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Viertes Kapitel. Der Überfall der Bugres.

Illustration

Über alledem war das liebe Weihnachtsfest herangekommen, das im Försterschen Hause nach guter, alter deutscher Sitte begangen wurde. Günter und Siegfried hatten eine prächtige Edeltanne, eine sogenannte Araukarie, die in den brasilianischen Wäldern unsere Nadelbäume vertritt, gefällt und eines Abends heimlich ins Haus geschafft, und Mutter und Lieselotte waren in einer entlegenen Kammer beschäftigt, den Weihnachtsbaum gebührend zu schmücken. Jeder bereitete seine kleinen Überraschungen vor, und das ganze weite Haus durchzog der würzige Duft von Stollen und andern Weihnachtsgebäcken. Das Luisle war da so recht in seinem Element, und natürlich sollte auch jedes Tier zum Weihnachtsabend etwas extra Gutes bekommen, weshalb sie sich schon einen förmlichen Hamsterkorb angelegt hatte. Und als dann am heiligen Abend in der weiten Diele die Araukarie mit ihrem Flitterschmuck im Kerzenschein erstrahlte, man ein gutes Festmahl zu sich genommen hatte und noch an den Süßigkeiten knabberte, als jeder immer wieder erfreut seine Geschenke betrachtete, mit denen auch der letzte Diener des Hauses bedacht worden war, als das alte, schöne Lied »Stille Nacht, heilige Nacht« weihevoll hinausklang in den tropischen Urwald, da kam beim dampfenden Punsch eine echte und rechte Weihnachtsstimmung über die kleine deutsche Gesellschaft am Rande der brasilianischen Wildnis. Alte Erinnerungen wurden ausgetauscht, Scherzreden und Neckereien flogen hin und her. Vor dem Schlafengehen trat man nochmals hinaus in die wunderbar schöne und laue Tropennacht und dachte dabei daran, wie jetzt wohl daheim im fernen Vaterlande in Palast und Hütte der Kerzenschein der Weihnachtsbäume leuchtete und ein glitzernder Schneeteppich Wald und Flur in sein keusches Weiß hüllte. Aber am fernen Horizont leuchtete es plötzlich glutrot auf.

»Aha,« meinte der Doktor frohgelaunt, »gewiß auch deutsche Ansiedler, die zu Ehren des Weihnachtsabends ein großes Freudenfeuer angezündet haben. Das ist ja eigentlich so recht urdeutsche Sitte, denn das Weihnachtsfest war für unsere germanischen Vorfahren ursprünglich das Fest der Wintersonnenwende und wurde namentlich auch durch das Anzünden und Umtanzen großer Holzstöße auf den Bergesgipfeln begangen.«

»Wenn's auch nur wirklich Freudenfeuer sind!« meinte der alte Förster sorgenvoll, indem sich die Kummerfalten auf seiner Stirn schärfer ausprägten. »Es könnte vielleicht auch etwas Schlimmeres sein. Nun, hoffentlich ist meine Befürchtung unbegründet, und wir wollen uns den schönen Abend dadurch nicht trüben lassen, sondern hoffen, daß auch der morgige Feiertag einen recht frohen und ungestörten Verlauf nimmt.«

Leider sollte die Hoffnung auf recht gemütliche Feiertage arg enttäuscht werden. Man hatte am Weihnachtsmorgen etwas länger geschlafen als gewöhnlich und saß noch bei Stollen und Morgenkaffee, als plötzlich Tumayaua, der am Tage nach der glücklichen Jaguarjagd wieder spurlos verschwunden gewesen war, auf schäumendem Rosse durch das geöffnete Hoftor sprengte. Selbst der sonst so gleichmütige Indianer schien seine Gelassenheit verloren zu haben.

»Die Bugres sind da,« rief er atemlos. »Sie haben in dieser Nacht einige Farmen in der Nähe von Santa Cruz verbrannt, wagten aber doch keinen Angriff auf die wohlverteidigte Stadt, sondern ziehen jetzt in hellem Haufen hierher. Es sind einige Hundert der rot bemalten Hunde. Wir werden einen schweren Stand haben.«

»Dachte ich mir's doch,« seufzte der alte Förster schwermütig. »Daher also die Freudenfeuer am heiligen Abend.« Aber sofort ermannte sich dann auch der stramme hannoversche Bauer, und von diesem Augenblick an war er nur noch ganz und gar Feldherr über seine kleine Schar. Die unwillkommene Nachricht des Häuptlings hatte gewirkt wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel. Verlassen stand der Frühstückstisch da, und alle beratschlagten mit angstvollen Mienen, wie man dem Ansturm der Wilden am besten standhalten solle. Verflogen war alle Weihnachtsstimmung, ein düsterer Kampfesmut beseelte die Männer, bleiches Entsetzen lähmte die Frauen. Das Luisle jammerte, daß nun aus ihrer Weihnachtsbescherung für die Tiere nichts werden könne. Aber umsichtig und mit imponierender Ruhe traf der alte Förster, der schon so oft den Bugres im Kampfe gegenübergestanden hatte, seine Anordnungen, und alle ordneten sich ihm willig unter. Sein scharfes Auge überschaute mit einem Blick die Lage, und ohne Zögern erteilte er die zweckmäßigsten Anordnungen. Das große Hoftor wurde geschlossen und verrammelt, alle Waffen herbeigeholt und gut instand gesetzt, Patronen angefertigt, die Fenster mit Bettmatratzen und Brettern verrammelt, daß nur schmale Schießscharten dazwischen offen blieben.

»Du, Rolf, setzst dich sofort aufs Pferd und reitest so schnell als möglich auf Schleichwegen nach Santa Cruz, wenn auch der Hengst draufgehen sollte. Du bist der Leichteste, das Tier wird dich also am ehesten tragen können. In Santa Cruz sofort zum Bürgermeister, daß er uns mit der deutschen Milizreiterei, die wegen der Wirren des Bürgerkrieges gebildet wurde, schleunigst zu Hilfe kommen möge. Bis dahin werden wir hoffentlich aushalten. Aber spute dich und vergiß nicht, daß das Leben deiner Mutter und Geschwister von deiner Schnelligkeit abhängt.«

Rolf ließ sich das nicht zweimal sagen, und wenige Augenblicke später sprengte er in vollem Galopp davon. Gottlieb mit den Gauchos wurde abgeschickt, um so rasch als möglich die in der Nähe weidenden Viehherden zu retten und in den Hof zu treiben. Auch das gelang noch, aber doch nur mit knapper Not, denn einige Pfeile waren den Gauchos nachgefolgt, so daß sie nur noch unmittelbar vor den Wilden das Hoftor erreichten, das dann sofort wieder geschlossen wurde.

»Du, Siegfried,« fuhr der Alte in seinen Anordnungen fort, »übernimmst den Befehl über unsere Eingeborenen und suchst deren Hütten so lange als möglich zu halten. Geht es nicht mehr, so ziehe dich in den Haupthof zurück.«

Die ganze Farm war nämlich mit Palisadenzaun und Graben umgeben, aber eine gleiche Befestigung trennte die Wohnungen des eingeborenen Gesindes nochmals vom Herrenhause ab, so daß dieses mit Hof und Garten auch noch eine geschlossene Befestigung bildete, wenn die Ansiedlung der Farbigen aufgegeben werden mußte. Jeder erhielt seine Waffen und seinen bestimmten Platz sowie Verhaltungsmaßregeln. Auch der Doktor hatte sich mutig zur Verfügung gestellt, und der Häuptling schien seine Teilnahme an dem bevorstehenden Kampfe als selbstverständlich zu betrachten.

»Ihr Frauensleute,« fuhr der Alte fort, »stellt derweil Wasser zum Löschen bereit, bringt auch Öl zum Sieden, damit wir's den roten Teufeln auf die Köpfe schütten können, falls sie sich zu nahe heranwagen. Richtet in den Kammern auch für alle Fälle ein Lazarett ein, ich fürchte, wir werden es brauchen können. Also vorwärts ans Werk, Mutter, Lieselott und Luisle! Aber wo zum Teufel ist denn Lieselott?«

»Ja, wo ist denn Lieselott?« fragte jetzt jeder erstaunt und sah sich nach ihr um, denn in dem allgemeinen Tumult hatte niemand bemerkt oder darauf geachtet, daß das stille junge Mädchen gar nicht zugegen gewesen war.

Das Luisle aber brach in lautes Jammern aus. »O Gott, o Gott,« rief sie schluchzend, »das Fräulein ist ja schon vor dem allgemeinen Frühstück nach dem Walde gegangen, um recht schöne Blumen für die Weihnachtstafel zu holen. Nur einer der Schwarzen war bei ihr. Wenn nur nicht die verdammten Indianer sie erwischt haben! Sie werden ihr doch nichts zuleide getan haben, wo unser Fräulein gegen jedermann so gut ist?«

Betreten sahen sich alle an. Hier war allerdings guter Rat teuer. Sollte man auf die Suche nach dem Mädchen ausziehen und derweil die Farm, die jeden Augenblick angegriffen werden konnte, ihrer besten Verteidiger entblößen?

Tumayaua hatte inzwischen seinen Poncho abgelegt und Bogen und Tomahawk ergriffen.

»Tumayaua wird die weiße Blume des Waldes finden,« sagte er einfach.

»Das ist ein guter Gedanke,« rief Herr Förster erfreut aus. »Wenn irgend jemand uns über das Schicksal meines armen Kindes rasch Gewißheit verschaffen kann, so ist es der Häuptling, der mit allen Schlichen der roten Bande vertraut ist. Also geht mit Gott, lieber Freund, und bringt uns recht bald gute Nachricht.« Innig drückte er der braven Rothaut die Hand.

