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Tiergebiete

Die Tiergeographie hat im Laufe der Zeit eine derartige Unmenge von mehr oder minder wichtigen Tatsachen zusammengetragen, daß jeder Überblick über dieses Chaos verloren zu gehen drohte. Man hat deshalb schon sehr früh angefangen, die ganze Erdoberfläche der besseren Übersicht halber in eine Anzahl von Tiergebieten (Regionen) aufzuteilen, die einander nach Umfang und Tierbevölkerung annähernd gleichwertig und durch eine in sich möglichst abgeschlossene und an eigenen Formen reiche Tierwelt gekennzeichnet sein sollten. Die ältesten Versuche dieser Art waren unvollkommen genug, denn sie setzten das Tiergebiet nahezu dem geographischen Erdteil gleich oder schmiegten sich sklavisch den Isothermen (Verbindungslinien der Orte mit gleicher Wärme) an. Die erste brauchbare Einteilung, die allen späteren diesbezüglichen Arbeiten zur Grundlage diente, gab Wallace in engem Anschluß an die ornithologischen Feststellungen seines vogelkundigen Freundes Sclater. Hier ist sie:

I. Die paläarktische (altarktische) Region (Europa, das gemäßigte Asien, Nordafrika bis zum Atlas).

1. Die europäische Unterregion (Nord- und Mitteleuropa).

2. Die mittelmeerländische Unterregion (Südeuropa, Nordafrika, Vorderasien).

3. Die sibirische Unterregion (Nord- und Mittelasien).

4. Die mandschurische Unterregion (Nordchina, Amurtal, Japan).

II. Die äthiopische Region (Afrika südlich vom Atlas, Madagaskar, Maskarenen, Südarabien).

5. Die westafrikanische Unterregion (das üppige Waldgebiet des tropischen Westafrika).

6. Die ostafrikanische Unterregion (das Steppengebiet des tropischen Ostafrika).

7. Die südafrikanische Unterregion.

8. Die madagassische Unterregion (Madagaskar nebst den benachbarten Inseln einschließlich der Seychellen. Dieses Gebiet weist so viele und tiefgreifende Eigenheiten auf, daß eigentlich nur seine Kleinheit Wallace abhielt, es zu einer eigenen Region zu erheben.

III. Die orientalische Region (Vorder- und Hinterindien, Südchina, die malaiischen Inseln einschließlich Borneo, Philippinen, Formosa und Riu-Kiu-Inseln).

9. Die indische Unterregion Mittel-Indien).

10. Die ceylonesische Unterregion (Südindien und Ceylon).

11. Die indochinesische Unterregion (Südchina und Burma).

12. Die indo-malaiische Unterregion (Malakka und die malaiischen Inseln samt Borneo und den Philippinen).

IV. Die australische Region (Australien mit seiner Inselwelt).

13. Die australisch-malaiische Unterregion (Inselwelt von Celebes bis zu den Salomon-Inseln).

14. Die australische Unterregion (das australische Festland mit der Insel Tasmania).

15. Die polynesische Unterregion (Tropische Inselgruppen des Stillen Ozeans).

16. Die neuseeländische Unterregion (Neuseeland mit den benachbarten Inseln). Gleich Madagaskar weist auch dieses Gebiet eine große Selbständigkeit auf.

V. Die neotropische (neutropische) Region (Süd- und Mittelamerika, Antillen, tropisches Nordamerika).

17. Die brasilianische Unterregion (Südamerikanisches Waldgebiet östlich der Anden einschließlich Trinidad).

18. Die chilenische Unterregion (das meist kahle Südamerika westlich der Anden).

19. Die antillische Unterregion (Westindische Inseln).

20. Die mexikanische Unterregion (Mittelamerika, Mexiko).

VI. Die nearktische (neuarktische) Region (gemäßigtes Nordamerika nebst Grönland. Die arktischen Gebiete jenseits der Baumgrenze bilden ein Übergangsgebiet zur paläarktischen Region).

