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Achtes Kapitel. Ein Kampf in den Stromschnellen.

Illustration

Unsere Freunde sahen aber nun erst recht ein, daß ihres Bleibens unter den Bakairis nicht mehr lange sein könne, denn deren Enttäuschung über Helmuts Absage machte sich doch auch in einem veränderten und weniger freundlichen Wesen kund. Diese einfachen Naturkinder waren eben nicht imstande, sich zu verstellen. Jetzt, nachdem der Angriff der Trumais und Suyus glücklich abgewiesen und auf eine dauernde Ansiedlung der weißen Verbündeten doch nicht zu rechnen war, wollten sie diese offenbar so bald als möglich wieder los sein. Erst als Helmut an einem der folgenden Tage seine Abreise für den nächsten Morgen ankündigte, wurden sie wieder freundlicher und beeiferten sich, nun zum Abschiede noch Gastgeschenke aller Art herbeizubringen. Neben Lebensmitteln bestanden diese vor allem aus lebenden Tieren der verschiedensten Art, da die Indianer recht wohl bemerkt hatten, welche Freude die Weißen an solchen Geschöpfen hatten. Da war außer einigen fuchsroten Brüllaffen auch ein großer Spinnenaffe, ein seltenes Tier mit übermäßig schlankem Gliederbau, das die unglaublichsten Turnerstücke vollführte und seinen langen Wickelschwanz immer wie ein Fragezeichen aufgerollt trug. Es schien sich übrigens nur ungern von den Indianern zu trennen und begrüßte seine neuen Herren mit grimmigem Zähnefletschen und wütenden Meckertönen. Auch ein niedlicher, dickpelziger Nachtaffe war dabei mit unheimlich großen Gespensteraugen, die in der Nacht wie Azetylenlaternen leuchteten. Unter dem gefiederten Volk, das man herbeischleppte, waren außer bunten kleinen Papageien auch die stattlichen Fächerpapageien, die eine ganze Menge Worte und Sätze sprachen, leider alles in der Indianersprache. Prachtvolle große Araras, blau und gelb und purpurrot gefärbt, fehlten auch nicht, und ganz zuletzt kam auch noch ein Nasenbär, der seine Rüsselschnauze neugierig in alles steckte und eine verblüffende Meisterschaft im Stehlen bekundete. So wurde eine recht bunte, vierfüßige und gefiederte Gesellschaft auf die Boote verladen, die dadurch ein höchst malerisches Aussehen erhielten.

Der neue Häuptling der Bakairis erbot sich zu guterletzt noch, die Weißen mit einigen Kanus durch das Gebiet der Trumais zu begleiten, denn es gebe unterwegs noch einige große Wasserfälle, über die die unerfahrenen Fremden mit ihren zerbrechlichen Booten allein gar nicht hinwegkommen würden. Dies erschien nicht unwahrscheinlich, und Helmut nahm deshalb das Anerbieten seiner rothäutigen Gastfreunde mit Dank an, obwohl er sie stark im Verdacht hatte, daß sie in der Hauptsache diese Gelegenheit nur zu einem ausgiebigen Rachezuge gegen die Trumais benutzen und sich dazu der überlegenen Feuerwaffen der Weißen versichern wollten. Er nahm sich aber fest vor, sich ohne zwingende Notwendigkeit nicht mehr in die Kämpfe der Indianer zu mischen, denn noch immer standen vor seinem geistigen Auge die prachtvollen, bronzefarbenen Gestalten der Suyus mit den großen Lippenscheiben, die in ihrer unbeschützten Nacktheit so tapfer gegen die europäischen Flinten angestürmt waren, und die man dann in der Notwehr kaltblütig hatte niederschießen müssen wie Hasen. Und es waren doch auch Menschen!