»Und ich gehe mit,« rief Helmut aus. »Ich hätte doch keine ruhige Minute hier, solange ich meine Schwester in den Händen dieser Wilden weiß. Und mag der Häuptling noch so schlau und scharfsinnig sein, schließlich sehen vier Augen doch mehr als zwei.«

Auch die andern Brüder und der Doktor wollten durchaus mit, aber der alte Förster legte dagegen energisch Verwahrung ein, denn mit Recht wies er darauf hin, daß zwei einzelne Männer sich leichter durchschleichen würden, als ein ganzer Trupp, und daß man die Farm nicht zu sehr von Verteidigern entblößen dürfe.

»Mag uns,« so schloß er seine wirkungsvolle Rede, »das einzelne Menschenleben noch so sehr ans Herz gewachsen sein, wir dürfen seinetwegen nicht das von uns allen aufs Spiel setzen, dürfen nicht so viele Leute, die uns vertrauen, der Rachgier der Feinde preisgeben.«

Hart und fest klangen die Worte des alten knorrigen Bauern, während die arme Mutter und das trostlose Luisle still vor sich hinweinten. Bald schloß sich das Hoftor wieder hinter Helmut und dem Häuptling, und einige bange Stunden vergingen nun unter gespannter Erwartung. Aber nichts Verdächtiges zeigte sich. Lautlose Stille herrschte ringsum, und nur die vertrauten Tierstimmen aus dem Urwald tönten gedämpft herüber. Dem geübten Ohre des alten Förster wollte es freilich scheinen, als ob manche der Vogelrufe nicht echt wären, sondern von Menschenstimmen nachgeahmt würden. Er wußte, daß die Indianer sich durch Nachahmung solcher Vogelstimmen gegenseitig gern Zeichen geben, und war auf seiner Hut. Höher und höher stieg der glühende Sonnenball und stand schon fast senkrecht, so daß seine Strahlen die Augen der Männer blendeten, die an den dem Urwalde zugekehrten Fenstern aufgestellt waren. Es war ein heißes Flimmern in der Luft, und nichts ließ sich deutlich erkennen. Scharf spähte der alte Förster mit seinen Falkenaugen hinüber. Mehrmals war es ihm, als rege sich das Buschwerk vor dem Waldrande, und als könne dieses Regen nicht durch den leisen Hauch des Windes veranlaßt sein. Schließlich sah er wirklich einen dunklen Körper geschmeidig wie eine Schlange auf dem Boden hinkriechen. Langsam legte er die Büchse an seine Wange, zielte bedächtig und gab dann Feuer. Wie eine Erlösung zerriß der laute Knall die unheimliche, bange und erwartungsvolle Stille, unmittelbar gefolgt von dem Todesschrei eines nackten in die Höhe springenden Wilden.

Wie mit einem Zauberschlag veränderte sich jetzt die Szene. Überall rings um die Farm tauchten in überraschender Nähe die Gestalten wilder Krieger auf, die den nackten Leib scheußlich bemalt, die Kopfhaare mit Adler- oder Papageienfedern geschmückt hatten, nun ein fürchterliches Geheul ausstießen, drohend ihre Streitäxte und Bogen schwangen und alsbald die mutige Schar der Verteidiger mit einem Pfeilregen überschütteten.

»Ruhig Blut behalten! Keine Übereilung!« mahnte der alte Förster. »Genau zielen und erst schießen, wenn die Kerle bis an die Palisaden herankommen. Kein Schuß darf fehlgehen.«

Die Weißen im Herrenhause befolgten diesen Befehl gar wohl, aber drüben bei den Eingeborenenhütten schien man doch nervös geworden zu sein, denn dort krachte fast unablässig ein überhastetes und nicht sonderlich gut gezieltes Feuer. Man hörte Siegfrieds schallende Stimme zur Ruhe und Besonnenheit mahnen. Jetzt waren die Angreifer bis dicht an die Palisaden heran, und nun krachte auch aus den Fensterluken des Herrenhauses Schuß um Schuß, oft begleitet von einem Wutgeheul der stürmenden Indianer. Viele von diesen färbten das Gras mit ihrem Blute, aber der Anführer, ein riesenhafter Hüne, kenntlich an einer Halskette aus Jaguarzähnen, schien wie gefeit und leitete den Angriff mit erstaunlicher Umsicht. Die Pfeile der Wilden prasselten anfangs unschädlich gegen die starken Balken des Hauses, aber jetzt fand doch einer seinen Weg durch eine der schmalen Schießscharten und bohrte sich einem Gaucho in den Oberarm, der neben Günter an diesem Fenster stand. Es war nur ein ganz kleiner, kaum handlanger, dünner und schwacher Pfeil, ganz verschieden von den kolossalen Pfeilen, die Tumayaua mit solcher Sicherheit von seinem Bogen entsandte. Er schien nur eine kleine Fleischwunde verursacht zu haben, und gelassen wollte sich der Gaucho selbst den Pfeil herausziehen, als sich sein Gesicht plötzlich entfärbte und er mit schmerzverzerrten Gliedern zu Boden stürzte, in krampfhafte Zuckungen verfiel und wenige Augenblicke später eine Leiche war.

Ernst war der alte Förster näher getreten, und düster blickte er auf den Gefallenen, zog dann vorsichtig den Pfeil heraus und sagte:

»Die Teufel schießen mit vergifteten Pfeilen. Es ist das furchtbare Curaregift, das sie aus dem Safte einer Pflanze gewinnen, und mit dessen Hilfe sie die lebenszähen Faultiere und die wehrhaften Jaguare sogar mit dem Blasrohr erlegen. Kinder, deckt euch so gut wie möglich und gebt euch keine Blöße, denn wer von einem solchen Pfeil auch nur leicht getroffen wird, ist rettungslos verloren, wie wir es ja soeben mit angesehen haben.«

Günter hatte noch nie einen Menschen sterben sehen und jetzt schaudernd den qualvollen Tod des armen Gaucho miterlebt. Grimmige Rachgier erfaßte ihn ob solcher Heimtücke, obwohl er sonst weicher geartet war. Er hatte noch nie seine Büchse auf einen Menschen angelegt, und eine heilige Scheu vor der Vernichtung eines Menschenlebens hatte ihn auch heute bisher gehindert zu schießen, und ihn zu dem Vorsatze gebracht, nur im äußersten Notfall eine Kugel zu versenden. Jetzt aber waren alle diese Bedenken mit einem Schlage verschwunden. Er sah ein, daß diesem mordgierigen Gesindel gegenüber keine Schonung angebracht war, daß hier der Selbsterhaltungstrieb höher stehen mußte als die Nächstenliebe. Von diesem Augenblicke an legte es sich ihm wie ein roter Schleier vor die Augen, und wilde Kampfgier erfüllte sein ganzes Wesen. Fester umspannte er Lauf und Kolben seiner Büchse, und Schuß auf Schuß sandte er mit tödlicher Sicherheit hinaus zwischen die angreifenden Indianer. So oft einer von diesen Miene machte, in den Graben zu springen oder den Palisadenzaun zu ersteigen, brach er auch schon getroffen zusammen. Der Häuptling der Bugres schien auch zu der Einsicht zu kommen, daß er auf dieser Seite einstweilen nichts ausrichten könne, und zog seine Krieger wieder nach dem Waldrande zurück. Gottlieb schickte ihnen einen derben Fluch nach.

»Ganget nur, ihr wüschte Muster, ihr wüschte! Ganget nur dahin, wo ihr daheimder seid, ihr Raubmörder, ihr Schindluder!«

Alles atmete auf wie befreit von einer schweren Last, denn außer dem getöteten Gaucho war niemand verletzt. Es zeigte sich aber bald, daß man zu früh gejubelt hatte. Der schlaue Häuptling der Bugres zog seine Streitkräfte unsichtbar durch den Urwald herum nach der abgeteilten Seite des Gehöftes, wo sich die Hütten der Farbigen befanden, und wo Siegfried das Kommando führte. Leider konnte die Besatzung des Herrenhauses diesen Teil nur wenig übersehen und deshalb auch nur wenig Hilfe leisten, als jetzt die Wilden dort mit verdoppelter Wut und in großer Überzahl abermals angriffen. Die Verteidiger hatten auch nicht so geschützte Stellungen wie im Herrenhause, und so erlag bald hier bald dort einer den verderblichen Giftpfeilen. Siegfried, der seinem Namen alle Ehre machte und sich wehrte wie ein grimmiger Löwe, mußte bald zu der Einsicht kommen, daß er mit seiner zusammengeschmolzenen Schar diesen Platz nicht mehr lange werde halten können. Schon stiegen einzelne Angreifer mit Triumphgeheul über die Palisaden und kreuzten ihre schweren Steintomahawks mit den Machetes der Schwarzen. Ein schriller Pfiff Siegfrieds versammelte alles, was noch kampffähig war, um ihn, und dann zog er sich, die Stirn gegen den Feind, unter fortwährendem Feuern durch das Verbindungstor zwischen beiden Höfen langsam nach dem Herrenhause zurück. Wohl folgten die Bugres mit entsetzlichem Triumphgeheul, aber eine wohlgezielte Salve aus dem Herrenhause scheuchte sie wieder zurück, und sie vergnügten sich nun damit, die armseligen Hütten der Schwarzen auszuplündern und anzuzünden. Wahrend alles betrübt nach den dort aufsteigenden Rauchwolken blickte, rief plötzlich Gottlieb, der seine Augen überall hatte, aus: »Achtung! Alles auf die andere Seite und Feuer!« Ein überraschender Anblick bot sich, als man dieser Aufforderung Folge leistete, denn aus der anderen Seite des Waldes stürzte in wahnsinnigem Laufe Helmut hervor, seine Schwester an der Hand. Eine Schar Indianer war hinter ihm drein, stutzte aber, als sie sich mit wohlgezielten Schüssen empfangen sah, und so kam Helmut bis ans Tor, taumelte atemlos herein und legte die teure Schwester der lieben Mutter in die Arme. Auch des Vaters Augen glänzten vor freudiger Erregung. »Das vergesse ich dir nie,« sagte er einfach.

