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Einen besonders guten Einblick in das verwickelte Getriebe der Tierverbreitung erhalten wir, wenn wir die Verhältnisse auf den Inseln näher ins Auge fassen. Doch ist dabei von vornherein zu unterscheiden zwischen ozeanischen und kontinentalen Inseln. Unter ersteren sind solche zu verstehen, die unmittelbar dem Meeresschoße entstiegen sind und mit dem Festlande niemals in Zusammenhang gestanden haben, unter letzteren dagegen solche, die ursprünglich mit dem Festlande zusammenhingen und erst später durch einen infolge einer Naturkatastrophe hereinbrechenden Meeresarm abgetrennt wurden. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß die Tierwelt solcher Inseln in allen wesentlichen Zügen derjenigen gleichen muß, die das benachbarte Festland zur Zeit der Abtrennung besaß. Bei länger andauernder Trennung werden sich allerdings beiderseits manche eigene Züge herausbilden, ohne doch den gemeinsamen Charakter wesentlich zu verwischen. Der Hauptunterschied wird sich aber dadurch herausbilden, daß spätere Einwanderer wohl das Festland zu besetzen, nicht aber den trennenden Meeresarm zu überschreiten und auf die Insel zu gelangen vermögen, soweit es sich eben um Arten handelt, für die das Meer eine unüberwindliche Schranke bildet, was ja insbesondere für die nicht fliegenden und nicht schwimmenden Säugetiere sowie für die Lurche zutrifft. Die Tierwelt der Insel wird also immer artenarmer sein als das benachbarte Festland. So hat die Insel Tasmanien eine bedeutend ärmere Tierwelt als das gegenüberliegende Neu-Süd-Wales, obgleich sie ein viel günstigeres Klima aufzuweisen hat, und ebenso kann sich die Fauna von Trinidad in keiner Weise mit der des südamerikanischen Festlandes messen. Die Inselfauna wird aus dem angedeuteten Grunde auch einen älteren und primitiveren Charakter haben als die Festlandfauna, wird vielfach gerade der höchststehenden Tiere entbehren, und manchen Großtieren, namentlich den Fleischfressern, werden kleinere Inseln gar nicht genügenden Ernährungsraum bieten können. Deshalb fehlt es aber gerade den auf Inseln wohnenden Tieren an natürlichen Feinden, und so kommt es, daß sie sich trotz ungenügender Flucht-, Verstecks- und Verteidigungsmittel auf solchen Eilanden leichter behaupten können als auf dem Festlande, wo »vorsintflutliche« Geschöpfe rascher der Übermacht und Überzahl ihrer Feinde zum Opfer fallen. So ist das einzige größere Raubtier Australiens, der hundeähnliche Dingo, auf dem Festlande durch den Menschen längst ausgerottet, lebt aber noch in Tasmanien; so hat sich die uralte Brückenechse nur auf Neuseeland zu halten vermocht, das auch die sonst ausgestorbenen Eulen- und Nestorpapageien noch beherbergt, ebenso wie die Südseeinseln alte Tauben- und Rallenarten.
