Eckzimmern des einen Flügels untergebracht, während er selbst allein von seinem Arbeitszimmer aus die andere Seite überwachen wollte. Den geladenen Revolver hatte er neben sich auf den Schreibtisch gelegt. Angela aber hatte sich schleunigst auf das beste Pferd geworfen, war glücklich, und ohne bemerkt zu werden, durch einen seitlichen Ausgang ins Freie gelangt und fast ununterbrochen galoppiert, um die Herrenkavalkade einzuholen und zur Hilfe herbeizuführen.

Bewundernd blickten die beiden Freunde während dieser stoßweise vorgetragenen Erzählung auf die biegsame Gestalt des tapferen Mädchens, das so fest und sicher im Sattel saß. In rasender Eile jagte man dahin und legte so den am Vormittag gemachten Weg in unglaublich kurzer Zeit zurück. Die allgemeine Unruhe und Besorgnis wurde noch gesteigert, als man weithin leuchtenden Feuerschein am Horizonte bemerkte. Aber Angela erklärte mit Sicherheit, daß dieser nicht vom Schloß herrühren könne, sondern daß die Schwarzen wahrscheinlich die ausgetrockneten Zuckerrohrfelder angezündet hätten. Als man in der Nähe des weitläufigen Parkes angekommen war, wurde Halt gemacht, um einen kurzen Kriegsrat zu halten. Helmut als der Kampfgeübteste wurde gebeten, den Befehl zu übernehmen, und er traf auch mit rascher Entschiedenheit die zweckmäßigsten Anordnungen, denen sich alle willig fügten. Da zwanzig mit Doppel- und Repetierbüchsen bewaffnete Männer, alles gute Schützen und erprobte Jäger, vorhanden waren, verfügte er immerhin über eine ganz ansehnliche Streitmacht. Er hieß alle absteigen und nur Zampa zur Bewachung der Pferde zurückbleiben. Dann schickte er fünf Mann unmittelbar nach dem Schlosse, wo sie vor allem dessen Bewohner beschützen und dann an den nach dem Wirtschaftshofe gehenden Fenstern der Rückseite Stellung nehmen sollten. Je weitere fünf Mann wurden von beiden Seiten nach dem Wirtschaftshofe geschickt, um die Schwarzen in beiden Flanken zu packen. Diese Abteilungen sollten den Kampf eröffnen, und die andern erhielten strengen Befehl, nicht eher zu schießen, als bis dies geschehen sei. Die letzten fünf Mann endlich sollten in den Park eindringen und hier den umzingelten Negern den Rückzug abschneiden. Alles das wurde rasch und geräuschlos ausgeführt, so daß der Plan vollkommen gelang.