Endlich konnte also die Flottille den kleinen Hafen des Dorfes verlassen und stromabwärts steuern. Sie sah abenteuerlich genug aus. Im vordersten Boote der Bakairihäuptling mit seinen wilden, buntbemalten Kriegern, dann unsere Freunde in ihren Kanus, die als Ruderer und Steuerleute auch noch einige Bakairis an Bord genommen hatten, und auf denen sich all die Affen und Vögel tummelten, dahinter noch einige Boote bewaffneter und nach Möglichkeit herausgeputzter Krieger. Anfangs ging die Reise gut von statten, und die Landschaft mit dem majestätischen, mehrere hundert Meter breiten Strome und den üppig bewaldeten Ufern bot im Schein der Tropensonne einen entzückenden Anblick. Aber schon am zweiten Tage verengte sich der Strom wieder, wild und wirr durcheinander gewürfelte Felsmassen erfüllten den größten Teil seines Bettes und versperrten die Fahrstraße, und die leidigen Wasserfälle begannen von neuem. Sie waren zwar nicht so übermäßig hoch und steil, aber dafür sehr ausgedehnt und wegen der vielen Felsen außerordentlich gefährlich. Schon fürchtete Helmut, man werde jedesmal wieder umladen müssen, aber die Bakairis machten kurzen Prozeß. Kühn entschlossen lenkte der Häuptling sein Boot mitten hinein in die schäumenden und wirbelnden Wassermassen; einen Augenblick schien es zu versinken in dem stäubenden Gischt, aber gleich darauf tanzte es wieder oben wie eine Nußschale und schoß mit rasender Schnelligkeit davon, zwischen den Felsmauern durch und war im Nu den Augen der Nachschauenden verschwunden. Helmuts Boot folgte. Einen Augenblick sah man nichts als sprühenden Wassergischt und dräuende Felsmassen. Unwillkürlich schlug das Herz schneller, die Affen kreischten angstvoll auf und zerrten entsetzt an ihren Ketten, die Papageien schlugen erregt mit den Flügeln und vollführten einen ohrenbetäubenden Lärm, aber ehe man sich's versah, war man hindurch, und nur noch aus der Ferne dröhnte der grollende Donner der Brandung herüber. So folgte Boot auf Boot, und so ging es bei jedem Wasserfall von neuem. Im allgemeinen lief alles glücklich ab, wenn auch hie und da mal ein Boot auf den Felsen aufstieß und sich beschädigte, so daß nachher stundenlange Flick- und Dichtungsarbeiten notwendig waren. Am schlechtesten kam Doktor Mangold weg, dessen Kanu einmal völlig umschlug, so daß manches von der Ladung verloren ging, das übrige herausgefischt und mühsam an der Sonne getrocknet werden mußte. Das unangenehmste für ihn war aber das unfreiwillige kalte Bad, das er bei dieser Gelegenheit nehmen mußte, denn er litt noch immer stark am Fieber, und sein Zustand verschlimmerte sich von da ab ersichtlich.

Von den Trumais war während dieser ganzen Reise durch ihr Gebiet nichts zu sehen und zu hören. Offenbar hatten sie sich in unzugängliche Schlupfwinkel im Inneren der Urwälder zurückgezogen. Wenn man zum Übernachten an Land ging und dann gegen Abend oder in der Morgenfrühe landeinwärts umherschweifte, fand man wohl öfters Lagerstätten oder Hütten, aber auch diese waren stets menschenleer und wiesen noch allerlei Merkmale auf, mit wie überstürzter Hast sie geräumt worden waren. Nur einmal gelang es, einige Frauen und Kinder, die sich offenbar verspätet hatten, in einer solchen Hütte zu überraschen. Die Bakairis wollten sich gleich mit geschwungenen Waffen auf die willkommene und wehrlose Beute stürzen, aber Helmut und Doktor Mangold warfen sich rechtzeitig noch zwischen die Wilden und ihre Opfer. Es kam zu einer sehr erregten Auseinandersetzung. Die wilden Bakairis konnten von ihrem Standpunkte aus ja nicht verstehen, daß Weiber und Kinder nach europäischen Begriffen auch im Kriege Schonung genießen, und grollten deshalb ihren bisherigen Freunden nicht wenig, aber Helmut blieb diesmal fest, und seine schußbereite Flinte flößte doch so viel Achtung ein, daß die Bakairis sich schließlich unter lauten Äußerungen des Unwillens entfernten. Sie schienen Helmuts Verhalten als eine Art Verrat an der gemeinsamen Sache aufzufassen.

