Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Durch Steppe, Wüste und Urwald

»Ich kann nicht mehr weiter! Laßt mich doch ruhig hier liegen, wo ich bin! Ich will ja nichts mehr als sterben. Aber vorher nur noch einen Trunk Wasser! Einen einzigen, kleinen, winzigen Schluck Wasser!« Der so erbärmlich jammerte, das war unser sonst so tapferer Alfred Brehm. Das Fieber hatte ihn auf dem langen Karawanenmarsche durch das glühend heiße Kordofan mit aller Macht gepackt, und täglich zehrte das mörderische Klima dieses verrufenen Landes an seinen schon sehr schwach gewordenen Kräften. Mit Gewalt mußte man ihn zum Weiterreiten zwingen. Jeder Schaukeltritt des gemächlich dahinziehenden Kamels wurde dann dem Kranken zu peinvoller Qual, hatte Erbrechen und Leibschmerzen zur Folge, und nur durch krampfhaftes Anklammern an eine Kiste konnte er sich vor dem Herabfallen bewahren. Es war ein Glück, daß Baron Müller, der selbst schwer unter immer häufigeren Fieberanfällen zu leiden hatte, sich schon bald nach Ankunft in der unerträglich öden und langweiligen Sklavenhändlerstadt El Obeid zum Rückmarsch nach Chartum entschloß, denn lange hätten beide sicher nicht mehr dem fürchterlichen Klima standgehalten, überdies trat während der Märsche öfters Mangel an Lebensmitteln ein, und man mußte froh sein, wenn es gelang, einige von den Kamelen aufgescheuchte Perlhühner oder Frankoline Zu schießen. Der Hunger hätte sich ja allenfalls noch ertragen lassen, aber zum Unglück war das spärlich genug angetroffene Wasser meist nur eine ekelhafte bräunliche Schleimbrühe, deren unvermeidbarer Genuß immer wieder neue Fieberanfälle auslöste. Die Steppe selbst starrte von scharfschneidigen Gräsern und lästigen Kletten, und so war der Marsch durch sie selbst an fieberfreien Tagen nicht gerade ein Vergnügen, häufig stand sie jetzt am Ende der Trockenzeit weithin in Flammen, und dann sah man, wie die Antilopenherden in langwiegendem Galopp vor dem rasenden Element flüchteten oder wie die fluggewandten Gaukler (eine Adlerart) und die langbeinigen Kranichgeier erfolgreiche Jagd machten auf das massenhaft durch die Flammen aus seinen Schlupfwinkeln herausgejagte Schlangengezücht. Die Eingeborenen dieser Gegend, die sich im allgemeinen nicht unfreundlich zeigten, wohnten in runden Strohhütten (Tokhuls) mit oben spitz zulaufendem Dach, das gewöhnlich von einem Straußenei gekrönt wurde, bebauten magere Durrha-(Hirse-)Felder und unterhielten große Viehherden. Oft sah man 5--600 Kamele zusammen weiden und hatte auch Gelegenheit, ihre fette, etwas säuerliche Milch zu kosten.

»Friede sei mit dir, o Scheich!« kauderwelschte Brehm, der Negersprache nur wenig kundig, mit dem herbeieilenden Schulzen eines solchen großen Tokhul-Dorfes, das man eines Abends müde und hungrig erreicht hatte, »wir wollen von dir gegen gutes Geld einige Farchas kaufen.« Mit Farchas bezeichnete man nämlich in Oberägypten junge Hühner, und etwas anderes wäre in dem elenden Neste ja doch nicht aufzutreiben gewesen. Der Scheich schüttelte verwundert den Kopf. »Ihr zieht ja doch, wie ich höre, ohnehin nach El Obeid, wo es viele Farchas gibt. Dann braucht ihr doch hier keine zu kaufen. Ich habe zwar eine, aber sie ist alt und häßlich.« -- »Das schadet nichts, bringe sie uns nur her!« Jener ging, erschien wieder und brachte -- eine Sklavin, die der Beschreibung des guten Mannes in der Tat vollkommen entsprach. Man lachte und versicherte ihm, daß man diese Venus nicht brauchen könne, weil man die »Farcha« essen wolle. Darob entfloh der Scheich voller Entsetzen. Die Europäer staunten ihm verwundert nach; erst einer der Diener löste das Rätsel durch die Mitteilung, daß die Kordofanesen mit »Farcha« junge Sklavinnen bezeichnen, während sie für Hühner das Wort »Faruhdj« haben.