»Euer Dank gebührt nicht mir,« erwiderte Helmut zu den ihn erregt Umdrängenden, »sondern unserm Freunde Tumayaua, von dem ich nur hoffen will, daß er nicht seiner Kühnheit zum Opfer gefallen ist.«

Das halb ohnmächtige Mädchen erholte sich rasch unter der sorgsamen Pflege der Mutter, und nun ging's ans Erzählen, zumal der zurückgeschlagene und offenbar stark geschwächte Feind zunächst an keinen weiteren Angriff zu denken schien.

Aber begleiten wir lieber selbst Helmut und den Häuptling im Geiste auf ihrem waghalsigen Unternehmen. Mit Aufbietung der größten Vorsicht waren sie auf einem nur dem Indianer bekannten Pfade durch den Urwald geschlichen, alle Augenblicke stehen bleibend und in die Wildnis hinauslauschend. Als der Häuptling wieder einmal Halt machte, zog er die Luft durch seine Nasenlöcher ein wie ein witternder Jagdhund und sagte zu seinem Begleiter: »Die Bugres können nicht weit sein. Die Luft ist brenzlich vom Geruch ihrer Lagerfeuer.« Eine Weile später legte er das Ohr auf den Boden und erklärte: »Die Erde schwankt von Männertritten, die Bugres führen ihren Kriegstanz auf.«

Helmut konnte die scharfen Sinne des Indianers nicht genug bewundern. Kleine Kennzeichen, an denen er achtlos vorübergegangen wäre, veranlaßten den Chiriguano zu eben so kühnen wie sicheren Schlüssen. Schließlich fand er gar ein winziges Stückchen roter Seide an einem Dornzweige hängen, das offenbar von dem Halstuche herrührte, welches Lieselotte der Morgenkühle wegen umgenommen hatte.

»Endlich eine sichere Spur!« rief Helmut erfreut aus. »Hier also muß meine Schwester vorübergegangen sein.«

»Vorübergegangen ist sie nicht,« sagte der Indianer ernst, »die weiße Blume ist nicht so hoch, daß dieser in mehr als Manneshöhe befindliche Dornenzweig ihr Halstuch hätte ritzen können. Sie ist vorübergetragen worden. Der Boden zeigt ja auch nicht den Lederschuh einer weißen Frau. Will aber mein Bruder genau hinsehen, so wird er hier den leisen Abdruck eines nackten Männerfußes entdecken. Dem rechten Fuße fehlt die kleine Zehe. Die Spur gehört also Aleko an, dem großen Häuptlinge der Bugres, denn dieser hat durch den Sandfloh eine Zehe des rechten Fußes verloren. Er hat die weiße Blume entführt und will seine Hütte mit ihr schmücken.«

Beklommen hörte Helmut zu. Er konnte sich der Richtigkeit der Schlußfolgerungen seines rothäutigen Freundes nicht verschließen, aber er hätte seine Schwester lieber tot gewußt als lebend in den Händen dieser menschlichen Bestien. Nun mußte erst recht alles aufgeboten werden, sie zu befreien. Mit erhöhter Vorsicht ging es weiter, bis der Häuptling die Hand auf den Mund legte und dem Weißen durch Winke zu verstehen gab, daß er stehen bleiben möge. Tumayaua selbst legte Bogen und Pfeilköcher ab und kroch dann, lediglich mit dem Tomahawk bewaffnet, geschmeidig wie eine Schlange auf der Erde durchs Buschwerk. Bald war er völlig verschwunden, und viel zu lange für die Ungeduld unseres Helden blieb er aus. Schon überlegte Helmut, ob er nicht der Anweisung des Häuptlings entgegen diesem folgen solle, da ihm doch vielleicht ein Unglück zugestoßen sein könne, als sich endlich das Gebüsch vor ihm unhörbar teilte und Tumayaua wie eine Erscheinung aus der Unterwelt wieder vor ihm auftauchte. »Ich habe die weiße Blume gesehen,« sagte er, »und wenn mein Bruder ruhig ist und keinen übereilten Angriff macht, soll er sie auch erblicken dürfen. Aber die lange Flinte muß hierbleiben. Sie ist uns nur im Wege. Mein Bruder möge nur die kleine Flinte mitnehmen.« Damit meinte der Häuptling Helmuts Marinerevolver, der allerdings beim Nahkampf in dem undurchdringlichen Buschwerk eine wirkungsvollere Waffe abgeben mußte als die schwere, unhandliche Büchse.

Zwar ließ Helmut diese nur schweren Herzens zurück, aber doch fügte er sich gehorsam dem Rate des erfahrenen Häuptlings. Zoll für Zoll schoben beide ihre Körper auf dem Waldboden durch das dichte Gestrüpp, sorgsam jedes Geräusch vermeidend, nicht achtend der scharfen Dornen, die ihnen Gesicht und Hände zerrissen, während der Chiriguano bedächtig jedes dürre Reis entfernte, dessen Knacken sie hätte verraten können. Von Zeit zu Zeit machte er Halt, blieb eine Weile regungslos und lauschte. Endlich winkte er Helmut ganz an sich heran, brachte dessen Augen in eine Lücke des dichten Buschwerkes und machte ihn noch vorher auf einen Wachtposten der Bugres aufmerksam, der ziemlich sorglos in unmittelbarer Nähe auf einem Baumstumpfe saß. Kaum vermochte Helmut einen Laut der Überraschung zu unterdrücken bei dem Bilde, das sich ihm jetzt darbot.

Auf einer großen Waldlichtung loderte ein mächtiges Lagerfeuer, und um dieses herum saßen zahlreiche Bugres. Noch nie hatte Helmut diese wilden Kerle in solcher Nähe gesehen, und ein unwillkürlicher Schauer überrieselte ihn bei ihrem Anblick. Keiner der bis auf einen schmalen Lendenschurz völlig nackten und am ganzen Körper mit grellen Farben in der scheußlichsten Weise bemalten Männer hatte die edle Gesichtsbildung Tumayauas aufzuweisen, sondern alle trugen das Gepräge viehischer Roheit. Grinsenden Teufelsfratzen glichen ihre platten und breitmäuligen Gesichter mit den eingedrückten Nasen und den abstehenden Ohren. Von seiner Schwester vermochte Helmut einstweilen nichts zu entdecken. Wahrscheinlich befand sie sich in einer der primitiven Hütten, die am Waldrande aus starken, in die Erde getriebenen und noch mit ihrem Laube versehenen Ästen errichtet und mit großen Bananenblättern zugedeckt waren. Die meisten Wilden waren in träger Ruhe auf dem Boden gelagert, und unter ihnen ragte die hohe Gestalt des Häuptlings Aleko hervor, der auch hier die uns schon bekannte Halskette aus Jaguarzähnen trug und als Zeichen seiner Würde im Haar eine Feder der Harpye, der mächtigsten amerikanischen Adlerart. Einige alte Weiber von abschreckender Häßlichkeit huschten geschäftig hin und her und waren offenbar mit den Vorbereitungen zur Mahlzeit beschäftigt. Jetzt erschienen einige Krieger und brachten einen frisch geschossenen Hirsch sowie ein lebendes Füllen, das sie sicherlich auf einer der Farmen gestohlen hatten. Dem armen Tier waren die Füße gefesselt, und zitternd stand es im Kreise dieser fremdartigen Menschen. Es wurde auf den Rücken geworfen, und nun schritt Aleko darauf zu, schnitt ihm die Gurgel durch, und die Weiber stopften Mais- und Wurzelmehl in die Luftröhre, so daß das herausschießende Blut davon aufgefangen wurde und zum Stauen kam. Während das arme Tier sein Leben verhauchte, schnitt ihm Aleko die blut- und mehlgefüllte Luftröhre heraus, die von den Weibern oben und unten mit Palmenfasern zugeschnürt wurde und so eine Art großer Blutwurst abgab. Sie wurde über dem Feuer nur ganz wenig geröstet und dann von den Männern gierig zerrissen und verschlungen, während die Weiber neidisch zusahen. Aber das war nur die Vorspeise. Die Hauptmahlzeit sollte nun erst folgen. Während die Männer faul liegen blieben, zerwirkten die Weiber mit verblüffender Schnelligkeit den Hirsch und warfen die nur oberflächlich vom Fell befreiten Fleischteile in ein großes, mit rohen Verzierungen versehenes Gefäß, das an drei Pfählen über dem Feuer hing. Sehr reinlich ging es dabei nicht zu; in wilder Hast flogen ganze Fetzen von Haut und Fell mit in den Kessel. Auf, dem Gebräu sah man so neben mächtigen Fettaugen bald auch Haare, Sehnen und dergleichen schwimmen. Kaum wartete man ab, bis das Fleisch auch nur halb gar geworden war, dann stürzte sich alles mit der Gier von Tieren auf die Speise, und jeder suchte sich vor allem eine Fettschwarte herauszufischen. Die Augen glänzten lüstern, die fratzenhaften Gesichter waren bald von einer Fettkruste überzogen, und die spärlichen Barte tropften von Schmalz. Jeder riß an sich, soviel er nur zu erhaschen vermochte, und stopfte es wahllos und hastig in den Mund, so daß für die Weiber nur noch ein paar Knochen zum Abnagen übrig blieben. Es war eine gräßliche, ekelerregende Mahlzeit, und mit stillem Schauder dachte Helmut daran, daß, verbürgten Nachrichten zufolge, diese Wilden bisweilen auch die Leichen erschlagener Feinde in ähnlicher Weise verzehren sollten.