Die armen rothäutigen Frauen und Kinder zitterten währenddessen vor Angst wie Espenlaub, und nach Entfernung der Bakairis erwarteten sie wohl nichts anderes als einen grausamen Tod durch die Hand der Weißen oder zum mindesten lebenslängliche Sklaverei. Es dauerte lange genug, bis Helmut den verschüchterten Geschöpfen begreiflich machen konnte, daß man ihnen nichts zu leide tun wolle. Erst als er einige kleine Geschenke an sie verteilt hatte, fingen sie an zu begreifen. Die Äußerungen ihres Dankes für solch ungewohnte Großmut kannten keine Grenzen. Als dann die Weißen mit ihren Begleitern zum Lagerplatze zurückkehrten, fanden sie diesen verlassen. Ihr Eigentum freilich stand unberührt da, aber sämtliche Bakairis mit ihren Kanus und Lebensmitteln waren abgefahren, und so hatte man sich von den bisherigen Freunden in Unfrieden getrennt, weil man der Stimme der Menschlichkeit mehr Gehör als der der Rachsucht geschenkt hatte. Die Lage erschien bedenklich genug, denn man befand sich noch immer inmitten des Gebietes der feindlichen Trumais. Aber Helmut bereute seine Handlungsweise trotzdem nicht. Er hoffte auch, daß die durch sein Eintreten verschont gebliebenen Frauen seine Handlungsweise ihren Stammesgenossen melden, und daß diese sich dann vielleicht zum Danke dafür eines Angriffes enthalten würden.

Und diese Berechnung sollte sich als ganz richtig erweisen. Auch das Herz des Wilden ist für Großmut empfänglich und nicht verhärtet gegen die Gefühle der Dankbarkeit. Kein Trumai ließ sich mehr sehen, obwohl sie offenbar die Weiterreise der beiden einsamen Kanus aufmerksam verfolgten, denn oft hörte man in den Wäldern ihre Signalrufe. Verzehnfacht hatten sich aber seit dem Verschwinden der Bakairis die Schwierigkeiten der Reise. Allein konnte man die Wasserfälle nicht durchfahren, und so mußte man jedesmal wieder ausladen und Kanus und Ladung mühsam eine Strecke weit zu Lande befördern. Von Tag zu Tag steigerten sich noch diese Mühseligkeiten und nahmen die Kräfte aller bis aufs äußerste in Anspruch, zumal auch nachts der Sicherheit wegen immer zwei Wache halten mußten. Namentlich Doktor Mangold, den das Fieber nicht mehr losließ, schien völlig erschöpft zu sein; er wurde von Tag zu Tag wortstiller und hatte seinen goldenen Berliner Humor nachgerade fast völlig verloren.

Schließlich wurde der Fluß zwar wieder breiter und die Stromschnellen hörten auf, aber gleichzeitig war man auch aus dem Gebiete der Trumais in das der Suyus übergetreten, und damit erschien doppelte Aufmerksamkeit gegen feindliche Menschen nötig. Auch der Fluß selbst bot immer neue Schwierigkeiten, sei es, daß sandige Untiefen zu vermeiden waren, sei es, daß mächtige, breite Baumstämme die Boote in Gefahr brachten. Der größeren Sicherheit halber vermied man nach Möglichkeit jede Landung am Ufer und verbrachte die Nächte auf kahlen Sandinseln. Das hatte freilich den Nachteil, daß die Beschaffung von Lebensmitteln immer schwieriger wurde und sich fast nur noch auf das Angeln von Fischen beschränkte. Der ewige Genuß von Fischfleisch erzeugte aber bei dem Mangel an Salz, an dessen Stelle man als Notbehelf schon das wertvolle Pulver verwenden mußte, einen immer steigenden Widerwillen gegen diese an sich so bekömmliche Kost, und darunter, wie an der unzureichenden Ernährung überhaupt, litt mehr und mehr der Gesundheitszustand aller Teilnehmer, zumal die Konserven bei der ewigen Berührung mit der Feuchtigkeit in den elenden Booten mehr und mehr verdarben und kaum noch zu genießen waren. Selbst der derbe Zampa ließ den Kopf hängen, und nur Tumayauas eiserne Natur schien all dieser Anstrengungen und Entbehrungen zu spotten.