Wesentlich anders, aber noch lehrreicher, liegen die Verhältnisse auf den ozeanischen Inseln. Außer Fledermäusen, eingeschleppten kleinen Nagern und künstlich angesiedeltem Jagdwild finden wir hier fast keine Säugetiere, und ebenso sind die gleichfalls wenig ausbreitungsfähigen Skorpione auf solche Arten beschränkt, die unter Baumrinde oder an menschlichen Baulichkeiten wohnen. Nicht viel besser ist es mit den Lurchen bestellt, und auch die Kriechtiere sind nur sehr spärlich vertreten. Ihr faunistisches Gepräge erhalten solche Inseln durch die Vogelwelt, von der allerdings ein großer Teil auf die Strand- und Wasservögel abgeht, die ja mehr oder minder Allerweltstiere sind. Die oft reich vertretenen Schnecken weisen ganz ähnliche Züge auf wie die Vögel, und dies spricht auch dafür, daß die Einschleppung des Schneckenlaichs durch Vögel erfolgte. Je älter eine Insel ist, desto eigenartiger wird ihre Tierwelt sein. Gerade die lange und völlige Isolierung auf Inseln ist ja der Artbildung überaus günstig. So ist die Blaumeise auf jeder Insel der Kanaren in einer eigenen Rasse vertreten, und eine auf den Galapagos heimische Spottdrosselgattung hat sich dort in 10 Arten und Unterarten zersplittert. Von den 66 Vogelarten der offenbar uralten Galapagos sind nicht weniger als 64 diesen Eilanden eigentümlich, kommen also sonst nirgends in der Welt vor! Dagegen haben die in geologischem Sinne noch sehr jungen Azoren nur eine einzige eigentümliche Vogelart unter ihren 34 Landvögeln aufzuweisen. Dies kann uns gleich als Beispiel dafür dienen, wie artenarm Inseln immerhin sind, denn genau ebenso viele Arten, also 34, hat man in dem 9 ha großen Schloßpark von Poppelsdorf gefunden und wohl noch mehr brüten in dem 5 ha großen Schloßpark von Seebach, der Besitzung des bekannten Vogelschützers Freiherrn Hans von Berlepsch. Wenn man bei uns mit offenen Augen und Ohren einen mehrstündigen Spaziergang macht, so kann man dabei gegen 50 verschiedene Vogelarten aufzeichnen, was wohl auf keiner Insel möglich wäre. Wie stark aber auf Inseln die Ausbildung eigener Formen in den Vordergrund tritt, dafür sei noch angeführt, daß von den 3375 Insektenarten der Tausende von Kilometern vom nächsten Festlande entfernten Sandwichs-Inseln 2750 zu eigenen Formen gehören. Von ihren 475 Schneckenarten sind nach Dahl nicht weniger als 331 Mitglieder der diesen Eilanden durchaus eigentümlichen Familie der Aehatinellidae, und von ihren 55 Landvögeln beherbergt jede Einzelinsel besondere Formen. Dabei läßt sich das interessante Gesetz erkennen, daß die beweglicheren Tiere, also vor allem die Vögel, längere Zeit zur Herausbildung neuer Formen brauchen als die schwerfälligen und langsamen. Daher konnte Hesse für die geologisch noch nicht sehr alte Insel Celebes in schöner und ununterbrochener Reihenfolge feststellen, daß von ihren Vögeln nur 28 % zu eigenen Arten gehören, von den Kriechtieren 36 %, von den Säugern schon 40 %, von den Schnecken aber 79 % und von den Strudelwürmern vollends 91 %. Das milde und feuchte Meeresklima der Inseln beeinflußt natürlich auch das Aussehen ihrer tierischen Bewohner. So sind die Landvögel der Inseln in der Regel dunkler als die entsprechenden Vögel des Festlandes, und bei vielen Vogelarten der Kanaren fand ich als weitere Besonderheit einen unverkennbaren Seidenglanz im Gefieder, der vielleicht auf die lebhafte, aber nicht ausdörrende Sonnenbestrahlung der »Inseln der Glückseligen« zurückzuführen ist.
