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Siebentes Kapitel. Ein Indianerkrieg.

Illustration

Zwei Tage später war endlich alles zur Bootsreise bereit. Helmut nahm mit Tumayaua in einem Kanu Platz, Doktor Mangold mit Zampa in dem andern, und zwischen den Reisenden war die Ladung aufgestapelt. Unter dem Jubelgeschrei der über die reichen Geschenke hoch entzückten Bakairi stieß man vom Ufer ab und trat die waghalsige Fahrt in unbekannte Gegenden an. Die Hoffnung auf eine verhältnismäßig leichte und bequeme Reise sollte freilich rasch zerstört werden. Man war kaum drei Kilometer weit gerudert, als man schon auf den ersten Wasserfall stieß, und während der folgenden Tage war dies etwa jeden Kilometer der Fall. Jedesmal war man dann gezwungen, die Kanus ans Land zu ziehen, zu entladen und eine Strecke weit durch den Urwald zu schleppen, wobei gewöhnlich auch erst noch mit dem Machete Bahn gebrochen werden mußte. Das Gepäck mußte Stück für Stück auf den Schultern nachgeschleppt werden, und durch alles dies entstand natürlich ungeheure Arbeit und zeitraubender Aufenthalt. Unter diesen Umständen mußten die Reisenden froh sein, wenn sie täglich fünf Kilometer zurücklegten, eine Strecke, die man zu Fuß in einer Stunde bewältigt haben würde. Die herrliche Uferlandschaft mit den vielen kreischenden Papageien und den silberweiß schimmernden Gestalten steifbeiniger Reiher entschädigte nur wenig für all diese Mühseligkeiten. Bisweilen saßen auch riesenhafte und sehr bissige Eidechsen mit großen gezackten Hautkämmen auf dem Rücken auf den Felsblöcken im Flusse. Tumayaua schoß diese Tiere bei jeder Gelegenheit mit seinen Pfeilen, da er und Zampa ihr weißes, hühnerartiges Fleisch als einen besonderen Leckerbissen schätzten.

Die kleinsten Stromschnellen versuchte man wohl auch fahrend zu überwinden, aber es war das doch immer ein großes Wagnis und erforderte eine sehr geschickte und sichere Steuerung der Boote. Trotz aller Vorsicht kam es wiederholt vor, daß die Kanus an einen Stein stießen und umkippten. Gefährlich war das ja weiter nicht, da das Wasser an solchen Stellen niemals tief war, aber höchst unangenehm war es, daß bei solchen Gelegenheiten die ganze Ladung immer aufs gründlichste durchnäßt wurde. Dann mußte der Inhalt der Ledersäcke entleert und stundenlang auf Steinen in der Sonne zum Trocknen ausgebreitet werden. Da lagen die Bohnen, der Reis, das getrocknete Fleisch, das Maismehl, die Felle, die Decken, die unersetzlichen Tage- und Skizzenbücher, die wissenschaftlichen Sammlungen und Instrumente und hunderterlei andere Dinge in buntem Durcheinander herum und dazwischen blitzte es auf von unechten goldenen Armbändern, Glasperlen und ähnlichem Tand, den man als Tauschartikel für die Wilden mitgenommen hatte. Je öfter sich das wiederholte, desto mehr verdarben die Sachen. Um für alle Fälle einen »eisernen« Bestand von Patronen gebrauchsfähig zu erhalten, mußte man einen Teil derselben in wasserdichten Lederbeuteln unter der Kleidung auf der bloßen Brust tragen.

So vollzog sich die Flußfahrt unter unendlichen Schwierigkeiten, und nicht weniger als hundertzwanzig Stromschnellen mußten überwunden werden, bis man endlich an die Stelle gelangte, wo der Batovy in einen größeren und ruhigeren Strom einmündete, den Doktor Mangold nach seinen Karten für den sich aus drei Quellflüssen zusammensetzenden Xingu erklärte. Während dieser ganzen Zeit war man auf keinerlei Spur von Menschen gestoßen, und fast schien es, als sei diese großartige Wildnis völlig unbewohnt. Man sehnte sich ordentlich nach einem Zusammentreffen mit den verrufenen Wilden. Am Xingu, wo die Ufer flacher und fruchtbarer waren, durfte man wohl mit Sicherheit hoffen, Menschen anzutreffen, und achtete deshalb von jetzt an sorgfältig auf alle Anzeichen, die die Nähe der Wilden verkündigen konnten. Am Tage nach der Einfahrt in den Xingu mußte man an einer starken Stromschnelle die Boote nochmals entladen, und als man nun zu Land sich den Weg durch den Wald brach, blieb der mit dem Machete vorangehende Zampa plötzlich stehen und deutete in stummem Erstaunen auf einen der Riesenbäume. Neugierig traten die andern näher und sahen nun in die Baumrinde eingeschnittene urwüchsige und unbeholfene Zeichnungen menschlicher Figuren, etwa in der Art, wie sie unsere Kinder fertig bringen, wenn sie ihre ersten Zeichenversuche machen. Auch ein schön befiederter, fast zwei Meter langer Pfeil stak in einem der Äste, und an einem Nachbarbaume waren drollige Tierfiguren aufgehängt, die aus getrocknetem, umwickeltem Gras in der ulkigsten Weise zusammengesetzt und zur Not als Fische, Schlangen, Eidechsen u. dergl. zu erkennen waren. Da das Gras ringsum stark niedergetreten war, vermutete der Doktor, daß es sich hier um einen Tanz- oder Betplatz der Eingeborenen handle. Sie mußten also unbedingt nicht mehr weit sein, und die größte Vorsicht erschien geboten, da man ja nicht wußte, ob man als Freund oder Feind empfangen werden würde. Als man dann wieder auf dem Strome fuhr, zeigte sich wenige Stunden später sogar eine leichte Rauchsäule am Horizont, der sicherste Beweis dafür, daß sich eine Niederlassung der Indianer in unmittelbarer Nähe befinden mußte. Da es aber schon spät am Nachmittag war und gerade ein besonders günstiger Landungsplatz sich bot, so beschloß man, hier zu übernachten und erst am nächsten Morgen einen Versuch zu machen, mit den Indianern zusammenzutreffen.