So war man auch wieder einmal auf einer Sandinsel mitten im Strome gelandet, hatte das mehr als einfache Abendbrot verzehrt, und Doktor Mangold und Zampa waren alsbald, von den Strapazen des Tages erschöpft, in tiefen und bleiernen Schlaf verfallen, während Helmut und Tumayaua für diese Nacht die Wache übernommen hatten. Es war eine herrliche Tropennacht. Silbern stand die Mondsichel am wolkenlosen Himmel und übergoß mit bleichem, glitzerndem Lichte die murmelnden Wellen des breiten Stromes, aus denen hie und da ein silberglänzender Fisch auf der Flucht vor den Alligatoren an die laue Luft emporsprang. Wie eine dunkle Mauer zog sich an beiden Ufern die dichte Wand des Urwaldes hin, während im Strome Baumleichen und abgerissene Sträucher oder Pflanzenbüsche einhertrieben und in der ungewissen Beleuchtung die abenteuerlichsten Formen annahmen. Totenstill war es allenthalben; man hörte nur das Glucksen der Wellen, ab und zu aus weiter Ferne das gedämpfte Geheul der Brüllaffen oder den Katzenschrei des Jaguars, über dem Flusse selbst bisweilen die gellenden Rufe der Nachtschwalben oder den heiseren Schrei eines Wasservogels, den das bleiche Mondlicht nicht schlafen ließ.

Helmuts Gedanken waren unwillkürlich zu seinen Lieben in der Ferne geeilt, und nur mühsam kämpfte sein ermatteter Körper gegen den Schlaf an, der ihn zu übermannen drohte. Plötzlich schreckte er auf, als Tumayauas Hand sich schwer auf seine Schulter legte. Stumm wies der Indianer nach einem der im Strome treibenden Pflanzenbüsche. Angestrengt sah Helmut hin, vermochte aber nichts Verdächtiges zu sehen. Tumayaua lächelte nur, erhob dann die Flinte und gab Feuer, daß der Schuß donnernd die Stille der Nacht zerriß. Ein gellender Schrei antwortete und hinter dem Pflanzenbüschel kam der Kopf eines tödlich getroffenen Suyu zum Vorschein, der noch einmal drohend mit der Hand winkte und dann in den gurgelnden, sich rötlich färbenden Wellen versank. Gleich darauf erscholl ringsum ein hundertstimmiges Wutgeheul. Auf verschiedenen treibenden Baumstämmen saßen plötzlich rittlings nackte Suyukrieger und schossen ihre Pfeile nach der Insel ab. Am Ufer stießen gleichzeitig einige große mit Kriegern gefüllte Kanus ab und strebten dem Lagerplatz der Weißen zu. Hier waren auch Doktor Mangold und Zampa beim Schusse Tumayauas erschrocken aus ihrem Schlummer aufgefahren und hatten zu den Waffen gegriffen. Schuß auf Schuß krachte nun, aber das Zielen in der unsicheren Beleuchtung war schwer. Nur Tumayauas Falkenauge vermochte das Halbdunkel zu durchdringen, und seine Büchse verfehlte deshalb selten ihr Ziel. Immerhin war die Angst der Suyus vor den unheimlichen Feuerwaffen doch zu groß, als daß sie sich näher herangetraut hätten, und ihre Pfeile blieben bei der großen Entfernung ohne sonderliche Wirkung. Nur einer der zahmen Affen und ein Papagei büßten bei dem Überfalle ihr Leben ein. Bald nachdem die Suyus bemerkt hatten, daß die Überraschung mißlungen war, zogen sie sich wieder auf die Stromufer zurück, wo sie im Dunkel des Waldes unkenntlich blieben, so daß auch unsere Freunde ihr Feuer einstellen mußten. So verging der Rest der Nacht ruhig, wenn auch unter beständiger Aufregung. An den Zurufen der Wilden hörte man, daß sie gute Wacht hielten.