Sein Auge hing an Aleko, der endlich gesättigt zu sein schien und befriedigt eine Tabakspfeife hervorzog. Dann rief er seinen Leuten einen Befehl zu, worauf einige nach der größten Hütte liefen und alsbald die arme Lieselotte mehr herbeitrugen als führten. Sie war an den Füßen und Händen gefesselt, so daß sie nur ganz kleine Schritte zu machen vermochte. Ihr Gesicht war bleich, verriet aber keine Furcht, sondern eine Entschlossenheit, die man dem sanften Kinde kaum zugetraut hätte. Der Häuptling ließ ihre Handfesseln lockern und warf ihr dann einen Hirschknochen mit den noch daran hängenden Fleischfetzen zu, indem er ihr mit einer herrischen Gebärde zu verstehen gab, sie solle essen. Aber voll Widerwillen wandte Lieselotte sich ab.

»Die weiße Blume wird sich an die Kost des armen Indianers gewöhnen müssen,« sagte Aleko höhnisch, »denn sie soll künftig die Hütte des großen Häuptlings der Bugres teilen, ihm sein Wildpret kochen und seine Hängematte flechten.«

Helmut wäre am liebsten aufgesprungen und hätte den frechen Indianer mit dem Revolver niedergeschossen, aber mit eisernem Drucke hielt ihn die Faust Tumayauas zurück. Er sah ja auch selbst ein, daß man einen günstigeren Augenblick abwarten müsse, um einen aussichtsreichen Versuch zur Rettung der geliebten Schwester zu wagen. Ein Hervorbrechen in diesem Augenblicke hätte bei der großen Überzahl der Indianer doch nur für alle drei den sicheren Tod bedeutet. So hieß es sich in Geduld fassen, und diese wurde auf keine allzu lange Probe mehr gestellt. Auf einen Wink des Häuptlings wurde Lieselotte wieder in die Hütte zurückgeführt, und einer der Wilden ließ sich als Wachtposten davor nieder. Die andern aber griffen zu ihren Waffen und waren bald lautlos im dichten Mauerwerk des Urwaldes verschwunden. Sie zogen gegen die Farm zu dem schon geschilderten Angriff. Es war das ein banger Augenblick, denn wie leicht konnten die Wilden an dem Platze vorüberkommen, wo Helmut und Tumayaua regungslos in ihrem Versteck lagen. Helmut fühlte sein Herz in angstvoller Erwartung bis an den Hals hinauf schlagen, aber er war fest entschlossen, lieber mit der Schwester gemeinsam zu sterben, als sie in den Händen dieser entsetzlich rohen Wilden zu lassen. Glücklicherweise zogen die Indianer auf der andern Seite ab, ohne etwas von den beiden Spähern zu bemerken. Nach und nach zerstreuten sich auch die alten Weiber im Walde, um eßbare Wurzeln zu suchen, und außer dem Wachtposten vor Lieselottes Hütte blieben nur zwei ältere Krieger am Feuer zurück, das sie fleißig schürten.

Jetzt war der geeignete Augenblick zum entscheidenden Handeln gekommen. Helmut und Tumayaua tauschten einen Blick des Einverständnisses, sprangen dann plötzlich auf und stürzten sich mit mächtigen Sätzen auf ihre ahnungslosen Gegner. Schwer sauste des Häuptlings Tomahawk auf den unbeschützten Schädel des einen älteren Kriegers nieder, daß er knirschend auseinanderbarst. Ehe Tumayaua aber noch zu einem zweiten Hiebe ausholen konnte, war sein anderer Gegner mit katzenartiger Behendigkeit ihm entschlüpft und zwischen dem dichten Blätterwerk des Urwaldes entschwunden. Helmut hatte derweil den Wachtposten vor der Hütte mit seinem Revolver niedergeschossen und stand im nächsten Augenblick vor der Schwester, deren Bande er rasch durchschnitt. Freudetrunken und wortlos lagen sich die Geschwister in den Armen. Aber der Häuptling drängte zum raschen Aufbruch.

»Mein weißer Bruder hätte nicht schießen sollen,« sagte er, »denn man hört auch den Knall der kleinen Flinte weit genug. Der entkommene Krieger wird uns ohnedies bald die ganze Bande auf den Hals jagen.«

Die drei brachen also schleunigst auf, und der Häuptling führte sie jetzt einen andern Weg, auf dem er die Bugres nicht zu treffen hoffte. Während die drei so mit äußerster Vorsicht auf einem kaum erkennbaren Indianerpfade in weitem Bogen ihrem Ziele zuschritten, hörten sie aus der Ferne immer stärker werdendes Flintengeknatter und Kampfgetöse, und bangen Herzens mußten sich Helmut und Lieselotte sagen, daß die Ihrigen jetzt wohl einen Kampf auf Tod und Leben mit den grausamen Wilden zu bestehen hätten. In diesen schweren Stunden wollten sie natürlich wieder mit ihren Lieben vereint sein, und deshalb eilten sie so rasch als möglich vorwärts, so daß der vorsichtige Häuptling wiederholt zu größerer Behutsamkeit mahnen mußte. Als man nicht mehr weit von der Farm war, stieg Feuerschein auf, der von den Hütten der schwarzen Arbeiter herrührte, und erfüllte die Herzen mit steigender Besorgnis. Noch einmal schwoll das Schießen an, aber gleich darauf verstummte es völlig. In diesem Augenblick stieß Lieselotte einen Schreckensschrei aus, denn ein ganzer Trupp von Bugres kam ihnen gerade entgegen. Rasch warfen sie sich seitwärts ins Dickicht, aber auch die Feinde hatten die Flüchtlinge bemerkt. Der ganze Wald schien plötzlich von Bugres zu wimmeln, denn sie wurden gerade von Aleko nach dem blutig zurückgeschlagenen Angriff auf das Herrenhaus zurückgeführt. Der armen Lieselotte drohten vor Entsetzen die Füße den Dienst zu versagen, aber Tumayaua nahm die halb Ohnmächtige auf seinen starken Arm und stürmte in mächtigen Sätzen mit ihr vorwärts, gefolgt von Helmut, der durch Revolverschüsse die Verfolger einigermaßen in Schach hielt. Bald aber waren seine Patronen zu Ende, und die Feinde rückten immer näher. Zwar war der Waldrand fast erreicht, und das Ziegeldach der Farm schimmerte bereits Rettung verheißend durch das Laubwerk. Tief aufatmend setzte Tumayaua seine Last nieder, warf sich allein den Feinden entgegen und gab Helmut einen Wink. So ungern dieser den edlen Häuptling auch im Stich ließ, ergriff er doch die Hand seiner Schwester und rannte mit ihr der Farm zu, ohne sich mehr umsehen zu können, was aus Tumayaua werden würde. Aber das Triumphgeheul der Bugres gleich darauf ließ ihn nur zu sehr befürchten, daß der Chiriguano der Übermacht der Gegner erlegen sei, und Helmut mußte sich sagen, daß die Rothaut sich mit offenbarer Absicht für ihn und seine Schwester geopfert habe.

Wir wissen bereits, daß Helmut und Lieselotte das Tor der Farm glücklich erreichten. Der Häuptling hatte ihnen den größten Teil der Verfolger vom Leibe gehalten und sich nach Kräften gegen diese gewährt, aber schließlich war er doch durch einen von Alekos geschickter Hand geschleuderten Lasso kampfunfähig gemacht und lebend ins Lager der Bugres geschleppt worden. Diese kannten und haßten ihn als einen Freund der weißen Ansiedler schon lange und legten eine unbändige Freude über ihren glücklichen Fang an den Tag, so sehr sie auch anderseits durch die schweren Verluste beim Sturm auf die Farm niedergedrückt waren. Mit starken Riemen aus Hirschleder wurde Tumayaua an einen Baumstamm angebunden, und dann belustigten sich die Wilden damit, ihn als lebende Zielscheibe für ihre Schießübungen zu benutzen. So sicher schossen sie aber, daß die Pfeile immer nur dicht neben dem Gefesselten in den Baumstamm fuhren, denn sie wollten ihn für raffiniertere Martern nach Erstürmung der Farm aufsparen. Auch hatten sie jetzt mit der Unterbringung und Pflege ihrer zahlreichen Verwundeten zu viel zu tun. In Tumayauas stolzem, bronzefarbenem Gesicht zuckte keine Muskel bei all den grausamen Prüfungen seines Mutes, bei all den rohen Beschimpfungen, mit denen er namentlich von den megärenhaften Weibern überhäuft wurde. Mit unerschütterlicher Ruhe und kaltem Stolze sah er den anschwirrenden Pfeilen entgegen, und nur wenn einer derselben nicht ganz genau traf und ihm die Haut ritzte, umspielte ein fast verächtliches Lächeln seine Lippen. Er kannte nur zu genau das grausige Schicksal, das ihm bevorstand, aber wenn er überhaupt ein Gefühl des Bedauerns empfand, so galt es lediglich dem Umstände, daß mit ihm der Letzte seines Stammes sterben würde. Und daneben empfand er fast ein Gefühl beseligenden Glückes darüber, daß er mit Aufopferung des eigenen Lebens das der »weißen Blume« gerettet hatte, die ihm in seinem wilden Leben immer wie ein sanfter Engel, wie eine gütige Gottheit aus einer andern Welt erschienen war.

In der Farm verstrich die Nacht in banger Erwartung, Die Hälfte der Männer stand an den verrammelten Fenstern beständig Wache, aber auch die andere Hälfte konnte keinen erquickenden Schlaf finden, denn jeder hatte das sichere Gefühl, daß der nächste Tag die Entscheidung über ihrer aller Leben bringen müsse. Jeder rechnete nach, wo etwa Rolf sich jetzt befinden könne, und ob es ihm möglich sein würde, noch rechtzeitig mit der sehnlichst erwarteten Hilfe zu nahen. Indessen verstrich die Nacht ruhig und ohne jeden Zwischenfall. Nur das Geheul aufgeschreckter Brüllaffen und das eintönige Geschwirr der Zikaden tönte vom finsteren Urwalde herüber. Was für entsetzliche Weihnachten waren das doch! Daheim im fernen Vaterlande freuten sich jetzt die Menschen an festlich geschmückten Tafeln des Lebens, und hier stand ein Häuflein deutscher Männer einem wilden, grausamen und übermächtigen Feinde in zäher Verteidigung seiner mit so viel Schweiß erworbenen Güter zum Kampfe auf Tod und Leben gegenüber, und vor Sorge und Aufregung vermochte kaum einer einen Bissen hinunterzuwürgen, so sehr Frau Förster in ihrer mütterlich sorgenden Art auch zum Essen nötigte.