Während die andern mit den Vorbereitungen zum Abendessen beschäftigt waren, musterte Helmut mit dem Krimstecher spähend die waldumsäumten Ufer des Stromes, um vielleicht zur Tränke herauskommende Tiere beobachten zu können. Zu seinem Erstaunen sah er plötzlich hinter einer der Waldkulissen ein kleines Rindenkanu hervorkommen, in dem ein völlig nackter Indianer aufrecht stand und mit der Lanze in der Hand offenbar nach Fischen spähte. Das konnte nur ein wilder Bakairi sein. Freudig erregt teilte Helmut den andern flüsternd seine willkommene Entdeckung mit, und alle beobachteten nun den Indianer, der von ihrer Anwesenheit keine Ahnung zu haben schien und sich von der Strömung achtlos immer näher an die Lauscher herantreiben ließ. Um ihn durch den unvermuteten Anblick von weißen Männern nicht zu sehr zu erschrecken, bat Helmut den Häuptling, sich aufzurichten und dem einsamen Fischer einen Gruß in der Bakairisprache zuzurufen. Das geschah denn auch, und der Indianer fuhr nicht wenig erschrocken zusammen, verstand aber doch sofort das »Bakairi gut Freund« Tumayauas und erwiderte es in gleicher Weise. Auf den Wink des Chiriguanos hin lenkte er dann sein Kanu nach der Lagerstelle, wenn auch zögernd und mit offenbarem Mißtrauen. Als er aber die andern Reisegefährten erblickte, wollte er tief erschrocken wieder umkehren, und es bedurfte aller Überredungskünste Tumayauas, ihn zum Bleiben zu bewegen. Aber ans Land war er absolut nicht zu bringen, sondern fühlte sich auf dem Wasser offenbar sicherer. Helmut klemmte eine besonders schöne Armspange an einen Ast, watete damit so weit als möglich ins Wasser und reichte dann die Gabe dem vor Angst wie Espenlaub zitternden Indianer hinüber. Diese Sprache des Friedens verstand auch der Wilde. Mit einem freudigen Grinsen nahm er das für ihn so kostbare Geschenk in Empfang, befestigte als Gegengabe einen großen harpunierten Fisch an der Stange, winkte dann grüßend mit der Hand, deutete vielsagend nach der Gegend, wo man die Rauchsäule hatte aussteigen sehen, und war bald darauf in der rasch hereinbrechenden Dunkelheit verschwunden.

Freudige Erregung hatte sich durch dieses Zusammentreffen der kleinen Reisegesellschaft bemächtigt. Endlich sollte man wieder mit Menschen zusammen sein, und aller Voraussicht nach würde sich das Verhältnis zu den gefürchteten Wilden des Xingu durchaus friedlich gestalten. Der Doktor schwelgte schon in Erwartung der interessanten Forschungen, die er unter diesen ihrer Kulturstufe und Lebensweise nach völlig unbekannten Völkerschaften werde anstellen können, und ließ sich diese schöne Aussicht auch dadurch nicht trüben, daß ihn das Fieber wieder einmal ganz gehörig packte und schüttelte.

Tumayaua hatte vorausgesagt, daß die Wilden am nächsten Tage gewiß in größerer Anzahl einen Besuch machen würden, und er hatte sich darin nicht getäuscht. Kaum hatte man das Frühstück verzehrt und war noch unschlüssig, ob man aufbrechen und die Indianer selbst aufsuchen solle, als auch schon Tumayaua mit der Hand nach der nächsten Stromecke deutete. Richtig, da kam geräuschlos eine ganze Flottille von großen Kanus hervor, wohl dreißig an der Zahl, jedes mit fünf oder sechs Kriegern besetzt. Alle führten riesenhafte Bogen von weit mehr als Mannshöhe mit sich, dazu kurze Wurflanzen und Streitkolben, und alle waren bis auf Bastringe an den Knöcheln und Armgelenken, gelben Papageienfedern in den durchlöcherten Ohren und eine Art Diadem aus bunten Vogelfedern oder Halsketten aus Muscheln, Beeren und Jaguarklauen völlig nackt, hatten aber ihre Körper mit Gelb und Rot in der scheußlichsten Weise bemalt. Das starke Haar hatten sie nach Art der russischen Bauern gleichmäßig geschnitten und merkwürdigerweise zeigten alle auf dem Scheitel eine Art Tonsur wie bei uns die katholischen Geistlichen. Das alles konnte Helmut beim Näherkommen der Flottille gut durch sein scharfes Glas beobachten und sich dabei eines bangen Gefühls nicht erwehren, ob dieses eineinhalb Hundert bewaffneter Männer auch wirklich in friedlicher Absicht erschienen wäre. Kam es zum Kampfe, so waren sie verloren, denn trotz ihrer Feuerwaffen waren sie einer vierzigfachen Übermacht nicht gewachsen. Als die Kanus bis auf Rufweite herangekommen waren, erhoben die Eingeborenen ein entsetzliches Geschrei und schwenkten dazu mit wilden Gebärden ihre Waffen. Das sah drohend genug aus, aber Tumayaua winkte den Gefährten, die mit schußbereiter Flinte am Ufer standen, beruhigend zu und deutete auf den Häuptling der Eingeborenen, der im Bug des vordersten Bootes stand, jetzt ostentativ einen Pfeil nahm, ihm die Spitze abbrach und diese ins Wasser warf. Das konnte allerdings nur eine Kundgebung friedlicher Gesinnung sein, und unsere Freunde atmeten erleichtert auf, als sie diese ausdrucksvolle Gebärdensprache sahen.