Bleiben konnte man auf der Sandinsel natürlich nicht, und so mußte denn die Reise am nächsten Morgen wohl oder übel fortgesetzt werden, obschon man darauf gefaßt sein mußte, sich den Durchbruch mit Gewalt zu erzwingen. Glücklicherweise war der Strom anfangs so breit, daß die Pfeile der Suyus kaum vom Ufer bis in die Flußmitte reichten und auch unsere Freunde sparten ihre wertvolle Munition, da die Ziele zu unsicher waren. Gegen Mittag verengte sich aber der Fluß wieder, und donnerndes Brausen kündigte unsern Freunden zu ihrem Entsetzen an, daß sie sich wieder einer der gefürchteten Stromschnellen näherten. An ein Anslandgehen war nicht zu denken, denn sie würden hier trotz ihrer Feuerwaffen von der Übermacht der Indianer unzweifelhaft bald erdrückt worden sein. So mußte man sich schweren Herzens entschließen, die Überwindung der Stromschnellen in den Booten selbst zu versuchen. Die Suyus, die das Gelände natürlich kannten, hatten gerade auf das Vorhandensein dieser Stromschnelle ihren Plan gebaut und beide hier bedeutend näher herantretende Ufer dicht mit Bogenschützen besetzt. Ein Pfeilregen prasselte auf die Kanus nieder, als sie einen Augenblick zögernd stillhielten. Da gab es nur noch einen Ausweg. Mutig lenkte Helmut sein Boot als erstes in den Wasserstrudel hinein, und ehe er sich's recht versah, war er auch schon über die gefährliche Zone hinaus in ruhigerem Fahrwasser, während die Wilden ein betäubendes Wutgeschrei erhoben. Entschlossen folgten nun auch Doktor Mangold und Zampa in dem zweiten Kanu. Helmut konnte von seinem Standpunkte aus gut sehen, wie es hoch oben auf dem schäumenden Wellengischt erschien, auf und nieder tanzte und dann mit rasender Geschwindigkeit durch den Felsenpaß hinabschoß. Schon schien es ebenfalls außer Gefahr, als es plötzlich im letzten Augenblick an ein Riff stieß und unter dem Triumphgeheul der Wilden umkippte. Zwar kletterten Doktor Mangold und Zampa gleich darauf wassertriefend auf die Felsblöcke, während die ganze Bootsladung samt Affen und Papageien in dem wilden Strudel davontrieb, aber die Wilden eröffneten nun auch ein wohlgezieltes Pfeilschießen auf die beiden Unglücklichen, die nicht sofort erwidern konnten, da ihre Büchsen in Unordnung geraten waren.

Mit Entsetzen sah Helmut, wie sowohl Doktor Mangold als auch Zampa von Pfeilschüssen getroffen wurden und zusammenbrachen. Da gab es für ihn kein Halten mehr. Ein einziger Blick genügte, um Tumayaua zu verständigen. Rasch ließen sie ihr Boot auf einem Inselchen auflaufen, befestigten es so gut als möglich und eilten dann über die Felsklippen in dem seichten Wasser den bedrängten Freunden zur Hilfe. Schon aber waren von beiden Seiten aus auch eine Anzahl Suyus ins Wasser gewatet, um ihren Opfern den Garaus zu machen. Auch über Helmuts und Tumayauas Köpfe zischten nun die langen Pfeile, aber ihre wohlgezielten Flintenschüsse trieben die Feinde doch immer wieder zurück. Noch zu rechter Zeit kamen sie an der Stätte der Katastrophe an, aber auch einzelne Suyus waren schon so nahe, daß man die häßlichen, großen Holzscheiben in ihren verzerrten Unterlippen erkennen konnte. Eine Wurfkeule sauste haarscharf an Helmuts Kopf vorbei, aber schon hatte er, ohne erst wieder die abgeschossene Flinte zu laden, seinen Revolver aus dem Gürtel gerissen und schoß damit die vordersten Angreifer über den Haufen. Erschrocken wichen die Rothäute zurück. Diese kleine Handwaffe, die so viele Schüsse hintereinander abgab, schien ihnen fast noch mehr Entsetzen einzujagen als die langen Flinten. Jetzt war Helmut neben seinem verwundeten Freund angekommen, lud rasch den Revolver von neuem und nahm dann mit Aufbietung aller Kräfte den Gefährten in den Arm, um ihn zwischen dem Pfeilhagel der Wilden hindurch nach dem unversehrt gebliebenen Boote zu schleppen. Tumayaua, der sich die ihm zunächst stehenden Gegner auch vom Leibe zu halten gewußt hatte, verfuhr ebenso mit Zampa, und so setzte sich der kleine, traurige Zug in Bewegung zu dem abenteuerlichen Wege über die vom Wasser überspülten Klippen.