Die Bugres ließen am Morgen des zweiten Weihnachtsfeiertages denn auch nicht lange auf sich warten. Wieder führte Aleko seine Scharen zum Sturme herbei, wütend über die bisher erlittenen Verluste, für die seine Rache fürchterlich sein sollte. Er schien entschlossen, die so tapfer verteidigte Farm unter allen Umständen zu nehmen, koste es, was es wolle. Rücksichtslos stürmten die nackten Wilden an, aber immer wieder warf sie das wohlgezielte Feuer der Verteidiger zurück. Mit banger Sorge sah der alte Förster, daß die Munition zur Neige ging. Was sollte dann aus ihnen werden? Im Nahkampf mit der blanken Waffe konnten sie dem übermächtigen Feinde unmöglich lange Widerstand leisten. Schweren Herzens mußte er den Befehl geben, mit dem Schießen zurückhaltender zu sein. Die Bugres machten sich das sofort zunutze. Schon kamen einige über die Palisaden herüber, ihre Pfeile forderten unter der Dienerschaft neue Opfer, und an den Fenstern traten bereits Revolver und Machete an die Stelle der Büchse. Einem riesenhaften Indianer gelang es, an einem Fenster die Verrammelung zu durchbrechen und, gefolgt von einigen Gefährten, in die Diele des Hauses herabzuspringen. Ein wütender Kampf Mann gegen Mann erhob sich, aber noch einmal blieben die Weißen Sieger, und die wenigen eingedrungenen Indianer wurden bis auf den letzten Mann niedergemacht.

Mittags folgte eine Pause allgemeiner Erschöpfung, aber als die Sonne im Niedersteigen begriffen war, schritten die Bugres abermals zum Angriff. Ihr Führer hatte sich jedoch inzwischen eine andere Taktik ausgedacht. Er hielt seine Leute mehr zurück, und mit Erstaunen sah der alte Förster durch sein Glas, daß die feindlichen Schützen jetzt zum Teil nicht mehr die kleinen Bogen mit den gefährlichen Giftpfeilen führten, sondern mit großen, mehr als mannshohen Bogen, nach Art desjenigen, wie man ihn von Tumayaua her kannte, bewaffnet waren. Mit diesen schossen sie auf erstaunlich weite Entfernung, selbst im Gestrüpp des Waldrandes nur ein sehr unsicheres Ziel für die Büchsen der Weißen bietend. Bald wurde klar, was sie beabsichtigten. Zischend flogen Pfeile gegen das Hausdach, die mit brennender Pflanzenwolle umwickelt waren. Zitternd saßen diese Geschosse bald an verschiedenen Stellen zwischen den Dachziegeln oder im Hausgebälk fest, und leichte Rauchwolken stiegen dann alsbald auf. Der alte Förster ließ zwar Neger mit den bereit gestellten Wasserkübeln durch die Dachluken hinausklettern, um das glimmende Feuer zu löschen, aber alsbald brachen die Unglücklichen von Pfeilen durchbohrt zusammen, denn die Bugres hatten ihre besten Schützen zwischen den abgebrannten Arbeiterhütten aufgestellt. Auf diese Weise war also nichts zu machen und wurden nur kostbare Menschenleben unnütz geopfert. So ließ es sich nicht verhindern, daß nach kurzer Zeit der Dachstuhl in Brand geriet, und nun mußte wegen des betäubend eindringenden Rauches das ganze Obergeschoß geräumt und auch die Verwundeten, die sich dort der treulichen Pflege der Frauen erfreuten, nach unten geschafft werden. Dazu waren viele Hände nötig, und die Wilden, die das ahnen mochten, stürmten nun abermals unter betäubendem Kriegsgeschrei vor. Trotzdem die Verteidiger ein wohlgezieltes Feuer eröffneten, kamen sie doch wieder an einer Stelle bis unter die Fenster, aber hier hatte, noch tapfer oben ausharrend, das Luisle Stellung genommen und spritzte mit einem großen Pinsel aus einem Eimer glühende Strahlen siedenden Öls aus die nackten Köpfe der Wilden, die mit wahnsinnigem Schmerzgeheul zurückfuhren. Schließlich mußte aber das Luisle seinen Posten aufgeben; alles drängte sich unten in der Diele zusammen und lauschte angstbeklommen auf das Knistern des Feuers, das sie alle in kürzester Frist dem Feinde in die Hände treiben mußte. Und noch immer war nichts von Rolf zu sehen!

Mit finsterer Entschlossenheit zogen sich die dichten Brauen des Hausherrn zusammen. Wenn schon alles verloren war, wollte er wenigstens sein und der Seinigen Leben teuer genug verkaufen. Aus seinen Ruf scharte sich alles um ihn, die Verwundeten und die Frauen wurden in die Mitte genommen, und dann erklärte er mit schallender Stimme, daß nichts übrig bleibe, als das brennende Haus zu verlassen, einen verzweifelten Ausfall zu machen und sich womöglich durchzuschlagen, wobei alle dicht beisammen bleiben und die Richtung nach Santa Cruz einschlagen sollten, weil man hoffen dürfe, dann unterwegs auf die gewiß eiligst herbeiziehenden Hilfskräfte zu stoßen.

Genau wurde der Befehl ausgeführt. Zwei kräftige Schwarze lösten die Torbalken, und dann ging es im Sturmschritt hinaus, indem eine abgegebene Salve den Weg für die nächsten hundert Schritte freimachte. Aber schnell erholten sich die Wilden von ihrer Überraschung und stürzten sich mit Wutgeheul und geschwungenen Tomahawks auf die kleine Heldenschar. Im Nu war diese umringt, und ein Verzweiflungskampf schien bevorzustehen. In diesem Augenblicke der höchsten Not donnerte aber die Erde plötzlich von Rosseshufen, und im tollsten Galopp sprengte eine große Reiterschar um die Waldecke, allen voran Rolf, der jauchzend seinen Hut schwenkte. Eine wohlgezielte Salve der Reiter warf so manchen Wilden blutend ins Gras, und die auf solche Weise zwischen zwei Feuer genommenen Bugres stoben erschreckt auseinander, ohne überhaupt noch an ernstlichen Widerstand zu denken. Zu schnell und überraschend war ihnen der Wechsel vom endlichen Siege zur völligen Niederlage gekommen. Fast im Nu war der einen Augenblick vorher noch vom wildesten Getümmel erfüllte Kampfplatz geräumt, alle Bugres, soweit sie nicht tot oder verwundet am Boden lagen, im Urwalde verschwunden. Ein Teil der zu so rechter Zeit erschienenen Helfer setzte ihnen racheschnaubend nach, während die andern sich sofort mit aller Energie an die Löschung des Brandes machten. Da Wasser genug auf dem Hofe vorhanden war, gelang diese glücklicherweise auch noch, ehe dem gefräßigen Element mehr als ein Teil des Dachstuhles zum Opfer gefallen war. Auch die Bewohner der Farm waren durch den plötzlichen Wechsel des Geschicks wie betäubt. Eben noch hatten sie sich selbst dem sicheren Tode und ihr Eigentum erbarmungsloser Vernichtung preisgegeben gesehen, und nun lag das alles hinter ihnen wie ein böser Traum, und sie durften dankerfüllt die Hände der wackeren Landsleute und Retter drücken.

Helmuts erster Gedanke war es gewesen, sich an den Löscharbeiten zu beteiligen oder den schwergeprüften Eltern tröstend und helfend zur Seite zu stehen. Aber dann durchblitzte ihn der Gedanke an Tumayaua, und die Besorgnis um das Schicksal des edlen Häuptlings ließ ihn alles andere vergessen. Diesmal ging die Freundespflicht vor, mochte es sich auch nur um eine arme Rothaut handeln. Mit ein paar raschen Worten hatte er den Doktor, Rolf und Siegfried verständigt, und alle vier eilten unter Helmuts Führung so rasch als möglich dem Lagerplatze der Bugres zu. Sie kamen keinen Augenblick zu früh, denn bereits waren die flüchtenden, schnellfüßigen Wilden hier gewesen, hatten ihre wenigen Habseligkeiten zusammengerafft, ihre erschrockenen Weiber ins Gebüsch gescheucht, und soeben verschwanden ihre letzten Krieger hinter den undurchdringlichen Kulissen der grünen Wildnis. Vergebens spähten Helmuts Augen nach dem Chiriguano umher. Rasch weiter! Das rauschende Blätterwerk verriet, daß noch Bugres in unmittelbarer Nähe waren und auffallend langsam vorwärts kamen, als ob sie etwas Schweres und Widerstrebendes zu tragen hätten. Ihnen nach! Ein Giftpfeil prallte unschädlich gegen Helmuts Ledergamasche, ein anderer durchbohrte seinen Hut. Er achtete es nicht. Jetzt war er heran und sah, wie zwei Bugres mühsam den ganz mit Lederriemen umwickelten Körper Tumayauas mit sich schleppten, während Aleko ihnen Voranschritt. Zwei glückliche Schüsse aus seinem Revolver streckten die beiden Träger nieder, und während Aleko flüchtete, war Helmut alsbald neben dem Häuptling und durchtrennte mit einigen hastigen Schnitten seines Hirschfängers dessen Bande. Ohne ein Wort über dieses Wiederfinden zu verlieren, riß Tumayaua den Hirschfänger an sich und war dann sofort hinter Aleko her verschwunden. Erst nach einiger Zeit kehrte er zurück und überreichte dem Weißen seine noch von warmem Menschenblute triefende Waffe wieder. Auf seiner nackten Brust aber prangte des Bugrehäuptlings Halskette aus Jaguarzähnen.