»Bakairi ta ha ha,« erscholl es jetzt deutlich aus dem verworrenen Stimmengetöse herüber, und »Bakairi ta ha ha« antworteten nun auch unsere Freunde, denn das heißt soviel als »die Bakairis sind gute Menschen«. Wieder ging Helmut in der gestrigen Weise mit einem an einer Stange befestigten Geschenk furchtlos ins Wasser und überreichte es dem Häuptling, der dafür ein paar frische Maiskuchen an der Stange zurückgab. Helmut, der lange kein frisches Gebäck gesehen hatte, brach sofort davon ab und aß, und das wurde drüben offenbar sehr gut aufgenommen, und die Freundschaft erschien damit besiegelt, denn die Bakairis ließen sich nun nicht länger bitten, an Land zu kommen. Freilich kostete sie das offenbar große Überwindung, denn man sah deutlich, wie sie aus Angst vor den unheimlichen Fremden zitterten, und wahrscheinlich war es nur ihre große Überzahl, die sie zu einem solchen Wagnis ermutigte. Unsere Freunde taten alles, um ihren neuen Bekannten das Gefühl der Furcht zu nehmen und sie zu überzeugen, daß man in Frieden mit ihnen leben wolle. Nach Tumayauas Beispiel nahmen auch Helmut, Doktor Mangold und Zampa je zwei der häßlichen Kerle unter den Arm, und so schritt man in traulichem Verein zum Lagerplatz, wo sich alsbald ein reger Tauschverkehr entwickelte. Fast jeder der Wilden hatte Bejus mitgebracht, die wie frische Milchbrötchen schmeckten, dazu Fische, Mandioka und andere Lebensmittel, und so gab es für die Reisenden, die in der letzten Zeit fast nur noch von halbverdorbenen Konserven hatten leben müssen, ein gar köstliches Mahl. Die Wilden ihrerseits waren besonders auf Kleidungsstücke versessen, und für ein altes Hemd oder eine zerrissene Unterhose hätten sie ihre Seligkeit verkauft. Als sie sahen, daß ihnen nichts Übles geschah, wurden sie rasch ganz zutraulich und gaben zu verstehen, daß die Fremden mit nach ihrem Dorfe kommen sollten. Denen war das natürlich höchst willkommen, und so wurde denn rasch zusammengepackt und inmitten der Indianerflottille die Weiterfahrt bewerkstelligt. Nach kaum einstündigem Rudern hatte man das unmittelbar am Strom gelegene und sogar mit einem kleinen Bootshafen versehene Indianerdorf erreicht.

Hier gab es natürlich unendlich viel Neues zu sehen und zu beobachten. Auf den ersten Blick unterschied sich diese Ansiedlung unverfälschter Wilder scharf von allen, die man bisher angetroffen hatte. Die Hütten waren nicht viereckig, sondern kreisrund, dabei aber sorgfältig gebaut und das kegelförmige Dach mit getrocknetem Grase in dicken Schichten gut gedeckt. Die Hütten waren ziemlich groß, und es hausten immer mehrere Familien in einer friedlich beisammen. Die Hütte, nach der die Ankömmlinge geführt wurden, hatte elliptische Form und war noch weit umfangreicher als die andern; es schien eine Art Beratungs- und Vergnügungshaus zu sein. Als Lagerstätten dienten überall kunstvoll aus Bastfasern zusammengeknüpfte Hängematten, und Doktor Mangold bestätigte seinem Gefährten auf dessen Befragen, daß die südamerikanischen Indianer die eigentlichen Erfinder dieses nützlichen Möbels seien, das neuerdings ja auch in Europa viel Anklang gefunden hätte. Auch roh geschnitzte Sitzgelegenheiten waren zahlreich vorhanden, und als Zieraten hingen aus Holz plump angefertigte Fische und Eidechsen von der Decke herab. In den geflochtenen Wänden staken die langen Pfeile, und überall standen nett bemalte Kürbisschalen herum. So primitiv das alles auch anmutete, mußte diese indianische Kultur den unbefangenen Beurteiler doch mit nicht geringer Bewunderung erfüllen, wenn er ihre höchst urwüchsigen Werkzeuge damit verglich, mit denen sie alles ungemein mühselig anfertigen mußten. Diese Wilden kannten ja das Eisen noch gar nicht, sondern bedienten sich nur steinerner Beile, und als Messer hatten sie lediglich scharfe und harte Gräser oder zugespitzte Bambusstücke oder geschärfte Muschelschalen. Wie alle südamerikanischen Indianer schienen auch die Bakairis große Tierfreunde zu sein, denn um die Hütten wimmelte es von zahmen Affen, Arraras, Amazonenpapageien, Reihern, Pfefferfressern, Goldhasen und Nasenbären, den Spielgefährten der niedlichen, schwarzäugigen Kinder.

