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In Spanien

In einer wonnigen Frühlingsnacht saß Brehm am Fuße der Alhambra und lauschte in verträumtem Sinnen den Nachtigallen. Vollmondschein versilberte das steingewordene Spitzengewebe des arabischen Wunderbaus. Brehm dachte darüber nach, wie recht doch Alexander Dumas wenigstens in tiergeographischer Hinsicht hat, wenn er sagt: »Afrika beginnt hinter den Pyrenäen«. Und der Deutsche begriff, daß er nunmehr hier in Andalusien im afrikanischsten Teile Spaniens angekommen sei. Er vergegenwärtigte sich den Weg über die vielbesungene Sierra Morena, diesen Smaragd am Herzen Spaniens, auf daß nun auch die dritte, schönste und letzte der scharf abgegrenzten Zonen Spaniens ihm ihre Pforten öffne. Palmen und Kaktusfeigen, die riesenhafte Agave und der Johannisbrotbaum traten nunmehr als Charakterpflanzen auf. Hier herrscht der Himmel Nordafrikas mit seiner Milde und seiner Glut, hier klingt und singt es wieder, denn der Winter muß zum Frühling werden. Singend reden die Menschen, wenn sie sprechen, tanzend bewegen sie sich, wenn sie gehen.

Und die Vögel? Nun auch sie teilen die allgemeine Lust. Sie sind es, die dem ernsten Gebirge, das sich ohne den Schmuck frischgrüner Wälder zum Himmel hebt, seinen Ernst zu nehmen sich erdreisten, die es wenigstens zu beleben versuchen. Hier in dieser Zone ist der Süden zur alleinigen Herrschaft gelangt, aber er hat den Norden gebeten, ihm einige seiner Sänger zu leihen, denn er will nicht bloß in Farben leben und blühen und glühen, sondern auch in Klängen und Liedern. Deshalb durften in Andalusien die Sänger nicht fehlen.

siehe Bildunterschrift

Theodor von Heuglin (1824--1876), der Begleiter Brehms auf der Reise nach dem Sinai.
Nach einer zeitgenössischen Lithographie von E. Pfann aus dem Nachlaß Heuglins im Museum für Länder- und Völkerkunde -- Lindenmuseum -- in Stuttgart

Ein Abendbummel innerhalb der Ringmauern des Feenschlosses Alhambra muß nicht nur einem Brehm, sondern im Frühling auch jedem anderen Menschenkinde, und wäre es das prosaischste auf der weiten Erde, einen gewissen poetischen Schwung in die Seele tragen. Diese Stimmung bringt die Königin der Hecken und Gebüsche, die Nachtigall. Einige Provinzen Spaniens sind reichbegabt mit diesem herrlichsten aller Sänger. Nicht hier und dort, ein ganzes Stück vom nächsten entfernt, singt und jubelt einer wie bei uns zu Lande: nein, Hunderte hört man zu gleicher Zeit. In jedem Gebüsch schlägt eine Nachtigall, in jeder Hecke wohnt ein Pärchen. Die ganze große, grüne Sierra Morena gleicht einem einzigen Nachtigallengarten. Um die großartigen Felsterrassen, Galerien, Kegel und Wälle der Gralsburg Monserrat in Katalonien klingt in wunderbarer Harmonie das von hundert und tausend gesungene eine Lied, und selbst im Innern Spaniens sind alle zusammenhängenden Gebüsche voll von dem einen Schlag. Eine Wanderung durch Feld und Wald im begrünten Gebirge ist ein fortdauernder Genuß, denn ein nimmer endendes Konzert erquickt das innerste Herz. Im klang- und poesiereichen Andalusien, im freundlich ernsten Katalonien, im frischgrünen Schweizerland in Galizien oder Asturien, überall jauchzt dem Wanderer die Nachtigall entgegen. Die beiden Brehm waren bei ihrem Eintreffen in Spanien bezaubert, hingerissen von diesem Nachtigallenkonzert, zumal man die einzelnen Sänger gar nicht mehr unterscheiden konnte: es waren ihrer zu viele! Man mochte sich wenden, wohin man wollte, überall begegnete man der Nachtigall als dem häufigsten Singvogel. In jedem Orangengarten lebten zwei, vier, sechs, acht oder zehn Paare oder noch mehr. Die Bäume prangten im Schmuck ihrer duftigen Blüten und goldenen Früchte und vereinigten sich mit den Nachtigallen, denen sie in ihrem dunklen Gelaub Herberge boten, um Auge und Ohr des Forschers mit nie gekannten Genüssen zu erfüllen. Die Hallen des alten Königsschlosses Alhambra sind verödet, ihr prunkvolles Leben erstarb, aber die gefiederten Minnesänger aus alter Zeit sind treu geblieben und werden es bleiben, solange das auf die Höhe geleitete Wasser noch rauscht und murmelt und flüsternd erzählt von entschwundener Herrlichkeit.

Brehm ist zweimal in Spanien gewesen, hat aber leider gerade über diese beiden Reisen fast nichts veröffentlicht; das erstemal kam er gleich nach seiner Studentenzeit zusammen mit seinem älteren Bruder Reinhold, der dabei als Arzt in Madrid hängen geblieben ist und den jüngeren Alfred um viele Jahre überlebt hat. Durch den Verkehr mit Schmugglern, Räubern, Zigeunern und halbwilden Hirten soll gerade diese Reise, über die Brehm nicht gern redete, überreich gewesen sein an Abenteuern und romantischen Erlebnissen aller Art. Bald sprach Brehm fließend Spanisch und konnte sich nach seiner Art auch in das Studium der Bevölkerung vertiefen, die er dabei herzlich lieb gewann. Ihre vornehme Haltung, ihr stolzes, ritterliches Wesen entsprach ja so ganz seiner eigenen Wesens- und Denkart. Zur Deckung der Reisekosten hatten die Brüder »Aktien« herausgegeben, deren Inhaber das Recht besaßen, für einen entsprechenden Betrag unter der Ausbeute das ihnen Zusagende sich auszuwählen. Deshalb konnte leider ein Großteil dieser wertvollen Ausbeute, soweit sie nicht in die Sammlung des Vaters überging, nicht als Ganzes wissenschaftlich bearbeitet werden, sondern wurde gleich nach Beendigung der Reise in alle Welt zersplittert. Das ist tief zu beklagen, denn Spanien ist auch heute noch das ornithologisch unerforschteste Land Europas. Die zweite spanische Reise machte Brehm 1879 zusammen mit seinem Freunde, dem Kronprinzen Rudolf von Österreich. Es war wohl mehr eine Art höfischer Jagdreise, die hauptsächlich den Steinböcken, Adlern und Bartgeiern galt und die Brehm mancherlei Orden und Auszeichnungen eintrug, woraus er sich aber nie viel gemacht hat. Als er starb, stand ein Prachtexemplar der zweiten Auflage des »Tierlebens« in Renthendorf versandfertig für den König von Spanien bereit. Mit Veröffentlichungen über diese doch gewiß auch sehr interessante Reise wollte Brehm wahrscheinlich dem Kronprinzen, der ja selbst schriftstellerte, nicht vorgreifen, und so sind sie leider ganz unterblieben.


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