»Aleko hat die Beleidigungen gebüßt, die er dem letzten Häuptling der Chiriguanos zugefügt hat,« sagte er mit grimmiger Betonung. »Aber,« so fuhr er weicher fort, »Tumayaua wird nie vergessen, daß er sein Leben und seine Rache seinem weißen Bruder verdankt. Tumayauas Blut wird später für diesen fließen, wenn der große Geist neuen Krieg erregt. Dieser Krieg ist jetzt zu Ende. Die Bugres werden nach dem Fall ihres Führers so bald nicht wiederkehren.«

Diese wilde Szene war die letzte ihrer Art an diesem bewegten Tage. Gegen Abend war alles auf dem großen Hofe der Farm versammelt. Die zuletzt kommenden Reiter brachten auch einen Teil des geraubten Viehs zurück, das sie den flüchtigen Bugres wieder abgejagt hatten. Überall standen Gruppen aufgeregter Menschen herum, die mit lebhaften Gestikulationen den überstandenen Kampf in allen Einzelheiten immer wieder durchsprachen. Helle Freude leuchtete aus den Augen der braven Milizreiter, daß es ihnen vergönnt gewesen war, ihre Landsleute im letzten Augenblick vor einem furchtbaren Schicksal zu bewahren. Es hatte sich herausgestellt, daß Rolf sie schon einige Meilen vor Santa Cruz getroffen hatte, da ausgeschickte Kundschafter die Richtung des Indianerzuges festgestellt hatten und daraufhin sofort alle entbehrlichen Männer in den Sattel gestiegen waren. Das Feuer war gelöscht, ohne größeren Schaden getan zu haben, aber wilde Unordnung und ein wüstes Durcheinander herrschten noch allenthalben, und es bedurfte vieler Arbeit, um vor völligem Einbruch der Dunkelheit wenigstens noch einige Ordnung in das Chaos zu bringen. Die Reiter hatten auf dem Hofe mitgebrachte Zelte aufgeschlagen, um unter ihnen zu nächtigen, und Mutter Förster kochte derweil in dem großen Feldkessel eine kräftige Suppe, die Lieselotte und Luisle nebst Schwarzbrot und kaltem Hirschfleisch unter die hungrigen Männer verteilten.

Manch kräftiges, deutsches Wort wurde noch gesprochen, und es dauerte lange, bis alle sich zur Ruhe begaben, nachdem vorsichtshalber Wachtposten an dem halb zerstörten Palisadenwall ausgestellt worden waren.

»Sehen Sie,« sagte Herr Förster wehmütig zu Doktor Mangold, »da haben Sie einen Begriff davon, daß es uns deutschen Ansiedlern hier nicht so glänzend geht, wie Sie früher annahmen, und daß wir um das Leben in der Wildnis gewiß nicht zu beneiden sind, soviel Lichtseiten es auch haben mag. Diese beiden traurigen Weihnachtsfeiertage haben mich zum mindesten zwei Jahre zurückgebracht, und es wird vieler Arbeit bedürfen, um das in wenigen Stunden Zerstörte neu aufzubauen. Nun, verzagen dürfen wir nicht, und der alte Herrgott, der uns eben erst so wunderbar beschützt hat, wird ja wohl weiter helfen. Er verläßt ja keinen guten Deutschen. Vor den Bugres werde ich ja wohl für den Rest meines Lebens Ruhe haben, denn nach dem blutigen Denkzettel von heute werden sie sich so bald nicht wieder aus ihren Schlupfwinkeln hervorwagen; aber wenn auch die Bugres nicht wiederkommen, so doch zur Abwechslung sicher die Heuschrecken oder große Überschwemmungen, und so ist schon dafür gesorgt, daß die Bäume bei uns nicht in den Himmel wachsen, sondern daß man sich immer hübsch bescheiden lernt.«

Die Reiter blieben noch den ganzen nächsten Morgen da, um weiter bei den Aufräumungsarbeiten und beim Wiedereinfangen des zersprengten Viehs zu helfen. Auch eine ernste Pflicht war noch zu erfüllen, nämlich die Toten zu begraben und auf Wagen bequeme Lagerstätten für die Verwundeten herzurichten, die nach dem Spital von Santa Cruz geschafft werden sollten. Der dortige deutsche Arzt war auch gleich mitgekommen und konnte so gleich selbst mit sachkundiger Hand die ersten Notverbände anlegen. Von den Bugres war weit und breit nichts mehr zu hören und zu sehen; es schien, als habe der Erdboden die wilden Scharen verschlungen. So konnten nach nochmaligem Nächtigen die wackeren Reiter beruhigt den Heimweg antreten, gefolgt von den Dank- und Segenswünschen der Farmbewohner. Diese aber hatten noch wochenlang zu tun, um mit allem wieder in Ordnung zu kommen, und eine ernste Stimmung hatte sich ihrer aller bemächtigt, die die alte Gemütlichkeit nicht recht wieder aufkommen lassen wollte. Dazu kamen die immer trüber lautenden politischen Nachrichten. Es hieß, daß die siegreichen Regierungstruppen bereits ganz Santa Catharina durchzogen hätten und demnächst auch in Rio Grande do Sul auftauchen würden, um die letzten Reste der Revolutionäre zu zersprengen und ihr Mütchen an den Unterlegenen zu kühlen, zumal mit dem inzwischen gefallenen Admiral Gama die letzte Hoffnung der Aufständischen ins Grab gesunken war.

Über alledem war auch die Regenzeit herbeigekommen. Täglich gab es schwere Gewitter mit heftigen Regengüssen, und man konnte froh sein, wenn man dann wohlgeborgen unter Dach und Fach war. Die Wege waren fast grundlos geworden, und aller Verkehr mit der Nachbarschaft deshalb sehr erschwert. Namentlich gegen Abend setzte fast regelmäßig ein solches Unwetter ein, und es goß dann buchstäblich wie aus Kannen. Einmal saß die ganze Gesellschaft abends vor dem Nachtessen in der Diele zusammen, während draußen ein Wetter tobte, daß man keinen Hund vor die Tür hätte jagen mögen. Plötzlich wurden alle durch starkes Klopfen an das Hoftor aufgeschreckt, und nachdem Gottlieb hinausgegangen war, um nach dem unvermuteten Ankömmling zu sehen, trat dieser alsbald herein, triefend von Nässe und einen kleinen Bach hinter sich erzeugend. Es war ein sehr lebhafter Mann von typisch deutschem Aussehen, dem auch das Unwetter seinen Humor nicht geraubt zu haben schien.

»Ach, Herrjeses nee, meine kutesten Herrschaften,« begann er in unverfälscht sächsischem Dialekt, »entschuldigen Se nur gietigst, wenn ich Se noch so spät hier überfalle, aber draußen regnet es Se nämlich so stark wie auf der Leibziger Messe. Se erlooben doch wohl gietigst, daß ich hier een bißchen untertrete.«

Ein eingeborener Diener brachte gleichzeitig das in wasserdichtes Wachstuch sorgsam eingehüllte Gepäck des unverhofften Gastes herein und ging dann wieder hinaus, um die Maultiere zu Versorgen. Lachend hieß alles den späten Ankömmling willkommen, denn ein solcher unvermuteter Besuch aus der großen Welt brachte ja immer willkommene Abwechslung und allerlei frischen Gesprächsstoff, der in der Einsamkeit der Farm manchmal auszugehen drohte.

»Mein Name is Se nämlich Fritz Lehmann, und ich vertrete die bekannte Firma Schulze und Meyer in Leipzig, Konfektionen und alles, was Se sonst noch ham wolln. Eigene große Trikotweberei in Bärne (Pirna). Wenn die verehrten Damen sich nachher vielleicht mal meine Muster ansehn wolln; sehr scheene Sachen un fabelhaft billig.«

Nun, zuerst mußte Herr Lehmann sich an einer Tasse Tee erwärmen und am Abendessen teilnehmen, dann kaufte man ihm mehr aus Gefälligkeit gegen den lustigen deutschen Landsmann als aus wirklichem Bedürfnis etwas ab, und hierauf ging es ans Plaudern. Herr Lehmann entpuppte sich dabei als der richtige schlaue Sachse und als geriebener Geschäftsmann, aber es war interessant und lehrreich, ihm zuzuhören, wie er die Gestaltung des deutschen Handels in Südamerika schilderte, das er schon in allen seinen Teilen mit mehr oder minder großem Erfolge geschäftlich bereist hatte. Man erfuhr von ihm, wie geschickt sich die deutsche Industrie den Bedürfnissen und Eigenheiten nicht nur der deutschen Ansiedler, sondern auch der spanischen und portugiesischen Bevölkerung und selbst der wilden Indianerstämme angepaßt hatte. Diese Geschäftsleute hatten zum Beispiel aus den Berichten der Forschungsreisenden den Geschmack der Eingeborenen ganz genau studiert und danach ihre Erzeugnisse eingerichtet. Sie wußten, welche Farben und Muster die Indianer bevorzugten, und kannten sehr wohl deren Abneigung gegen ihnen fremde Richtungen. Herr Lehmann meinte, es sei viel schwerer, eine neue Mode im Chako oder am Amazonenstrom einzubürgern als in Wien oder Berlin.

»Weil die Indianer eben einen viel zu guten und gesunden, natürlichen Geschmack haben, als daß sie alle unsere Modenarrheiten mitmachten,« brummte Doktor Mangold.