Nach der ersten Begrüßung wurde eine Art dünne Mehlsuppe als Willkommenstrank in Kürbisschalen kredenzt. Gut schmeckte sie ja gerade nicht, aber um das treffliche Einvernehmen nicht zu stören, zwangen sich die beiden Europäer doch, das widerliche, fade und süßliche Getränk in größerer Menge hinunterzuschlucken. Dann ging es wieder ans Tauschgeschäft, ans Plaudern und gegenseitige Ausfragen, so gut das eben bei der geringen beiderseitigen Sprachkenntnis gehen wollte. Diese Wilden hatten offenbar noch niemals weiße Männer gesehen und waren deshalb von der kindischsten Neugier, sobald sie erst einmal ihr anfängliches Mißtrauen überwunden hatten. Sie betasteten die Körper der fremden Ankömmlinge, wollten sich überzeugen, ob sie auch an allen Stellen des Körpers weiße Haut hätten, konnten nicht genug über Doktor Mangolds verwilderten Vollbart staunen, und jeder Gegenstand, den unsere Freunde bei sich trugen, erregte ihre Verwunderung im höchsten Grade. Die tickende Taschenuhr, der das menschliche Bild wiedergebende Handspiegel, der Krimstecher und alle andern Gerätschaften des täglichen Lebens bedeuteten für sie ganz neue Entdeckungen, und so kamen sie aus dem Staunen nicht heraus. Helmut und seinem Gefährten machte es unendlichen Spaß, diesen einfachen Naturkindern allerlei kleine Kunststücke vorzuführen, und sie kamen sich vor, wie eine reisende Zirkusgesellschaft, die irgendwo in einem entlegenen Schlosse eine Sondervorstellung gibt. Wahres Entsetzen faßte die Wilden, als Zampa zur Probe einen Schuß abfeuerte. Viele von ihnen fielen vor Schreck zu Boden, und in den Gesichtern der andern malte sich ehrfürchtiges Grauen darüber, daß diese Fremdlinge über Blitz und Donner verfügten, Dinge, die doch nach ihrer Auffassung den Göttern vorbehalten waren. So sehr hatte sie der Schreck darüber gepackt, daß sie dringend baten, diese Vorstellung nicht zu wiederholen, und daß es geraume Zeit dauerte, bis die alte Zutraulichkeit einigermaßen wieder hergestellt war.

Besonders drollige Szenen kamen vor, wenn die Wilden es versuchten, die eingehandelten Kleidungsstücke am eigenen Leibe zu probieren. Bald zog einer eine Hose verkehrt an, bald wollte er ein Hemd als Beinkleider benutzen, und Helmut und Doktor Mangold hatten unter allgemeiner Heiterkeit genug zu tun, ihnen den richtigen Gebrauch der Gegenstände zu zeigen; sie mußten jeden einzelnen anziehen wie eine Puppe. Sehr erpicht waren die Wilden auf blanke Knöpfe, aus denen sich die Frauen sofort Halsketten anfertigten, und ihre allergrößte Bewunderung erregte eine Nagelschere, ein Instrument, das gerade wegen seiner Einfachheit ihren besonderen Beifall fand. Als Helmut die Verwendung der Schere an seinen eigenen Fingernägeln vorfühlte, ruhte die ganze Gesellschaft nicht eher, als bis er ihnen allen die Finger- und Zehennagel geschnitten hatte, was weder ein angenehmes noch ein leichtes Stück Arbeit war.

Am Abend war großes Konzert. Dazu brachten die Bakairis kolossale Holzflöten von fast Manneslänge und Schenkeldicke angeschleppt. Zum Spielen setzten sie sich nieder und stemmten die Riesenflöten auf den Boden. Die Hälfte der Musikanten steckte dabei die Enden der Flöten in mit Wasser gefüllte Kürbisschalen, was zur Erzeugung wehmütiger, eigentümlich glucksender Laute führte. Außerdem hatten die Spieler rasselnde Muschelketten um die Füße gewickelt und stampften damit den Takt zu ihren einförmigen Liedern, während andere gleichzeitig in die Hände klatschten und ein Sängerchor seine rauhen Stimmen ertönen ließ.