Da Raubzeug auf Inseln nur spärlich vertreten ist, können sich hier die Tiere frei und unbehindert, ohne allzu ängstliche Rücksicht auf blutdürstige Feinde entwickeln. Nur auf einer Insel war eine so wundervolle und bizarre Schmuckfedernbildung möglich wie bei den Paradiesvögeln Neuguineas, denn ein derartig überladener Prunk macht seine Träger doch recht schwerfällig und unbeholfen, behindert stark ihre Fluchtfähigkeit. Bei uns würden solch eitle Prahlhänse bald durch Marder und Habicht ausgerottet sein. Im Einklang damit steht es, daß das Flugvermögen der Vögel auf Inseln zum Verkümmern neigt. Von den Südseeinseln kennen wir eine Reihe flugunfähiger Rallen, auf Mauritius lebte noch vor 250 Jahren der flugunfähige Dodo oder Dronte, eine sehr plump gebaute Riesentaube, der heute noch auf Neuseeland lebende Kiwi oder Schnepfenstrauß kann auch nicht fliegen, und auch der stattliche Eulenpapagei Neuseelands beherrscht die Kunst des Fliegens so schlecht, daß er seit der Einführung von Hunden mit raschen Schritten dem Aussterben entgegengeht. Die letztgenannten beiden Arten weisen zugleich darauf hin, daß Inseltiere sehr zu Riesenwuchs neigen. In dieser Hinsicht verdient auch der wundervoll blaue Teydefink aus Teneriffa genannt zu werden, der alle europäischen Finkenarten an Größe weit übertrifft. Bekannter sind die als Elefantenschildkröten bezeichneten riesenhaften Landschildkröten der Galapagos-Inseln, die weit davon auch auf einigen kleinen Inseln bei Madagaskar leben, und deren versteinerte Überreste man auch auf Malta gefunden hat. Besonderer Anpassung bedürfen die Inseltiere gegenüber den Windverhältnissen, da ja viele Inseln fortwährend von heftigen Stürmen umbraust werden. Hierbei konnte die Natur zweierlei Wege einschlagen, nämlich entweder die Flugkraft derart verstärken, daß sie auch erhöhten Anforderungen gewachsen war, oder sie ganz aufgeben, da sie oft mehr schadete als nützte. Ersteres ist z. B. bei dem Star der sturmumbrausten Faröer der Fall, der stärkere Flügel und einen längeren Schwanz hat als der Star des europäischen Festlandes. Dagegen würden Käfer, Heuschrecken, Schmetterlinge u. dgl. auf solchen Inseln zu einem willenlosen Spielzeug der Winde und oft in die See hinausgetrieben werden, wo ihrer der sichere Untergang wartet. Infolgedessen fliegen sie nur an sonnigen und windstillen Tagen und halten sich sonst ängstlich unter Steinen, in Felsspalten, im dichten Buschwerk versteckt. Rückbildung der doch nur ungenügenden Flugwerkzeuge kann ihnen also nur zum Vorteil gereichen. Die Kerbtierwelt der Inseln wird deshalb geradezu gekennzeichnet durch ihre vielen flugunfähigen Arten. So sind von den 550 Käferarten Madeiras gut 200 flugunfähig. Größere Säugetiere haben auf Inseln kein leichtes Leben und neigen deshalb im Gegensatz zu Kriechtieren und Vögeln nicht zu Riesenwuchs, sondern zur Bildung von Zwergrassen. Man braucht ja da nur an die geradezu winzigen, dabei aber sehr feurigen Shetland-Ponys zu denken. Ebenso sind die Hirsche auf Kuba und Korsika Zwergformen. Hasen, Tiger, Panther, Gibbons und andere sind auf Inseln immer deutlich kleiner als auf dem Festlande. Vielleicht spielt da auch der Einfluß der Inzucht mit hinein, die ja bei der naturgemäß geringen Individuenzahl großer Säugetiere auf Inseln im Laufe der Zeit unbedingt zur Geltung kommen muß. Pferde, die man von Australien aus nach den Südseeinseln verpflanzte, wurden dort schon nach wenigen Geschlechterfolgen kleiner.