Es gab aber auch weniger lustige Mißverständnisse, namentlich als man auf dem Rückmarsch aus Kordofan durch Gegenden kam, die erst kürzlich von Sklavenjägern heimgesucht worden waren, hier verhielten sich die Eingeborenen erklärlicherweise sehr zugeknöpft, oft geradezu unfreundlich oder feindselig. Mühsam quälten die Reisenden sich in anstrengenden Märschen durch das ungastliche Land, denn die Hitze hatte ihren Höhepunkt erreicht und stieg bei Südwind im Schatten der Strohhütten bis auf 45° R, während das der Sonne ausgesetzte oder in den Sand gesteckte Thermometer nicht selten sogar 55° R zeigte. Der Körper troff Tag und Nacht von Schweiß, und nur selten brachte ein kühlerer Nordwind allzu rasch vorübergehende Minderung. Überdies ritt man oft in die Irre, denn es fehlte an ortskundigen Führern. Es blieb manchmal nichts anderes übrig, als solche mit Gewalt zu beschaffen, wenn sie nicht freiwillig mitgehen wollten. Das brachte aber unsere Freunde bei den Schwarzen in den Geruch von Sklavenhändlern, und dieser Umstand hätte um ein Haar ihren Untergang herbeigeführt, halb verdurstet, nur auf ein Nestchen brühwarmes Schlauchwasser angewiesen, lagen sie todmüde in einem elenden, verlassenen Weiler, und der fieberkranke Brehm hatte sich in der erstbesten Hütte auf einem Ankhareb (Bettgestell mit elastischen Ledergurten) niedergelassen, während der Baron und Ali (ein ausgedienter türkischer Unteroffizier, den man in Chartum als Leibdiener aufgenommen hatte) weiter im Innern der Hütte auf dem festgestampften Erdboden zum Schlummer sich niederlegten, plötzlich wurde Brehm durch ein wütendes Geheul aus seinem Halbschlafe aufgeschreckt, und gleichzeitig erschien auch schon am Eingang die herkulische Gestalt eines Negers, der mit gezücktem Schwert auf ihn losstürzte und seinen tobenden Gefährten zurief: »Kommt! hier sind die Hunde! Kommt und schlagt sie tot!« Mit einem gewaltigen Kolbenschlage schmetterte Brehm den Wütenden zurück und rüttelte die beiden anderen wach. Alle griffen zu den Waffen und drohten, jeden Eindringling niederzuschießen. Da hörte der sprachenkundige Ali, wie die Schwarzen sich verabredeten, die leicht Feuer fangende Strohhütte anzuzünden, und da mußte man sich zu einem Ausfall entschließen. Aber draußen waren die Europäer im Nu von einer großen Übermacht der Gegner umringt, deren lange Stoßlanzen nur noch einen halben Fuß von ihrer Brust entfernt waren. Der Baron hatte in jeder Hand eine Pistole und wollte schießen, aber der trotz seiner Jugend viel besonnenere Brehm beschwor ihn, dies nicht zu tun, und verlegte sich aufs Unterhandeln. Freilich ging seine Stimme in dem wüsten Lärm unter, aber man gewann doch so viel Zeit, sich wieder in die Hütte zurückziehen zu können. Bewaffneter Widerstand wäre ja auch tatsächlich Wahnwitz gewesen, denn wenn man auch einige Feinde unschädlich gemacht hätte, so wäre man doch schließlich unzweifelhaft trotz größter Tapferkeit der gewaltigen Übermacht unterlegen. Da kam im letzten Augenblick unerwartet Hilfe in höchster Not. Ein Araber mit milchweißem Barte, den die Schwarzen zu kennen und zu achten schienen, trieb die tobende Bande mit der Nilpferdpeitsche zurück und schaffte erst einmal Ruhe. Bald klärte sich nun das Mißverständnis auf, die ernüchterten Neger baten um Verzeihung, und der landesübliche Bakschisch beendete zur allseitigen Zufriedenheit das gefährliche Abenteuer.