Nach dieser guten Aufnahme wollten unsere Freunde natürlich einige Zeit hier bleiben, um das eigentümliche Völkchen sowie die Tier- und Pflanzenwelt der Umgebung näher zu studieren. Es schien sich dazu auch alles gut anzulassen, aber doch stellte sich bald ein schwerwiegendes Hindernis ein, das alle schönen Pläne zuschanden zu machen drohte. Immer und immer wieder hatten die Bakairis bei den Unterredungen unter ausdrucksvollem Gebärdenspiel wiederholt: »Bakairi ta ha ha, Trumai tu hu hu.« Und Tumayaua bekam endlich heraus, daß der zweite Satz besagen sollte, die Trumais, ein weiter stromabwärts wohnender Stamm, seien sehr schlechte Menschen, und daß die Bakairis schon seit längerer Zeit mit ihnen in offener Feindschaft lebten. Der Krieg schien für die Bakairis ungünstig genug zu verlaufen, denn wenn auch die Leute bei allen Gelegenheiten mit ihren Heldentaten prangten, so war doch unschwer zu erkennen, daß sie gewaltig aufschnitten und in Wirklichkeit bei allen bewaffneten Zusammenstößen mit den kriegsgeübteren Trumais Prügel bekommen hatten. Diese Auffassung wurde noch verstärkt, als eines Tages Flüchtlinge aus einem andern Bakairidorfe eintrafen, fast waffenlos und ohne alle Habseligkeiten, teilweise auch durch Weitschüsse verwundet. Ihren aufgeregten und verworrenen Erzählungen war unschwer zu entnehmen, daß ihr Dorf von den Trumais überfallen und zerstört worden sei, und daß ein ähnliches Schicksal auch die Ansiedlung bedrohe, in der Helmut und seine Gefährten so gastfreie Aufnahme gefunden hatten. Helmut kam jetzt auch auf den Gedanken, daß er diese gute Aufnahme wahrscheinlich dem Umstände zu verdanken habe, daß die Bakairis in ihm einen wertvollen Bundesgenossen im Kampfe gegen die Trumais zu finden hofften.

Hatten sie damit vielleicht auch nicht von vornherein gerechnet, so geschah es doch jetzt, und es dauerte nicht lange, bis der Häuptling im Beratungshause erschien, um Helmut zu bewegen, mit seinen Freunden an einem Rachezuge gegen die Trumais teilzunehmen und deren jetzt von Kriegern entblößte Dörfer zu überfallen oder den mit Beute heimkehrenden Kriegern einen Hinterhalt zu stellen. Helmut war da vor eine schwierige Entscheidung gestellt und beriet sich lange mit dem Doktor und Tumayaua über die zu treffende Entschließung. Der Chiriguano war natürlich Feuer und Flamme für einen lustigen Krieg, denn ihm erschienen ja Jagd und Krieg als die einzige eines wahren Mannes würdige Beschäftigung, und er wäre am liebsten gleich an der Spitze der Bakairis aufgebrochen. Dagegen waren Helmut und Doktor Mangold der Überzeugung, daß sie sich nicht in die Streitigkeiten der Indianer mischen dürften, wenn sie nicht das Schicksal der ganzen Expedition leichtsinnig aufs Spiel setzen wollten. War man erst einmal in diese Kämpfe verwickelt, so konnte von einem ruhigen Sammeln und Forschen keine Rede mehr sein, und möglicherweise wurde ein weiteres Vorgehen zum Amazonenstrom oder die Rückkehr nach Cujaba dadurch unmöglich gemacht. Sehr zum Schmerze Tumayauas teilte daher Helmut, dessen ritterlichem Wesen ohnehin der Überfall wehrloser Dörfer oder das Niederschießen ahnungsloser Feinde aus dem Hinterhalte aufs ärgste widerstrebte, seinen Entschluß dem Bakairihäuptling mit. Als er aber dessen traurige und niedergeschlagene Miene bemerkte, fügte er doch, wie zum Troste, noch hinzu, daß er jedenfalls eine Ausplünderung des Dorfes durch die Feinde nicht dulden und unbedingt die Frauen, Kinder und Habseligkeiten der Bakairis mit Waffengewalt beschützen und verteidigen werde. Damit mußte sich denn der Häuptling zufrieden geben und unterließ nun auch den geplanten Rachezug, da er sich allein dazu doch wohl zu schwach fühlte und wahrscheinlich auch das Dorf nicht zu sehr von Verteidigern entblößen wollte.