Weiter kann man die Wahrnehmung machen, daß Inseltiere auch in biologischer Beziehung mancherlei Eigentümlichkeiten aufzuweisen haben. So spricht Kammerer in einem Aufsatz über die Lebensweise der Eidechsen auf den Scoglien, kleinen, kahlen Felseneilanden längs der dalmatinischen Küste, von »Inselvertrautheit«, eine Bezeichnung, die man auch für die meisten Brutvögel einsamer Inseln sehr wohl anwenden könnte. Im Einklang damit zeichnen sich solche Eidechsen, die sehr zur Ausbildung himmelblauer, schokoladefarbener und schwärzlicher Rassen neigen, durch trägere Lebensweise, geringere Gewandtheit, Mangel an Schnelligkeit und plumperen Körperbau aus. Nur aufs Felsenklettern verstehen sie sich vorzüglich und haben durchgängig dickere Schwänze als ihre Verwandten auf dem Festlande. Schon Darwin fiel ja die große Zahmheit der Meerechsen und Drusenköpfe auf den Galapagos auf im Gegensatz zu der großen Scheu der festländischen Leguane. Die Tiere fühlen sich offenbar auf kleinen Inseln sicherer vor Raubzeug und Menschen als auf dem Festlande, und für ganz kleine Eilande gilt dies in noch erhöhtem Grade.
Die Artenzahl der Tiere ist auf kleineren Inseln gering, denn sie wird ja weniger bedingt durch die Arten, die der Zufall herbeiführte oder die im Augenblicke der Abtrennung vom Festlande gerade vorhanden waren, als vielmehr durch die wenigen Formen, die sich unter so beschränkten Verhältnissen auf die Dauer auch wirklich zu halten wußten. Diese wenigen Arten aber werden um so inniger aufeinander angewiesen sein, werden sich in ihren Gewohnheiten um so enger verflechten, also eine sehr ausgesprochene Lebensgemeinschaft bilden. So hat Kammerer bei den Eidechsen der Scoglien sehr hübsche Beziehungen zu den dort brütenden Möwen aufgedeckt, so daß man schon von einem Mutualismus reden kann. Die in einer Möwenkolonie herumliegenden faulen Fische und der massenhaft abgesetzte Kot der großen Vögel locken natürlich viele Fliegen und anderes Geschmeiß an, also erwünschte Beutetiere für die Eidechsen. Kammerer beobachtete aber auch, daß die Eidechsen den jungen Nestmöwen unter die Flügel krochen, um sich hier Milben und andere Außenschmarotzer zu holen, und niemals sah er, daß sich die Möwen irgendwie feindselig gegen die Echsen gezeigt hätten.
Artenarmut und Individuenreichtum gehören fast untrennbar zusammen, und zwar ist die Individuenmenge verhältnismäßig um so größer, je kleiner eine Insel ist. Auf den steil dem sturmgepeitschten Meere entsteigenden Vogelbergen und auf den raubtierfreien Vogelholmen der nordischen Meere drängen sich oft wenige Vogelarten in geradezu fabelhafter Menge zusammen, wobei sie auf den Klippen etagenförmig übereinander wohnen, während auf den Holmen die Nester so dicht beisammen stehen, daß man nicht zwischen ihnen hindurchgehen kann, ohne beständig Eier zu zertreten. In solchen Massen tummeln sich die beschwingten Siedler, daß sie die Felsen färben, wenn sie sitzen, die donnernde Brandung übertönen, wenn sie schreien, die Sonne verdunkeln, wenn sie fliegen. Wer jemals selbst das Tun und Treiben an einem solchen Platze geschaut hat, der wird sich nicht darüber wundern, daß der seit Jahrhunderten an solchen Stellen abgesetzte Kot der Vogelmassen unter günstigen Erhaltungsbedingungen schließlich mächtige Guanoschichten bildet. Schauinsland hat uns all dies in höchst anschaulicher Weise von der einsamen Insel Laysan geschildert, wie dort an den Nistplätzen der Seevögel das Recht des Besitzenden mit grausamster Folgerichtigkeit sich durchsetzt. Die früher Ankommenden hatten die besten Plätze mit Beschlag belegt, und ihre Nachkommenschaft gedieh prächtig, die Verspäteten aber mußten sich mit den schlechtesten Stellen begnügen, und hier sah man in großer Zahl verkommene Vogelkinder mit struppigem Gefieder und wunden Beinen. Hier herrschte erschreckende Kindersterblichkeit, und Hunderte von verwesenden Leichen lagen herum.