Angela hatte sich natürlich der Abteilung angeschlossen, die ins Schloß selbst eindrang. Eine unerklärliche Besorgnis um ihren Vater hatte sie ergriffen, die noch erheblich gesteigert wurde, als sie eine am Fenster seines Arbeitszimmers angelehnte Leiter erblickte. Während die Männer sich nach dem Flügel begaben, wo die Frauen und weißen Diener hinter verschlossenen Türen in banger Angst der Erlösung harrten, war Angela in fliegender Eile nach dem Zimmer ihres Vaters gestürzt. Dort aber hatte sich inzwischen etwas Furchtbares abgespielt. Während der Hausherr etwas allzu sorglos im Lehnsessel an seinem Schreibtisch saß, war plötzlich der Kopf eines Negers im geöffneten Fenster aufgetaucht. Sofort knallte auch der Revolverschuß des Plantagenbesitzers, verfehlte aber leider sein Ziel. Zu einem zweiten Schusse war er, wie später die Untersuchung des Revolvers ergab, gar nicht mehr gekommen, denn blitzschnell mußten sich seine Gegner auf ihn gestürzt und ihn niedergestochen haben. Als Angela jetzt das Zimmer betrat, bot sich ihr beim schwachen Dämmerschein der brennenden Zuckerrohrfelder ein so grauenvoller Anblick, daß es ihr kalt durch Mark und Bein rieselte und ein entsetzlicher Schrei sich von ihren Lippen losrang. Ein satanisch grinsender Neger, vom Blute seines Opfers überströmt, war nämlich gerade damit beschäftigt, das Haupt des alten Herrn vom Rumpfe zu trennen, während ein zweiter die Finger des noch zuckenden Körpers mit seinem Messer bearbeitete, um sich der kostbaren Ringe zu bemächtigen. Wie eine gereizte Löwin war Angela mit einem Satze im Zimmer und streckte mit zwei sicheren Schüssen ihres Revolvers die beiden menschlichen Ungeheuer nieder. Ihrer Sinne kaum noch mächtig, warf dann das Mädchen die Waffe von sich und sank schluchzend und aufs tiefste erschüttert neben dem Leichnam ihres Vaters nieder und faltete die Hände zum Gebet. Dabei hatte sie übersehen, daß im Hintergrunde des halbdunklen Gemachs noch ein dritter Neger auf dem Boden kauerte, mit dem Ausräumen einer Kommode beschäftigt. Dieser stürzte sich nun wie ein Tiger mit geschwungenem Machete auf das ahnungslose, unbewaffnete und in seiner knieenden Stellung nahezu wehrlose Mädchen. Angela schien verloren, aber mit unglaublicher Geistesgegenwart fuhr die gewandte »Wildkatze« wie der Blitz dem starken Manne zwischen die Beine, riß ihn zu Boden und umschlang ihn wie ein Polyp, so daß er seine schwertartige Waffe nicht zu handhaben vermochte, während sie in grauenerregender Wut ihre scharfen Zähne wie ein reißendes Tier in seinen Hals eingrub und ihm die Kehle zerfleischte. Ein verzweifeltes Ringen erhob sich zwischen den beiden so ungleichen Kämpfern. Der vollkräftige Mann suchte seine schmächtige Feindin unter der Wucht seines Körpers zu erdrücken und sich mit den gewaltsamsten Mitteln von ihrer stählernen Umschlingung zu befreien. Aber vergebens. Vor Schmerz und Blutverlust verließen den Schwarzen schließlich die Sinne, und er sank als ohnmächtige Fleischmasse zurück. Aber auch Angelas Kräfte waren zu Ende.

Inzwischen hatte sich der Hauptkampf ganz nach dem Plane Helmuts abgespielt. Die beiden Flügelabteilungen hatten das Feuer eröffnet. Die Neger waren wohl anfangs mit Sensen, Beilen und Macheten mutig gegen die Schützen angestürmt, aber auf die kurze Entfernung traf fast jeder Schuß, und so wurden sie rasch zurückgeworfen, zumal jetzt auch in den Fenstern auf der Rückseite des Schlosses Schuß auf Schuß aufblitzte. Jammernd und schreiend waren die Neger nach dem Parke zu geflüchtet, um durch diesen nach dem Walde zu entkommen, aber auch auf dieser Seite wurden sie sofort von dem wohlgezielten Feuer der vierten Abteilung empfangen. Von allen Seiten umringt und im Hofe zusammengedrängt, wurden sie erbarmungslos niedergeschossen wie Hasen auf einer Treibjagd, bis endlich die überlebenden ihre Waffen von sich warfen und kniefällig um Gnade flehten. Das Leben wurde ihnen geschenkt, aber sie wurden sämtlich in die festen gewölbten Keller eingesperrt und Wachposten mit geladenem Gewehr davor aufgestellt.