Der gefürchtete Angriff der Trumais ließ denn auch nicht lange auf sich warten, denn schon wenige Tage später meldeten die im Walde herumschleichenden Späher der Bakairis, daß der Feind von der Landseite her im Anmarsche sei. Nun wurden rasch alle Vorbereitungen zum Kampfe getroffen. Die Bakairis wollten der Weiber und Kinder wegen nicht das Dorf selbst zum Schauplätze desselben machen, sondern rückten, mit den grellen Kriegsfarben frisch bemalt und bis an die Zähne bewaffnet, dem Gegner auf den freien Platz entgegen, der sich zwischen dem Dorfe und dem Urwalde ausdehnte. Nur wenige Leute blieben zur Bewachung des Hafens und des Dorfes selbst zurück. Helmut stellte sich mit den Seinigen schußbereit am Dorfeingange auf, um im Notfalle eingreifen zu können, falls die Bakairis unterliegen sollten. Mit brennenden Augen verfolgten die beiden Freunde das für sie so neue und eigenartige Schauspiel eines Indianerkampfes, und Doktor Mangold wurde beim Anblick dessen, was er nun zu sehen bekam, lebhaft an die homerischen Schilderungen aus der Ilias erinnert, die er als Knabe mit so viel Begeisterung gelesen hatte. In geschlossener Masse stürmten die Trumais aus dem Urwalde hervor, machten dann aber plötzlich Halt, als sie der sie erwartenden Bakairis ansichtig wurden. In kaum Pfeilschußweite standen sich die beiden Heerkörper gegenüber, drohend die Waffen schwenkend und sich gegenseitig mit Schimpfworten und höhnischen Zurufen überhäufend oder mit den eigenen Heldentaten prahlend. Dieses Vorspiel dauerte eine lange Zeit, bis sich endlich einige vom Haupttrupp ablösten und sich gegenseitig zu beschießen begannen. Zischend fuhren die langen Pfeile durch die Luft, und immer dichter wurde dieser Geschoßhagel. Doch verstanden es die Wilden vorzüglich, den anschwirrenden Pfeilen durch einen mächtigen Satz im letzten Augenblicke auszuweichen, und so gab es auf beiden Seiten nur wenige leicht Verwundete. Aber die Kampfeshitze stieg. Mehr und mehr rückte man sich aus den Leib, die Pfeilschüsse wurden sicherer, und schon sank hie und da einer mit durchbohrter Brust zu Boden. Lanzen und Keulen sowie die wuchtigen Steinbeile kamen nun auch zu ihrem Recht, und unendliches Getümmel und Geschrei erfüllte den blutgetränkten Platz. Wo zwei besonders berühmte Krieger aufeinander stießen, da maßen sie sich in erbittertem Zweikampf, und wie auf Verabredung ruhte dann ringsum der Streit, genau wie einst zu Homers Zeiten vor Ilions heiligen Mauern. Mehr und mehr kamen aber die Bakairis ins Gedränge, denn die Trumais waren nicht nur zahlreicher, sondern offenbar auch geübter im Gebrauch der Waffen. Die Entscheidung schien zu nahen, als jetzt die beiderseitigen Häuptlinge aufeinander stießen. Wohl verteidigte sich der Bakairi im Kampfe um den bedrohten eigenen Herd mit aller Tapferkeit, aber einem solch hünenhaften und gewandten Gegner war er nicht gewachsen. Mühsam nur parierte er mit dem Schaft seiner zerbrochenen Lanze dessen fürchterliche Keulenschläge, bis endlich einer ihm zerschmetternd aufs Haupt fiel. Der Fall ihres Häuptlings rief panischen Schrecken in den Reihen der Bakairis hervor, und fast augenblicklich wendeten sie sich zur Flucht. In diesem Augenblicke konnte sich Tumayaua nicht länger halten. Er ergriff das von ihm sonst selten benutzte Gewehr, das ihm der alte Förster bei der Abreise geschenkt hatte, und jagte dem hünenhaften Führer der Trumais eine sichere Kugel mitten durch die Brust. Dann aber stürzte er mit gellendem Kampfruf und hocherhobenem Tomahawk mitten ins Kampfgewühl. Furchtbar räumte seine Waffe unter den Gegnern auf, aber mehr als alles andere hatte doch der Schuß gewirkt. Die Trumais standen wie versteinert. Entsetzen malte sich in ihren wilden Zügen, und dann flüchteten sie eiligst, verfolgt von den jauchzenden Bakairis, die nun ihrerseits schleunigst wieder Kehrt gemacht hatten und sich willig unter den Befehl Tumayauas stellten. Gleichzeitig erhob sich aber auch auf der Rückseite des Dorfes aus der Nähe des Bootshafens wüstes Geschrei und Getümmel. Erschrocken eilte Helmut mit Zampa und Doktor Mangold dorthin, da er einen Angriff im Rücken und mit der Zerstörung des Dorfes auch die seines eigenen Eigentums befürchten mußte. Ein überraschender Anblick bot sich ihm, als er am andern Ende der Dorfstraße die freie Aussicht auf den Strom und den Bootshafen gewann. Eine ganze Flotte großer Kanus kam über den Strom herüber, und in ihnen standen andere Indianer, die weder Bakains, noch Trumais waren. Blickten sie ohnedies schon wild und verwegen genug drein, so wurden sie noch zu teuflischer Häßlichkeit dadurch entstellt, daß sie nicht nur in den durchlöcherten und langgezogenen Ohren riesenhafte Holzscheiben trugen, die bis zu den Schultern niederhingen, sondern auch die Unterlippen durchbohrt und durch eingetriebene Hölzer in der unförmlichsten Weise verzerrt hatten. Wie große Teller standen ihnen die Unterlippen vor. Außerdem trugen alle schmale Stirnbinden aus Jaguarfell, waren aber im übrigen ebenfalls vollständig nackt. »Suyu« flüsterte eine neben Helmut stehende Bakairifrau dem mächtigen Weißen angstvoll zu, und jetzt erinnerte sich Helmut auch, daß der Stamm der Suyus noch nördlich von dem der Trumais an den Ufern des Xingu wohne. Offenbar hatten sich beide Stämme zu dem Angriffe gegen die Bakairis verbündet. Die vordersten Boote der Suyus waren schon ganz nahe, und mit sicheren Pfeilschüssen hatten diese wilden Krieger die wenigen Bakairiwachen am Hafen niedergestreckt oder in die Flucht gejagt. Schon lief das erste Kanu der Suyus knirschend am Ufersande auf. Da durfte auch Helmut nicht länger zögern, wenn er nicht in das Unglück seiner Gastfreunde mit verwickelt werden wollte. Die allenthalben durch die Dorfstraße zischenden Pfeile der Suyus trafen bereits Weiber und Kinder, die klagend und jammernd zwischen den Hütten herumirrten oder sich angstvoll in diese verkrochen, um ergeben ihr trauriges Schicksal zu erwarten.