21. Die kalifornische Unterregion.

22. Die Felsengebirgs-Unterregion.

23. Die alleghanische Unterregion (der ganze östliche Teil der Vereinigten Staaten, ein altes Waldgebiet).

24. Die kanadische Unterregion (der nördliche Teil des Kontinents).

Man hat dann später viel herumgebessert, aber auch »verbösert« an dieser Wallaceschen Einteilung, namentlich seit man sich zu einseitig auf den erdgeschichtlichen Standpunkt einstellte und alles von diesem aus erklären wollte. Allerdings sind die Tiere, deren versteinerte Reste man irgendwo findet, im allgemeinen mit denen verwandt, die auch heute noch dort leben, aber dies ist keineswegs durchgehends der Fall. In Wirklichkeit ist die Wallacesche Einteilung z. B. für die Vögel auch heute noch sehr gut brauchbar, wenn man sie durch einige kleine Abänderungen dem heutigen Standpunkte der Vogelkunde anpaßt, jedenfalls sehr viel besser als die oft recht gekünstelten Versuche seiner meisten Nachfolger. Vor allem muß man sich immer bewußt bleiben, daß die Aufstellung von Tiergebieten ja gar nicht der Endzweck der Tiergeographie ist, sondern nur ein Hilfsmittel zur leichteren Erreichung dieses Zwecks. Weiter stellte es sich sehr bald heraus, daß es unmöglich ist, eine Einteilung in Tiergebiete zu schaffen, die für alle Ordnungen des Tierreiches in gleichem Maße Geltung haben könnte. Dazu ist schon deren erdgeschichtliches Alter viel zu verschieden, denn z. B. Säugetiere und Vögel finden wir erst im Tertiär, Krebse und Skorpione aber schon in weitaus älteren Erdschichten. Es wird also am besten sein, sich an eine ganz bestimmte Tierordnung zu halten, ohne allzu viele und übertrieben ängstliche Rücksicht auf die anderen zu nehmen, und zwar an die Ordnung, die für den gedachten Zweck am geeignetsten ist. Wallace und Sclater hielten sich hauptsächlich an die Vögel, die gewiß in vieler Beziehung sehr gut passen, aber allzu bewegungsfähig sind, weil gewisse Verbreitungsschranken für sie als Flugtiere keine Rolle spielen und weil viele von ihnen durch ausgedehnte Wanderungen den ursprünglichen Verbreitungsherd leicht verwischen. Kriechtiere und Lurche haben auch ihre Bedenken, obgleich sie in Einzelheiten oft sehr hübsche Aufschlüsse geben. Die Fische können nicht in Betracht kommen, weil sie aufs Wasser beschränkt sind; Kerfe und Schnecken erscheinen nicht recht geeignet, weil ihre Verbreitung zu sehr von allerlei Zufälligkeiten abhängt. Bleiben also die Säugetiere. Sie vereinigen in der Tat alles in sich, was wir für unsere Zwecke brauchen. Sie sind im allgemeinen gut erforscht, sie haben im Laufe der Erdgeschichte noch keine allzu großen Umformungen und Umwälzungen erlitten und haben deutliche Spuren ihrer ausgestorbenen Geschlechter in der obersten Erdrinde zurückgelassen. Sie sind in ihrer Verbreitungsfähigkeit beschränkt und vermögen insbesondere breitere Meeresarme nicht zu überwinden, sie sind in hohem Maße von der Beschaffenheit des Geländes und von seiner Pflanzendecke abhängig, und sie richten sich in Größe, Form und Farbe stark nach äußerlichen Einflüssen. Die neueren Tiergeographen haben aus den oben angedeuteten Gründen fast durchgängig die Säugetiere an den Ausgangspunkt ihrer Betrachtungen gestellt, und zwar mit vollem Recht, bis in jüngster Zeit, als man mehr Wert auf die ökologische Betrachtungsweise zu legen begann, auch die Vögel wieder mehr in den Vordergrund traten. Von den zahllosen neuen Einteilungsversuchen gefällt mir am besten der von Dahl.

Er lautet:

I. Arktogäisches (altländisches) Reich. Kenntiere: Maulwurf, Biber, Springmaus, Rauhfußhuhn, Seetaucher, Alk, Laubfrosch, Schwanzlurche, Honigsauger.