Über all die unsäglichen Widerwärtigkeiten und Mühseligkeiten halfen aber doch immer wieder köstliche Forscherfreuden hinweg. Namentlich bei längerem Verweilen an einem günstigen Platze gab es genußreiche Tage und fast überreiche Beute. Da wurden erfolgreiche Adlerjagden veranstaltet, Antilopen und Hasen für die Küche geschossen, wenn man nur auch eine geeignete Zukost dazu gehabt hätte! Aber weder Gemüse noch Kartoffeln wollen in der Gluthitze Kordofans mehr gedeihen, und die schlissigen, unappetitlichen Durrhakuchen, die die Negerweiber zu bereiten verstanden, waren schließlich doch nur ein sehr unvollkommener Ersatz für unser köstliches und wohlschmeckendes Brot. Ein wahres Labsal war es dagegen, wenn es glückte, einmal einen Krug Meriesa aufzutreiben, eine Art Hirsebier, das sehr erfrischend schmeckt und ähnlich wie der russische Kwaß von jedem Stamme und jedem Dorfe in anderer Weise zubereitet wird.

siehe Bildunterschrift

Hyänenhunde (»gemalte« Hunde) auf der Antilopenjagd.
Nach einer Originalzeichnung von H. Leutemann zu Brehms Arbeit »Neue Charakterbilder aus der Tierwelt« (1867)

Köstlich waren die Tropenabende, wenn man innerhalb der mächtigen Dornumwallung eines Dorfes saß und dem gemütlichen Schnurren der langgeschwänzten Nachtschwalben lauschte oder den wehmütigen Rufen der kleinen Eulen, die zutraulich auf den Spitzen der Tokhals saßen. Blutdürstige Leoparden und feige Hyänen umschlichen nachts gierig die Dornumwallung, wurden aber rasch von den zahlreichen und mutigen Hunden zurückgetrieben. Nur wenn das aus tiefster Brust hervorgeholte Donnergebrüll des Löwen erscholl, das Brehm hier klopfenden Herzens zum erstenmal vernahm, verkrochen sich die edlen Hunde kläglich winselnd bei ihren Herren, die aber ebensowenig wie ihre vierbeinigen Gehilfen dem König der Tiere entgegenzutreten wagten, zumal die lange Stoßlanze ihre einzige Waffe war. Zweimal holte sich in Anwesenheit Brehms der »Herr mit dem dicken Kopfe« durch gewaltigen Sprung, unwiderstehlichen Prankenschlag und zermalmenden Nackenbiß sein Opfer aus der hohen Dornumwallung (Serrieba), und um die Überbleibsel der königlichen Tafel stritten sich dann am nächsten Tage Geier und Marabus und in der Nacht Hyänen und Schakale.

*

Wüstensturm! Lauschen wir Brehms eigenen Worten, denn keiner hat die hehre Majestät der Wüste mit all ihren Schrecken und Schönheiten so eindringlich und greifbar, so packend und gewaltig zu schildern verstanden wie er:

»Schon mehrere Tage vorher ahnt und weissagt der Wüstensohn diesen furchtbaren Wind, dem er geradezu tödliche Wirkungen zuschreibt. Die Temperatur der Luft wird im höchsten Grade lästig: sie ist schwül und abspannend wie vor einem Gewitter. Der Horizont ist mit einem leichten, rötlich oder blau erscheinenden Dufte wie überhaucht -- es ist der in der Atmosphäre kreisende Wüstensand, aber noch bemerkt man keinen Hauch des Windes. Die Tiere jedoch fühlen seine Nähe wohl. Sie werden unruhig und ängstlich, wollen nicht mehr in gewohnter Weise gehen, drängen sich aus dem Zuge heraus und geben noch andere unverkennbare Beweise ihres Ahnungsvermögens. Dabei ermatten sie in kurzer Zeit mehr als sonst durch tagelange Märsche, stürzen zuweilen mit ihren Ladungen und können nur mit Mühe oder gar nicht wieder zum Aufstehen gebracht werden. In der dem Sturm vorausgehenden Nacht nimmt die Schwüle unverhältnismäßig zu, der Schweiß dringt aus allen Poren hervor, nur die strengste geistige Überwachung vermag dem Körper die ihm nötige Spannkraft zu erhalten. Die Karawane setzt ihre Reise mit ängstlicher Eile fort, solange es gehen will, solange nicht Mensch und Tier vor allzu großer Ermüdung zusammenbrechen, solange noch, dem Führer zum Merkmal, ein Sternchen am Himmel flimmert. Auch das letzte verschwindet, ein dicker, trockener, undurchsichtiger Nebel deckt die Ebene. Die Nacht vergeht, die Sonne steigt im Osten auf, der Wanderer sieht sie nicht. Der Nebel ist dichter, undurchsichtiger geworden, die stark gerötete Luft nimmt allgemach eine grauere, düstere Färbung an. Es herrscht fast Dämmerung. Das Auge durchdringt den Dunstschleier kaum über 100 Fuß weit. Der Tageszeit nach muß es Mittag sein. Da erhebt sich ein leiser, glühender Wind aus Süden oder Südwesten. Stärkere Stöße folgen, abgerissen, einzeln. Jetzt braust der Wind, zum Orkan gesteigert, daher. Hoch auf wirbelt der Sand, dicke Wolken verdunkeln die Luft. Der Wind würde den Reiter, der sich ihm widersetzen wollte, aus dem Sattel heben, aber kein Kamel ist zum weitergehen zu bewegen. Die Karawane muß lagern. Den Hals platt auf den Boden gestreckt, schnaubend und stöhnend legen sich die Kamele nieder; man hört die unruhigen, regellosen Atemzüge der geängstigten Tiere. Geschäftig bauen die Araber alle Wasserschläuche an der sie vor dem Winde schützenden Seite eines lagernden Kamels auf einen Haufen, um die der trocknenden Luft ausgesetzte Schlauchoberfläche zu verringern; sie selbst hüllen sich in das sie bekleidende Tuch so dicht als möglich ein und suchen ebenfalls hinter Kisten oder Warenballen Schutz. Die Karawane liegt totenstill. In den Lüften rast der Orkan. Es kracht und dröhnt: die Bretter der Kisten zerspringen mit gewaltigem Knallen. Der Staub dringt durch alle Öffnungen, selbst durch die Tücher hindurch, peinigt und quält den Menschen, auf dessen Haut er sich festsetzt. Man fühlt bald heftige Kopfschmerzen, das Atmen wird schwer, die Brust ist beengt, der Körper trieft von Schweiß, aber dieser näßt die dünnen Kleider nicht, denn begierig saugt die glühende Atmosphäre alle Feuchtigkeit auf. Wo die Wasserschläuche mit dem Winde in Berührung kommen, dörren sie und werden brüchig, das Wasser verdunstet, wehe dem armen Wanderer in der Wüste, wenn der Samum lange währt! Er wird sein Verderber! Ein lange anhaltender Samum ermattet Menschen und Tiere mehr als alle übrigen Beschwerden einer Wüstenreise zusammen. Und dabei bringt er neue, bisher nie gekannte Qualen über den Reisenden, schon nach kurzer Zeit springen ihm, weil die heiße Luft alle Feuchtigkeit entzieht, die Lippen auf und fangen an zu bluten; die Zunge hängt trocken in dem nach Wasser lechzenden Munde, der Atem wird übelriechend, alle Glieder erschlaffen. Zu dem grenzenlosen Durste gesellt sich bald ein unerträgliches Jucken und Brennen am ganzen Körper: die Haut ist brüchig geworden, und in alle Risse dringt der feine Staub. Man hört die lauten Klagen der so grausam Gemarterten; zuweilen arten sie in förmliche Raserei aus -- der Gepeinigte ist wahnsinnig geworden; oder sie verstummen zuletzt ganz, denn das mit fieberiger Hast durch die Adern strömende Blut hat den Kopf so beschwert, daß Bewußtlosigkeit eingetreten ist. Der Sturm ermattet, aber mancher Mensch erhebt sich nicht mehr: ein Gehirnschlag hat seinem Leben ein Ende gemacht. Auch mehrere Kamele liegen in den letzten Zügen.«