Doktor Mangold und Zampa waren rasch verständigt, und dann eilten alle drei durch den Pfeilhagel hindurch nach der letzten Hütte vor dem Hafen und nahmen hier schußfertig Stellung. Einen Augenblick stutzten die Suyus bei dem Anblick der neuen und so fremdartig anmutenden Gegner, aber gleich hatten sie sich wieder gefaßt, stießen ein betäubendes Gebrüll aus und entsandten einen neuen Pfeilschauer. Jetzt war auch Helmuts Geduld zu Ende. Mit ruhiger Stimme kommandierte er Einzelfeuer, und rasch hintereinander krachten die sechs Schüsse aus den drei Doppelgewehren, und bei der geringen Entfernung forderte jeder ein Todesopfer. Die Wirkung war fürchterlich und unbeschreiblich. Von panischem Entsetzen ergriffen, sprangen die Suyus wie Frösche aus ihren Booten ins Wasser und schwammen quer über den Strom hinüber nach dem andern Ufer, wo sie wenige Augenblicke später spurlos im Urwalde verschwunden waren. Ihre sämtlichen Waffen und Gerätschaften hatten sie in den Kanus liegen lassen, und Zampa brachte nun mit Hilfe einiger herbeigeeilten Bakairis grinsend die Beute ans Land. Auch das Antlitz des Doktors strahlte vor Freude über die großartige und reichhaltige ethnographische Sammlung, die ihm hier so unvermutet in die Hände fiel. Da waren schöne, stark gearbeitete Bogen und eine Unmasse von Pfeilen, die mit scharfen Spitzen aus Bambusrohr versehen waren; doch waren diese Spitzen nur lose mit Harz am Pfeilschaft befestigt, mußten also bei einem Treffer im Körper stecken bleiben und abbrechen. Auch flache Keulen fanden sich und allerlei Kopfputz aus bunten Federn sowie zierliche Töpfe mit eingezacktem Rand und rote Baumwollenschnüre.

Es war das die letzte Episode dieses ereignisreichen Tages; auf das wilde Kampfgetümmel folgte fast unvermittelt tiefste Ruhe, und nur die Stimmen der Natur tönten vom nahen Urwalde herüber zu dem vorher so friedlichen Dorfe, das jetzt der Schauplatz so grausiger Szenen gewesen war. Aber nicht lange hielt die Ruhe an. Sobald die Bakairis sich erst von der Größe und Vollständigkeit ihres Erfolges dem gefürchteten Gegner gegenüber überzeugt hatten, gaben sie sich den Ausdrücken der wildesten und ausgelassensten Freude hin. Man lachte und sang, sprang und tanzte, musizierte und trank, trank bis zur Bewußtlosigkeit. Nur die Frauen der gefallenen Krieger saßen neben den Toten, deren Haupt in ihrem Schoß gebettet, und stießen schauerliche Klagetöne aus, die klangen wie das Winseln eines verwundeten Tieres. Sonst aber kümmerte sich vorläufig niemand sonderlich um die Erschlagenen, die mit ihrem Blute den heimischen Herd verteidigt hatten. Die Weißen galten allgemein als die Retter des Dorfes und wurden als die Helden des Tages gefeiert. Natürlich sollten sie an dem Siegesgelage teilnehmen, aber Helmut und Doktor Mangold waren doch nach all den Aufregungen zu ernst gestimmt, als daß sie Lust verspürt hätten, sich an der wilden Orgie zu beteiligen. Es war doch ein eigentümliches Gefühl, die todbringende Flinte auf einen Menschen anzulegen, sei es auch nur ein armer, nackter Wilder. Nachdem die ruhige Überlegung wiedergekehrt war, mußten sie sich sagen, daß sie nun doch in die kriegerischen Auseinandersetzungen der Indianerstämme wider Willen mit verwickelt worden seien, und daß dies die übelsten Folgen für das Schicksal ihrer Expedition haben könne. So verherrlichten nur Tumayaua und Zampa, die sich offenbar wenig Skrupel über die getöteten Indianer machten, das Siegesfest mit ihrer Gegenwart, während Helmut und Doktor Mangold, taub gegen alle Bitten der Bakairis, sich bald in ihr Zelt zurückzogen, nachdem sie vorher noch einen Rundgang über das Schlachtfeld gemacht und sich nochmals alle Phasen des erbitterten Kampfes vergegenwärtigt hatten. Der Schlaf wollte aber auch für sie lange nicht kommen, denn der gröhlende Gesang der siegestrunkenen Bakairis erfüllte die Luft, und dazu lastete die schwere Sorge um die Zukunft auf den Herzen der beiden Freunde. Lange beratschlagten sie, was nun wohl am besten zu tun sei. Schließlich kamen sie zu der Überzeugung, daß es am zweckmäßigsten sei, das Gebiet der Bakairis so bald als möglich zu verlassen und weiter nach Norden vorzudringen, also dem alten Plane treu zu bleiben. Freilich mußte man dabei das Gebiet der feindlichen Trumais und Suyus durchziehen, aber es war wohl anzunehmen, daß diese Stämme durch ihre schwere Niederlage derart eingeschüchtert seien, daß sie keinen Angriff wagen würden, wenn man ihnen nicht Zeit gab, sich von dem durch die Feuerwaffen bei ihnen verbreiteten Schrecken zu erholen. Am nächsten Tage war Begräbnis. Nachdem die Bakairis ihren Rausch ausgeschlafen hatten, versammelten sie sich mit ernsten Mienen und stimmten ihre Klagelieder an, die langgezogen und schauerlich durch die Wildnis ertönten. Für jeden Toten des eigenen Stammes wurde eine tiefe, aber wenig umfangreiche Grube ausgegraben und der gefallene Krieger darin in hockender Stellung beigesetzt. Eine Kalebasse mit Mehlbier, Pfeil und Bogen, Schmuckfedern und Beiyus bekam jeder mit, damit es ihm im Reiche der Geister an nichts fehlen möge. Die getöteten Feinde wollte man zum Fraß für die Raubtiere liegen lassen, und in der Tat hatten sich schon die widerwärtigen schwarzen Geier, die Urubus, über die entfernter liegenden Leichname hergemacht, ihnen mit kräftigen Schnabelhieben die Bauchdecke geöffnet und die Eingeweide hervorgezerrt. Es bedurfte des tatkräftigsten Einschreitens der Weißen, um auch für diese Toten wenigstens ein oberflächliches Begräbnis zu erzwingen, das ohne Sang und Klang vor sich ging. Zu seiner Freude konnte Helmut wenigstens keine Spur von kannibalischen Gelüsten bei seinen rothäutigen Verbündeten entdecken, während er früher immer gehört und gelesen hatte, daß diese Stämme die erschlagenen Feinde verzehren, weniger vielleicht des Fleischgenusses halber, als weil sie der abergläubischen Vorstellung huldigen, daß sie auf diese Weise die Kraft und den Mut des getöteten Feindes sich selbst einverleiben.