1. Arktische Provinz. Kenntiere: Renntier, Vielfraß, Moschusochse, Lemming, Eisfuchs, Schneehase.

2. Europäisch-mediterrane Provinz. Kenntiere: Haselmaus, Gemse, Birkhuhn, Blindschleiche, Kreuzotter, Salamander.

3. Ostasiatische Provinz. Kenntiere: Eine eigene Bärengattung (Ailuropus), Schwanzgimpel, Riesensalamander.

4. Sonorische oder Nordamerikanische Provinz. Kenntiere: Waschbär, Biberhörnchen, Taschenratte, Gabelantilope, Truthahn, Glasschleiche.

II. Äthiopisches Reich. Kenntiere: Hyäne, Klippschiefer, Nilpferd, Giraffe, Strauß, Perlhuhn, Madenhacker, Mäusevogel, Bananenfresser, Korallenotter, Puffotter.

5. Westafrikanische Provinz. Kenntiere: Schimpanse, Gorilla, Okapi, Graupapagei.

6. Südafrikanische Provinz. Kenntiere: Fuchsmanguste, Goldmull, Springhase, Kragenhopf.

7. Ostafrikanische Provinz. Kenntiere: Mantelpavian, Schuhschnabel, Kranichgeier, Frankoline.

8. Madagassische Provinz. Kenntiere: Fingertier, Makis, Borstenigel.

III. Indo-Australisches Reich. Kenntiere: Pelzflatterer, Spitzhörnchen, Rachenvogel, Emu, Kasuar, Paradiesvogel.

9. Indische Provinz. Kenntiere: Bartaffe, Nilgau, Hirschziegenantilope.

10. Malaiische Provinz. Kenntiere: Orang-Utan, Gibbon, Palmenroller, Zwerghörnchen, Stinkdachs.

11. Papuanische Provinz. Kenntiere: Großfußhuhn, Paradiesvogel, Laubenvogel, Kronentaube.

12. Neuholländische Provinz. Kenntiere: Känguruh, Emu, Leierschwanz, Schnabeltier, Moloch, Stutzechse, Kragenechse.

13. Neuseeländische Provinz. Kenntiere: Schnepfenstrauß, Eulenpapagei, Nestorpapagei, Brückenechse.

14. Polynesische Provinz. Kenntiere: Flughundgattung Notopterus, Rallenkranich.

15. Hawaiische Provinz. Kenntiere: Eigenartige Vögel.

IV. Neogäisches (neuländisches) Reich. Kenntiere: Vampir, breitnasiger Affe, Aguti, Meerschweinchen, Ameisenbär, Gürteltier, Faultier, Nandu, Steißhuhn, Kolibri, Pfefferfresser, Zuckervogel, Glanzvogel, Leguan.

16. Mittelamerikanische Provinz. Kenntiere: Mehrere eigentümliche Gattungen von Mäusen und Taschenratten.

17. Antillen-Provinz. Kenntiere: Solenodon aus der Gruppe der Kerfjäger, Plattschnäbler.

18. Brasilianische Provinz. Kenntiere: Baumstachler, Aguti, Gürteltier, Arara.

19. Chilenische Provinz. Kenntiere: Chinchilla, Viscacha, Lama, Kondor, Pflanzenmäher.

Aufmerksame Leser werden bei dieser Einteilung die Antarktis vermissen, aber Dahl betrachtet diese mit Recht als überhaupt nicht mehr zur Landfauna gehörig, sondern rechnet sie schon zur Meeresfauna, zumal die wenigen dort vorhandenen Säuger und Vögel – vor allen die putzigen Pinguine – ihr ganzes Leben im Meere verbringen und nur zum Fortpflanzungsgeschäft an Land gehen. Ein entschiedener Nachteil der Dahlschen Einteilung ist es aber, daß die einzelnen tiergeographischen »Provinzen« so überaus ungleichwertig sind. So wird z. B. den Sandwichinseln (Hawaiische Provinz), obgleich sie kaum 17 000 qkm umfassen und nur ein einziges alteingesessenes Säugetier in Gestalt einer Fledermaus amerikanischer Herkunft besitzen, derselbe Rang eingeräumt wie so tierreichen und ausgedehnten Landstrecken in Nordamerika oder Westafrika! Für die Vögel gefällt mir die alte Wallacesche Einteilung eigentlich immer noch besser, wenn auch die Dahlsche für die Tierkunde im allgemeinen vorzuziehen sein mag.


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