»Das mag ganz richtig sein, aber für Dinge, die ihren angestammten Bedürfnissen entgegenkommen, haben sie doch sehr viel Verwendung, und es ist ein ganz gutes Geschäft da mit ihnen zu machen. So zum Beispiel mit kleinen Handspiegeln, denn mit deren Hilfe können sich die Kerle für ihre großen Tanzfeste selbst bemalen und schminken, während sie sich früher diesen Liebesdienst einander gegenseitig erweisen mußten. Sie sollten nur einmal so ein Indianergigerl sehen, mit welchem Wohlgefallen er seine bemalte Fratze in so einem Spiegel betrachtet, und wie unwiderstehlich er sich dabei vorkommt. Na, und wenn wir den Rothäuten für ihre stumpfen Steinmesser schöne Solinger Klingen bringen, so tut man damit doch schließlich auch ein gutes Werk und hilft die Zivilisation ein Stückchen vorwärts bringen.«

»Aber von Ihren bunten Kattunjacken, baumwollenen Hemden und Unterhosen kann man wohl kaum dasselbe behaupten,« sagte Helmut lachend. »Auf mich wenigstens haben solche halb bekleidete Indianer, wie man sie oft als Arbeiter in den Zuckerfabriken und Holzsägewerken steht, immer einen recht traurigen Eindruck gemacht, und da sind mir eigentlich die richtigen Wilden, die nichts als Lendenschurz und Federnschmuck tragen oder höchstens noch die von ihren Weibern selbst gewebte Wolldecke, die sie sich so malerisch und mit so viel natürlicher Anmut um den Körper zu legen wissen, zehnmal lieber.«

»Da muß ich Ihnen in meinem Innern eegentlich beipflichten,« stimmte Herr Lehmann zu. »Aber was wollen Se machen? Die Sachen werden nun einmal verlangt, und wenn wir sie nicht bringen, bringen sie die Engländer. Schließlich macht man doch Geschäfte, aber am liebsten selber. Dafür ist man nu mal Kaufmann.«

»Ja, es ist eine eigentümliche Sache um die Zivilisation,« mischte sich der alte Förster in seiner ruhigen und bestimmten Weise ins Gespräch. »Sie hat ja viel Gutes, aber doch auch viel Schlechtes, und man weiß wirklich nicht, ob man recht tut, die Indianer damit zu beglücken. Wäre jeder Pionier der Kultur ein selbstloser Menschenfreund, so wäre es ja etwas anderes. So aber will jeder an den Wilden verdienen und sie nach Möglichkeit ausnutzen. Brächte man ihnen nur Glasperlen und bunte Tücher, so ginge es ja an, aber bald folgt der unselige Schnaps, der ganze Volksstämme vergiftet und zum Aussterben bringt, oder man versieht die Wilden gar mit Gewehr und Munition, damit sie uns Ansiedler um so bequemer abschlachten können. So viel steht jedenfalls fest, daß die von der Kultur noch unberührt gebliebenen Wilden in der Regel gutmütige und ehrliche Kerle sind. Je mehr aber unsere sogenannte Zivilisation sich in sie eingefressen hat, desto mehr sind sie auch körperlich heruntergekommen und moralisch verlumpt. Ihre guten Instinkte sind verfallen, und dafür haben sich allerlei schlechte Gewohnheiten, die sie früher gar nicht gekannt hatten, unter ihnen breit gemacht. Ohne unsere ihnen gewaltsam aufgedrängte Kultur lebten sie das glückliche Dasein von Kindern, mit ihr müssen sie einen harten Kampf ums Dasein führen, dem sie rasch erliegen. Wir dürfen bei den Indianern nicht immer bloß an die heimtückischen und grausamen Bugres denken, sondern wollen nicht vergessen, daß es auch eine, ganze Reihe gut begabter und moralisch hochstehender Indianerstämme gibt, wofür wir ja in unserem Freunde Tumayaua das beste Beispiel haben. Solche Stämme haben auch eine eigene Kultur, die gar nicht zu unterschätzen ist. Ihre selbstgewebten Decken und ihre geschmackvoll verzierten Tongefäße oder gar die wundervollen Arbeiten, die sie aus bunten Vogelfedern herzustellen wissen, sind doch eigentlich etwas ganz anderes als die billigen Schund- und Massenarbeiten unserer Fabriken, die wir zu ihnen bringen, zumal wenn wir uns vergegenwärtigen, mit wie unendlich primitiven Hilfsmitteln diese Leute arbeiten müssen, welch unsägliche Geduld daher die Herstellung ihrer Erzeugnisse verlangt.«

So ging das Gespräch noch lange hin und her, und wenn auch alle Herrn Försters Ansichten teilten, so konnten sie doch anderseits auch Herrn Lehmann wohl begreifen, der mit Stolz versicherte, daß es eine große innere Befriedigung wäre, sich im Dienste des weitverzweigten deutschen Handels tätig zu fühlen und durch ihn Reisen zu machen, um die jeder berufsmäßige Forscher den Kaufmann beneiden könne. Das sei ein Leben voll beständiger Aufregung und wilder Abenteuer, wohl geeignet, einen tätigen und unternehmenden Mann völlig in seinen Bann zu schlagen. Auch der Kaufmann sei heutzutage ein Pionier der Kultur und spiele als solcher mindestens eine ebenso große Rolle wie Forscher und Missionar, könne ebensoviel wie diese zur Verbreitung deutscher Sitte und deutscher Anschauungen sowie zur Hebung des deutschen Ansehens beitragen. Freilich müsse er sein Verhalten danach einrichten und dürfe sich nicht ausschließlich durch blinde Profitgier leiten lassen. Möglichst gute Geschäfte machen wolle natürlich jeder. Aber doch könne und dürfe man auch dabei gewisse moralische Grundsätze nicht aus den Augen verlieren, denn die seien im Verkehr mit Wilden und Halbwilden mindestens ebenso wichtig wie bei dem der europäischen Geschäftsleute untereinander. Auch kaufmännisch sei das durchaus geboten, denn nur auf diese Weise könne man das Vertrauen der Eingeborenen dauernd gewinnen, während andernfalls an einen öfteren Besuch der gleichen Absatzgebiete nicht zu denken sei, da einem sonst leicht ein gar übler Empfang bereitet werden könne. Die Eingeborenen kämen sehr rasch auf den richtigen Wert der Dinge und ließen sich so leicht nicht zum zweitenmal beschummeln.

»Ja können Sie denn als Kaufmann überall so ungehindert hinkommen?« meinte Helmut zweifelnd. »Meines Wissens gibt es doch im unerforschten Innern Südamerikas noch Stämme, die überhaupt noch lein Europäer besucht hat.«

»Ganz richtig, und zu diesen würde auch ich mich nicht wagen, denn ich habe Frau und Kinder daheim in Sachsen, aber das ist auch gar nicht nötig. Wir besuchen eben nur die Stämme, bei denen das ohne offenbare Gefahr möglich ist, und die vertreiben dann schon durch den Tauschhandel unsere Sachen weiter ins Innere. Ich bin überzeugt, daß mancher Indianerhäuptling im Gran Chaco stolz in einem meiner Leipziger Trikothemden herumspaziert. Sie glauben gar nicht, wie ausgebreitet der Tauschhandel unter diesen Stämmen ist. Da kauft sich mancher von mir hundert Nadeln oder ein Dutzend Messer. Für sich braucht er diese natürlich nicht alle, aber sie sind ihm ein kostbares Tauschobjekt, wenn er mit den ganz wilden Stämmen zusammenkommt, die ihm dafür getrocknete Fische, schöne Federn und Felle oder wer weiß was sonst geben. Dabei bemißt der Indianer den Wert eines Gegenstandes ganz richtig nach der Arbeitszeit, die etwa seine Erwerbung oder Herstellung gekostet haben könnte.«

Unter derlei Gesprächen verstrich der Abend sehr angeregt und angenehm. Als man sich schon zur Ruhe begeben wollte, meinte Herr Lehmann: »Nu weiß ich ja aber noch gar nicht, wem ich eigentlich für die liebenswürdige Gastfreundschaft Dank schulde. Firmenschilder haben Sie, wie es scheint, hier im Urwalde noch nicht vor den Haustüren. Also wenn ich vielleicht um Ihren werten Namen bitten dürfte?«

»Ich stamme aus dem Hannoverschen und heiße Förster,« sagte der Hausvater lächelnd, »meine Kinder aber sind alle hier in Brasilien geboren.«

»Förster? Förster?« meinte Herr Lehmann nachdenklich und wiegte sein umfangreiches Haupt wie mißbilligend hin und her. »Förster! Den Namen habe ich doch kürzlich erst gehört. Hören Sie mal, ich glaube, die Geschichte ist ein bißchen brenzlich. Sagen Sie mal, haben Sie nicht vielleicht einen Sohn, der in der brasilianischen Marine gedient und die Revolution mitgemacht hat?«

»Der bin ich,« sagte Helmut offen, da er dem deutschen Landsmanne Vertrauen schenken zu dürfen glaubte.

»Aha,« rief Herr Lehmann aus, »jetzt weiß ich Bescheid, und mich wundert's nur, daß Sie's nicht auch wissen und noch in aller Gemütlichkeit ruhig bei Muttern sitzen. Hören Sie, junger Mann, ich würde mich aber an Ihrer Stelle schleunigst auf die Socken machen. Ich war nämlich vor acht Tagen in Porto Alegre, das bereits von den Regierungstruppen besetzt ist. Es soll ein fürchterliches Strafgericht über alle Anhänger der Revolutionspartei ausgebrochen sein. Überall im Lande schwärmen schon Soldatentrupps umher, um die Anhänger der Aufständischen aufzuspüren und den Gerichten auszuliefern, was in den meisten Fällen mit dem Tode durch Pulver und Blei gleichbedeutend ist. Ich weiß genau, daß ein Streifkorps unter einem gewissen Leutnant Alvarez nach Santa Cruz aufgebrochen ist, um unter anderen einen gewissen Helmut Förster aufzuheben, der sich hier in den deutschen Ansiedlungen verborgen halten soll. Er soll früher auf dem Aquidaban gedient haben und ein besonderer Günstling des unglücklichen Admirals Mello gewesen sein. Hören Sie, junger Herr, wenn Sie etwa dieser Helmut Förster sind, dann würde ich doch an Ihrer Stelle meinen Kopf in Sicherheit bringen.«

Diese Worte des biederen Sachsen genügten, um sofort die Stimmung in eine sehr ernste zu verwandeln. Schreckensbleich sahen Mutter und Schwester auf Helmut, und dieser starrte finster vor sich hin. Der alte Förster fand zuerst das Wort wieder.