Nachdem auf diese Weise die Walstatt gereinigt und auch im Dorfe einigermaßen Ordnung gemacht worden war, begaben sich die männlichen Bakairis zu einer anscheinend wichtigen Beratung an ihr Lagerfeuer, während die Frauen sich in die Hütten zurückzogen und auch die Weißen das Gleiche taten, nachdem ihnen Tumayaua mitgeteilt hatte, daß es sich wohl um die Wahl des neuen Häuptlings handle, wobei sie natürlich nicht durch ihre Anwesenheit stören wollten. Lange beratschlagten die Bakairis, und man hörte oft die erregten Stimmen der einzelnen Redner herüberschallen. Endlich schienen sie fertig zu sein, und gleich darauf erschien eine Deputation, gebildet aus den ältesten und angesehensten Kriegern, vor dem Zelte Helmuts. Dieser war nicht wenig überrascht über das, was sie ihm mitteilten. So gut es nämlich bei den beiderseits mangelnden Sprachkenntnissen möglich war, suchten sie ihm deutlich zu machen, daß sie ihn zum Häuptlinge der mächtigen und tapferen Bakairis haben wollten, da sie vor seinen Waffen und vor seiner Tapferkeit die höchste Achtung hätten. Sie würden ihm im Krieg und Frieden unbedingt Gehorsam leisten, würden ihm eine große Hütte bauen, ihm ein Weib geben und ihn reichlich mit Fisch, Wildbret und Früchten versorgen, so daß er an nichts Mangel zu leiden brauche und als Häuptling der Bakairis herrlich und in Freuden leben könne.

Das war eine schöne Bescherung! Fast hätte Helmut laut aufgelacht bei dem Gedanken, daß aus dem hochstrebenden brasilianischen Marinekadetten, dem Günstling des berühmten Admiral Mello, nun in wenigen Monaten ein Häuptling wilder und nackter Indianer geworden sein sollte. Aber das Lachen verging ihm doch, als er in die ernsten Gesichter dieser rothäutigen Menschen sah, die mit gespannter Erwartung, mit inniger Bitte und mit so kindlichem Vertrauen an seinem Munde hingen. So gut als möglich versuchte er ihnen klar zu machen, daß das doch nicht gut gehe, daß er wieder zu seinen Landsleuten zurückkehren müsse, wo alte Eltern und liebende Geschwister sehnsüchtig seiner Heimkunft harrten. Als er dann sah, welche Traurigkeit und Niedergeschlagenheit seine Absage bei diesen einfachen Naturkindern hervorrief, taten sie ihm doch leid, und er empfahl ihnen, an seiner Stelle doch lieber Tumayaua zum Häuptling zu machen, der ein noch größerer Krieger sei und eine rote Haut habe. Aber Tumayaua selbst vereitelte sofort diesen wohlgemeinten Plan, indem er fest erklärte, die Weißen nicht verlassen zu wollen, solange die Expedition nicht zu Ende geführt und Helmuts Schicksal in günstigem Sinne erledigt sei. Alles, was man von ihm erreichen konnte, war, daß er, da er ja keinen eigenen Stamm mehr hatte, schließlich versprach, später vielleicht zu den Bakairis zurückzukehren und sich bei ihnen niederzulassen. Damit mußte sich die Deputation zufrieden geben und trat mit enttäuschten Gesichtern den Rückweg zum Lagerfeuer an, wo nun einer der älteren Krieger, der sich beim gestrigen Kampfe besonders ausgezeichnet hatte, zum einstweiligen Häuptling gewählt wurde und sich als solcher gleich darauf im Zelte Helmuts vorstellte, bereits mit den Harpyenfedern geschmückt, die die Häuptlingswürde bedeuten.


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