Alle Augenblicke mußte Helmut Halt machen, da ihn seine Kräfte zu verlassen drohten. Tumayauas Riesenkraft wurde rascher mit der ihm gestellten Aufgabe fertig. Fast ohne Anhalt legte er die Zwischenstrecke zurück, nur ab und zu eine Kugel versendend. Es war aber auch höchste Zeit, daß er bei dem Boote ankam, denn bereits war ein Dutzend Indianer auf dieses zugeeilt, um sich damit des letzten Hilfsmittels der Weißen und ihrer darin verborgenen Schätze zu bemächtigen. Tumayaua stieß einen Wutschrei aus, ließ den armen, zappelnden Zampa rücksichtslos zwischen die harten Steine fallen und sprang mit gewaltigen Sätzen auf das Boot zu, dessen Bug soeben die Hand des vordersten Wilden berührte. Knirschend vergrub sich Tumayauas Tomahawk in dem Schädel des Suyu, und so kräftig hieb der Häuptling um sich, daß die Wilden trotz ihrer Überzahl Reißaus nahmen, zumal nun auch Helmut die gefährliche Lage erkannt, seine lebende Last an einen Felsblock gelehnt und selbst wieder zur Büchse gegriffen hatte, mit der er zwei der verwegensten Gegner wegputzte. Heulend wichen die Suyus auf allen Punkten zurück, und gleich darauf waren die vier Reisenden wieder bei dem ihnen noch verbliebenen Boote vereint.

Erst jetzt konnte man den ganzen Umfang des Unglücks ermessen. Das eine Boot war endgültig verloren und mit ihm fast alle Lebensmittel sowie manches Stück von den Sammlungen und Tauschgegenständen. Doktor Mangold und Zampa hatten jeder mehrere Pfeilschüsse erhalten, von denen zwar bei der immerhin beträchtlichen Entfernung keiner unbedingt tödlich war, die aber doch tiefe und äußerst schmerzhafte Fleischwunden verursacht und einen großen, stark ermattenden Blutverlust herbeigeführt hatten. Namentlich Doktor Mangold lag lange in tiefer Ohnmacht, ehe er endlich das Bewußtsein wiedererlangte. Auch die Gewehre beider waren verloren gegangen, da Tumayaua und Helmut sie nicht auch noch hatten mitschleppen können, und dadurch erschien die Widerstandsfähigkeit der Expedition um die Hälfte vermindert. Unter keinen Umständen konnte man aber länger an diesem Unglücksorte verweilen, wo man jeden Augenblick einem neuen Angriff der Suyus ausgesetzt war, sondern es blieb nur übrig, so rasch als möglich weiterzufahren. Soviel man sehen konnte, wurde ja der Fluß stromabwärts wieder breiter, bot also in seiner Mitte eine gewisse Sicherheit vor den Pfeilen der Suyus. Wahrend Helmut mit seiner Flinte die wie besessen am Ufer herumtanzenden Wilden in Schach hielt, machte Tumayaua alles zur Fahrt fertig. Doktor Mangold und Zampa wurden im Boote zwischen die Ladung gebettet, der Chiriguano übernahm das Ruder, Helmut das Steuer, und so konnte es losgehen. Um sich möglichst rasch dem Machtbereich der Suyus zu entziehen, wurde beschlossen, auch während der ganzen Nacht zu fahren, obwohl in der Finsternis die vielen im Strome treibenden Baumstämme und die zahlreichen Klippen und Untiefen eine große Gefahr bedeuteten. Aber das Wagnis glückte, denn Tumayauas scharfes Auge erkannte rechtzeitig jedes Hindernis, und mit bewundernswerter Geschicklichkeit wußte er es zu vermeiden. Solange es hell war, schwirrte wohl noch mancher matte Suyupfeil vom Ufer herüber, aber die Nacht selbst verging ohne Belästigung, und bei Sonnenaufgang war weit und breit nichts mehr von den wilden Feinden zu sehen oder zu hören. Offenbar hatten sie doch zu schwere Verluste erlitten oder waren auch mit dem Ausfischen der für sie so kostbaren Gegenstände aus dem verunglückten Kanu beschäftigt.


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