»Herr Lehmann hat unbedingt recht,« sagte er, »und er wird ja einen deutschen Landsmann nicht verraten. Also du mußt fort, Helmut, so schwer uns allen die Trennung auch sein wird. Wahrlich, wir kommen aus Sorgen und Kummer nicht mehr heraus. Aber du kannst ja nichts dafür. Jetzt heißt es nur noch, wohin? Schließlich wird ja der politische Haß wieder abflauen, und neue Leute werden ans Ruder kommen, aber bis dahin mußt du verschwinden in eine Gegend, wo dich die Schergen nicht vermuten oder nicht finden. Treffen sie dich hier nicht an, so werden sie auch uns nicht weiter belästigen. Wenn ich nur wüßte, wohin mit dir! Da ist guter Rat teuer.«

»Daß ich schleunigst fort muß,« erwiderte Helmut, »ist leider auch mir nur zu klar. Besonders weil dieser Alvarez einer der schlimmsten Gesellen ist, die ich kennen gelernt habe. Er war Leutnant auf dem Aquidaban, ging aber zur Regierungspartei über, sobald er merkte, daß es um unsere Sache schief stand. Man behauptet sogar, daß er es gewesen sei, der an dem unglücklichen Tage von Nictheroy die Regierungstruppen herangeholt habe, als unsere Leute sich leider plündernd in den Straßen zerstreut hatten und so wehrlos niedergemetzelt werden konnten. Auf dem Aquidaban hatte er wegen seines hinterlistigen Wesens keinen Freund, und um so mehr wird er jetzt bestrebt sein, sich an seinen früheren Kameraden für ihre Nichtachtung zu rächen. Ich selbst hatte mal einen Zusammenstoß mit ihm, und er beehrte mich seitdem mit seinem besonderen Hasse und warf mir im Dienst überall Knüppel in den Weg, die mir den Aufenthalt auf dem Aquidaban wohl hätten verleiden können, wenn nicht die Gerechtigkeitsliebe des prächtigen Admirals Mello alles immer wieder ausgeglichen hätte. Jedenfalls weiß ich genau, daß ich von Alvarez keine Schonung zu erwarten habe, sondern verloren bin, sobald ich in seine Hände falle. Verzeiht mir, liebe Eltern, daß ich euch so viel Kummer mache! Aber ihr wißt ja, daß ich als Mann und als Deutscher und als Soldat nicht anders handeln konnte, als ich gehandelt habe. Auf keinen Fall sollt ihr meinethalben Schwierigleiten haben. Ich muß noch morgen früh fort, wenn ich nur erst wüßte wohin.«

»Darf ich Ihnen einen guten Rat geben?« nahm Herr Lehmann das Wort wieder auf. »Wissen Sie was, gehen Sie doch einfach nach dem Chaco zu den Indianern. Die sind oft bessere Menschen als die Weißen, und ich bürge Ihnen dafür, daß Sie dort gastfrei aufgenommen werden, und daß Sie dort in aller Gemütlichkeit und Sicherheit fischen und jagen oder sonst treiben können, was Ihnen behagt, bis wieder Ruhe im Lande eingekehrt ist. Und sollten wirklich die Regierungstruppen sich bis in diese entlegene Wildnis vorwagen, so ist sowohl die Grenze von Paraguay als auch die von Bolivia nicht weit, wo Sie sich jederzeit in Sicherheit bringen können.«

»Höre, Helmut,« stimmte sein Vater bei, »der Rat ist wirklich gar nicht so übel, und vielleicht wäre es das beste, ihn sofort in die Tat umzusetzen.«

»Aber der Chaco soll doch so gefährlich sein,« klagte die Mutter.

»Gefährlicher jedenfalls nicht als das Verbleiben hier auf der Farm,« wandte Helmut ein.

»Ich finde die Idee des Herrn Lehmann sogar ganz famos,« rief Doktor Mangold aus, »und ich will Ihnen gleich erklären, daß ich einfach mitgehe. Hier unsere Gegend habe ich nun zur Genüge abgeklappert, aber der noch fast unerforschte Chaco bietet auch mir ein neues und reiches Arbeitsfeld, wo ich großartige Sammlungen zu machen hoffe.«

»Bravo, Herr Doktor,« stimmten Günter und Siegfried bei, und auch die Mutter atmete erleichtert auf, als sie vernahm, daß ihr Sohn doch nicht allein in diese Wildnis ziehen, sondern dabei einen deutschen Landsmann zum Gefährten haben werde.

»Tumayaua geht gleichfalls mit,« sagte der Indianer einfach, der bis dahin schweigsam und unbeachtet in seiner Ecke gesessen hatte. »Er ist es seinem Lebensretter schuldig. Außerdem hat er gehört, daß seine Vorfahren von dort nach hier gekommen sind, und daß heute noch Chiriguanos in den großen Bergen hinter dem Chaco (damit meinte der Häuptling die Anden) hausen sollen. Tumayaua möchte seinen roten Brüdern die Hand drücken.«

Lieselotte warf dem Häuptling einen dankbaren Blick zu. »Das fügt sich ja alles vortrefflich,« meinte sie. »Der Häuptling ist der beste Führer in der Wildnis, und seine Sprachkenntnisse und seine Hautfarbe können bei dem Verkehr mit den Indianern auch nur von größtem Nutzen sein. Außerdem sollte noch unser Neger Zampa mitgehen, denn er hat als Kind in der Gefangenschaft der Wilden des Chaco gelebt, wird also auch noch mit Sprachen und Sitte etwas Bescheid wissen.«

»Aber ich habe doch gelesen,« wandte die besorgte Mutter wieder ein, »daß von den vielen Forschungsreisenden, die in das Innere des Chaco eindringen wollten, kaum einer jemals wieder lebend zurückgekehrt ist. Solchen Gefahren dürfen wir doch unsern Helmut nicht aussetzen!«

»Glauben Sie mir, liebe Frau,« suchte Herr Lehmann zu beruhigen, »das ist heute lange nicht mehr so schlimm wie früher, und überhaupt ist der Chaco besser als sein Ruf. Meist waren die Reisenden selbst schuld daran, wenn sie Streit mit den Bewohnern des Chaco bekamen. Ein solches Landschaftsparadies wie hier ist's freilich nicht, sondern eine ziemlich traurige und öde Gegend. Aber wenn Ihr Sohn, wie ich seinem besonnenen Wesen wohl zutraue, sich vor Beleidigungen der Indianer hütet, werden sie ihm kein Haar auf dem Haupt krümmen, und er wird dort so sicher sein wie in Abrahams Schoß.«

»Ich denke auch, wir lassen's bei diesem Entschluß,« entschied der alte Herr Förster, »es ist wirklich das allerbeste, Mutter.«

»Auch ich bin dieser Überzeugung,« erklärte Helmut. »Also weg mit allen überflüssigen Sorgen! Und frisch ans Werk!«

Um die Nachtruhe der Familie Förster war es nun freilich geschehen, da eine solche Reise doch in allen Einzelheiten und so gut es bei der Kürze der Zeit möglich war, vorbereitet werden mußte. Die kräftigsten Reit- und Tragtiere wurden ausgewählt, Waffen und Munition bereitgestellt. Helmut und der Doktor packten ihre persönlichen Bedürfnisse zusammen, ein Zelt, Lebensmittel und andere unumgänglich nötige Bedürfnisse mußten verladen werden. Auf den dringenden Rat des im Verkehr mit den Indianern erfahrenen Herrn Lehmann nahm man auch eine ganze Eselladung Rauchtabak mit.

»Sie glauben gar nicht, meine Herrschaften,« erklärte der Leipziger, »wie sehr die Wilden auf den Tabak versessen sind. Dort raucht alles, vom vierjährigen Jungen an bis zum hochbetagten Greis. Zwar bauen manche Stämme sogar selbst Tabak, aber die verstehen ihn beim Trocknen nicht zu behandeln, und infolgedessen ist ihr Kraut so hundemiserabel, daß es nicht einmal ihnen selber schmeckt. Für Tabak ist vom Indianer alles zu haben. Tabak ist das beste Geld im Chaco, womit man überall durchkommt, während für geprägtes oder gar papierenes Geld die Indianer wenig Verständnis haben. Wenn Sie überall freigebig Tabak verteilen, werden Sie sich viele zuverlässige Freunde machen, die jederzeit für Sie eintreten. Ein mit Tabak beladener Esel ist im Chaco dasselbe, wie der berühmte goldbeladene Esel des Altertums, dem selbst das mächtige Rom nicht widerstehen konnte.«

Im Morgengrauen war die kleine Karawane reisefertig. Noch ein gemeinsames, fast schweigend eingenommenes Frühstück, dann ein herzzerreißendes Abschiednehmen von Eltern und Geschwistern, und hinaus ging es in eine unerforschte Wildnis und in eine ungewisse Zukunft. Es war Helmut doch tiefschmerzlich zumute bei dieser jähen Trennung, und auch den sonst so spottlustigen Berliner drohte die Rührung beim Abschied von seinen selbstlosen Gastgebern zu übermannen. Immer und immer wieder schüttelte er ihnen die Hand. »Bange machen gilt nicht,« meinte er zwar mit scheinbarer Lustigkeit, »ein Berliner kommt überall durch,« aber dabei zitterte doch seine Stimme vor innerer Erregung. Der einzige, der seine unerschütterliche Ruhe bewahrte, war Tumayaua. Sein letzter Blick, als die kleine Gruppe um die Waldecke bog, galt Lieselotte. Es war ein Blick des Abschiedes für immer.


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