Schlanke Palmenwipfel am glasblauen Horizonte verkündigen die Nähe einer Oase, also einer Menschensiedlung im Meere des Sandes, ermöglicht durch das Vorhandensein von Wasser. Der Giftwind Samum haucht auch über die Oase seinen verderbenbringenden Odem, ohne das Verderben wirklich herbeizuführen, denn das Wasser lähmt seine verheerende Gewalt. Darum sind Brunnen und Oasen Friedensorte in der Wüste. Ursprünglich war die Oase nur von der schlanken Gazelle belebt, diesem Wunder der Wüste, und von der anspruchslosen Mimose. Dann kam der Mensch und brachte ihr die Königin der Pflanzenwelt, die Palme, und nun erst wurde die Oase bewohnbar. Eine Oase ohne Palmen wäre keine Oase, wäre ein Gedicht ohne Worte, ein Brunnen ohne Wasser, ein Haus ohne Bewohner. Auf solchen reichen Inseln des Landmeeres hat sich der Mensch bleibend ansiedeln können, während er am bloßen Wüstenbrunnen nur tagelang zu verweilen vermag und nach kurzer Rast mit seiner beweglichen habe weiterziehen muß. Der von Brunnen zu Brunnen wandernde Nomade gleicht einem von Insel zu Insel steuernden Schiffer, der in einer größeren Oase wohnende dagegen einem Insulaner. Die Häuser der von Brehm besuchten Oasen in der Landschaft Fessan bestanden nur aus luftgetrockneten Lehmziegeln und hatten flache Dächer aus Palmstämmen. Gemütlich war's in ihnen nicht, denn das Ungeziefer hatte freien Zutritt. Fliegenschwärme, unerhört zudringliche und bösartige Wespen peinigten den Menschen entsetzlich, giftgeschwollene Skorpione und widerwärtige Spinnen gehörten zu den regelmäßigen Hausbewohnern, selbst Vipern verirrten sich gar nicht selten in die Wohnräume. Dagegen werden die zierlichen Eidechsen und Geckos als Fliegenvertilger gerne gesehen. In einem solchen Heim bei der Bruthitze zu arbeiten, etwa gar einen stinkenden Riesengeier abzubalgen, war wahrhaftig kein Vergnügen, und Brehm lernte einsehen, daß auch das Leben in den vielgepriesenen Oasen seine Schattenseiten hat.

*

»Es ist doch eigenartig, wie am Weihnachtsabend die Gedanken immer wieder in die Heimat eilen,« sagte Baron Müller nachdenklich. »Ein echt deutsches Weihnachtsfest ist doch das schönste, was es gibt. Die prächtigste Palme läßt mich kalt, aber der flittergeschmückte, kerzenstrahlende Weihnachtsbaum greift mir ans Herz. O glückliche Kinderzeit!« -- »Ich habe Heimweh,« versetzte Brehm nur schlicht. »Jeder Gedanke zieht mich heute am heiligen Abend nach meinem stillen, lieben Renthendorf. Oh, unser liebes Pfarrhaus! Wieviel schöner sind doch jetzt unsere verschneiten Thüringer Nadelwälder als all dieser bunte Tropenzauber und als all diese bedrückende Urwaldpracht.«

Die beiden Deutschen saßen am Weihnachtsabend mit ihrem getreuen Ali mitten im Urwalde unweit des Blauen Nil. Man hatte sich's etwas festlich gemacht, Punsch bereitet und die Pfeifen mit dem köstlichsten Tabak der Erde, dem unvergleichlichen Djebeli, gestopft, aber die Wolken der Schwermut wollten den Wolken des Rauches nicht weichen, und so sehr auch die Tropennacht schmeichelte und liebkoste, es wollte ihr nicht gelingen, des Herzens Sehnen zu beschwichtigen. Die Gläser blieben ungeleert und die Herzen unbefriedigt. Der Türke sang seine prächtigen Minnelieder in tonreichen Weisen, aber auch sie versagten heute ihre Wirkung. Der Urwald selbst mußte sprechen, damit sich die Deutschen nicht länger ihren trüben Heimwehgedanken überließen. Und er sprach auch.