Helmut und Manuel hatten wacker am Kampfe teilgenommen und in der Aufregung desselben auf nichts weiter geachtet. Als jetzt aber alles vorüber war und sie sich, einen Augenblick aufatmend, auf die rauchenden Flinten stützten, durchzuckte sie beide plötzlich mit banger Besorgnis der Gedanke: Wo ist Angela? Hatten sie doch das heldenhafte Mädchen in der Zwischenzeit gar nicht mehr zu Gesicht bekommen. Ängstlich durchsuchten sie die vielen Zimmer und Gänge, bis sie endlich zum Arbeitszimmer des Hausherrn kamen. Der Anblick, der sich ihnen hier bot, war so schauerlich, daß sie vor Entsetzen starr standen und es ihnen eisig kalt über den Rücken lief. Der ganze Fußboden troff von Blut. Im Lehnsessel ruhte der Leichnam des alten Herrn, dessen Haupt, vom Rumpfe getrennt, von der Hand eines riesigen Negers an den Haaren gepackt war, der über einem seiner Kumpane erschossen am Boden lag. In einem Knäuel am Boden war die unglückliche Angela so fest mit einem noch röchelnden Neger verklammert, daß es Mühe kostete, beide zu trennen. Heiße Tränen flossen über Manuels Gesicht, da er auch Angela für tot halten mußte, denn ihr Kopf schien eine einzige Wunde zu sein. Die Kleider waren ihr vom Leibe gerissen, der Körper über und über mit Blut besudelt, auf dem Rücken fehlten handgroße Stücke der Haut, und überall im Zimmer lagen Strähne ihres schönen schwarzen Haares herum, dick mit Blut verklebt. Helmut behielt auch in diesem furchtbaren Augenblick seine Geistesgegenwart und konnte zu seiner Freude feststellen, daß noch Leben in dem Mädchen war. Es wurde aufgehoben, nach seinem Zimmer geschafft und der sorgsamen Pflege der jammernden Mutter übergeben.

Der wüste Kampf hatte sein Ende erreicht, und alles war eifrig beschäftigt, die schlimmsten Spuren davon zu beseitigen. Nach allen Richtungen wurden Eilboten ausgeschickt, um Ärzte und Hilfsmannschaften herbeizuholen. Solche trafen von den nächsten Fazenden, wo man den unheilverkündenden Feuerschein blutigrot am Himmel hatte stehen sehen, auch schon in überraschend kurzer Zeit ein, da ihnen die Boten schon auf halbem Wege begegneten. Glücklicherweise war auch ein Arzt dabei, der nach eingehender Untersuchung zur Freude aller mitteilen konnte, daß die Verletzungen des Mädchens zwar schwer, aber keineswegs tödlich seien, und daß sie voraussichtlich ihre volle Gesundheit wiedererlangen werde. Die Hilfsmannschaften beschäftigten sich mit dem Löschen des Feuers auf den Feldern, mit der Reinigung der Gebäude und Beseitigung der angerichteten Schäden sowie mit dem Transport der gefangenen Neger. Manuel als der nächste männliche Verwandte des so schwer betroffenen Hauses hatte natürlich alle Hände voll zu tun, und Helmut durfte ihn jetzt nicht verlassen, sondern mußte noch weitere vierzehn Tage auf der Fazenda bleiben. Am nächsten Tage bestattete man tiefbewegt den ermordeten Hausherrn in der Gruft der Schloßkapelle, und allmählich kam alles wieder ins gewohnte Geleise, zumal die benachbarten Fazenderos bereitwillig die nötigen Arbeitskräfte zur Verfügung stellten. Angelas eiserne Natur erholte sich überraschend schnell, und schon konnte sie wieder einige Stunden täglich außerhalb des Bettes zubringen. Ehe sich Helmut endgültig verabschiedete, konnte ihm Manuel noch mitteilen, daß er nach Ablauf des Trauerjahres Angelas Gatte werden und die Verwaltung der Plantage selbst übernehmen werde, somit auch einen neuen und dankbaren Wirkungskreis gefunden habe. Innig gestaltete sich der Abschied zwischen beiden, und Helmut mußte versprechen, einen Teil seiner Studienzeit in Pernambuco zu verbringen und dann so oft als möglich als hochwillkommener Gast auf die Fazenda hinauszukommen.


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