Plötzlich schmetterten helle, kräftige Trompetentöne durch die bisher so stille Nacht. Das Geschwätz der Diener verstummte augenblicklich, und alle lauschten atemlos, von neuem schmetterten die Trompeten. »El Fiuhl! El Fiuhl! Elefanten, Elefanten!« jubelten die mit den Tönen der Wildnis vertrauten, wahrhaftig, es waren Elefanten, die zum Flusse gingen. Und ihr Trompeten war anscheinend das Zeichen zum Beginn eines fast schaurigen und doch wahrhaft großartigen nächtlichen Urwaldkonzertes. Der König des Waldes donnerte durch sein Reich, und seine Königin antwortete. Ein Nilpferd hob seinen Kopf und brummte, als wolle es versuchen, es der Löwenstimme gleichzutun, ein Panther grunzte, aufgescheuchte Affen gurgelten und kreischten, erschreckte Papageien flatterten und schrien, Eulen spektakelten dazwischen, Hyänen und Schakale übernahmen den Chorgesang, auf einer Sandbank klagte der Wogenpflüger der Nacht, der Scherenschnabel, und wie läutende Silberglöckchen klang dazwischen das Gezirp der Zikaden, dumpfer und tiefer der volle Chor der Waldfrösche. Es war ein wunderbares Tonstück, und wunderliche Künstler führten es auf, aber die Deutschen söhnte es aus mit der Fremde, die trübe gewordenen Augen glänzten wieder, und das Herz schlug hoch vor Freude. Zum erstenmal hörte Brehm das Trompeten wilder Elefanten. Und so hatte auch er sein Weihnachtsgeschenk! --

Brehm feierte seinen 20. Geburtstag. Aber wie? Er hatte ohne den in Chartum zurückgebliebenen Baron einen selbständigen Abstecher nach dem Blauen Nil gemacht, ins Land des durch körperliche Schönheit, auffallend helle Hautfarbe und die aufdringliche Sittenlosigkeit seiner Weiber bekannten Negerstammes der Hassanies. Er konnte hier nur immer wieder staunen über den unerschöpflichen und überwältigenden Reichtum des tropischen Tierlebens. Die Vogelwelt war großartig vertreten und die Ausbeute entsprechend, aber leider machten Malaria und Brechdurchfall dem jungen Forscher wieder sehr viel zu schaffen. Nun lag er an seinem Ehrentage, von schweren Fieberschauern geschüttelt und halb bewußtlos, mutterseelenallein mitten im Urwald unter seinem dürftigen Zelt, ohne liebevolle Pflege, ohne Arzneien, selbst ohne das unentbehrliche Chinin. Wenn das die Lieben im fernen Vaterlande hatten ahnen können! Soweit es sein jämmerlicher Zustand erlaubte, jagte er trotzdem im undurchdringlichen Dorngestrüpp der Urwälder und in den fieberschwangeren Sümpfen oder balgte mit zitternden Händen zähneklappernd die geschossenen Vögel ab. Als er schließlich mit einer Ausbeute von 130 Vogelbälgen auf seinem Eselchen nach Chartum zurückkehrte, runzelte der Baron, der vom Tropenkoller geplagt sein mochte oder vielleicht auch damals schon mit Geldsorgen zu kämpfen hatte, beim Betrachten der kleinen Sammlung die Stirn. »Das ist doch viel zu wenig für eine so lange Abwesenheit,« polterte er. »wie soll ich denn da auf meine Kosten kommen, wenn Sie derartig faulenzen?« Mit Recht war Brehm, der dieser Vogelbälge wegen Leben und Gesundheit aufs Spiel gesetzt hatte, empört und erbittert über solch schreiende Undankbarkeit. »Damals habe ich zum erstenmal gefühlt, daß die Bemühungen eines Sammlers oder Naturforschers nur selten anerkannt werden.« Ein Wort gab das andere, und es kam zwischen den beiden Reisegefährten zu einer heftigen Auseinandersetzung, die beinahe zum völligen Bruch geführt hätte. Zwar versöhnte man sich schon am nächsten Tage, aber das alte innige Freundschafts- und Vertrauensverhältnis zwischen beiden wollte sich doch nie wieder so recht einstellen, obwohl äußerlich der Friede künftig gewahrt blieb.


 << zurück weiter >>